Ein neues Mandat für Präsident Obama
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
SWP-Aktuell Problemstellung Stiftung Wissenschaft und Politik Deutsches Institut für Internationale Politik und Sicherheit 50 SWP 1962–2012 Ein neues Mandat für Präsident Obama Herausforderungen für die zweite Amtszeit Stormy-Annika Mildner, Henriette Rytz, Sonja Thielges Der Wahlsieg von US-Präsident Barack Obama über seinen republikanischen Heraus- forderer Mitt Romney war eine (wenn auch knappe) Bestätigung seiner Agenda. Die Mehrheit der amerikanischen Wähler war der Meinung, Obama habe die besseren Rezepte für die enormen Herausforderungen, vor denen das Land steht. So erhielt er das Mandat, den in seiner ersten Amtszeit eingeleiteten politischen Wandel fort- zusetzen. Erfolgreich kann der Präsident aber nur dann sein, wenn die politischen Blockaden im Kongress durchbrochen werden. Dort haben sich die Mehrheitsverhält- nisse kaum geändert, die Polarisierung ist nach wie vor stark. Doch die USA können sich keinen weiteren Stillstand leisten – und die republikanische Partei keine weitere Wahlniederlage. Dies könnte die Kompromissbereitschaft im Kongress fördern. Die Präsidentschafts- und Kongresswahlen Netzes der Wahlkreise fielen bei den 2012 haben verdeutlicht, dass die USA Wahlen für das Repräsentantenhaus demo- einen rapiden demographischen und gesell- graphische und gesellschaftliche Verände- schaftlichen Wandel durchlaufen, den zu rungen weniger ins Gewicht. Hier stellt die ignorieren empfindliche Stimmenverluste republikanische Partei nach wie vor die verursachen kann. Durch die Zuwanderung Mehrheit. insbesondere aus Lateinamerika und Asien verändert sich die Zusammensetzung der US-amerikanischen Gesellschaft. Gleich- Der Weg zur Wiederwahl zeitig wandelt sich das Wertegerüst vieler US-Amerikaner. Davon profitierte die demo- Der demographische Wandel kratische Partei besonders bei den Präsi- Mit rund 28 Prozent erreichte der Anteil dentschafts- und Senatswahlen. Präsident ethnischer Minderheiten an der Wähler- Obama bleibt für eine zweite Amtszeit im schaft bei der Präsidentenwahl dieses Jahr Weißen Haus, im Senat konnte seine Partei ein neues Hoch. Sie bilden mittlerweile den ihre Mehrheit verteidigen. Sie wird mit 53 geschlossensten Wählerblock der demokra- Senatoren vertreten sein und kann auf die tischen Partei. Über 70 Prozent der Latinos Unterstützung der beiden parteilosen und Asian Americans wählten Obama. Senatoren zählen. Wegen des kleinteiligen Damit konnte er seine Stimmenanteile in Dr. Stormy-Annika Mildner ist Mitglied der Institutsleitung, Henriette Rytz ist wissenschaftliche Mitarbeiterin, SWP-Aktuell 66 Sonja Thielges Forschungsassistentin der Forschungsgruppe Amerika November 2012 1
dieser Gruppe deutlich verbessern. Die nierte Parteiaktivisten mit einem Hang zu Zustimmung unter den afroamerikani- extremen Positionen den Vorwahlprozess. schen Wählern ging etwas zurück, lag aber Für eine breite Wählerschaft sind diese trotzdem bei über 90 Prozent. Ohne signi- Kandidaten allerdings nicht attraktiv. fikante Stimmenanteile aus diesen Grup- Am meisten schadete dies den Republi- pen sind landesweite Wahlen nicht mehr kanern im Rennen um die Senatsposten. zu gewinnen. Drei Viertel der Tea-Party-gestützten repu- Die weißen Amerikaner entschieden sich blikanischen Kandidaten scheiterten bei hingegen noch geschlossener als vor vier den Senatswahlen. Unter anderem deshalb Jahren, nämlich mit knapp 60 Prozent, für konnten die Demokraten ihre Mehrheit im den republikanischen Präsidentschafts- Senat halten. kandidaten. Für einen Wahlsieg reichte dies Auch Mitt Romney wandelte sich im dennoch nicht. Vorwahlkampf von einem moderaten Nicht nur weil ihr Anteil an der Wähler- Republikaner, der als Gouverneur von schaft gewachsen ist, sind Latinos zu einem Massachusetts (2003–2007) eine Kranken- wichtigen Wählerblock geworden. Sie versicherungspflicht in seinem Bundesstaat sind auch überdurchschnittlich stark in eingeführt hatte, zu einem Politiker, der sogenannten Swing States präsent, in das rechte Spektrum seiner Partei umgarn- denen keine Partei eine sichere Mehrheit te. Er forderte, die Lebensbedingungen für hat. Auf diese Staaten konzentrierte sich irreguläre Einwanderer so unfreundlich zu der Präsidentschaftswahlkampf. Der Bun- gestalten, dass diese von alleine das Land desstaat Colorado in den Rocky Mountains verlassen würden, und mutierte vom etwa, einst eine Bastion der Republikaner, Befürworter zum Gegner des Rechts auf fiel aufgrund seiner rasch anwachsenden Abtreibung. Auf der Zielgeraden des Wahl- Latino-Bevölkerung bereits 2008 an die kampfs vollführte er zwar einen Schwenk Demokraten. 2012 entschied sich Colorado zurück zur politischen Mitte, aber das erneut für Obama. reichte nicht aus, um die Wahlen zu gewinnen. Die Gesellschaft der USA rückt in die Mitte Auch bei weiblichen und jungen Wählern Die Themen im Wahlkampf (unter 45 Jahren) errang Obama eine klare Die wirtschaftliche Lage der USA, insbeson- Mehrheit. In einer Gesellschaft, die weniger dere die Arbeitslosigkeit, war laut Umfra- wertkonservativ geworden ist, kommt die gen das wichtigste Thema im Wahlkampf. progressive Agenda der Demokraten deut- Seit Franklin D. Roosevelt, der während der lich besser an als die der Republikaner. Weltwirtschaftskrise in den 1930er Jahren Mehr als die Hälfte der US-Bevölkerung amtierte, wurde kein Präsident bei so hoher billigt mittlerweile gleichgeschlechtliche Arbeitslosigkeit wiedergewählt. Obama Ehen, die Häufigkeit der Kirchenbesuche jedoch half der positive Trend am Arbeits- nimmt ab, und vor allem Frauen befürwor- markt. Kurz vor den Wahlen lag die ten zunehmend das Recht auf Abtreibung. Arbeitslosenrate mit knapp unter acht Während die US-amerikanische Gesell- Prozent auf dem niedrigsten Wert seiner schaft in die politische Mitte rückt, hat sich Amtszeit. die republikanische Partei immer mehr von Die Außenpolitik hingegen hat bei den ihr entfernt, zuletzt hauptsächlich voran- Wählern in den letzten vier Jahren an getrieben von der Tea Party. Bei Wahlen Bedeutung verloren. Die laufenden Kriege kann dies Probleme schaffen. Um sich im werden zurzeit kaum kontrovers diskutiert. Vorwahlkampf durchzusetzen, müssen Zudem erregte Präsident Obama mit seiner Kandidaten den rechten Rand der Partei Außenpolitik, zu der die kurzzeitige Auf- bedienen. In der Folge dominieren passio- stockung der Truppen in Afghanistan und SWP-Aktuell 66 November 2012 2
der Drohneneinsatz in der Terrorismus- Die neuen Komitees brachten Romney bekämpfung gehörten, nur wenig Wider- zwar deutlich mehr Spenden als Obama. spruch bei den Republikanern. In diesem Doch der Herausforderer konnte diesen Politikfeld zeigten beide Präsidentschafts- Vorsprung nicht in einen Stimmenvorteil kandidaten erstaunlich große Schnitt- ummünzen, denn die Super PACs haben mengen. Traditionell wird der republika- einige Nachteile. Laut Gesetz dürfen sie mit nischen Partei größere Kompetenz in den Spenden nicht explizit die Kampagne auswärtigen Angelegenheiten zugeschrie- eines Kandidaten unterstützen. Auch ben, doch diesmal führte Präsident Obama strategische Absprachen mit den Kampag- hier in den Umfragen. nen können sie nicht treffen. Zudem müssen sie höhere Gebühren für die Aus- strahlung von Wahlwerbespots zahlen. Obamas überlegene Der Präsident hingegen profitierte von Wahlkampfmaschinerie seinem Vorsprung beim traditionellen Obamas Wahlkampfstrategie war der seines Fundraising durch die eigene Wahlkam- Kontrahenten Romney deutlich überlegen. pagne. Dieses Geld konnte flexibler und Das Team des Präsidenten konnte auf die effektiver genutzt werden als das der Super noch vorhandene Infrastruktur des erfolg- PACs. reichen Wahlkampfs 2008 zurückgreifen. Diesen Vorteil des Präsidenten konnte Dazu gehörte ein besonders dichtes Netz an Romney auch nicht dadurch wettmachen, Außenbüros (field offices), hohe Präsenz in dass er bei den Wahlkampfspenden an die sozialen Medien wie Twitter und Facebook Partei (statt direkt an seine Wahlkampagne) sowie eine Vielzahl freiwilliger Helfer in vorne lag. Denn diese Mittel durften erst den Swing States. Hinzu kam 2011/12 der nach Romneys offizieller Nominierung als Einsatz hochgradig individualisierter und Kandidat Ende August eingesetzt werden. gezielter Wahlwerbung (targeted campaign- Zu diesem Zeitpunkt hatte die Obama- ing). Außerdem konnte Obamas Team Kampagne bereits erfolgreich in Fernseh- schon 2011 seine Arbeit aufnehmen, als der spots investiert, in denen der Republikaner republikanische Gegenkandidat noch gar als abgehobener Multimillionär diskredi- nicht feststand. Aus diesen Gründen gelang tiert wurde. es der demokratischen Partei, deutlich mehr Wähler zu mobilisieren, als Romney und sein Team erwartet hatten. Politische Herausforderungen Der Präsidentschaftswahlkampf 2012 Präsident Obama stehen in seiner zweiten war der teuerste der US-Geschichte. Ins- Amtszeit große Herausforderungen bevor. gesamt wurden dafür knapp zwei Milliar- »Unser Defizit reduzieren, unser Steuersys- den Dollar gespendet. Doch kam es nicht tem erneuern, unser Einwanderungssystem allein auf die Summe an, sondern auch verbessern, uns (von der Abhängigkeit) von darauf, ob das Geld direkt an die Wahl- ausländischem Öl befreien. Wir haben noch kampagne, die Partei oder ein Super PAC viel zu tun«, schrieb sich der Präsident in (Political Action Committee) floss. seiner Siegesrede selbst ins Lastenheft. Super PACs sind eine neue Form von Wahlspendenkomitees, die infolge einer umstrittenen Entscheidung des Obersten Wirtschaftswachstum und Beschäftigung Gerichtshofs vom Januar 2010 entstanden Präsident Obama steht vor einer schier sind und Spenden in unbegrenzter Höhe unlösbaren Aufgabe: Der Staat muss sparen, sammeln dürfen. Sie erwiesen sich aber als um künftige Generationen nicht über nicht so einflussreich, wie Kritiker be- Gebühr zu belasten. Gleichzeitig muss fürchtet hatten. Washington jedoch die fragile Wirtschaft stützen und in die defizitäre Infrastruktur SWP-Aktuell 66 November 2012 3
sowie das Bildungssystem des Landes Für diesen Fall prognostiziert das Haus- investieren. haltsbüro des Kongresses (Congressional Die US-Wirtschaft erholt sich nur lang- Budget Office), dass das BIP in der ersten sam von der schwersten Wirtschaftskrise Jahreshälfte 2013 um 1,3 Prozent schrump- seit der Großen Depression der 1930er fen würde; insgesamt würde die Wirtschaft Jahre. Im zweiten Quartal 2012 wuchs das im Jahr 2013 um höchstens 0,5 Prozent Bruttoinlandsprodukt (BIP) um nur 1,3 Pro- wachsen. Die Arbeitslosigkeit dürfte dann zent, im dritten Quartal immerhin um wieder deutlich ansteigen. 2 Prozent im Vergleich zum vorangegange- Deshalb muss sich der Kongress so nen Quartal. Für 2012 rechnet der Inter- schnell wie möglich auf ein ausgewogene- nationale Währungsfonds (IWF) mit einer res Sparpaket und einen Steuerkompromiss Wachstumsrate von etwa 2,2 Prozent. einigen, die eine harte Landung der US- Dies reicht jedoch nicht, um die hohe Wirtschaft verhindern, aber auch den Weg Arbeitslosigkeit spürbar zu reduzieren. ebnen, die Staatsschulden der USA abzu- Rechnet man die Zahl der Unterbeschäftig- bauen. Seit der Jahrtausendwende ist der ten hinzu, lag sie im Oktober bei knapp 15 Schuldenberg massiv gewachsen; das Haus- Prozent. Setzt sich das Tempo fort, in dem haltsjahr 2012 schloss laut Schätzung der Arbeitsplätze gegenwärtig geschaffen wer- Haushaltsbehörde des Präsidenten (Office of den, dürfte es noch Jahre dauern, bis das Management and Budget) im September Beschäftigungsniveau vor der Krise erreicht mit einem Defizit von 8,5 Prozent, die Ver- wird. Auch der Anteil der Langzeitarbeits- schuldung lag bei schätzungsweise knapp losen, die mehr als sechs Monate vergeblich 105 Prozent des BIP. nach Arbeit suchen, liegt nach wie vor bei Obama will Ausgabenkürzungen mit etwa 40 Prozent der Erwerbslosen. höheren Einnahmen kombinieren – ein Ziel, mit dem er bislang bei den Republi- kanern auf Granit beißt. Um die Steuer- Die fiskalpolitische Klippe senkungen für die mittleren und unteren Die dringlichste Aufgabe für den Präsiden- Einkommensschichten sowie kleine und ten besteht darin, die sogenannte fiskal- mittlere Unternehmen zu finanzieren, will politische Klippe (fiscal cliff) zu umschiffen. Obama die Höchsteinkommen stärker Ende 2012 laufen zahlreiche Steuervergüns- besteuern, Subventionen streichen, Steuer- tigungen aus, die noch unter George W. schlupflöcher schließen und die Steuer- Bush beschlossen wurden. Nach Berechnun- gesetzgebung vereinfachen. Gleichzeitig gen des amerikanischen Tax Policy Center muss im Kongress ein Kompromiss gefun- ergäbe sich für 90 Prozent aller Amerikaner den werden, der es gestattet, die gesetzlich eine höhere Steuerbelastung – und damit festgeschriebene Schuldenobergrenze, die weniger verfügbares Einkommen. Der derzeit bei 16,4 Billionen US-Dollar liegt, Konsum aber ist eine wichtige Säule der US- abermals anzuheben. Misslingt dies, wären Wirtschaft. Auch nach der Krise beläuft sich die USA Anfang 2013 zahlungsunfähig. sein Anteil am BIP auf etwa 70 Prozent. Im Januar 2013 träte zudem ein Paket ressortübergreifender Haushaltskürzungen Mehr Ungleichheit sowie Reformbedarf in Kraft. Diese Pauschalkürzungen (Seques- bei Bildung und Gesundheit ter) in Höhe von insgesamt 1,2 Billionen Infolge der Krise hat die Ungleichheit in Dollar würden gleichmäßig über zehn der Gesellschaft weiter zugenommen. Die Jahre verteilt. Schere zwischen Reich und Arm klafft Steuererhöhungen und staatlicher immer weiter auseinander. 2011 entfielen Sparimpuls zusammen würden dem auf das oberste Fünftel der Einkommens- schwächelnden Wachstumsprozess in den verteilung 51,1 Prozent, auf das unterste USA einen erheblichen Dämpfer verpassen. 3,2 Prozent des Einkommens aller Haushal- SWP-Aktuell 66 November 2012 4
te. Zudem lebten 15 Prozent der Bevölke- rung. Die Programme sind sehr kostspielig. rung im Jahr 2011 unterhalb der Armuts- Durch die Gesundheitsreform würden die grenze. Besonders betroffen sind Kinder Kosten zumindest langsamer steigen. Kür- und ethnische Minderheiten sowie all- zungen bei beiden Programmen werden gemein Menschen im Süden der USA. sich aber nicht verhindern lassen, wenn ein Obama hofft, mit Maßnahmen im Bildungs- Kompromiss um Haushalt und Schulden- sektor diesem Trend entgegenzuwirken. abbau zustande kommen soll. Die wachsenden Defizite in diesem Sektor bereiten den Amerikanern schon seit längerem Sorgen, wie auch Umfragen wäh- Einwanderungspolitik rend des Wahlkampfs zeigten. So scheitern In den USA leben schätzungsweise elf bis 30 Prozent aller amerikanischen Schüler zwölf Millionen irreguläre Einwanderer. daran, in den vorgesehenen vier Jahren Präsident Obama hatte bereits für seine einen Highschool-Abschluss zu erwerben; erste Amtszeit versprochen, ihnen einen unter Afroamerikanern und Latinos liegt Weg zur Einbürgerung zu eröffnen und die die Schulabbrecherquote bei mehr als 50 weitere Einwanderung in die USA durch ein Prozent. Ein wichtiges Anliegen Präsident Gastarbeiterprogramm besser zu regulie- Obamas ist es, Qualifikationen zu fördern, ren. die auf dem Arbeitsmarkt gefragt sind. So Eine solche Reform wird schon länger möchte er mit Hilfe von Partnerschaften diskutiert und auch von Teilen der republi- zwischen anwendungsorientierten Fach- kanischen Partei immer wieder gefordert. hochschulen (Community Colleges) und Der damalige Präsident George W. Bush Unternehmen zwei Millionen Menschen setzte sich dafür ein und erhielt im Senat ausbilden lassen. Schützenhilfe von Senator John McCain, Auch in der Gesundheitspolitik steht der dem republikanischen Präsidentschafts- Präsident vor großen Herausforderungen. kandidaten des Jahres 2008. Zwar droht dank seiner Wiederwahl nun Angesichts des schwachen Abschneidens nicht mehr die Rücknahme der Gesund- der Partei unter den Latinos bei den dies- heitsreform. Diese wurde 2010 vom Kon- jährigen Wahlen könnte eine Reform der gress verabschiedet und ist einer der größ- Einwanderungspolitik daher durchaus ten Erfolge seiner ersten Amtszeit, war sie Unterstützung bei den Republikanern doch ein zentrales Wahlkampfversprechen erfahren. Denn die Wählergruppe der gewesen. Etwa 15,7 Prozent der Bevölke- Latinos legt viel Wert auf eine Reform. rung sind bisher nicht krankenversichert. Schafft es die Partei, ihr einwanderungs- Wenn das Gesetz 2014 vollständig in Kraft feindliches Image abzulegen, könnte sie tritt, müssen alle US-Bürger eine Kranken- bei den nächsten Wahlen unter Latinos versicherung abschließen oder alternativ deutlich zulegen. ein Bußgeld zahlen. Noch aber hapert es bei der Umsetzung. Viele Staaten haben immer noch nicht mit der Planung der Gesund- Außen- und Sicherheitspolitik heitsbörsen (Plattformen, die ab 2014 die Die größte außenpolitische Herausforde- Policen verschiedener Krankenversicherer rung für Präsident Obamas zweite Amtszeit anbieten sollen) begonnen. wird der Iran mit seinen nuklearen Ambi- Überfällig ist zudem die Reform der tionen sein. Sollten Sanktionen und Diplo- Programme Medicare und Medicaid, mit matie nicht greifen, wird Obama entschei- denen der Staat einkommensschwachen den müssen, ob die USA militärische Ge- und älteren Menschen medizinische Ver- walt einsetzen werden. sorgung ermöglicht beziehungsweise Nordafrika und der Nahe Osten werden erleichtert. 38,5 Prozent der Rentner profi- instabil bleiben und verstärkt die Aufmerk- tieren von der staatlichen Krankenversiche- samkeit des Präsidenten beanspruchen. Die SWP-Aktuell 66 November 2012 5
Transformation in den Ländern des Arabi- Außenwirtschaft schen Frühlings stellt die USA vor die Auf- Das Wirtschaftsmodell der USA basiert auf gabe, ihre politischen Beziehungen zu dem Binnenkonsum. Zudem importiert das Akteuren der Region anzupassen. Die Land deutlich mehr Güter, als es exportiert. jüngste Eskalation der Gewalt zwischen der Um dieses Modell zu finanzieren, sind die Hamas und Israel hat gezeigt, dass die USA auf Kapitalimporte angewiesen. Diese Situation sich jederzeit zuspitzen kann. kommen vor allem aus China, das etwa Die Chancen für eine erfolgreiche Ver- 21,5 Prozent der US-Staatsanleihen hält. mittlung der USA im Nahostkonflikt stehen Die jüngste Finanz- und Wirtschaftskrise allerdings schlecht, sollte die Regierung hat eindrucksvoll bewiesen, dass die hohe Netanjahu auch nach den Wahlen im Janu- Abhängigkeit vom Binnenkonsum und die ar 2013 im Amt bleiben, was als wahr- makroökonomischen Ungleichgewichte die scheinlich gilt. Ohnehin wird Obama eine USA verwundbar machen. Obama hatte diplomatische Hauruck-Aktion tunlichst zu sich daher 2009 zum Ziel gesetzt, die Aus- vermeiden suchen, um nicht wie einst Bill fuhren binnen fünf Jahren zu verdoppeln. Clinton am Ende seiner zweiten Amtszeit Seitdem sind die Exporte von Gütern und mit einer solchen Initiative Schiffbruch zu Dienstleistungen denn auch deutlich erleiden. Ein hochriskantes Projekt eignet gestiegen und liegen nun über dem Vor- sich kaum dazu, ein außenpolitisches krisenniveau von 2007. Eine Verdopplung Vermächtnis zu hinterlassen. erscheint durchaus realistisch. Allerdings In seiner ersten Amtszeit trieb Präsident sind auch die Importe wieder gewachsen, Obama konsequent die Beendigung der so dass das Defizit in der Handelsbilanz zwei großen Kriege der Bush-Ära voran. (Güter und Dienstleistungen) sich zwischen Aus dem Irak sind die US-Truppen bereits 2009 und 2011 erneut vergrößert hat. zurückgekehrt, der Abzug der Kampftrup- Das größte Defizit im bilateralen Handel pen aus Afghanistan ist für 2014 geplant. besteht nach wie vor mit China. Daher wird Dessen genauer Verlauf und die künftige es für Obama in den kommenden vier Jah- Zusammenarbeit zwischen Washington ren darauf ankommen, zum einen neue und Kabul sind indes noch unklar. Im Märkte für US-Exporteure zu erschließen, November wurden bilaterale Verhandlun- zum anderen weiter gegen Verletzungen gen aufgenommen. Sie verlaufen jedoch internationalen Handelsrechts durch China unabhängig von den Planungen der NATO, vorzugehen. Aufgrund der erheblichen nach 2014 eine Trainings- und Beratungs- gegenseitigen Abhängigkeit ist aber nicht funktion in Afghanistan wahrzunehmen. damit zu rechnen, dass Washington China Während Obamas erster Amtszeit stand offiziell zum Wechselkursmanipulator Terrorismusbekämpfung im Zentrum ame- erklären wird, um Ausgleichszölle auf rikanischer Außen- und Sicherheitspolitik. chinesische Waren erheben zu können. Das Obama setzte dabei auf gezielte Tötungen, Risiko kostspieliger Handelskonflikte vor auch mit Hilfe von Drohnen, und schreckte der Welthandelsorganisation mit ungewis- nicht davor zurück, internationales Recht sem Ausgang und politischen Verstimmun- zu ignorieren. Dieser Trend dürfte sich gen mit China ist zu groß. fortsetzen. Um neue Märkte zu öffnen, wird die Die innenpolitische Diskussion um Obama-Administration die Verhandlungen Kürzungen im öffentlichen Haushalt der über die Transpazifische Partnerschaft USA wird auch weiterhin den Militärhaus- (Trans-Pacific Partnership, TPP) vorantrei- halt nicht aussparen. Präsident Obama ben. Die USA verhandeln derzeit mit acht unterstützt diese Maßnahmen. Die militä- Ländern, und zwar Australien, Brunei, rische Vormachtstellung der USA in der Chile, Malaysia, Neuseeland, Peru, Singapur Welt werden Ausgabenkürzungen aber und Vietnam. Darüber hinaus sind Kanada nicht gefährden. SWP-Aktuell 66 November 2012 6
und Mexiko eingeladen, an den Unter- Energiepolitik redungen teilzunehmen. Versorgungssicherheit und Unabhängigkeit von Importen waren wichtige Themen im Präsidentschaftswahlkampf. Obama wird Klimapolitik diese Ziele mit verschiedenen Maßnahmen Die USA erzeugen nach China den höchsten verfolgen. Ausstoß an Treibhausgasen weltweit. Eine wichtige Säule seiner Energiepolitik Obama hat zwar den Handlungsbedarf in ist die Atomkraft. Erstmals seit 30 Jahren der Klimapolitik erkannt, doch die Aus- werden mit Unterstützung der Regierung sichten für eine Klimaschutzgesetzgebung zwei neue Atomkraftwerke in den USA sind schlecht. Denn an der ablehnenden gebaut. Auch erneuerbare Energien will Haltung des Kongresses wird sich wenig Obama weiter fördern, beispielsweise durch ändern. Zudem hat der Klimaschutz Steuererleichterungen für die Konstruktion angesichts der dringenden wirtschaftlichen von Windkraft- und Photovoltaik-Anlagen. Probleme keine Priorität auf der Agenda Mehr als zu Beginn seiner ersten Amts- des Präsidenten. zeit setzt Obama heute auf fossile Energie- Daher sind von den USA international träger. In den vergangenen Jahren hat die weiterhin keine festen Zusagen zur Reduk- Förderung von unkonventionellem Öl und tion von Treibhausgasen zu erwarten. Gas eine wahre Revolution in den USA Graduellen klimapolitischen Fortschritt erfahren. Durch das sogenannte Fracking, kann es in Obamas zweiter Amtszeit aber eine Fördermethode, mit der Gas und Öl trotzdem geben. aus tiefen Gesteinsschichten gewonnen Wie schon in den vergangenen vier werden, können die USA heute auf giganti- Jahren kann der Präsident die Blockaden sche Schiefergasvorkommen zugreifen. im Kongress mit Hilfe seiner exekutiven Der Preis für Erdgas ist dadurch enorm Befugnisse umgehen. So könnte er die US- gesunken, der Anteil von Gas mit verhält- Umweltbehörde (Environmental Protection nismäßig geringen CO2-Emissionen an der Agency, EPA) anweisen, durch Regulierun- Stromversorgung rasant angestiegen. Hinzu gen den Ausstoß von Treibhausgasen zu kommt die Steigerung der Schieferölpro- drosseln. Schon im Frühjahr 2012 kündigte duktion: Die USA sind zum zweitgrößten die EPA strengere Regeln für Kohlekraft- Ölproduzenten außerhalb der OPEC auf- werke an. Diese müssten dann in neue gestiegen. Nach Schätzungen der amerika- Technologie investieren. Die Preise für nischen Energiebehörde (Energy Informati- Kohlestrom würden steigen und die Wett- on Administration, EIA) werden die USA bis bewerbsfähigkeit dieses CO2-intensiven zum Jahr 2020 rund die Hälfte ihres Energieträgers würde abnehmen. Ölbedarfs selbst decken können. Auch die Energiepolitik bietet Präsident Um die Versorgungssicherheit des Lan- Obama die Möglichkeit, seine Klimaschutz- des zu verbessern, dürfte Obama auch dem agenda voranzutreiben. Denn in diesem von Umweltschützern heftig kritisierten Politikfeld hat Obama angekündigt, sich Ausbau der Keystone-Pipeline zustimmen. auch weiter auf »saubere«, CO2-arme Ener- Über diese importieren die USA Öl aus den gie wie Erneuerbare, Atomkraft und Erdgas Ölsanden Kanadas. zu konzentrieren. Im Kongress stößt die Förderung dieser Energieträger auf weit weniger Widerstand als die Klimaschutz- Ausblick: Handlungsspielraum gesetzgebung, dient sie doch auch dem des Präsidenten Ziel, die USA unabhängiger von Energie- Präsident Obama muss weiterhin mit importen zu machen. einem sogenannten divided government arbeiten, denn im Repräsentantenhaus verfügt die Partei des Präsidenten auch im SWP-Aktuell 66 November 2012 7
neuen Kongress nicht über eine Mehrheit. außenpolitischen Themen zuwenden. Die Im Senat fehlt den Demokraten die Mehr- EU und Deutschland sind immer noch heit von 60 Stimmen, um Blockaden der wichtige Partner für die USA, doch die Opposition (Filibuster) zu durchbrechen. Europäer müssen ihre Relevanz unter Die starke Polarisierung zwischen den Beweis stellen. Daher sollte die EU eine politischen Lagern dürfte bestehen bleiben. klare Agenda für den nächsten EU-US-Gipfel Dafür spricht, dass sich unter den Demo- formulieren und sich mit den USA rasch kraten eine Bewegung nach links abzeich- auf einen Termin einigen. Die Agenda sollte net. So ist die Gruppe der fiskalkonservati- Konfliktthemen und Kooperationsmöglich- ven Blue Dog Democrats deutlich zusam- keiten enthalten. Mit Blick auf die wirt- mengeschrumpft. Von bisher 24 Mitglie- schaftliche Integration heißt dies, dass die dern werden im neuen Repräsentantenhaus EU deutlich ihre Bereitschaft signalisieren maximal 16 Abgeordnete übrig bleiben. Die müsste, auch solche Themen aufs Tapet zu Wahl von Elizabeth Warren, einer scharfen bringen, die für sie schwierig sind, zum © Stiftung Wissenschaft und Kritikerin der Finanzindustrie, in den Senat Beispiel den Agrarhandel. Klimaschutz und Politik, 2012 rückt zudem die Demokraten dort nach Energiesicherheit sollten auf dem Gipfel Alle Rechte vorbehalten links. ebenfalls zur Sprache kommen. Hier könn- Das Aktuell gibt ausschließ- Allerdings scheint sich der Rechtsruck te die EU die Aufmerksamkeit des amerika- lich die persönliche Auf- der republikanischen Partei nicht fort- nischen Partners von der Energiepolitik fassung der Autorinnen wieder zusetzen. Die Partei begreift langsam, dass wieder stärker zur Klimapolitik lenken. die radikalkonservative Bewegung ihr Gerade bei erneuerbaren Energien und SWP Stiftung Wissenschaft und schadet. Darum könnte die Parteiführung Energieeffizienz sind verstärkter Austausch Politik der Republikaner im Kongress mehr Druck und Kooperation sinnvoll. In der Sicher- Deutsches Institut für Internationale Politik und auf die Abgeordneten ausüben, zurück zur heitspolitik könnte der Einsatz von Droh- Sicherheit politischen Mitte zu finden. Darüber hinaus nen zum Konfliktthema im transatlanti- Ludwigkirchplatz 34 dürfte der Parteiführung daran gelegen schen Verhältnis werden und sollte früh- 10719 Berlin sein, ihre Attraktivität beim wachsenden zeitig diskutiert werden. Auch über neue Telefon +49 30 880 07-0 Wählerblock der ethnischen Minderheiten Wege in der Iran-Diplomatie sollten sich EU Fax +49 30 880 07-100 www.swp-berlin.org zu verbessern. Dies könnte ihre Kompro- und USA verständigen. Schließlich sollten swp@swp-berlin.org missbereitschaft beispielsweise beim die EU-US-Gipfel wieder zu einem Forum ISSN 1611-6364 Thema Einwanderungspolitik erhöhen. für einen ehrlichen Interessenausgleich Mit anhaltendem Reformstau wird auch werden, denn aufgrund von Ritualisierung der öffentliche Druck auf den Kongress und fehlenden politischen Inhalten droh- steigen, die Blockaden zu überwinden. Die ten sie in der Vergangenheit in die Bedeu- Zum Thema USA siehe auch: Zustimmungsrate bei der Bevölkerung für tungslosigkeit abzurutschen. Stormy-Annika Mildner den aktuellen Kongress kam 2012 nie über Henriette Rytz 20 Prozent hinaus und lag damit so niedrig Johannes Thimm wie nie zuvor. Zudem hat kein Kongress seit State of the Union. Innenpolitische und binnenwirtschaftliche Heraus- 1947 so wenige Gesetze verabschiedet wie forderungen für die Führungsrolle der aktuelle. In der Folge wurden dieses der USA in der Welt Jahr zahlreiche Amtsinhaber abgewählt. SWP-Studie 16/2012 Thomas Henneberg Stormy-Annika Mildner Transatlantische Washingtons Gratwanderung am finanziellen Abgrund Kooperationsmöglichkeiten SWP-Aktuell 56/2012 In den nächsten Monaten werden die USA in erster Linie mit sich selbst beschäftigt Henriette Rytz sein. Sollte der Kongress aber die innen- USA: Konservative unter Anpassungsdruck politische Agenda des Präsidenten weiter SWP-Aktuell 32/2012 blockieren, dürfte dieser sich schnell SWP-Aktuell 66 November 2012 8
Sie können auch lesen