Ein neues Mandat für Präsident Obama

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Ein neues Mandat für Präsident Obama
Herausforderungen für die zweite Amtszeit
Stormy-Annika Mildner, Henriette Rytz, Sonja Thielges

Der Wahlsieg von US-Präsident Barack Obama über seinen republikanischen Heraus-
forderer Mitt Romney war eine (wenn auch knappe) Bestätigung seiner Agenda. Die
Mehrheit der amerikanischen Wähler war der Meinung, Obama habe die besseren
Rezepte für die enormen Herausforderungen, vor denen das Land steht. So erhielt
er das Mandat, den in seiner ersten Amtszeit eingeleiteten politischen Wandel fort-
zusetzen. Erfolgreich kann der Präsident aber nur dann sein, wenn die politischen
Blockaden im Kongress durchbrochen werden. Dort haben sich die Mehrheitsverhält-
nisse kaum geändert, die Polarisierung ist nach wie vor stark. Doch die USA können
sich keinen weiteren Stillstand leisten – und die republikanische Partei keine weitere
Wahlniederlage. Dies könnte die Kompromissbereitschaft im Kongress fördern.

Die Präsidentschafts- und Kongresswahlen                            Netzes der Wahlkreise fielen bei den
2012 haben verdeutlicht, dass die USA                               Wahlen für das Repräsentantenhaus demo-
einen rapiden demographischen und gesell-                           graphische und gesellschaftliche Verände-
schaftlichen Wandel durchlaufen, den zu                             rungen weniger ins Gewicht. Hier stellt die
ignorieren empfindliche Stimmenverluste                             republikanische Partei nach wie vor die
verursachen kann. Durch die Zuwanderung                             Mehrheit.
insbesondere aus Lateinamerika und Asien
verändert sich die Zusammensetzung der
US-amerikanischen Gesellschaft. Gleich-                             Der Weg zur Wiederwahl
zeitig wandelt sich das Wertegerüst vieler
US-Amerikaner. Davon profitierte die demo-                          Der demographische Wandel
kratische Partei besonders bei den Präsi-                           Mit rund 28 Prozent erreichte der Anteil
dentschafts- und Senatswahlen. Präsident                            ethnischer Minderheiten an der Wähler-
Obama bleibt für eine zweite Amtszeit im                            schaft bei der Präsidentenwahl dieses Jahr
Weißen Haus, im Senat konnte seine Partei                           ein neues Hoch. Sie bilden mittlerweile den
ihre Mehrheit verteidigen. Sie wird mit 53                          geschlossensten Wählerblock der demokra-
Senatoren vertreten sein und kann auf die                           tischen Partei. Über 70 Prozent der Latinos
Unterstützung der beiden parteilosen                                und Asian Americans wählten Obama.
Senatoren zählen. Wegen des kleinteiligen                           Damit konnte er seine Stimmenanteile in

Dr. Stormy-Annika Mildner ist Mitglied der Institutsleitung, Henriette Rytz ist wissenschaftliche Mitarbeiterin,        SWP-Aktuell 66
Sonja Thielges Forschungsassistentin der Forschungsgruppe Amerika                                                       November 2012

                                                                                                                                     1
dieser Gruppe deutlich verbessern. Die           nierte Parteiaktivisten mit einem Hang zu
                 Zustimmung unter den afroamerikani-              extremen Positionen den Vorwahlprozess.
                 schen Wählern ging etwas zurück, lag aber        Für eine breite Wählerschaft sind diese
                 trotzdem bei über 90 Prozent. Ohne signi-        Kandidaten allerdings nicht attraktiv.
                 fikante Stimmenanteile aus diesen Grup-             Am meisten schadete dies den Republi-
                 pen sind landesweite Wahlen nicht mehr           kanern im Rennen um die Senatsposten.
                 zu gewinnen.                                     Drei Viertel der Tea-Party-gestützten repu-
                    Die weißen Amerikaner entschieden sich        blikanischen Kandidaten scheiterten bei
                 hingegen noch geschlossener als vor vier         den Senatswahlen. Unter anderem deshalb
                 Jahren, nämlich mit knapp 60 Prozent, für        konnten die Demokraten ihre Mehrheit im
                 den republikanischen Präsidentschafts-           Senat halten.
                 kandidaten. Für einen Wahlsieg reichte dies         Auch Mitt Romney wandelte sich im
                 dennoch nicht.                                   Vorwahlkampf von einem moderaten
                    Nicht nur weil ihr Anteil an der Wähler-      Republikaner, der als Gouverneur von
                 schaft gewachsen ist, sind Latinos zu einem      Massachusetts (2003–2007) eine Kranken-
                 wichtigen Wählerblock geworden. Sie              versicherungspflicht in seinem Bundesstaat
                 sind auch überdurchschnittlich stark in          eingeführt hatte, zu einem Politiker, der
                 sogenannten Swing States präsent, in             das rechte Spektrum seiner Partei umgarn-
                 denen keine Partei eine sichere Mehrheit         te. Er forderte, die Lebensbedingungen für
                 hat. Auf diese Staaten konzentrierte sich        irreguläre Einwanderer so unfreundlich zu
                 der Präsidentschaftswahlkampf. Der Bun-          gestalten, dass diese von alleine das Land
                 desstaat Colorado in den Rocky Mountains         verlassen würden, und mutierte vom
                 etwa, einst eine Bastion der Republikaner,       Befürworter zum Gegner des Rechts auf
                 fiel aufgrund seiner rasch anwachsenden          Abtreibung. Auf der Zielgeraden des Wahl-
                 Latino-Bevölkerung bereits 2008 an die           kampfs vollführte er zwar einen Schwenk
                 Demokraten. 2012 entschied sich Colorado         zurück zur politischen Mitte, aber das
                 erneut für Obama.                                reichte nicht aus, um die Wahlen zu
                                                                  gewinnen.

                 Die Gesellschaft der USA rückt in die Mitte
                 Auch bei weiblichen und jungen Wählern           Die Themen im Wahlkampf
                 (unter 45 Jahren) errang Obama eine klare        Die wirtschaftliche Lage der USA, insbeson-
                 Mehrheit. In einer Gesellschaft, die weniger     dere die Arbeitslosigkeit, war laut Umfra-
                 wertkonservativ geworden ist, kommt die          gen das wichtigste Thema im Wahlkampf.
                 progressive Agenda der Demokraten deut-          Seit Franklin D. Roosevelt, der während der
                 lich besser an als die der Republikaner.         Weltwirtschaftskrise in den 1930er Jahren
                 Mehr als die Hälfte der US-Bevölkerung           amtierte, wurde kein Präsident bei so hoher
                 billigt mittlerweile gleichgeschlechtliche       Arbeitslosigkeit wiedergewählt. Obama
                 Ehen, die Häufigkeit der Kirchenbesuche          jedoch half der positive Trend am Arbeits-
                 nimmt ab, und vor allem Frauen befürwor-         markt. Kurz vor den Wahlen lag die
                 ten zunehmend das Recht auf Abtreibung.          Arbeitslosenrate mit knapp unter acht
                    Während die US-amerikanische Gesell-          Prozent auf dem niedrigsten Wert seiner
                 schaft in die politische Mitte rückt, hat sich   Amtszeit.
                 die republikanische Partei immer mehr von           Die Außenpolitik hingegen hat bei den
                 ihr entfernt, zuletzt hauptsächlich voran-       Wählern in den letzten vier Jahren an
                 getrieben von der Tea Party. Bei Wahlen          Bedeutung verloren. Die laufenden Kriege
                 kann dies Probleme schaffen. Um sich im          werden zurzeit kaum kontrovers diskutiert.
                 Vorwahlkampf durchzusetzen, müssen               Zudem erregte Präsident Obama mit seiner
                 Kandidaten den rechten Rand der Partei           Außenpolitik, zu der die kurzzeitige Auf-
                 bedienen. In der Folge dominieren passio-        stockung der Truppen in Afghanistan und

SWP-Aktuell 66
November 2012

2
der Drohneneinsatz in der Terrorismus-           Die neuen Komitees brachten Romney
bekämpfung gehörten, nur wenig Wider-         zwar deutlich mehr Spenden als Obama.
spruch bei den Republikanern. In diesem       Doch der Herausforderer konnte diesen
Politikfeld zeigten beide Präsidentschafts-   Vorsprung nicht in einen Stimmenvorteil
kandidaten erstaunlich große Schnitt-         ummünzen, denn die Super PACs haben
mengen. Traditionell wird der republika-      einige Nachteile. Laut Gesetz dürfen sie mit
nischen Partei größere Kompetenz in           den Spenden nicht explizit die Kampagne
auswärtigen Angelegenheiten zugeschrie-       eines Kandidaten unterstützen. Auch
ben, doch diesmal führte Präsident Obama      strategische Absprachen mit den Kampag-
hier in den Umfragen.                         nen können sie nicht treffen. Zudem
                                              müssen sie höhere Gebühren für die Aus-
                                              strahlung von Wahlwerbespots zahlen.
Obamas überlegene                                Der Präsident hingegen profitierte von
Wahlkampfmaschinerie                          seinem Vorsprung beim traditionellen
Obamas Wahlkampfstrategie war der seines      Fundraising durch die eigene Wahlkam-
Kontrahenten Romney deutlich überlegen.       pagne. Dieses Geld konnte flexibler und
Das Team des Präsidenten konnte auf die       effektiver genutzt werden als das der Super
noch vorhandene Infrastruktur des erfolg-     PACs.
reichen Wahlkampfs 2008 zurückgreifen.           Diesen Vorteil des Präsidenten konnte
Dazu gehörte ein besonders dichtes Netz an    Romney auch nicht dadurch wettmachen,
Außenbüros (field offices), hohe Präsenz in   dass er bei den Wahlkampfspenden an die
sozialen Medien wie Twitter und Facebook      Partei (statt direkt an seine Wahlkampagne)
sowie eine Vielzahl freiwilliger Helfer in    vorne lag. Denn diese Mittel durften erst
den Swing States. Hinzu kam 2011/12 der       nach Romneys offizieller Nominierung als
Einsatz hochgradig individualisierter und     Kandidat Ende August eingesetzt werden.
gezielter Wahlwerbung (targeted campaign-     Zu diesem Zeitpunkt hatte die Obama-
ing). Außerdem konnte Obamas Team             Kampagne bereits erfolgreich in Fernseh-
schon 2011 seine Arbeit aufnehmen, als der    spots investiert, in denen der Republikaner
republikanische Gegenkandidat noch gar        als abgehobener Multimillionär diskredi-
nicht feststand. Aus diesen Gründen gelang    tiert wurde.
es der demokratischen Partei, deutlich
mehr Wähler zu mobilisieren, als Romney
und sein Team erwartet hatten.                Politische Herausforderungen
   Der Präsidentschaftswahlkampf 2012         Präsident Obama stehen in seiner zweiten
war der teuerste der US-Geschichte. Ins-      Amtszeit große Herausforderungen bevor.
gesamt wurden dafür knapp zwei Milliar-       »Unser Defizit reduzieren, unser Steuersys-
den Dollar gespendet. Doch kam es nicht       tem erneuern, unser Einwanderungssystem
allein auf die Summe an, sondern auch         verbessern, uns (von der Abhängigkeit) von
darauf, ob das Geld direkt an die Wahl-       ausländischem Öl befreien. Wir haben noch
kampagne, die Partei oder ein Super PAC       viel zu tun«, schrieb sich der Präsident in
(Political Action Committee) floss.           seiner Siegesrede selbst ins Lastenheft.
   Super PACs sind eine neue Form von
Wahlspendenkomitees, die infolge einer
umstrittenen Entscheidung des Obersten        Wirtschaftswachstum und Beschäftigung
Gerichtshofs vom Januar 2010 entstanden       Präsident Obama steht vor einer schier
sind und Spenden in unbegrenzter Höhe         unlösbaren Aufgabe: Der Staat muss sparen,
sammeln dürfen. Sie erwiesen sich aber als    um künftige Generationen nicht über
nicht so einflussreich, wie Kritiker be-      Gebühr zu belasten. Gleichzeitig muss
fürchtet hatten.                              Washington jedoch die fragile Wirtschaft
                                              stützen und in die defizitäre Infrastruktur

                                                                                             SWP-Aktuell 66
                                                                                             November 2012

                                                                                                         3
sowie das Bildungssystem des Landes               Für diesen Fall prognostiziert das Haus-
                 investieren.                                      haltsbüro des Kongresses (Congressional
                    Die US-Wirtschaft erholt sich nur lang-        Budget Office), dass das BIP in der ersten
                 sam von der schwersten Wirtschaftskrise           Jahreshälfte 2013 um 1,3 Prozent schrump-
                 seit der Großen Depression der 1930er             fen würde; insgesamt würde die Wirtschaft
                 Jahre. Im zweiten Quartal 2012 wuchs das          im Jahr 2013 um höchstens 0,5 Prozent
                 Bruttoinlandsprodukt (BIP) um nur 1,3 Pro-        wachsen. Die Arbeitslosigkeit dürfte dann
                 zent, im dritten Quartal immerhin um              wieder deutlich ansteigen.
                 2 Prozent im Vergleich zum vorangegange-             Deshalb muss sich der Kongress so
                 nen Quartal. Für 2012 rechnet der Inter-          schnell wie möglich auf ein ausgewogene-
                 nationale Währungsfonds (IWF) mit einer           res Sparpaket und einen Steuerkompromiss
                 Wachstumsrate von etwa 2,2 Prozent.               einigen, die eine harte Landung der US-
                    Dies reicht jedoch nicht, um die hohe          Wirtschaft verhindern, aber auch den Weg
                 Arbeitslosigkeit spürbar zu reduzieren.           ebnen, die Staatsschulden der USA abzu-
                 Rechnet man die Zahl der Unterbeschäftig-         bauen. Seit der Jahrtausendwende ist der
                 ten hinzu, lag sie im Oktober bei knapp 15        Schuldenberg massiv gewachsen; das Haus-
                 Prozent. Setzt sich das Tempo fort, in dem        haltsjahr 2012 schloss laut Schätzung der
                 Arbeitsplätze gegenwärtig geschaffen wer-         Haushaltsbehörde des Präsidenten (Office of
                 den, dürfte es noch Jahre dauern, bis das         Management and Budget) im September
                 Beschäftigungsniveau vor der Krise erreicht       mit einem Defizit von 8,5 Prozent, die Ver-
                 wird. Auch der Anteil der Langzeitarbeits-        schuldung lag bei schätzungsweise knapp
                 losen, die mehr als sechs Monate vergeblich       105 Prozent des BIP.
                 nach Arbeit suchen, liegt nach wie vor bei           Obama will Ausgabenkürzungen mit
                 etwa 40 Prozent der Erwerbslosen.                 höheren Einnahmen kombinieren – ein
                                                                   Ziel, mit dem er bislang bei den Republi-
                                                                   kanern auf Granit beißt. Um die Steuer-
                 Die fiskalpolitische Klippe                       senkungen für die mittleren und unteren
                 Die dringlichste Aufgabe für den Präsiden-        Einkommensschichten sowie kleine und
                 ten besteht darin, die sogenannte fiskal-         mittlere Unternehmen zu finanzieren, will
                 politische Klippe (fiscal cliff) zu umschiffen.   Obama die Höchsteinkommen stärker
                 Ende 2012 laufen zahlreiche Steuervergüns-        besteuern, Subventionen streichen, Steuer-
                 tigungen aus, die noch unter George W.            schlupflöcher schließen und die Steuer-
                 Bush beschlossen wurden. Nach Berechnun-          gesetzgebung vereinfachen. Gleichzeitig
                 gen des amerikanischen Tax Policy Center          muss im Kongress ein Kompromiss gefun-
                 ergäbe sich für 90 Prozent aller Amerikaner       den werden, der es gestattet, die gesetzlich
                 eine höhere Steuerbelastung – und damit           festgeschriebene Schuldenobergrenze, die
                 weniger verfügbares Einkommen. Der                derzeit bei 16,4 Billionen US-Dollar liegt,
                 Konsum aber ist eine wichtige Säule der US-       abermals anzuheben. Misslingt dies, wären
                 Wirtschaft. Auch nach der Krise beläuft sich      die USA Anfang 2013 zahlungsunfähig.
                 sein Anteil am BIP auf etwa 70 Prozent.
                     Im Januar 2013 träte zudem ein Paket
                 ressortübergreifender Haushaltskürzungen          Mehr Ungleichheit sowie Reformbedarf
                 in Kraft. Diese Pauschalkürzungen (Seques-        bei Bildung und Gesundheit
                 ter) in Höhe von insgesamt 1,2 Billionen          Infolge der Krise hat die Ungleichheit in
                 Dollar würden gleichmäßig über zehn               der Gesellschaft weiter zugenommen. Die
                 Jahre verteilt.                                   Schere zwischen Reich und Arm klafft
                     Steuererhöhungen und staatlicher              immer weiter auseinander. 2011 entfielen
                 Sparimpuls zusammen würden dem                    auf das oberste Fünftel der Einkommens-
                 schwächelnden Wachstumsprozess in den             verteilung 51,1 Prozent, auf das unterste
                 USA einen erheblichen Dämpfer verpassen.          3,2 Prozent des Einkommens aller Haushal-

SWP-Aktuell 66
November 2012

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te. Zudem lebten 15 Prozent der Bevölke-       rung. Die Programme sind sehr kostspielig.
rung im Jahr 2011 unterhalb der Armuts-        Durch die Gesundheitsreform würden die
grenze. Besonders betroffen sind Kinder        Kosten zumindest langsamer steigen. Kür-
und ethnische Minderheiten sowie all-          zungen bei beiden Programmen werden
gemein Menschen im Süden der USA.              sich aber nicht verhindern lassen, wenn ein
Obama hofft, mit Maßnahmen im Bildungs-        Kompromiss um Haushalt und Schulden-
sektor diesem Trend entgegenzuwirken.          abbau zustande kommen soll.
   Die wachsenden Defizite in diesem
Sektor bereiten den Amerikanern schon seit
längerem Sorgen, wie auch Umfragen wäh-        Einwanderungspolitik
rend des Wahlkampfs zeigten. So scheitern      In den USA leben schätzungsweise elf bis
30 Prozent aller amerikanischen Schüler        zwölf Millionen irreguläre Einwanderer.
daran, in den vorgesehenen vier Jahren         Präsident Obama hatte bereits für seine
einen Highschool-Abschluss zu erwerben;        erste Amtszeit versprochen, ihnen einen
unter Afroamerikanern und Latinos liegt        Weg zur Einbürgerung zu eröffnen und die
die Schulabbrecherquote bei mehr als 50        weitere Einwanderung in die USA durch ein
Prozent. Ein wichtiges Anliegen Präsident      Gastarbeiterprogramm besser zu regulie-
Obamas ist es, Qualifikationen zu fördern,     ren.
die auf dem Arbeitsmarkt gefragt sind. So         Eine solche Reform wird schon länger
möchte er mit Hilfe von Partnerschaften        diskutiert und auch von Teilen der republi-
zwischen anwendungsorientierten Fach-          kanischen Partei immer wieder gefordert.
hochschulen (Community Colleges) und           Der damalige Präsident George W. Bush
Unternehmen zwei Millionen Menschen            setzte sich dafür ein und erhielt im Senat
ausbilden lassen.                              Schützenhilfe von Senator John McCain,
   Auch in der Gesundheitspolitik steht der    dem republikanischen Präsidentschafts-
Präsident vor großen Herausforderungen.        kandidaten des Jahres 2008.
Zwar droht dank seiner Wiederwahl nun             Angesichts des schwachen Abschneidens
nicht mehr die Rücknahme der Gesund-           der Partei unter den Latinos bei den dies-
heitsreform. Diese wurde 2010 vom Kon-         jährigen Wahlen könnte eine Reform der
gress verabschiedet und ist einer der größ-    Einwanderungspolitik daher durchaus
ten Erfolge seiner ersten Amtszeit, war sie    Unterstützung bei den Republikanern
doch ein zentrales Wahlkampfversprechen        erfahren. Denn die Wählergruppe der
gewesen. Etwa 15,7 Prozent der Bevölke-        Latinos legt viel Wert auf eine Reform.
rung sind bisher nicht krankenversichert.      Schafft es die Partei, ihr einwanderungs-
Wenn das Gesetz 2014 vollständig in Kraft      feindliches Image abzulegen, könnte sie
tritt, müssen alle US-Bürger eine Kranken-     bei den nächsten Wahlen unter Latinos
versicherung abschließen oder alternativ       deutlich zulegen.
ein Bußgeld zahlen. Noch aber hapert es bei
der Umsetzung. Viele Staaten haben immer
noch nicht mit der Planung der Gesund-         Außen- und Sicherheitspolitik
heitsbörsen (Plattformen, die ab 2014 die      Die größte außenpolitische Herausforde-
Policen verschiedener Krankenversicherer       rung für Präsident Obamas zweite Amtszeit
anbieten sollen) begonnen.                     wird der Iran mit seinen nuklearen Ambi-
   Überfällig ist zudem die Reform der         tionen sein. Sollten Sanktionen und Diplo-
Programme Medicare und Medicaid, mit           matie nicht greifen, wird Obama entschei-
denen der Staat einkommensschwachen            den müssen, ob die USA militärische Ge-
und älteren Menschen medizinische Ver-         walt einsetzen werden.
sorgung ermöglicht beziehungsweise                Nordafrika und der Nahe Osten werden
erleichtert. 38,5 Prozent der Rentner profi-   instabil bleiben und verstärkt die Aufmerk-
tieren von der staatlichen Krankenversiche-    samkeit des Präsidenten beanspruchen. Die

                                                                                             SWP-Aktuell 66
                                                                                             November 2012

                                                                                                         5
Transformation in den Ländern des Arabi-       Außenwirtschaft
                 schen Frühlings stellt die USA vor die Auf-    Das Wirtschaftsmodell der USA basiert auf
                 gabe, ihre politischen Beziehungen zu          dem Binnenkonsum. Zudem importiert das
                 Akteuren der Region anzupassen. Die            Land deutlich mehr Güter, als es exportiert.
                 jüngste Eskalation der Gewalt zwischen der     Um dieses Modell zu finanzieren, sind die
                 Hamas und Israel hat gezeigt, dass die         USA auf Kapitalimporte angewiesen. Diese
                 Situation sich jederzeit zuspitzen kann.       kommen vor allem aus China, das etwa
                    Die Chancen für eine erfolgreiche Ver-      21,5 Prozent der US-Staatsanleihen hält.
                 mittlung der USA im Nahostkonflikt stehen         Die jüngste Finanz- und Wirtschaftskrise
                 allerdings schlecht, sollte die Regierung      hat eindrucksvoll bewiesen, dass die hohe
                 Netanjahu auch nach den Wahlen im Janu-        Abhängigkeit vom Binnenkonsum und die
                 ar 2013 im Amt bleiben, was als wahr-          makroökonomischen Ungleichgewichte die
                 scheinlich gilt. Ohnehin wird Obama eine       USA verwundbar machen. Obama hatte
                 diplomatische Hauruck-Aktion tunlichst zu      sich daher 2009 zum Ziel gesetzt, die Aus-
                 vermeiden suchen, um nicht wie einst Bill      fuhren binnen fünf Jahren zu verdoppeln.
                 Clinton am Ende seiner zweiten Amtszeit        Seitdem sind die Exporte von Gütern und
                 mit einer solchen Initiative Schiffbruch zu    Dienstleistungen denn auch deutlich
                 erleiden. Ein hochriskantes Projekt eignet     gestiegen und liegen nun über dem Vor-
                 sich kaum dazu, ein außenpolitisches           krisenniveau von 2007. Eine Verdopplung
                 Vermächtnis zu hinterlassen.                   erscheint durchaus realistisch. Allerdings
                    In seiner ersten Amtszeit trieb Präsident   sind auch die Importe wieder gewachsen,
                 Obama konsequent die Beendigung der            so dass das Defizit in der Handelsbilanz
                 zwei großen Kriege der Bush-Ära voran.         (Güter und Dienstleistungen) sich zwischen
                 Aus dem Irak sind die US-Truppen bereits       2009 und 2011 erneut vergrößert hat.
                 zurückgekehrt, der Abzug der Kampftrup-           Das größte Defizit im bilateralen Handel
                 pen aus Afghanistan ist für 2014 geplant.      besteht nach wie vor mit China. Daher wird
                 Dessen genauer Verlauf und die künftige        es für Obama in den kommenden vier Jah-
                 Zusammenarbeit zwischen Washington             ren darauf ankommen, zum einen neue
                 und Kabul sind indes noch unklar. Im           Märkte für US-Exporteure zu erschließen,
                 November wurden bilaterale Verhandlun-         zum anderen weiter gegen Verletzungen
                 gen aufgenommen. Sie verlaufen jedoch          internationalen Handelsrechts durch China
                 unabhängig von den Planungen der NATO,         vorzugehen. Aufgrund der erheblichen
                 nach 2014 eine Trainings- und Beratungs-       gegenseitigen Abhängigkeit ist aber nicht
                 funktion in Afghanistan wahrzunehmen.          damit zu rechnen, dass Washington China
                    Während Obamas erster Amtszeit stand        offiziell zum Wechselkursmanipulator
                 Terrorismusbekämpfung im Zentrum ame-          erklären wird, um Ausgleichszölle auf
                 rikanischer Außen- und Sicherheitspolitik.     chinesische Waren erheben zu können. Das
                 Obama setzte dabei auf gezielte Tötungen,      Risiko kostspieliger Handelskonflikte vor
                 auch mit Hilfe von Drohnen, und schreckte      der Welthandelsorganisation mit ungewis-
                 nicht davor zurück, internationales Recht      sem Ausgang und politischen Verstimmun-
                 zu ignorieren. Dieser Trend dürfte sich        gen mit China ist zu groß.
                 fortsetzen.                                       Um neue Märkte zu öffnen, wird die
                    Die innenpolitische Diskussion um           Obama-Administration die Verhandlungen
                 Kürzungen im öffentlichen Haushalt der         über die Transpazifische Partnerschaft
                 USA wird auch weiterhin den Militärhaus-       (Trans-Pacific Partnership, TPP) vorantrei-
                 halt nicht aussparen. Präsident Obama          ben. Die USA verhandeln derzeit mit acht
                 unterstützt diese Maßnahmen. Die militä-       Ländern, und zwar Australien, Brunei,
                 rische Vormachtstellung der USA in der         Chile, Malaysia, Neuseeland, Peru, Singapur
                 Welt werden Ausgabenkürzungen aber             und Vietnam. Darüber hinaus sind Kanada
                 nicht gefährden.

SWP-Aktuell 66
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und Mexiko eingeladen, an den Unter-          Energiepolitik
redungen teilzunehmen.                        Versorgungssicherheit und Unabhängigkeit
                                              von Importen waren wichtige Themen im
                                              Präsidentschaftswahlkampf. Obama wird
Klimapolitik                                  diese Ziele mit verschiedenen Maßnahmen
Die USA erzeugen nach China den höchsten      verfolgen.
Ausstoß an Treibhausgasen weltweit.              Eine wichtige Säule seiner Energiepolitik
Obama hat zwar den Handlungsbedarf in         ist die Atomkraft. Erstmals seit 30 Jahren
der Klimapolitik erkannt, doch die Aus-       werden mit Unterstützung der Regierung
sichten für eine Klimaschutzgesetzgebung      zwei neue Atomkraftwerke in den USA
sind schlecht. Denn an der ablehnenden        gebaut. Auch erneuerbare Energien will
Haltung des Kongresses wird sich wenig        Obama weiter fördern, beispielsweise durch
ändern. Zudem hat der Klimaschutz             Steuererleichterungen für die Konstruktion
angesichts der dringenden wirtschaftlichen    von Windkraft- und Photovoltaik-Anlagen.
Probleme keine Priorität auf der Agenda          Mehr als zu Beginn seiner ersten Amts-
des Präsidenten.                              zeit setzt Obama heute auf fossile Energie-
   Daher sind von den USA international       träger. In den vergangenen Jahren hat die
weiterhin keine festen Zusagen zur Reduk-     Förderung von unkonventionellem Öl und
tion von Treibhausgasen zu erwarten.          Gas eine wahre Revolution in den USA
Graduellen klimapolitischen Fortschritt       erfahren. Durch das sogenannte Fracking,
kann es in Obamas zweiter Amtszeit aber       eine Fördermethode, mit der Gas und Öl
trotzdem geben.                               aus tiefen Gesteinsschichten gewonnen
   Wie schon in den vergangenen vier          werden, können die USA heute auf giganti-
Jahren kann der Präsident die Blockaden       sche Schiefergasvorkommen zugreifen.
im Kongress mit Hilfe seiner exekutiven       Der Preis für Erdgas ist dadurch enorm
Befugnisse umgehen. So könnte er die US-      gesunken, der Anteil von Gas mit verhält-
Umweltbehörde (Environmental Protection       nismäßig geringen CO2-Emissionen an der
Agency, EPA) anweisen, durch Regulierun-      Stromversorgung rasant angestiegen. Hinzu
gen den Ausstoß von Treibhausgasen zu         kommt die Steigerung der Schieferölpro-
drosseln. Schon im Frühjahr 2012 kündigte     duktion: Die USA sind zum zweitgrößten
die EPA strengere Regeln für Kohlekraft-      Ölproduzenten außerhalb der OPEC auf-
werke an. Diese müssten dann in neue          gestiegen. Nach Schätzungen der amerika-
Technologie investieren. Die Preise für       nischen Energiebehörde (Energy Informati-
Kohlestrom würden steigen und die Wett-       on Administration, EIA) werden die USA bis
bewerbsfähigkeit dieses CO2-intensiven        zum Jahr 2020 rund die Hälfte ihres
Energieträgers würde abnehmen.                Ölbedarfs selbst decken können.
   Auch die Energiepolitik bietet Präsident      Um die Versorgungssicherheit des Lan-
Obama die Möglichkeit, seine Klimaschutz-     des zu verbessern, dürfte Obama auch dem
agenda voranzutreiben. Denn in diesem         von Umweltschützern heftig kritisierten
Politikfeld hat Obama angekündigt, sich       Ausbau der Keystone-Pipeline zustimmen.
auch weiter auf »saubere«, CO2-arme Ener-     Über diese importieren die USA Öl aus den
gie wie Erneuerbare, Atomkraft und Erdgas     Ölsanden Kanadas.
zu konzentrieren. Im Kongress stößt die
Förderung dieser Energieträger auf weit
weniger Widerstand als die Klimaschutz-       Ausblick: Handlungsspielraum
gesetzgebung, dient sie doch auch dem         des Präsidenten
Ziel, die USA unabhängiger von Energie-       Präsident Obama muss weiterhin mit
importen zu machen.                           einem sogenannten divided government
                                              arbeiten, denn im Repräsentantenhaus
                                              verfügt die Partei des Präsidenten auch im

                                                                                             SWP-Aktuell 66
                                                                                             November 2012

                                                                                                         7
neuen Kongress nicht über eine Mehrheit.       außenpolitischen Themen zuwenden. Die
                                      Im Senat fehlt den Demokraten die Mehr-        EU und Deutschland sind immer noch
                                      heit von 60 Stimmen, um Blockaden der          wichtige Partner für die USA, doch die
                                      Opposition (Filibuster) zu durchbrechen.       Europäer müssen ihre Relevanz unter
                                         Die starke Polarisierung zwischen den       Beweis stellen. Daher sollte die EU eine
                                      politischen Lagern dürfte bestehen bleiben.    klare Agenda für den nächsten EU-US-Gipfel
                                      Dafür spricht, dass sich unter den Demo-       formulieren und sich mit den USA rasch
                                      kraten eine Bewegung nach links abzeich-       auf einen Termin einigen. Die Agenda sollte
                                      net. So ist die Gruppe der fiskalkonservati-   Konfliktthemen und Kooperationsmöglich-
                                      ven Blue Dog Democrats deutlich zusam-         keiten enthalten. Mit Blick auf die wirt-
                                      mengeschrumpft. Von bisher 24 Mitglie-         schaftliche Integration heißt dies, dass die
                                      dern werden im neuen Repräsentantenhaus        EU deutlich ihre Bereitschaft signalisieren
                                      maximal 16 Abgeordnete übrig bleiben. Die      müsste, auch solche Themen aufs Tapet zu
                                      Wahl von Elizabeth Warren, einer scharfen      bringen, die für sie schwierig sind, zum
© Stiftung Wissenschaft und           Kritikerin der Finanzindustrie, in den Senat   Beispiel den Agrarhandel. Klimaschutz und
Politik, 2012                         rückt zudem die Demokraten dort nach           Energiesicherheit sollten auf dem Gipfel
Alle Rechte vorbehalten
                                      links.                                         ebenfalls zur Sprache kommen. Hier könn-
Das Aktuell gibt ausschließ-             Allerdings scheint sich der Rechtsruck      te die EU die Aufmerksamkeit des amerika-
lich die persönliche Auf-             der republikanischen Partei nicht fort-        nischen Partners von der Energiepolitik
fassung der Autorinnen
wieder                                zusetzen. Die Partei begreift langsam, dass    wieder stärker zur Klimapolitik lenken.
                                      die radikalkonservative Bewegung ihr           Gerade bei erneuerbaren Energien und
SWP
Stiftung Wissenschaft und             schadet. Darum könnte die Parteiführung        Energieeffizienz sind verstärkter Austausch
Politik                               der Republikaner im Kongress mehr Druck        und Kooperation sinnvoll. In der Sicher-
Deutsches Institut für
Internationale Politik und            auf die Abgeordneten ausüben, zurück zur       heitspolitik könnte der Einsatz von Droh-
Sicherheit                            politischen Mitte zu finden. Darüber hinaus    nen zum Konfliktthema im transatlanti-
Ludwigkirchplatz 3­4
                                      dürfte der Parteiführung daran gelegen         schen Verhältnis werden und sollte früh-
10719 Berlin                          sein, ihre Attraktivität beim wachsenden       zeitig diskutiert werden. Auch über neue
Telefon +49 30 880 07-0
                                      Wählerblock der ethnischen Minderheiten        Wege in der Iran-Diplomatie sollten sich EU
Fax +49 30 880 07-100
www.swp-berlin.org                    zu verbessern. Dies könnte ihre Kompro-        und USA verständigen. Schließlich sollten
swp@swp-berlin.org                    missbereitschaft beispielsweise beim           die EU-US-Gipfel wieder zu einem Forum
ISSN 1611-6364                        Thema Einwanderungspolitik erhöhen.            für einen ehrlichen Interessenausgleich
                                         Mit anhaltendem Reformstau wird auch        werden, denn aufgrund von Ritualisierung
                                      der öffentliche Druck auf den Kongress         und fehlenden politischen Inhalten droh-
                                      steigen, die Blockaden zu überwinden. Die      ten sie in der Vergangenheit in die Bedeu-
Zum Thema USA siehe auch:
                                      Zustimmungsrate bei der Bevölkerung für        tungslosigkeit abzurutschen.
Stormy-Annika Mildner                 den aktuellen Kongress kam 2012 nie über
Henriette Rytz                        20 Prozent hinaus und lag damit so niedrig
Johannes Thimm                        wie nie zuvor. Zudem hat kein Kongress seit
State of the Union. Innenpolitische
und binnenwirtschaftliche Heraus-     1947 so wenige Gesetze verabschiedet wie
forderungen für die Führungsrolle     der aktuelle. In der Folge wurden dieses
der USA in der Welt                   Jahr zahlreiche Amtsinhaber abgewählt.
SWP-Studie 16/2012

Thomas Henneberg
Stormy-Annika Mildner                 Transatlantische
Washingtons Gratwanderung
am finanziellen Abgrund
                                      Kooperationsmöglichkeiten
SWP-Aktuell 56/2012                   In den nächsten Monaten werden die USA
                                      in erster Linie mit sich selbst beschäftigt
Henriette Rytz                        sein. Sollte der Kongress aber die innen-
USA: Konservative unter
Anpassungsdruck                       politische Agenda des Präsidenten weiter
SWP-Aktuell 32/2012                   blockieren, dürfte dieser sich schnell

   SWP-Aktuell 66
   November 2012

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