Ausbildung junger Menschen aus Drittstaaten - Chancen zur Gewinnung künftiger Fachkräfte für die Pflegewirtschaft

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Ausbildung junger Menschen aus Drittstaaten - Chancen zur Gewinnung künftiger Fachkräfte für die Pflegewirtschaft
Ausbildung junger Menschen
aus Drittstaaten
Chancen zur Gewinnung künftiger Fachkräfte für die Pflegewirtschaft
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Impressum

Herausgeber                                              Das Bundesministerium für Wirtschaft und
Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi)      Energie ist mit dem audit berufundfamilie®
Öffentlichkeitsarbeit                                    für seine familienfreundliche Personalpolitik
11019 Berlin                                             ausgezeichnet worden. Das Zertifikat wird von
www.bmwi.de                                              der berufundfamilie gGmbH, einer Initiative
                                                         der Gemeinnützigen Hertie-Stiftung, verliehen.
Redaktion
Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi)
Gestaltung und Produktion
PRpetuum GmbH, München
Stand
August 2014
Druck
schöne drucksachen GmbH, Berlin
Bildnachweis
Alle Fotos Deutsche Gesellschaft für
Internationale Zusammenarbeit (GIZ)
                                                         Diese und weitere Broschüren erhalten Sie bei:
                                                         Bundesministerium für Wirtschaft und Energie
Diese Broschüre ist Teil der Öffentlichkeitsarbeit des
                                                         Referat Öffentlichkeitsarbeit
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Ausbildung junger Menschen aus Drittstaaten - Chancen zur Gewinnung künftiger Fachkräfte für die Pflegewirtschaft
Inhaltsverzeichnis

Vorwort .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  . 3

Einleitung .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  . 5

Fachkräftesicherung: Breites Maßnahmenpaket der Bundesregierung  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  . 7

Mehr Pflegebedürftige, weniger Personal .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  . 10

Ausbildung – eine Chance .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  . 12

Mit „triple win“ gewinnen alle .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  . 15

FairMittlung – Partnerschaftliche Kooperation .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  . 17

Herausforderungen und Stärken: Der Standort Deutschland im Fachkräftewettbewerb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18

Vietnam: Partnerland für Ausbildungspilotprojekt in der Altenpflege .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  . 19

Pflegeausbildung und gesellschaftliche Integration für junge Vietnamesinnen und Vietnamesen  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  . 20

Checkliste für Ausbildungsbetriebe .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  . 25

Ausblick: In die Zukunft mit Kooperationen und festen Partnerschaften .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  . 26
Ausbildung junger Menschen aus Drittstaaten - Chancen zur Gewinnung künftiger Fachkräfte für die Pflegewirtschaft
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Vorwort

Nach Expertenschätzung wird im Zuge des demografischen
Wandels die Zahl der Pflegebedürftigen in Deutschland
von derzeit ca. 2,3 Millionen bis 2030 auf rund 3,4 Millionen
steigen. Bereits jetzt konstatieren die Wohlfahrtsverbände
und die Bundesagentur für Arbeit einen gravierenden Mangel
an examinierten Altenpflegern und warnen vor einem
akuten Pflegenotstand.

Dieser Mangel kann mittel- und langfristig weder durch
einheimische Kräfte noch durch Arbeitskräfte aus
EU-Mitgliedstaaten gedeckt werden. Die Gewinnung
von Fachkräften aus Drittstaaten wird nicht nur für
Deutschland, sondern für viele Länder mit ähnlicher
demografischer Entwicklung in naher Zukunft unum­
gänglich sein.

Vor diesem Hintergrund fördert das Bundesministerium
für Wirtschaft und Energie ein Modellvorhaben, welches
wir Ihnen in dieser Broschüre vorstellen: Seit Ende 2013
durchlaufen rund 100 junge Menschen aus Vietnam eine
Altenpflegeausbildung in Deutschland.

Durch ein umfassendes Angebot zur Begleitung der
Teilnehmenden (u. a. durch Regionalkoordinatoren, viet­
namesische Mentoren, interkulturelles Training) wird
sichergestellt, dass die Pflegekräfte optimal integriert
werden und sie die deutschen Pflegestandards von Grund
auf erlernen.

Die Erkenntnisse aus dem Pilotvorhaben sollen der Pflege-
wirtschaft als Modell zur Anwerbung ausländischer Aus­
zubildender dienen. Auch für andere Branchen gibt es
einen Überblick über Chancen und Hemmnisse von Per­
sonalrekrutierung aus Drittstaaten für eine Ausbildung
in Deutschland.

Sigmar Gabriel
Bundesminister für Wirtschaft und Energie
Ausbildung junger Menschen aus Drittstaaten - Chancen zur Gewinnung künftiger Fachkräfte für die Pflegewirtschaft
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Ausbildung junger Menschen aus Drittstaaten - Chancen zur Gewinnung künftiger Fachkräfte für die Pflegewirtschaft
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Einleitung

Tung Nguyen ist 25 Jahre alt und stammt aus einem               weiß auch der junge Vietnamese: „Pflege ist vor allem
kleinen Ort in der Nähe der vietnamesischen Hauptstadt          Kommunikation. Ich werde meine Deutschkenntnisse
Hanoi. Seit 2013 lebt der junge Mann in Stuttgart. Der          stetig verbessern. So kann ich mein soziales Umfeld auf-
akute Fachkräftemangel, der besonders den Pflegesektor in       bauen und die mir anvertrauten alten Menschen best­
Deutschland betrifft, hat ihm die Tür zu einer pflegerischen    möglich pflegen und betreuen.“
Ausbildung in Deutschland geöffnet. Für Fachkräfte wie
Herrn Nguyen, die in ihrem Heimatland bereits einen Beruf       Damit schließt sich der Kreis. Eine gesteuerte, gut vorberei-
erlernt haben, gibt es zwei Möglichkeiten: Sie absolvieren      tete und durchgeführte Zuwanderung ist für alle Seiten ein
eine Ausbildung nach deutschem Standard oder sie lassen         Gewinn (vergleiche Seite 15 [triple win]): Junge Menschen
sich ihre im Ausland erworbene Qualifikation in Deutsch-        wie Tung Nguyen bekommen langfristige berufliche Pers-
land anerkennen.                                                pektiven in Deutschland. Vietnam kann seinen Arbeitskräfte-
                                                                überschuss durch gezielte Abwanderung verringern und
„Für mich war die erneute Ausbildung der bessere Weg“,          der deutsche Pflegesektor gewinnt neue, qualifizierte Arbeits-
sagt Herr Nguyen. „Ich werde gut betreut und kann mich          kräfte. Vietnam profitiert zusätzlich durch den Know-how-
Schritt für Schritt in die deutsche Gesellschaft integrieren.   Transfer. Schließlich profitieren ältere Menschen wie Frau
Deutschland ist ein hoch entwickeltes Land mit guten            Müller von engagierten ausländischen Pflegefachkräften.
beruf­lichen Perspektiven und einer interessanten Kultur        Derzeit sind die jungen Auszubildenden in Pflegeeinrich-
und Geschichte. Als ich von Kollegen von der Ausbildungs­       tungen in Bayern, Berlin, Baden-Württemberg und Nieder-
möglichkeit in Deutschland hörte, stand für mich schnell        sachsen beschäftigt. Sie kümmern sich um die körperli-
fest, dass ich mich hier bewerben würde.“                       chen, aber auch seelischen Belange und behalten das
                                                                individuelle Wohlergehen der Heimbewohner im Blick.
Das Projekt „Ausbildung von Arbeitskräften aus Vietnam          „Für mich war die Entscheidung richtig, ich habe sie nicht
zu Pflegefachkräften“ wird im Auftrag des Bundesminis­          bereut“, meint Herr Nguyen. „Mein Beruf macht mir
teriums für Wirtschaft und Energie durch die Deutsche           Freude, weil ich ältere Leute mit all ihrer Lebenserfahrung
Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ)            schätze, ihnen täglich helfen kann und gern mit ihnen
GmbH in Kooperation mit der Zentralen Auslands- und             umgehe.“
Fachvermittlung der Bundesagentur für Arbeit (ZAV)
umgesetzt. Es ist ab Seite 20 beschrieben und geht auf die      Das in dieser Broschüre vorgestellte Projekt ist ein Modell-
„Ausbildungs- und Quali­fizierungsoffensive Altenpflege“        vorhaben, das in der deutschen Pflegelandschaft – und viel-
der Bundesregierung zurück.                                     leicht auch einmal darüber hinaus – ausgeweitet werden
                                                                kann und soll. Interessierte Einrichtungen sind eingeladen,
Vietnam, das Heimatland von Tung Nguyen, ist aus ver-           sich umfassend zu informieren. Alle praktischen Anforde-
schiedenen Gründen als Partnerland ausgewählt worden            rungen und Schritte für die Ausbildung einer jungen, moti-
(Seite 19). Vor allem sollen dort durch die Abwanderung         vierten Fachkraft wie Herrn Nguyen und die spätere Ein-
von Fachkräften wie Herrn Nguyen keine Probleme                 stellung als fertige Pflegefachkraft sind darum auf Seite 25
verursacht werden: Faire Vermittlungsbedingungen für            in einer „Checkliste“ übersichtlich zusammengestellt.
alle beteiligten Länder und Menschen stehen im beson­
deren Fokus des Vorhabens. Das erfahren auch die viet­na­­-
me­sischen Auszubildenden: „Ich werde genauso bezahlt
und finde die gleichen Arbeitsbedingungen vor wie
meine deutschen Kollegen“, erzählt Herr Nguyen.

Doch er hätte sich auch für ein anderes westliches Land
entscheiden können, denn Deutschland steht bei der
Anwerbung migrationswilliger Arbeitskräfte auch in einem
Wettbewerb, der für Deutschland Vor-, aber auch Nachteile
in sich birgt (Seite 18). Eine Herausforderung und gleich­
zeitig der wichtigste Schlüssel für Integration und beruf­
lichen Erfolg ist die Beherrschung der deutschen Sprache,
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Fachkräftesicherung: Ein breites
Maßnahmenpaket der Bundesregierung
Aktive Unterstützung von Unternehmen und Arbeitnehmern

Der Anteil der Erwerbstätigen an der                                         Fachkräftesicherung – ein wichtiger
Bevölkerung nimmt beständig ab                                               Aspekt der Demografiestrategie

Nach Schätzungen des Statistischen Bundesamtes wird die                      Die Bundesregierung hat bereits 2011 ein Konzept zur
Einwohnerzahl Deutschlands bis zum Jahr 2060 von derzeit                     Fachkräftesicherung vorgelegt. Das Konzept zeigt Möglich-
rund 80 Millionen auf 70 Millionen zurückgehen. Gleich-                      keiten auf, wie zusätzliche Fachkräftepotenziale genutzt
zeitig verändert sich das Verhältnis von jüngeren zu älteren                 werden können. Im Inland richtet sich der Blick insbeson-
Menschen signifikant: Während die Zahl der Erwerbstätigen                    dere auf Frauen, Ältere, Langzeitarbeitslose, Menschen mit
in der Bevölkerungsgruppe zwischen 20 und 60 Jahren um                       Migrationshintergrund und Jugendliche ohne Ausbildung
mehr als 20 Prozent abnehmen wird, steigt der Anteil der                     sowie Menschen mit Behinderung.
über 60-Jährigen an der Gesamtbevölkerung von heute
knapp über 25 auf dann 39 Prozent (siehe Grafik). Die Grup­­pe
der über 80-Jährigen wird sich von heute rund vier Millionen                 Engpässe durch Fachkräfte aus dem
auf zehn Millionen Menschen im Jahr 2050 nahezu ver­                         Ausland schließen
dreifachen. Nach Schätzungen des Instituts für Arbeits-
markt- und Berufsforschung (IAB) würde unser Erwerbs-                        Ergänzend dazu steht die Gewinnung internationaler
personenpotenzial bis 2025 um rund sechs Millionen                           Fachkräfte im Fokus. Denn schon heute ist klar: Um den
Menschen abnehmen, wenn keine zusätzlichen Potenziale                        Fachkräftebedarf in Deutschland mittel- und langfristig
erschlossen werden.1                                                         zu sichern, reichen die hiesigen Arbeitskräfte nicht aus.
                                                                             Deutschland braucht auch gut ausgebildete Fachkräfte aus
                                                                             dem Ausland, um die Nachfrage auf dem deutschen
                                                                             Arbeitsmarkt zu decken.

 Bevölkerungsentwicklung und Altersstruktur
 Bevölkerung in absoluten Zahlen
 Anteilen der Altergruppe   60 Jahre und älter   20 bis unter 60 Jahre und   unter 20 Jahre in Prozent, 1960 bis 2060*
 in Mio.

                                                  82,3    81,8      80,4
 80                  78,1     78,4     79,8      23,6%                        79,0
                                                         26,3%     30,5%              76,8
                             19,4%    20,4%                                  36,2%
            73,1    20,0%                                                            37,3%      73,6                     *Stand bis einschließlich
           17,4%                                                                               38,9%     70,1
 70                                                                                                                       2010: 2012, Stand Bevölke-
                                                                                                        39,2%
                                                                                                                          rungsvorausberechnug:
 60                 50,0%    53,9%    57,9%      55,3%                                                                    Ende 2009. Bei der Bevöl-
           54,2%                                         55,3%                                                            kerungsvorausberechnug
                                                                   52,4%                                                  wird eine annähernd kons-
 50                                                                          47,1%                                        tante Geburtenhäufigkeit,
                                                                                     46,6%
                                                                                               45,5%                      ein moderater Anstieg der
 40                                                                                                     45,1%             Lebenserwartung sowie
                                                                                                                          ein positiver Wanderungs-
 30                                                                                                                       saldo von 200.000 Personen
                                                                                                                          pro Jahr ab 2020 angenom-
                    30,0%                                                                                                 men.
 20        28,4%             26,8%
                                      21,5%      21,1%   18,4%                                                            Quelle: Statistisches Bundesamt:
 10                                                                17,0%     16,7%   16,1%                                Lange Reihen: 12. koordinierte
                                                                                               15,6%    15,7%             Bevölkerungsvorausberechnung
                                                                                                                          Lizenz: Creative Commons
                                                                                                                          by-nc-nd/3.0/de
  0
                                                                                                                          Bundeszentrale für politische
           1960     1970     1980      1990      2000    2010      2020      2030     2040     2050      2060             Bildung, 2012, www.bpb.de

1B
  rücker, Herbert (2010): Zuwanderungsbedarf und politische Optionen für die Reform des Zuwanderungsrechts, Instituts für Arbeitsmarkt- und
 Berufsforschung IAB
Ausbildung junger Menschen aus Drittstaaten - Chancen zur Gewinnung künftiger Fachkräfte für die Pflegewirtschaft
8         FA C H K R Ä F T E S I C H E R U N G : B R E I T E S M A S S N A H M E N - PA K E T D E R B U N D E S R E G I E R U N G

Die Fachkräfte-Offensive                                                          Besondere Unterstützung für kleine
                                                                                  und mittelgroße Unternehmen
Die gemeinsame Fachkräfte-Offensive des Bundesministe-
riums für Wirtschaft und Energie, des Bundesministeriums                          Zentrales Anliegen des Bundesministeriums für Wirtschaft
für Arbeit und Soziales und der Bundesagentur für Arbeit                          und Energie (BMWi) ist die Sensibilisierung kleiner und
unterstützt das Fachkräftekonzept der Bundesregierung.                            mittlerer Unternehmen (KMU) für eine zukunftsorientierte
                                                                                  Personalpolitik. Sie sollen die bisher ungenutzten Potenziale
Zwei Internetportale sind zentraler Teil der Offensive:                           im In- und Ausland stärker als bisher ins Blickfeld nehmen.

 Das Portal zur Fachkräfte-Offensive (www.fachkraefte-
XX                                                                                Doch den KMU fehlen vielfach die Ressourcen, um sich
 offensive.de) bündelt nützliche Informationsangebote                             intensiv um die Rekrutierung der benötigten Fachkräfte zu
 und Tipps für inländische Fachkräfte und Unternehmen.                            kümmern. Zu ihrer Unterstützung hat das Bundesministe-
                                                                                  rium für Wirtschaft und Energie (BMWi) das Kompetenz-
 „Make it in Germany“ (www.make-it-in-germany.com)
XX                                                                                zentrum für Fachkräftesicherung (www.kompetenzzent-
 ist das mehrsprachige Willkommensportal für internati-                           rum-fachkraeftesicherung.de) eingerichtet. Es bietet
 onale Fachkräfte. Es wird vom Bundesministerium für                              praxis­nahe Handlungsempfehlungen an, stellt Beispiele
 Wirtschaft und Energie umgesetzt. Mit dem Portal sol-                            guter Praxis anderer KMU vor und bereitet relevante
 len Fachkräfte aus der ganzen Welt für eine berufliche                           Informationen rund um das Thema Fachkräftesicherung
 Laufbahn in Deutschland begeistert werden. „Make it in                           KMU-gerecht auf.
 Germany“ informiert zuwanderungsinteressierte Fach-
 kräfte über ihre Karrierechancen und zeigt, wie sie                              Um KMU anzuregen, vermehrt auch Fachkräfte aus dem
 erfolgreich ihren Weg nach Deutschland gestalten kön-                            Ausland für ihr Unternehmen zu gewinnen, schreibt das
 nen – und warum es sich lohnt, hier zu leben und zu                              Bundesministerium für Wirtschaft und Energie einen
 arbeiten. Das Portal enthält aktuelle Jobangebote in Eng-                        Unternehmenspreis für eine erfolgreiche Willkommens-
 passberufen und Informationen darüber, in welchen                                kultur in KMU aus. So werden erfolgreiche Beispiele aus
 Branchen Fachkräfte gesucht werden. Zudem stellen                                der deutschen Wirtschaft öffentlich gemacht und erhalten
 sich internationale Fachkräfte vor, die bereits erfolgreich                      eine Vorbildwirkung für andere Unternehmen. Zu den
 in Deutschland Karriere machen. Arbeitgeber in                                   ersten Preisträgern zählte auch ein Unternehmen aus der
 Deutschland erhalten Tipps bei der Rekrutierung inter-                           Pflegewirtschaft.
 nationaler Fachkräfte.

Zuwanderungsinteressierten Fachkräften aus Indien, Indo-                          „Jedes Alter zählt“ – Den demografischen
nesien und Vietnam bietet „Make it in Germany“ im Rah-                            Wandel aktiv gestalten
men von Pilotprojekten vor Ort seit Anfang 2013 ein
umfangreiches Beratungs- und Informationsangebot. Im                              Die Demografiestrategie „Jedes Alter zählt“ ist die Grund-
Rahmen dessen gibt es für kleine und mittlere Unternehmen                         lage für den von der Bundesregierung eingeleiteten
in Deutschland ein kostenloses Rekrutierungs- und Ver-                            übergreifenden Dialog-Prozess zur Gestaltung des demo­
mittlungsangebot.                                                                 grafischen Wandels. Daran beteiligen sich Vertreter der
                                                                                  Länder und Kommunen, der Sozialpartner und Verbände,
                                                                                  der Wirtschaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaft sowie
                                                                                  Bürgerinnen und Bürger.

                                                                                  Ein wichtiger Aspekt der Demografiestrategie der Bundes-
                                                                                  regierung ist die Fachkräftesicherung. Im Rahmen des
                                                                                  darin vorgesehenen Dialogprozesses setzen sich drei
                                                                                  Arbeitsgruppen explizit damit auseinander. Das Bundes­
                                                                                  ministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) leitet
                                                                                  gemeinsam mit dem Deutschen Industrie- und Handels-
                                                                                  kammertag (DIHK) die Arbeitsgruppe „Auslän­disches
Ausbildung junger Menschen aus Drittstaaten - Chancen zur Gewinnung künftiger Fachkräfte für die Pflegewirtschaft
FA C H K R Ä F T E S I C H E R U N G : B R E I T E S M A S S N A H M E N - PA K E T D E R B U N D E S R E G I E R U N G   9

Arbeitskräftepotenzial erschließen und Willkommens­                           Informationsportale im Internet
kultur schaffen“. Ziel ist es, die Bereitschaft von KMU, inter-
nationale Fachkräfte zu gewinnen und zu integrieren,                          Das Informationsportal „Anerkennung in Deutschland“
zu steigern, die Willkommenskultur in Verwaltung, Unter­                      (www.anerkennung-in-deutschland.de) bietet außerdem
nehmen und Gesellschaft zu fördern und ausländische                           aktuelle Informationen über rechtliche Grundlagen
Studierende bzw. Auszubildende für Deutschland zu gewin-                      und Verfahren der beruflichen Anerkennung und hilft
nen.                                                                          bei der Suche nach der zuständigen Stelle.

                                                                              Als komplementäre Maßnahme zum Anerkennungsgesetz
Verbesserte Rahmenbedingungen für die                                         fördert das BMWi das BQ-Portal – das Informationsportal
Anerkennung ausländischer Berufsabschlüsse                                    für ausländische Berufsqualifikationen (www.bq-portal.de).
                                                                              Damit erhalten die zuständigen Stellen ein Arbeitsinstru-
Auch die Anerkennung ausländischer Berufsabschlüsse                           ment, das durch länder- und berufsübergreifende Informa-
dient der Arbeitsmarktintegration ausländischer Fachkräfte                    tionen ausländische Berufsabschlüsse transparenter und
und der Sicherung der Fachkräftebasis in Deutschland.                         Bewertungsverfahren einheitlicher sowie schneller macht.
Zahlreiche Unternehmen, Krankenhäuser und Pflegeein-                          Das Portal bietet Hintergrundinformationen zur Bewer-
richtungen sind schon heute auf ausländisches Personal                        tungspraxis in Deutschland, vielfältige Austausch- und
angewiesen – mit steigender Tendenz. Aus diesem Grund                         Vernetzungsmöglichkeiten und fundierte Arbeitshilfen.
hat die Bundesregierung das „Gesetz zur Verbesserung der
Feststellung und Anerkennung im Ausland erworbener
Berufsqualifikationen“ geschaffen. Es trat zum 1. April 2012
in Kraft und regelt die Anerkennung ausländischer Berufs-
qualifikationen im Zuständigkeitsbereich des Bundes. Für
Menschen, die ihre beruflichen Qualifikationen im Ausland
erworben haben, verbessern die neuen Rahmenbedingun-
gen die Chancen, um in Deutschland in ihrem erlernten
Beruf zu arbeiten.
10

Mehr Pflegebedürftige, weniger Personal
In der Ausbildungs- und Qualifizierungsoffensive begegnen sich die Bedarfe der Pflegewirtschaft

Wachsender Pflegebedarf                                                                               Kaspar Pfister ist der alleinige geschäftsführende Gesell-
                                                                                                      schafter der BeneVit-Gruppe, die deutschlandweit 20 Pfle-
Die Auswirkungen dieser demografischen Entwicklung                                                    geheime mit insgesamt 1359 Pflegeplätzen betreibt. Mit
sind schon heute in der Wirtschaft und insbesondere in                                                ambulanten, teil- und vollstationären Diensten sowie
den sozialen Systemen spürbar: Beispielsweise stehen                                                  Wohnformen und anderen Dienstleistungen erhalten zur-
immer mehr Rentenempfängern immer weniger Beitrags-                                                   zeit ca. 2.000 Menschen Leistungen, die von rund 1.250 Mit-
zahler gegenüber. Durch die steigende Zahl älterer Men-                                               arbeitern erbracht werden. BeneVit setzt im stationären
schen wird naturgemäß auch der Anteil der Pflegebedürfti-                                             Bereich konsequent auf das Hausgemeinschaftskonzept,
gen deutlich zunehmen. Derzeit leben in Deutschland etwa                                              indem die Pflegeheime in mehrere, jeweils autarke, Woh-
2,5 Millionen Pflegebedürftige, von denen etwa ein Drittel                                            nungen aufgeteilt sind. Pfister weiß, dass Angehörige oder
in Pflegeheimen betreut wird; die anderen können in ihrer                                             Ehrenamtliche die immensen künftigen Pflegeleistungen
gewohnten häuslichen Umgebung – vielfach durch Ange-                                                  allein nicht erbringen können: „Das Gegenteil ist der Fall“,
hörige – versorgt werden.2 Geht man von einer konstanten                                              so Pfister. „Die Veränderungen innerhalb der familiären
altersspezifischen Pflegewahrscheinlichkeit aus, werden                                               Strukturen erfordern mehr denn je professionelle Pflege-
3,3 Millionen Menschen im Jahr 2030 und 4,4 Millionen im                                              dienstleistungen. Damit verbunden ist der notwendige
Jahr 2050 Pflegeleistungen über die sozialen Sicherungs­                                              Ausbau von altersgerechten Wohnformen und natürlich
systeme benötigen.3                                                                                   die Schaffung zusätzlicher Arbeitsplätze“.

 Fachkräftemangel in Gesundheits- und Pflegeberufen
 Fachkräfte, Spezialisten bzw. Experten, Deutschland nach Ländern, Dezember 2013

                  Humanmedizin (Experten)

                          Schleswig-                                                     Schleswig-                                                  Schleswig-
                           Holstein                                                       Holstein                                                    Holstein
                                          Mecklenburg-                                                   Mecklenburg-                                                Mecklenburg-
                                          Vorpommern                                                     Vorpommern                                                  Vorpommern
                        Hamburg                                                        Hamburg                                                     Hamburg
                         Bremen                                                         Bremen                                                      Bremen
                                                Brandenburg                                                     Brandenburg                                                 Brandenburg
                  Niedersachsen                                                  Niedersachsen                                               Niedersachsen

                                                     Berlin                                                          Berlin                                                      Berlin
                                       Sachsen-                                                       Sachsen-                                                    Sachsen-
         Nordrhein-                     Anhalt                          Nordrhein-                     Anhalt                     Nordrhein-                       Anhalt
         Westfalen                                                      Westfalen                                                 Westfalen

                                                    Sachsen                                                         Sachsen                                                     Sachsen
                                  Thüringen                                                      Thüringen                                                   Thüringen
                      Hessen                                                         Hessen                                                     Hessen

     Rheinland-                                                     Rheinland-                                                Rheinland-
       Pfalz                                                          Pfalz                                                     Pfalz

           Saarland                                                       Saarland                                                  Saarland
                                       Bayern                                                          Bayern                                                      Bayern
                     Baden-                                                         Baden-                                                      Baden-
                   Württemberg                                                    Württemberg                                                 Württemberg

     Fachkräftemangel (Vakanzzeit                         Anzeichen für Fachkräfteeng-                  Keine Engpässe (Vakanzzeit ist                Keine Daten aufgrund kleiner
     liegt mind. 40% über dem                             pässe (Vakanzzeit ist über                    unter dem Bundesdurchschnitt                  Größenordnungen
     Bundesdurchschnitt aller Berufe                      dem Bundesdurchschnitt aller                  aller Berufe oder es gibt mehr
     und es gibt weniger als 150                          Berufe und es gibt weniger                    als 300 Arbeitslose je 100
     Arbeitslose je 100 gemeldete                         als 300 Arbeitslose je 100                    gemeldete Stellen)
     Stellen oder es gibt weniger                         gemeldete Stellen)
                                                                                                                                           Arbeitsmarktberichterstattung@arbeitsagentur.de
     Arbeitslose als gemeldete
                                                                                                                                           Datenquelle: Statistik der Bundesagentur für Arbeit
     Stellen)

2 Statistisches Bundesamt (2013): Pflegestatistik 2011. Pflege im Rahmen der Pflegeversicherung Deutschlandergebnisse
3 Bundesministerium für Gesundheit (BMG): Zahlen und Fakten zur Pflegeversicherung (Stand: 13.05.2013)
MEHR PFLEGEBEDÜRFTIGE, WENIGER PERSONAL                                11

Spürbarer Mangel bei Pflegefachkräften

Schon heute ist der Mangel an Fachkräften im Pflege­
bereich signifikant. Für das Jahr 2025 erwartet die Bundes-
agentur für Arbeit, dass rund 150.000 Pflegefachkräfte
fehlen werden.4 Derzeit kommen nach einer Studie des
Statistischen Bundesamtes auf 100 als offen gemeldete
Stellen nur 37 Altenpflegefachkräfte, die als Arbeit suchend
gemeldet sind (siehe dazu auch Grafik auf Seite 10).5

Allein die BeneVit-Gruppe hat in den letzten zehn Jahren
über 1.200 Mitarbeiter eingestellt. Damit liegt im Pflegebe-
reich auch enormes volkswirtschaftliches Potenzial, wie                 Die Ausbildungs- und Qualifizierungsoffensive fördert inländisches
Herr Pfister erläutert: „Neue Mitarbeiterinnen und Mitar-               und ausländisches Potenzial
beiter bedeuten auch zusätzliche Steuereinnahmen und
Sozialabgaben. Und beim Bau und Betrieb jeder Pflegeein-
richtung fließen Steuern und Gebühren in kommunale
und staatliche Kassen.“                                                 Den Herausforderungen begegnen:
                                                                        Ausbildungs- und Qualifizierungsoffensive

Strukturelle, qualitative und quantitative                              Seit Ende 2012 sind jedenfalls wichtige politische Weichen
Veränderungen in der Pflegebranche                                      für mehr Fachpersonal in den Pflegeberufen gestellt: Seit-
                                                                        dem sind etwa 30 Partner aus Bund, Ländern und Verbänden
Inhaltlich wandelt sich das Spektrum der Krankheiten und                im ersten bundesweiten Ausbildungspakt für den Alten-
damit die Anforderungen an den Beruf: Ältere Menschen                   pflegebereich zusammengeschlossen. Unter der Federfüh-
sind häufiger oder chronisch krank, viele haben mehrere                 rung des zuständigen Bundesministeriums für Familie,
Krankheiten gleichzeitig. Psychisch bedingte oder hirn­                 Senioren, Frauen und Jugend sowie unter Beteiligung der
organische Erkrankungen wie Demenz nehmen zu.                           Bundesministerien für Arbeit und Soziales, Gesundheit,
                                                                        Bildung und Forschung soll die „Ausbildungs- und Qualifi-
So steht die Pflegebranche vor enormen Herausforderun-                  zierungsoffensive Altenpflege“ bis Ende 2015 einen wesent-
gen, weil sie sich strukturell, quantitativ und qualitativ              lichen Beitrag zur Fachkräftesicherung leisten. Zu den
verändert hat. Neue, geeignete Strategien müssen nun – mit              vereinbarten Zielen gehören u. a. eine deutliche Steigerung
Blick auf das immer kleiner werdende Arbeitskräftean­                   der Ausbildungszahlen, die Wiedereinführung der drei­
gebot in Deutschland – entwickelt und umgesetzt werden,                 jährigen Umschulungsförderung (bei gleichzeitiger Mög-
um diesen Trends sinnvoll entgegenzusteuern. Kaspar                     lichkeit zur Ausbildungsverkürzung bei entsprechenden
                      Pfister bringt es auf den Punkt: „Der             Vorkenntnissen) und die verbesserte Anerkennung von im
                      weiter ansteigende Bedarf an Pflege-              Ausland erworbenen Qualifikationen. Außerdem geplant
                      kräften wird aus dem Arbeitskräftepo-             sind die Nachqualifizierung von bis zu 4.000 Pflegehelfern
                      tential in Deutschland nicht gedeckt              zur Altenpflegefachkraft und die Steigerung der Attrak­­-
                      werden können. Wir sind ohne Zweifel              ti­vität des Berufsfeldes (z. B. durch leistungsgerechte Ver­
                      darauf angewiesen, zusätzliche Mit­               gütung) sowie eine öffentliche Kampagne, die eine bessere
                      arbeiter aus dem Ausland zu gewinnen.“            öffentliche Wertschätzung der Altenpflege erreichen soll.
Kaspar Pfister,
alleiniger
geschäftsführender
Gesellschafter
der BeneVit-Gruppe

4 Modellrechnungen des Statistischen Bundesamtes (Destatis) und des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB)
5 Bundesagentur für Arbeit BA (2012): Fachkräfteengpässe in Deutschland – Analyse, Dezember 2012.
12

Ausbildung – eine Chance
Faire politische und gesellschaftliche Rahmenbedingungen
für Pflegekräfte aus Drittländern schaffen

Bessere Integration durch Ausbildung                               Pflegen heißt, immer nah am Menschen zu sein – darum
mit Praxisbezug                                                    kann die Ausbildung nicht nur theoretisch statt­finden.“
                                                                   Darüber hinaus ist die Förderung des Verständnisses für
Der Fachkräftemangel in Deutschland beginnt bereits in             kulturelle Besonderheiten vor Ort für die auslän­dischen
der Phase der beruflichen Ausbildung. Das gibt jungen              Auszubildenden entscheidend, glaubt Frau Döcker: „Neben
Ausländerinnen und Ausländern generell die Chance auf              rein körperlicher Unterstützung soll der Pflegende die per-
eine Berufsausbildung in Deutschland. Dazu müssen                  sönlichen Biografien in die Arbeit einbeziehen und soziale
sie zunächst einen geeigneten Arbeitsplatz finden. Die             Betreuung vermitteln. Bei der AWO bekommen alle Auszu-
deutsche Arbeitsverwaltung prüft (und kann im Vorfeld              bildenden einen festen Praxisplatz, um Erlerntes anzuwen-
angefragt werden), ob es inländische Bewerber für eine             den und alle Anforderungen möglichst früh kennen zu ler-
offene Stelle gibt und ob die übliche Vergütung gezahlt            nen. So vereinen sich Schule und Praxis zu betreuten Orten
wird. Bewirbt sich kein Deutscher und kein EU-Bürger,              der Integration für junge Menschen aus Drittstaaten. Aus-
ist der Weg für die Ausbildung von Staatsbürgern                   bildung und Eingliederung gehen Hand in Hand.“
außerhalb der EU frei.
                                                                   Die Ausbildungszeit kann im Übrigen verkürzt werden,
                        Die Ausbildung selbst sollte so praxis-    wenn eine fachliche Vorbildung im Herkunftsland nach­
                            nah wie möglich sein, meint            gewiesen wird. Dabei vergeht bis zum ersten richtigen
                             Brigitte Döcker, Diplom-Erzie-        Arbeitseinsatz kaum mehr Zeit als bei einem Anerken-
                              hungswissenschaftlerin und           nungsprozess für den ausländischen Abschluss. Doch die
                               Vorstandsmitglied des Bun­          Einrichtungen der Altenpflege können sich auch bei der
                                     desver­bandes der             verkürzten inländischen Ausbildung auf eine standardi-
                                      Arbeiter­­­­wohlfahrt        sierte Qualifizierung auf einem hohen inhaltlichen Niveau
                                      (AWO) e. V.: „Wir vermit-    verlassen. Nach absolvierter Ausbildung kann die Pflege-
                                      teln das fachliche Wis-      fachkraft in ihrem Beruf weiterhin in Deutschland arbei-
Brigitte Döcker,                      sen für das ganze Spekt-     ten, sofern die Beschäftigungsbedingungen denen
Vorstandsmitglied AWO e. V.           rum  der Pflege-Tätigkeit.   vergleichbarer deutscher Arbeitnehmer entsprechen.
AU S B I L D U N G – E I N E C H A N C E   13

Stärken der Ausbildung von internationalen Fachkräften in Deutschland –
Vorteile für die Fachkraft, das Heimatland und den hiesigen Arbeitgeber
14       AU S B I L D U N G – E I N E C H A N C E

 Interview                                                     Herr Kai Friedrich, zuständiger
                                                               Oberamtsrat für das Thema
                                                               schulische Ausbildung im
                                                               Landesamt für Gesundheit
                                                               und Soziales, Berlin.

 „Die Ausbildung kann helfen, eine Art Kulturschock zu vermeiden.“

 Herr Friedrich, welchen Vorteil bietet die Ausbildung         Gab es für Sie im Verlauf des Projektes auch Über­
 von Fachkräften in Deutschland im Vergleich                   raschungen oder neue Erkenntnisse?
 zur Anerkennung des heimatlichen Abschlusses?
                                                               Ja. Einige Entwicklungen konnten wir vorher nicht ein-
 Bei erfolgreichem Abschluss einer Ausbildung in Deutsch-      schätzen oder vorhersagen. Beispielsweise unterscheiden
 land sind die zur Ausübung des Berufs erforderlichen          sich manche Aufgaben, die von einer Pflegekraft in
 sprachlichen Fähigkeiten und kulturellen Kompetenzen          Vietnam erwartet werden, von denen ihrer deutschen
 vorhanden. Im Gegensatz dazu kommt es nach unserer            Kolleginnen und Kollegen. Die Praxis hat auch gezeigt,
 Erfahrung bei einreisenden Fachkräften, deren auslän­         dass man künftig nach einem einheitlichen schulischen
 discher Abschluss zwar anerkannt wurde, die aber nur          Modell verfahren sollte: Entweder lernen alle Schüler und
 unzureichend auf Deutschland vorbereitet wurden, oft zu       Schülerinnen mit ausländischer Erfahrung in einer einzi-
 einer Art Kulturschock. Das erschwert den vollwertigen        gen Klasse oder man verteilt sie auf mehrere. Beide
 Einsatz in den unterschiedlichen Bereichen des Pflege­        Modelle sind zwischenzeitlich erprobt und mit Erfahrun-
 berufs. Darum ist die fundierte Ausbildung in meinen          gen hinterlegt. Schließlich gibt es Unterschiede zwischen
 Augen die bessere Alternative.                                den verschiedenen Nationen: Sie können Erfahrungen, die
                                                               sie mit Pflege­kräften aus Vietnam gemacht haben, nicht
 Wie würden Sie auf lange Sicht die Chancen einer              unbedingt auf afrikanische Fachkräfte übertragen. Die
 Ausbildung von Angehörigen aus Nicht-EU-Ländern               sozialen und kulturellen Umfelder sind einfach zu unter-
 einschätzen?                                                  schiedlich.

 Im Prinzip immer positiv. Das Niveau in der deutschen         Vielen Dank für diese Einschätzungen!
 Alten- und Krankenpflege ist zwar vergleichsweise hoch;
 andererseits ist der Transfer von Arbeitskräften keine
 Einbahnstraße: Schließlich profitieren wir immer
 wieder von den Erfahrungen und Kenntnissen anderer
 Kulturkreise.

 Berufsanerkennung – eine Alternative

 Um parallel zu den Bemühungen für eine fundierte Ausbildung die gesetzlichen Rahmenbedingungen im Bereich der
 Anerkennung zu verbessern, trat im Frühjahr 2012 das „Gesetz zur Verbesserung der Feststellung und Anerkennung im
 Ausland erworbener Berufsqualifikationen“ in Kraft. In den Anerkennungsverfahren wird seitdem die Berufserfahrung
 der Antragsteller stärker als bisher berücksichtigt. Werden fehlende Qualifikationen festgestellt, kann der Antragsteller
 Ausgleichsmaßnahmen (z. B. Eignungsprüfungen, Anpassungslehrgänge) absolvieren. Mit dem Gesetz wird die Grund-
 lage geschaffen, um das Anerkennungsverfahren insgesamt einheitlicher, transparenter und einfacher zu gestalten.
15

Mit „triple win“ gewinnen alle!
GIZ bietet breites Leistungsangebot für neue Modellprojekte zur Fachkräftesicherung

Der akute Mangel an Fachkräften ist auch für die Deutsche
Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) ein         „Triple Win“ in Pflegeberufen –
wichtiges Handlungsfeld. Um wirksam gegenzusteuern, um           Berufsqualifikationen anerkennen
Wachstum und Wohlstand auch in Zeiten des demogra­
fischen Wandels zu sichern, leistet die GIZ wichtige Beiträge    Im Pilotprojekt „Triple Win“ entwickeln die Zentrale
für die Gewinnung qualifizierter ausländischer Arbeit­           Auslands- und Fachvermittlung (ZAV) der Bundesagen-
nehmer für den deutschen Arbeitsmarkt.                           tur für Arbeit und die GIZ neue, nachhaltig wirksame
                                                                 Ansätze, um ausländische Fachkräfte für den deutschen
                                                                 Arbeitsmarkt zu gewinnen. Seit Anfang 2013 wurden
Langjährige Erfahrung, Kompetenz                                 in den Partnerländern Serbien, Bosnien-Herzegowina
und Know-how                                                     und den Philippinen bereits rund 500 Pflegefachkräfte
                                                                 sprachlich, fachlich und interkulturell auf ihre Tätigkeit
Besonders vom Fachkräftemangel betroffen sind die                vorbereitet. Die ersten 300 Stellen werden aktuell mit
Gesundheitsbranche und die so genannten MINT-Berufe              qualifizierten Fachkräften besetzt. In Deutschland
(Technik- und Naturwissenschaften). Darum hat die GIZ            werden Fachkräfte und Arbeitgeber im Integrations-
in enger Kooperation mit der Bundesagentur für Arbeit in         und Anerkennungsprozess unterstützt.
der Vergangenheit verschiedene Pilotprojekte auf den
Weg gebracht, um den Erfolg innovativer Konzepte zu
erproben und damit Grundlagen für die künftige Fach­
kräftesicherung zu legen. Im Bereich des Migrations-            Das Ausbildungsprojekt – Die praktische
Managements von qualifizierten Arbeitskräften verfügt die       Umsetzung
GIZ über ein breites Portfolio. Es basiert auf Erfahrung,
Kompetenz und Know-how. Ebenso wichtig sind die welt-           Wie sieht das ganz konkret aus? Als modellhaften Ansatz
weit bestehenden Kontakte zu Verantwortlichen für               erprobt das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie
Arbeitsmärkte und Bildung sowie zu Vertretern lokal             in einem von der GIZ und ZAV umgesetzten Pilotvorhaben
etablierter Netzwerke aus Unternehmen, Lehreinrich­             seit Herbst 2013 erstmals die Ausbildung junger vietname­
tungen, Goethe-Institutionen und anderen Partnern.              sischer Fachkräfte in Deutschland (alle Projektdetails ab
                                                                Seite 20).

Wie alle Beteiligten profitieren                                Ein Integrationsprogramm, das auf den konkreten Berufs-
                                                                alltag der Altenpflege abgestimmt ist, erleichtert nach der
Die GIZ-Programme zur Fachkräftesicherung bieten allen          Ankunft den Einstieg in das neue Arbeits- und Lebensum-
Beteiligten gute Chancen: Die Unternehmen gewinnen              feld. Die Vorteile einer Ausbildung in Deutschland als Alter-
Fachkräfte, die sie auch auf internationaler Ebene beim         native zu der Anerkennung eines im Ausland erworbenen
Ausbau ihrer Wettbewerbs- und Kooperationsfähigkeit             Berufsabschlusses wurden bereits im vorhergehenden
unterstützen. Die Herkunftsländer der migrierenden Fach-        Kapitel näher erläutert.
kräfte profitieren ebenfalls: Der Technologie- und Wissens­
transfer wird gezielt gefördert, Geldüberweisungen werden
erleichtert und das Diaspora-Engagement erfährt aktive
Unterstützung. Schließlich können die Migranten selbst
neue persönliche und berufliche Erfahrungen erschließen.
Sie erwerben zusätzliche fachliche, kulturelle und sprach­
liche Kompetenzen und damit neue berufliche Optionen
und Perspektiven (siehe Grafik). Die Programme von GIZ
und ZAV bringen auf diese Weise entwicklungs- und
arbeitsmarktpolitische Interessen in Einklang. Diese Pro-
jekte werden entweder für die Bundesregierung oder
im direkten Auftrag der Privatwirtschaft durchgeführt.
16         M I T „T R I P L E W I N “ G E W I N N E N A L L E !

Der Schlüssel: Intensive sprachliche und                                    Fazit: Jeder Einzelne, der in einem fremden Land einen
kulturelle Vorbereitung und Betreuung                                       Neuanfang wagt, um eine Fachkraft zu ersetzen, die dem
                                                                            deutschen Arbeitsmarkt fehlt, hat umfassende und indivi-
Eine gesteuerte Zuwanderung kann aber nur erfolgreich                       duelle Unterstützung verdient. Die deutschen Programme
sein, wenn beides gelingt: die Integration in den Arbeits-                  zur Fachkräfteausbildung und -sicherung fördern die Inte-
markt und in das gesellschaftliche Umfeld. Eine gute                        gration ausländischer Arbeitskräfte in die deutsche Gesell-
Begleitung der Fachkräfte in allen Phasen trägt entschei-                   schaft – bei gleichzeitiger Wahrung der Interessen ihrer
dend dazu bei, dass der Anteil migrationswilliger aus­                      Herkunftsländer.
ländischer Fachkräfte, die sich für den Standort Deutsch-
land entscheiden, steigt.

 Triple Win – Wie die drei beteiligten Akteure von der Fachkräftemigration profitieren

                                      Fachkräftemigration nach Deutschland mit nachhaltiger Wirkung

                                                       ●   Qualifikation
                                                                                          Herkunfts-/Partnerland
                                                       ●   Berufserfahrung
     Deutschland/deutsche Arbeitgeber                                                     ● Know-how-Transfer
                                                       ●   Know-how-Gewinn
     ● Ausgleich Fachkräftemangel                                                         ● Wissenschafts-/Wirtschaftskooperationen
                                                       ●   Diasporakooperation
     ● länderübergreifende Netzwerke                                                      ● Berufsbildung/Qualifizierung
                                                       ●   Wissensmultiplikator
     ● Know-how-Transfer                                                                  ● Institutionelle Kooperationen
                                                       ●   Qualifikation
     ● Institutionelle Kooperationen                                                      ● Tandem: Integrierte Fachkraft (IF)
                                                       ●   Diasporakooperation
                                                                                            Rückkehrende Fachkraft (RF)
                                                       ●   eventuell erneute Migration

                                      Rückkehr ins Herkunfts-/Partnerland
17

FairMittlung –
Partnerschaftliche Kooperation

Fachkräfte fair vermitteln: Gleicher
                                                                                Herr Nguyen Ngoc Quynh ist
Lohn für gleiche Arbeit                                                         Generaldirektor des vietname­
                                                                                sischen Departments of Overseas
Ob Ausbildung oder Anerkennung: Bei der Aus- und Fort-                          Labor (DOLAB). DOLAB ist eine
bildung, bei der Entlohnung und den Arbeitsbedingungen                          Abteilung des vietnamesischen
                                                                                Ministeriums für Arbeit, Kriegs-
gilt der Gleichbehandlungsgrundsatz. „Hier darf es keine
                                                                                versehrte und Soziales (MOLISA)
Unterschiede geben“, fordert Brigitte Döcker in ihrer Funk-                     und für das Altenpflegeprojekt
tion als Vorstandsmitglied des Bundesverbandes der Arbei-                       erster Ansprechpartner in der
terwohlfahrt. „Doch zur gewünschten Verbesserung der                            deutsch-vietnamesischen Zusam-
                                                                                menarbeit.
Attraktivität des Berufsbildes gehören auch eine bessere
Bezahlung der Pflegekräfte, angemessene Aufstiegsmög-
lichkeiten sowie optimierte Arbeitsbedingungen für in-        „Durch das Pilotvorhaben zur Ausbildung in
und ausländische Pflegekräfte“, ergänzt Frau Döcker. Und      der Pflegewirtschaft haben wir einen neuen
sie warnt vor den Gefahren eines Preiskampfes auf dem         Weg der vietnamesisch-deutschen Zusam-
Rücken der Pflegenden: „Auf keinen Fall darf durch die        menarbeit beschritten. Im Vordergrund ste-
vermehrte Anwerbung ausländischen Personals Druck aus-        hen nicht die bloße Arbeitskraft, sondern
geübt werden, um in Deutschland die Lohnkosten in der         die Ausbildung und die Chance der späteren
Pflege flächendeckend zu senken.“                             Berufstätigkeit in Deutschland.

Parallel zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen für Aus-     Das Pilotvorhaben ist von beiderseitigem
zubildende und Fachkräfte bedarf es eines entwicklungs-       Interesse, da es sowohl dem deutschen Inter-
verträglichen Vorgehens bei der Fachkräfte­gewinnung.         esse nach künftigen Fachkräften als auch
Konkret sollen Fachkräfte nur aus jenen Branchen und          unserem vietnamesischen Interesse nach Wis-
Ländern rekrutiert werden, die durch Abwanderung von          sensvermittlung im Gesundheitswesen
Erwerbsfähigen entlastet werden, weil es hier bereits ein     gerecht wird.
Überangebot an Arbeitskräften gibt. Ein enger, partner-
schaftlicher Dialog mit den Verantwortlichen in den Her-      Zugleich wird durch das Pilotprojekt die Chance
kunftsländern vermeidet so genannte Brain-Drain-Effekte       auf­gezeigt, wie eine langfristig angelegte Zu­­
in den Drittländern (unerwünschter Talentschwund durch        sammenarbeit zwischen vietnamesischen und
Abwanderung der „guten“ Köpfe). Auch internationale           deutschen Einrichtungen im Gesundheits­
Kodizes sind zu beachten, etwa der Verhaltens­kodex der       wesen gestaltet werden kann. Und dies ist in
Weltgesundheitsorganisation zur Anwerbung von Gesund-         unserem Sinne einer guten Partnerschaft.
heitsfachkräften. Er enthält ethische Grundsätze, die bei     Wir wünschen uns einen beiderseitigen Nutzen
der Rekrutierung von Gesundheitspersonal angewendet           der Zusammenarbeit, welche die Ausbildung
werden sollen. Hier sind Rechte und Pflichten der Beteilig-   in Deutschland umfasst, aber auch den Aus-
ten in den Herkunfts- und Zielländern konkretisiert, und      tausch von Lehrinhalten und Lehrkräften.
auch den besonderen Bedürfnissen und Interessen der
ab­wandernden Gesundheitsfachkräfte wird Rechnung             Ein besonderes Anliegen ist uns auch der
getragen.                                                     Aspekt der Fairness. Wir wollen keine Vermitt-
                                                              ler, die nur des schnellen Profits wegen Fach-
                                                              kräfte aus Vietnam anwerben. Deshalb werden
                                                              wir die bestehenden rechtlichen Regelungen
                                                              zur Arbeitsvermittlung ins Ausland streng
                                                              anwenden. Die durch die Regierungen unserer
                                                              Länder vereinbarten Pilotvorhaben sowie die
                                                              langfristig an­gelegten Kooperationen sind der
                                                              sichere und erfolgreiche Weg.“
18

Herausforderungen und Stärken: Der Stand-
ort Deutschland im Fachkräftewettbewerb

Willkommenskultur in Deutschland fördern                       Attraktive Arbeitsplätze schaffen

Wer andere Länder, Kulturen und ihre Menschen auf diese        Der Abbau bestehender formaler Arbeitsmarkt-Zugangs­
Weise kennenlernen und von ihrem Fachkräfteüberschuss          beschränkungen ist bei den Bemühungen um kluge Köpfe
profitieren möchte, wird sich nach außen öffnen müssen.        bei weitem nicht ausreichend. Programme zur Rekrutie-
Doch die Erkenntnis, dass eine gesteuerte Zuwanderung          rung ausländischer Fachkräfte für den deutschen Arbeits-
qualifizierter Arbeitskräfte aus Drittländern angesichts der   markt müssen nicht nur durchdacht und innovativ, son-
demografischen Struktur unerlässlich ist, hat sich hierzu-     dern für migrationswillige Arbeitskräfte vor allem attraktiv
lande noch nicht überall durchgesetzt. So gelten die Deut-     sein. Das manifestiert sich auch in den Wahlmöglichkeiten,
schen im Ausland oft als „geschlossene Gesellschaft“ und       die junge Fachkräfte im Anschluss an ihre Ausbildung
im gleichen Atemzug wird den Deutschen häufig eine             haben, weiß AWO-Vorstandsfrau Brigitte Döcker: „Anwer-
mangelnde Willkommenskultur vorgeworfen, in der die            bung darf keine Einbahnstraße sein. Die spätere Rückkehr
Zuwanderung eher skeptisch bis ablehnend wahrgenom-            in ihr Heimatland muss für die Angeworbenen immer
men wird. Bei der Verbesserung der Aufnahmebereitschaft        eine Option sein. Denn die hier gesammelten Erfahrungen
ausländischer Fachkräfte in die Gesellschaft hat Deutsch-      und das Wissen um die Spezifika der Altenpflege in Deutsch-
land Nachholbedarf.                                            land können in den Herkunftsländern angewendet und
                                                               landesgerecht weiterentwickelt werden – vorausgesetzt, die
Dieses Problem ist gravierend, denn Deutschland steht mit      deutsche Ausbildung wird im jeweiligen Heimatland auch
seiner hohen Nachfrage nach Fachkräften keineswegs             anerkannt.“
allein: International gibt es eine Konkurrenzsituation mit
praktisch allen anderen Industrienationen, in der Deutsch-
land teilweise im Nachteil ist: Länder, in denen vorwiegend
Englisch gesprochen wird, erfreuen sich bei vielen Zuwan-
derern größerer Beliebtheit. Zudem verfügt Deutschland
im Vergleich zu anderen klassischen Einwanderungsländern
über wenig ausgebaute Migrationsnetzwerke.
19

Vietnam: Partnerland für Ausbildungs-
pilotprojekt in der Altenpflege

Gewachsene Verbindungen zwischen                               ist jeglicher Zeit- und Kostendruck während der wichtigen
Deutschland und Vietnam                                        Phase der Vorbereitung und Eingliederung kontraproduk-
                                                               tiv: „Entscheidend ist, dass sowohl die Auszubildenden aus
Dass ausgerechnet Vietnam das Partnerland für das              den Drittstaaten als auch die hier tätigen Mitarbeitenden
gemeinsame Ausbildungspilotprojekt in der Altenpflege          bestmöglich auf die neue Situation vorbereitet werden. Das
wurde, ist kein Zufall. Schon zu DDR-Zeiten verbanden die      bedeutet, dass wir uns gegenseitig mit unseren jeweiligen
beiden Länder enge diplomatische Beziehungen. Zahlreiche       kulturellen Hintergründen auseinandersetzen, um die
Vietnamesen arbeiteten oder studierten damals im deut-         anderen Traditionen und Lebensformen kennenzulernen.
schen Osten. Auch heutzutage gelten die in Deutschland         Weiterhin gilt es, die verschiedenen zwischenmenschlichen
lebenden Vietnamesen gesellschaftlich als gut integriert.      Kommunikationsmuster richtig einzuordnen: Gerade in
Dazu kommt eine gute Grundbildung und eine hohe                der Pflege ist die Kommunikation mit den zu pflegenden
Alphabe­tisierungsquote von 94 Prozent (2009). In einer        Menschen, mit den Kollegen, aber auch mit Angehörigen
heute vergleichsweise jungen vietnamesischen Gesellschaft      oder Ärzten ein wichtiger Aspekt. Je besser uns dies gelingt,
sind 60 Prozent der Menschen nach 1975 geboren. Dem            umso erfolgreicher wird sich die Zusammenarbeit gestal-
hohen Bedarf an Bildungsmaßnahmen steht ein Überan­            ten.“
gebot an potenziellen Arbeitskräften gegenüber, weshalb
die vietnamesische Regierung die Mobilität der Erwerbs­
fähigen und Ausreisewilligen nach Kräften unterstützt.
Denn das Ausbildungsniveau im Land ist niedrig: Über            Altenpflege in Vietnam:
80 Prozent aller Erwerbstätigen verfügen nicht über eine        Krankheiten behandeln statt
abgeschlossene Berufsausbildung. Für eine positive Ent-         Grundversorgung leisten
wicklung der vietnamesischen Volkswirtschaft wird eine
besser ausge­bildete, flexible und mobile Bevölkerung           Es gibt grundlegende Unterschiede zwischen den Pflege-
ein entscheidender Faktor sein.                                 systemen in Vietnam und Deutschland. Derzeit arbeiten
                                                                vietnamesische Pflegefachkräfte vorwiegend in der
Ihre kulturell geprägten Eigenschaften – die den Vietname-      Behandlungspflege, weil Hygiene und körperliche Ver-
sinnen und Vietnamesen eigene Motivation, ihr Pflichtbe-        sorgung traditionell zu den Aufgaben der Familienan­
wusstsein und ihr Ehrgeiz – sind gute Voraussetzungen für       gehörigen gehört. Zwar werden die Kapazitäten zur
die angestrebte Tätigkeit im Pflegesektor. Auch genießen        Versorgung älterer Familienangehöriger im eigenen
ältere Menschen in Vietnam – als Bewahrer von Tradition         Haushalt auf längere Sicht auch in Vietnam abnehmen,
und Wissen – eine hohe Wertschätzung, die sich beispiels-       aber noch steht für die Pflegekräfte überwiegend die
weise in einem respektvoll-freundschaftlichen Umgang            Therapie von Erkrankungen im Fokus. Es ist hier an der
innerhalb ihrer Familien und damit auch der Pflegekräfte        Tagesordnung, dass Pflegekräfte Blut abnehmen,
gegenüber ihren Patienten widerspiegelt.                        Zugänge oder Sonden legen und sich um die komplette
                                                                postoperative Versorgung älterer Patienten kümmern.
Gleichzeitig hat die pflegerische Arbeit in Fernost durchaus    So ist der medizinisch-gesundheitliche Bereich auch in
andere Schwerpunkte als in Deutschland (siehe Infokasten).      der Ausbildung ein wesentlicher Schwerpunkt. Aller-
So gilt es, die ausländischen Fachkräfte nicht nur sorgsam      dings fehlt es in Vietnam an einem einheitlichen Ausbil-
auf die deutsche Mentalität vorzubereiten, sondern auch         dungsprogramm für den Beruf des Altenpflegers. Die
die fachlichen Unterschiede und Erwartungen frühzeitig zu       einzelnen Ausbildungsmöglichkeiten variieren stark und
kommunizieren. Für Brigitte Döcker, Vorstandsmitglied           erreichen auch nicht immer internationale Standards.
des Bundesverbandes der Arbeiterwohlfahrt (AWO) e. V.,
20

Pflegeausbildung und gesellschaftliche
Integration für junge
Vietnamesinnen und Vietnamesen
Das Projekt „Ausbildung von Arbeitskräften aus Vietnam                    Für gute Berufsaussichten: Ausbildung nach
zu Pflegefachkräften“ beruht auf der „Ausbildungs- und                    deutschen Standards und Integration
Qualifizierungsoffensive Altenpflege“ der Bundesrepublik.
Es wird von der Deutschen Gesellschaft für Internationale                 Im September 2013 haben insgesamt 100 junge Menschen
Zusammenarbeit (GIZ) und der Zentralen Auslands- und                      aus Vietnam in Bayern, Berlin, Baden-Württemberg und
Fachvermittlung der Bundesagentur für Arbeit (ZAV)                        Niedersachsen eine verkürzte zweijährige Ausbildung
durchgeführt.                                                             in der Altenpflege begonnen. Sie wurden durch einen
                                                                          Intensiv-Sprachkurs vorbereitet und verfügten bereits über
                                                                          praktische Vorkenntnisse in einem Gesundheitsberuf.
Projekt mit Modellcharakter für künftige                                  Nach der Ausbildung sollen sie zunächst drei Jahre
Vorhaben                                                                  lang ihren Beruf ausüben, bevor sie ihre persönliche
                                                                          Entscheidung treffen, wo sie sich dauerhaft niederlassen
Durch dieses Modellvorhaben sollen die Chancen einer                      wollen.
fundierten Pflegefachausbildung für junge Menschen
aus Schwellen- und Entwicklungsländern ausgelotet und
beispielhaft erprobt werden. Gleichzeitig gewinnt der                     Wichtige Projektphasen
deutsche Pflegebereich Mitarbeiter, die nach inländischen
Standards ausgebildet wurden. Nach dem erfolgreichen                      Diese Phasen kennzeichnen den Projektverlauf:
Abschluss ihrer Berufsausbildung können die vietname­
sischen Pflegekräfte eine Aufenthaltserlaubnis erhalten.                  Vorbereitung und Auswahl der Teilnehmer
Diejenigen unter ihnen, die in ihr Heimatland zurück­
kehren möchten, werden mit den neu erworbenen Kom­                        Nach den nötigen Vorbereitungen erfolgten die Stellenaus-
petenzen wiederum einen wertvollen Beitrag zum Auf­-                      schreibung sowie die sich anschließende Auswahl 120 mög-
bau des dortigen Pflegesektors leisten.                                   licher Teilnehmerinnen und Teilnehmer durch die ZAV und
                                                                          dem vietnamesischen Department of Overseas Labor (DOLAB).

 Pilotprojekt zur Ausbildung von Fachkräften aus Vietnam in der Pflegewirtschaft

                                                                                                                                     2014
                                                                                                                                      bis
                                                                                                                                     2016

 Anbahnungsphase          Teilnehmerauswahl                               Vorbereitungen              Einführungswochen
 Oktober 2012 bis         Mitte Februar bis        Mitte März bis         in Deutschland und          September
 Mitte Februar 2013       Mitte März 2013          Ende August 2013       Vietnam                     bis Oktober 2013
                                                                          Mai bis August 2013

 ● Vorstudie              ● Vorbereitung           ● Sprachkurse inkl.    ● Visa-/Pass-               ● Interkulturelle        ● Aufrechterhaltung
 ● Gespräche und            (Stellenausschrei-       Fachsprachmodul          beantragung                 Trainings TN + AG      der Ansprech-
   Vertragsabschluss        bung, Festlegung der   ● Hospitation          ●   Gesundheitscheck        ●   Aufenthaltsge-         Struktur (Projekt-
   mit Kooperations-        Auswahlkriterien         Altenpflegeheim      ●   Übersetzungen/              nehmigungen/ Ein-      management der
   partnern (ZAV,           mit ZAV/DOLAB;                                    Beglaubigungen der          wohnermeldeamt         GIZ, Mentoren,
   GIZ, DOLAB)              Vorauswahl durch                                  Zeugnisse etc.          ●   Mietverträge,          Koordinatoren)
 ● Gespräche mit BMWi       DOLAB                                         ●   Aufteilung der TN auf       Kontoeröffnungen,    ● Regionalkonfe-
   und Partnern auf       ● Durchführung der                                  Arbeitgeber (AG)            Internet (Alltags-     renzen mit Partner-
   deutscher Seite          Auswahltage                                   ●   Koordination der Ver-       training)              einrichtungen
 ●                          (Intensive Vorberei-                              träge (AG/TN)           ●   Besuch der             und Auftraggeber
                            tung durch DOLAB                              ●   Flugbuchungen               Einrichtungen        ● Unterstützung
                            GIZ/ZAV vor Ort,                                                          ●   Einführung der         der TN
                            Auswahl der                                                                   Regionalkoordina-    ● ggf. Organisation
                            Teilnehmer TN)                                                                toren und Mentoren     von Rückflügen
                                                                                                      ●   Ausflüge

                Partnerakquise                       Kontinuierliche Teilnehmer- und Partnerbetreuung
AU S B I L D U N G U N D G E S E L L S C H A F T L I C H E I N T E G R AT I O N F Ü R J U N G E V I E T N A M E S I N N E N U N D V I E T N A M E S E N   21

                                                                                     Die Erkenntnisse aus diesem wissenschaftlich begleiteten
                                                                                     Pilotvorhaben sollen der Pflegebranche in Deutschland
                                                                                     schon bald als Modell zur Anwerbung weiterer Fachkräfte
                                                                                     aus dem Ausland dienen.

                                                                                     Mentoren und regionale Koordinatoren
                                                                                     für gute Integration und Kommunikation

Auftaktveranstaltung des Pilotprojekts in Hanoi                                      Während ihrer Ausbildung sind sie nicht auf sich allein
                                                                                     gestellt. Ihre Betreuer (Mentoren), die teilweise selbst einen
                                                                                     vietnamesischen Hintergrund haben, sind wichtige Bezugs-
Sprachkurs und Vorbereitung auf den Aufenthalt                                       personen für die jungen Vietnamesinnen und Vietnamesen.
in Deutschland                                                                       Sie helfen ihnen, sich mit der deutschen Kultur und Lebens­
                                                                                     weise vertraut zu machen, sprachliche oder kulturelle
Vor und während der Ausbildung soll sichergestellt sein,                             Barrieren zu überwinden und ihren Weg in die Gesellschaft
dass den ausländischen Pflegekräften nicht allein die deut-                          zu finden. Sie organisieren gemeinsame Freizeitprogramme
schen Pflegestandards umfassend vermittelt werden, so                                sowie kulturelle Veranstaltungen für die Teilnehmer und
dass sie fachlich gut gerüstet in ihre berufliche Zukunft                            begleiten sie bei Exkursionen.
starten können. Mit einem Intensivsprachkurs und, darauf
aufbauend, einer vierwöchigen berufsfachspezifischen                                 Regionale Koordinatoren sind als Schnittstelle zur GIZ die
sprach­lichen Ausbildung wurden die jungen vietnamesi-                               Ansprechpartner für die beteiligten Praxispartner vor
schen Auszubildenden vorab für ihren Aufenthalt in                                   Ort, also für die Vertreter von Pflegeeinrichtungen und
Deutschland fit gemacht. In einem Gemeinschaftshaus am                               Berufsfachschulen. Die Regionalkoordinatoren organisieren
Rande von Hanoi lernten sie sich gegenseitig kennen. Hier                            die umfassende, kontinuierliche Betreuung der Auszubil-
wurden sie in der Vorbereitungsphase nicht nur verpflegt,                            denden während des ersten Jahres. Für alle Fragen rund um
sondern in ihrer Freizeit durch deutsche Filmabende,                                 Ausbildung und Organisation sowie für persön­liche Anlie-
Fußballturniere und ähnliche Veranstaltungen unterhalt-                              gen sind sie kompetenter Ansprechpartner. Sie berichten
sam auf die deutsche Lebensart und die kulturellen Beson-                            regelmäßig an die GIZ und stimmen sich mit ihr bei
derheiten vorbereitet. Der Gruppenzusammenhalt wirkte                                unklaren Entscheidungssituationen ab. Darüber hinaus
sich auf die Lernbereitschaft positiv aus. Die besten 100                            stehen sie in ständigem Austausch mit den Mentoren, um
Absolventinnen und Absolventen reisten schließlich nach                              Probleme gemeinsam zu lösen oder offene Fragen aus
Deutschland aus.                                                                     der Teilnehmerbetreuung zu besprechen. Auch mit den
                                                                                     Arbeitgebern stehen die Koordinatoren regelmäßig im
                                                                                     Kontakt, um Bericht zu erstatten oder die Durchführung
Integration während der zweijährigen                                                 regionaler Veranstaltungen zu unterstützen.
Berufsausbildung, Ausblick

Ein spezielles Programm zur Integration in Deutschland,
das auf den beruflichen Pflegealltag abgestimmt wurde, soll
den jungen Vietnamesinnen und Vietnamesen den Einstieg
in das neue Lebens- und Arbeitsumfeld erleichtern. Die
laufende Berufsausbildung geht mit diesen
Integrationsmaßnahmen und der Fortführung des Sprach-
unterrichtes Hand in Hand. Zum Einführungsprogramm
gehören etwa Behördengänge, Einkäufe oder die Nutzung
öffentlicher Verkehrsmittel. Auf diese Weise eröffnen
sich Perspektiven für eine längerfristige Beschäftigung                              Das Ankommen im neuen Zuhause wird intensiv begleitet,
in Deutschland.                                                                      so entstehen Räume zum Leben und Lernen.
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