Ein Unikat in der heutigen Lehrerschaft* - Reflexionen und Befunde zur Rolle und Professionalität des Klassenlehrers an Freien Waldorfschulen ...

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PR 2022, 76. Jahrgang, S. 45-59
                       © 2022 Heiner Ullrich - DOI https://doi.org/10.3726/PR012022.0004

                                              Heiner Ullrich

        Ein Unikat in der heutigen Lehrerschaft*
Reflexionen und Befunde zur Rolle und Professionalität des
         Klassenlehrers an Freien Waldorfschulen

1. Die singuläre Stellung des                              letzten Phase des Hauptunterrichts her-
    Waldorfklassenlehrers                                   stellen. Durch die Abfolge der Erzählstoffe
                                                            werden die Schüler im Laufe der ersten
    im schulischen Feld                                     acht Schuljahre – im Sinne einer Rekapi-
                                                            tulation der menschheitlichen Kultur- und
Hierzulande unterrichtet der Klassenleh-
                                                            Bewusstseinsstufen - von der mythischen
rer in den Freien Waldorfschulen „seine“
                                                            Welt der Märchen über Fabeln, Legen-
Klasse vom ersten bis zum achten Schul-
                                                            den, Sagen und historische Geschehnisse
jahr allmorgendlich in den beiden ersten
                                                            bis zu den Entdeckern der „neuen Welt“
Unterrichtsstunden, dem sogenannten
                                                            und den Pionieren der modernen wissen-
Hauptunterricht1. Diese außergewöhn-
                                                            schaftlich-technischen Zivilisation geführt.
lich extensive zeitliche Kontinuität führt in
                                                            Der Klassenlehrer soll „vorbildlich“, d.h.
der Regel zu einer intensiven personalen
                                                            bildhaft-künstlerisch unterrichten; seine
Nähe, sowohl zu den Schülern als auch
                                                            Lehrkunst zeigt die oft frontal und direktiv
zu deren Familien. Der Waldorfklassen-
                                                            agierende Lehrperson beispielsweise in
lehrer versteht sich als Führer der Klas-
                                                            der sprachgestalterisch-musikalischen An-
sengemeinschaft und als Partner der
                                                            fangsphase des Hauptunterrichts, in den
Eltern, zu denen er auch durch zahlreiche
                                                            kunstvoll gezeichneten Tafelbildern, im
Elternabende und Hausbesuche in enge-
                                                            täglichen Erzählen und chorischen Arbei-
re Beziehung tritt. Er unterrichtet seine
                                                            ten sowie in der Inszenierung des Klassen-
Schüler über alle acht Jahre in ca. acht
                                                            spiels am Ende des achten Schuljahres.
Schulfächern – Deutsch, Mathematik,
                                                            Im Unterricht soll alles Lehren im „Grund-
Formenzeichnen, Geschichte, Biologie,
                                                            ton des Schönen“ geschehen. Wegen
Geografie, Physik und Chemie. Jedes
                                                            dieses künstlerischen Anspruchs erfolgt
dieser Fächer wird nicht in einzelnen Un-
                                                            der Unterricht des Klassenlehrers ohne
terrichtsstunden gelehrt, sondern täglich
                                                            Lehrbücher; was zu merken ist, schreiben
doppelstündig im Hauptunterricht in je
                                                            die Schüler nach den Vorgaben ihres Leh-
zwei- bis drei Wochen langen Unterrichts-
                                                            rers handschriftlich in ihre Epochenhefte,
epochen. Den Zusammenhang zwischen
                                                            für deren Gestaltung sie keine digitalen
den Lehrinhalten der Fächer, die in einem
                                                            Medien benutzen sollen. Wie auf das Sit-
Schuljahr vermittelt werden, soll der Klas-
                                                            zenbleiben verzichten alle Waldorflehrer
senlehrer täglich im „Erzählteil“ in der

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bis in die Oberstufe bei der Beurteilung                    ohne Referendariat. Den Kern des Stu-
der Schülerleistungen auf Zensuren. Das                     diums bilden in allen Ausbildungsstätten
Waldorfzeugnis soll sich vor allem auf den                  die anthroposophische Menschenkunde
individuellen Entwicklungsprozess jedes                     und Weltanschauung Rudolf Steiners, das
einzelnen Schülers und seine Lernfort-                      künstlerische Üben (Kurse in Sprachge-
schritte in den Unterrichtsfächern bezie-                   staltung, Singen, Eurythmie, Malen, Zeich-
hen So verfasst der Klassenlehrer in der                    nen und Plastizieren) und die reflektierte
Regel handschriftlich eine seitenlange                      Praxiserfahrung2. Praxisphasen liegen vor
Charakteristik für jeden seiner Schüler, die                und während der Studienzeit, z.B. an
sich auch auf Grundzüge seiner Persön-                      wöchentlichen Schultagen; die fachdi-
lichkeit (z.B. das Temperament) bezieht.                    daktischen und unterrichtsmethodischen
    Mit ihren Kennzeichen des Primats                       Seminare werden von berufserfahrenen
der acht Jahre langen personalen Bezie-                     Waldorflehrern geleitet. Der angehende
hung, der fachlichen Entgrenzung, der                       Waldorfklassenlehrer wird im Rahmen
zeitlichen und thematischen Konzentration                   der Allgemeinen Didaktik ansatzweise in
der Inhalte, der künstlerischen Gestaltung                  seine späteren acht Unterrichtsfächer ein-
des Lehrens und der strikt individualisie-                  geführt, soll sich darin aber vor allem in
renden Schülerbeurteilung kontrastiert                      seiner späteren Berufspraxis immer weiter
die Figuration des Waldorfklassenlehrers                    fortbilden3. Vertiefte fachliche Ausbildung
hochgradig zu den Lehrerrollen an den                       erhält er dagegen noch einem Wahlfach
vergleichbaren allgemeinbildenden öffent-                   (z.B. in einer Fremdsprache, in Sport, in
lichen und privaten Grund- und Sekun-                       einem künstlerischen oder handwerkli-
darschulen. Diese sind zeitlich, fachlich,                  chen Fach), damit er an der Waldorfschule
methodisch und lerndiagnostisch gänzlich                    noch anderweitig eingesetzt werden kann.
anders dimensioniert.                                            Die essentielle ideelle Grundlage der
    Und noch größer wird der Unterschied                    Waldorflehrerausbildung bildet die Be-
auf dem Gebiet der Lehrerbildung. Auch                      gegnung mit der Anthroposophie Rudolf
die Ausbildung zum Waldorfklassenlehrer                     Steiners in einer gedanklich-intellektuellen,
stellt institutionell, curricular und struk-                ästhetisch-emotionalen und voluntativ-mo-
turell ein Unikat dar, das im Bereich der                   ralischen Dimension. Die Anthroposophie
staatlichen Lehrerausbildung keine Ent-                     spielt nach wie vor eine herausragende
sprechung findet. Für eine eigenständige                    Rolle – nicht nur in den Seminaren, son-
Ausbildung zum Waldorfklassenlehrer                         dern auch in den beiden Hochschulen -,
wurden in Deutschland seit 1973 vier                        weil sie nicht nur „heuristisch“ eine um-
Lehrerseminare eingerichtet, von denen                      fassende wissenschaftliche Lehre über
in den vergangenen beiden Jahrzehnten                       den Menschen liefert, sondern auch „zu
zwei als wissenschaftliche Hochschulen                      einem erlebenden übenden Umgang mit
akkreditiert worden sind. Kein anderes                      ‚anthroposophischen‘ Gedanken, zu einer
Schulmodell aus der Reformpädagogik,                        sensiblen kontemplativen und meditativen
auch nicht die weltweit noch stärker ver-                   Haltung, zur ‚Verinnerlichung‘ [führt] und
tretenen Montessori-Schulen, verfügen                       ... mehr den Charakter eines künstleri-
über eine solche autonome grundständige                     schen Verhaltens [hat]“4. Dadurch soll sie
Lehrerbildung.                                              zugleich zur „Erweckung pädagogischer
    Die grundständige Ausbildung zum                        Fähigkeiten“ beitragen.
Waldorfklassenlehrer - z.B. in der Form                          Insgesamt gesehen gibt es trotz
eines dreijährigen Bachelor- plus zwei-                     des mittlerweile akademisch gestuften
jährigen Master-Studiums – ist einphasig                    Studiengangs zwischen der Waldorf-

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klassenlehrerausbildung und den Lehr-                       Himmel der Impuls zur Gründung der
amtsstudiengängen an staatlichen Univer-                    Freien Waldorfschule für die Kinder der
sitäten und Pädagogischen Hochschulen                       Arbeiterschaft der Waldorf-Astoria Zigar-
mit ihrer Ausrichtung auf zwei wissen­ -                    renfabrik in Stuttgart. Nicht Steiner selbst,
schaftliche Fachdisziplinen und Fachdi-                     sondern der wohlhabende Fabrikant Emil
daktiken sowie auf die Bildungswissen-                      Molt, seit 1906 Mitglied der Theosophi-
schaften Pädagogik, Psychologie und                         schen Gesellschaft, brachte den Stein ins
Soziologie auch inhaltlich fast keiner-                     Rollen und sicherte zugleich die finanzielle
lei Berührungspunkte. Wie lassen sich                       Grundlage des Projekts. Steiner musste,
diese tiefgründigen Unvergleichbarkeiten                    von Molt überredet, von heute auf morgen
erklären?                                                   das schulpädagogische und didaktisch-
                                                            methodische Konzept entwickeln, welches
                                                            bis heute die Grundlage der Waldorfpäd-
2. Der Waldorfklassenlehrer – ein                          agogik bildet. Der pädagogische Autodi-
    lebendiger Anachronismus?                               dakt Steiner entwarf so innerhalb weniger
                                                            Monate das Modell der Freien Waldorf-
Ein bildungshistorischer Exkurs                             schule, ihren Lehrplan und ihre Lehrer-
                                                            schaft – natürlich nicht in einem luftleeren
Ein Rückblick auf die Anfänge der Waldorf-                  Raum! War für die reformpädagogischen
pädagogik im Jahre 1919 und auf die schu-                   Schulgründungen der britischen Theoso-
lische Biographie des 1861 geborenen                        phinnen Annie Besant und Beatrice Ensor
Rudolf Steiner kann hierzu einige Antwor-                   das liberale Modell der Public Schools
ten liefern. Anders als seine theosophi-                    maßgeblich, so für den Anthroposophen
schen Mitstreiterinnen Helena Blavatsky in                  Rudolf Steiner die achtklassige österrei-
New York und Annie Besant in London in-                     chische Volksschule mit dem quasi monar-
teressiert sich der Theosoph und spätere                    chisch agierenden Magister, wie er sie in
Anthroposoph Steiner bis zum Jahre 1919                     seiner Kindheit und Jugend kennengelernt
nicht für bildungspolitische und schulpäd-                  hatte6. Er selbst hatte die zehnklassige
agogische Fragen. Seinen über lange Zeit                    „Haupt- und Unterrealschule“ in Wiener
einzigen pädagogischen Beitrag über „Die                    Neustadt besucht, eine achtjährige Volks-
Erziehung des Kindes vom Gesichtspunk-                      schule mit einem zweijährigen Aufbau für
te der Geisteswissenschaft“ publiziert er                   die fähigsten Schüler. Sie erhielt während
im Jahre 19075 und zeigt darin, dass er                     Steiners Schulzeit das Recht, mit einer er-
kein Sensorium für die reformpädagogi-                      weiterten Oberstufe zur technischen Ma-
sche Idee der Selbsttätigkeit und Selbst-                   turität zu führen. Die Freie Waldorfschule
bestimmung des Kindes hat. Steiner                          startete also als achtjährige Volksschule
propagiert stattdessen das Konzept einer                    und sollte zu einer „Einheitlichen Volks-
durchgehend autokratischen Kindeserzie-                     und Höheren Schule“ ausgebaut werden,
hung ohne konkreten schulpädagogischen                      in deren vierjähriger Oberstufe wie in Stei-
Bezug. An dem innertheosophischen Dis-                      ners früherer Schule sowohl Maturanden
kurs über eine neue Erziehung und die in                    als auch Lehrlinge für den technischen
den Vereinigten Staaten, in Indien und in                   Bereich unterrichtet werden sollten. Erst in
Großbritannien initiierten theosophischen                   Steiners Todesjahr 1925 wurde auf Druck
Schulgründungen nimmt Steiner auch in                       der inzwischen mehrheitlich bildungsbür-
der Folge nicht teil.                                       gerlichen Elternschaft eine gesonderte 13.
    Programmatisch unvorbereitet trifft ihn                 Klasse als Vorbereitungsklasse auf das
1919 deshalb wie ein Blitz aus heiterem                     Abitur eingerichtet7. Festzuhalten bleibt

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für unseren Zusammenhang, dass die                          können“9. Bei dieser beruflichen Norm des
Waldorfschule als achtjährige Volksschu-                    „enzyklopädisch kompetenten Lehrers für
le begann und der Kern der Waldorfleh-                      alle Unterrichtsfächer“ ist es in den staatli-
rerschaft aus Volksschullehrern bestehen                    chen Schulen bis zur Gründung der ersten
sollte.                                                     Pädagogischen Hochschulen im Prin-
     Nachdem der sozialdemokratische                        zip geblieben. Die Lehrgegenstände der
württembergische Kultusminister – aus                       damaligen öffentlichen Volksschule sind
politischer Sympathie für das Projekt                       in den meisten Reichsländern Religion,
einer Einheitsschule – schon im Mai 1919                    Deutsche Sprache, Lesen, Schreiben,
die Genehmigung für Fabrikschule der                        Rechnen, Geometrie und Algebra, Geo-
Waldorf-Astoria AG gegeben und dem                          graphie, Geschichte, Naturgeschichte,
Schulträger große Freiheit bei der Lehrer­                  Physik, Chemie, Zeichnen, Gesang und
einstellung eingeräumt hatte, stellte Stei-                 Turnen. An den Volksschulen unterrichten
ner erst wenige Wochen vor der Eröffnung                    bis weit in die dreißiger Jahre Lehrperso-
der neuen Schule ein Kollegium für das                      nen, „die eine Volksschule, mittlere Schule
Schuljahr 1919/20 zusammen, das aus                         oder höhere Knaben- bzw. Mädchenschu-
18 Anthroposophen besteht, von denen                        le besucht und noch während des Kai-
nur eine Person ausgebildete Lehrkraft                      serreiches eine Präparanden-Anstalt und
war. Die übrigen waren Seiteneinsteiger                     anschließend ein Lehrerseminar mit einer
und kamen aus den unterschiedlichsten                       Prüfung abgeschlossen haben“10.
Berufsfeldern. Somit ähnelte die Leh-                            Die aus den Anfängen des 19. Jahr-
rerschaft der ersten Waldorfschule eher                     hunderts stammende seminaristische
einem anthroposophischen Laienorden                         Volksschullehrerausbildung11 war drei­
als einem zünftigen Lehrerkollegium. Die-                   stufig: nach einer Zeit als Schulpräparand
ser eklatante Mangel an pädagogischer                       (Hilfslehrer) besuchte man eine zwei-
Professionalität wurde allerdings nicht als                 jährige Präparandie, vergleichbar einer
Problem empfunden. Zur Vorbereitung auf                     Volksschuloberstufe, an die sich nach
die neuen Aufgaben eines Klassenlehrers                     erfolgreicher     Aufnahmeprüfung       eine
in der Waldorfschule hielt Steiner einen                    ebenso lange Ausbildung am Lehrerse-
zweiwöchigen pädagogischen und di-                          minar anschloss. Hier wurde man von
daktisch-methodischen Einführungskurs,                      erfahrenen Schulpraktikern in alle obi-
mit dem er zugleich den Grundriss der                       gen Schulfächer eingeführt und erprobte
Waldorfschulpädagogik schuf8.                               diese zugleich an einer mit dem Seminar
     Für die Rolle des Waldorfklassenleh-                   verbundenen Übungsschule12. Über alle
rers setzte Steiner implizit die berufliche                 Ausbildungsjahre hinweg nahm dabei der
Figuration des damaligen Volksschulleh-                     musikalisch-künstlerisch-handwerkliche
rers voraus, die allerdings noch seiner                     Unterricht einen breiten Raum ein. In der
anthroposophischen Zusatzbegründung                         Weimarer Republik setzten ab 1919 in
bedurfte. Im Bereich der damals in Würt-                    etlichen Reichsländern Versuche ein, die
temberg noch siebenjährigen Volksschule                     Volksschullehrerausbildung zu „akade-
gilt damals das seit Jahrzehnten bestim-                    misieren“ und durch die Gründung von
mende „Leitbild des pädagogischen                           Pädagogischen Instituten und Akademien
‚Zehnkämpfers‘, der 10 Prüfungsfächer                       ihren Abstand zur universitären Gymna-
zu absolvieren hatte, um unmittelbar                        siallehrerbildung zu verringern. Auch die
nach der 1. Lehrerprüfung Unterricht in                     Volksschullehrer sollten immer mehr zu
allen Fächern und Schuljahren erteilen zu                   Fachlehrern werden. In Württemberg, dem

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Stammland der Freien Waldorfschulen,                        die reformpädagogischen Protagonisten
blieb allerdings die größtenteils konfessio-                Montessori und Petersen hält Steiner
nelle seminaristische Lehrerausbildung bis                  wie selbstverständlich an der Jahrgangs-
weit über den Zweiten Weltkrieg hinaus                      klasse mit ihrem strikten Bezug auf das
bestehen.                                                   kalendarische Alter der Schüler fest.
    Die ersten staatlichen Pädagogischen                    Damit steht zugleich stärker die Gruppe
Hochschulen öffneten hier erst um 1962                      der Schüler mit ihrem Leistungsdurch-
ihre Türen. Mit ihrem Anspruch auf eine                     schnitt im Mittelpunkt als das Individu-
wissenschaftsorientierte Lehre auch für die                 um mit seinem jeweils unterschiedlichen
Grund-, Haupt- und Realschullehrer erfolg-                  Wissensstand. Den „erziehenden Un-
te ein Paradigmenwechsel in der Lehrerbil-                  terricht“ (Herbart) verbürgt in pastoraler
dung vom „Zehnkämpfer“ zum Fachlehrer.                      Stellung bis zur Oberstufe der Klassenleh-
Von nun an studierten die Nachfolger der                    rer, der wie ein Vater seiner Klasse durch
früheren Volksschullehrer nicht mehr acht,                  engen personalen Bezug und Kenntnis
sondern – wie die Gymnasiallehrer – über                    des „Gesamtwissens“ der Gruppe die
drei bzw. vier Jahre nur noch zwei Unter-                   Kontinuität der Bildungsprozesse steuert
richtsfächer; und vor der Jahrtausend-                      und kontrolliert. Jede weitere Lehrperson
wende kam auch noch die zweite Phase                        oder ein Lehrerwechsel könnten seine
des Referendariats für alle dazu. Die-                      Wirkung auf die Klasse nur beeinträchti-
sen Transformationsprozess haben die                        gen.14 In Steiners Schul- und Studienzeit
Waldorfpädagogen für die Ausbildung                         dominierte in den Lehrerseminaren der
des Klassenlehrers nicht mitvollzogen. In                   Herbartianismus, dessen Konzentrations-
ihren seit 1973 entstandenen eigenstän-                     prinzip15 bis heute den Waldorflehrplan,
digen Bildungsstätten haben sie das se-                     den Epochenunterricht und nicht zuletzt
minaristische Modell der Meisterlehre mit                   die Funktion des Klassenlehrers selbst be-
seiner Fächervielfalt, Praxis­  orientierung                stimmt. Nach dem Prinzip der inhaltlichen
und Einphasigkeit im Grunde bis heute                       Konzentration sollen bekanntlich auf jeder
fortgeschrieben, auch wenn es mittlerweile                  Klassenstufe bestimmte exemplarische
im Rahmen von Hochschulen mit wissen-                       Erzählstoffe den fächerübergreifenden
schaftlichem Anspruch vertreten wird.                       Bezugspunkt für alle übrigen Inhalte des
    Halten wir als Ergebnisse unseres                       Schuljahres bilden. Nach dem Prinzip der
kurzen historisch-kontextualisierenden Ex­                  personalen Konzentration soll der Klassen-
kurses fest: Rudolf Steiner konzipierte                     lehrer mit autoritativem Duktus die ganze
die Schulstruktur der Waldorfschule und                     Erziehung der ihm anvertrauten Schüler
die Berufsrolle des Waldorfklassenlehrers                   während der acht Jahre der Unterstufe
nicht etwa aus der anthroposophischen                       übernehmen, indem er ihnen nahezu alle
Weltanschauung oder der zeitgenössi-                        Fächer des pädagogischen Lehrplans prä-
schen Reformpädagogik heraus. Er griff                      sentiert und im Epochenunterricht zeitlich
vielmehr auf die von ihm biografisch erin-                  konzentriert. Und schließlich unterrichtet
nerte österreichische Volks- und Realschu-                  er herbartianistisch in dem Sinne, dass
le mit ihrem System der aufsteigenden                       jede Unterrichtsstunde aus den Phasen
Jahrgangsklassen und auf den dort unter-                    der Vertiefung und Besinnung bestehen
richtenden Typus des Volksschullehrers                      soll, die in der Waldorfschule indes stärker
zurück, der nach dem Modell von Dogma                       erlebnishaft im „ganzheitlichen“ Rhythmus
und Handwerk13 in einem Lehrersemi-                         von Wollen, Fühlen und Denken akzentu-
nar ausgebildet worden war. Andres als                      iert werden.

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3. Die spirituelle Begründung                              Kind zu formen beginnt. [...] Mit Hilfe des
    der Klassenlehrerrolle                                  Klassenlehrers bildet sich eine Art ‚Grup-
                                                            penhülle‘ der Klasse, die diesem strikt al-
Der Klassenlehrer der herbartianischen                      tershomogenen Sozialorganismus fortan
Volksschule bildet nur den Unterbau des                     eigen ist“18. Im zweiten Jahrsiebt geht es
Waldorfklassenlehrerkonzepts.        Rudolf                 dem Waldorfpädagogen zentral um die
Steiner hat hierfür noch den spirituellen                   Veranlagung eines vielseitigen Weltinteres-
Überbau aus dem Geiste seiner okkul-                        ses bei seinen Schülern durch einen bild-
ten Weltanschauung geschaffen. Er geht                      haft-erlebnismäßigen Unterricht und um die
von dem Grundsatz aus: „Das Arbeiten                        Harmonisierung ihrer Temperamentsnei-
mit den verborgenen Kräften zwischen                        gungen – nach den Grundsätzen „Autorität
Kinderherz und Erzieherherz, das ist der                    und Nachfolge“. Auf der Grundlage der
wichtigste Teil der Methodik des Lehrens,                   anthroposophischen Menschenkunde soll
und darin liegen die Lebensbedingungen                      er das Temperament eines jeden Kindes
des Erziehens“16. Diese Lebensbedingun-                     „diagnostizieren“ und dieses u.a. durch
gen des Erziehens ergeben sich für den                      die Sitzordnung, die Wahl des Musikin­    -
Waldorfklassenlehrer aus der Entwicklung                    struments oder einer bevorzugten Rechen-
des Kindes, welche durch die vier verbor-                   art im Mathematikunterricht bewusst an-
genen „Wesensglieder bzw. Bildekräfte“                      sprechen. Um dem Kind eine schützende
(physisch-materielle, vegetative, seelische                 seelische Hülle und eine „richtunggebende
und geistige) im Nacheinander von je sie-                   Stütze [zu sein], an der es sich heraufran-
ben Jahren bestimmt wird. Für jede Stufe                    ken kann“19, soll der Klassenlehrer selbst
sind ein spezifischer Weltzugang und ein                    eine „vorbildliche Persönlichkeit“ sein.
eigentümlicher Modus des Lernens kenn-                      Dazu gehört auch, dass er selbst alle vier
zeichnend. Der Waldorfpädagoge muss                         Temperamente - phlegmatisch, cholerisch,
wissen, auf welche Wesensglieder des                        sanguinisch und melancholisch – äußern
heranwachsenden Menschenwesens er in                        und das eigene dominante Temperament
einem bestimmten Lebensalter einzuwir-                      mäßigen soll. Denn, wenn er seinem Tem-
ken hat und wie diese Einwirkung zu ge-                     perament ungezügelten Lauf ließe, hätte
schehen hat. Sein Handeln wird von dem                      dies schwerwiegende Auswirkungen auf
Grundsatz bestimmt: „Jedes Wesensglied                      das körperliche Befinden seiner Schüler
des Zöglings wird vom nächsthöheren                         in späteren Lebensabschnitten20. Voraus-
Wesensglied des Erziehers erzogen“17.                       setzung für die Harmonisierung des eige-
    Zu Beginn des zweiten Jahrsiebts –                      nen Temperamentes und die Bildung der
der Klassenlehrerzeit – werden die bis-                     eigenen Persönlichkeit ist eine sich auch
her umhüllten ätherischen Kräfte, welche                    in künstlerischen Tätigkeiten vollziehen-
zuvor für das physische Wachstum und                        de Selbsterziehung und eine meditative
die Umbildung der Organe tätig waren,                       Lebensführung: Der Waldorfklassenleh-
„frei“ und wenden sich jetzt der Bildung                    rer „braucht eine ihn durchseelende Le-
des nächsten, des seelischen Astralleibs                    bensauffassung. Ein tiefes Verständnis
zu. Nunmehr bildet der Waldorfklassenleh-                   des Lebens überhaupt braucht er. [...]
rer „eine seelisch-ätherische Hülle um das                  eine umfassende Weltanschauung“21. Auf
Kind. [...] Diese Hülle kommt nicht zuletzt                 dem Schulungsweg zur Erkenntnis der hö-
dadurch zustande, dass der Klassenleh-                      heren Welten gelangt er schließlich auch
rer so viele Fächer unterrichtet, ja dass                   zu einem esoterischen Verständnis seiner
durch ihn sich ein ganzes Weltbild für das                  Klasse als Seelen- bzw. Schicksalsge-
                                                            meinschaft, in welche der Prozess der

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Reinkarnation und das Karma seine Schü-                     4. Die programmatischen
lerinnen und Schüler zusammengeführt                            Grundzüge der Berufsrolle des
haben. Rudolf Steiner hält dafür, dass „die
                                                                Waldorfklassenlehrers heute
Lehre von den wiederholten Erdenleben
[...] praktisch werden, daß sie der Unter-
                                                            Rudolf Steiner begründet sein hochgra-
grund werden könnte für so etwas wie eine
                                                            dig idealisiertes Verständnis der Rolle und
Erziehungs- und Unterrichtskunst“22. Nicht
                                                            der Aufgaben des Waldorfklassenlehrers
nur die Entwicklungs- und Bildungsaufga-
                                                            durchweg auf okkulten weltanschauli-
ben des zweiten Jahrsiebts, sondern auch
                                                            chen Prämissen, die für Außenseiter des
die Prozesse der Reinkarnation und die
                                                            anthroposophischen Diskurses keine
Wirkungen des Karma liefern so die ulti-
                                                            Evidenz besitzen und fragwürdig blei-
mative Erklärung für die Notwendigkeit der
                                                            ben müssen. Heutige Waldorfpädago-
acht Jahre langen Schicksalsgemeinschaft
                                                            gen vertreten programmatisch weiterhin
von Klasse und Klassenlehrer23.
                                                            inhaltlich und strukturell das Steinersche
     Für Rudolf Steiner ist der Waldorf-
                                                            Konzept, geben ihm aber im Dialog mit
klassenlehrer mithin nicht nur der fach-
                                                            der Erziehungswissenschaft eine exote-
lich vielseitig orientierte Praktiker für
                                                            rische und stärker „säkulare“ begriffliche
den Volksschulunterricht. Er ist vielmehr
                                                            Fassung. Exemplarisch hierfür sind die
eine für den Lehrerberuf berufene Per-
                                                            Beiträge von Walter Riethmüller, der seit
sönlichkeit und hat vier unterschiedliche
                                                            nahezu drei Jahrzehnten über die Rolle
Aufgaben zugleich zu erfüllen. Er agiert
                                                            des Waldorfklassenlehrers publiziert.
zuallererst als Entwicklungsregisseur des
                                                            Dabei steht auch bei ihm immer implizit
Kindes, der diesem in Kenntnis der Ent-
                                                            das vierfältige Aufgabenfeld Steiners für
wicklungsgesetze zur vollen Entfaltung
                                                            den Klassenlehrer – Entwicklungsregis-
seiner Kräfte und Fähigkeiten verhelfen
                                                            seur, Heiler, Künstler und Seelenführer
soll. Der Klassenlehrer fungiert dann zu-
                                                            - im Hintergrund. In einem früheren Text
sätzlich als Heiler und Therapeut, wenn
                                                            betont Riethmüller, dass der Klassenlehrer
es gilt, „gesundend“ gegen die durch
                                                            „das Kind und nicht die Stoffvermittlung
Medien und Konsum ausgelösten „mate-
                                                            in den Mittelpunkt stellt“24, dass er in sei-
rialistischen“ Tendenzen der Verfrühung
                                                            nem bildhaft die Phantasie ansprechenden
und Vereinseitigung zu intervenieren, um
                                                            Unterricht den Lehrstoff künstlerisch so
den für Kinder notwendigen Schonraum
                                                            verwandelt, dass er „nicht in Lehrbüchern
zu bewahren. Der Waldorfklassenlehrer
                                                            wiedergefunden werden kann, sondern
soll sich auch als (Erziehungs-)Künstler
                                                            dass jede Klasse ihre eigenen ‚Bücher‘
begreifen, der nicht nur seinen Unterricht
                                                            – Epochenhefte genannt – anlegt“25. Den
in ästhetisch vielfältiger Weise gestaltet,
                                                            Hauptakzent setzt Rietmüller auf die na-
sondern auch als Persönlichkeit künstle-
                                                            hezu charismatische Bedeutung der Per-
rischen Ausdrucksformen eine große Be-
                                                            sönlichkeit des Klassenlehrers, dessen
deutung zumisst. Und schließlich spricht
                                                            Wirkungen auf seine Schüler weit über
Steiner dem Waldorfpädagogen noch die
                                                            deren Schulzeit hinausgehen sollen. Die
Aufgabe des Seelenführers zu, der sich
                                                            zum Klassenlehrer berufene Persönlichkeit
z.B. in den Zeugnischarakteristiken und in
                                                            zeichnet sich durch ihren Willen zu Selbst-
den Kinderbesprechungen darum bemüht,
                                                            erziehung über ihre gesamte Lebensspan-
ein „Wesensbild“ von seinen Schülerinnen
                                                            ne aus: „eine Trennung ‚Beruf/Privatleben‘
und Schülern zu gewinnen, um sie gemäß
                                                            kann hier zu inneren Konflikten, aber auch
ihrer Bestimmung zum Geistigen empor zu
                                                            zu sozialen Spannungen führen, z.B.
bilden.

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schon im persönlich-familiären Bereich“26.                  erziehungswissenschaftlichen Perspek-
Verbunden mit dieser Überhöhung des                         tiven nicht nur als äußerst erfolgreiches,
Klassenlehrers ist eine Rücknahme fach-                     sondern auch als ein durchaus tragfähiges
lich-inhaltlicher zugunsten methodischer                    System schulischer Bildung mit erzieheri-
Ansprüche im Unterricht und eine idealis-                   schem Anspruch angesehen werden“30.
tische Hypostasierung und Entgrenzung                            Aus unseren bisherigen Darlegun-
der beruflichen gegenüber der privaten                      gen lassen sich programmatisch die fol-
Existenz, welche allerdings zur notorischen                 genden Grundzüge der Professionalität
Überlastungen führen kann. Inzwischen                       des Waldorfklassenlehrers ableiten, die
hat sich die konzeptionelle Akzentsetzung                   vortheoretisch mit den Schlagwörtern
Rietmüllers bei der Bestimmung der Auf-                     „personale Beziehung“, „Lehrmethoden“,
gaben des Waldorfklassenlehrers noch                        „Menschenkunde“ und „Persönlichkeit“
stärker auf die Gestaltung der pädago-                      schon einmal vage bezeichnet werden
gischen Beziehung und auf den Prozess                       können. Die professionelle Kernkompe-
der Selbstschulung bzw. –bildung der                        tenz des Waldorfklassenlehrers soll im
Lehrperson konzentriert. Ausgehend von                      Bereich Erziehung liegen: Er soll mög-
einer „rundum positiv zu bewertende[n]                      lichst vom ersten Handschlag bis zum
personale[n] ‚pädagogische[n] Nähe‘ als                     Klassenspiel in der achten Klasse in einer
Stabilitätsfaktor geglückter Lernprozes-                    langjährigen Kontinuität acht Jahre lang
se“27 bestimmt der Autor die Tätigkeit                      jeden Schüler in der Entwicklung seiner
des Klassenlehrers unter der Perspektive                    Individualität fördern und zugleich eine
eines „universellen Beziehungsanspruchs“                    eng zusammengehörige Klassengemein-
und reduziert noch weiter den Anspruch                      schaft bilden. Dabei richtet sich sein Blick
auf Fachlichkeit. Im Vordergrund steht die                  auf die Entwicklungsschritte und Tempera-
Gestaltung einer langjährigen engen per-                    mente seiner Schüler nach den Vorgaben
sönlichen Beziehung zu seinen Schülern                      der anthroposophischen Menschenkunde.
und zu deren Eltern. Als „positive, ver-                    Bewusst als Vorbild gestaltet er die asym-
lässliche Beziehungspersönlichkeit“ soll                    metrische pädagogische Beziehung zu
er den Kindern und Heranwachsenden                          seinen Schülern in hochgradig personaler
„durch Vorbild und Führung Orientierung                     Nähe. In seinen Zeugnischarakteristiken
und Sicherheit gegenüber einer pluralen,                    versucht er nicht nur den Leistungsstand,
ungewissen, unübersichtlichen und halt-                     sondern auch das Wesensbild eines
losen sozialen Welt bieten“28 (ebd.). Die                   jeden Schülers wiederzugeben. Sozial-
Erfüllung dieser quasi patriarchalischen                    wissenschaftlich gesprochen realisiert er
Funktion ist für Riethmüller „hochgradig                    ein Arbeitsbündnis mit seinen Schülern,
vom individuellen ‚Selbstschulungsimpuls‘                   in welchem die Person deutliche Priorität
der Lehrerpersönlichkeiten abhängig“29.                     vor der Sache genießt. Seinen dezidier-
Für dessen Zielsetzung erinnert er an Stei-                 ten Autoritätsanspruch kann er gegen-
ners Forderung, dass der Waldorfpädago-                     über den Schülern und ihren Eltern nur
ge eine „umfassende Lebensauffassung“                       realisieren, wenn sie ihm freiwillig Aner-
brauche, von der aus er sein Berufsethos                    kennung zollen; andernfalls degeneriert
immer wieder bestärken könne. Für Rieth-                    sein Anspruch zur bloßen Behauptung
müller steht wie für viele andere führende                  von Macht. Die zweite Säule seiner Pro-
Waldorfpädagogen fest: „Das auf acht                        fessionalität sind die propädeutischen
Jahre angelegte Klassenlehrersystem                         Methoden für einen durchweg lehrerzen-
der Waldorfschulen kann unter aktuel-                       trierten Unterricht. Als Erbe des früheren
len entwicklungspsychologischen und                         Volksschullehrers unterrichtet er – ohne

52                                       Pädagogische Rundschau                                           1 / 2022

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fachwissenschaftlich-disziplinäre Ausbil-                   5. Empirische Studien
dung – eine Vielzahl von Fächern, deren                         zur Berufsrolle des
Inhalte er sich im permanenten Selbststu-
                                                                Waldorfklassenlehrers
dium und durch Fortbildung „learning by
doing“ aneignen muss. Seine Unterrichts-
                                                            Aufs Ganze gesehen zeichnet sich die Pro-
kompetenz zeigt sich primär in seinem viel-
                                                            fessionalität des Waldorfklassenlehrers im
seitigen mikro-methodischen Arsenal, das
                                                            Vergleich mit derjenigen von entsprechen-
von Tafelbildern und Erzählungen bis zu
                                                            den Lehrpersonen an Regelschulen (z.B.
musikalischen und szenischen Darbietun-
                                                            Gemeinschaftsschulen) durch einige ba-
gen reicht. Im Hinblick auf Curriculum und
                                                            sale Entgrenzungen aus: die lange Dauer
Unterrichtsartikulation richtet sich seine
                                                            der Klassenleitung, die von Nähe bestimm-
„Erziehungskunst“ im Übrigen – wie oben
                                                            te Gestaltung der pädagogischen Bezie-
gezeigt – nach Vorgaben der spätherbarti-
                                                            hung, die Vielzahl der Unterrichtsfächer,
anischen Gesinnungspädagogik.
                                                            die explizit weltanschauliche Prägung
    Sein pädagogisches Wissen entnimmt
                                                            ihres beruflichen Habitus. Während im ak-
der Waldorfklassenlehrer vorrangig der
                                                            tuellen schulpädagogischen Diskurs von
hochgradig normativen Menschenkunde
                                                            den Überhöhungsvorstellungen der Klas-
Rudolf Steiners als Grundlage der
                                                            senlehrerperson Abschied genommen und
Waldorfpädagogik, in erster Linie der
                                                            stattdessen funktional über die Gestaltung
ausdifferenzierten Entwicklungslehre des
                                                            der Klassenleitung im Rahmen eines Fach-
zweiten Jahrsiebts sowie der Lehre von
                                                            lehrerteams reflektiert wird31, bleiben die
den vier Temperamenten. Von hier aus
                                                            Waldorfpädagogen immer noch unbeirrt
ergeben sich nur marginale Bezüge zum
                                                            bei ihrer Vorstellung von der „berufenen“
bildungswissenschaftlichen Wissen von
                                                            Lehrerpersönlichkeit stehen. Die Befunde
Lehrpersonen an staatlichen Schulen,
                                                            empirischer Studien können uns zeigen,
dagegen viele Anschlüsse an andere an-
                                                            was Waldorfklassenlehrer ausmacht, wie
throposophisch orientierte Lebenspraxen
                                                            sie dieses Lehrermodell in der Praxis von
(Medizin, Landwirtschaft, Soziale Arbeit
                                                            Waldorfschulen realisieren wird und wel-
usw.). Den Schlussstein der Professio-
                                                            che Chancen und Grenzen es mit sich
nalität des Waldorfklassenlehrers stellt
                                                            bringt. Hier sind zunächst die Befunde der
die Bildung seiner eigenen Persönlichkeit
                                                            einschlägigen quantitativen Studien.
dar, sein über die berufliche Praxis hin-
                                                                Als die wichtigsten Berufswahlmotive
ausweisendes biographisches Projekt der
                                                            der Waldorflehrerschaft für ihre vergleichs-
Selbstschulung. Es manifestiert sich in
                                                            weise gering dotierte Unterrichtstätigkeit
seinem vielfältigen ästhetischen Können,
                                                            an einer privaten Schule, die von ihren
das er auf dem Weg in seinen Beruf durch
                                                            Lehrkräften überdies noch ein zusätzli-
Übungen in Künsten wie Malen, Plastizie-
                                                            ches organisatorisches Engagement in
ren, Sprachgestaltung, Musizieren und
                                                            der Selbstverwaltung verlangt, werden in
Eurythmie veranlagen konnte. An diese
                                                            der breit angelegten Studie von Randoll32
praktischen Übungen, die der Selbstwahr-
                                                            vorzugsweise genannt: die Wertschät-
nehmung und der Kreativität dienen sollen,
                                                            zung des ganzheitlichen, anthroposophi-
schließen meditative Übungen an, die auf
                                                            schen Ansatzes der Waldorfpädagogik,
den Spuren der Anthroposophie zu einer
                                                            die über die fachliche Wissensvermitt-
spirituellen Weltanschauung und Lebens-
                                                            lung hinausgehende, primär pädagogi-
gestaltung führen sollen.
                                                            sche Entwicklungsbegleitung der Kinder
                                                            sowie der große eigene pädagogische

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Gestaltungsspielraum als Lehrperson an                      belegen Befunde aus der explorativen
Waldorfschulen. Angesichts des häufig                       Studie von Kuttner et al.33. Angehende
als „Berufung“ bezeichneten hohen idea-                     Waldorfpädagogen vertreten eher entwick-
listischen Anspruchs an die eigene Tätig-                   lungsorientierte Bildungsvorstellungen; sie
keit muss allerdings die im Durchschnitt                    betrachten Bildung in Schule und Unter-
nur kurze Verweildauer von ca. vier Jah-                    richt stärker als einen primär ganzheitli-
ren an einer Schule bei neu eingestellten                   chen, am Entwicklungsstand des Kindes
Waldorfklassenlehrerinnen und –lehrern                      orientierten Prozess. Angehende Regel-
nachdenklich stimmen.                                       schullehrpersonen äußern dagegen häufi-
     Ebenso heterogen wie die Waldorfleh-                   ger transmissive Bildungsüberzeugungen,
rerschaft stellen sich im Vergleich zu den                  wonach der Vermittlung anspruchsvollen
Regelschullehrern auch die Ausbildungs-                     Wissens größere Bedeutung zugeschrie-
wege - speziell der Klassenlehrer - in ihren                ben wird. Waldorf-Studierende gehen im
Beruf dar: Nur 16,6% der hierzu Befrag-                     Durchschnitt davon aus, dass sie für ihren
ten hatte ein spezifisches Studium der                      späteren Beruf weniger Fachwissen benö-
Waldorfpädagogik absolviert, 40,1% ein                      tigen als ihnen vergleichbare universitäre
Lehramtsstudium an einer staatlichen Uni-                   Lehramtsstudierende und erwarten auch
versität, 22,5% ein Studium ohne Lehramt,                   eine geringere berufliche Belastung.
20,3% kamen aus den Bereichen Pädago-                           Das von Nähe und Kontinuität be-
gik oder Therapie, die übrigen aus Kunst,                   stimmte achtjährige Klassenlehrerprinzip
Handwerk, Eurythmie. Fast die Hälfte der                    wurde bereits in der Absolventenstudie
Klassenlehrer hatte ihre berufliche Qualifi-                von Barz & Randoll34 von insgesamt 74,1%
kation also durch eine spätere Zusatzaus-                   der repräsentativ befragten ehemaligen
bildung erworben. Die zentrale Ressource,                   Waldorfschüler positiv beurteilt – ne-
die den meisten Klassenlehrern dabei hilft,                 gativer (59,7%) allerdings, wenn die
ihren ambitionierten Berufsalltag zu be-                    Absolventen der Anthroposophie ableh-
stehen und positiv zu bewerten, scheint                     nend gegenüberstanden. In der jüngs-
die Anthroposophie zu sein: 41,5% von                       ten Ehemaligenbefragung von Randoll/
ihnen bezeichneten ihr Verhältnis zur An-                   Peters35 rangierte das Klassenlehrerprinzip
throposophie als „praktisch-engagiert“,                     (40,5% „wichtig“, 42,5% „eher wichtig“
41,7% als „positiv-bejahend“ und 14,1%                      auf dem vierten Rang der waldorfspezifi-
als „kritisch-sympathisierend“; im Ausmaß                   schen Elemente hinter handwerklich-prak-
ihrer Zuwendung zur Lehre Rudolf Stei-                      tischem Unterricht, Klassenspielen und
ners Lehre wurden die Klassenlehrer nur                     künstlerisch-musischem Unterricht. Fragt
noch von den Eurythmisten übertroffen. In                   man wie Randoll, Graudenz und Peters36
diesen Befunden zeigt sich – nebenbei ge-                   Waldorfschüler der Oberstufe (9.-13.
sagt – wie eng in der Waldorflehrerschaft                   Klasse) an fünf ausgewählten hessischen
Profession mit Konfession verbunden ist,                    Waldorfschulen (n=423) nach ihren Erfah-
insbesondere bei den Klassenlehrern. An-                    rungen mit dem achtjährigen Klassenleh-
gesichts dessen könnte man bei ihnen mit                    rerprinzip, dann stößt man zwar auf mehr
einer gewissen Pointierung geradezu von                     Zustimmung (57,2%) denn auf Ablehnung.
einem „pädagogischen Orden“ sprechen.                       Gleichwohl werden in den Antworten auch
     Dass sich die zukünftigen Waldorf-                     die kritischen Seiten dieses Lehrermodells
klassenlehrer schon während ihrer Hoch-                     deutlich: Für 37% der Befragten war die
schulausbildung auch in ihren beruflichen                   Klassenlehrerzeit zu lang; sie fühlten sich
Orientierungen von ihren späteren Kolle-                    leistungsmäßig unterfordert und nur un-
gen an staatlichen Schulen unterscheiden,                   zureichend auf die Oberstufe vorbereitet,

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in der sie dann häufiger Nachhilfe in An-                   oder spannungsvollen Passungsverhält-
spruch nehmen mussten. Etwa ein Viertel                     nissen zwischen Klassenlehrkräften und
der Befragten erlebten ihren Klassenlehrer                  Schüler*innen, von denen dann entwick-
in der achten Klasse fachlich überfordert                   lungsproduktive oder hemmende und
und ca. 40% langweilten sich in seinem                      sogar exkludierende Einflüsse ausgehen
vorwiegend lehrer- und tafelorientierten                    können. In jedem der harmonischen Pas-
Unterricht. In den zusätzlich möglichen                     sungsverhältnisse eröffnet die Lehrperson
persönlichen Stellungnahmen befürwor-                       für eine ihr habituell affine und biogra-
tete die überwiegende Mehrzahl der                          phisch verwandte Schülerperson einen
Schüler eine Verkürzung der Klassenlehr-                    entwicklungsproduktiven Raum der emoti-
erzeit und einen früheren Unterricht durch                  onalen, kognitiven und sozialen Anerken-
Fachlehrer.                                                 nung. Die Rückseite der „pädagogischen
     Die qualitativ-rekonstruktiven Studien                 Liebe“ bilden die oft von Verkennung und
zur Pädagogik der Waldorfschulen lie-                       Abwertung bestimmten spannungsvol-
fern vor allem tiefer gehende Befunde zu                    len Beziehungen mit solchen Schülerin-
den Ausprägungen und Wirkungen der                          nen und Schülern, die dem beruflichen
langjährigen      Klassenlehrer-Schüler-Be-                 Habitus ihres Waldorflehrers diametral
ziehungen, zu den biographischen Pro-                       widersprechen – sei es z.B. durch eine
fessionalisierungspfaden und zu den                         hohe Leistungsmotivation, frühe Autono-
alltagsrelevanten beruflichen Orientierun-                  miebehauptungen oder jugendkulturelle
gen von Klassenlehrern.                                     Orientierungen. Ein wichtiger Grund für
     Im Vergleich zu anderen reformpäda-                    diese diskrepanten Beziehungsverläufe
gogischen Schulmodellen37 konfrontiert                      liegt in der unterschiedlichen Einstellung
die Klassenlehrerrolle an Waldorfschu-                      der Schüler auf die berufsbiographisch
len die Professionellen mit besonders                       geprägten Autoritätskonzepte ihrer Klas-
hohen Anforderungen an die Gestaltung                       senlehrpersonen. In allen rekonstruierten
eines pädagogischen Arbeitsbündnisses.                      Beziehungen geht es nicht zuletzt um den
Helsper, Ullrich u. a. 38 haben in umfang-                  Umgang der frühadoleszenten Schüler mit
reichen Fallstudien untersucht, wie dieses                  den Machtformationen und Geschlechter-
personale Erziehungsverhältnis mit seinem                   konstruktionen ihrer Klassenlehrer, die an
besonderen Anspruch auf Autorität und                       Waldorfschulen fachlich und pädagogisch
emotionale Nähe zwischen frühadoleszen-                     so „entgrenzt“ erscheinen wie an keiner
ten Waldorfschülern und ihren Klassenleh-                   anderen Schulform der Sekundarstufe.
rern realisiert wird, von welchen sie fast                  Die Fallstudien zeigen auch die proble-
acht Jahre lang ununterbrochen unterrich-                   matische Tendenz von Waldorfklassenleh-
tet worden sind. Als ein zentraler Befund                   rern, ihre Nähe-Wünsche zur kindlichen
der Fallrekonstruktionen lässt sich fest-                   Schülerperson bis in die Adoleszenz hin-
halten, dass Waldorfschulen durch ihre                      ein aufrecht erhalten zu wollen und damit
besondere pädagogische Prägung soziale                      ungewollt die nunmehr anwachsenden
Räume und Atmosphären bieten, in denen                      Autonomiepotenziale und fachlichen An-
langjährige Klassenlehrer-Schüler-Bezie­                    sprüche einzuschränken. In den letzten
hungen so intensiv ausgestaltet werden                      Jahren der Klassenlehrerzeit entstehen da-
können, dass sie die an öffentlichen Schu-                  durch auch Bindungs- und Ablösungspro-
len gängigen Rollenerwartungen weit                         bleme, die den Übergang in die fachlich
transzendieren. Die Fallstudien machen                      anspruchsvollere Oberstufe für viele Schü-
insgesamt aufmerksam auf die kontextu-                      lerinnen und Schüler beschweren können.
ellen Voraussetzungen von harmonischen                      Die Kritik an der mangelnden Fachlichkeit

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und der überlangen Dauer der Klassen-                       Wissens in einem stärker gemeinschaftli-
lehrerzeit ist deshalb notorisch.                           chen Rahmen geht und das (5.) „Patriar-
    In ihrer fallorientierten Klassenlehrer-                chales Prinzip“ mit der Fokussierung von
studie kann Kunze 39 eindrucksvoll ver-                     Lehrerautorität und Fürsorge für die Schü-
deutlichen, wie tief- und weitreichend                      ler sowie der Betonung der Bedeutung von
deren professionelle Orientierungen und                     Regeln und Ordnung40. Die handlungslei-
Deutungen in ihrem jeweiligen biographi-                    tenden Habitus-Muster der Lehrpersonen
schen Sinnhorizont wurzeln. Den beiden                      haben gemäß diesem Konzept also jeweils
zentralen Lehrpersonen gemeinsam ist                        einen bestimmten Ort im sozialen Raum.
eine hochgradige Selbstbezüglichkeit bei                         Sicher lassen sich unter der sehr hetero-
der lebensgeschichtlich vergleichsweise                     genen Waldorfklassenlehrerschaft auch
späten Entscheidung für den Waldorfklas-                    einige der hier vorgestellten milieuspe-
senlehrerberuf. Die dargelegten Befunde                     zifischen Habitus-Muster identifizieren.
belegen überzeugend die grundlegende                        Aussichtsreicher erscheint es indes,
und maßgebende Funktion der biographi-                      angesichts der oben festgestellten au-
schen Ressourcen als einer „generativen                     ßergewöhnlich vielfältigen Wege in den
Matrix“ für die Ausbildung der durchaus                     Lehrerberuf nach den bildungsgangs-
unterschiedlichen Formen des beruflichen                    pezifisch bzw. berufsbiographisch ge-
Habitus in diesem speziellen Lehrberuf.                     prägten Formen des Lehrerhabitus bei
    Das Konzept des Lehrerhabitus ver-                      Waldorfklassenlehrern zu fragen. Für die
weist noch stärker auf die impliziten Wis-                  uns bisher vorliegenden fünf Fallstudien41
sensformen, Wahrnehmungsweisen und                          gilt, dass keine Klassenlehrerperson eine
Haltungen, mit denen Lehrpersonen den                       grundständige       waldorfschulspezifische
Anforderungen ihres beruflichen Feldes                      Ausbildung absolviert hatte. Eine Klas-
begegnen – bezüglich der Unterrichtsge-                     senlehrerin war Quereinsteigerin aus
staltung, der Fachlichkeit, der Leistungs-                  dem staatlichen Lehramt, die übrigen vier
beurteilung, der Ordnung und Disziplin                      waren Seiteneinsteiger aus anderen Beru-
und der Beziehungen mit den Schülern                        fen. Sie hatten sich über berufsbegleiten-
(vgl. Helsper 2019). Die Formen des Leh-                    de Seminarkurse zum Waldorfpädagogen
rerhabitus sind milieu-, schulform- und bil-                ausbilden lassen. Studien zu Seiteneinstei-
dungsgangspezifisch geprägt. Bisherige                      gern42 zeigen, dass diese Lehrergruppe
Fallstudien zeigen: Das Spektrum der mi-                    zwar außerschulische Berufserfahrungen
lieuspezifischen Habitus-Muster erstreckt                   in Schulleben und Unterricht mit einbrin-
sich in den akademisch gebildeten „obe-                     gen können, ihr Lehrerhabitus aber eng
ren“ Milieus von einer (1.) reformpädago-                   an ihren Schülerhabitus aus der eigenen
gischen Fraktion mit der Akzentuierung                      Schulzeit und die damit einhergehenden
der freien Entfaltung der Persönlichkeit                    Orientierungen gebunden bleibt. Diese
über eine (2.) gymnasiale Fraktion mit                      können durchaus sozialer und pädagogi-
einem hohen fachlichen Anspruch und der                     scher Art sein, führen aber auch in spi-
Akzentuierung erfolgreicher Leistung bis                    rituell-philosophische, ästhetische oder
zur (3.) Fraktion des rationalen Wissens-                   handwerklich-technische Bereiche.
managements, bei der es um die Qualifi-
zierung für Karriere sowie die Sicherung
von Macht und Besitz geht. In den „mittle-                  6. Fazit
ren“ Milieus treffen wir die Fraktionen (4.)
„Aufstieg durch Leistung“, bei der es pri-                  Der normative Rollenentwurf des Waldorf-
mär um die Vermittlung lebenspraktischen                    klassenlehrers trägt anachronistische und

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paradoxale Züge: Auf der strukturellen                      mitgebrachten impliziten Wissensbestän-
Ebene seiner Berufsrolle begegnen wir                       den, Orientierungen und Praxen – und den
immer noch dem Volksschullehrer aus der                     hier aufgezeigten Grenzen der gewählten
Ära des Spätherbartianismus, der fast alle                  Lehrerrolle.
Schulfächer lehrt und nach dem Modell
„Dogma und Handwerk“ einphasig pra-
xisbezogen ausgebildet wird. Die Schritte
der Modernisierung dieser Rolle an öffent-                  Anmerkungen
lichen Schulen durch fachliche Spezialisie-                 *     Selbstverständlich ist beim Gebrauch des
rung und Wissenschaftsorientierung sind                           generischen Maskulinums das weibliche Ge-
für diese Lehrerrolle an Waldorfschulen                           schlecht stets mitgemeint.
im Grunde bis heute nicht mitvollzogen                      1     Vgl. zum Folgenden Neuffer, Helmut (Hrsg.)
worden. Die Ursache dafür liegt in ihrer                          (2000): Zum Unterricht des Klassenleh-
bedingungslosen Verknüpfung mit der von                           rers an der Waldorfschule. Ein Kompendi-
                                                                  um. 2. Aufl. Stuttgart: Freise Geistesleben;
Steiner theosophisch begründeten norma-
                                                                  Ullrich. Heiner (2015): Waldorfpädagogik.
tiven Entwicklungslehre43. Durch die spiri-                       Eine kritische Einführung. Weinheim, Basel:
tuelle und quasi-therapeutische Aufladung                         Beltz; Riethmüller, Walter (2016): Professi-
dieser monarchischen Lehrerrolle kommt                            onstheoretische Überlegungen zum Beruf
es schon auf der programmatischen                                 des Waldorfklassenlehrers. In: Schieren, J.
Ebene zu einer Fokussierung auf die Be-                           (Hrsg.): Handbuch Waldorfpädagogik und
ziehungsdimension, die eine Entgrenzung                           Erziehungswissenschaft. Weinheim, Basel:
                                                                  Beltz, S. 621 ff.
des pädagogischen Handelns zur Folge
                                                            2     Vgl. Jeuken, Matthias / Lutzker, Peter (2019):
haben kann. Denn die Balancen zwischen                            Lehrerbildung für Waldorfschulen: Das
den Polen Nähe und Distanz sowie zwi-                             waldorfpädagogische Studium. In: Wiehl,
schen Person und Sache werden in den                              Angelika (Hrsg.): Studienbuch Waldorf-
Lehrer-Schüler-Beziehungen tendenziell                            Schulpädagogik. Bad Heilbrunn: Klinkhardt,
einseitig aufgelöst. Um den damit verbun-                         S. 291 ff.
                                                            3     Vgl. Neuffer, Helmut a.a.O.; www.waldorf-
denen Risiken interaktiver Verstrickungen
                                                                  ideen-pool.de.
und mangelnder Fachlichkeit begegnen zu                     4     Zdrazil, Tomas (2016): Hochschule im Sinne
können, brauchen Waldorfklassenlehrer                             der Waldorfpädagogik. Überlegungen zur
einen professionellen Habitus, den sie an-                        Konzeption der Lehrer- und Hochschulbil-
gesichts der außergewöhnlichen Hetero-                            dung bei Rudolf Steiner. In: RoSE. Research
genität ihrer berufspädagogischen Wege                            on Steiner Education 7 (1), S. 99.
in den Lehrerberuf und der Kürze der                        5     Vgl. Steiner, Rudolf (1987): Luzifer-Gnosis.
                                                                  Grundlegende Aufsätze zur Anthroposophie
seminaristischen Ausbildung in der Regel
                                                                  und Berichte aus den Zeitschriften „Luzifer“
nicht schon mitbringen. Aus strukturtheo-                         und „Luzifer-Gnosis“ 1903-1908. GA 34.
retischer Sicht stellen sich wissenschaft-                        Dornach: Rudolf Steiner-Verlag.
liche Anforderungen „(1) zur Gestaltung                     6     Vgl. Frielingsdorf, Volker (2019): Geschichte
eines pädagogischen Arbeitsbündnisses,                            der Waldorfpädagogik. Von ihrem Ursprung
(2) zum Fallverstehen, (3) zur Anregung,                          bis zur Gegenwart. Weinheim, Basel: Beltz,
Wahrnehmung und Begleitung von Bil-                               S. 49.
                                                            7     Ebd. S.73.
dungsprozessen sowie (4) zu einer grund-
                                                            8     Vgl. Steiner, Rudolf (1984): Erziehungskunst.
legenden Reflexionsfähigkeit“44. Auf dieser                       Seminarbesprechungen und Lehrplanvorträ-
Grundlage kann dann auch eine wissen-                             ge. GA 295. Dornach: Rudolf Steiner-Verlag;
schaftlich-reflexive   Auseinandersetzung                         Steiner, Rudolf (1990): Erziehungskunst. Me-
erfolgen mit den aus der eigenen Schü-                            thodisch-Didaktisches. GA 294. Dornach:
lerzeit und den vorherigen Berufsfeldern                          Rudolf Steiner-Verlag; Steiner, Rudolf (1992):

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Allgemeine Menschenkunde als Grundlage                      Weltanschauung und gesellschaftliche Praxis
     der Pädagogik. GA 293. Dornach: Rudolf                      1884-1945. 2. Aufl. Göttingen: Vandenhoeck
     Steiner-Verlag.                                             & Ruprecht., S. 1407.
9    Lundgreen, Peter (2011): Pädagogische Pro-            23    Vgl. dazu auch Grosse, Rudolf, zit. n. Prange,
     fessionen. Ausbildung und Professionalität in               Klaus (2000): Erziehung zur Anthroposophie.
     historischer Perspektive. In: Helsper, Werner /             Darstellung und Kritik der Waldorfpädagogik.
     Tippelt, Rudolf (Hrsg.): Pädagogische Pro-                  3. Aufl. Bad Heilbrunn: Klinkhardt, S. 148..
     fessionalität. Weinheim, Basel: Beltz (Zeit-          24    Riethmüller, Walter (1993): Der Klassenlehrer
     schrift für Pädagogik 57. Beiheft), S. 24.                  an einer Waldorfschule. In: Leber, S. (Hrsg.):
10   Zymek, Bernd (1989): Schulen, Hochschu-                     Waldorfschule heute. Einführung in die Le-
     len, Lehrer. In: Langenwiesche, Dieter /                    bensformen einer Pädagogik. Stuttgart: Frei-
     Tenorth, Heinz-Elmar (Hrsg.): Handbuch der                  es Geistesleben, S. 253.
     deutschen Bildungsgeschichte. Bd. V, 1918-            25    Ebd. S 260.
     1945. München: C.H. Beck, S. 166.                     26    Ebd. S. 261.
11   Vgl. Neumann, Dieter / Oelkers, Jürgen                27    Riethmüller (2016), a.a.O., S. 637.
     (1984): „Verwissenschaftlichung“ als Mythos.          28    Ebd.
     Legitimationsprobleme der Lehrerbildung in            29    Ebd. S.635.
     historischer Perspektive. In: Zeitschrift für         30    Ebd. S. 640.
     Pädagogik 30, S. 229 ff.                              31    Vgl. Tettenborn, Anette (2010): Die Klassen-
12   Vgl. Fiege, Hartmut (1970): Geschichte der                  lehrperson im Fokus verschiedener Ansprü-
     hamburgischen Volksschule. Bad Heilbrunn:                   che – Erster Versuch einer Neubestimmung.
     Klinkhardt, Hamburg: Verlag Erziehung und                   In: Beiträge zur Lehrerbildung 28 (3),
     Wissenschaft, S. 49.                                        S. 416 ff.
13   Vgl. Neumann / Oelkers a.a.O., S. 247.                32    Randoll, Dirk (2013) (Hrsg.): „Ich bin Waldor-
14   Vgl. Caruso, Marcelo (2021): Vorteil des Un-                flehrer“. Einstellungen, Erfahrungen, Dis-
     gefähren. Bildungshistoriographie und die                   kussionspunkte. Eine Befragungsstudie.
     Konzeptualisierung von Jahrgangsklassen. In:                Wiesbaden: Springer VS.
     Zeitschrift für Pädagogik 67, H. 2, S. 213 ff.        33    Kuttner, Susanne/ Martzog, Philipp / Pollak,
15   Vgl. Schubert, R. (1897): Konzentration. In:                G. (2014): Berufswahlmotive und Bildungs-
     Rein, Wihelm (Hrsg.): Encyklopädisches                      vorstellungen angehender Lehrkräfte an
     Handbuch der Pädagogik. Langensalza: Her-                   Regel- und Waldorfschulen. In Research on
     mann Beyer u. Söhne, Bd. 4, S. 205 ff.                      Steiner Education 5, 2, pp. 141 ff.
16   Steiner, zit. n. Neuffer a.a.O., S. 1171.             34    Barz, Heiner / Randoll, Dirk (Hrsg.)(2007):
17   Steiner, zit. n. Kiersch, Johannes (1973): Die              Absolventen von Waldorfschulen. Eine empi-
     Waldorfpädagogik. 3. Aufl. Stuttgart: Freies                rische Studie zu Bildung und Lebensgestal-
     Geistesleben, S. 22.                                        tung. 2. Aufl. Wiesbaden: VS-Verlag.
18   Pädagogische Sektion der Freien Hochschu-             35    Randoll, Dirk / Peters, Jürgen (2021): „Wir
     le für Geisteswissenschaft am Goetheanum                    waren auf der Waldorfschule“. Ehemalige als
     (Hrsg.)(1997): Zur Unterrichtsgestaltung                    Experten in eigener Sache. Weinheim, Basel:
     vom 1. Bis zum 8.Schuljahr an Waldorf/Ru-                   Beltz Juventa.
     dolf-Steiner-Schulen. 2. Aufl. Dornach: Verlag        36    Randoll, Dirk / Graudenz, Ines / Peters,
     am Goetheanum, S. 22..                                      Jürgen (2014): Die Klassenlehrerzeit an
19   Leber, Stefan (1996): Gesichtspunkte zur                    Waldorfschulen aus Sicht von Schülern –
     Sozialerziehung. In: Bohnsack, Fritz / Leber,               Eine Explorationsstudie. In: RoSE. Research
     Stefan (Hrsg.): Sozial-Erziehung im Sozi-                   on Steiner Education 5, 2, pp. 73 ff.
     al-Zerfall. Grundlagen, Kontroversen, Wege.           37    Helsper, Werner (2017): Lehrer-Schüler-Be-
     Weinheim, Basel: Beltz, S. 194.                             ziehungen in reformpädagogischen Schu-
20   Kiersch, a.a.O., S. 19.                                     len. In: Idel, Till-Sebastian / Ullrich, Heiner
21   Rudolf Steiner (1989): Die pädagogische                     (Hrsg.): Handbuch Reformpädagogik. Wein-
     Praxis vom Gesichtspunkte geisteswissen-                    heim, Basel. Beltz; S. 353 ff.
     schaftlicher Menschenerkenntnis. GA 306.              38    Helsper, Werner / Ullrich, Heiner / Stelmas-
     Dornach: Rudolf Steiner-Verlag, S.123 ff.                   zyk, Bernhard / Höblich, Davina/ Graßhoff,
22   Steiner, zit. n. Zander, Helmut (2007): Anth-               Gunther / Jung, Dana (2007): Autorität und
     roposophie in Deutschland. Theosophische                    Schule. Die empirische Rekonstruktion der

58                                      Pädagogische Rundschau                                           1 / 2022

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