Praxis Schulpsychologie - Eltern-beratung - Sektion Schulpsychologie
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Sektion
Schulpsychologie
Praxis Schulpsychologie
AUSGABE 20 • OKTOBER 2019 WWW.PRAXIS-SCHULPSYCHOLOGIE.DE
Eltern-
beratung
Religiöser
Extremismus
in Schulen
Kinderrechte
ins
Grundgesetz
Unsere Tipps
Marlene Meindl / Tanja Jungmann Darius Endlich et al.
EuLe 4–5
Manual Manual
Meindl / Jungmann
Endlich / Küspert / Lenhard / Marx / Schneider
EuLe 4–5 LRS-Screening
Ziel des LRS-Screenings ist die Testung schriftsprachlicher Vorläuferfertigkeiten Hogrefe Vorschultests
LRS-Screening
bei Kindern im letzten Kindergartenjahr. Defi zite in diesem Bereich gehen mit einem
herausgegeben von
erhöhten Risiko für die spätere Entwicklung von Lese- und/oder Rechtschreib-
Günter Esser
schwierigkeiten einher.
Marcus Hasselhorn
Wolfgang Schneider
Das LRS-Screening umfasst zwei Skalen:
Erzähl- und Lesekompetenzen Laute, Reime, Sprache –
• Frühe schriftsprachliche Fähigkeiten
• Linguistische Kompetenzen
Erzähl- und Lesekompetenzen erfassen Die frühen schriftsprachlichen Fähigkeiten werden anhand der Aufgaben Schnelles
Benennen von Bildern und Würfelbildern, Phonologische Bewusstheit, Phonologisches
Laute, Reime, Sprache – Würzburger Screening zur
bei 4- bis 5-jährigen Kindern
erfassen bei 4- bis 5-jährigen Kindern Würzburger Screening zur
Arbeitsgedächtnis, Rapid Automatized Naming und Buchstabenkenntnis gemessen.
Nachsprechen von Sätzen, Wortschatz und Pluralbildungen sind Inhalt der Aufgaben zur
Erfassung der linguistischen Kompetenzen.
Früherkennung von Lese-Rechtschreibschwierigkeiten
Die Testleistung im LRS-Screening kann einerseits auf der Ebene der Untertests, der
Früherkennung von
Skalen und des Gesamttests mit der Leistung einer Normstichprobe von Kindergarten-
kindern verglichen werden. Dies ermöglicht detaillierte Aussagen über Schwächen in
bestimmten Inhaltsbereichen der schriftsprachlichen Vorläuferfertigkeiten. Andererseits
kann anhand von Vorhersageformeln das Risiko der späteren Ausbildung einer Lese-,
Rechtschreib- oder kombinierten Lese-Rechtschreibschwäche eingeschätzt werden.
Hogrefe Vorschultests
Mit einer hohen Anzahl an Items niedriger Schwierigkeit und einer Durchführungszeit
Lese-Rechtschreibschwierigkeiten
LRS-Screening
EuLe 4–5
von ca. 20 bis 30 Minuten ist das LRS-Screening ein wertvolles Instrument zur
Identifi zierung von Kindern, die frühzeitig im Umgang mit Schriftsprache gefördert
werden sollten.
Hrsg. von Günter Esser,
Marcus Hasselhorn und Hogrefe Vorschultests
Wolfgang Schneider Hrsg. von Günter Esser,
Marlene Meindl
Tanja Jungmann
Darius Endlich
Petra Küspert
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Wolfgang Lenhard
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Wolfgang Schneider
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Praxis Schulpsychologie · Ausgabe 20 · Oktober 2019
E DITORIAL I N HALT
Liebe Leserinnen und Leser, Editorial 3
lernen, reifen, aufwachsen, sich bilden und sich durchsetzen –
schon immer war die persönliche Entwicklung mit freudiger
SC HWE R PU N K T TH E ME N
Erwartung auf das Neue verbunden, aber auch mit Hürden,
Umbrüchen und Niederlagen. Schülerinnen und Schüler erleben Elternberatung: Familie und Schule
dies alltäglich, der Lern- und Sozialraum Schule stellt schon gehen Hand in Hand 4
immer hohe Anforderungen an junge Menschen.
Religiöser Extremismus
in Schulen 7
Nicht jede Schülerin oder jeder Schüler durchläuft dabei die in-
dividuellen Entwicklungsphasen nach Lehrbuch. Umso wichtiger
ist es, dass diejenigen, die dabei auf Unterstützung angewiesen
sind, auf professionelle Hilfe zugreifen können. In Schulen sind AU S F OR SC H U NG U N D PR A XI S
dies vor allem die Lehrkräfte, aber auch viele andere Professio-
Von Haltung zu Handlung 10
nen. Gerade die Schulpsychologie hat das Potenzial, die für die
Bewältigung der individuellen Entwicklungsphasen notwendigen Anregungen, Modelle inmu – ein Hilfsmittel, so
und Techniken zu bieten. Gute Beispiele hierfür finden sich in dieser Ausgabe der individuell wie die Kinder 11
„Praxis Schulpsychologie“.
Das Emotionale Kompetenztraining
Susanne Neubert erinnert daran, wie wichtig die Einstellung der Eltern und deren ei- (EKT) – ein Praxisbericht 12
gene Schulerfahrungen bei der Schullaufbahn der Kinder sein können. Sie beschreibt
praktische Hinweise und appelliert, neue Entwicklungen der Eltern-Kind-Beziehung zu R EC HT S F R AG E N
ermöglichen. Christian Böhm stellt Hinweise für die interdisziplinäre Zusammenarbeit
zwischen den Institutionen bei Verdachtsfällen von religiösem Extremismus in Schulen Kinderrechte ins Grundgesetz 14
vor. Dabei wird zwischen „Religion als Ressource“, psychischen Erkrankungen und
einer tatsächlichen Radikalisierung differenziert.
AU S DEM VE R BAN D
In weiteren Beiträgen beschreiben u. a. Britta Burggraaf und Anne Lieckfeldt ihr selbst Die Landesgruppe Mitteldeutschland
entwickeltes Emotionales Kompetenztraining, das sich an Schülerinnen und Schüler feiert zehnjähriges Jubiläum 16
mit besonders herausforderndem Verhalten richtet. Nicole Tabe stellt eine Fortbildung
für Lehrkräfte vor, die den Umgang mit Trauma und Stress praxisnah und handhabbar Wie entwickelt sich die
macht und die zeitnah umgesetzt werden kann. Schulpsychologie in Sachsen? 17
Viel Spaß beim Lesen! I N F O R M ATI O N E N
Veranstaltungskalender 19
Viele Grüße, Ihr
Vorstellung: Flexibler „Icebreaker“
in der Beratung 20
Impressum 20
Vorschau 20
Dipl.-Psych., M.A. Peer Kaeding
Leiter der Beratungsabteilung im Regionalen
Bildungs- und Beratungszentrum Hamburg-Bergedorf
3
Praxis Schulpsychologie · Ausgabe 20 · Oktober 2019
SCHWE RPUNK T THEMA
Elternberatung als Kernaufgabe von Schulpsychologinnen und Schulpsychologen
Familie und Schule gehen Hand in Hand
Familiäre Dynamiken haben einen entscheidenden Einfluss auf
, Auch wenn es Parallelen geben mag, ist das Kind anders als der
den Schulerfolg der Kinder sowie auf ihre Motivation in der Vater oder die Mutter. Und auch die Schulen und Lehrkräfte sind
Schule. Bei Problemen im System Familie agieren Kinder und Ju- andere. Selbst bei einer Vererbungskomponente, wie sie z. B. bei
gendliche in der Schule mit Stellvertreterkämpfen, die ihren einer Teilleistungsstörung gegeben sein kann, gibt es heutzutage
Schulerfolg verhindern können. andere Diagnostik- und Unterstützungsmöglichkeiten.
Wenn es in einer Beratung nicht nur um die schulische Situation In Psychotherapien ist die Reflexion von Schulerfahrungen wenig
geht, sondern die Eltern durch eine wertschätzende Beraterhal- im Fokus. Dabei hat in der mittleren Kindheit die Schule eine
tung ermutigt werden, sich mit ihrer eigenen familiären Situation hohe Bedeutung. Die Entwicklung der Fähigkeit zu lernen, die
und ihrer Haltung zur Schule zu beschäftigen, kann dies ein Ausdauer, Frustrationstoleranz und Motivation sowie das Ge-
Zugang zur Lösung des Schulproblems sein. schick, Freundschaften zu schließen und in Gruppen konstruktive
Rollen einzunehmen, wird geformt. Dies wirkt bis ins Erwachse-
Schulgeschichten der Eltern nenleben hinein – insbesondere ins Berufsleben, aber auch in die
Erwartungshaltung an die eigenen Kinder bezüglich der Schule.
„Ich hatte auch immer Angst vor Referaten.“ „In unserer Familie
ist keiner sprachlich begabt.“ Wie kann es da eine positive Erwar- Fragen in der schulpsychologischen Beratung an die Eltern:
tungshaltung für die Kinder geben? „Ich bin erst mit 17 aufge- • Wie waren ihre eigenen Erfahrungen in der Schulzeit bezüg-
wacht und habe dann alles nachgeholt“, erzählt ein Vater stolz. lich Leistungen, Begabung, Stand in der Klasse, Verhältnis zu
Ein Freifahrtschein für den intelligenten Elfjährigen mit schlechten den Lehrerinnen und Lehrern etc.?
Noten, egal was die ehrgeizige Mutter sagt. „Die Jungen sind ja • Wie wirkten in Kindheit und Jugend die Familie und die Schule
immer sehr frech.“ So bestätigt die Mutter ihr Einzelkind, den zusammen? Spielte die Geschwisterkonstellation eine Rolle?
Zehnjährigen, der nach wenigen Tagen in dem neuen Gymna- • Was wirkt noch nach? Was könnte unbewusst und unbeab-
sium den Schulbesuch verweigert, weil er von Jungen geärgert sichtigt an die eigenen Kinder weitergegeben werden? Was
worden sei. Erst mit Einbezug des Vaters dreht es sich, da dieser für Erwartungen an die Schulzeit ihrer Kinder haben Sie?
es dem Jungen zutraut, sich durchzusetzen.
Gesellschaftspolitische Einstellung der
An diesen Beispielen zeigt sich, wie wichtig es sein kann, beide Eltern zur Schule
Elternteile in die Beratung einzubeziehen. Ein siebenjähriges, in
der Schule komplett unmotiviertes Mädchen lernt, trotz großem Aufgrund der eigenen Schulerfahrung fühlt sich – in der eigenen
Engagement der Lehrerin, kaum etwas. In der Beratung mit der Wahrnehmung – fast jede(r) als Expertin oder als Experte für
Mutter stellt sich heraus, dass sie in ihrer Schulzeit auf eine Schule Schule. Oft werden im familiären Rahmen das Schulsystem und
für Verhaltensgestörte „abgeschoben“ wurde und schlimmste die Lehrkräfte kritisiert. „Ich könnte nicht Lehrer sein“, heißt es
Schulerinnerungen besitzt. Als sie schließlich realisiert, dass die oft. Und die Kinder hören mit. Trotzdem sollen sie hochmotiviert
Lehrerin wirklich an dem Schulerfolg ihrer Tochter interessiert ist, zwölf oder 13 Jahre in die Schule gehen, in der so vieles schein-
verändert sich ihre Einstellung – und schlagartig verändert sich bar kritikwürdig ist. Sie spüren die kritische Einstellung ebenso
auch das Mädchen und beginnt zu lernen. Hin und wieder trifft wie die Ängste und Zweifel, selbst wenn sie nicht direkt vor
man aber auch auf Eltern, die sehr gern in die Schule gegangen ihnen ausgesprochen werden.
sind. Sie waren Klassenbeste und erwarten dies selbstverständlich
auch von ihren Kindern – und verstehen nicht, wenn dem nicht In der Beratung geht es nun darum, ungünstige, das Kind behin-
so ist. dernde Botschaften – insbesondere die doppelten – herauszufin-
den und sie deutlich zu machen. Gemeinsam ist zu überlegen,
Nach den vergangenen schulischen Erfahrungen der Eltern zu wie die Eltern damit umgehen können.
fragen, scheint für manche Schulberaterinnen und Schulberater
ein Tabu zu sein – als ob dies zu privat sei. Leider, denn verinner- Kommunikation in der Familie
lichte fixierte Erinnerungen der Eltern sind oft ein Schlüssel zur
Lösung der schulischen Probleme ihrer Kinder. Eltern projizie- Generell ist bei Problemen der Blickwinkel oft verengt – so auch
ren häufig ihre eigenen Erinnerungen an Schule, die als offene bei Schulproblemen. Zu Hause wird ständig über Schule gespro-
Gestalten noch eine hohe Kraft haben können, auf ihre Kinder chen, aber meist nur noch über die Fächer mit schlechten Noten
und stülpen sie ihnen unreflektiert über. oder die mangelnde mündliche Beteiligung. Dies kann zu einem
Zum Inhaltsverzeichnis 4
Praxis Schulpsychologie · Ausgabe 20 · Oktober 2019
SCHWE RPUNK T THEMA
Teufelskreis führen, wenn das Kind darauf reduziert wird, statt chen. Es werden zu häufig Ermahnungen ausgesprochen, die
es mit all seinen Stärken und Interessen in seiner Lebendigkeit zu die Kinder längst kennen und die sie in den Widerstand treiben
sehen und diese wertzuschätzen. können. Selbstdisziplin der Eltern ist hier gefragt, am eigenen
Verhalten etwas zu verändern. Regeln zu vereinbaren kann dabei
Hinzu kommt, dass die Eltern fast nie in der Schule „live“ da- helfen, zum Beispiel erst nach dem Essen nach den Erlebnissen
bei sind. Sie sind angewiesen auf die Informationen ihrer Kinder, in der Schule zu fragen. Die Verankerung einer Veränderung im
deren Freunde und der Lehrkräfte, aber diese Sichtweisen sind alltäglichen Leben der Familie kann in der Beratung geplant und
häufig sehr unterschiedlich. Es ist oft nötig, dies den Eltern in erprobt werden. Wann kann die Mutter oder der Vater mit dem
der Beratung bewusstzumachen. Viele „glauben“ ihren Kindern Kind regelmäßig Zeit verbringen, ohne mit ihm über den Haus-
unhinterfragt alles, was sie erzählen. Und viele Kinder werden aufgaben zu sitzen?
Meister darin, den Eltern genau das zu erzählen, wofür sie Auf-
merksamkeit bekommen. Die Dreizehnjährige schimpft über den Wenn es gelingt, in der Familie etwas Neues zu etablieren, erzäh-
ungerechten Mathematiklehrer. Was sie wirklich beschäftigt, ist len Jugendliche oft: „Bei uns in der Familie ist es entspannter.”
zu einer Clique cooler Mädchen zu gehören, was dazu führt, dass „Ich bin mehr zu Hause.“ „In der Schule läuft es auch wieder.“
sie im Unterricht nicht mehr aufpasst. Die Eltern aber beschweren Ein Engelskreis statt des Teufelskreises entsteht.
sich über den Lehrer, ohne die ganze Situation zu erfassen.
Erweitertes Repertoire für Eltern durch
Was Eltern nicht wissen, füllen sie mit eigenen Erinnerungen und Beratung und/oder Elternkurse
Erlebnissen. Sie ziehen daraus ihre Schlüsse – und diese sind
leider manchmal falsch. „Das wusste ich ja nicht“, sagt ein Vater • Verbesserung ihrer Kommunikationsfähigkeit
in der Beratung, als die Vierzehnjährige von ihren schulischen • Mehr Bewusstheit und Reflexion auf der Basis von Wertschät-
Erlebnissen erzählt. zung
• Systemische Sicht der Familiendynamik zwischen Eltern und
Gespräche über Schule verändern Kindern
• Mehr Kenntnisse über Erziehung und Lernen, insbesondere
Wie kann die Kommunikation über Schule in der Familie zukünftig das Modelllernen
anders ablaufen, so dass sie die Kinder und Jugendlichen unter- • Positive Psychologie
stützt, statt sie zu stressen oder in den Widerstand zu drängen?
FA ZIT
Entscheidend ist:
• Zuhören, Schulpsychologinnen und Schulpsychologen sollten Eltern-
• sich Zeit nehmen, beratung als wesentlichen Bestandteil von Schulberatung
• sich interessieren, ohne gleich zu bewerten oder in Sorgen zu verstärkt in den Fokus nehmen und dabei die schulische
verfallen, Sozialisation der Eltern einbeziehen. In der Beratung sollten
• nach dem Positiven fragen. Ressourcen ebenso wie Muster, die nicht konstruktiv sind,
gemeinsam mit der Familie aufgedeckt werden. Der Fokus
Oft möchten die Kinder erst erzählen, wenn eine ruhige Atmo- sollte nicht primär auf dem Problem, sondern auf den förder-
sphäre existiert und sie einfach erzählen können und ernstge- lichen Faktoren liegen, um diese zu nutzen, mit der Familie
nommen werden. Auch die Eltern können dann über ihre Arbeit neue erweiterte Strategien zu entwickeln und die Familie in
berichten. Wichtig ist, nicht nur über den Ärger mit dem Chef zu der Umsetzung zu unterstützen.
sprechen, sondern auch Erfreulichem Raum zu geben (das „halb
volle Glas sehen“).
Die Kinder haben oft selbst gute Ideen, zum Beispiel ihnen selbst
mehr Vertrauen entgegenzubringen und ihnen mehr Verant-
wortung für die Hausaufgaben zu überlassen. Auch hier gilt die Dipl.-Psych. Susanne Neubert
50-Prozent-Regel: mindestens 50 Prozent Verantwortung beim Leitungsunterstützung in der
Kind, anstatt überfürsorglicher Bevormundung durch die Eltern. Beratungsabteilung des Bildungshauses
Oft wird in der Familie einfach viel zu viel über Schule gespro- Eimsbüttel, Hamburg
Zum Inhaltsverzeichnis 5
Impulse für die Praxis
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Infoblätter, Arbeitsblätter, Übungen:
Diese Therapie-Tools bieten Materialien aus unterschied-
lichen Ansätzen zur transdiagnostischen Behandlung AB 20
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• Therapieplanung • Diagnostik • Psychoedukation
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• Selbstregulation • Soziale Kompetenzen
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Dörte Grasmann / Felix Euler
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Hinweise zum
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Karten im
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Praxis Schulpsychologie · Ausgabe 20 · Oktober 2019
SCHWE RPUNK T THEMA
Interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen Institutionen bei Verdachtsfällen
Religiöser Extremismus in Schulen
Wie sollte reagiert werden, wenn Schülerinnen und Schüler im • Ab wann ist ein Fall ein Fall? Welche Kooperationspartner
Verdacht stehen, mit religiös-extremistischen Einstellungen, werden benötigt?
Überzeugungen und entsprechenden Verhaltensweisen in Er- • Steht die Radikalisierung als „Problem“ im Vordergrund oder
scheinung zu treten? ist sie „nur“ Symptom einer psychischen Krise?
• Welche Risikofaktoren werden für eine Gefährdungseinschät-
In Hamburg werden die Schülerinnen und Schüler aller Schul- zung herangezogen?
formen, die im Verdacht stehen, mit religiös-extremistischen • Welche Ausprägungen einer Radikalisierung sind strafrechtlich
Einstellungen in Erscheinung zu treten, von der Beratungsstelle relevant?
Gewaltprävention der Hamburger Schulbehörde betreut. Diese • Kann eine Radikalisierung von Minderjährigen als Kindeswohl-
Zentralisierung der Zuständigkeit befördert die Bündelung gefährdung eingestuft werden? Welche Zugänge zum Jugend-
fachlicher Expertise und den Aufbau verbindlicher Kooperations- lichen und zu seiner Familie können genutzt werden?
strukturen zwischen den beteiligten Behörden und Fachbera-
tungsstellen. Die Auffälligkeit einer Schülerin oder eines Schülers sollte so
konkret wie möglich beschrieben und analysiert werden. Es sollte
Bei Hinweisen des Landeskriminalamtes (Staatsschutz) oder immer eine Abgrenzung zwischen einer Radikalisierung, einer
des Verfassungsschutzes auf Jugendliche mit konkreten Bedro- jugendtypischen Provokation oder einem Glaubensbekenntnis
hungspotenzialen bzw. Gefährdungslagen wird gleichzeitig eine erfolgen. Das Tragen eines Kopftuchs, provozierende Sprüche
Fallzuständigkeit bei der spezialisierten Fachberatungsstelle in im Politikunterricht, die Forderung nach einem Gebetsraum in
Hamburg („Legato“), dem zuständigen Jugendamt (ASD) und in der Schule oder die Ablehnung bestimmter wissenschaftlicher Er-
der Beratungsstelle Gewaltprävention angestrebt. kenntnisse sind keine (expliziten) Merkmale einer Radikalisierung.
Fallen aber viele Auffälligkeiten (Verhalten, Erscheinungsbild,
Vorgehen bei Verdachtsfällen Kontakte) zusammen, ergibt sich gegebenenfalls ein neues Bild.
Im Rahmen der Gespräche mit den um Unterstützung bittenden Inhaltlich sollten weitere Aspekte geprüft werden, die auf eine
Schulleitungen werden folgende Punkte unter der Fragestellung Gefährdung hinweisen könnten:
erörtert, ob es sich konkret um Verdachtsfälle zum religiösen • Problemlagen innerhalb der Familie,
Extremismus handelt, oder eher um Bekenntnisse eines Glaubens, • Hinweise auf religiöses Missionieren in Schule und Öffentlichkeit,
und damit gegebenenfalls um eine Überinterpretation der schu- • Zustimmung zu Verschwörungstheorien („Opfernarrative“),
lischen Fachkräfte: • Kontakte zu religiös-extremistischen Gruppierungen,
• Äußerliche Auffälligkeiten („IS“-Symbole, Kleidung), • Veränderungen in der Kleidung und Aussehen,
• grenzverletzendes Verhalten gegenüber Dritten in der Schule • Ausreisen von Verwandten und Bekannten in IS-Gebiete in
(Nötigungen, Bedrohungen), der Vergangenheit,
• mögliche Straftaten. • Abwertung und Diffamierung anderer Lebensformen und -hal-
tungen.
Während der Gespräche stehen die konkreten Verhaltensweisen,
eine mögliche Klassenintervention, die schulische Laufbahn und Selbst diese Erkenntnisse reichen aber möglicherweise noch
außerschulische Beratungsangebote im Vordergrund. nicht aus, um religiösen Extremismus von einem traditionell-
konservativen Glauben bei einer Schülerin oder einem Schüler
In überbehördlichen Fachgesprächen bzw. Fallkonferenzen wer- zu unterscheiden. Das System Schule ist in der Regel nicht in der
den bei besonderen Risikofällen weitere Maßnahmen und Hilfen Lage, eine abschließende Einschätzung treffen, ob sich jemand
für den Jugendlichen bzw. die Familie unter Berücksichtigung der radikalisiert hat. Schulen können aber hierbei Unterstützung
Ressourcen und Potenziale des Jugendlichen und der jeweiligen durch qualifizierte Fachkräfte erhalten, schulinterne Interven-
Rollen und Aufgaben der Fachkräfte festgelegt, zum Beispiel: tionsketten für Verdachtsfälle erstellen sowie im Einzelfall mit
• Ansprache des Betroffenen, externen Institutionen zusammenarbeiten.
• Angehörigenberatung,
• Coaching schulischer Fachkräfte. Religion als Ressource
Die Herausforderungen in der Arbeit mit diesen Verdachtsfällen In Einzelfällen sollte geprüft werden, ob eine psychische Labili-
sind sehr vielfältig: tät die Ursache einer vermeintlichen Radikalisierung darstellt.
Zum Inhaltsverzeichnis 7
Praxis Schulpsychologie · Ausgabe 20 · Oktober 2019
SCHWE RPUNK T THEMA
Zwangsstörungen und andere psychischen Beeinträchtigungen • Ansprache durch fremde Personen, die jemanden auffordern,
können mit einer Religions- oder Glaubensausübung verknüpft sich „angemessen“ (im Sinne einer strengen Auslegung des
sein. Religion kann Halt und Struktur in einer psychischen Krise islamischen Glaubens) zu verhalten bzw. zu kleiden.
anbieten – Religion als Ressource. Dieses Verhalten kann zwar • Einladung von Kindern und Jugendlichen in private Wohnungen
eine Zugehörigkeit zu radikalisierten Personen oder Gruppen durch Personen aus dem Stadtteil, um dort über religiöse
(„IS“-Anhängern) nahelegen, ursächlich aber eine psychische Themen zu diskutieren oder gemeinsam zu beten.
Problematik aufzeigen.
Das System Schule erhält wenig Kenntnis über diese Verände-
Im Rahmen einer Einzelhilfe sollten die folgenden Prozessschritte rungen und Angebote im Stadtteil bzw. in der Region, wenn
berücksichtigt werden: nicht kontinuierlich mit den Institutionen des Sozialraums kom-
1. Information und verbindliche Einbindung der Schulleitung muniziert wird. Die Jugendhilfe kann in Stadtteilen, in denen
2. Einschaltung von Fachberatungsstellen mit dem Ziel der Ko- sich staatliche Hilfen zurückentwickelt haben (Streichung von
operation (Angehörigenberatung, Coaching von Fachkräften, Jugendhilfemitteln), mit ihren aktuellen Strukturen und Ange-
Beratung der Betroffenen) boten kaum etwas entgegensetzen. Ebenso können polizeiliche
3. Gemeinsame Gefährdungs- bzw. Risikoeinschätzung (bei sicher- Maßnahmen nur dann greifen, wenn konkrete Informationen
heitsrelevanten Sachverhalten wird dringend eine Mitteilung vorliegen und weitergegeben werden, um so einen entsprechen-
an die Sicherheitsbehörden empfohlen) den Verdacht zu prüfen oder zu erhärten.
4. Gemeinsame, interdisziplinäre Fallbesprechungen (kontinuier-
lich) bzw. fortlaufende Wiedervorlage und Neubewertungen
im Verlauf des Radikalisierungsprozesses FA ZIT
Diese Punkte belegen, dass systeminterne und schulübergrei-
Hintergrundinformationen zu fende Maßnahmen erforderlich sind. Fachkräfte unterschied-
religiösem Extremismus licher Berufsgruppen sollten zusammenarbeiten, „niemanden
verlorengeben“ und sich gegenseitig über Veränderungen in-
In den letzten Jahren standen das Sympathisieren mit der Terror formieren. In allen Bundesländern und Kultusministerien sind
miliz „IS“ (Videos, Symbole), das Ankündigen von Ausreisen in in den letzten Jahren hierzu Zuständigkeiten für Prävention,
„IS“-G ebiete, Befürchtungen bezüglich eines Anschlages und Fortbildung und Einzelhilfe festgelegt worden. Ratsuchende
andere Aktivitäten oft im Vordergrund. Inzwischen haben sich sollten sich danach in ihren Bundesländern erkundigen.
nicht nur diese Indikatoren geändert, sondern extremistische
Bewegungen bzw. Gruppierungen nutzen bewusst die aktuellen
Diskussionen der Gesellschaft und setzen diese Narrative in geziel-
ten Werbestrategien ein, zum Beispiel in öffentlichen Kampagnen
gegen das vermeintliche Kopftuchverbot oder im Rahmen der
Kritik an politischen Entscheidungsträgern in Deutschland, den
USA usw. Der „Westen gegen den Islam“ – dies ist zu einem
festen Bestandteil der Ideologie geworden. Dipl.-Psych. Dr. Christian Böhm
Leitung der Beratungsstelle Gewaltpräven-
Linktipp tion, Behörde für Schule und Berufsbildung,
Infodienst Radikalisierungsprävention Hamburg
www.bpb.de/politik/extremismus/radikalisierungspraevention
(Abruf 18.09.2019)
Literatur:
Es können aber auch Hinweise aus dem Sozialraum sein, durch Niedersächsisches Kultusministerium (2017). Neo-Salafismus, Islamismus
die man aufmerksam werden, und die man beobachten sollte und Islamfeindlichkeit in der Schule. Wie kann Schule präventiv handeln?
Handreichung für Lehrkräfte, Schulleitungen und pädagogische Fach-
(Prüfung der Hintergründe, der Initiatoren, der Motivation):
kräfte. Hannover. Abrufbar unter: www.bit.ly/2lWXkYC
• Attraktive Freizeitaktivitäten für Kinder und Jugendliche
Reinhold, K. & Kauer, S. (2019). Herausforderung Salafismus – Schule und
(Grillen, sportliche Aktivitäten, Ausflüge): Die Anbieter sind religiös begründeter Extremismus. Hintergrundwissen, Handlungsoptio-
Einzelpersonen oder Gruppen, die aus dem Stadtteil kommen, nen für die pädagogische Praxis im Überblick. Bonn: Bundeszentrale für
aber nicht institutionell verankert sind. politische Bildung.
Zum Inhaltsverzeichnis 8
Sektion
Schulpsychologie
Praxis Schulpsychologie
Sektion Schulpsychologie im BDP e.V. (Hrsg.)
Praxis Schulpsychologie:
Besondere Begabungen
Nr. 19, 2019, Broschur, 48 Seiten
18,00 EUR (15,00 EUR für BDP-Mitglieder)
In der 2. Printausgabe von Praxis Schulpsy-
chologie beschäftigen sich Autorinnen und
Autoren aus Wissenschaft und Praxis mit
verschiedenen Facetten von „Besonderer
Begabung und Hochbegabung“ und zeigen
die Bedeutung der Psychologie im Kontext
Schule auf. Sie finden anregende Beiträge
zum Talentbegriff, über Herausforderungen
und Lösungsansätze im Kontext Hochbega-
bung, zum Umgang mit Underachievern, zur
Neue e!
Begabungsdiagnostik bei Minoritäten und
t ausg ab Gestaltung von Beratungsnetzwerken, zum
Prin Überspringen als Maßnahme der Begabten-
förderung und einiges mehr.
Mit Beiträgen von Tanja Gabriele Baudson, Kathrin Schmitt,
Meltem Avci-Werning, Christine Koop, Nadja Olyai, Susan MacIntyre,
Petra Steinheider, Gerhard Büttner u. v. m.
Aus dem Inhalt: Schülerinnen und Schüler mit besonderen Begabungen · (Hoch-)Begabung im Kontext
verstehen, erkennen und fördern · Talententwicklung ist ein langfristiger Prozess · Begabtenförderung:
Schulen systematisch beraten und begleiten · Inklusive Begabungsförderug im schulischen Mehrebenen-
system · Sind (hoch-)begabte Individuen verhaltensauffällig? · Wenn Begabung nicht in Leistung mündet ·
Begabungsdiagnostik bei ethnischen Minderheiten · Überspringen einer Jahrgangsstufe · u.v.m.
Erhältlich im Online-Shop:
www.psychologenverlag.de
Die Online-Ausgabe von Praxis Schulpsychologie können Sie kostenfrei abonnieren unter:
www.praxis-schulpsychologie.de
190513
Praxis Schulpsychologie · Ausgabe 20 · Oktober 2019
AUS FOR SCHUNG UND PR A XI S
Fortbildung für pädagogische Fachkräfte als präventiver Handlungsansatz
Von Haltung zu Handlung
In der Beratungsabteilung des Regionalen Bildungs- und Bera- Das Modell der „Drei Gehirne“ verdeutlicht die neurobiologische
tungszentrums (ReBBZ) in Hamburg-Harburg wurde im Zuge Reaktion in einer als existenziell bedrohlich erlebten Situation:
der Reintegrationsplanung von Schülerinnen und Schülern, Das Großhirn mit all den Fähigkeiten, auf die Schule vorrangig
die außerhalb der inklusiven Regelbeschulung beschult worden aufbaut (Sprache, Handlungsplanung, Lernen etc.) wird „abge-
sind, eine Fortbildung für pädagogische Fachkräfte entwickelt. schaltet“, um dem evolutionären Überlebensprogramm „fight or
flight“ Vorrang zu geben.
Die meisten der zu (re)integrierenden Schülerinnen und Schüler
verbindet, dass sie eine Vielfalt von „ICH-Funktionen“, wie z. B. Aufbau tragfähiger Beziehungen
Frustrationstoleranz, Bedürfnisaufschub und Emotionsregulation
nicht ausreichend zur Verfügung haben. Diese Fertigkeiten sind Daher ist in der Arbeit mit „leicht irritierbaren“ Schülerinnen und
jedoch Voraussetzung, um in den meisten schulischen Umfel- Schülern die zentrale Aufgabe der Pädagoginnen und Pädago-
dern die Beschulung meistern zu können. So entstehen für diese gen, eine tragfähige Beziehung aufzubauen, in der Sicherheit
Schülerinnen und Schüler in der Schule viele Überforderungs- erlebt werden kann, sodass „Spiegelung“ und „Mentalisierung“
und Konfliktsituationen mit anderen Beteiligten, die häufig zu für zunehmende Selbstdifferenzierung stattfinden kann. Besten
starken Reaktionen führen. Oftmals entwickeln sich negative falls können dann gemeinsam die Auslöser der Stressreaktionen
rekursive Kreisläufe, aus denen sie eigenständig keinen Ausweg entschlüsselt werden, wodurch die emotionale und soziale
mehr finden. Selbstkompetenz der Schülerinnen und Schüler gefördert und
ihre Entwicklung und soziale Integration gesteigert werden kann.
Um solch negativen Dynamiken präventiv begegnen bzw. ent- Für das pädagogische Personal bedeutet dies, sich als „Hilfs-
gegenwirken zu können, brauchen Pädagoginnen und Pädagogen ICH“ für noch nicht ausreichend ausgeprägte „ICH-Funktionen“
eine Reflexionsmöglichkeit, die in räumlicher und zeitlicher zur Verfügung zu stellen und Korrektiverfahrungen zu ermögli-
Distanz stattfindet und psychoedukative Elemente zur Verfü- chen. Das beinhaltet, resonanzfähig und einfühlsam zu sein und
gung stellt. So kann ein Verstehen und bestenfalls sogar eine eine „Containment-Funktion“ zu übernehmen. Fortbildungsziele
Einfühlung in einen labilisierten psychischen Zustand ermöglicht sind ein vertieftes Verstehen, sowie sich eigener sensibler Antei-
werden, damit eine Nachvollziehbarkeit entsteht und die päda- le bewusst zu werden, die durch das Schülerverhalten aktiviert
gogische Haltung sich verändern und erweitern kann. werden und Stressdynamiken auslösen können, um ihnen begeg-
nen zu können. Daher wechseln sich während der Fortbildung
Fortbildungskonzept psychoedukative Inputs mit Reflexions- und Austauschzeiten ab.
Die von Heike Zimmer und mir entwickelte Fortbildung setzt
sich aus wesentlichen Inhalten der Entwicklungspsychologie, der FA ZIT
Bindungstheorie, der Traumatherapie und -pädagogik sowie aus Um die Qualitätssicherung ihrer Arbeit zu ermöglichen, benö-
neurobiologischen Grundlagen zusammen. Zentrales psycho tigen Pädagoginnen und Pädagogen Schutz- und Reflexions-
edukatives Element bildet die menschliche Stressregulation mit räume (Fortbildung, Supervision etc.), um Erlebtes in einen
den theoretischen Erklärungsansätzen: „Stresstoleranzfenster“ nachvollziehbaren Sinnzusammenhang bringen und sich da-
und „Drei Gehirne“. von distanzieren zu können. Dadurch kann die eigene Haltung
immer wieder aktualisiert werden und passende Handlungen
Wesentlich ist die Kenntnis, dass sich menschliche Stresstole- können im Team erarbeiten werden. Die Fortbildung stellt
ranzfenster mit individueller Spannweite ausbilden. Menschen, lediglich einen Start dar. Für einen fortlaufenden Prozess ist
deren Stresstoleranzfenster eine große Spannweite aufweisen, vor allem die Unterstützung durch die Schulleitung unabläs-
verfügen über eine hohe Stresstoleranz und somit über die Fä- sig – einerseits durch ausreichend zeitliche Ressourcen, als
higkeit, sich auch in sehr belastenden Situationen ausreichend auch durch Anerkennung und Wertschätzung der herausfor-
regulieren und psychisch stabilisieren zu können. Demgegen- dernden Arbeit.
über haben Menschen mit einem Stresstoleranzfenster geringer
Spannweite das Problem, dass sie schneller in Situationen ge-
raten, in denen ihr Stresslevel über das regulierbare Maximum Dipl.-Psych. Nicole Tabe
„schießt”. Dann erleben sie existenzielle Bedrohung, Ohnmacht Beratungsabteilung des ReBBZ Hamburg-Harburg
und sehr geringe Selbstwirksamkeit; die Welt wird als unsicher
und „gefährlich“ erlebt.
Zum Inhaltsverzeichnis 10Praxis Schulpsychologie · Ausgabe 20 · Oktober 2019
ANZE IGE
Das inmu: ein multi-sensorisches Klangkissen für Kinder und Jugendliche
Ein Hilfsmittel, so individuell wie die Kinder
Eine gute Atmosphäre als Voraussetzung für gemeinsames freisetzen. Kinder der 2. bis 5. Klasse sagen, dass das inmu sie
Leben und Lernen ist wichtig. Dieses Bedürfnis haben sich die glücklich macht, Ruhe schenkt und sie sich besser konzentrieren
Erfinder vom inmu zu Herzen genommen. Das Klangkissen ist ein und zuhören können. Das Design des inmu spricht Kinder beson-
ganz neues und wertvolles Therapiewerkzeug mit vielseitigen ders an, weil es nicht wie ein „Gerät“ aussieht und deswegen die
Einsatzmöglichkeiten in der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen. Neugierde weckt.
Das inmu (Abkürzung für interaktive Musik) ist das erste multi- inmuDANCE zum Spielen und Lernen
sensorische Stimulationswerkzeug weltweit, das interaktive
Musik einsetzt. Interaktive Musik ist Musik, die durch den Nutzer Wenn Kinder inmuDANCE in die Hände bekommen, können sie
kontrolliert werden kann. inmu wurde im Jahr 2017 in Dänemark einfach nicht anders, als sich zu bewegen. Intuitiv werfen und
entwickelt und ist in Deutschland noch wenig bekannt. Im Inneren spielen und tanzen sie damit, stecken eine Hand oder einen
des runden Klangkissens verbirgt sich eine fortschrittliche Soft- Fuß unter das elastische Band und „machen Geräusche“. Es ist
ware mit künstlicher Intelligenz (KI), die aktiv auf Berührungen nur selten notwendig, ihnen zu zeigen, dass sie ihren eigenen
und Bewegungen reagiert. Egal wie sanft die Interaktionen – Rhythmus mit dem Tamburin machen können.
auch ganz sanfte – sein mögen, es entfaltet sich eine meditative
Klangwelt, die je nach Bewegung und Nutzer ganz individuell
© inmutouch.com
klingt und sozusagen eine einzigartige Melodie bildet.
Wobei kann das inmuRELAX dem Schüler helfen?
• Zur Linderung von Unruhe und Nervosität
• Fördert die Konzentration
• Mindert Verhaltensauffälligkeiten des Kindes
• Minimiert Lern- und Leistungsprobleme
• Hilft bei schulbezogenen Ängsten
• Steigert das Selbstwertgefühl
© inmutouch.com
Die verschiedenen Stofftypen des inmuDANCE stimulieren den Tastsinn
und die fröhliche Musik fördert Spaß
Mobiler Alltagsbegleiter
Die handliche Form macht das inmu so einzigartig. Es kann
überall und in jeder Situation, in der es benötigt wird, benutzt
werden – sei es im Klassenraum, draußen in der Natur oder auch
auf dem Schulweg – es ist nicht an einen Ort gebunden. Bei
normalem Gebrauch kann das inmu für zwei bis drei Wochen
benutzt werden, bevor es aufgeladen werden muss.
Eine Pause mit dem inmuRELAX führt bereits nach kurzer Zeit Wann kann das inmu eingesetzt werden?
zu Entspannung • Zur Unterstützung in der Kommunikation
• Bei Gruppenspielen oder Sitzkreisen
Interaktive Musik für ein gesteigertes • Zur Förderung von Gruppendynamiken
Wir-Gefühl und ein gestärktes Ich • Zur Unterstützung bei Konflikten
• Für Traumreisen oder Meditationen (speziell inmuRELAX)
Zusammensitzen und Musik hören schafft Nähe und steigert • Zur Bewegungsförderung (speziell inmuDANCE)
die Aufmerksamkeit – auch dort, wo Worte kein Weg sind. In
schwierigen Situationen können die Musik und das Gefühl, etwas Toni Marquard, Erfinderin des inmu, Dänemark
Schönes in den Händen zu haben, Kontakt herstellen und Gefühle www.inmutouch.de
Zum Inhaltsverzeichnis 11Praxis Schulpsychologie · Ausgabe 20 · Oktober 2019
AUS FOR SCHUNG UND PR A XI S
Schulpsychologie gemeinsam mit Schulsozialarbeit
Das Emotionale Kompetenztraining (EKT) –
ein Praxisbericht
Hamburg verbindet Schule für Schülerinnen und Schüler mit zung mit eigenen Stärken und Schwächen, die Kommunikations-
sonderpädagogischem Förderbedarf und Beratung institutionell fähigkeit, den Umgang mit Siegen und Niederlagen sowie den
in den Regionalen Bildungs- und Beratungszentren (ReBBZ). In damit verbundenen Gefühlen.
der Region Hamburg-Billstedt wird diese Verbindung inhaltlich
unter anderem durch die Aufnahme des Emotionalen Kompe- Zum Abschluss der Stunde kommt die Gruppe noch einmal zu-
tenztrainings (EKT) in den Wochenplan umgesetzt. Es wird von sammen und gibt eine unkommentierte Rückmeldung zur Stunde.
einer Sozialpädagogin der Bildungsabteilung und einer Psycho-
login der Beratungsabteilung angeboten. Jeder Mensch fühlt auf seine Art
Das Emotionale Kompetenztraining ist ein klassenübergreifendes Eine große Herausforderung für die Gruppenleitung ist die Hetero-
Gruppenangebot ab Klasse 5 und richtet sich an Schülerinnen genität der Gruppe hinsichtlich der individuellen pädagogischen
und Schüler der sonderpädagogischen Förderbedarfe Lernen, Bedarfe. Die Ansprache, die Übungsauswahl und der Ablauf sollen
Sprache und soziale/emotionale Entwicklung. Es basiert auf alle Teilnehmer der Gruppe erreichen und jedem zugänglich sein.
Methoden aus dem langjährigen Erfahrungsschatz der Grup- Der Ablauf wird je nach Gruppendynamik flexibel gehandhabt.
penleiterinnen, die an die Zielsetzung des Trainings adaptiert
wurden. Ziel ist, der Entwicklungsaufgabe Emotionsregulation Richtig und falsch gibt es im EKT in Bezug auf Gefühlswahr-
im Bildungskontext verstärkt Raum zu geben, psychische Ge- nehmung nicht. Sofort regulierend und zurechtweisend reagiert
sundheit zu fördern und psychosozialen Problemen vorzubeugen die Gruppenleitung aber bei respektlosen Äußerungen wie Aus-
oder diese zu bewältigen. lachen oder Spotten.
Der Ablauf des Trainings Viele Schülerinnen und Schüler berichten, dass sie die Atmo-
sphäre in der Gruppe als schön und geborgen erleben. Es ist be-
In der praktischen Umsetzung berichten alle, auch die Gruppen- rührend, dass sich nach kürzester Zeit eine hohe Wertschätzung
leitung, in einer ritualisierten Ankommensphase anhand von hinsichtlich der Selbstoffenbarungen in der Gruppe zeigt. Eine
Emoji-Karten, wie es ihnen momentan geht und, wenn möglich, vertrauensvolle Atmosphäre entsteht, wenn von der Freude über
womit das zusammenhängt. Die Vorgabe an die Gruppe ist, die das neue Handy, die Langeweile in der momentanen Situation,
Wahl des Emojis und die Aussagen möglichst nicht zu kommen- über die Angst vor der Clique im Block und die Traurigkeit über
tieren und schon gar nicht zu bewerten. den Tod der Mutter berichtet wird. Empathie erweitert sich,
neue Perspektiven werden eingenommen und feste Rollenzu-
Auf einer Wandzeitung werden bekannte Gefühle gesammelt, schreibungen weichen auf.
um darüber ins Gespräch zu kommen, was Gefühle sind. Fortge-
führt wird diese Übung im Laufe des Trainings in der zufälligen
Nummerierung von sechs Gefühlen mit den Zahlen 1 bis 6. Reihum FA ZIT
wird gewürfelt, und jeder berichtet eine konkrete Situation, in Die Implementierung eines Trainings zur Erweiterung der
der das „gewürfelte Gefühl“ erlebt wurde. emotionalen Kompetenz an einer Bildungseinrichtung für Schü-
lerinnen und Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf
Weiterentwickelt werden die Übungen zum Beispiel durch ein erweitert psychische Handlungsspielräume und beeinflusst in
Gefühlsthermometer, mit dessen Hilfe erfahren wird, das jedes positiver Weise das Gruppenerleben.
Gefühl in unterschiedlicher Ausprägung gefühlt wird, dass es
einen Unterschied im Verhalten macht, ob man ein klein wenig,
mittelmäßig oder in höchstem Maße wütend ist, und dass sich Dipl.-Psych. Britta Burggraaf
die Ausprägung verändern. Der Fokus liegt dabei immer auf der Leitungsunterstützung in der Beratungsabteilung
Wahrnehmung und ist nicht an Lösungen orientiert. des Regionalen Bildungs- und Beratungszentrums
Hamburg-Billstedt
Ein weiteres wichtiges Element ist die Psychoedukation: Wie
hängen Gefühle, Kognitionen und Verhalten zusammen? Welchen Anne Lieckfeldt ist Diplom-Sozialpädagogin im
Hebel kann man wo ansetzen? Wer erlebt diesen Zusammenhang Ruhestand, ehemals in der Bildungsabteilung des
in welcher Form? Einen anderen Teil nehmen soziale Gruppen- Regionalen Bildungs- und Beratungszentrums
spiele ein. Sie fördern neben dem Spaß auch die Auseinanderset- Hamburg-Billstedt
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RECHTSFR AGE N
Rechtliche Fragen für Schulpsychologinnen und Schulpsychologen
Kinderrechte ins Grundgesetz
Sollten Kinderrechte noch ausdrücklicher im Grundgesetz veran- Schon im Mai 2019 hat die Jugend- und Familienministerkonfe-
kert werden? Was würde ein Kindergrundrecht bedeuten? Wie renz in Weimar als Ziele beschlossen, die rechtliche Position von
können die Rechte von Kindern sinnvoll gestärkt werden? Kindern zu stärken, den Schutz und die Sicherheit vor Gewalt und
anderen Risiken auszubauen, das Bewusstsein von Erwachsenen
Kinderrechte gibt es natürlich schon längst und dies auch im zu schärfen, Kinderrechte stärker wahrzunehmen, die Aufmerk-
Grundgesetz. Und doch gibt es einen breiten, wenn auch nicht samkeit aller öffentlichen Aufgabenträger für diese Rechte zu
unumstrittenen Konsens darüber, dass es Sinn machen kann, festigen und so Vollzugsdefiziten entgegenwirken zu können.
Kinderrechte – genauso wie die Familie und die Ehe – noch
expliziter im Grundgesetz zu schützen. Die Große Koalition hat Was haben Kinderrechte mit
im Koalitionsvertrag festgehalten: „Wir werden Kinderrechte im Schulpsychologie zu tun?
Grundgesetz ausdrücklich verankern. Kinder sind Grundrechtsträ
ger, ihre Rechte haben für uns Verfassungsrang. Wir werden ein Mehr als auf den ersten Blick scheint. Freilich wird es bei einer
Kindergrundrecht schaffen. Über die genaue Ausgestaltung sollen grundgesetzlichen Verankerung der Kinderrechte keine Auto-
Bund und Länder in einer neuen gemeinsamen Arbeitsgruppe matismen in Richtung Schulpsychologie geben, geht es doch
beraten und bis spätestens Ende 2019 einen Vorschlag vorlegen.“ (wahrscheinlich) nur um die Verankerung der Prinzipien des
Kindeswohlvorrangs und des Beteiligungsrechts. Aber wenn man
Wohl überwiegend wird vertreten, dass es sinnvoll ist, aus der sich vor Augen führt, dass das Kindeswohl als Leitprinzip ganz
UN-Kinderrechtskonvention am 20. November 1989 die Prinzipien erheblich und lang anhaltend unter Diskriminierungs-, Mobbing-
des Kindeswohlvorrangs und des Teilhaberechts im Grundgesetz und Gewalterfahrungen leidet, dann können Psychologinnen und
zu verankern. Über einen konkreten Formulierungsvorschlag Psychologen mit ihren Kompetenzen primär in deren präventiver
wird aber anscheinend, trotz des grundsätzlichen Konsenses, Vermeidung und sekundär im Umgang damit einen positiven
derzeit in der Arbeitsgruppe gerungen, ohne dass bisher Einzel- Beitrag leisten.
heiten dazu öffentlich bekannt gemacht worden sind.
Neben dem Schutz der Kinder geht es aber vornehmlich um die
Linktipp Förderung einer positiven gesunden Kindesentwicklung. Das um-
UN-Kinderrechtskonvention fasst die Unterstützung von Bildungs- und Entwicklungsprozes-
www.kinderrechtskonvention.info sen in enger Verbindung mit der Förderung von Konzepten und
Maßnahmen zur Teilhabe und Mitbestimmung. Zu dem bereits
Die Grünen und Die Linke hatten bereits im Juni 2019 eigene verbreiteten Ansatz der Information der Kinder über ihre Rechte
Gesetzentwürfe vorgelegt. Auch hier zeigte sich weitgehend müssen auch die Kompetenzen zu deren Durchsetzung treten, die
ein grundsätzlicher Konsens, nur in Nuancen gab es Kritik. So insbesondere mit Selbstwirksamkeitserwartung, Selbstbewusst-
wurde zum Beispiel in der zugehörigen Bundestagsdebatte von sein sowie Konflikt- und Stressbewältigung verbunden sind.
der FDP zu Bedenken gegeben, dass mit der Verankerung von
Kinderrechten die Trias von staatlichem Wächteramt, Schutz Die Kinderrechte müssen an den Orten und Institutionen ge-
der Familie und Kinderrechten zugunsten staatlicher Eingriffs- fördert und weiterentwickelt werden, wo Kinder häufig sind. Im
möglichkeiten und zulasten des Schutzes der Familie verändert Setting Schule kann die Psychologie mit effektiven Trainings und
werden könnte. Aus der Koalition äußerte sich die CDU ähnlich, anderen Interventionsformen einen substanziellen Beitrag zum
während die SPD die Kinderrechtskonvention vollständig umge- Kindeswohl leisten. Die Umsetzung des Rechts auf gute Bildung
setzt sehen will. geht einher mit einer gesunden Entwicklung hin zu starken Kindern
und Jugendlichen. Dabei ist insbesondere ein gutes Schulklima
Kinder als Grundrechtsträger essenziell, indem die Förderung von Mitbestimmungsprozessen
und eines guten sozialen Miteinanders gelebt wird.
Deswegen sollen Kinder nicht wie bisher in Art. 6 Grundgesetz
passiv als Teil des Elternrechts, sondern subjektiv als Grund- Stärkung der Schulpsychologie
rechtsträger genannt werden. Die SPD trug weiter vor, dass die
Rechts- und Sozialpolitik darauf auszurichten sei, dass gerade Wenn also richtigerweise Kinderrechte in der Verfassung keine
die einfachgesetzlichen Regelungen, die zur Anwendung und leere Worthülse sein sollen, sondern einfachgesetzlicher Umset-
Umsetzung dienen, erhöhte Aufmerksamkeit verdienen, damit zung bedürfen, dann kann das unter anderem in der Stärkung
Kinderrechte im Grundgesetz keine leere Worthülse bleiben. der Schulpsychologie als Angebot an Kinder (Eltern, Lehrerinnen
Zum Inhaltsverzeichnis 14Sie können auch lesen
