Eine kalte Nacht draußen im Freien - Was die Teilnehmer bei unserem - 2,20 EUR - Hempels
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
2,20 EUR davon 1,10 EUR # 285 für die Ver- Januar 2020 käufer/innen Das Straßenmagazin für Schleswig-Holstein Eine kalte Nacht draußen im Freien Was die Teilnehmer bei unserem Draußenschlafen in Wacken erlebt haben
Liebe Leserinnen, liebe Leser, wer dabei war, wird diesen Tag bestimmt nicht so schnell vergessen: Anfang De- zember hatten wir zusammen mit den Machern des Wacken Open Air zu einem Drau- ßenschlafen aufgerufen, um so auf die Not obdachloser und wohnungsloser Menschen aufmerksam zu machen und Spenden für unsere Stiftung »HEMPELS hilft wohnen« zu sammeln. Regen, kalter Wind – trotz wirklich mieser äußerer Umstände kamen rund 100 Teilnehmende, die Hälfte davon übernachtete unter freiem Himmel. Toll war auch, dass sich etwa 20 Bewohner aus Wacken spontan unter die Gäste mischten. Alle erfuhren am eigenen Leib, was es bedeutet, auch in dieser Jahreszeit draußen leben zu müssen. Noch bis Ende Januar besteht die Möglichkeit, im Rahmen dieses »sleep out« für unser Wohnprojekt zu spenden. Sie können Ihren Beitrag auch auf unser reguläres Spendenkonto überweisen, das Sie auf Seite 36 finden. Das Ergebnis werden wir ab Anfang Februar auf unserer Homepage veröffentlichen sowie anschließend in unserer März-Ausgabe. Einen großen Bericht mit vielen Fotos vom Draußenschlafen in Wacken finden Sie bereits in diesem Heft ab Seite 10. Was sonst noch wichtig ist? Im Namen unserer vielen Verkäuferinnen und Ver- käufer wünschen wir allen Leserinnen und Lesern, Anzeigenkunden und Förderern ein erfolgreiches und friedvolles Jahr 2020! Ihre HEMPELS -Redaktion gewinnspiel sofarätsel Gewinne Auf welcher Seite dieser HEMPELS-Ausgabe versteckt 3 x jeweils der Roman »Flutgebiet« von Malte Borsdorf, sich das kleine Sofa? Wenn Sie die Lösung wissen, dann erschienen im Müry Salzmann Verlag. Im Dezember war schicken Sie die Seitenzahl an: raetsel@hempels-sh.de das kleine Sofa auf Seite 26 versteckt. Die Gewinner oder: HEMPELS, Schaßstraße 4, 24103 Kiel. Teilnehmende werden im Februar veröffentlicht. erklären sich einverstanden, dass im Falle eines Gewinns ihr Name in HEMPELS veröffentlicht wird. Im November haben gewonnen: Holger Pieplau (Kronshagen), Erika Riecken (Lübeck) und Ingrid Vedder Einsendeschluss ist der 31.01.2020. ( Tetenbüll) je ein Buch der Ullstein Verlagsgruppe. Allen Gewinnern Der Rechtsweg ist wie immer ausgeschlossen. herzlichen Glückwunsch! 2 | inh a lt Hempel s # 2 85 1/2 02 0
Titel EINE kalte NACHT DrauSSen im freiEN Titelfoto: M.H. Photomedia Um auf die Not obdachloser Menschen aufmerksam zu ma- chen, hat eine schottische Initiative vor zwei Jahren ein welt- weites winterliches Draußenschlafen ins Leben gerufen. Zu- sammen mit den Machern des Wacken Open Air haben wir von HEMPELS vergangenen Dezember die einzige deutsche Veranstaltung dazu organisiert. Ein Erfahrungsbericht. se i t e 10 das Leben in zahlen auf dem sofa 4 Ein etwas anderer Blick 34 Verkäufer Elena-Maria aus auf den Alltag Damp und Edi aus Satrup bild des monats Inhalt 6 Labertaschen 2 Editorial 31 rezept 32 CD-Tipp; Buchtipp; Kinotipp 33 Service: Mietrecht; Sozialrecht Schleswig-Holstein Sozial 36 Leserbriefe; Impressum 8 Meldungen 37 Verk äufer in anderen LÄNDERN; Meldung 9 Darf ich das? Gewissensfragen im Alltag 38 Sudoku; K arik atur 20 »Das wäre doch gelacht«: Schüle- rinnen helfen jungen Patienten 39 Satire: Scheibners Spot 26 Alle kostenlosen Arzttermine in SH 27 Armutsforscher Butterwegge: 15 Jahre Hartz IV 28 HEMPELS-Trinkraum in neuem Gewand 30 Wie ich es sehe: Kolumne von Hans-Uwe Rehse Bitte kaufen Sie HEMPELS nur bei Verkäufern, die diesen Ausweis sichtbar tragen He mpe l s # 2 85 1/2 02 0 inh a lt | 3
das leben in zahlen Arme Familien geben für Kinder viel weniger aus Klar ist, dass Familien mit hohem Einkommen mehr Geld für ihre Kinder ausgeben können. Der Paritätische Gesamtverband hat errechnet, wie groß die Unterschiede zwischen reichen und armen Familien sind. Ausgewertet hat der Verband die alle fünf Jahre stattfindende Einkommens- und Verbrauchsstichprobe des Statistischen Bundesamtes. Die Daten stammen aus 2013, neuere gibt es noch nicht. Danach standen den einkommensstärksten 10 Prozent aller Paare mit einem Kind monatlich 8642 Euro zur Verfügung, den untersten 10 Prozent nur 1550. Die obersten 10 Prozent gaben für ihr Kind durchschnittlich 1200 Euro aus, die untersten nur 364. pb 1200 € 364 € Oberste 10 %: 1200 Euro für 1 Kind Unterste 10 %: 364 Euro für 1 Kind 4 | das l ebe n in z a hl en Hempel s # 2 85 1/2 02 0
Kinderreiche Familien häufiger von Armut bedroht Das Armutsrisiko bei kinderreichen Familien hat sich in Deutschland in den vergangenen Jahren erhöht. Im Jahr 2018 betrug die Armutsrisikoquote bei Paaren mit 3 oder mehr Kindern 30 Prozent. 10 Jahre davor waren es 24,5 Prozent. Die Zahlen stammen aus einer Antwort des Bundessozialministeriums auf eine Anfrage der Linken im Bundestag. Das Sozialministerium erklärt diese Entwicklung mit der gestiegenen Zuwanderung. Neu zugewanderte Menschen würden sich »zunächst eher am unteren Ende der Einkommensverteilung« einsortieren. PB Foto: Pixabay He mpe l s # 2 85 1/2 02 0 das l ebe n in z a hl e n | 5
Labertaschen Manchmal möchte man für ein paar schöne Momente einfach nur noch raus aus dem Alltag, möchte für sich allein sein, weg sein von all den intriganten Ehrgeizlingen, denen man sich ausge- liefert wähnt in Job und vielleicht auch Freizeit. Die beiden Labertaschen bei- spielsweise, die da hinten auf dem Büro- flurende gerade so vertraulich gedämpft miteinander tuscheln, die tratschen doch jetzt bestimmt wieder. Würde man selbst natürlich nie tun. Oder etwa doch? Gerade hat man über eine Studie lesen können, dass tatsächlich jeder Mensch tratscht und klatscht. Kalifornische Psychologen hatten 500 Probanden mehrere Tage mit Aufnahmegeräten am Körper aus- gestattet und die aufgezeichneten Un- terhaltungen ausgewertet. Ergebnis: Bei einem 16-Stunden-Tag wird knapp eine Stunde lang – 52 Minuten – getratscht. Junge Menschen lästern etwas mehr als ältere, Frauen mehr als Männer, aber nur ein klein wenig mehr. Außerdem: Frau- enklatsch und -tratsch ist meist neutral und selten wertend. Denn wenn Frau- en sich miteinander unterhalten, dann häufig einfach über soziale Themenbe- Foto: REUTERS / Shamil Zhumatov reiche. Und, bedeutender noch sowohl bei Frauen wie Männern: Klatsch und Tratsch erfüllen wichtige Funktionen. Demnach helfen sie, Freundschaften auszubauen und schaffen Vertrauen zu- einander. Der Mensch labert also nur deshalb so viel, weil er das als die Ge- meinschaft zusammenhaltenden sozia- len Kitt versteht. PS: Schon etwas länger in diesem Zu- sammenhang nichts mehr zu Mobbing- studien gelesen. Wäre doch bestimmt mal wieder ein lohnendes Forschungs- sujet, liebe Psychologen. PB He mpe l s # 2 85 1/2 02 0 bil d de s mon at s | 7
meldungen Hamburg: Duschbus für Obdachlose im Einsatz Engagements. Die Zahl der geleisteten Stunden sei von 24 Vergangenen Dezember hat der Hamburger Duschbus für Millionen auf 20 Millionen zurückgegangen. PB Obdachlose seinen Betrieb aufgenommen. In dem umge- bauten Linienbus können sich Bedürftige in drei voll ausge- +++ statteten Badezimmern waschen. Zunächst soll der Bus drei feste Standorte an vier Tagen in der Woche für jeweils fünf Arbeitsmarktentwicklung ohne Auswirkung auf Armut Stunden ansteuern. Betrieben wird der Duschbus von der Obwohl sich die Arbeitsmärkte in vielen Industrieländern eigens gegründeten gemeinnützigen »GoBanyo« GmbH. Ziel deutlich erholt haben, hat das auf die Armutsquoten keine ent- ist, weitere Standorte und mehr Tage pro Woche anzubieten. scheidenden Auswirkungen. Das geht aus einer Untersuchung Initiiert wurde der Bus vom ehemaligen Obdachlosen Domi- der Bertelsmann Stiftung in 41 Ländern der EU und OECD nik Bloh. »Waschen ist Würde«, so Bloh. Finanziert wurde hervor, über die Medien jetzt berichtet haben. In 25 Staaten das Projekt vor allem durch Crowdfunding. epd stagniere das Armutsrisiko oder sei bis 2018 sogar gewachsen. Kinder seien häufiger betroffen als ältere Menschen. Vor allem +++ Teilzeitjobs und ein größerer Anteil an Beschäftigten im Nied- riglohnsektor seien Grund für das Missverhältnis zwischen Armutsquote nur leicht gesunken Arbeitsmarktentwicklung und Armutsdaten. PB Die Armutsquote betrug 2018 im Bundesdurchschnitt 15,5 Prozent. Gegenüber dem Vorjahr ist das zwar ein leichter +++ Rückgang um 0,3 Prozentpunkte. Doch trotz der jahrelang guten Konjunktur liegt die Quote immer noch einen Pro- Zahl der Hungernden weltweit gestiegen zentpunkt höher als vor zehn Jahren. Das geht aus dem jetzt Laut der Deutschen Welthungerhilfe ist die Zahl der weltweit vom Paritätischen vorgelegten Armutsbericht hervor. Bei hungernden Menschen erneut gestiegen. 2018 waren 822 der Berechnung der Armutsquoten zählt jede Person als ein- Millionen Menschen betroffen, 2015 waren es 785 Millionen. kommensarm, die mit ihren Einkünften unter 60 Prozent Zudem leiden weitere rund zwei Milliarden Menschen unter des mittleren Einkommens liegt. Die Armutsschwelle für Mangelernährung. Als sehr ernst wird die Lage in Jemen, einen Single betrug 2018 1.035 Euro, für einen Paarhaushalt Sambia, Madagaskar und dem Tschad angesehen. Der Klima- mit zwei Kindern unter 14 Jahren 2.174 Euro (Alleinerzie- wandel wird als besonderes Risiko genannt. Besonders Länder, hende: 1.656 Euro). EPD in denen schon heute viele Menschen hungern, seien von den Auswirkungen am stärksten betroffen. PB +++ +++ Mehr Rentner nutzen die Tafeln Die Zahl der Menschen, die sich bei einer der knapp 950 Ta- Weitere Nachrichten finden Sie auf unserer Homepage: feln in Deutschland mit Lebensmitteln versorgen, ist erneut www.hempels-sh.de gestiegen. Laut Bundesverband der Tafeln nutzen mittler- weile rund 1,65 Millionen Menschen diese Einrichtung, zehn Prozent mehr als noch vor einem Jahr. Die Zahl der Rentner ist sogar um 20 Prozent auf 430.000 gestiegen. Zugleich kämpfen die Tafeln mit einem Rückgang des ehrenamtlichen HEMPELS IM RADIO Jeden ersten Montag im Monat ist im Offenen Kanal Lübeck das HEMPELS-Radio zu hören. Nächster Sendetermin ist am 6. Januar ab 17.05 bis 18 Uhr. Wiederholt wird die Sendung am darauf folgenden Dienstag ab 10 Uhr. Das HEMPELS-Radio bietet einen Überblick über einige wichtige Themen des aktuellen Heftes und will zugleich Einblicke in weitere soziale Themen aus der Hansestadt ermöglichen. Zu empfangen ist der Offene Kanal im Großraum Lübeck über UKW Frequenz 98,8. Oder online über den Link »Livestream« auf www.okluebeck.de 8 | me l dungen Hempel s # 2 85 1/2 02 0
gewissensfragen im alltag Darf ich das? Foto: Luitgardis Parsie Foto: Dirk Sander Foto: NDR Klaus Hampe Luitgardis Parasie Sabine Hornbostel Frage eines Mannes: Ich schreibe für die Zeitschrift eines oniert ja! Der Psychotherapeut Paul Watzlawik hat beob- großen Vereins. Eine schöne Aufgabe, wäre da nicht dieser achtet: Bei Dauerproblemen neigen Menschen dazu, mehr Kollege. Immer wieder entdecke ich Fehler in seinen desselben zu tun. Also die gleiche Strategie zu fahren wie Beiträgen, die ich dann korrigiere. Und das ärgert mich. immer, nur verstärkt. So wie Sie: Noch mehr ermahnen, Eigentlich muss jeder selbst seine Seiten Korrektur lesen. noch mehr korrigieren. Das aber, sagt Watzlawik, nützt Das habe ich ihm auch schon mehrfach gesagt, ohne Erfolg. gar nichts. Wenn man etwas erreichen will, muss man die Neulich habe ich wieder mal ein paar Fehler entdeckt und Strategie ändern. sie korrigiert. Meine Frau meint, ich müsste den Kollegen Was wäre denn passiert, wenn Sie den Fehler drin gelas- einfach mal auflaufen lassen. Aber damit hätte ich ein sen hätten? Es hätte Ihrem Kollegen doch wahrscheinlich schlechtes Gewissen. keiner den Kopf abgerissen. Womöglich hätte er sich selber am meisten geärgert und mal darüber nachgedacht, dass Luitgardis Parasie: Sie haben recht, im Prinzip ist es er seine eigenen Texte künftig doch sorgfältiger Korrek- richtig, einen anderen auf einen Fehler hinzuweisen be- tur lesen sollte. Also, vielleicht haben Sie einen wertvollen ziehungsweise ihn zu korrigieren. Es tut unserem Mitei- Lerneffekt verschenkt. nander gut, wenn der eine auf den anderen achtet und ihn Es wäre jedoch fair, ihm so eine neue Strategie anzukün- davor schützt, ins offene Messer zu laufen. digen: »Du, ab jetzt werde ich deine Seiten nicht mehr lesen Ich werde aber stutzig, weil Sie schreiben: Das är- und korrigieren.« So mit offenen Karten zu spielen, würde gert mich. Ihr Ärger ist ein Zeichen, dass etwas geändert auch Ihr Gewissen beruhigen. Aber glauben Sie mir: Ernst werden muss. Sie fühlen sich sehr verantwortlich für nehmen wird Ihr Kollege das erst, wenn Sie es dann auch diese Zeitschrift und für Ihren Kollegen. Und je mehr Sie wirklich lassen. Verantwortung übernehmen, desto mehr lässt er die Dinge schleifen. Und desto mehr müssen Sie wiederum ausbügeln und machen das auch brav. Sie ermahnen ihn, aber es hilft nichts. Wozu sollte er denn auch etwas ändern? Es funkti- »Darf ich das ? Gewissensfragen im Alltag« ist ein Nachdruck einer R adio-Rubrik der E vangelischen K irche im NDR. Im regelmäS Sigen Wechsel beantworten K l aus Hampe, L eiter der Öffentlichkeitsarbeit des E vangelisch- lutherischen Missionswerks in Niedersachsen, Luitg ardis Par asie, Pastorin und Buchautorin, sowie Sabine Hornbos tel , L ektorin und T herapeutin, F ragen zur Alltagsethik . Mehr dazu unter www.radiokirche.de He mpe l s # 2 85 1/2 02 0 ge wis sensf r age n im A l ltag | 9
Rubrik titel Eine Nacht drauSSen im freien Im Dezember haben wir in Wacken das deutschlandweit einzige »sleep out« unter freiem Himmel veranstaltet, um auf die Not obdachloser Menschen aufmerksam zu machen. Auch ein HEMPELS-Reporter war dabei TEXT: GEORG MEGGERS FOTOS: M.H. PHOTOMEDIA (7), GEORG MEGGERS, ANDY STOKES Mein Schlafsack soll besonders Wie man auf so eine Idee kommt? Nun, kälteresistent sein – so steht es zumin sie stammt nicht von mir – doch sie hat dest auf dem Etikett. Trotzdem friere mich überzeugt. Die Idee geht so: Seit ich, als ich aufwache. Es ist dunkel, zwei Jahren organisiert die schottische erst kurz vor drei Uhr. Viel zu früh, Initiative »World's Big Sleep Out« im um aufzustehen. Aber auch viel zu Winter ein Draußenschlafen, um auf ungemütlich, um weiterzuschlafen. Das die Not wohnungsloser Menschen liegt am Schlafplatz und der Jahreszeit: aufmerksam zu machen. Teilnehmende Ich habe auf einer matschigen Wiese der Events sammeln dabei Spenden für geschlafen. In Wacken, Schleswig- Projekte zugunsten Wohnungsloser. Holstein, unter freiem Himmel. Anfang Am 7. Dezember 2019 gab es weltweit Dezember. Kalter Wind, stundenlang an über 50 Orten ein Draußenschlafen Regen, einstellige Temperaturen: Dass – etwa in New York, London oder das nicht besonders gemütlich wird, war Hongkong. Und auch in Wacken: Dort absehbar. haben wir von HEMPELS zusammen 10 | t i t el Hempel s # 2 85 1/2 02 0
»Ich friere nicht leicht – und ich finde es super, dadurch meine Solidarität mit Obdachlosen zu zeigen«: Auch Teilnehmerin Angela Carstensen übernachtet in Wacken unter freiem Himmel. He mpe l s # 2 85 1/2 02 0 t i t e l | 11
Rubrik titel Wie auf diesem Bild vom »sleep out« in Hongkong gab es am 7. Dezember 2019 weltweit an über 50 Orten ein Draußenschlafen. In Charkiw in der Ukraine fand bei fünf Grad minus das kälteste »sleep out« statt. mit den Machern des Wacken Open Air Der Nachmittag zuvor: Einer, der Als wir in Wacken ankommen, das einzige »sleep out« in Deutschland viele Jahre nie in sein Zuhause konnte, fängt es gerade zu regnen an. Und es organisiert. ist Turan. Seit 1988 war er immer wieder wirkt nicht so, als würde es demnächst Über 10.000 wohnungslose oder für längere Zeit wohnungslos. Oft kam wieder aufhören. Trotzdem möchte von Wohnungslosigkeit bedrohte er bei Freunden unter, manchmal in Turan heute noch einmal draußen Menschen leben in Schleswig-Holstein, Notunterkünften. Viele Nächte aber übernachten. »Ich bin hier, um den Tendenz steigend – davon geht das musste er auf der Straße verbringen. Leuten klarzumachen, dass sich Diakonische Werk aus. Tausende, die Erst seit letztem Jahr hat er wieder in der Politik etwas ändern muss: keine eigene Wohnung haben, in die eine eigene Wohnung. Der 57-Jährige Wir brauchen mehr bezahlbaren sie sich zurückziehen könnten, wenn wohnt im Haus, das die HEMPELS- Wohnraum, damit die Menschen von es ihnen irgendwo zu ungemütlich ist. Stiftung vor zwei Jahren in Kiel gekauft der Straße kommen!« Dafür hat er Etliche finden einen vorübergehenden hat. Bevor das Event beginnt, sitzen einen blauen Schlafsack mitgebracht. Schlafplatz bei Freunden oder wir im Presseraum zusammen. Turan Neu ist der nicht. Als Turan noch auf Bekannten, manche müssen die erzählt mir, was es ihm bedeutet, nun der Straße lebte, trug er ihn stets bei Nächte auch draußen unter freiem eine eigene Wohnung zu haben: »Ich sich. Vor ein paar Monaten dann hat er Himmel verbringen. Auf die Not dieser kann mich duschen und rasieren, habe ihn in eine Ecke seiner neuen Wohnung Menschen soll mit dem Draußenschlafen Kühlschrank und Herd – ich kann gelegt. Als ich Turan frage, was er als aufmerksam gemacht werden. Und es mich also selbst versorgen. Und das ist Obdachloser erlebt hat, korrigiert er sollen Spenden gesammelt werden, um eigentlich das Schönste, was ich mir mich: Nicht was er erlebt, sondern Unterkünfte für sie zu schaffen. vorstellen kann!« was er überlebt habe – darum gehe es. 12 | t i t e l Hempel s # 2 85 1/2 02 0
»Meine Freunde von der Straße sind inzwischen tot. Alle. Meist erfroren.« Mit Turan gehe ich über das Gelände der Kuhle – so wird eine matschige Wiese zwischen Feldern und Knicks mit einem großen Lagerfeuer in der Mitte genannt. »Tausende Menschen in Schleswig-Holstein haben keine eigene Wohnung« 1990 fand hier das erste Wacken Open Air statt, mittlerweile dient es Trinkraum-Mitarbeiter Peter (li.) und HEMPELS-Redakteur während des großen Metal-Festivals Georg Meggers beim »sleep out« in Wacken. als Backstage-Bereich der Künstler. An diesem verregneten Dezembertag eines dafür hergerichteten LKW – Band«. Kaffee wird ausgeschenkt, ist die Kuhle Ort des deutschlandweit spielen am Nachmittag und Abend heiße Suppe angeboten. Und in ersten »sleep out«. Auf einer Bühne der ehemalige Straßenmusiker Tex Zelten haben Organisationen wie die – das heißt: auf der Ladefläche Brasket, Mutz sowie die »Radio Bob! Hamburger Obdachlosenhilfe »Engel in den Straßen« oder die »Barber Angels« – Friseurinnen und Friseure, die Obdachlosen sowie Bedürftigen Diskussionsrunden in Wacken kostenlos Haare und Bärte schneiden – Info-Stände aufgebaut. In zwei Gesprächsrunden wurde in burger Obdachlosenhilfe »Engel in den Zwischen den Auftritten der Wacken über die Themen Wohnungs- Straßen«, der früher obdachlos lebende Musiker wird auf der Bühne über und Obdachlosigkeit diskutiert. Alle Straßenmusiker Tex Brasket, der woh- Wohnungs- und Obdachlosigkeit waren sich einig, dass dringend etwas nungslose Aktivist Harald aus Bremen diskutiert. Auch Turan nimmt an einer getan werden muss und jeder mithel- sowie Peter und Turan aus Kiel. Per Gesprächsrunde teil, in der derzeit fen kann. Unter der Moderation von Videobotschaften zugeschaltet waren und ehemals Obdachlose über den Michael Frömter vom NDR diskutier- die Schauspieler Will Smith und Helen Alltag auf der Straße sprechen. Eine ten HEMPELS-Vorstand Jo Tein, Dr. Mirren sowie der Sänger Chris Martin wichtige Frage: Wie und wo können Johannes Lenhard von der Uni Cam- von Coldplay. Obdachlose aufs Klo gehen? »Das ist bridge, Tina Tewes von den Barber echt ein Problem – auch wenn viele, die Angels, Michael Weyh von der Ham- nie obdachlos waren, sich das vielleicht nicht vorstellen können«, sagt Turan. He mpe l s # 2 85 1/2 02 0 t i t e l | 13
titel In der Kuhle wurden für das »sleep Pfeife. Wie bekommt ihr die bei dem out« vier mobile Klos aufgestellt; Wetter bloß an, frage ich sie. »Wie wohl? daneben ein Raum mit Waschbecken Mit einem Feuerzeug!«, sagt Peter und und Seife – für die meisten Menschen lacht. wohl eine Selbstverständlichkeit. Jedoch nicht für alle, das macht Turan mir klar. Stört es ihn, dass heute auch Menschen über Obdachlosigkeit »Obdachlosigkeit ist sprechen, die sie selbst nie erfahren haben? Dass sie versuchen, mit ihrem das allerwichtigste Draußenschlaf-Event Obdachlosigkeit nachzuempfinden? »Nein, ich bin froh politische Thema« über jeden, der sich für Menschen auf der Straße einsetzt.« Während des Auftritts von Tex Brasket steht Turan direkt vor der Peter war nie obdachlos. »Ich hatte Bühne. Neben ihm Peter, Mitarbeiter zwar in meinem Leben manchmal des HEMPELS-Trinkraums in Kiel- keine eigene Wohnung, doch immer Gaarden. Es regnet seit Stunden das Glück, dass ich bei Freunden oder ohne Pause; trotz Mütze und Familie unterkommen konnte.« Das Regenjackenkapuze sind meine Haare Thema Obdachlosigkeit beschäftigt nass geworden. Während sie zur Musik den 48-Jährigen fast täglich: In unserem mitwippen, steckt sich Peter eine Trinkraum spricht er häufig mit Selbstgedrehte an und Turan seine Menschen ohne eigene Wohnung oder Spenden bis Ende Januar Beim deutschlandweit ersten »sleep Das Ergebnis werden wir anschließend out« wurden auch Spenden gesammelt: in HEMPELS veröffentlichen. Und auch Der Erlös wird zu einer Hälfte unsere das ist ein Erfolg des Events: Verschie- Stiftung »HEMPELS hilft wohnen« dene Medien waren beim »sleep out« in unterstützen, die andere Hälfte ist für Wacken und haben auf das wichtige The- sogar ohne Obdach. Oft hat er erlebt, die weltweiten Projekte des schotti- ma der Wohnungslosigkeit aufmerksam dass Obdachlose früh sterben. »Eine schen Initiativträgers bestimmt. Noch gemacht. So haben etwa der NDR, Radio Wohnung zu haben ist existenziell: bis zum 31. Januar können Sie, liebe Bob oder die Norddeutsche Rundschau Ohne Wohnung findest du keine Arbeit, Leserinnen und Leser, sich mit Ihrer über unsere Veranstaltung berichtet. bekommst kein Geld, kein Essen – Spende beteiligen: dann ist alles scheiße!« Warum er beim Zahlungsempfänger: HEMPELS e.V. »sleep out« mitmacht? »Weil ich meinen Verwendungszweck: sleep out Mund so schlecht halten kann. Ich muss IBAN: DE13 5206 0410 0206 4242 10 immer meine Meinung sagen – und BIC: GENODE F1EK1 Obdachlosigkeit ist das allerwichtigste politische Thema!« 14 | t i t e l Hempel s # 2 85 1/2 02 0
Trotz des Dauerregens besuchen HEMPELS-Mitarbeiter Peter (li.) und der ehemalige Obdachlose Turan das »sleep out« in Wacken. Rund 100 Menschen nehmen am las, wollte sie »unbedingt dabei sein Wohnung ist.« Freunde und Familie Event in Wacken teil, etwa die Hälfte und das Projekt unterstützen«. hätten ihr zwar »einen Vogel gezeigt«, von ihnen übernachtet auch unter Vor Jahren lebte Angela Carstensen als sie erzählte, dass sie im Winter freiem Himmel. Zu ihnen gehört in London und kam öfter mit einem unter freiem Himmel übernachten Angela Carstensen, Metal-Fan aus obdachlosen Verkäufer des britischen wolle; »aber ich friere nicht leicht Halstenbek. Die 46-Jährige war bereits Straßenmagazins »The Big Issue« – und ich finde es super, dadurch elf Mal auf dem Wacken Open Air. Als ins Gespräch. »Durch ihn wurde meine Solidarität mit Obdachlosen zu sie eine Meldung über das »sleep out« mir bewusst, wie wichtig eine eigene zeigen!« He mpe l s # 2 85 1/2 02 0 titel | 15
titel Sie halfen mit Für das leibliche Wohl bei der Veran- staltung in Wacken haben das Team der Speisenwerft von Tim Mälzer sowie der Verein zur Förderung Dithmarschens e. V. gesorgt. Weitere Unterstützung in Form von Getränken erhielten wir von Lemonaid und Samova. Das musikali- sche Programm bestritten der früher obdachlose Straßenmusiker Tex Brasket, Wacken-Veteran Moritz »Mutz« Hem- pel sowie die »Radio Bob! Band«. Allen Künstlern und Unterstützern ein großes Dankeschön! Das gilt ganz besonders auch den Machern des Wacken Open Air, ohne deren Engagement die Veranstal- tung nicht möglich gewesen wäre. Sorgt für etwas Wärme beim Draußenschlafen: ein Lagerfeuer in der Mitte der Kuhle. Inzwischen wird die Bühne sagt er. »Die Nässe … Ich muss auf Dass ein ehemals Obdachloser doch abgebaut; die Musik läuft nur noch aus meine Gesundheit achten.« Gerne lieber in sein Zuhause möchte, als dabei der Konserve. Ich gehe in den beheizten hätte ich ihn morgen früh noch einmal mitzumachen. Presseraum, um meinen Schlafsack zum »sleep out« befragt. Ihn, der das zu holen. Kurz erwische ich mich Draußenschlafen besser kennt als die beim Gedanken, nicht vielleicht hier meisten hier. Aber wenn irgendwer meinen Schlafplatz aufzuschlagen. nicht mehr beweisen muss, dass er »Auf der Straße Turan kommt zu mir: Er möchte doch draußen schlafen kann, dann Turan. nicht draußen übernachten, sondern Und vielleicht ist genau das eine fühlst du dich zurück nach Kiel in seine Wohnung, wichtige Botschaft der Veranstaltung: niemals sicher« Vom Presseraum gehe ich zurück auf die matschige Wiese. Um das Lagerfeuer in der Mitte der Kuhle stehen Sonnenschirme, die entgegen ihres Namens ein wenig den Regen abhalten. Unter ihnen richten sich die Frauen und Männer ihre Schlafplätze ein. Die meisten stellen Bierzeltgarnituren so auf die Kanten, dass sie ihnen als Windfang dienen. Auch ich lege mich zwischen einen Tisch und eine Bank und schlüpfe in meinen Schlafsack. Hinein und nicht darunter – wie man das eben so macht. Obdachlose können das allerdings Metal-Fan Angela Carstensen aus Halstenbek las auf der Facebookseite des Wacken Open Air eine Meldung über das »sleep out«. Daraufhin wollte sie nicht. Das haben mir in meiner Zeit »unbedingt dabei sein und das Projekt unterstützen«. als HEMPELS-Redakteur viele Frauen 16 | t i t el Hempel s # 2 85 1/2 02 0
Turan hat den blauen Schlafsack mitgebracht, den er früher als Obdachloser stets bei sich trug. He mpe l s # 2 85 1/2 02 0 t i t e l | 17
titel und Männer erzählt, die auf der Straße nur wie mit einer Decke zu, um jederzeit zum Glück jedoch nie angegriffen. lebten oder leben. Aus Furcht, im Schlaf schnell aufspringen zu können. »Ich kenne aber Leute, denen sogar der bestohlen oder attackiert zu werden, Auch Turan wurde oft beklaut, Schlafsack angezündet wurde«, hatte decken sie sich mit ihrem Schlafsack während er auf der Straße schlief – er mir am Nachmittag gesagt. Hier auf der Wiese in Wacken ist es kalt, dunkel und nass. Und trotzdem ist es ein geschützter Raum, den Obdachlose nie haben. Während ich mir noch einen zweiten Schal umwickele, denke ich an Turan. »Auf der Straße fühlst du dich niemals sicher«, hatte er gesagt. Nur dreieinhalb Stunden schlafe ich. Immer wieder reißen mich die im Wind Mutz ist einer der Musiker, die beim »sleep out« auf der Bühne – das heißt: auf der Ladefläche klappernden Sonnenschirme aus dem eines dafür hergerichteten LKW – spielen. Rechts: Der Ort des deutschlandweit ersten »sleep Schlaf. Und auch die meisten anderen out« ist die Kuhle – so wird eine matschige Wiese zwischen Feldern und Knicks mit einem Teilnehmenden werden kaum fest großen Lagerfeuer in der Mitte genannt. 1990 fand hier das erste Wacken Open Air statt. geschlafen haben, werden immer wieder aufgewacht sein – so wie Obdachlose es Nacht für Nacht erleben. Auch Lukas Lehmann, unser Geschäftsführer bei HEMPELS, hat in dieser Nacht kaum Ruhe gefunden. Trotzdem wirkt er zufrieden am Morgen. »Ich war beeindruckt von der Standfestigkeit der Besucher«, sagt er mir, ganz viele haben auch noch geholfen, den Platz wieder aufzuräumen. Und alle können nun vielleicht ein wenig erahnen, was es bedeutet, ohne Obdach zu leben. Als ich mich für die Rückfahrt in mein Auto setze, stelle ich sofort die Belüftung um: Die warme Luft soll mir auf die eiskalten Füße pusten. Zuhause werde ich warm duschen. Schlafplatz in Wacken: Der Sonnenschirm schützt etwas vor dem Regen und die Und mir einen Kaffee kochen. Meinen Bierzeltgarnitur dient als Windfang. Laptop hochfahren und irgendwas auf 18 | t i t el Hempel s # 2 85 1/2 02 0
Der ehemalige Obdachlose Turan (li.) sowie HEMPELS-Mitarbeiter Peter während einer Gesprächsrunde zum Thema Wohnungslosigkeit. Netflix gucken. Was man eben so macht liegen. Zuhause wolle er die Heizung viele Menschen auf der Straße schlafen an einem verregneten Sonntag. Alles aufdrehen, sich einen Tee aufsetzen müssen.« nichts Besonderes. Zumindest nicht für und den Fernseher einschalten, hatte mich, der ich 364 Tage im Jahr ein Dach er erzählt. Und noch etwas hatte er über dem Kopf habe. zum Abschied gesagt: »Ich bin sehr Turans Schlafsack wird inzwischen froh, dass ich nun eine Wohnung habe wieder in der Ecke seiner Wohnung – aber ich weiß, dass auch heute Nacht He mpe l s # 2 85 1/2 02 0 t i t e l | 19
Schleswig-holstein sozial Das wäre doch gelacht Wer im Krankenhaus auf die eigene Genesung wartet, muss oft auch Langeweile ertragen. Kieler Schülerinnen haben deshalb ein Projekt gestartet, mit dem sie Patienten einer Kinderklinik die Zeit vertreiben und für das sie inzwischen mit Preisen ausgezeichnet wurden: Sie schenken ein Lächeln TEXT: GEORG MEGGERS, FOTOS: PETER WERNER Krankenhäuser zählen nicht zu den Sila Akcay ist eine der Freundinnen, Ein sonniger Dienstagnachmittag Orten, an denen die meisten Menschen die Greta Balow damals am Kranken- in Kiel. Viel ist nicht mehr los auf dem gerne ihre Zeit verbringen – außer viel- bett besuchten. »Uns beiden wurde Schulhof und in den Gängen der Ge- leicht, sie sind Ärztin oder Kranken- klar, dass Langeweile in Krankenhäu- lehrtenschule; fast alle Schülerinnen pfleger und lieben ihren Job. Patienten sern echt ein Problem ist – vor allem und Schüler sind schon nach Hause ge- tun das häufig nicht; schließlich sind für Kinder«, sagt die nun ebenfalls gangen. Die beiden Zehntklässlerinnen sie in einer Klinik wegen ihrer Erkran- 16-Jährige. Sila Akcay und Greta Balow bleiben in- kung oder zumindest eines Verdachts des auch nach Schulschluss. Sie sitzen darauf. Und oft sind Aufenthalte im in einem Klassenraum und sprechen Krankenhaus auch noch das: »Schreck- über »Schenke ein Lächeln« – so haben lich langweilig«, wie Greta Balow sagt. »Einfach schön, sie ihr Projekt genannt. Beim Gruppen- Ein Rückblick: Vor zwei Jahren Treffen dabei ist auch Klassenkame- musste die heute 16-Jährige einige Tage wenn man anderen radin Laura Kloebe: »Sila und Greta in der Kinderklinik des UKSH (Uni- haben mir von ihrem Projekt erzählt – versitätsklinikum Schleswig-Holstein) helfen kann« und ich fand ihre Idee genial!« Dass sie in Kiel verbringen. »Für meine Zim- dafür mit dem UKSH zusammenarbei- mernachbarn war es sogar noch lang- ten war buchstäblich naheliegend; die weiliger als für mich«, sagt sie. Deren Uniklinik liegt direkt gegenüber ihrer Eltern kamen nur selten zu Besuch, Also beschlossen sie, etwas dagegen Schule auf der anderen Straßenseite. weil sie arbeiten mussten und nicht in zu tun. Ihre Idee: regelmäßig die vier- Laura Kloebe sitzt nun am Lehrer- der Stadt wohnten. Greta Balow hatte bis zwölfjährigen Patienten der UKSH- pult, Sila Akcay und Greta Balow am Glück: Täglich vertrieben Freunde und Kinderklinik besuchen, um mit ihnen Tisch davor. Auf allen anderen Ti- Familie ihr die Langeweile. zu lesen, zu spielen und zu basteln. schen stehen bereits die Stühle – es 2 0 | Schl e s wig - hol s t ein s ozi a l Hempel s # 2 85 1/2 02 0
Blick vom Schulflur auf den Pausenhof: Die Zehntklässlerinnen Greta Balow, Sila Akcay und Laura Kloebe (v.l.n.r.) auf dem Weg zu ihrem Projekt-Treffen. He mpe l s # 2 85 1/2 02 0 Schl e s wig - hol s t ein s ozi a l | 2 1
Schleswig-holstein sozial Projekt-Treffen nach Schulschluss in einem dafür reservierten Klassenraum: Greta Balow (li.) und Sila Akcay besprechen, welche Bücher, Brettspiele und Bastel-Sachen sie bei ihren nächsten Klinik-Besuchen mitnehmen. sieht schon sehr nach Feierabend aus. trotzdem ist es kein Schulprojekt, son- Gelehrtenschule. Und diesen Begriff Die drei Freundinnen besprechen, dern unser Projekt«, sagt Greta Balow. »füllen meine Schülerinnen durch ihr welche Bücher und Brettspiele und Schulleiterin Sinje Wischtukat freut Projekt ganz aktiv mit Leben«. Bastel-Sachen sie in die Kinderklinik sich sehr über das ehrenamtliche Enga- Seit etwa einem Jahr spielen die Pro- mitnehmen. Der Klassenraum ist um gement ihrer Schülerinnen – denn ne- jekt-Mitglieder mit jungen Patienten im diese Zeit für ihre Treffen reserviert. ben Latein und Griechisch sei auch Hu- UKSH; zunächst nur die Gründerinnen »Unsere Schule unterstützt uns super – manismus ein Schwerpunkt der Kieler Sila Akcay und Greta Balow – doch seit 2 2 | Schl e s wig - hol s t ein s ozi a l Hempel s # 2 85 1/2 02 0
suchen wir, jede Woche ein- oder sogar sagt Oliver Grieve, Pressesprecher des zweimal mit den Kindern zu spielen«, UKSH. »Das Projekt ist toll und absolut sagt Greta Balow. sinnvoll, weil es jungen Patienten dabei Und haben sie Erfolg mit ihrem Pro- hilft, ihren Klinikaufenthalt besser be- jekt? Alle drei nicken. »Manche Kinder wältigen zu können.« sind zu Beginn etwas zurückhaltend Etwa fünf Stunden pro Woche sind – aber am Ende sind immer alle froh, die Schülerinnen für ihr Projekt im Ein- dass wir sie besucht haben«, sagt Gre- satz. Neben den Besuchen im Kranken- ta Balow. Ein Grund für ihren Erfolg haus müssen sie viel planen und organi- sei, dass sie selbst noch so jung sind, sieren: Mit der Uniklinik sprechen sie sagt Sila Akcay: »Deshalb können wir uns gut in Kinder hineinversetzen. Wir wissen genau, was ihnen Spaß macht.« »Am Ende sind immer alle froh, dass wir sie besucht haben« Und Spaß zu vermitteln – genau dar- in soll ihre Hilfe bestehen. Darum spre- chen sie mit den Kindern auch nicht darüber, weshalb sie im Krankenhaus sein müssen. Greta Balow: »Wir wol- len ihnen eine Pause von diesem Thema verschaffen!« Vor ihrem ersten Besuch besprachen die Schülerinnen mit der Pflegedienst- leitung der Kinderklinik, was sie alles bedenken und voraussetzen müssen. »Wir dürfen das, was die Kinder uns er- zählen, niemandem weitersagen – das Die 16-jährige Sila Akcay ist eine der haben wir so mit dem UKSH verein- Gründerinnen von »Schenke ein Lächeln«. bart«, sagt Greta Balow. Zudem muss- ten sie nachweisen, dass sie vollständig den Sommerferien vergangenen Jahres geimpft sind. Sila Akcay: »Damit wir gehören auch Laura Kloebe und vier die Kinder auf keinen Fall anstecken.« die Besuchstermine ab und innerhalb weitere Mitschülerinnen und Mitschü- In der Uniklinik schätzt man das ihres Teams dann, wer welchen Termin lern zum Team. Zum heutigen Treffen Engagement der Schülerinnen: »Wir übernehmen kann. »Das ist schon zeit- konnten sie allerdings nicht kommen. freuen uns sehr, dass die Schülerin- aufwendig – aber das ist okay, weil uns »Unsere ersten Klinik-Besuche waren nen mit ihrer Idee auf uns zukamen – das Projekt so wichtig ist«, sagt Greta noch unregelmäßig – inzwischen ver- ihre Initiative hat mich beeindruckt«, Balow. »Und die Besuche machen uns He mpe l s # 2 85 1/2 02 0 Schl e s wig - hol s t ein s ozi a l | 2 3
Schleswig-holstein sozial selbst auch Spaß: Es ist einfach schön, Mit dem Preisgeld von 200 Euro haben wenn man anderen helfen kann«, sagt sie Spiele und Bücher für ihre Kran- Sila Akcay. kenhausbesuche gekauft. Für ihren Einsatz haben die Kiele- rinnen Preise gewonnen: Beim Deut- schen Engagementpreis 2019 wählte das Publikum »Schenke ein Lächeln« in einer Online-Abstimmung auf Platz »Wir würden gerne mit 47 von über 600 nominierten Initiati- weiteren Krankenhäusern zusammenarbeiten« Zuvor finanzierten sie ihre Ausga- ben durch ein Benefizkonzert in ih- rer Schule. Nun hofft das Team von »Schenke ein Lächeln« auf zusätzliche Spender – denn sie haben noch einiges vor: »Wir würden gerne mit weiteren Krankenhäusern zusammenarbeiten. Und toll wäre, wenn auch Schülerin- nen und Schüler anderer Schulen uns unterstützen«, sagt Sila Akcay. Um möglichst vielen Kindern in möglichst vielen Krankenhäusern die Ödnis aus- zutreiben, soll aus ihrem Projekt ein gemeinnütziger Verein werden. Greta Balow: »Dann können wir ein Vereins- konto eröffnen und Spenden-Quittun- gen ausstellen. Deshalb arbeiten wir gerade eine Vereinssatzung aus.« Auch in Zukunft werden Kranken- Seit etwa einem Jahr vertreiben Mitgrün- häuser wohl keine Orte sein, an denen derin Greta Balow und das Projekt-Team Patienten gerne sind – daran kann auch jungen Patienten die Langweile. das Engagement der Kieler Schülerin- nen nichts ändern. Aber sie können Orte sein, an denen Kinder auch lachen und Spaß haben. Und an denen es nur ven. »Das ist wirklich eine große Ehre manchmal schrecklich langweilig ist. für uns, neben so vielen anderen tol- len Projekten nominiert zu sein«, sagt Sila Akcay. Außerdem wurden sie beim Wettbewerb »Children Jugend hilft!« der Kinderhilfsorganisation »Children for a better World e.V.« als eines von acht Siegerprojekten ausgezeichnet. 24 | Schl e s wig - hol s t ein s ozi a l Hempel s # 2 85 1/2 02 0
Laura Kloebe, Greta Balow und Sila Akcay (v.l.n.r.) vor dem Eingang zur Kieler Gelehrtenschule. Die Uniklinik, mit der sie für ihr Projekt zusammenarbeiten, liegt direkt gegenüber auf der anderen Straßenseite. He mpe l s # 2 85 1/2 02 0 Schl e s wig - hol s t ein s ozi a l | 25
Schleswig-holstein sozial Kostenlose medizinische Hilfe in Schleswig-Holstein praxen ohne grenzen: weitere sprechstunden: Bad Segeberg Stockelsdorf Flensburg Kirchplatz 2 Marienburgstraße 5 Tagestreff TAT Telefon: (0 45 51) 95 50 27 Telefon: (04 51) 88 19 18 55 Johanniskirchhof 19 Sprechstunde: Mittwoch, Sprechstunde: Mittwoch, Otto Hübner, Dr. Ernst Latz, Dr. Jörn 15 bis 17 Uhr 15 bis 17 Uhr Pankow Jeden Dienstag ab 11 Uhr; für Frauen Elmshorn und Männer (in Zusammenarbeit mit »Haus der Begegnung« dem Gesundheitshaus Flensburg) Hainholzer Damm 11 medibüros: Telefon: (0 41 01) 37 37 904 Flensburg Jeden Montag 18 bis 19 Uhr Kiel »Treppe« ZBBS Heiligengeistgang 4-8 Flensburg Sophienblatt 64 Jeden 1. und 3. Donnerstag im Monat ab Gesundheitshaus Telefon während Sprechstunde: 10:30 Uhr; nur für Frauen Norderstr. 58 – 60 (0 15 77) 1 89 44 80 Telefon: (04 61) 85 40 32 Jeden Dienstag 15:30 - 17:30 Uhr Lübeck Sprechstunde: Mittwoch, Gesundheitsmobil 15 bis 16 Uhr Lübeck Sprechstunde an fünf Tagen in der AWO-Integrationscenter Woche an zehn verschiedenen Orten Husum Große Burgstraße 51 in Lübeck, Fahrplan online auf Markt 10 – 12 (Einhorn-Passage) Telefon: (0 15 77) 933 81 44 www.gesundheitsmobil.org oder Telefon: (0 48 41) 905 68 91 Jeden Montag 14 - 17 Uhr telefonisch: (04 51) 5 80 10 23 Sprechstunde: Mittwoch, 15 bis 17 Uhr Neumünster Lübeck AWO-Integrationscenter Gesundheitsstation Preetz Göbenplatz 2 Sprechstunde mit dem Team des Diakonisches Werk Preetz 24534 Neumünster Gesundheitsmobils. Mit Geräten zur Am Alten Amtsgericht 5 Telefon: (0 43 21) 4 89 03 20 genaueren Diagnostik. Telefon: (0 43 42) 7 17 0 Jeden Mittwoch 15 – 17 Uhr Haus der Diakonie, Mühlentorplatz Jeden Mittwoch 9 – 11 Uhr Jeden Mittwoch 15 bis 17 Uhr Rendsburg Kiel Moltkestraße 1 Tagestreff & Kontaktladen Telefon: (0 15 77) 5 88 57 55 Schaßstraße 4, Sprechstunde: Mittwoch 16 bis 17 Uhr, Allgemeinärzte Dennis John Hülsberg Donnerstag 10 bis 11 Uhr und Dr. Kai Ehrhardt Jeden Mittwoch 10 - 13 Uhr Alle Einrichtungen sind auf die Unterstützung durch Spenden angewiesen 26 | Schl e s wig - hol s t ein s ozi a l Hempel s # 2 85 1/2 02 0
15 Jahre Hartz IV: Politische Kultur dauerhaft beschädigt Das am 1. Januar 2005 eingeführte Hartz IV hat einen sozialen Klimawandel bewirkt und die politische Kultur der Bundesrepublik dauerhaft beschädigt. Durch den Zwang, jeden Job annehmen zu müssen, machen die Jobcenter ihre »Kunden« gefügig. Belegschaften, Betriebsräte und Gewerkschaften werden unter dem Damoklesschwert von Hartz IV genötigt, schlechtere Arbeitsbedingungen und niedrigere Löhne zu akzeptieren. Auf diese Weise einen breiten Niedriglohnsektor zu schaffen und den »Standort D« auf den Weltmärkten dadurch noch konkurrenzfähiger zu machen, bildeten den Hauptzweck von Hartz IV. Trotz einer fast zehn Jahre währenden Konjunkturphase leiden immer noch sechs Millionen Menschen, darunter zwei Millionen Kinder und Jugendliche, unter dem Hartz-IV-System, das sie drangsaliert und demütigt. Ziel muss eine soziale Grundsicherung sein, die den Namen im Unterschied zu Hartz IV wirklich verdient, weil sie armutsfest, bedarfsdeckend und repressionsfrei ist. Armutsfest wäre eine solche Mindestsicherung unter der Voraussetzung, dass ihr Zahlbetrag zusammen mit den Miet- und Heizkosten, die nicht pauschaliert werden dürfen, zumindest im Bundesdurchschnitt über der Armuts(risiko)schwelle der Europäischen Union läge: Das sind für einen Alleinstehenden 1.000 Euro. ARMUTSFORSCHER PROF. DR. CHRIS - TOPH BUTTERWEGGE , 68. KÜR ZLICH ERSCHIEN SEIN BUCH »DIE ZERRISSENE REPUBLIK«. Zitiert aus: Straßenmagazin Trott-war, Stuttgart Foto: Wolfgang Schmidt He mpe l s # 2 85 1/2 02 0 Schl e s wig - hol s t ein s ozi a l | 2 7
Schleswig-holstein sozial »Sieht echt super aus«: Trinkraum-Fassade bemalt Künstlerinnen aus Kiel-Gaarden haben zusammen mit HEMPELS- Mitarbeitenden die Fassade unseres Trinkraums neu gestaltet TEXT UND FOTO: GEORG MEGGERS Bunt und voller Motive statt ein- und Jihae An gemeinsam mit unseren Meter vom Trinkraum entfernt ist das tönig-hellgelb: So sieht nun die Fassa- Trinkraum-Mitarbeitenden Motive »Café Jupiter«, das Ju Hyun Lee leitet de unseres HEMPELS-Trinkraums in für die Fassade entworfen. Mitarbeiter und in dem sich oft Gaardener Künst- Kiel-Gaarden aus. Zusammen mit drei Peter: »Sie haben uns gezeigt, wie wir lerinnen und Künstler treffen. »Zuvor Gaardener Künstlerinnen haben die unsere eigenen Ideen richtig schön auf hatten wir nur wenig Kontakt zu HEM- Trinkraum-Mitarbeitenden Melle, Pe- Papier bringen – das war schon sehr PELS und zum Trinkraum – das ist jetzt ter und Christian die Außenwände zur professionell.« Am Computer stellten anders: Nun kennen und grüßen wir Kaiser- sowie zur Medusastraße neu die Künstlerinnen aus den gesammel- uns, wenn wir einander auf der Straße gestaltet. ten Motiven dann eine Collage zusam- begegnen«, sagt Jihae An. men, die sie anschließend mit Farbe auf Und wie finden die Künstlerinnen die Außenwände des Trinkraums über- selbst das Ergebnis ihres Projekts? »Die trugen. Fassade ist echt schön geworden. Aber »Unser Ziel war, diese Die Fassadenbemalung gehört zum am meisten freut mich, dass sie auch den Projekt »Gaarden Gallery«, das aus dem Gästen und dem Team vom Trinkraum Kreuzung einfach schön städtischen Fördertopf »Interventio- gefällt«, sagt Jenny Reißmann. nistische Kunst im öffentlichen Raum Dazu gehört etwa Peter, der schon zu machen« in Kiel-Gaarden« finanziert wird. Im seit neun Jahren im Trinkraum arbeitet: Rahmen dieses Projekts fanden auch »Voll gut, dass die Leute darauf nun Mo- Zeichen-Workshops auf dem Gaardener tive von mir und meinem Sohn sehen Vinetaplatz statt und die Straßenpoller können!« Neben einem HEMPELS-Schriftzug an der Kreuzung vor dem Trinkraum sind darauf nun etwa ein Anker oder die wurden bunt bemalt. »Unser Ziel war, Silhouetten berühmter Kieler Bauwerke diese Kreuzung in unserer unmittel- zu sehen. »Sieht jetzt echt super aus«, baren Nachbarschaft einfach schön zu sagt Christian. machen«, sagt Künstlerin Ju Hyun Lee. In zwei Workshops haben die Künst- Zudem hat das Projekt das Mitein- lerinnen Ju Hyun Lee, Jenny Reißmann ander im Stadtteil gestärkt. Nur wenige 2 8 | Schl e s wig - hol s t ein s ozi a l Hempel s # 2 85 1/2 02 0
Vor der nun bunt bemalten Fassade unseres HEMPELS-Trinkraums: Jenny Reißmann, Melle, Ju Hyun Lee und Jihae An (vorne v.l.n.r.) sowie Peter und Christian (hinten v.l.n.r.). He mpe l s # 2 85 1/2 02 0 Schl e s wig - hol s t ein s ozi a l | 2 9
Wie ich es sehe Bedürftigkeitsprüfung? Ja, aber richtig! von hans-uwe rehse Kürzlich war das Stichwort »Bedürftigkeitsprüfung« noch dem Ziel vorgenommen werden, herauszufinden, wo Men- ein Streitthema in der Regierungskoalition. Sie erinnern sich: schen auf die Unterstützung der öffentlichen Hand angewie- Es ging um die Einführung einer Grundrente. Alle waren sen sind. Das braucht eine andere Haltung: Nicht die Abwehr dafür. Die Union wollte sie jedoch mit der Überprüfung der berechtigter Ansprüche steht im Vordergrund, sondern eine Bedürftigkeit verbinden. Die SPD lehnte das ab. Lange wurde sinnvolle Hilfe, die dazu beiträgt, Notsituationen zu überwin- darüber gestritten, bis man sich auf einen Kompromiss eini- den. Vermutlich würde sich unter dieser Perspektive einiges gen konnte. ändern. Denken Sie zum Beispiel an die Regelung, nach der Ich will das Stichwort noch einmal aufgreifen. Denn eine das Kindergeld als Einkommen auf Hartz-IV-Leistungen an- Bedürftigkeitsprüfung finde ich durchaus sinnvoll. Obwohl gerechnet wird. Da wird eine Leistung zur Förderung von Fa- ich in der Diskussion um die Grundrente den Hinweis auf milien ausgerechnet bei denen gekürzt, die darauf besonders die Würdigung der Lebensleistung überzeugender fand. Wer angewiesen sind. sein Leben lang gearbeitet hat, der hat die Grundrente einfach Eine ernsthafte Prüfung der Bedürftigkeit wäre hier tat- verdient – auch wenn aufgrund eines geringen Einkommens sächlich angebracht. nicht genug in die Rentenkasse eingezahlt werden konnte. Schließlich spielt die Frage der Bedürftigkeit bei anderen Ren- ten und Ruhestandsbezügen auch keine Rolle. Trotzdem ist die Frage berechtigt, wie die Steuergelder eingesetzt werden sollen. Angesichts begrenzter Ressourcen muss immer überlegt werden, wo das Geld notwendig ist. Al- lerdings fällt mir auf, dass die Bedürftigkeitsfrage in der Po- Hans -Uwe Rehse is t Pas tor im litik selten gestellt wird. Merkwürdigerweise kommt sie vor Ruhe s tand und war Ge schäf t s - allem da zur Sprache, wo es um Menschen geht, die in Armut führer der Vorwerk er Diakonie leben. In anderen Bereichen ist man da freigiebiger. Wo sich in Lübeck . SEINE KOLUMNE mächtige Lobby-Gruppen melden, habe ich jedenfalls noch ER SCHEINT JEDEN MONAT nichts von der Notwendigkeit einer Bedürftigkeitsprüfung gehört. Mein Eindruck ist deshalb, dass bei der Vergabe öf- fentlicher Mittel mit unterschiedlichem Maß gemessen wird. Es wirkt so, als ob man Menschen, die wenig haben, mit einem gewissen Misstrauen begegnet. Das ist weder gerecht, noch angemessen! Eine Bedürftigkeitsprüfung könnte hier wirklich weiter- helfen. Sie müsste natürlich in allen Bereichen vorgenommen werden, nicht nur bei den Sozialleistungen. Und sie sollte mit 30 | Schl e s wig - hol s t e in s ozi a l Hempel s # 2 85 1/2 02 0
Rezept Rote Linsensuppe von Stefanie Schmaler Für 4 Personen: · 300 g rote Linsen · 400 g Tomaten aus der Dose · 150 g Kartoffeln · 300 ml Gemüsebrühe · 1 Zwiebel · 1 Knoblauchzehe Foto: foodiesfeed.com · Salz, Pfeffer · Ingwer nach Geschmack · etwas Zitronensaft, Petersilie Nach ihrem Studium der Sozialen Arbeit absolviert Stefanie Schmaler noch bis Ende 2020 ihr Anerkennungsjahr zur Sozialarbeiterin bei HEM- Meg gers PELS. Hauptaufgabe der 36-Jährigen: die Verwaltung unseres Treuhand- kontos. Außerdem unterstützt sie den Sozialdienst in unseren Kieler Trink- räumen. Für die gebürtige Kielerin gehört das Straßenmagazin HEMPELS Foto: Georg »absolut zum Stadtbild dazu – es ist ein Teil von Kiel«; trotzdem war ihr En- gagement bei uns nicht unbedingt naheliegend, denn in ihrem Studium wurde Obdachlosigkeit nie thematisiert. »Deshalb ist meine Arbeit für HEMPELS schon eine Herausforderung für mich. Aber genau die habe ich auch gesucht! Und inzwischen kann ich sagen: Meine Aufgaben hier gefallen mir sehr!« Unseren Leserinnen und Lesern empfiehlt Stefanie Schmaler ihr Lieb- lingsgericht: Rote Linsensuppe. Dafür zunächst die Kartoffeln, die Zwiebel und den Knoblauch schälen sowie klein schneiden. Dann die roten Linsen mit kaltem Wasser abspülen. Anschließend die Kartoffeln und die Zwiebeln mit etwas Ingwer und dem Knoblauch andünsten und die Linsen hinzugeben. Nun gemeinsam mit der Brühe die Tomaten dazugeben und würzen. Für etwa 15 bis 20 Minuten kochen lassen. Zuletzt mit Zitronensaft abschmecken und zum Servieren mit Petersilie bestreuen. Stefanie Schmaler wünscht guten Appetit! He mpe l s # 2 85 1/2 02 0 re ze p t | 3 1
Tipps Zugehört Durchgelesen Angeschaut »Alchemy« »Die Unsichtbaren« »Lieber Antoine als gar Tara Nome Doyle Roy Jacobsen keinen Ärger« Pierre Salvadori Newcomer gibt es viele, Hits kommen Barrøy, eine kleine Felseninsel inmit- Eine ganze Stadt irgendwo in Süd- und gehen. Und irgendwie klingt vieles ten der nordnorwegischen Küstenwelt. frankreich trauert um den heldenhaft ähnlich, was im Pop-Bereich neu er- Klein, karg, dem Wetter und den Natur- verehrten Polizeichef, der im Dienst scheint. Aber ab und zu ist sie dann doch gewalten ausgesetzt. Die Sommer kurz umgekommen ist, errichtet ihm gar dabei, diese eine Stimme, die aus dem und leuchtend, die Winter lang, kalt und ein Denkmal. Als seine Witwe Yvonne Musikallerlei herausfällt. So wie bei Tara dunkel. Barrøy heißt auch die Familie, (Adele Haenel), ebenfalls Polizistin, er- Nome Doyle: Die Musikerin und Sänge- die auf dieser Insel lebt, auf ihrer Insel. fährt, dass ihr Gatte massiv korrupt rin ist erst 22 Jahre alt und zeigt gerade Ingrid wird in diesem Inselleben groß, gewesen ist und ein gewisser Antoine der Musikwelt, wie es geht. Sie liefert auf in einem Leben, das, wie die Landschaft wegen ihm unschuldig acht Jahre in den ihrem ersten Album »Alchemy« neun selbst, durchwoben ist von einer fesseln- Knast musste, fällt sie aus allen Wolken selbstgeschriebene Songs, die vielschich- den, spröden Schönheit, fernab der übri- und versucht, diesem nach seiner Ent- tig und eigenwillig sind. gen Welt. Nur selten kommt der Pastor lassung zu helfen. Mal zart mit Klavierklängen und oder ein Verwandter auf die Insel. Zur Aber die besten Jahre seines Lebens flüsterndem Gesang wie bei »Poem«, Schule muss Ingrid auf die Hauptinsel schuldlos verloren zu haben, ist nicht mal düster elektronisch wie die Single und wohnt dann für 14 Tage mit den spurlos an Antoine vorbeigegangen. »Heathens«, einem Song, der auch auf anderen Inselkindern im Gutshaus un- Obschon seine bildhübsche Freundin dem internationalen Parkett Fuß fassen ter dem Dach. Fasziniert macht sie ihre (Audrey Tautou) auf ihn gewartet hat könnte. Der Sound von Tara Nome Doyle ersten Erfahrungen in dieser Welt und und versucht, mit ihm so weiterzuleben kommt aber aus Deutschland, genauer: taucht immer wieder glücklich in den wie acht Jahre zuvor, pulsiert eine un- Berlin-Kreuzberg, wo sie geboren wur- festen Alltag der Familie auf Barrøy ein, bändige Wut in ihm. Er schlägt grundlos de. Ihre Eltern stammen aus Irland und wenn sie zurück ist. Fernab der übrigen Leute zusammen, klaut, beleidigt, steckt Norwegen, Doyle spricht alle drei Spra- Welt. ein Restaurant in Brand. Und warum chen akzentfrei, und vielleicht sorgt das Der Großvater und der Vater sterben, eigentlich jetzt nicht wirklich den Ju- für die Prise musikalischer Globalität. die Mutter zerbricht darüber und wird in welier überfallen, wie er es damals laut Besonders fällt Doyles Stimme auf: Mal ein Spital an Land gebracht. Irgendwann Polizeichef getan haben soll? schmettert sie kraftvoll und tief, dann ist Ingrid ganz allein auf der kleinen In- Da Yvonne ihn fleißig beschattet, wieder säuselt sie glockenhell und erin- sel. rettet sie ihn ständig vor einer erneuten nert an die junge Kate Bush. Eines Tages spült das Meer den rus- Verhaftung. Und dabei kommen sie sich Tara Nome Doyles Musik funktio- sischen Kriegsgefangenen Alexander an näher. Aber auch Yvonnes Kollege hat niert als gefühlvoller Pop für den Hin- ihren Strand. Zwischen den beiden ent- sich in sie verliebt und Antoine liebt noch tergrund, doch wer genauer hinhört, spinnt sich eine fast sprachlose, kurze immer seine Frau. Und so wechseln sich der entdeckt diese rätselhafte Tiefe in Liebe. Neun Monate später bekommt In- romantische Szenen mit herrlich maka- ihr. Ihre Lieder klingen zeitgemäß und grid ihre Tochter Kaja und folgt Alexand- bren Situationen und konfuser Action zeitlos zugleich. Produziert wurde das ers Spuren durch ein Nachkriegsnorwe- ab; ein Geschehen ist unvorhersehbarer Album von David Specht, Bassist der gen, das nach der Deutschen Besatzung als das nächste. Schwarzer Humor, eine Band Isolation Berlin, und bei der Sing- nur vergessen will. Ein atemberaubender Prise Romantik, überraschende Wen- le »Neon Woods« arbeitete Musik-Tau- Roman! dungen, viele Lacher. Kinoherz, was sendsassa Max Rieger von Die Nerven willst du mehr in einem trüben Winter! mit. Endlich eine Newcomerin, die auf jeden Fall bleiben wird. Versprochen! Musiktipp buchtipp Filmtipp von Michaela Drenovakovic von Ulrike Fetköter von Oliver Zemke 3 2 | t ipp s Hempel s # 2 85 1/2 02 0
Sie können auch lesen