Konzept der Kinderdorffamilien der Bethanien Kinder- und Jugenddörfer - " und wer ein solches Kind um meinetwillen aufnimmt, der nimmt mich auf."
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Konzept der Kinderdorffamilien der Bethanien Kinder- und Jugenddörfer „…und wer ein solches Kind um meinetwillen aufnimmt, der nimmt mich auf.“ (Bibel, Matthäus 18,5)
Einleitung Die Notwendigkeit, das Konzept der Kinderdorffamilie für die Bethanien Kinder- und Jugenddör- fer neu zu beschreiben, liegt zum einen in der gesellschaftlichen Veränderung der Vorstellung von Familie und zum anderen in den sich verändernden Bedingungen der Kinder- und Jugend- hilfe in Deutschland. Die Kinder- und Jugendhilfe hat in den 50 Jahren seit Bestehen der Kinderdörfer große Veränderungen durchlaufen. Vor allem mit dem Inkrafttreten des Kinder- und Jugendhilfegesetzes von 1991 hat die Jugendhilfe als gesetzliche Grundlage für die Kinderdorfarbeit eine radikale Veränderung eingeleitet, die in ihren Auswirkungen durch die aktuelle Finanzierungskrise der öffentlichen Hand noch deutlich verstärkt wird. Die Unterbringung von Kindern in langfristigen Jugendhilfeangeboten wird als die letzte aller möglichen Maßnahmen angesehen. Hilfeplanung, Erziehungsplanung, Vernetzung, Zielorientierung, Evaluation und andere fachliche Entwicklungen verstärken den Druck auf die Erziehenden. Von den Kinderdorffamilien wird einerseits ein Erhalten der familiären Atmosphäre und der mitwohnenden Form erwartet und andererseits eine hohe Professionalität, nicht nur in Bezug auf die Erziehungsaufgaben, sondern auch in Bezug auf die Leitungsaufgaben und die strukturellen Anforderungen einer sozialen Institution. Neben dem Konzept der Kinderdorffamilie sind in allen Kinderdörfern weitere pädagogische Angebote entstanden wie Wohn- und Tagesgruppen, Verselbständigungsangebote und ver- schiedene Formen ambulanter Hilfen. Das Konzept der Kinderdorffamilie befindet sich im Rahmen der Jugendhilfe in einem Wettbe- werb mit anderen Hilfeangeboten. Um das Profil der Kinderdorffamilie in den Bethanien Kinder- und Jugenddörfern darzustellen, ist es notwendig, die Besonderheiten, Merkmale, Rahmenbe- dingungen und Qualitäten der Kinderdorffamilie im Rahmen eines Konzeptes darzulegen. Schwalmtal, im August 2007 Werner Langfeldt Geschäftsführer Seite 2 von 29
Inhalt Einleitung ................................................................................................................................ 2 Inhalt ........................................................................................................................................ 3 1. Auftrag ............................................................................................................................. 4 2. Definitionen ..................................................................................................................... 5 2.1 Definition des Begriffes Familie ................................................................................ 5 2.2 Definition der Kinderdorffamilie ................................................................................ 6 3. Rahmenbedingungen ..................................................................................................... 8 3.1 Strukturelle Rahmenbedingungen ............................................................................ 8 3.2 Personelle Rahmenbedingungen ............................................................................. 8 3.3 Rechtliche Rahmenbedingungen ............................................................................. 9 3.4 Kinderdorfgemeinschaft ............................................................................................ 9 3.5 Organisation ........................................................................................................... 10 4. Pädagogisches Konzept .............................................................................................. 12 4.1 Lebensgemeinschaft .............................................................................................. 12 4.2 Zielgruppe ............................................................................................................... 12 4.3 Aufnahmeverfahren ................................................................................................ 14 4.4 Pädagogische Zielsetzung ..................................................................................... 15 4.5 Methoden der Erziehung ........................................................................................ 16 4.6 Pädagogischer Fachdienst .................................................................................... 18 4.7 Kooperation mit Institutionen .................................................................................. 19 4.8 Kooperation mit Eltern / Herkunftssystem .............................................................. 20 4.9 Loslösung und Verselbständigung ......................................................................... 22 4.10 Chancen und Grenzen ........................................................................................... 23 5. Ehemaligenarbeit.......................................................................................................... 25 6. Anhang .......................................................................................................................... 27 Seite 3 von 29
1. Auftrag Die Beauftragung für das besondere Jugendhilfeangebot "Kinderdorffamilie" erfolgt aus den Rechtsnormen des Kinder- und Jugendhilfegesetzes (SGB VIII). Diese bilden den gesetzli- chen Rahmen. Er begründet das Recht von Kindern und Jugendlichen auf Erziehung und das Recht von Sorgeberechtigten auf Hilfe zur Erziehung. Darüber hinaus gibt es eine Reihe von gesamtgesellschaftlichen Erwartungen und Wertentscheidungen, die der Tätigkeit in einer Kinderdorffamilie zugrunde liegen: • Wir sehen uns beauftragt durch die Person des jungen Menschen selbst, der bei und mit uns lebt. Seinen Anspruch auf Versorgung, Erziehung und ein gelingendes Hi- neinwachsen in die Welt der Erwachsenen, der in der Herkunftsfamilie aus unterschiedlichsten Gründen nicht erfüllt werden konnte, greifen wir auf und versu- chen ihn zu erfüllen. Wir verstehen unsere Arbeit mit dem jungen Menschen als dialogischen Prozess. Dabei gehen wir von der Vorstellung aus, dass der heute junge Mensch, wenn er einmal erwachsen und urteilsfähig ist, unserem pädagogischen Handeln zustimmen können müsste. • Wir sehen uns beauftragt durch die leiblichen Eltern der Kinder und Jugendlichen, die bei uns leben. Unabhängig von den Grenzen ihrer Möglichkeiten, selbst für ihr Kind adäquat versorgend oder erziehend tätig geworden zu sein, sind die Persönlichkeits- entwicklung und die Identitätsfindung jedes Kindes untrennbar mit seinen leiblichen und/oder sozialen Eltern verbunden. Wir bemühen uns in Dialog und Zusammenar- beit mit den Eltern und Sorgeberechtigten darum, gemeinsame und tragfähige Ziele und Perspektiven zu entwickeln. Werte, Ziele und Perspektiven sollen sich auch dann als tragfähig erweisen, wenn sich die im Kinderdorf aufgewachsenen jungen Men- schen als Erwachsene ihren eigenen Lebensraum schaffen. • Wir sehen uns beauftragt durch die Gesellschaft. An der Seite der leiblichen oder so- zialen Eltern und in einigen Fällen auch an ihrer Statt sehen wir uns verpflichtet, das Heranwachsen junger Menschen zu gesunden Erwachsenen und Gliedern der men- schlichen Gesellschaft zu fördern 1 . Hierbei geht es nicht allein um die Vermittlung kognitiver und sozialer Kompetenzen mit dem Ziel, einen angemessenen Platz im Ar- beitsleben einnehmen zu können, sondern ebenso um die Grundlegung sozial- emotionaler Ressourcen. Der Aufbau von Konflikt-, Beziehungs- und nicht zuletzt Er- ziehungsfähigkeit soll die manchmal bestehende Generationenkette öffentlicher Unterstützungsbedürftigkeit durchbrechen und dem jungen Menschen die Chance zu einem selbstbestimmten Leben eröffnen, das gehalten ist durch tragfähige Bindungen und Beziehungen. • Wir sehen uns als christliche Gemeinschaft beauftragt durch Gott, der das menschli- che Leben schenkt, die Menschen ohne Unterschied liebt und uns in jedem Menschen begegnen will. Auf der Grundlage unseres Leitbildes 2 wollen wir einander und den Menschen, denen wir begegnen, immer neu das Recht und die Chance auf ein erfülltes Leben ermöglichen. In besonderer Weise wollen wir einstehen für die Würde und Rechte von Kindern und Jugendlichen, deren Lebens- und Entwicklungs- chancen bereits in ihren ersten Lebensjahren durch Un-Heil-Situationen beein- trächtigt wurden und deren Vertrauen in das Leben dadurch oftmals erschüttert wur- de. Unsere besondere christliche Verantwortung sehen wir darin, für diese Kinder und Jugendlichen einzutreten und ihnen ein Zuhause und eine Zukunft zu geben. 1 gemäß den Intentionen des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland 2 vgl. Leitbild der Bethanien Kinder- und Jugenddörfer, Bethanien Kinderdörfer gGmbH 2003 Seite 4 von 29
2. Definitionen 2.1 Definition des Begriffes Familie Die Kinderdorfidee, die in den Nachkriegsjahren als Alternativmodell zum Waisenhaus ent- standen war, hatte von Beginn an die Aufgabe, sich mit den sich wandelnden Familienbildern auseinanderzusetzen. Die ersten konzeptionellen Grundlagen für die Kinderdorffamilie sind in den Niederschriften der Provinzkapitel der Dominikanerinnen von Bethanien schriftlich festgehalten: „Ausgehend davon, dass für das heranwachsende Kind die intakte Familie als das beste pädagogische Milieu angesehen werden darf, wollen wir uns der wesentlichen und bedeutsamen Lebens- und Erziehungsgrundlagen einer intakten Familie bedienen, indem familienähnliche Lebensgemeinschaften zwischen Kindern und Erwachsenen begründet werden.“ 3 Diese Ausrichtung führte während der gesamten Zeit des Bestehens der Kinderdörfer dazu, sich darüber auseinanderzusetzen, was eine „intakte“, „normale“, „gute“ oder „ideale“ Familie ist, welche Merkmale sie aufweist und wie sie auszugestalten sei. Es gibt verschiedene Blickwinkel und Zugänge zu dem, was eine „intakte Familie“ ausmacht. Hilfreich zur Annäherung ist der Blick auf 1. soziologische und 2. ideell-inhaltliche Aspekte. 1. Der soziologische Begriff der Familie definiert die Familie als verwandtschaftliche Bindung mit unterschiedlichen Lebensformen. In diese Definition spielen Herkunft, biografische Merkmale und kulturelle Ausprägungen hinein. 2. Der ideelle Zugang definiert die Familie als Ort, in dem bestimmte Bedürfnisse und Haltungen anzutreffen sind, die einem Menschen das Gefühl von Heimat und Zuhau- se sein vermitteln. Durch Haltungen der Familienmitglieder untereinander wie „zueinander stehen“, „einander helfen“, „sich angenommen fühlen“, „so sein dürfen, wie man ist“ wird eine grundsätzlich positive Wertschätzung für die Mitglieder der Familie dargestellt. Begriffe wie Schutz, Geborgenheit, Annahme, Wertschätzung als Mensch (unabhängig von der Erfüllung von Leistungsanforderungen) spielen hier hi- nein. Emotionale Bedürfnisse der Familienmitglieder werden mit echter Nähe und Zuwendung beantwortet. Als Strukturmerkmale einer Familie werden Alltagsbezug, Normalität als Modell, Körperlich- keit des Zusammenlebens, Exklusivität von Beziehungen und die Orientierung an den Bedürfnissen von Kindern beschrieben 4 . Schon zu Beginn der 60er Jahre begann die Auflösung der tradierten Familienformen. Es galt nicht mehr das Modell der bürgerlichen Familie, das auf Kultur, Bildung und festgelegten Rollen beruhte. Auch das Modell der bäuerlichen Familie, das von einem Zusammenleben mehrerer Generationen unter einem Dach, von klaren Traditionen und in hohem Einklang mit natürlichen Abläufen, dem Zusammenleben von Mensch und Tier und funktionellen Abhängigkeiten geprägt war, hatte keine breite gesellschaftliche Gültigkeit mehr. Der Aufbruch der 68er Jahre, die Möglichkeiten der Familienplanung und der Wegfall verbindlicher Traditionen führten zu Auflösungserscheinungen der Familie. Die Raten der Trennungen und Scheidungen schossen in die Höhe. Heute besteht die Mehrzahl der Familien aus Kleinfamilien, in denen ein oder zwei Elternteile mit einem oder zwei Kindern leben. Mehrere Geschwister sind schon eine Seltenheit, eine Familie mit drei Kindern gilt heute bereits als Armutsrisiko. Die meisten Familien leben ohne Mehrgenerationenbezug. Auch früher seltene Fami- lienkonstellationen gehören heute zu den alltäglichen Familienformen, wie z.B. die Haushalte von Allein- erziehenden und unterschiedliche Formen von Patchworkfamilien. 3 Pädagogische Konzeption der Bethanien Kinder- und Jugenddorfarbeit, Dominikanerinnen von Bethanien – Deutsche Provinz, Auszug aus dem Provinzkapitel von 1991 4 vgl. Bundesarbeitsgemeinschaft der Landesjugendämter (BAG LJÄ): Hilfe zur Erziehung in Pflegefamilien und in familienähnlichen Formen, Dez. 2002. Seite 5 von 29
Es besteht heute eine weitgehende Übereinstimmung darin, dass eine Familie dadurch ge- kennzeichnet ist, dass Erwachsene mit Kindern eine erziehende Lebensgemeinschaft bilden, in der die Erwachsenen eine langfristige Entscheidung für die Übernahme der erzieherischen Verantwortung für Kinder übernommen haben. Mit dieser Beschreibung ist nicht nur der gesellschaftlichen Ausweitung der Familienformen Rechnung getragen, sondern die Kinderdorffamilie in ihrer Zusammensetzung wird durch die Entscheidung des (oder der) mitwohnenden und erzieherisch verantwortlichen Erwachsenen zu einer „normalen“ Familie im Kontext sehr differenzierter Ausprägungen von Familie im gesellschaftlichen Verständnis. 2.2 Definition der Kinderdorffamilie Die Kinderdorffamilie der Bethanien Kinder- und Jugenddörfer bezeichnet eine professionel- le, erziehende Lebensgemeinschaft von Erwachsenen und Kindern, • die die ideellen und strukturellen Merkmale einer Familie besitzt • die die Bedingungen für ein gesundes Aufwachsen von Kindern und Jugendlichen bietet, • die als besonderes Erziehungshilfeangebot im institutionellen Rahmen der stationä- ren Kinder- und Jugendhilfe besteht. Von den Dominikanerinnen von Bethanien wurden die Idee der Kinderdorffamilie mit den zentralen Leitideen der bethanischen Ordensgemeinschaft gefüllt: Leben teilen, Annahme jedes Menschen ungeachtet seiner Vorgeschichte, Chance zum Neubeginn, Hoffen gegen alle Hoffnung. Diese Leitsätze sind nicht nur in der Lebenspraxis der Dominikanerinnen von Bethanien als gelebte bethanische Spiritualität verankert. Sie bilden bis heute die Grundhal- tungen für die Bildung und den Bestand von Kinderdorffamilien. 5 Die Kinderdorffamilie als Lebensgemeinschaft von Erwachsenen und Kindern will Kindern, die in ihrer Herkunftsfamilie nicht leben können, auf längere Sicht ein Zuhause anbieten. Die Kinderdorffamilie zeichnet sich dadurch aus, dass es eine erwachsene Bezugsperson gibt – die Leiterin der Kinderdorffamilie 6 – die mit den Kindern unter einem Dach gemeinsam wohnt und lebt. Das Beziehungs- und Bindungsangebot, das Kinder zum Aufwachsen benötigen, wird in der familiären Lebensform der Kinderdorffamilie ermöglicht. Die Bereitschaft und die Entschei- dung Erwachsener, ihren Lebensmittelpunkt in der Kinderdorffamilie zu haben, schafft die Grundlage für eine spezifische Kontinuität in den Beziehungen und in den alltäglichen Le- bensvollzügen. Die Lebensgemeinschaft Kinderdorffamilie bietet Kindern und Jugendlichen Rahmenbedin- gungen, die eine positive Entwicklung fördern. In der Kinderdorffamilie werden die Grundbedürfnisse von Kindern und Jugendlichen – Beziehung, Versorgung, Schutz, Förde- rung, Kontinuität und Zukunftsperspektiven – befriedigt. Wichtige Geschwisterbeziehungen werden bei der Aufnahme von Kindern und bei der Zu- sammensetzung der Kinderdorffamilien besonders berücksichtigt. In der Regel werden Geschwisterkinder gemeinsam in einer Kinderdorffamilie aufgenommen. Bei dringenden pä- dagogischen Gründen können Geschwister auf verschiedene Kinderdorffamilien/Wohn- 5 vgl. Leitbild der Bethanien Kinder- und Jugenddörfer, Bethanien Kinderdörfer gGmbH 2003 6 Anstelle des Begriffs „Leiterin der Kinderdorffamilie“ wird in der Umgangssprache synonym auch „Kinderdorfmutter“ verwendet. Der Begriff „Leiterin der Kinderdorffamilie“ wurde gewählt, um die Kon- kurrenz zur Herkunftsfamilie zu vermeiden und den Begriff Mutter für die leibliche Mutter zu reservie- ren. Seite 6 von 29
gruppen aufgeteilt werden. In diesem Fall wird der Aufrechterhaltung des geschwisterlichen Kontaktes und der Förderung der Geschwisterbeziehung besondere Beachtung geschenkt. Das bethanische Profil der Kinderdorffamilien wird in der religiös-spirituellen Alltagsgestal- tung deutlich. Die Motivation und Haltung der Bezugspersonen und der pädagogischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind von der Spiritualität der Dominikanerinnen von Betha- nien geprägt. Für die pädagogische Ausrichtung der Kinderdorfarbeit gehört die Vermittlung christlicher Werte und die Förderung eines individuellen Lebenssinns zu den grundlegenden Zielsetzungen. Die Persönlichkeit der Familienleiterin 7 - oder des Ehepaares - in der Kinderdorffamilie prägt das Alltagsleben und die familiäre Kultur der Lebensgemeinschaft Kinderdorffamilie. Sie fin- den und gründen in der Kinderddorffamilie ein Zuhause für sich selbst und die dort lebenden Kinder und Jugendlichen. Daneben ergänzen und unterstützen weitere pädagogische und hauswirtschaftliche Kräfte die Kinderdorffamilie und gestalten sie mit. Weitere Merkmale der Kinderdorffamilie heute sind: • Die Familienleiterin besitzt eine pädagogische Berufsqualifikation. • In der Kinderdorffamilie sind weitere pädagogische und hauswirtschaftliche MitarbeiterIn- nen tätig. • Die Kinderdorffamilie ist ein Angebot im Rahmen der stationären Kinder- und Jugendhilfe und unterliegt den gesetzlichen Bestimmungen dieser Hilfe. • Die Kinderdorffamilie ist organisatorisch-struktureller Bestandteil der Institution. 7 Neben einer alleinstehenden Frau als Leiterin einer Kinderdorffamilie kann auch ein Ehepaar in einer Kinderdorffamilie gemeinsam tätig sein. In der Regel ist in den Bethanien Kinderdörfern auch bei diesem Modell die Ehefrau als Leiterin eingestellt. Hat das Ehepaar Kinder, leben diese mit im Kin- derdorffamilien-Haushalt. Seite 7 von 29
3. Rahmenbedingungen 3.1 Strukturelle Rahmenbedingungen Zu den strukturellen Rahmenbedingungen einer Kinderdorffamilie gehören unterschiedliche Faktoren wie z. B. die Größe der Gruppe, das Raumangebot, aber genauso auch Fragen der Budgetierung und der Haushaltsführung. Die Kinderdorffamilie setzt sich in der Regel zusammen aus acht alters- und geschlechtsge- mischten Kindern oder Jugendlichen und der Leiterin oder dem leitenden Ehepaar. Sie bewohnen gemeinsam ein größeres freistehendes Haus mit einem geräumigen Wohnzim- mer, ausreichend Kinderzimmern, Büro bzw. Dienstzimmer, eigenen Spielräumen, Küche, Diele, mindestens zwei Bädern, Wirtschafts-, Keller- oder Vorratsräumen sowie vielfältigen Spielmöglichkeiten im Außengelände. Zum Haus gehört zudem Wohnraum für die Leiterin oder die Eheleute und ggf. die eigenen Kinder. Da in den Bethanien Kinderdörfern der Grundgedanke der Lebensgemeinschaft eine hohe Bedeutung hat, sind die Zimmer oder Wohneinheiten für die auf Dauer mit den Kindern zu- sammenlebenden LeiterInnen oder Ehepaare nicht separat getrennt, sondern in den Lebensraum des Hauses integriert. Natürlich braucht jede Familienleiterin die Möglichkeit, sich in einen eigenen privaten Bereich zurückziehen zu können, aber es widerspricht dem Gedanken des "Leben-teilens", wenn die Lebensbereiche innerhalb des Hauses für die Kin- der allzu sicht- und spürbar getrennt sind. Im Interesse der uns anvertrauten Kinder und Jugendlichen gilt es mit Fingerspitzengefühl die Balance zu halten zwischen dem notwendigen und auch gebotenen persönlichen Schutz- raum der Erwachsenen und der Wahrung ihrer Intimsphäre einerseits und dem Anspruch auf eine authentische, dem oben näher beschriebenen Familienideal folgenden Lebensgemein- schaft mit den Kindern andererseits. Um innerhalb der Kinderdorffamilie tatsächlich ein weniger institutionell geprägtes, sondern ein familiennahes Lebensmodell gestalten zu können, hat jede Kinderdorffamilie eine eige- nes Haushaltsbudget zur Verfügung, in dessen Rahmen autonom gewirtschaftet wird. Hierzu gehört auch ein eigenes Bankkonto mit allen erforderlichen Verfügungsgewalten. Die Haushaltsführung einer Kinderdorffamilie umfasst die eigenständige Erfüllung aller anfal- lenden Aufgaben der Hauswirtschaft, der Hauseinrichtung und der Gartenpflege. Zu nennen sind beispielhaft die Mahlzeitenzubereitung, der Einkauf von Lebensmitteln und des Wirt- schaftsbedarfes, das Sauberhalten des gesamten Hauses, die Wäschepflege, die Ein- kleidung der Kinder, handwerkliche Kleinaufgaben, die Blumenpflege, etc.. Bestandteil der Haushaltsführung der Kinderdorffamilie ist die Nutzung der gemeinschaftlichen Räume und Fahrzeuge sowie die Koordination und Kooperation mit den übergreifenden Diensten (z. B. Haustechnik). Organisation und Erfüllung der Haushaltsführung füllen einen wesentli- chen Teil des Alltags und strukturieren diesen weitgehend. Unabhängig davon unterliegt die Kinderdorffamilie als Teil der Kinderdorfgemeinschaft der gleichen wirtschaftlichen Notwendigkeit, entgeltrelevanten Bestimmungen und der Pflicht, die eigene wirtschaftliche Haushaltsführung aber auch die inhaltlich pädagogische Arbeit zu do- kumentieren und überprüfen zu lassen, wie jede andere Betreuungsform innerhalb der Jugendhilfe auch. 3.2 Personelle Rahmenbedingungen Die Leiterin der Kinderdorffamilie, die als konstante Bezugsperson mit den Kindern und Ju- gendlichen im Rahmen der Kinderdorffamilie gemeinsam lebt, garantiert durch ihr persönliches Engagement zusammen mit ihrer fachlichen Kompetenz das Angebot einer tragfähigen Beziehung. Seite 8 von 29
Neben der Leiterin gehören je nach Größe der Kinderdorffamilie weitere pädagogische Mi- tarbeiterInnen und eine hauswirtschaftliche Mitarbeiterin in Teilzeit zum Mitarbeiterteam der Kinderdorffamilie. Diese Mitarbeiter sollen zum Wohle der Ihnen anvertrauten Kinder team- orientiert arbeiten. Alle pädagogischen MitarbeiterInnen besitzen eine qualifizierte Fach- ausbildung, die sie zu pädagogischem Handeln befähigt. Persönliche und fachliche Reife, die Auseinandersetzung mit den eigenen Grenzen und die Bereitschaft zu Professionalisierung und Weiterentwicklung gehören zum Selbstverständnis der pädagogischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Strukturelle und institutionelle Rahmenbedingungen unterstützen, fordern und fördern die Entwicklung der pädagogischen Arbeit. 3.3 Rechtliche Rahmenbedingungen Gemäß § 1 des Kinder- und Jugendhilfegesetzes im SGB VIII hat jeder junge Mensch ein Recht auf Förderung seiner Entwicklung und auf Erziehung zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit. Soweit die eigene Herkunftsfamilie, aus welchen Gründen auch immer, diese Erziehung und Entwicklungsförderung nicht leisten kann, über- nimmt die Jugendhilfe diese verantwortungsvolle Aufgabe. Die Betreuung von Kindern und Jugendlichen in einer Kinderdorffamilie ist ein Jugendhilfe- angebot der Bethanien Kinder- und Jugenddörfer im Rahmen der §§ 27 ff., insbesondere des § 34 SGB VIII. In begründeten Einzelfällen können in Kinderdorffamilien auch seelisch be- hinderte Kinder im Sinne des § 35 a SGB VIII oder in begrenztem Rahmen auch körperlich oder geistig behinderte Kinder im Sinne des SGB XII Betreuung und Aufnahme finden. Ein sich hieraus ergebender besonderer Betreuungs- und Behandlungsbedarf muss im Vorfeld im Rahmen der Hilfeplanung klar benannt werden und kann entweder mit eigenen Fachkräf- ten oder im Zusammenwirken mit externen Fachdiensten gedeckt werden. Von besonderer Bedeutung ist der Übergang vom Jugend- in das Erwachsenenalter. Mit der Entwicklung von Kompetenzen zur eigenständigen Lebensführung und dem Finden und Er- lernen eines Berufes, der dem eigenen Leben Sinn und Struktur vermittelt, sowie den eigenen Lebensunterhalt absichert, findet die bislang geleistete Betreuung in der Kinderdorf- familie erst seine notwendige Abrundung. Bei Bedarf unterstützen wir die Heranwachsenden, eigenständig einen Antrag auf Verlängerung der Jugendhilfe über das 18. Lebensjahr hinaus gemäß § 41 SGB VIII zu stellen und setzen auf die Bereitschaft der Kostenträger, diese wichtige Hilfe zu gewähren. Nicht zuletzt gehören zu den rechtlichen Rahmenbedingungen die Rechte der Kinder selbst wie sie u. a. 1989 in der UN-Kinderrechtskonvention ihren Niederschlag gefunden haben. Partizipation der Kinder und Jugendlichen wird in den Kinderdorffamilien konkretisiert in Form von gemeinsamen Gruppenabenden, der Wahl einer Interessenvertretung der Kinder und Jugendlichen und vielen anderen Formen der Mitwirkung und Mitbestimmung. 3.4 Kinderdorfgemeinschaft Die Kinderdorffamilien bilden mit den anderen Bewohnern eine „Dorfgemeinschaft“, die im Kleinen viele Elemente der großen Gesellschaft widerspiegelt und beinhaltet. 8 Durch die besondere Abstimmung auf die Bedürfnisse der Kinder- und Jugendlichen wird ein Erfahrungsraum zur sozialen Entwicklung über die Hausgemeinschaft hinaus geschaffen. Die Kinder und Jugendlichen erleben sich gemeinsam mit den Erwachsenen im Kinderdorf als eigene soziale Gemeinschaft, in der sie eigene Interessen einbringen können, Rücksich- 8 „Um ein Kind zu erziehen braucht es ein ganzes Dorf“, Sprichwort der Dagara, Burkina Faso Seite 9 von 29
tnahme gegenüber Minderheiten üben, aber auch Mehrheitsentscheidungen oder verschie- dene Kompetenzen und Rechte erfahren und erleben können. Dies geschieht z.B. durch die Abstimmung von Interessen bei größeren Veranstaltungen und vielen Aktivitäten, die als Dorfgemeinschaft gestaltet und organisiert werden. Die verschiedenen Lebens- und Arbeits- gemeinschaften bringen Impulse und Anregungen mit ins Kinderdorf und bilden durch Kooperation, Formulierung von Interessen und Kreativität eine lebendige, dynamische Kin- derdorfgemeinschaft. Die Kinderdorfgemeinschaft ist gleichzeitig auch Teil einer Stadt oder Gemeinde. Als soziale Einrichtung macht das Kinderdorf sich nicht nur für die Interessen des Kinderdorfes, sondern vor allem für die allgemeinen Bedürfnisse von Kindern und Jugendlichen stark. Hier geht es um die verantwortungsvolle Mitgestaltung des sozialen Lebens in der Gemeinde im mögli- chen Rahmen und die aktive Teilnahme dort als Teil des Ganzen. Nicht zuletzt verstehen sich die Kinderdörfer als aktiver Bestandteil der jeweiligen Pfarrgemeinden. Ein lebendiges Miteinander wird bewusst gepflegt. Neben einem eigenen religiösen Leben in den Kinderdör- fern gibt es vielfältige Formen der Kooperation mit den Pfarrgemeinden. 3.5 Organisation Die Kinderdorffamilien sind - wie im nachfolgenden Schaubild dargestellt - eingebettet in die Gesamtorganisation des Kinderdorfes: In diesem Kontext sind die Kinderdorffamilien jeweils über Teamgespräche mit und ohne Erziehungsleitung fachlich eingebunden. Regelmäßige Gespräche innerhalb des Teams werden von der Familienleiterin geführt. In diesen regelmäßigen internen Teambesprechun- gen werden die gemeinsam vereinbarten Erziehungsziele und pädagogischen Methoden immer wieder überprüft, eventuell korrigiert und die anstehenden Aufgaben in gegenseitiger Verantwortung delegiert. Die Teambesprechung dient zudem der Weitergabe aller wichtigen Informationen. Eine Dokumentation der Ergebnisse ist selbstverständlich. Die Kinder und Jugendlichen sollen erfahren, dass die verschiedenen Mitarbeiter ihrer Kinderdorffamilie sich gegenseitig unterstützen, durch ihren je eigenen Blickwinkel fachlich und menschlich ergän- zen und durch Einigung auf zentrale Werte und pädagogische Vorgehensweisen eine verlässliche Einheit bilden. Daneben dienen die Gespräche der Arbeitsorganisation in der Kinderdorffamilie. In den fest vereinbarten Gesprächen mit der Erziehungsleitung wird über Seite 10 von 29
die Entwicklung der Kinder und Jugendlichen, aber auch die Situation des Teams gespro- chen und aktueller Handlungsbedarf festgestellt. In der Gesamtheit des Kinderdorfes ist der Zusammenhalt der Kinderdorffamilien mit den anderen pädagogischen Angebotsformen von hoher Bedeutung. Zum einen prägt das Zu- sammenleben der Kinder und Erwachsenen, die im Kinderdorf einen Lebensort auf Zeit gefunden haben, die Atmosphäre und den Charakter des Kinderdorfes. Zum anderen ist der Austausch der im Kinderdorf lebenden Erwachsenen stets auch ein fachlicher Austausch, in dem die unterschiedlichen Arbeitsformen – Kinderdorffamilien, Wohngruppen, Tagesgruppen und pädagogische Fachdienste – sich gegenseitig ergänzen und voneinander lernen. Zusätzlich kann es bei Bedarf Austauschtreffen der Familienleiterinnen geben. Seite 11 von 29
4. Pädagogisches Konzept 4.1 Lebensgemeinschaft Das Wesen der Lebensgemeinschaft “Kinderdorffamilie“ Eine Lebensgemeinschaft entsteht dadurch, dass eine alleinstehende Frau oder ein Ehepaar - ggf. mit eigenen Kindern - sich entscheidet, ihr Leben, d.h. nahezu ihre gesamten Lebens- vollzüge, mit den ihr bzw. ihnen anvertrauten Kindern zu teilen. Alle leben miteinander in einem “eigenen“ Haus in einer familienähnlich strukturierten Lebensgemeinschaft. Zentrales Merkmal bleibt die grundsätzliche Bereitschaft der Familienleiterin bzw. des Ehe- paares, allen Kindern ihrer Kinderdorffamilie ein dauerhaftes und von liebendem Bemühen geprägtes Beziehungs- und Bindungsangebot zu machen, das auch über den Aufenthalt des Kindes bzw. Jugendlichen in der Kinderdorffamilie hinausgeht. Die Beziehung besitzt eine Einmaligkeit und Exklusivität, die sonstiges professionelles und pädagogisches Handeln übersteigt. Dieses Angebot - vom Kind angenommen - ermöglicht eine korrigierende Lern- und Lebenserfahrung. Individualität der Kinderdorffamilien Jede Kinderdorffamilie unterliegt den gleichen räumlichen, personellen und konzeptionellen Rahmenbedingungen (siehe Kapitel 3), dennoch legen wir Wert darauf, dass jede Kinder- dorffamilie eine eigene "kulturelle Identität" entwickelt. Besonders durch die Person der Familienleiterin, aber auch der langjährigen pädagogischen Mitarbeiter, nicht zuletzt durch die dort wohnenden Kinder und Jugendlichen selbst, werden eigene, unverwechselbare Formen und Riten des Zusammenlebens geschaffen, die das je eigenständige Profil einer Kinderdorffamilie prägen. Insbesondere die kleinen Rituale des Alltags, das morgendliche Wecken, die Gestaltung der Mahlzeiten, die abendliche Zu-Bett-geh-Situation, das Feiern von Festen, die Gestaltung des religiösen Lebens, Vorlieben, Farben und Einrichtung des Hauses - all das schafft das besondere Gesicht und den "Geruch" der jeweiligen Kinderdorf- familie. Diese Individualität jeder Kinderdorffamilie wiederum fördert die Identifikation und das Gefühl von "Zuhause-Sein" als Voraussetzung für korrigierende Lernerfahrungen und eine gesunde psychosoziale Entwicklung des Kindes. Geschwisterlichkeit der Kinder in der Kinderdorffamilie Über das Zusammenleben mit leiblichen Geschwistern hinaus versucht die Kinderdorffami- lienleiterin in ihrer familiennahen Lebensgemeinschaft die Grundwerte geschwisterlichen Zusammenlebens im Bewusstsein und im alltäglichen Miteinander der Gruppenmitglieder zu verankern. Eine geringere Fluktuation der Kinderdorffamilienmitglieder und die Zahl leiblicher Geschwister innerhalb der Gruppe erhöhen hierfür die Chancen. Konkret macht sich dies bemerkbar in der erhöhten Verantwortung füreinander, für das gemeinschaftliche Wohlerge- hen und die Identifikation der Kinder und Jugendlichen als eine zusammengehörende (Kinderdorf-) Familie. Zudem gewinnt der individuelle Lern- und Entwicklungsprozess des einzelnen Kindes durch die Orientierung an dem gemeinsamen Wachstumsprozess der Ge- schwistergruppe. Das Leben und Lernen miteinander und aneinander hat in der Kinderdorffamilie einen besonderen Stellenwert. 4.2 Zielgruppe Für welche Kinder ist die Kinderdorffamilie die geeignete Hilfeform? Grundsätzlich können Kinder mit unterschiedlichsten Voraussetzungen und Problemlagen in einer Kinderdorffamilie Aufnahme finden. Sie ist dann der geeignete Ort, wenn eine familien- Seite 12 von 29
ähnliche Lebensform das "richtige" Jugendhilfeangebot darstellt, u.a. eine längerfristige Be- treuung erforderlich und sinnvoll erscheint. Insbesondere seien hier Geschwistergruppen erwähnt, für die die Kinderdörfer in besonderer Weise in Frage kommen. Je nach Bedarf können die Geschwisterkinder gemeinsam in einer Kinderdorffamilie oder auch in räumlicher Nähe in benachbarten Kinderdorffamilien leben. Darüber hinaus bieten wir Platz für Kinder zum Beispiel … • nach häufigen Beziehungsabbrüchen und wenn ein kontinuierliches Beziehungs- bzw. intensives Bindungsangebot zentraler Bestandteil einer angemessenen Hilfe sein muss • nach Auseinanderbrechen von Familien (“broken-home-Situationen“) • nach körperlicher oder psychischer Vernachlässigung und Mangelerfahrungen (somatische und emotionale Deprivation) • mit Entwicklungsverzögerungen und -rückständen • aus Familien mit Gewalterfahrungen • aus Familien mit geringer Erziehungskompetenz • mit unklarem Aufenthaltsstatus • mit unterschiedlichen Verhaltensauffälligkeiten, u. a. nach traumatisierenden Erfah- rungen • mit körperlichen und/oder geistigen Behinderungen (soweit der pflegerisch- betreuerische Aufwand innerhalb der Gruppe oder mit Unterstützung von außen leistbar ist) • ….. Nicht aufgenommen werden Kinder, bei denen Dissozialität und ständiger Entweichungs- drang im Vordergrund stehen; ebenfalls können keine Kinder oder Jugendlichen mit virulenter Suchtmittelabhängigkeit oder klinisch behandlungsbedürftigen psychiatrischen Störungsbildern aufgenommen werden. Kriterien für die Aufnahme in einer Kinderdorffamilie In Kinderdorffamilien können insbesondere Kinder aufgenommen werden, für die eine Be- treuung in einer familiennahen Lebensform gewünscht wird, deren besondere Lebenserfahrungen und Lebensumstände die Aufnahme in einem weniger institutionell ein- gebundenen familiennahen Setting wie z. B. Pflegefamilie oder Erziehungsstelle nicht angeraten erscheinen lassen. Als Kriterien können hier gelten, wenn Kinder wiederholt die Erfahrung von sich auflösenden Familiensystemen gemacht oder massive Grenzverletzun- gen und Übergriffe innerhalb der Geschlossenheit der bisherigen Herkunfts- oder Pflegefamilie erlebt haben und somit selbst eine professionelle Kleinstfamilie als gefährdeter Raum oder gar als Bedrohung erlebt wird. Ebenso erscheint die Betreuung in einer Kinderdorffamilie dann sinnvoll, wenn zwar aus fachlicher Sicht längerfristig stabile emotionale Bindungen ausgebaut werden sollen, aber die leiblichen Eltern eine Unterbringung in einem Kinderhaus, einer Pflegefamilie oder Erzie- hungsstelle in einem Maße als Konkurrenz und Abwertung erleben, dass eine gedeihliche Kooperation im Interesse des Kindes nicht möglich erscheint. Auch bei der Betreuung in ei- ner Kinderdorffamilie kann es zu Konkurrenzgefühlen kommen. Durch den institutionellen und professionellen Rahmen der Kinderdorfgemeinschaft als Ganzes werden diese Empfin- dungen jedoch nicht so personalisiert und sind leichter einer Bearbeitung zugänglich. Zudem ist eine Kinderdorffamilie das richtige Jugendhilfeangebot, wenn die familienanaloge Betreuung in ein Netz weiterer Hilfen eingebunden sein muss, um besondere Belastungs- momente auf mehreren Schultern tragen und über die Kinderdorffamilie hinaus fachliche Hilfen und Betreuungskontinuität sicherstellen zu können. Seite 13 von 29
Alterstruktur der Kinderdorffamilie In eine Kinderdorffamilie können grundsätzlich Kinder und Jugendliche jeden Alters aufge- nommen werden. Sie zeichnet sich gegenüber anderen stationären Hilfeangeboten durch eine größere Altersstreuung der in ihr lebenden Kinder aus, um auch in dieser Hinsicht dem Bild einer familienähnlichen Lebensgemeinschaft nahe zu kommen. Sinnvollerweise werden jedoch häufig jüngere Kinder im Alter von 0 – 12 Jahren zur Aufnahme angefragt, die eine höhere Beziehungsfähigkeit und Bindungsbereitschaft mitbringen. Bei jüngeren Kindern fällt das besondere, kontinuierliche Beziehungsangebot durch die in der Kinderdorffamilie leben- de Leiterin in der Regel auf fruchtbareren Boden. Die Altersstreuung ergibt sich u. a. durch den unterschiedlichen Zeitpunkt der Aufnahme der verschiedenen Kinder und natürlich durch die Aufnahme von Geschwistergruppen. Im Ein- zelfall kann auch die Aufnahme eines bereits älteren Kindes oder gar Jugendlichen sinnvoll sein, wenn aus der bisherigen psychosozialen Entwicklung erkennbar ist, dass trotz des hö- heren Lebensalters ein besonderer Bedarf, eine Bereitschaft und auch eine grundlegende Fähigkeit besteht, sich auf das Beziehungsangebot und die strukturellen und emotionalen Prozesse innerhalb einer Kinderdorffamilie einzulassen. 4.3 Aufnahmeverfahren Dem Verfahren für die Aufnahme in eine Kinderdorffamilie kommt eine besondere Bedeu- tung zu, da es um die Einbindung des jungen Menschen in eine auf Langfristigkeit angelegte Lebensgemeinschaft geht. Im Rahmen des gesamten Verfahrens ist uns eine große Transparenz für alle Beteiligten wichtig. Bereits von der ersten Anfrage an läuft ein Entscheidungsprozess, ob das Kind „rich- tig“ für die Kinderdorffamilie ist bzw. ob unser Angebot das richtige für dieses Kind ist. 9 Der gesamte Aufnahmeprozess liegt in der Verantwortung der Erziehungsleiter/innen. Anfra- gen für die Aufnahme in eine Kinderdorffamilie werden vor allem in Hinblick auf folgende Fragestellungen überprüft: • Ist für dieses Kind die Kinderdorffamilie das adäquate Betreuungsangebot? • Ist für diese Aufnahmeanfrage eine längere Betreuungsdauer (≥ 2 Jahre) geplant? • Signalisiert die Herkunftsfamilie bzw. die leiblichen Eltern eine grundsätzliche Bereit- schaft, dass das Kind neue Bindungen in der Kinderdorffamilie aufbauen kann? Welche Bindungsbereitschaft signalisiert das Kind selber? • Entspricht der Grad der Verhaltensauffälligkeit den im Konzept der Kinderdorffamilie angelegten Problemlösungskapazitäten? • In welche konkrete Familie mit ihrer jeweiligen Konstellation passt dieses konkrete Kind in Bezug auf sein Alter, Geschlecht, Familienhintergrund und Verhaltensauffäl- ligkeiten? 10 • Sind die Eltern mit der Unterbringung ihres Kindes in einer christlich geprägten Ein- richtung einverstanden? Besonders vor einer Aufnahme in eine Kinderdorffamilie ist es uns wichtig, dass das Kind und die Familienleiterin sich im Vorfeld kennen lernen können, um einen ersten Eindruck voneinander zu gewinnen. Hier geht es um Menschen, die voraussichtlich längere Zeit mitei- 9 Ggf. wird in Absprache mit dem Jugendamt nach einer Alternative gesucht. Innerhalb der Betha- nien Kinderdörfer kommen hier Kinderdorf-Wohngruppen, familiäre Wohngruppen oder geschlechtsspezifische Wohngruppen für Jugendliche in Frage. 10 Die Kriterien für die hier genannten Fragestellungen werden in den folgenden Kapiteln näher erläutert. Seite 14 von 29
nander leben werden. Deshalb ist die Einbeziehung und das Votum der Familienleiterin bei der Aufnahmeentscheidung besonders wichtig. Bei hoher Dringlichkeit der Anfrage ist es möglich, das Aufnahmeverfahren zu komprimieren. Im begründeten Einzelfall sind auch Inobhutnahmen und kurzfristigere Betreuungszeiträume möglich. Aufgrund der besonderen Belastungen für die Kinderdorffamilie als Ganzes ist in diesen Fällen eine baldige Klärung der weiteren Perspektive in besonderer Weise geboten. Unabhängig davon haben die Kinderdörfer in besonderen Notlagen schon oft sehr schnell Aufnahmebedingungen bis hin zum kompletten Neubeginn einer Kinderdorffamilie geschaf- fen, um Kindern u. a. weiteren Betreuungswechsel zu ersparen. 4.4 Pädagogische Zielsetzung Ziele Die Erziehung im Kinder- und Jugenddorf hat zum Ziel, Ziele können bunt den jungen Menschen zur selbständigen Lebensführung und vielfältig sein: zu befähigen, ihn seine eigene Identität finden zu las- sen, ihm Lebenssinn zu vermitteln, sowie Kreativität und • merken, wie es meinem Leistungsfähigkeit zu entwickeln. Gegenüber geht • mich mit meinem Bruder besser streiten können Der junge Mensch soll für sich selbst und sein Handeln • wenn die Wut kommt zuerst dreimal tief Verantwortung übernehmen können und seine Rolle im durchatmen sozialen System unserer Gesellschaft finden. Dazu ge- • sich in der Natur entspannen hört es, seine Beziehungs- und Bindungsfähigkeit zu • sein Leben nach dem Sinnaspekt be- entwickeln und ein angemessenes Bildungs- und Aus- trachten können • sich nicht durch Mode lenken lassen bildungsziel zu erreichen. • sagen, was ich empfinde • zuhören, was andere sagen Das gesamte pädagogische Milieu ist darauf ausgerich- • entdecken und entscheiden, was ich tet, Entwicklungs- und Reifungsdefizite abzubauen, wirklich mag Kompetenzen zu entwickeln und Möglichkeiten eigener • etwas über die soziale, politische, phy- sikalische Welt wissen Lebensgestaltung zu finden. Erfahrenes Leid, Benach- • sich bei den Hausaufgaben konzentrie- teiligung und familiäre Belastung sollen dabei in die ren Lebensbiographie integriert werden. • sich in der Schule verbessern • etwas Besonderes können: ein Musikin- Die langfristigen Ziele nähern sich der Verwirklichung strument spielen, eine Sportart dessen an, was wir als Werte und Haltung in unserem betreiben, Portraits malen, ein PC- Programm schreiben, schauspielern, ein Leitbild formuliert haben. Die Zielsetzung muss dem Regal bauen, ein Radio reparieren, Entwicklungsstand und den Entwicklungsmöglichkeiten rückwärts sprechen... des einzelnen jungen Menschen angemessen sein. • sich mit religiösen Einstellungen ausei- Sein Interesse an der eigenen Entwicklung soll aktiviert nandersetzen und seine Fähigkeit zur selbstverantwortlichen Führung • sich solidarisch verhalten können • sich abgrenzen können seines Lebens entwickelt werden. • Bedürfnisse aufschieben können • Mahlzeiten zubereiten können Methoden der pädagogischen Zielsetzung • erkennen, welcher Handyvertrag für mich der richtige ist Für jedes Kind werden individuelle Erziehungsziele ent- • wissen, welche Versicherungen wirklich notwendig sind wickelt. Wir unterscheiden kurzfristige, mittelfristige und • die eigene Sexualität lustvoll erleben langfristige Erziehungsziele. Die kurzfristigen Erzie- und sozial angemessen verwirklichen hungsziele formulieren wir im Zusammenhang des können alltäglichen Lebens nach der Auswertung der Erfahrung • sein Lebensfeld überschauen mit dem einzelnen Kind oder Jugendlichen. Die mittelf- • sich in einem Verein, einer Partei, einem ristigen Ziele werden in den Hilfeplangesprächen 11 Chor engagieren 11 Hilfeplanverfahren gemäß §36 SGB VIII (KJHG) Seite 15 von 29
gemeinsam mit Eltern und dem Jugendamt formuliert. Anschließend sorgt eine ausführliche Erziehungsplanung für die Umsetzung in den pädagogischen Alltag. Wir achten bei der For- mulierung darauf, dass das Ziel eine echte Anforderung enthält, dass es erreichbar und konkret ist und die betreffende Person nicht überfordert. Gleichzeitig soll ein Ziel attraktiv sein, um es erreichen zu wollen. Mit wachsendem Lebensalter und Stand der Kräfte und Fähigkeiten im körperlichen, emotional-affektiven und intellektuellen Bereich wird der junge Mensch immer mehr in den Prozess der kritischen Auswertung der Erfahrung und der Zielde- finition einbezogen. Das am Beginn der Erziehung notwendig hohe Maß an Fremdbestimmung soll im Laufe der Entwicklung immer mehr reduziert und zusehends in einen Prozess der selbst bestimmten Bildung der eigenen Persönlichkeit übergeleitet werden. Diese Überleitung mündet gleichzei- tig darin, dass Ziele selbst gesetzt und verfolgt werden. 4.5 Methoden der Erziehung Die Gestaltung von Beziehung und die Sicherstellung von Strukturen und Rahmenbedingun- gen sind die beiden Grundbausteine der pädagogischen Arbeit der Kinderdorffamilie. Beziehung und Bindung Durch die Präsenz der Leiterin der Kinderdorffamilie erhält der Aspekt des Beziehungs- und Bindungsangebotes in der Kinderdorffamilie eine besondere Bedeutung. Die Konzeption der Kinderdorffamilie mit der Bezugsperson, die mit den Kindern in einer häuslichen Gemein- schaft zusammenwohnt, ermöglicht und fördert eine intensive Form der Erwachsenen-Kind- Beziehung. Zur Verdeutlichung, welche vielfältigen Kontakte und Beziehungen das Kind innerhalb des Kinderdorfes aufnimmt, werden im Folgenden die verschiedenen Personen und Personen- gruppen benannt: Seite 16 von 29
Eine hilfreiche, fördernde, heilende Bezie- 12 hung zwischen Erwachsenen und Kindern Beziehung: Was ist das? erkennen wir an verschiedenen Merkmalen. Als Beziehung kann jeder zwischenmenschliche Kontakt Dies sind in erster Linie: Versorgung, bezeichnet werden, der sich zwischen zwei Individuen Kommunikation, positive Grundannahme, ereignet. Der Beziehungsbegriff ist neutral, eine Wer- Empathie, Echtheit, ein Gleichgewicht von tung oder eine Qualität entsteht erst durch die Nähe und Distanz sowie Abhängigkeit und Bedeutung, die die Personen der jeweiligen Beziehung Loslösung, Beteiligung und Grenzsetzung verleihen. Die unterschiedlichen Beziehungsqualitäten belegen das: neutrale Beziehung, positive Beziehung, und nicht zuletzt Rollenklarheit. Diese negative und ambivalente Beziehung. Merkmale gelten sowohl für die Beziehun- gen zwischen Eltern und Kindern wie auch Der erste Schritt einer Beziehung ist der Kontakt. In der für professionelle Beziehungen zwischen Sympathieforschung wurden sieben Faktoren gefunden. Pädagogen und Kindern. Wir mögen Menschen, die: (1) uns nahe sind, (2) ähnli- che Ansichten haben, (3) uns selbst ähnlich sind, (4) Bedürfnisse haben, die wir befriedigen können und Neben Versorgung und Kommunikation ist unsere Bedürfnisse befriedigen, (5) über Fähigkeiten die positive Grundannahme ein sehr wichti- und Kompetenzen verfügen, (6) angenehm sind und ges Element der Beziehung. Ein Kind, das schöne Dinge tun und (7) uns mögen. sich als geliebt und gemocht erfährt, macht Die frühe Mutter-Kind Beziehung diese Erfahrung immer durch die positive Wertschätzung seiner Bezugspersonen. Die Die Entwicklungspsychologie untersucht die Entwick- positive Grundannahme ist verankert in der lung von Kindern und beschreibt den Aufbau und die Erziehungshaltung der Erwachsenen. Der Qualitäten von Mutter-Kind-Beziehungen. Die erlebte Erwachsene geht davon aus, dass das Kind frühe Bindung gilt als wichtigste soziale Erfahrung, auf sich so verhält, weil dieses Verhalten aus die alle späteren sozialen Beziehungen aufbauen. Heu- te gehen wir davon aus, dass diese Bindung nicht nur dem Denken und Erleben des Kindes lo- exklusiv auf die Mutter beschränkt wird, sondern durch gisch, richtig und vernünftig ist. Dies gilt jede versorgende und emotional zugewandte „Mutter- grundsätzlich auch für schwieriges oder Figur“ repräsentiert werden kann, d.h. auch von einem abweichendes Verhalten wie Lügen, Steh- Vater oder einer nicht verwandten Bezugsperson. Die Entfaltung kindlicher Entwicklung ist mit dieser Person len, Aggressiv sein oder Weglaufen. Diese eng verknüpft. Wenn ein Kind eine positive und förderli- subjektive Logik gilt es wertschätzend zu che Beziehung zu einer Bezugsperson erlebt, entsteht erkennen. Eine Erziehung, die positive Ver- „Urvertrauen“. änderungen intendiert, ist darauf ausgerichtet, dass das Kind ohne die ge- Erfahrungen aus Waisenhäusern und Säuglingsheimen um die Jahrhundertwende und vor allem während und nannten Verhaltensweisen auskommt. nach den Weltkriegen haben deutlich gemacht, welche Folgewirkungen es hat, wenn Säuglinge und Kleinkinder Die genannten Beziehungsmerkmale sind ausschließlich körperlich versorgt werden. Wenn die zugleich Bindungsfaktoren: je früher die persönliche Ansprache fehlt, emotionale und kognitive Reize ausbleiben, verkümmert ein Kind, bleibt in seiner Beziehung einsetzt und je existenzieller die Entwicklung zunehmend zurück, verliert das Interesse erwachsene Person für das Kind präsent an seiner Umwelt. ist, desto eher entsteht eine Bindung. Wir sprechen im Rahmen der Kinderdorfarbeit dann von einer gelungenen Bindung, wenn • die Bindung aus einer positiven Beziehung hervorgeht (Beziehungsgeschichte), die für eine oder beide Seiten das emotionale Merkmal der Einzigartigkeit besitzt • beide Bindungspartner die zwischen ihnen bestehende Beziehung als besonders wertvoll, nicht ersetzbar und grundsätzlich nicht befristet ansehen • es einen aktiven Prozess gegeben hat („Pairing“), der nicht durch die Funktion be- stimmt wird, (z.B. als Leiterin der Kinderdorffamilie), sondern in dem beide Bindungspartner die Intensität und Bedeutung der Beziehung zunehmend gefestigt haben und damit eine Entscheidung getroffen haben. 12 siehe Anhang “Beziehung und Bindung“ Seite 17 von 29
Das heißt, dass die Beziehungsarbeit in der Kinderdorffamilie nur dann erfolgreich sein kann, wenn auch das Kind – der Jugendliche sowieso – sich für die Beziehung entscheidet und eine Bindung entstehen lässt. Es ist fachlich notwendig und für die Entwicklung des Kindes von großer Bedeutung, die Be- ziehungen und Bindungen des Kindes zu seiner Herkunftsfamilie grundsätzlich wertschätzend zu behandeln. Zum einen wird durch die Wertschätzung ein Konflikt zwischen den früheren und den neuen Beziehungen im Kinderdorf vermieden (Loyalitätskonflikt). Zum anderen ist der Kontakt zu den Eltern ein entscheidender Faktor in der Identitätsentwicklung der Jugendlichen und jungen Erwachsenen. Regeln und Strukturen Klare Regeln und Strukturen im pädagogischen Alltag geben Kindern, aber auch Jugendli- chen die notwendige Sicherheit und Orientierung - unabhängig von der Qualität gewachsener Beziehungen. Die verlässliche und wiederkehrende Erfahrung eines struktu- rierten und gewachsenen Traditionen folgenden Tagesablaufs löst Ängste auf und gibt die grundlegende Sicherheit, auf der der Mut zu neuer Beziehungsgestaltung und Bindung erst wachsen kann. Nur auf einen Erwachsenen, der Verlässlichkeit und Sicherheit bietet, kann sich ein Kind einlassen, ohne Gefahr zu laufen, wieder enttäuscht zu werden. Das Zusammenleben in einer Kinderdorffamilie erfordert klare Verhaltensregeln. Neben den Grundmaximen eines wertschätzenden Umgangs miteinander, des Respekts vor dem per- sönlichen Eigentum und Lebensraum des anderen und einem Ansatz, wie Konflikte lösungsorientiert und miteinander geklärt werden können, gehören auch konstante und wechselnde Aufgaben und "Ämter" im Bereich der Haushaltsführung und -pflege in die mitei- nander zu entwickelnden Gruppenregeln. Zusammen mit einer guten Tagesstruktur sind solche Regeln mit ihren klaren Vorgaben ein wichtiger Beitrag zu einer gerechten Lebens- gemeinschaft. Sie reduzieren Konflikte und geben Orientierung und Halt. Art und Ausmaß der Beteiligung an gemeinschaftlichen Aufgaben wie Einkaufen, Kochen, Haus- und Zim- merpflege hängen von der sich verändernden Reife und Entwicklung der jeweiligen Kinder ab. Die Regeln des Zusammenlebens werden daher altersgerecht gestaltet und bedürfen immer wieder der Reflexion und Überprüfung. In unseren Kinderdorffamilien stehen neben der Leiterin weitere Erwachsene in der Verant- wortung für die Betreuung und Erziehung der Kinder. Im Mitarbeiterteam gemeinsam vereinbarte und im pädagogischen Alltag umgesetzte Regeln und Strukturen schaffen neben der je eigenen und durchaus wichtigen Individualität der erwachsenen Bezugspersonen ei- nen für die Kinder kalkulierbaren, einschätzbaren Lebensrahmen. 13 4.6 Pädagogischer Fachdienst Der Pädagogische Fachdienst hat die Aufgabe, den Kindern und Jugendlichen des Kinder- dorfes entwicklungsfördernde Angebote zu machen. Die Angebote des Fachdienstes (z.B. Musik, Sport, Freizeit- und Erlebnisangebote, Akrobatik, schulische Hilfen, Anti-Aggressions- Training) setzen an den Ressourcen der Kinder und Jugendlichen an und orientieren sich je nach Kinderdorf an den regionalen Gegebenheiten. Die Kinder und Jugendlichen erleben so die Gemeinschaft des Kinderdorfes in einer anderen Form als in den Kinderdorffamilien oder Wohngruppen. Damit unterstützt und entlastet der Pädagogische Fachdienst die Arbeit der Kinderdorffamilien. Anders als in Kinderhäusern oder Pflegefamilien ermöglicht der institutionelle Rahmen der Kinderdorfgemeinschaft einen Pädagogischen Fachdienst als Bestandteil des pädagogi- schen Angebotes der Kinderdorfpädagogik. 13 Konzept des Pädagogischen Fachdienstes der Bethanien Kinder- und Jugenddörfer gGmbH 2005 Seite 18 von 29
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