Laudatio für Martin Heisenberg zur Verleihung des Karl Ritter von Frisch-Preises
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Laudatio für Martin Heisenberg zur Verleihung des Karl Ritter von Frisch-Preises Alexander Borst Meine sehr verehrten Damen und Seine hervorragenden wissenschaftlichen Herren, lieber Herr Heisenberg! Leistungen spiegeln sich in einer Vielzahl von richtungweisenden, originellen und Es ist eine große Freude und Ehre für exzellenten Veröffentlichungen wider.’ mich, heute die Laudatio für Sie halten zu Diese Kurzfassung seiner Vita und vor dürfen. Will man heutzutage etwas über allem die beeindruckenden Aussagen einen bestimmten Fachbegriff oder über über die Bedeutung seiner Arbeit möchte einen prominenten Menschen wissen, ich im Folgenden näher ausführen. Zu- geht man in die Internet-Enzyklopädie Wikipedia. Unter ,Martin Heisenberg’ fin- det man dort folgenden Eintrag: ‚Als Sohn des Physikers Werner Heisen- berg und seiner Frau Elisabeth (geb. Schu- macher) kam Heisenberg früh mit natur- wissenschaftlichen Fragen in Berührung. Nach dem Studium der Chemie und mole- kularen Biologie in München, Tübingen und Pasadena (unter anderem bei Max Delbrück) wurde er 1975 Professor an der Bayerischen Julius-Maximilians-Universität Würzburg und Ordinarius für Genetik und Neurobiologie im Biozentrum der Univer- sität Würzburg. Martin Heisenberg gilt als einer der wenigen deutschen Universalgelehrten, die das Wissen und Denken eines Natur- wissenschaftlers mit umfassendem Wissen und Verstehen der Geisteswissenschaften vereinen und auch in der Lehre vertreten können. Heisenberg war einer der Ersten, der die Bedeutung der Gehirnentwick- lungsmutanten in Drosophila für die Er- forschung neuroethologischer Frage- stellungen erkannt hat. Er hat damit in Deutschland die Neurogenetik begründet. Martin Heisenberg 17
nächst zu Martin Heisenbergs wissen- Drosophila mit neurogenetischen Metho- schaftlichem Werdegang: den zu untersuchen. Das war genau die Martin Heisenberg wuchs in Göttingen Kombination, die das Labor für Martin auf, zog dann nach München um; dort Heisenberg so attraktiv machte. Dort ge- ging er auf das Maximilians-Gymnasium, lang es ihm, in einem Verhaltens-Essay machte 1959 das Abitur, und studierte die berühmte Optomotorik Mutante omb anschließend, von 1960 bis 1964, in zu isolieren. Es dauerte nicht lange, und Tübingen Chemie. Obwohl er zu diesem Martin Heisenberg erhielt nach einigen Zeitpunkt bereits entschlossen war, das weiteren Arbeiten im Alter von 35 Jahren Geheimnis des Gehirns zu entschlüsseln, ein Angebot, nach Würzburg auf den denke ich, war der Entschluss, Chemie zu Genetik-Lehrstuhl zu gehen. Dieses An- studieren, geprägt von der Erkenntnis, gebot nahm er 1975 an, ging nach Würz- sich zunächst eine solide naturwissen- burg und ist der Julius-Maximilans Univer- schaftliche Grundlage anzueignen. Das sität seitdem treu geblieben. In den ver- passt auch zu dem Faktum, dass Martin gangenen 30 Jahren hielt er sich mehr- Heisenberg mehr als zügig studierte und mals als Gastprofessor in den USA auf, bereits 1966, also im Alter von 26 Jahren, wurde Mitglied in zahlreichen wissen- seine Doktorarbeit über ein Thema zur schaftlichen Gesellschaften, Mitheraus- Genetik von Bakteriophagen abschloss. geber von vielen Zeitschriften, und ist Anschließend ging er als Postdoc in das Mitglied der wichtigsten Akademien wie Labor des legendären Molekularbiologen z.B. der Deutschen Akademie der Natur- Max Delbrück ans CalTech. Er studierte forscher Leopoldina, der Academia Euro- dort das Verhalten von Phycomyces, eines paea, der Akademie der Wissenschaften Einzellers, welcher ein lichtgerichtetes zu Göttingen, und der Berlin-Brandenbur- Wachstum zeigt. Dort konnte er sich in gischen Akademie der Wissenschaften. die molekularbiologische Methodik ein- Er ist Autor von über 130 wissenschaftli- arbeiten, gleichzeitig reifte aber auch in chen Veröffentlichungen, darunter sieben ihm die Erkenntnis, dass diese Organis- Veröffentlichungen in Nature, drei in men kein Gehirn haben, und er wollte Science. Gemeinsam mit Reinhard Wolf doch das Gehirn verstehen. Wahrschein- hat er das Buch ‚Vision in Drosophila’ lich inspiriert von den verschiedenen geschrieben, die Bibel vieler Kollegen Gruppen, die am CalTech an Drosophila und Studenten. Diese Vita, dieser Veröf- arbeiteten, ging er deshalb anschließend fentlichungs-Record, wird dem Anspruch 1968 als Assistent zu Karl-Georg Goetz eines Preisträgers sicherlich mehr als an das Max-Planck-Institut für biologische gerecht. Kybernetik nach Tübingen. Dieses Institut, Für mich und sicherlich auch für Sie gegründet von Werner Reichardt, war gibt es da natürlich viele interessante damals weltweit einmalig das Mekka für Fragen, von denen ich zwei herausgreifen das visuell gesteuerte Verhalten von Flie- möchte. Zunächst die Frage, wie es kam, gen, und Karl-Georg Goetz hatte damals dass sich Martin Heisenberg für die Neu- als erster die Idee, die Optomotorik an rowissenschaften interessierte. Dazu be- 18
richtete er in einem Interview von folgen- den Seminarraum und schlug die Tür kra- dem Schlüsselerlebnis: chend hinter sich zu. Ich war begeistert zu ‚Mit 17 hatte ich die Chance, an einem sehen, dass hier offensichtlich wissen- der legendären ‚Leib-Seele Seminare’ in schaftliche Fragen waren, die unser ganzes Seewiesen teilzunehmen. Eines Abends Selbstverständnis im Fundament betrafen, war Carl-Friedrich von Weizsäcker als und fand, dass sich solche Fragen wirklich Gastredner eingeladen. Er sprach über die lohnen, den Rest eines Lebens untersucht Bedeutung der Quanten-Mechanik für die zu werden.’ Neurowissenschaften. Er versuchte zu er- Ich würde sagen: da hatten wir und klären, warum es keinen Sinn macht, von die Neurowissenschaften wirklich Glück, einem Elektron zu denken, unabhängig dass Sie seinerzeit die 30 km auf sich von der Existenz eines Beobachters. genommen haben und von München Lorenz mochte diese Anschauung von heraus nach Seewiesen gefahren sind. Weizsäcker’s nicht besonders und versuch- Eine andere hochinteressante Frage ist te, immer weitere Gegenargumente zu fin- die nach der für Ihre wissenschaftliche den. Von Weizsäcker konnte diese jedoch Laufbahn einflussreichsten Person. In dem eines nach dem anderen entkräften, und gleichen Interview, welchem ich die eben am Ende verließ Konrad Lorenz wütend erzählte Anekdote entnommen habe, Diethardt Tautz, Präsident der DZG, überreicht Martin Heisenberg die Urkunde im Schloß zu Münster 19
antworten Sie auf diese Frage ohne von Drosophila für die Gehirnforschung Zögern: Max Delbrück. Ihren Aussagen zu nutzen. Die folgenden Beispiele sollen nach gab es bei Max Delbrück drei Prin- belegen, wie zukunftsweisend und origi- zipien: nell seine Ansätze dabei jeweils waren. 1. Wissenschaft muss Spaß machen. 1. Bei Karl Goetz entwarf er ein gestaf- 2. Erzähle mir nichts, was ich nicht weiter- feltes Y-Maze, bei dem sich an all den sagen darf. Und 3. Stell solange Fragen, Entscheidungspunkten je eine Trommel bis du verstanden hast, oder weißt, dass in ein und dieselbe Richtung drehte. es momentan keine Antwort gibt. Am Ende des Labyrinths befanden sich Jeder, der Martin Heisenberg kennt, 32 Gläser, und alle Wildtyp-Fliegen, die würde sofort unterschreiben, dass diese eine normale optomotorische Folgereak- Aussagen, ohne Einschränkung, auch auf tion zeigten, fanden sich am Ende in den ihn zutreffen. Ich selbst hatte das große am weitesten links liegenden wieder. Glück, Herrn Heisenberg als junger Stu- Eine mit EMS zufällig erzeugte Mutanten- dent in Würzburg in die Arme zu laufen, Linie jedoch zeigte eine statistische Ver- und diese Art von Aufgeschlossenheit, teilung. Offensichtlich besaßen diese diese Art, sich nicht zu scheuen, dauernd Tiere keine optomotorische Folgereak- Fragen zu stellen, diese Art der intellektu- tion. Bei der anschließenden anatomi- ellen Atmosphäre, die dadurch geschaf- schen Untersuchung ergab sich, dass die- fen wurde, machten Martin Heisenberg sen Fliegen die Großfeld-Neurone in der und seine Mitarbeiter so attraktiv für Lobulaplatte fehlten. Dieser Befund gilt einen jungen, hungrigen Studenten wie bis heute als der klassische Nachweis, mich. Ich selbst hatte leider nicht mehr dass eben diese Zellen für die Optomo- das Privileg, Max Delbrück persönlich torik und die visuelle Kurssteuerung im kennen zu lernen, aber als ich Jahre spä- Fliegengehirn zuständig sind. ter einiges biographisches Material über 2. Wenige Jahre später, kaum in Würz- ihn las, wusste ich, wer bei Martin burg angekommen, startete Heisenberg Heisenberg stilprägend war. einen umgekehrten Ansatz für die Etab- Nach diesen Punkten zu der Laufbahn lierung von Struktur-Funktionsbeziehung unseres Preisträgers möchte ich jetzt auf im Fliegengehirn: Statt nach einem Ver- seine wissenschaftlichen Leistungen zu haltensdefizit zu selektieren und anschlie- sprechen kommen. Was bedeutet es, dass ßend die Gehirnstruktur zu untersuchen, es heißt, Martin Heisenberg habe die selektierten er und sein Assistent Karl- Neurogenetik begründet, was bedeutet Friedrich Fischbach nach anatomischen es, dass er als Universalgelehrter die Kriterien, schauten also, welche Fliegen naturwissenschaftliche Vorgehensweise veränderte Gehirnstruktur zeigten, und mit den Geisteswissenschaften vereint? prüften anschließend, in welchem Verhal- Zunächst zur Neurogenetik: Ich würde ten die Fliegen gestört waren. Besondere ohne Umschweife sagen, dass Martin Aufmerksamkeit widmete Heisenberg Heisenberg als einer der ersten die dabei den Pilzkörpern, einer sehr promi- Möglichkeiten gesehen hat, die Genetik nenten Zentralhirn-Struktur von Insekten. 20
Dies führte zu der mittlerweile ebenfalls einem Neurowissenschaftler genannt klassischen Erkenntnis, dass die Pilzkör- haben, sind sie verbessert worden, dass per beim olfaktorischen Lernen die zen- es richtig ‚Fruchtkörper’ heißen muss. trale Rolle spielen. Dass die Pilzkörper mittlerweile als Logo 3. Waren diese ersten Erfolge noch eines internationalen Kongresses dienen, geprägt von der Kombination klassischer dass sie zum zentralen Thema einer Un- Genetik, Verhaltensanalyse und Anatomie, zahl von Forschergruppen weltweit ge- machte sich Heisenberg in den letzten worden sind, dass sich die Untersuchun- Jahren zunehmend molekulare Methoden gen zu den zellulären Grundlagen von zunutze. Auch hier wieder auffallend, wie Lernen und Gedächtnis bei Invertebraten originell dabei sein Ansatz war. Während auf eben diese Strukturen konzentrieren, die allermeisten Labors damit beschäftigt das ist einzig Martin Heisenbergs Ver- waren, bestimmte Neurone im Gehirn von dienst. Drosophila zu blockieren oder auszu- Soviel zu der Aussage, Martin Heisen- schalten, und dann entsprechende Ver- berg hat die Neurogenetik mit begründet. haltensleistungen zu testen, hat Martin Was aber hat es mit der Aussage auf sich, Heisenberg die Methode der genetischen Martin Heisenberg sei einer der wenigen Rekonstitution erfunden. Er fragte: wenn Universal-Gelehrten? ich ein bestimmtes Protein, welches für Nun, wir haben ja bereits gehört, dass neuronale Plastizität notwendig ist, aus die Fragen an der Schnittstelle zwischen allen Neuronen von Drosophila entferne, Natur- und Geisteswissenschaft Martin in welche Neurone muss ich es mindes- Heisenberg von Anfang an fasziniert tens zurückgeben, damit die Verhaltens- haben und ihn letztlich bewogen haben, leistung ‚olfaktorisches Lernen’ wieder da sich dem Studium des Gehirns zu wid- ist. Die Antwort lautete: in die Zellen, die men. Von etwas fasziniert zu sein, bedeu- den Pilzkörper formen. tet aber noch lange nicht, auch grundle- Diese und zahlreiche Arbeiten zum gende Beiträge geliefert zu haben. Dies visuellen System und zum Lern-Vermö- aber hat Martin Heisenberg ohne Zweifel gen von Drosophila erklären, warum getan. Und auch hier half der unvoreinge- Martin Heisenberg tatsächlich die ‚lead- nommene Blick, die Position des einfa- ing figure’ der Neurogenetik geworden chen Beobachters: ist. Ich war vor 2 Wochen bei dem wich- Gemeinsam mit seinem langjährigen tigsten Meeting der Drosophila-Neuro- Mitstreiter Reinhard Wolf sahen sie der Gemeinde in Leuven, Belgien, und mir Fliege im fixierten Flug am sogenannten sind zwei Dinge dabei aufgefallen: bei Drehmoment-Kompensator zu, und das jedem zweiten Vortrag stand eine Arbeit erste, was ihnen auffiel, war, dass die von Martin Heisenberg als Zitat auf den Fliege außer dem kontinuierlichen Dreh- Powerpoint-Folien, und zweitens, das moment auch distinkte Drehmoment- Logo der Veranstaltung waren die Pilz- Peaks erzeugte, das Äquivalent von Flug- körper. Wenn Sie vor 30 Jahren das Wort Sakkaden, wie wir mittlerweile wissen. ‚Pilzkörper’ in einer Unterhaltung mit Waren die Tiere im Closed-Loop mit ihrer 22
Umgebung, konnten sie sie also mit dem durchgesetzt, dass man sich kaum noch Drehmoment kontrollieren, steuerten sie andere Experimente ausdenken kann, es dabei offensichtlich für sie interessante sei denn, man heißt Heisenberg. Moder- Gegenstände des Panoramas in ihrem ne Theorien zur visuellen Objekterken- Flug an. Eine der interessantesten Be- nung gehen aber mittlerweile stark von obachtungen war dabei, dass die Tiere in einem Prior im Bayes’schen Sinne aus, der Lage waren, einmal dies und einmal was nichts anderes heißt, als dass das, jenen Gegenstand anzufliegen. Ganz im was man sieht, sehr stark von der Erwar- Gegensatz zu einer statistischen Theorie tung geprägt ist. Sie sehen also: das der visuellen Kurzkontrolle konnten Gehirn nimmt dadurch eine sehr viel akti- Heisenberg und Wolf nachweisen, dass vere Rolle an, als das ein noch so gewief- selbst so kleine Gehirne wie Drosophila ter Filter jemals könnte. dazu in der Lage sind, ihre visuelle Auf- 2. Diese und andere Überlegungen merksamkeit zu steuern. führten auch dazu, dass Martin Heisen- Diese und andere Beobachtungen berg in den vergangenen Jahren zuneh- führten Heisenberg zu einer Anschauung mend an den Diskussionen teilnahm, wel- über das Gehirn, welche den meisten che zum Thema ‚Neurobiologie und freier heute gängigen Anschauungen diametral Wille’ die Aufmerksamkeit einer großen entgegenläuft, nämlich die der initialen Öffentlichkeit erregten. Hier liegt sein Aktivität. Statt das Gehirn als eine Art Beitrag darin, Begriffe wie ‚Initiale Aktivi- hoch elaborierte, aber im Grunde doch tät’ und ‚Reportability’ eingeführt zu passive Reiz-Reaktions-Maschine zu be- haben, und ich denke, dass sich diese trachten, geht nach Heisenbergs An- Begriffe als extrem nützlich erweisen wer- schauung die Aktivität vom Gehirn aus, den bei der Diskussion der Geistes- mit und nicht vom Reiz. Dies hat weitreichen- den Naturwissenschaften zu diesem de Implikationen: 1. Zum einen unmittel- äußerst schwierigen Themenkomplex. bar für die Neurowissenschaften – wis- Was soll ich noch weiter sagen? senschaftshistorisch gesehen sitzen die Ich denke, es gibt keinen würdigeren Neurowissenschaften in der sogenannten Preisträger für die Auszeichnung als Sie, ‚Reflex-Falle’ (dies ein Zitat aus Glimchers lieber Herr Heisenberg, und es gibt kei- Buch ‚Neuro-Economics’): Seit Sherring- nen, der sich mehr darüber freut als ich. ton’s Reflex-Theorie hat sich das Reiz- Meine herzlichsten Glückwünsche! Reaktions-Paradigma als so erfolgreich Prof. Dr. Alexander Borst MPI für Neurobiologie Am Klopferspitz 18a D-82152 Martinsried 23
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