AUDIT COMMITTEE QUARTERLY - EXTRA - ZUR FINALISIERUNG DES FISG

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AUDIT COMMITTEE QUARTERLY - EXTRA - ZUR FINALISIERUNG DES FISG
Audit Committee
                  Quarterly                              ex t ra
                  das magazin für corporate governance

                                                                   Gefördert durch

Audit Committee
Institute e.V.

                   Vertrauen

                            wiedergewinnen!
        Zur Finalisierung des FISG
AUDIT COMMITTEE QUARTERLY - EXTRA - ZUR FINALISIERUNG DES FISG
E D I T O REI D
              ALITORIAL

                                   Nicht besser,
                                       sondern anders
         Mit dem Regierungsentwurf zum Gesetz zur Stärkung               Wir möchten aber auch einen weiteren Schwerpunkt
         der Finanzmarktintegrität (FISG) schlägt der Gesetz-            setzen, eine Wertung der Maßnahmen vornehmen und
         geber ein weiteres Kapitel in den Bereichen Corporate           deren Angemessenheit betrachten. Die Politik hat auf
         Governance und Abschlussprüfung auf. Die Gesetzes-              die Causa Wirecard schnell reagiert.
         initiative ist eine Antwort auf die Vorkommnisse bei
         Wirecard.                                                       Sind die Maßnahmen zielführend? Alle vorgeschlage-
                                                                         nen Regeln stellen in meinen Augen eine Verbesse-
         Was steht im Fokus? Aufsichtsräte in Unternehmen                rung der aktuellen Situation dar. Sie gehen aber nicht
         von öffentlichem Interesse sind in Zukunft mit erhöhter         weit genug. Bei Betrachtung der aktuellen Gescheh-
         Expertise zu besetzen und erhalten darüber hinaus ein           nisse sind weiterhin einige »Unwuchten« erkennbar.
         erweitertes modifiziertes Auskunftsrecht für den Prü-           Der Markt der Wirtschaftsprüfer weist immer noch zu
         fungsausschussvorsitzenden. Auch die Angemessen-                starke oligopole Strukturen auf, mit all ihren negativen
         heit und die Wirksamkeit unternehmerischer Kontroll-            Konsequenzen. Ebenso ist die Aufsichtsratsarbeit wei-
         systeme bei börsennotierten Gesellschaften rücken               ter zu professionalisieren. Gerade die Zusammenarbeit
         in den Fokus. So werden interne Kontrollsysteme,                zwischen Aufsichtsrat und Abschlussprüfer muss auf
         die Wirksamkeit der Systeme und das Verhältnis von              neue Füße gestellt werden. Hier ist auf beiden Seiten
         ­Risikomanagement und Risikofrüherkennungssystem                Selbstkritik und Reflexion gefragt.
         genauer abgegrenzt sowie auch die diesbezüglichen
         Vorgaben zur Einrichtung und Ausgestaltung präziser             Wir hoffen, Anstöße für diese Diskussion zu geben.
         definiert.                                                      Ich wünsche Ihnen eine spannende Lektüre.

         Für den Bereich der Abschlussprüfung gibt es eben-              Es muss nicht nur besser werden, es muss in einigen
         falls angepasste Rahmenbedingungen. So kommt es                 Bereichen auch anders werden.
         zu einer Verschärfung der Rotationsvorschriften und
         zu einer erweiterten Abschlussprüferhaftung, sowohl
         was deren Voraussetzungen als auch deren Höhe an-
         geht.

         Es ist wichtig, die Kerninhalte zu reflektieren und bei
         der Organisation der Governance und der Durchfüh-
         rung der Abschlussprüfung zu berücksichtigen. Hierzu
         wollen wir – wie Sie es von uns gewohnt sind – umfas-
         send informieren.

                                                                         Ihr

                                                                         Prof. Dr. Kai C. Andrejewski

                                                          © 2021 Audit Committee Institute e.V., assoziiert mit der KPMG AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, einer Aktiengesell-
                                                          schaft nach deutschem Recht und ein Mitglied der globalen KPMG-Organisation unabhängiger Mitgliedsfirmen, die KPMG
                                                          International Limited, einer Private English Company Limited by Guarantee, angeschlossen sind. Alle Rechte vorbehalten.
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i n h a lt

                                                                                      V ert r au en w iedergew in nen!
                                                                                               Zur Finalisierung des FISG

                                                                     2 E ditorial
                                                                    		 Prof. Dr. Kai C. Andrejewski

                                                                     4	Finanzmarktintegritätsstärkungsgesetz (FISG) –
                                                                        die »richtigen Antworten auf Wirecard«?
                                                                    		 Prof. Dr. Joachim Hennrichs

                                                                     8	Zur Einrichtungs-, Überwachungs- und Prüfungspflicht von
                                                                        Compliance-Management-Systemen (CMS) nach dem FISG-RegE
                                                                    		 Univ.-Prof. Dr. Patrick Velte und
                                                                        Rechtsanwalt Prof. Dr. Daniel Graewe, LL.M.

                                                                    11	Das FISG als Chance: Neue Impulse für die Ausgestaltung
                                                                        wirksamer Governance-Systeme
                                                                    		 Dr. Jan-Hendrik Gnändiger und Katharina Gädeke

                                                                    16	Eine Mindestgröße für den Aufsichtsrat?
                                                                    		 Prof. Dr. Anne d’Arcy

                                                                    18	Schärft die Redepflicht des Abschlussprüfers nach!
                                                                    		 Prof. Dr. Dr. h. c. mult. Peter Hommelhoff

                                                                    20	Das Direktinformationsrecht des Prüfungsausschussvorsitzenden
                                                                        nach dem FISG und seine Folgen
                                                                    		 Prof. Dr. Dörte Poelzig, M. jur. (Oxford)

                                                                    22	Muss der Aufsichtsrat weiter professionalisiert werden?
                                                                        Gedanken zum Finanzmarkt­integritätsstärkungsgesetz (FISG)
                                                                    		 Prof. Dr. Dr. Klaus J. Hopt

                                                                    24	Der Prüfungsausschuss – von der Kür zur Pflicht
                                                                    		 Dr. Klaus von der Linden

                                                                    28	Neuregelung der externen Prüferrotation aus der Unternehmens-
                                                                        perspektive
                                                                    		 Dr. Andreas Duhr

                                                                    31       Impressum

                                                                    32          i n ei g e n er S a c h e
                                                                                 Financial Reporting Update 2021 – Aktuelles für Aufsichtsräte

                                                                    33       Bestellformular

© 2021 Audit Committee Institute e.V., assoziiert mit der KPMG AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, einer Aktiengesell-
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AUDIT COMMITTEE QUARTERLY - EXTRA - ZUR FINALISIERUNG DES FISG
4   Audit Committee Quarterly extra
                                      © 2021 Audit Committee Institute e.V., assoziiert mit der KPMG AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, einer Aktiengesell-
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Finanzmarktintegritäts-
                              stärkungsgesetz (FISG) –
                         die »richtigen Antworten
                         auf Wirecard«?                                                                      Autor: Prof. Dr. Joachim Hennrichs

                          I.                                                                                               II.
                          Der Wirecard-Fall war der GAU für die Finanzmarkt­                                              1.	Gegen die im FISG-Entwurf vorgesehenen Ver-
                          integrität in Deutschland. Bezogen auf die Bilanzkon-                                           schärfungen hinsichtlich Rotation des Abschluss-
                          trolle durch DPR und BaFin zeigt der Skandal System-                                            prüfers und stärkerer Trennung von Prüfung und
                         fehler, die regulatorisch behoben werden sollten.                                                Beratung sind m. E. keine Einwände zu erheben.
                         Wenn Unregelmäßigkeiten oder gar Betrug von der                                                  ­Diese Maßnahmen sind zwar durch den Wirecard-
                         Leitung des geprüften Unternehmens ausgehen, kann                                                Skandal unmittelbar nicht veranlasst (weil diese Um-
                         eine Bilanzkontrolle, die im Ausgangspunkt auf die                                               stände in dem Fall, soweit ersichtlich, keine beson­
                         ­kooperative Zusammenarbeit zwischen Kontrollinstanz                                             dere Rolle gespielt haben), können aber helfen, das
                          und geprüftem Unternehmen aufbaut, nicht sinnvoll                                               Vertrauen in die Integrität des Finanzmarkts und in die
                          funktionieren. Eine Neuordnung der Bilanzkontrolle ist                                          Abschlussprüfer als wichtige Intermediäre zu stärken.
                          als »Antwort auf Wirecard« daher unausweichlich.
                          Darin ist dem FISG-Entwurf zuzustimmen.                                                         Freilich sollte die gegenwärtige Grenzziehung zwi-
                                                                                                                          schen Prüfung und Beratung nachjustiert werden.
                         Bezogen auf die Abschlussprüfung und die Corpo-                                                  Für bestimmte, bislang als Nichtprüfungsleistungen
                          rate Governance offenbart der Wirecard-Fall dage-                                               eingeordnete Maßnahmen (wie Comfort Letter und
                          gen weniger grundlegende regulatorische Defizite,                                               freiwillige Abschlussprüfungen im Konzernkreis) sollte
                          sondern wohl eher ein persönliches Versagen einzel-                                             wegen der Sachnähe zur Abschlussprüfung weiter-
                          ner Akteure und eine besonders hohe kriminelle Ener-                                            hin der (Konzern-)Abschlussprüfer beauftragt werden
                         gie der Täter. Das wird gerichtlich aufgearbeitet. Dieser                                        können.
                          Befund schließt einzelne Nachschärfungen auch bei
                          den Regeln für die Abschlussprüfung und die Cor­                                                2.	Der FISG-Entwurf will an der privatrechtlich
                         porate Governance nicht aus. Aber sie sollten mit                                                strukturierten Abschlussprüfung grundsätzlich fest-
                         ­Augenmaß erfolgen. Der FISG-Entwurf verdient auch                                               halten. Namentlich soll der Abschlussprüfer weiterhin
                          insoweit im Grundsatz Zustimmung. Freilich enthält er                                           durch das geprüfte Unternehmen (vertreten durch
                          einzelne überschießende Regelungen, die noch-                                                   den Aufsichtsrat) beauftragt und von diesem auch
                          mals überdacht werden sollten. Umgekehrt werden                                                 bezahlt werden. Das sollte nochmals überdacht
                          manche Probleme im FISG-Entwurf nach wie vor nicht                                              werden.
                          ausreichend adressiert. Insoweit besteht weiterer
                          Reformbedarf.1                                                                                  Solange der Abschlussprüfer frei verhandelbare Ver-
                                                                                                                          gütungsinteressen mit der geprüften Gesellschaft ver-
                         1 Für eine ausführliche Würdigung des FISG-Entwurfs siehe Hennrichs,
                                                                                                                          bindet, bestehen Abhängigkeiten.
                           Der Betrieb – DB – Jg. 2021, S. 268 – 279 m. w. N.

                                                                                                                           Vertrauen wiedergewinnen! – Zur Finalisierung
                                                                                                                                                              Sports Governance
                                                                                                                                                                         des FISG 5
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AUDIT COMMITTEE QUARTERLY - EXTRA - ZUR FINALISIERUNG DES FISG
Die Beauftragung des Abschlussprüfers durch den                         4.	Die Anhebung der Haftungshöchstgrenzen
                 Aufsichtsrat (statt durch den Vorstand), die § 111 Abs. 2               gemäß § 323 Abs. 2 HGB ist richtig. Zusätzlich
                 Satz 3 AktG seit dem KonTraG vorsieht, ist zwar ein                     sollte allerdings in Relation zur Höhe der Honorare,
                 Schritt in die rich­tige Richtung, bleibt aber auf halbem              die an den Abschlussprüfer gezahlt werden (Prüfungs-
                 Weg stehen. Sie bewirkt immerhin eine größere Unab-                    und Beratungshonorare), differenziert werden. Denn
                 hängigkeit des Abschlussprüfers vom Vorstand (was                      die im FISG-Entwurf vorgesehene Regelung zieht alle
                 wichtig ist), ­ändert aber nichts daran, dass der Ab-                  Börsengesellschaften über einen Leisten, obwohl
                 schlussprüfer weiterhin monetäre Interessen bei der                    ­diese Gruppe durchaus sehr heterogen ist (die Prü-
                 geprüften Gesellschaft hat. Das Problem wird dadurch                   fungshonorare reichen von unter 1 Mio. EUR für klei-
                 noch verschärft, dass viele Aufsichtsräte aus dem                      nere Börsengesellschaften bis rund 50 Mio. EUR
                 Pool ehemaliger Vorstände rekrutiert oder mit gegen-                   für die größten Konzerne). Da Prüfungshonorare ein
                 wärtigen Vorständen vernetzt sind. Außerdem sitzen                     Indikator für die Komplexität der Prüfung sind, sollten
                 selbst u­ nabhängige Aufsichtsräte teilweise gleichsam                 solche Unterschiede bei der Haftungshöchstgrenze
                 »mit im Boot«, weil sie die (frühere) Rechnungslegung                  berücksichtigt werden.
                 mit zu verantworten haben (§ 172 AktG). Das Interesse
                 der Aufsichtsräte daran, dass der Abschlussprüfer                      5.	Die vorgesehene Verschärfung der unbegrenz-
                 ­Unregelmäßigkeiten aufdeckt, die sich (wie bei Wire-                  ten Haftung schon für grobe Fahrlässigkeit sollte
                 card) möglicherweise über mehrere Jahre erstrecken                     dagegen nochmals überdacht werden. Sie würde
                 und damit auch ihren eigenen Verantwortungsbereich                     das Problem der Enge auf dem Markt für Abschluss-
                 betreffen, dürfte sich in Grenzen halten. Die Praxis zeigt             prüfungsleistungen (Prüferoligopol) weiter verschärfen.
                 denn auch, dass ein Abschlussprüfer, der Unregel­mä­
                 ßig­keiten bei dem geprüften Unternehmen aufdeckt,                     Eine unbegrenzte Haftung des Abschlussprüfers für
                mitunter nicht nur nicht für seine Aufmerksamkeit                       grobe Fahrlässigkeit bei der Prüfung großer PIEs ist
                ­belohnt wird, sondern in einer Vielzahl von Fällen sogar               nicht versicherbar und potenziell existenzvernichtend
                 das Prüfungsmandat für künftige Jahre verliert.                        (Großrisiken). Die Folge eines haftungsinduzierten
                                                                                       ­Zusammenbruchs einer großen Prüfungsgesellschaft
                Eine (ggf. umlagefinanzierte) Honorierung auf der                       wäre eine weitere Verengung des heute schon von
                Basis einer Honorarordnung würde diesen Fehl­                           vielen als zu eng empfundenen Prüferoligopols. Zwar
                anreizen entgegenwirken und dem öffentlichen Inte­                      würden sich die Mitarbeiter aller Voraussicht nach auf
                resse an einer ordnungsmäßigen Abschlussprüfung                         die verbleibenden Prüfungsgesellschaften neu ver­
                mehr Gewicht verleihen.                                                teilen (wie es nach dem Zusammenbruch von Arthur
                                                                                       Anderson offenbar geschehen ist). Bei zu starker Ver-
                3.	Eine gesetzliche Verpflichtung zu Joint Audits                      engung der Anbieterzahl für große Prüfungen von
                (d. h. durch zwei oder mehr Abschlussprüfer in Ge-                     PIEs (»Big4-3-2-1«) wird aber irgendwann das System
                samtverantwortung durchgeführte Prüfungen) sieht                       der privat organisierten Abschlussprüfung insgesamt
                der FISG-Entwurf zu Recht nicht vor, sie wäre auch                     infrage gestellt.
                nicht empfehlenswert. Eine anlasslose, flächen­
                deckende doppelte Prüfung ist nicht effizient und nicht                Sollte der Gesetzgeber an der unbeschränkten Haf-
                veranlasst. Bestehen dagegen greifbare Anhaltspunkte                   tung des Abschlussprüfers für grobe Fahrlässigkeit
                für Unregelmäßigkeiten bei der Rechnungslegung, ist                    festhalten wollen, so wäre jedenfalls an eine flankie-
                der Aufsichtsrat schon heute verpflichtet, dem nach-                   rende Änderung des § 323 Abs. 4 HGB zu denken.
                zugehen und ggf. einen Sonderprüfer zu beauftragen.                    Andere (freie) Berufe genießen zwar kein gesetzliches
                Künftig soll insoweit außerdem die gestärkte, anlass-                  Haftungsprivileg, das Gesetz erlaubt in diesen Fällen
                bezogene Bilanzkontrolle durch die BaFin spürbare                      aber (bis zur Grenze der Verantwortlichkeit für Vorsatz)
                Wirkungen entfalten.                                                   vertragliche Haftungsbeschränkungen (vgl. § 276
                                                                                       Abs. 3 BGB). Diese Möglichkeit sollte auch den Ab-
                Erwogen werden könnte die Anordnung von Shared                         schlussprüfern eröffnet werden. Vertragliche Haftungs-
                Audits für PIEs, also die gesetzliche Verpflichtung zur                klauseln könnten nach dem Vorbild des Art. 35a Abs. 3
                Beauftragung mehrerer Abschlussprüfer für jeweils                      Rating-VO einer richterlichen Angemessenheits-
                abgrenzbare Teilbereiche, die getrennt verantwortet                    kontrolle unterworfen werden.
                werden. Eine solche Maßnahme könnte helfen, die
                Enge auf dem Markt für Abschlussprüfungsleistungen                     6. Überschießend und zudem vor dem Hinter-
                zu erweitern. Um dieses Ziel zu erreichen, müsste aller-               grund des Schutzguts der Vorschrift systematisch
                dings angeordnet werden, dass als zweiter Abschluss-                   unstimmig ist die vorgesehene Ausdehnung der
                prüfer eine Next-10-Prüfungsgesellschaft (statt einer                  Strafbarkeit für leichtfertige Verletzungen der
                zweiten »Big4-Gesellschaft«) zu beauftragen ist.                       Berichtspflichten gemäß § 332 HGB.

6   Audit Committee Quarterly extra
                                                               © 2021 Audit Committee Institute e.V., assoziiert mit der KPMG AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, einer Aktiengesell-
                                                               schaft nach deutschem Recht und ein Mitglied der globalen KPMG-Organisation unabhängiger Mitgliedsfirmen, die KPMG
                                                               International Limited, einer Private English Company Limited by Guarantee, angeschlossen sind. Alle Rechte vorbehalten.
AUDIT COMMITTEE QUARTERLY - EXTRA - ZUR FINALISIERUNG DES FISG
Prof. Dr. Joachim Hennrichs ist Inhaber des Lehrstuhls für Bürgerliches Recht, Bilanz- und Steuer-
recht der Universität zu Köln. Er ist Vorsitzender des Arbeitskreises Bilanzrecht Hochschullehrer
Rechtswissenschaft (AKBR) und Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat beim BMF sowie in vielen
­anderen Arbeitskreisen.

                                                                                                     III.
  Schutzgut der Vorschrift ist de lege lata die subjek-
tive Ehrlichkeit bei der Berichterstattung, nicht
 ­deren objektive Richtigkeit und erst recht nicht die
  Sorgfalt bei der Prüfung. Strafbar ist also (allein) eine
  Abweichung der Berichterstattung des Abschlussprü-                                                Mittelfristig wird außerdem über weitere mögliche
  fers von den tatsächlichen Feststellungen, wie sie                                                Maßnahmen zur Verbesserung der Abschluss-
  sich für ihn bei der Prüfung ergeben haben, nicht eine                                            prüfung und Corporate Governance nachzudenken
  unsorgfältige Prüfung. Bezogen auf dieses Schutzgut                                               sein:
  des § 332 HGB ist die Ausdehnung der Strafbarkeit
auf »Leichtfertigkeit« nicht sinnvoll; leichtfertige                                                Namentlich bezogen auf die Corporate Governance
­Unehrlichkeit ist schwer vorstellbar.                                                              sind weitere Verbesserungsvorschläge diskussions-
                                                                                                    würdig. Erwogen werden sollten z. B.
 Zudem könnte die im Entwurf vorgesehene Regelung
 wohl ungewollte Nebenwirkungen haben, nämlich                                                      • Beschränkungen der Mandatszeiten und der
  eine unbegrenzte Dritthaftung des Abschlussprü-                                                     Mandatszahlen von Aufsichtsratsmitgliedern;
 fers gegenüber Anlegern schon für grobe Fahr-
lässigkeit auslösen. Die Rechtsprechung hat § 332                                                   • die explizite normative Betonung des Erforder-
HGB verschiedentlich als Schutzgesetz im Sinne des                                                    nisses einer kritischen Grundhaltung auch für
  § 823 Abs. 2 BGB eingeordnet. Eine Verletzung dieser                                                Aufsichtsräte u. a. m.
Vorschrift würde danach für geschädigte Anleger
­einen Weg eröffnen, über § 823 Abs. 2 BGB Schadens-
 ersatz vom Abschlussprüfer verlangen zu können. Da
 es für Ansprüche aus § 823 Abs. 2 BGB explizit auch
 keine Haftungshöchstgrenzen gibt, wäre diese Dritt-
 haftung im Ausgangspunkt der Höhe nach unbegrenzt.
 Eine unbegrenzte Dritthaftung des Abschlussprüfers
 ­gegenüber Anlegern ist aber rechtspolitisch verfehlt
  und sollte jedenfalls gründlicher erwogen werden als
  gleichsam en passant bei Gelegenheit des FISG.

7.	Die Änderungen des AktG durch den FISG-­
Entwurf verdienen grundsätzlich Zustimmung.
Namentlich ist das in § 107 Abs. 4 AktG-E vorgesehene
Auskunftsrecht des Vorsitzenden des Prüfungsaus-
schusses gegenüber den Bereichsleitern des internen
Governance-Systems zu begrüßen.

Entsprechende Auskunftsrechte sollte aber auch der
Vorsitzende des Aufsichtsrats haben. Denn früh-
zeitige Informationen über etwaige Unregelmäßig­
keiten, und zwar gleichsam »aus erster Hand«, also
direkt von den Mitarbeitern der fraglichen Bereiche,
sind für die Überwachungstätigkeit des Auf-
sichtsrats insgesamt relevant.

                                                                                                                          Vertrauen wiedergewinnen! – Zur Finalisierung
                                                                                                                                                             Sports Governance
                                                                                                                                                                        des FISG 7
© 2021 Audit Committee Institute e.V., assoziiert mit der KPMG AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, einer Aktiengesell-
schaft nach deutschem Recht und ein Mitglied der globalen KPMG-Organisation unabhängiger Mitgliedsfirmen, die KPMG
International Limited, einer Private English Company Limited by Guarantee, angeschlossen sind. Alle Rechte vorbehalten.
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Univ.-Prof. Dr. Patrick Velte hat die Professur für Betriebswirtschaftslehre,         Rechtsanwalt Prof. Dr. Daniel Graewe, LL.M., ist Rechts- und Politik-
insbesondere Accounting, Auditing & Corporate Governance an der Leuphana              wissenschaftler und Direktor des Instituts für angewandtes Wirtschafts-
Universität Lüneburg inne. Seine Lehr- und Forschungsgebiete betreffen                recht an der NORDAK ADEMIE Hochschule der Wirtschaft. Er wird vom
die (inter-)nationale Rechnungslegung, Abschlussprüfung und Corporate                Handelsblatt als führender Wirtschaftsanwalt empfohlen und von fast
Governance aus einer nachhaltigen Perspektive.                                       ­allen Standardwerken des Gesellschaftsrechts sowie von Oberlandes- und
                                                                                      Bundesgerichten zitiert.

8   Audit Committee Quarterly extra
                                                                      © 2021 Audit Committee Institute e.V., assoziiert mit der KPMG AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, einer Aktiengesell-
                                                                      schaft nach deutschem Recht und ein Mitglied der globalen KPMG-Organisation unabhängiger Mitgliedsfirmen, die KPMG
                                                                      International Limited, einer Private English Company Limited by Guarantee, angeschlossen sind. Alle Rechte vorbehalten.
AUDIT COMMITTEE QUARTERLY - EXTRA - ZUR FINALISIERUNG DES FISG
Zur Einrichtungs-, Überwachungs-
und Prüfungspflicht von
Compliance-Management-Systemen (CMS)
nach dem FISG-RegE
Autoren: Univ.-Prof. Dr. Patrick Velte und Rechtsanwalt Prof. Dr. Daniel Graewe, LL.M.

Die Bundesregierung hatte am 16.12.2020 einen Ge-                                                   nance Kodex (DCGK) hatte bereits seit 2007 die
setzentwurf für ein Finanzmarktintegritätsstärkungs-                                                Beachtung von Compliance als Teil der Leitungsauf­
gesetz (FISG) veröffentlicht. Nach § 91 Abs. 3 AktG-E                                               gabe des Vorstands hervorgehoben (derzeit Grund-
sollen börsennotierte Aktiengesellschaften künftig zur                                              satz 5). Seit dem Jahr 2017 wird überdies empfohlen,
Implementierung eines »im Hinblick auf den Umfang                                                   dass der Vorstand für ein »an der Risikolage des Unter-
der Geschäftstätigkeit und die Risikolage des Unter-                                                nehmens ausgerichtetes« CMS sorgen und dessen
nehmens angemessenen und wirksamen internen                                                         Grundzüge offenlegen soll (Empfehlung A.2).
Kontrollsystems und Risikomanagementsystems« ver-
pflichtet werden. Der vorliegende Beitrag diskutiert                                                Aus Sicht des Aufsichtsrats ergibt sich eine Pflicht zur
eine künftige Einrichtungspflicht von Compliance-­                                                  Überwachung von Compliance-Maßnahmen nach
Management-Systemen (CMS) durch den Vorstand                                                        § 111 AktG. Wenngleich in § 107 Abs. 3 Satz 2 AktG
(§ 91 Abs. 3 AktG-E), die Überwachung durch den                                                     seit dem BilMoG ausdrücklich betont wird, dass der
Prüfungsausschuss bzw. Aufsichtsrat (§ 107 Abs. 3                                                   Prüfungsausschuss bzw. Aufsichtsrat auch eine Über-
Satz 2 AktG) sowie eine Prüfung durch den Abschluss-                                                wachung des Internen Kontrollsystems (IKS), des
prüfer (§ 317 Abs. 4 HGB).                                                                          ­Risikomanagementsystems (RMS) und des Internen
                                                                                                    Revisionssystems (IRS) vornehmen müssen, wird die
                                                                                                    Compliance nicht explizit als gesetzliche Überwa-
Einrichtung, Überwachung und                                                                        chungspflicht des Aufsichtsrats hervorgehoben. Dies
­Prüfung eines CMS de lege lata                                                                     steht im Gegensatz zum DCGK, wonach sich der Prü-
                                                                                                    fungsausschuss auch mit der Compliance befassen
Für Aktiengesellschaften resultiert die Compliance-                                                 soll (Empfehlung D.3).
Pflicht des Vorstands aus den §§ 76, 93 AktG. Da sich
§ 91 Abs. 2 AktG als Spezialregelung des KonTraG                                                     Der Abschlussprüfer muss bei börsennotierten Aktien-
nach herrschender Meinung lediglich auf bestandsge-                                                 gesellschaften neben der Rechnungslegung auch das
fährdende Risiken bezieht und ein effektives Compli-                                                Risikofrüherkennungs- und Überwachungssystem
ance-Management umfassender ausgestaltet ­werden                                                    i. S. d. § 91 Abs. 2 AktG in die Prüfung mit einbeziehen
muss, scheidet eine Verortung der Compliance-Pflicht                                                (§ 317 Abs. 4 HGB). Eine Geschäftsführungs- und
des Vorstands in § 91 Abs. 2 AktG de lege lata aus.                                                 Zweckmäßigkeitsprüfung der Systeme und eine Beur-
Zudem lehnt die herrschende Meinung eine allgemeine                                                 teilung der Risikobewältigungsmaßnahmen ist jedoch
Vorstandspflicht zur Implementierung einer institutio­­                                             bislang kein Gegenstand der Pflichtprüfung. Bei sämt-
nalisierten, standardisierten Compliance-­Organisation                                              lichen prüfungspflichtigen Unternehmen wird nach
als CMS bislang ab. Vielmehr wird auf die Business                                                  IDW PS 261 lediglich der rechnungslegungsbezogene
Judgment Rule (BJR, § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG) bei der                                                Teil des IKS in die Pflichtprüfung einbezogen. Der IDW
konkreten Ausgestaltung von Compliance-Maßnah-                                                      PS 340 ist für die Prüfung nach § 317 Abs. 4 HGB ein-
men verwiesen. Seit dem Siemens-Neubürger-Urteil                                                    schlägig. Eine Pflichtprüfung des gesamten CM(S)
des Landgerichts München I aus dem Jahr 2013 wird                                                   ­erfolgt hierbei nicht. Allerdings kann der Aufsichtsrat
im Schrifttum allerdings – teil­weise in Abhängigkeit                                                einen freiwilligen Prüfungsauftrag an den Abschluss-
von Unternehmensgröße, ­Risikoprofil oder Gefahren-                                                  prüfer vergeben. Hierzu wurde bereits im Jahr 2011
potenzial – die Einrichtung eines CMS als Vorstands-                                                 der IDW PS 890 für die freiwillige Prüfung von CMS
pflicht angenommen. Der Deutsche Corporate Gover-                                                    finalisiert.

                                                                                                                          Vertrauen wiedergewinnen! – Zur Finalisierung
                                                                                                                                                             Sports Governance
                                                                                                                                                                        des FISG 9
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AUDIT COMMITTEE QUARTERLY - EXTRA - ZUR FINALISIERUNG DES FISG
Zur Reichweite des § 91 Abs. 3                                     Plädoyer für eine Einrichtungs-,
                   AktG-E nach dem FISG-RegE                                          Überwachungs- und Prüfungspflicht
                                                                                      von CMS nach dem FISG
                   Flankierend zu § 91 Abs. 2 AktG, der auch künftig an
                   sämtliche Aktiengesellschaften gerichtet ist, sieht                Als Reaktion auf den Wirecard-Skandal und die Bestre-
                   der Regierungsentwurf (RegE) für ein FISG vom                      bungen der Bundesregierung zur Finanzmarkt­reform
                   16.12.2020 für börsennotierte Aktiengesellschaften                 hatten einige Vertreter aus der Wissenschaft und
                   eine Spezialnorm in § 91 Abs. 3 AktG-E vor. Hiernach               ­Unternehmenspraxis eine gesetzliche Regulierung
                   müssen Vorstände in börsennotierten Aktiengesell-                  ­eines CMS ausdrücklich befürwortet, u. a. das DAI
                   schaften ein im Hinblick auf den Umfang der Ge-                     oder das IDW. Dieser Auffassung ist zuzustimmen.
                   schäftstätigkeit und die Risikolage des Unternehmens                Die durch das KonTraG und BilMoG kodifizierten Lei-
                   angemessenes und wirksames IKS und RMS einrich-                     tungs-, Überwachungs- und Prüfungspflichten von
                   ten. Die begrenzte Reichweite des Risikofrüherken-                  Vorstand, Aufsichtsrat und Abschlussprüfer sollten
                   nungs- und Überwachungssystems nach § 91 Abs. 2                     durch das geplante FISG fortentwickelt werden. Bör-
                   AktG wird insofern für börsennotierte Aktiengesell-                sennotierte Aktiengesellschaften sollten obligatorisch
                   schaften aufgehoben. Da für börsennotierte Aktien­                 ein CMS gemäß § 91 Abs. 3 AktG-E implementieren,
                   gesellschaften nach dem FISG-RegE ausdrücklich ein                 das dann analog gemäß § 107 Abs. 3 Satz 2 durch den
                   »umfassendes« RMS implementiert werden soll, ist                   Prüfungsausschuss bzw. Aufsichtsrat überwacht und
                   auf den ersten Blick erstaunlich, dass in § 91 Abs. 3              gemäß § 317 Abs. 4 AktG durch den Abschlussprüfer
                   AktG-E ein CMS nicht explizit erwähnt ist. Das BMF                 beurteilt wird. Weder ein IKS noch ein RMS allein kön-
                   und das BMJV hatten in der Begründung zum Refe-                    nen wesentlich zu einer künftigen Verhinderung von
                   rentenentwurf noch ausgeführt, dass Vorstände ein                  Top Management Fraud als gesetzgeberische Reak­
                   CMS einrichten müssen, »wenn ein entsprechendes                    tion auf den Wirecard-Skandal beitragen, sofern ein
                   Gefahr- bzw. Risikopotenzial besteht«. Im Gesetzent-               Management Override durch den Vorstand stattfin-
                   wurf sind im Begründungsteil die vormaligen Ausfüh-                det. Ein CMS hingegen, das u. a. die Implementierung
                   rungen zu einem CMS gestrichen worden. Insofern                    einer (anonymen) Hinweisgeberstelle (Whistleblowing)
                   könnte man einerseits annehmen, dass die Bundes­                   voraussetzt, könnte dagegen Anreize aufseiten des
                   regierung ein CMS als zwingende Teilmenge der Sys-                 Vorstands setzen, ein höheres rechtliches Sorgfalts­
                   teme nach § 91 Abs. 3 AktG ansieht oder andererseits               niveau bei der Unternehmensführung anzuwenden,
                   keine zwingende Regulierung wünscht, sofern CMS                    insbesondere vor dem Hintergrund, dass zwingende
                   und RMS definitorisch voneinander getrennt werden.                 Voraussetzung für die Anwendbarkeit der BJR die Ein-
                   Insofern ist offenkundig, dass der RegE viele offene               haltung der sog. Legal Judgment Rule ist. Neben dem
                   Fragen zur künftigen Reichweite des § 91 Abs. 3                    CMS wäre allerdings auch die zwingende Einrichtung
                   AktG-E bereithält.                                                 einer Internen Revision als Corporate Governance-­
                                                                                      Instanz unabdingbar.

                                                                                      Der Gesetzgeber sollte in diesem Kontext ebenfalls zu
                                                                                      einer Vereinheitlichung der Begriffe IKS, RMS, CMS
                                                                                      und Interne Revision in den aktien- und handelsrechtli-
                                                                                      chen Normen beitragen. Aus betriebswirtschaftlicher
                                                                                      Sicht kann vorgeschlagen werden, das RMS künftig
      		 V e r t i e f u n g sh i n w e i s e
                                                                                      als Oberbegriff sowie das IKS, CMS und die Interne
                                                                                      Revision (IR) als elementare Teilmengen zu klassifizie-
Velte / Graewe, Zwingende Einrichtung von Compliance
Management-Systemen bei börsennotierten AG                                            ren. Das IDW legt dagegen den Oberbegriff Corpo-
nach dem Wirecard-Skandal?, in: Der Betrieb 2020,                                     rate Governance-Systeme als inhaltliche Klammer für
S. 2529 – 2534                                                                        die vier Begriffe basierend auf dem COSO-Rahmen-
Velte / Graewe, Reform der Corporate Governance nach                                  konzept zugrunde. Der Gesetzgeber ist dazu aufge­
dem Wirecard-Skandal, in: NWB 2021                                                    fordert, zu einer Rechtsklarheit in dieser Thematik bei-
                                                                                      zutragen.

10   Audit Committee Quarterly extra
                                                             © 2021 Audit Committee Institute e.V., assoziiert mit der KPMG AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, einer Aktiengesell-
                                                             schaft nach deutschem Recht und ein Mitglied der globalen KPMG-Organisation unabhängiger Mitgliedsfirmen, die KPMG
                                                             International Limited, einer Private English Company Limited by Guarantee, angeschlossen sind. Alle Rechte vorbehalten.
Das FISG als Chance:
                         Neue Impulse für die Ausgestaltung
                         wirksamer Governance-Systeme
                         Autoren: Dr. Jan-Hendrik Gnändiger und Katharina Gädeke

                          Neben zahlreichen Neuregelungen u. a. zur Abschluss-                                            nes Kontrollsystem und Risikomanagementsystem
                          prüferrotation, zur Verschärfung der zivilrechtlichen                                           einzurichten«. Mit dieser nun explizit im Gesetz veran-
                          Haftung des Abschlussprüfers sowie zur Neuordnung                                               kerten Vorstandspflicht unterstreicht der Regierungs-
                          der Bilanzkontrolle durch die BaFin zielt der aktuelle                                          entwurf nochmals die grundlegende Bedeutung der
                          Regierungsentwurf des Finanzmarktintegritätsstär-                                               Governance-Systeme für die verantwortungsvolle
                          kungsgesetzes (»FISG«) auch auf die Fortentwick-                                                Führung börsennotierter Unternehmen.1
                          lung und Stärkung des inneren Ordnungsrahmens zur
                          ­Unternehmensleitung und -überwachung (»Corporate
                          Governance«) ab. Der neue § 91 Abs. 3 AktG verpflich-
                                                                                                                          1 Für nicht börsennotierte Unternehmen kann sich diese Vorstandspflicht
                         tet nun ausdrücklich den Vorstand als Organ einer                                                  aus den Organisationspflichten des § 93 Abs. 1 AktG ergeben. Die Ent-
                         ­börsennotierten Gesellschaft, ein »im Hinblick auf den                                            scheidung über die Einrichtung von Governance-Systemen (das »Ob«)
                                                                                                                            liegt bei nicht börsennotierten Unternehmen im Ermessen des Vorstands,
                          Umfang der Geschäftstätigkeit und die Risikolage des                                              während Vorstandsmitglieder von börsennotierten Gesellschaften ledig-
                         Unternehmens angemessenes und wirksames inter-                                                     lich über das »Wie« ihr Ermessen ausüben können.

                                                                                                                          Vertrauen wiedergewinnen! – Zur Finalisierung
                                                                                                                                                             Sports Governance
                                                                                                                                                                        des FISG 11
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schaft nach deutschem Recht und ein Mitglied der globalen KPMG-Organisation unabhängiger Mitgliedsfirmen, die KPMG
International Limited, einer Private English Company Limited by Guarantee, angeschlossen sind. Alle Rechte vorbehalten.
Governance in Silos – Status quo

 Doch nicht nur die Vorstandspflichten werden durch                                  Compliance-               Risiko-                   Interne                Internes
                                                                                     Management              management                  Revision               Kontroll-
 das FISG konkretisiert, auch die Möglichkeiten und                                                                                                              system
 Pflichten der Überwachung durch den Aufsichtsrat
 bzw. Prüfungsausschuss rücken in den Fokus der aktu-
 ellen Diskussion. Der neue § 107 Abs. 4 AktG weist
 dem Aufsichtsrat eines Unternehmens von öffentli-
 chem Interesse nun explizit die Pflicht zur Einrichtung
 eines Prüfungsausschusses zu, dessen Vorsitzender
 künftig ein unmittelbares (zusätzliches) Auskunftsrecht
 gegenüber den Leitern seiner Zuständigkeitsbereiche                                • Isolierte Governance-Systeme aufgebaut zu
 (z. B. Risikomanagement und Interne Revision) inne-                                   ­historisch bedingten komplexen Strukturen
 hat. Damit könnte der Vorsitzende des Prüfungsaus-                                 • Mehrwert für das Unternehmen jenseits der
 schusses eines Unternehmens von öffentlichem Inte-                                    ­ rfüllung gesetzlicher und regulatorischer
                                                                                       E
resse künftig nicht nur beim Vorstand, sondern auch                                    ­Anforderungen unklar
bei der durch Delegation für die Governance-Systeme
 verantwortlichen Führungsebene Auskünfte über die
 ihr zugeordneten Bereiche einholen. Die hier beschrie-
 benen Änderungen des Aktiengesetzes zahlen daher
 einerseits auf die Stärkung des unternehmensinter-
 nen Risikomanagementsystems (RMS) und Internen
­Kontrollsystems (IKS) durch den Vorstand und ande-                                 Abbildung 1: Varianten der Governance-Organisation
rerseits auf die Verbesserung der Überwachungs-
modalitäten durch den Aufsichtsrat bzw. Prü-
fungsausschuss ein. Mit der Stärkung von RMS und
IKS geht zudem eine Scope-Erweiterung einher: Künf-
tig wird von IKS und RMS neben der Identifizierung                                  Basis: Initialanalyse der Risiko- und
und Steuerung von finanziellen und operativen Risi-                                 Maßnahmenlage
ken und Kontrollen auch die Berücksichtigung von
nichtfinanziellen und Compliance-Risiken und                                        Zur Beantwortung dieser grundlegenden Fragen ist es
Kon­trollen erwartet – ein deutliches Signal also für                               geboten, sich grundlegend und wiederkehrend mit
die wachsende Bedeutung wirksamer Governance-­                                      der Risikolage des Unternehmens zu befassen. Diese
Systeme.                                                                            leitet sich unmittelbar aus der Erwartungshaltung und
                                                                                    aus Anforderungen der Stakeholder an das Unterneh-
                                                                                    men ab.
Angemessenheit und Wirksamkeit
der Governance-Systeme                                                              1.	Eine vorgelagerte Stakeholderanalyse verknüpft
                                                                                    die Geschäftstätigkeit mit der Risikolage des Unter-
So manches Vorstands- und Aufsichtsratsmitglied                                     nehmens und kann als erster grundlegender Schritt
wird sich angesichts dieser konkret gefassten Anfor-                                zur Erfüllung der oben beschriebenen Anforderungen
derungen und der Nachwehen der Causa Wirecard                                       aus § 91 Abs. 3 AktG herangezogen werden: Während
 mit der Frage beschäftigen, wie es um die eigenen                                  das Augenmerk von Kunden und Arbeitnehmern aus
 Governance-Systeme bestellt ist: Wann ist ein RMS                                  unterschiedlichen Motivationen heraus verstärkt auf
 und IKS angemessen und wirksam bzw. wie kann                                       der Schaffung und Garantie fairer Arbeitsbedingungen
 ­Angemessenheit und Wirksamkeit erreicht werden?                                   und Transparenz hinsichtlich Klimaschutz und Ein­
  Wie kann dies auch vor dem Hintergrund eines andau-                               haltung von Menschenrechten liegen wird, sehen sich
  ernden wirtschaftlichen Konjunktureinbruchs mög-                                  Lieferanten, Anteilseigner und Kapitalgeber dem Risiko
  lichst kostensparend erfolgen – ohne Wirksam-                                     von Reputationsschäden durch Verletzung von Recht
  keitseinbußen der Governance-Systeme in Kauf                                      und Gesetz ausgesetzt, welche sich negativ auf den
  nehmen zu müssen? Und welche Rolle spielt der                                     Shareholder-Value, das Unternehmenswachstum und
­Abschlussprüfer in diesem Kontext?                                                 Renditen auswirken kann. Durch die im Jahr 2022 in
                                                                                    Kraft tretende EU-Taxonomie werden künftig auch
                                                                                    die Einhaltung sozialer Mindestanforderungen und
                                                                                    Nachhaltigkeitsaspekte einmal mehr in den Fokus
                                                                                    der Öffentlichkeit und Kreditgeber gerückt.

12   Audit Committee Quarterly extra
                                                           © 2021 Audit Committee Institute e.V., assoziiert mit der KPMG AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, einer Aktiengesell-
                                                           schaft nach deutschem Recht und ein Mitglied der globalen KPMG-Organisation unabhängiger Mitgliedsfirmen, die KPMG
                                                           International Limited, einer Private English Company Limited by Guarantee, angeschlossen sind. Alle Rechte vorbehalten.
Konsequenzen                                                                             Integrierte Governance / GRC

                                            Vorstand              Aufsichtsrat

                                                   Teilkonzern-                                                                           Compliance-           Risiko-
                               Lokale GF                              …     …        …       …
                                                     leitung                                                                               Manage-              manage-
                                                                                                                                             ment                ment
    Governance-
    Systeme

                           Compliance-  Risiko-  Internes Kon­                     Interne
                           Management management trollsystem                     ­Revision

    Abteilungen                                                                                                                            Interne            Internes
                                                                                                                                           Revision           Kontroll-
                       Einkauf        Produktion           F&E             Vertrieb              …                                                             system

          IT              HR               Legal        Controlling       Treasury               RW         …

• Ungenutzte Effektivitäts- und Effizienzpotenziale                                                                             Wesentliche Vorteile:
• Hohe Kosten durch Doppelarbeiten                                                                                              • Kostenreduktion und Effizienzsteigerung

• Hohe Kapazitätsbindungen durch Mehrfachabstimmungen                                                                           • Kollektive Haltung zu Chancen und Risiken

• Informationsasymmetrien                                                                                                       • Abgestimmte Prozesse, Methoden und Kon-
                                                                                                                                   zepte sowie optimierter Ressourceneinsatz
• Unterschiedliche Methoden und Konzepte
                                                                                                                                • Klare Definition von Rollen und Verantwort-
• White spots
                                                                                                                                   lichkeiten
                                                                                                                                • Höheres Sicherheitsniveau

2. Aus diesen Anforderungen der Stakeholder sind                                                      Integrierte Betrachtung aller Gover-
nun in einem zweiten Schritt konkret die für das                                                      nance-Systeme (RMS, IKS, CMS und
­Unternehmen wesentlichen Risikofelder abzu­                                                          Interne Revision)
leiten (»Risikorelevanzanalyse«). Typische Risikofel-
der sind z. B. Arbeitssicherheit, Umweltschutz, Geld-                                                 Darauf aufbauend stellt sich nun die Frage der Ausge-
wäschebekämpfung, Antikorruption, Datenschutz,                                                        staltung der künftigen Aufbau- und Ablauforganisa­
Produktsicherheit.                                                                                    tion, welche für ein vollständiges angemessenes und
                                                                                                      wirksames RMS und IKS unabdingbar ist. Auch Über-
3.	Im dritten Schritt gilt es zu identifizieren, auf wel-                                             legungen zu Schnittstellen und Synergien mit dem
che Unternehmensprozesse sich diese Risikofelder                                                      Compliance Management-System (CMS) und der
im Einzelnen auswirken. Diese Analyse bezieht im                                                      ­Internen Revision, d. h. einer integrierten Betrach-
Idealfall die Leiter der jeweiligen Unternehmenspro-                                                  tung aller Governance-Systeme (»Governance-­
zesse mit ein (z. B. Einkauf, Vertrieb, Finanzen, Perso-                                              Organisation«) sind unmittelbar an die Beantwortung
nal). In diesem Zusammenhang bietet es sich an, das                                                   dieser Frage gekoppelt. Unter Umständen kann es
konkrete Risikoszenario zu identifizieren und hinsicht-                                               aus Kosten- und Qualitätsgründen sinnvoll sein, be-
lich Eintrittswahrscheinlichkeit und Schadenshöhe                                                     stimmte überwachungsnahe Aktivitäten, die bisher in
quantitativ und / oder qualitativ zu bewerten und diese                                               der zweiten Verteidigungslinie jeweils für RMS, IKS
Entscheidung methodisch zu dokumentieren. Dabei                                                       und CMS getrennt durchgeführt wurden, unter Wah-
sollten bereits eingerichtete Kontrollen und Maßnah-                                                  rung der Unabhängigkeit in die Interne Revision (Dritte
men berücksichtigt werden, die Eintrittswahrschein-                                                   Verteidigungslinie) zu überführen und zu zentralisie-
lichkeit und Schadenshöhe beeinflussen können.                                                        ren bzw. an einen Wirtschaftsprüfer auszulagern.

Mit dieser Initialanalyse der Risiko- und Maßnahmen-                                                  Auch kann die Zusammenfassung der Aktivitäten der
lage ist der Grundstein für ein angemessenes und                                                      zweiten Verteidigungslinie (CMS, RMS und IKS) unter
wirksames RMS und IKS gelegt, welche sodann auch                                                      einer übergeordneten Governance-Organisation
nichtfinanzielle und Compliance-Risiken berück-                                                       (»Group Governance Office«) eine günstige Alterna­
sichtigen.                                                                                            tive für manche Unternehmen darstellen; hierdurch
                                                                                                      können Informationsasymmetrien und hoher Koor­
                                                                                                      dinationsaufwand vermieden werden, welche unter
                                                                                                      Umständen zulasten der Effektivität und Effizienz der
                                                                                                      Governance-Systeme gehen (vgl. Abbildung 1).

                                                                                                                          Vertrauen wiedergewinnen! – Zur Finalisierung
                                                                                                                                                             Sports Governance
                                                                                                                                                                        des FISG 13
© 2021 Audit Committee Institute e.V., assoziiert mit der KPMG AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, einer Aktiengesell-
schaft nach deutschem Recht und ein Mitglied der globalen KPMG-Organisation unabhängiger Mitgliedsfirmen, die KPMG
International Limited, einer Private English Company Limited by Guarantee, angeschlossen sind. Alle Rechte vorbehalten.
Die Beantwortung der Frage nach der Ausgestaltung                   Entwicklung eines Governance-­
               der künftigen Aufbau- und Ablauforganisation ist so-                Zielbilds
               mit nicht nur elementar für die Angemessenheit und
               Wirksamkeit der durch das FISG verstärkt ins Blick-                 Bei der Strukturierung dieser vielfältigen und komple-
               feld geratenen Systeme RMS und IKS, sondern auch                    xen Fragestellung kann die Bestimmung eines Ziel-
               für die Effektivität und Effizienz der gesamten Gover-              bilds Abhilfe schaffen. Angesichts der oben beschrie-
               nance-Organisation, welche auch das CMS und die                     benen, unter Umständen nachteiligen Auswirkungen
               Interne Revision miteinbezieht.                                     auf ­Effektivität und Effizienz bei der getrennten Ausge-
                                                                                   staltung der Governance-Systeme (sog. Silo-Betrach-
                                                                                   tung) erscheint die Betrachtung der übergeordneten
                                                                                   und integrierten Governance-Organisation vorteilhaft.

                        Strategie                                                  Das Zielbild (»Target Operating Model«) einer Gover-
                        & Change
                       Management                                                  nance-Organisation kann anhand der folgenden sechs
                                                                                   miteinander in Wechselbeziehung stehenden strategi-
                                                                                   schen Dimensionen konkretisiert werden: Strategie &
      Services
     & Steuerung                         Prozesse                                  Change Management, Prozesse, Systeme, Organisa­
                                                                                   tion & Reichweite, Mitarbeiter, Services & Steuerung
                                                                                   (vgl. Abbildung 2).

                     Di m en s i on en                                            Bei den Überlegungen über die künftige Ausgestal-
                                                                                  tung können gängige Rahmenwerke, wie z. B. IDW
                                                                                  PS 980, 981 und 982, als Sollkonzepte herangezogen
     Mitarbeiter                         Systeme
                                                                                  werden. Eine Orientierung an den IDW PS 98x erleich-
                                                                                  tert insbesondere eine spätere Prüfung und Beschei-
                       Organisation                                               nigung von Angemessenheit und Wirksamkeit der
                       & Reichweite                                               Governance-Systeme durch einen Wirtschaftsprüfer.
                                                                                  Sollte zum Zeitpunkt der Ermittlung (noch) keine über-
                                                                                  geordnete integrierte Governance-Organisation beste-
                                                                                  hen oder diese nicht gewünscht sein, so können die
                                                                                  Governance-Systeme im Status quo zunächst indi­
Abbildung 2: Ausgestaltung einer Governance-Aufbau-                               viduell analysiert werden. Auf diesem Weg können
und Ablauforganisation                                                            mögliche Synergiepotenziale herausgearbeitet und in

14   Audit Committee Quarterly extra
                                                          © 2021 Audit Committee Institute e.V., assoziiert mit der KPMG AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, einer Aktiengesell-
                                                          schaft nach deutschem Recht und ein Mitglied der globalen KPMG-Organisation unabhängiger Mitgliedsfirmen, die KPMG
                                                          International Limited, einer Private English Company Limited by Guarantee, angeschlossen sind. Alle Rechte vorbehalten.
Dr. Jan-Hendrik Gnändiger leitet bei KPMG den                              Katharina Gädeke verfügt über mehrjährige Erfahrung
                         Bereich Risk & Compliance Services für Corporates                          bei der Beratung von börsennotierten Unternehmen beim
                         und ist spezialisiert auf die Beratung zu Gover-                           ­Aufbau und bei der Weiterentwicklung ihrer Corporate
                         nance Transformation und Weiterentwicklung.                                 ­Governance-Systeme und Compliance Management-Systeme.

der künftigen Ausgestaltung berücksichtigt werden.                                                  Die Motivation des FISG zur Stärkung der Gover-
Die aktive Beteiligung von Mitgliedern der Unterneh-                                                nance-Organisation ist angesichts des Wirecard-­
mensführung und -überwachung bei der Bestimmung                                                     Debakels nachvollziehbar und aus Perspektive der
der künftigen Ausgestaltung ist vor dem Hintergrund                                                 Unternehmensstakeholder im Grundsatz zu begrüßen.
der oben beschriebenen gesetzlichen Verpflichtungen                                                 Gleichwohl verpflichtet der Gesetzesentwurf aktuell
unerlässlich und aus unternehmenskulturellen Gründen                                                nicht zur Führung eines Nachweises über Ange­
zu empfehlen.                                                                                       messenheit und Wirksamkeit der angesprochenen
                                                                                                    Governance-Systeme, z. B. in Form einer Prüfung und
Durch die Ausgestaltung der Strategiedimensionen                                                    Bescheinigung durch einen unabhängigen Wirt-
                                                                                                    ­
und Umsetzung des Zielbilds wird eine vollständige,                                                 schaftsprüfer, sondern überlässt diese Beurteilung
vor dem Hintergrund der Geschäftstätigkeit und Risiko-                                              den Unternehmen selbst. Außerdem bleibt rätselhaft,
lage angemessene und wirksame Governance-Orga-                                                      warum der in den letzten Jahren wichtigste Baustein
nisation geschaffen, welche für Unternehmensleitung                                                 Compliance keine Berücksichtigung findet – eine offen-
und -überwachung die vom FISG geforderte Transpa-                                                   kundige Lücke, die Investoren, Kunden und Lieferanten
renz und Sicherheit liefert und gleichzeitig durch eine                                             aufhorchen lassen sollte.
passgenaue Ausrichtung Einsparpotenziale aufzeigt.

                                                                                                                          Vertrauen wiedergewinnen! – Zur Finalisierung
                                                                                                                                                             Sports Governance
                                                                                                                                                                        des FISG 15
© 2021 Audit Committee Institute e.V., assoziiert mit der KPMG AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, einer Aktiengesell-
schaft nach deutschem Recht und ein Mitglied der globalen KPMG-Organisation unabhängiger Mitgliedsfirmen, die KPMG
International Limited, einer Private English Company Limited by Guarantee, angeschlossen sind. Alle Rechte vorbehalten.
Prof. Dr. Anne d’Arcy leitet das Institut für Corporate Governance der Wirtschafts-
                                                                                                                            universität Wien. Sie war acht Jahre in der Finanzindustrie tätig sowie über zehn
                                                                                                                            Jahre Mitglied der Eidgenössischen Elektrizitätskommission und war bis letztes Jahr
             Foto: © Schmalenbach-Gesellschaft für Betriebswirtschaft e.V.

                                                                                                                            Mitglied eines Aufsichtsrats und Prüfungsausschusses eines SDAX-Unternehmens.
                                                                                                                            Sie wirkt als Mitglied zahlreicher Gremien, u. a. im Wissenschaftlichen Beirat des
                                                                                                                            Deutschen Instituts für Interne Revision, als Leiterin des Arbeitskreises Externe und
                                                                                                                            Interne Überwachung der Unternehmung der Schmalenbach-Gesellschaft sowie
                                                                                                                            im Vorstand der Schmalenbach-Gesellschaft und als Mitglied des Österreichischen
                                                                                                                            Arbeitskreises für Corporate Governance.

Eine Mindestgröße für den Aufsichtsrat?
Autorin: Prof. Dr. Anne d’Arcy

                                                                             1. Wirecard und die Rolle der Größe                                     2. Kompetenzen im Aufsichtsrat
                                                                             des Aufsichtsrats
                                                                                                                                                      Die dünne Personaldecke bei Wirecard steht der Idee
                                                                               Bis Mitte 2018 hat der Aufsichtsrat der Wirecard AG                    entgegen, dass ein Aufsichtsrat mit seinen Kontroll-
                                                                               aus fünf Mitgliedern bestanden. Mit der Hauptver-                      und Beratungspflichten diverse Kompetenzen ab­
                                                                               sammlung im Jahr 2018 und damit kurz vor der Auf-                      decken soll. Der Entwurf des FISG sieht u. a. in § 100
                                                                               nahme in den DAX30 © kam ein sechstes Mitglied                         Abs. 5 AktG-E vor, dass Sachverstand auf den Gebie-
                                                                               dazu. Erst nach einer Einarbeitungsphase Anfang                       ten der Rechnungslegung und Abschlussprüfung
                                                                               2019 wurde die Aufsichtsratsarbeit mit dem Prüfungs-                  ­kumulativ im Aufsichtsrat vorliegen muss. Damit ist
                                                                               ausschuss, dem Vergütungs-, Personal- und Nominie-                     schon die Erwartung verknüpft, dass mindestens zwei
                                                                               rungsausschuss sowie dem Risk- und Compliance-                         Spezialisten aus den Bereichen Rechnungslegung und
                                                                               ausschuss neu organisiert.1 Wie wir heute wissen,                      Abschlussprüfung ihre Kompetenz in den Aufsichtsrat
                                                                               konnte das Gremium die Vorfälle nicht verhindern.                      einbringen. Auch wenn die gesetzlichen Vorgaben
                                                                               ­Insofern stellt sich die Frage, ob über die Vorgaben                  diese Kompetenzen hervorheben, bedeutet dies im
                                                                               im Regierungsentwurf des Finanzmarktintegritäts-                       Umkehrschluss nicht, dass andere Kompetenzen nicht
                                                                               stärkungsgesetzes (FISG) und der bereits existieren-                   weniger wichtig wären.
                                                                              den Bestimmungen des § 95 AktG und des MitbestG
                                                                              ­hinaus noch eine Regel aufzunehmen wäre, die eine                      Gerade beim Fall Wirecard steht außer Frage, dass
                                                                               Mindestgröße für Aufsichtsräte in Unternehmen von                      zum Verständnis der Abläufe nicht das Bilanzierungs-
                                                                               öffentlichem Interesse vorschreibt. Damit verknüpft                    problem an sich zu komplex gewesen wäre, sondern
                                                                             ist auch die Frage, dass – falls kleine Aufsichtsräte                    Kenntnisse zum Geschäftsmodell und eine unabhän-
                                                                             ­zulässig sind – auf die Bildung von Ausschüssen, ins-                  gige Überwachung des Vorstands gepaart mit einer
                                                                              besondere eines Prüfungsausschusses gemäß § 107                        kritischen Grundhaltung Voraussetzung zum frühzei­
                                                                               Abs. 4 AktG-E, verzichtet werden kann, wenn das                       tigen Eingreifen gewesen wären. 2 Im Vergleich zu
                                                                               ­Gesamtgremium dessen Aufgaben übernimmt.                              § 100 Abs. 5 Hs. 2 AktG steht zudem gemäß Grund-
                                                                                                                                                      satz 11 des DCGK 20 nicht die individuelle Fach­
                                                                                                                                                     kompetenz eines jeden Aufsichtsratsmitglieds im
                                                                                                                                                     ­Vordergrund, sondern vielmehr das Vorhandensein

                                                                                                                                                     2 So z. B. Hennrichs, Joachim: Finanzmarktintegritätsstärkungsgesetz
                                                                                                                                                       (FISG) – die »richtigen Antworten auf Wirecard«? Der Betrieb,
                                                                             1 Vgl. Wirecard-Geschäftsbericht 2018, S. 15                              74. Jg. 2021, S. 278

16   Audit Committee Quarterly extra
                                                                                                                            © 2021 Audit Committee Institute e.V., assoziiert mit der KPMG AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, einer Aktiengesell-
                                                                                                                            schaft nach deutschem Recht und ein Mitglied der globalen KPMG-Organisation unabhängiger Mitgliedsfirmen, die KPMG
                                                                                                                            International Limited, einer Private English Company Limited by Guarantee, angeschlossen sind. Alle Rechte vorbehalten.
der Sachkunde und fachlichen Erfahrung im Aufsichts-                                                3. Organisation der Aufsichtsratsarbeit in
ratsorgan insgesamt. Hier wären neben der Branchen-                                                 Ausschüssen
und Geschäftsmodellkompetenz auch noch andere
Kernkompetenzen, wie z. B. Führungserfahrung einer-                                                 Wirecard hatte bis 2018 mit Hinweis auf die satzungsmäßig vorgese-
seits oder solche zu Nachhaltigkeitsthemen und Digi-                                                hene Größe des Aufsichtsrats mit fünf Mitgliedern wie folgt argumen-
talisierungsstrategien andererseits, zu nennen. Die                                                 tiert: »Mit Blick auf diese überschaubare Größe hält der Aufsichtsrat
Kompetenz auf mehrere Aufsichtsratsmitglieder zu                                                    die Bildung von Ausschüssen für nicht sinnvoll.«6 Die Pflicht zur Bil-
verteilen, scheint effizient, weil von einer gegenseiti-                                            dung eines Prüfungsausschusses nach § 107 Abs. 4 AktG-E lässt
gen Ergänzung ausgegangen wird. Jedoch könnte es                                                    darauf schließen, dass das ­Gesamtgremium sinnvollerweise eine
im Fall eines tatsächlichen Interessenkonflikts, der ein                                            Mindestgröße hat, bei der eine Ausschussbildung überhaupt sinnvoll
Aufsichtsratsmitglied mit besonderer Fachkompetenz                                                  ist. Der Deutsche Corporate Governance Kodex sieht bislang mit der
nicht nur von der Abstimmung fernhält, sondern auch                                                 Bildung des Prüfungsausschusses und des Nominierungsausschus-
von der Beratung, zu punktuellen Lücken bezüglich                                                   ses zwei explizite Soll-Vorgaben vor (DCGK, Abschn. D: Arbeitsweise
des Kontroll- und Beratungsauftrags des Gremiums                                                    des Aufsichtsrates). Nichts spricht allerdings dagegen, dass z. B. ein
kommen (vgl. AKEIÜ 2020, S. 1579). 3 Folgerichtig                                                   Aufsichtsrat mit sechs Mitgliedern Ausschüsse bildet.7 Gerade bei
­ergibt sich aus diesen Anforderungen, dass ein Auf-                                                einem kleinen Gremium wäre durch eine sinnvolle Aufgabenvertei-
 sichtsrat eine bestimmte Mindestgröße aufweisen                                                    lung auf die effiziente Nutzung der Ressource Fachkompetenz zu ach-
 muss, die alle geforderten Kompetenzen unter Berück-                                               ten, da sonst die Agenda des Gesamtgremiums überfrachtet werden
 sichtigung der Unabhängigkeit der Mitglieder für alle                                              könnte.
 wichtigen Entscheidungssituationen abbildet.
                                                                                                    In der aktuellen Diskussion ist die nun gesetzlich zu verankernde
 Aus dieser Anforderung heraus ergibt sich meines                                                   Pflicht zur Bildung eines Prüfungsausschusses gemäß § 107 Abs. 4
 ­Erachtens aber schwerlich eine direkt ableitbare Min-                                             AktG-E wenig umstritten. Sie korrespondiert mit den gestiegenen
 destgröße über die schon existierenden Regelungen                                                  Aufgaben in Bezug auf die Überwachung des Rechnungslegungs-
 hinaus, die sinnvoll gesetzlich verankert werden                                                   prozesses, der internen Governance-Systeme und der Abschluss-
 ­könnte. Einzelne Mitglieder können mehr oder weni-                                                prüfung. Die Forschung identifiziert als Vorteile der Ausschussbil-
 ger Kompetenzen vereinen, die unter Berücksichti-                                                  dung insbesondere die Konzentration von bestimmten Erfahrungen
 gung von Unabhängigkeitserwägungen in manchen                                                      und Kompetenzen bei gleichzeitiger größerer Verantwortung des
 Situa­tionen mehr oder weniger genutzt werden kön-                                                 einzelnen Mitglieds. Dies reduziert das bei größeren Gremien beob-
nen. Ökonomisch lassen sich zudem verschiedene                                                      achtete Phänomen des Free-Riding.8 Es wird effektiver gearbeitet,
Aspekte zu Nutzen und Kosten für große Aufsichts-                                                   da weniger Aufwand für Koordination und Kommunikation aufge-
oder Verwaltungsräte finden, die es bei der Definition                                              wendet werden muss.9 Auf der Kostenseite müssen allerdings Ent-
einer gesetzlichen Mindestgröße abzuwägen gilt. Auf                                                 scheidungen im Gesamtgremium und zwischen Ausschüssen stär-
der Nutzenseite stehen die genannten Kompetenzen                                                    ker koordiniert werden. Dem kann u. a. mit der Besetzung einzelner
und Diversität, die in einem großen Gremium leichter                                                Mitglieder in mehreren Ausschüssen begegnet werden.
sicherzustellen sind. Für größere Aufsichtsräte plädiert
zwar die Hans-Böckler-Stiftung mit dem Argument
­einer Stabilisierung der ökonomischen und politischen                                              4. Fazit
 Umwelt durch personelle Verflechtungen.4 Auf der
  Kostenseite hat aber die Forschung insbesondere das                                                Der Wirecard-Aufsichtsrat ist nicht wegen seiner Größe gescheitert.
  Problem der Trittbrettfahrer (Free-Riding), langsame                                               Auch ein kleiner Aufsichtsrat kann kompetent sein, mit einer kriti-
  und ineffiziente Entscheidungsprozesse sowie teure                                                 schen Grundhaltung agieren und bestimmte Aufgaben effizient in
  Informations- und Koordinationsprobleme identifiziert,                                             Ausschüssen organisieren. Ausschussarbeit entlastet das Gesamt-
  die oft die Vorteile überkompensieren. Insgesamt                                                   gremium. Dies gilt, sinnvoll umgesetzt, auch für kleinere Gremien.
  kommen daher viele Studien zu dem Ergebnis, dass                                                   Gerade die vielfältigen Aufgaben des Prüfungsausschusses, die an
  größere Gremien eher mit einer schwächeren Unter-                                                  manchen Stellen eine hohe Fachkompetenz erfordern, sollten nicht
  nehmensperformance korrelieren.5                                                                   den Großteil der Agenda des Gesamtaufsichtsrats füllen. Vor diesem
                                                                                                     Hintergrund sollten auch kleine Aufsichtsräte ihre Arbeit in Ausschüs-
                                                                                                    sen organisieren. Einer Öffnungsklausel für kleine Aufsichtsräte
3 Vgl. Arbeitskreis Externe und Interne Überwachung der Unternehmen                                 ­bedarf es demnach nicht.
  der Schmalenbach-Gesellschaft: Effektive Überwachung der Geschäfts-
  führung durch den Aufsichtsrat. Der Betrieb, 73. Jg. 2020, S. 1577 –1586
4 Vgl. Gerum, Elmar; Debus, Malte: Die Größe des Aufsichtsrats als rechts-                          6 Vgl. Wirecard-Geschäftsbericht 2017, S. 17
  politisches Problem – Einige empirische Befunde. Studie im Auftrag der
                                                                                                    7	Gerade im SDAX© gibt es hierfür einige Beispiele, z. B. die Vossloh AG.
  Böckler-Stiftung, https://www.boeckler.de/pdf_fof/97358.pdf (5.2.2021)
                                                                                                    8 Vgl. Chen, Kevin D.; Wu, Andy: The Structure of Board Committees. Harvard Business School
5 Vgl. Cheng, Shijun: Board size and the variability of corporate performance.
                                                                                                      Working Paper 17-032, 2016, https://www.hbs.edu/faculty/Pages/item.aspx?num=51853
  Journal of Financial Economics, Vol. 87 /1w 2008, S. 157 –176 sowie für
                                                                                                      (5.2.2021)
  deutsche Aktiengesellschaften Jenter, Dirk; Schmid, Thomas; Urban,
  ­Daniel: Does Board Size Matter? Working Paper October 2019,                                      9 Vgl. Reeb, David; Upadhyay, Arun: Subordinate board structures. Journal of Corporate Finance,
  https://personal.lse.ac.uk/jenter/JSU_BS_2019-10-21.pdf (5.2.2021)                                  Vol. 16(4) 2010, S. 469 – 486

                                                                                                                          Vertrauen wiedergewinnen! – Zur Finalisierung
                                                                                                                                                             Sports Governance
                                                                                                                                                                        des FISG 17
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