Mehr Chancen für Schüler - Wie sich mit Stipendienprogrammen Begabte finden und fördern lassen
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Discussion Paper 5 Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung gefördert von der Mehr Chancen für Schüler Wie sich mit Stipendienprogrammen Begabte finden und fördern lassen Von Tanja Kiziak, Vera Kreuter und Reiner Klingholz Berlin-Institut 1
Fehlende Mitarbeiter In Zukunft weniger Erwerbsfähige Deutschland 2009 100 und älter Männer Frauen Aktuell sind die Babyboomer-Jahrgänge noch im 95 Derzeit geht in Deutschland die Angst vor erwerbsfähigen Alter. Wenn in den nächsten 15 Jah- 90 einem drohenden Fachkräftemangel um. ren ein Großteil von ihnen in Rente geht, verringert 85 Wenn Unternehmen ihre Wertschöpfungs- sich die Zahl der erwerbsfähigen Bevölkerung um 80 75 kapazitäten nicht nutzen können, weil Stellen über fünf Millionen, bis 2050 sogar um 15 Millionen. 70 unbesetzt bleiben, kann dies zu einem Wohl- Weniger Erwerbstätige müssen immer mehr Alte 65 mitversorgen – in zweierlei Hinsicht: Zum einen 60 standsverlust führen. werden mehr Arbeitskräfte im Pflege- und Gesund- 55 50 heitsbereich gebraucht; zum anderen müssen die 45 Als Ausweg wird zumeist die erhöhte Zuwan- Arbeitenden mehr erwirtschaften, um den Wohlstand 40 derung qualifizierter Fachkräfte angeführt, einigermaßen zu sichern. 35 30 die das Problem, dass es gegenwärtig zumin- 25 dest in einigen Regionen etwa an Ingenieuren 20 15 mangelt, kurzfristig lösen könnte.1 Strategien, Anteil der jeweiligen Altersjahrgänge in Prozent 10 der Gesamtbevölkerung, Erwerbsfähige in Rot 5 um vorhandene „Begabungsreserven“ stärker (Datengrundlage: Statistisches Bundesamt) 0 auszuschöpfen, werden in der Öffentlichkeit dagegen vergleichsweise wenig diskutiert. Deutschland 2025 Maßnahmen dazu wären beispielsweise, 100 und älter Facharbeiter weiterzubilden und höher zu In jedem Schülerjahrgang geht ein großes 95 90 qualifizieren oder die heutige Schülergenera- Potenzial an hoch Qualifizierten verloren, 85 tion zu fördern. weil der Erfolg im deutschen Bildungssystem 80 75 nach wie vor stark von der sozialen Herkunft 70 abhängt – nur wenige Kinder von Eltern, 65 60 die selbst höchstens einen Hauptschul- 55 abschluss haben, schaffen es aufs Gymna- 50 45 sium. Offenbar gelingt es der Schule nicht, 40 herkunftsbedingte Benachteiligungen dieser 35 30 Schüler auszugleichen. Ein Mittel, um dieses 25 brachliegende Potenzial besser auszuschöp- 20 15 fen, besteht in der individuellen Förderung 10 begabter, aber benachteiligter Schüler durch 5 0 Stipendienprogramme. Deutschland 2050 Solche Fördermaßnahmen bilden eine lang- 100 und älter fristige Strategie: Schüler, die heute in die 95 fünfte Klasse gehen, werden frühestens in 90 85 elf Jahren, also Anfang der 2020er Jahre, ein 80 Bachelor-Studium abschließen. Doch wie 75 70 wird sich der Fachkräftebedarf bis dahin 65 60 überhaupt entwickeln? 55 50 45 40 35 30 25 20 15 10 5 0 0,75 0,5 0,25 0 0,25 0,5 0,75 2 Mehr Chancen für Schüler
Die Arbeitswelt der Zukunft Künftig mehr Dienstleistungsberufe In Zukunft werden immer weniger Beschäftigte in der Produktion und in der Landwirtschaft arbeiten und immer Das Problem bei weitreichenden Prognosen mehr im Dienstleistungssektor. Innerhalb dieses Sektors gewinnen aber nur Berufe an Bedeutung, die schwer- des Fachkräftebedarfs besteht darin, dass punktmäßig mit Forschen, Entwickeln, Managen, Pflegen, Beraten, Lehren und Publizieren befasst sind, also die zwar relativ genau bekannt ist, wie viele sogenannten sekundären Dienstleistungsberufe. Diese Tätigkeiten erfordern überdurchschnittlich häufig eine Arbeitnehmer in den nächsten Jahren in den hohe Qualifikation – mindestens Abitur, oft auch einen Hochschulabschluss. Die primären Dienstleistungsberufe Ruhestand gehen und durch nachrückende – zum Beispiel Verwaltungs- oder kaufmännische Berufe – bleiben in ihrem Anteil hingegen etwa gleich. Generationen ersetzt werden müssen – das ist der sogenannte Ersatzbedarf. Aber wie 2025 17,9 47,6 34,5 Verteilung der Erwerbstätigen viele akademisch qualifizierte Fachkräfte 2020 18,6 47,6 33,8 auf die Sektoren, zusätzlich dazu gebraucht werden – der soge- in Prozent nannte Expansionsbedarf – ist abhängig von 2015 19,3 47,6 33,1 (Datengrundlage: konjunkturellen und technologischen Ent- IAB5) wicklungen und lässt sich weit schwieriger 2010 20,2 47,7 32,1 vorhersagen.2 2005 21,2 47,9 30,9 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100 Langfristig werden zwei Tendenzen die Ent- wicklung von Angebot und Bedarf an Fach- Produktion und Landwirtschaft Primäre Dienstleistungsberufe Sekundäre Dienstleistungsberufe kräften bestimmen: erstens der demografisch verursachte Rückgang des Erwerbspersonen- potenzials von den 2020er Jahren an, und wird dann aber auch unter diesen günstigen Ausbau der Weiterbildungsmöglichkeiten zweitens die Entwicklung zur Wissensgesell- Bedingungen ab Mitte der 2020er Jahre die für ältere Facharbeiter ist es daher sinnvoll, schaft und damit einhergehend die Akademi- Oberhand gewinnen. Das Arbeitskräfteange- einen möglichst großen Anteil der nachwach- sierung von Tätigkeitsbereichen, die bisher bot wird sich zwischen 2020 und 2050 – je senden Jahrgänge zu qualifizieren. „nur“ eine mittlere Qualifikation erfordern. nach Zuwanderung – von etwa 43 Millionen auf 34 bis 37 Millionen verringern.4 Zugleich Zusätzlich zu dem erheblichen Ersatzbedarf Aufgrund des Geburtenrückgangs in den bleibt der Bedarf an Erwerbspersonen in den nächsten 15 Jahren, der durch knapp letzten Jahrzehnten schrumpft die Bevöl- insgesamt auf dem heutigen Niveau.5 Eine zweieinhalb Millionen pensionierte Akade- kerung im erwerbsfähigen Alter, das heißt McKinsey-Studie rechnet bereits um das Jahr miker der Babyboomer-Jahrgänge entstehen zwischen 15 und 64 Jahren, bereits heute. 2020 mit einem flächendeckenden Mangel wird,7 werden zukünftig insgesamt mehr Dieser Rückgang wird voraussichtlich an qualifizierten Fachkräften, der sich nicht Arbeitskräfte mit akademischer Qualifikation bis etwa 2025 noch durch eine höhere allein dadurch beheben lassen wird, dass die gebraucht werden. Prognosen über langfris- Erwerbsbeteiligung aufgefangen, sodass Erwerbsbeteiligung weiter gesteigert wird.6 tige Entwicklungen des Fachkräftebedarfs dem Arbeitsmarkt zunächst genauso viele in einzelnen Tätigkeitsbereichen gehen bis Personen wie bisher zur Verfügung stehen.4 Da es künftig immer weniger Menschen im 20255 oder 20308 von einem Stellenwachs- Allerdings liegen diesen Berechnungen op- erwerbsfähigen Alter geben wird, wird dieser tum in den Gesundheitsberufen, in der timistische Annahmen zugrunde: Der Anteil Mangel alle Qualifikationsbereiche erfassen.5 Forschungs- und Beratungsbranche und im der Frauen, die erwerbstätig sind, soll sich Es handelt sich also um einen umfassenden Managementbereich aus – also in Berufen, demnach noch vergrößern, die schrittweise Arbeitskräftemangel und nicht nur um eine die eine akademische oder hohe berufliche Erhöhung des Rentenalters auf 67 Jahre soll Fachkräftelücke im engeren Sinne. Jedoch Qualifikation voraussetzen. Der Anteil der die Erwerbsbeteiligung der älteren Arbeit- bilden die Lücken bei Fachkräften und hoch Arbeitskräfte mit Tätigkeiten, die keine Aus- nehmer steigern, und die Nettozuwanderung Qualifizierten die größere Herausforderung, bildung erfordern, wird in allen Bereichen soll sich auf 100.000 bis 200.000 jährlich weil ihre Schließung längerfristige Strategien zurückgehen, während die Nachfrage nach erhöhen. Der demografische Effekt – also die verlangt. Für Tätigkeiten, die eine geringere Arbeitskräften im mittleren Qualifikations- Verrentung der geburtenstarken Jahrgänge – Qualifikation erfordern, können schneller und segment gleich bleiben oder allenfalls leicht leichter Arbeitskräfte auch aus dem Ausland sinken wird.5 Aufgrund all dieser Entwick- gefunden werden, während hoch qualifizier- lungen werden bis 2020 etwa eine Million te Arbeitnehmer nicht nur in Deutschland gefragt sind und sein werden. Neben einem Berlin-Institut 3
zusätzliche Arbeitskräfte mit akademischer Langfristig immer weniger Studierende Qualifikation benötigt, und die Nachfrage Die Studierendenzahlen vorauszuberechnen, ist problematisch, weil das Hochschulsystem derzeit umgestaltet nach ihnen steigt auch danach noch weiter wird. Daher hat das Statistische Bundesamt drei Varianten mit unterschiedlichen Annahmen beispielsweise zu an.2 Der Bedarf an Akademikern wird bis Studienanfängerquoten und Studiendauer berechnet. In allen drei Varianten nimmt die Zahl der Studienanfän- 2030 je nach Tätigkeitsbereich um zehn bis ger noch bis 2013 zu. Die Ursache liegt vor allem in den doppelten Abiturientenjahrgängen, die in diesem Zeit- über 50 Prozent zunehmen.8 raum die Gymnasien verlassen werden. Diese „Bugwelle“ könnte in Wirklichkeit sogar noch größer ausfallen, weil ab Mitte 2011 die Wehrpflicht ausgesetzt wird und die betroffenen jungen Männer ein Jahr früher an die Hochschulen drängen. Danach sorgt die demografische Entwicklung dafür, dass die Zahl stetig zurückgeht, weil Diese Entwicklung hin zu einem höheren An- die Abiturientenjahrgänge kleiner werden. Je nachdem, wie viele Abiturienten ein Studium aufnehmen wollen, teil an hoch qualifizierten Tätigkeiten hängt werden 2025 rund 20.000 bis 50.000 weniger junge Menschen als heute ein Studium beginnen. damit zusammen, dass mit dem Übergang zur nachindustriellen Gesellschaft theoretisches 480 Prognostizierte Ent- Wissen immer wichtiger wird. Das zeigt sich wicklung der Studien- 460 anfängerzahlen bis 2025 auch in traditionell nicht-akademischen, Obere Variante in Tausend zum Beispiel handwerklichen Bereichen.9 Es 440 (Datengrundlage: Bil- gibt immer weniger Berufsfelder, in denen dungsvorausberechnung 420 Basisvariante Erfahrungswissen oder handwerkliches 2010 des Statistischen Geschick dominieren. Jobs in der Produk- 400 Bundesamtes13) tion, die traditionell einem großen Teil 380 der Menschen mit keinem oder niedrigem Untere Variante Schulabschluss Arbeit boten, verlieren damit 360 an Bedeutung. Beispielsweise ist der Beruf 340 des KFZ-Mechanikers durch die Entwicklung immer komplexerer Fahrzeugtechnik und den 320 2014 2018 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2015 2016 2017 2019 2020 2021 2022 2023 2024 2025 Einsatz von informationstechnischen Syste- men wesentlich anspruchsvoller geworden und wurde 2001 von dem neuen Berufsbild des KFZ-Mechatronikers abgelöst. Es steigt Bildung: Die Richtung stimmt verglichen mit anderen Ländern, unterdurch- also nicht nur der Bedarf an Akademikern, schnittlich: Nur 28 Prozent der 30- bis 35-Jäh- sondern eine höhere schulische Vorbildung Auf den ersten Blick scheint sich Deutschland rigen verfügen über einen Tertiärabschluss.12 ist immer häufiger auch Voraussetzung für auf den steigenden Bedarf an Akademikern Im EU-Durchschnitt sind es 31 Prozent, und viele Ausbildungsberufe. Ein Hinweis darauf und beruflich hoch Qualifizierten einzustel- der EU-Zielwert für 2020 liegt bei 40 Pro- ist die Tatsache, dass in bestimmten Berufen len. Der Anteil der Studienberechtigten, der zent. Die Absolventenquote ist in den letzten hauptsächlich Abiturienten als Auszubilden- ein Hochschulstudium aufnahm, lag 2008 Jahrzehnten zwar konstant gestiegen, nimmt de eingestellt werden, auch wenn formal ein nach einer Phase der Stagnation erstmals in Deutschland allerdings langsamer zu als in Haupt- oder Realschulabschluss ausreicht.10 über 40 Prozent und ist 2010 sogar auf 46 anderen hoch entwickelten Ländern.12 Zudem Prozent gestiegen.11 brechen nach wie vor 20 bis 25 Prozent der Studierenden ihr Studium vorzeitig ab. Allerdings werden für die Bestimmung der Studienanfängerzahlen die in Deutschland Die niedrige Zahl an Hochschulabsolventen in studierenden Ausländer mit einbezogen, Deutschland relativiert sich, weil hierzulande die Deutschland häufig – auch aufgrund der das gut ausgebaute Berufsbildungssystem aktuellen Einwanderungspolitik – nach ihrem vielen Arbeitskräften eine hohe Qualifikation Studium wieder verlassen. Sie stehen folglich verleiht. Aber auch für diese nicht-akademi- dem Arbeitsmarkt mit ihrer Qualifikation schen Berufe wird eine höhere schulische nicht zur Verfügung.12 Der OECD-Durchschnitt Vorbildung immer wichtiger. Insofern darf der Studienanfängerquote liegt bereits seit sich die Bildungspolitik nicht allein auf eine 2002 bei deutlich über 50 Prozent, mit Erhöhung der Hochschulabsolventenzahlen steigender Tendenz. Auch die Quote der konzentrieren. Hochschulabsolventen ist in Deutschland, 4 Mehr Chancen für Schüler
Sinkende Schülerzahlen erfordern Aufgrund der demografischen Entwicklung In der Diskussion um (Hoch-)Begabung steht bessere Talentabschöpfung wird der Pool an Kindern und Jugendlichen, oft die kognitive Begabung im Vordergrund: aus dem sich die späteren Fachkräfte rekru- Die meisten Definitionen von Hochbegabung Wenn etwa von 2020 an die Erwerbsbevöl- tieren, also kleiner. Bleiben Abiturienten- und beziehen sich auf den Intelligenzquotienten, kerung schrumpft, der Bedarf an Arbeits- Studierendenquoten gleich oder erhöhen den IQ. Eine gewisse kognitive Intelligenz, kräften insgesamt etwa gleich bleibt und sich nur langsam, wird die absolute Zahl gemessen als IQ, ist auch jenseits der Hoch- anteilig mehr hoch qualifizierte Arbeitskräfte an neu ausgebildeten hoch qualifizierten begabung eine wichtige Voraussetzung für gebraucht werden, muss die Zahl der Abitu- Fachkräften sinken, während der Bedarf an schulische und akademische Bildung, weil rienten ansteigen, um diesen Bedarf decken ihnen steigt. Eine Lösung für dieses Problem diese ein hohes Maß an Abstraktionsfähig- zu können. besteht darin, die „Abschöpfungsquote“ zu keit voraussetzt. Im Durchschnitt ist es für erhöhen und pro Jahrgang mehr Talente zu Schüler mit hohem IQ leichter, die schuli- Aber die nachrückenden Jahrgänge werden finden und zu einem höheren Abschluss zu schen Anforderungen zu erfüllen und einen aufgrund der niedrigen Geburtenraten in motivieren als bisher. hohen Bildungsabschluss zu erlangen. Das ist Deutschland kleiner; bereits zwischen 2000 wenig überraschend, denn Intelligenztests und 2010 ist die Zahl der Erstklässler um Aber: Gibt es überhaupt genug Begabte? Wie sind so konstruiert, „dass sie das Bildungs- knapp zwölf Prozent zurückgegangen.14 groß sind die bislang ungenutzten „Bega- niveau möglichst gut vorhersagen, oder kurz: Dieser Trend wird sich fortsetzen. bungsreserven“? Und wo sind sie zu finden? Intelligenztests messen die Befähigung zu hoher Bildung“ 16. In den nächsten Jahren wird die Zahl der Schulabgänger zunächst noch zunehmen, Was ist Begabung überhaupt? Dennoch ist der IQ keineswegs das einzige weil in fast allen Bundesländern die Schul- Merkmal, das die schulische und berufliche zeit bis zum Abitur um ein Jahr verkürzt Allgemein wird „Begabung“ als Potenzial Leistungsfähigkeit einer Person bestimmt. wurde.13 Von 2014 an aber wird die Zahl der für herausragende Leistungen in einem oder Vielleicht ist der IQ noch nicht einmal die Schulabgänger mit jedem Jahr sinken. 2025 mehreren Bereichen verstanden.15 Der Begriff wichtigste Voraussetzung für gute Leistun- werden es rund 300.000 weniger sein als wird also im Sinne von hoher Begabung ver- gen. Denn oberhalb einer gewissen Schwelle 2008 – das ist ein Rückgang um ein Viertel. wendet – oft auch gleichbedeutend mit Hoch- sind dafür Persönlichkeitsmerkmale wie Voraussichtlich wird der Rückgang bei den begabung. Meist ist eine Begabung in einem Motivation und die Bereitschaft sich anzu- Hauptschulabsolventen am größten ausfal- bestimmten Bereich gemeint, zum Beispiel in strengen sowie eine anregende, förderliche len, aber es dürfte 2025 auch 50.000 und der Mathematik oder in der Musik. Umwelt entscheidend. Dies gilt insbesondere damit rund ein Sechstel weniger Abiturienten in nicht-akademischen Bereichen, also au- geben als 2008.13 ßerhalb von Wissenschaft und Forschung.15 Abnehmende Schülerzahlen 1.400 Prognostizierte Zahl der Absolventen allgemein- Die nachrückenden Schülerjahrgänge werden etwa 1.200 bildender Schulen von 2015 an immer kleiner. Die Zahl der Abiturienten bis 2025 in Tausend sinkt zwar langsamer als die Zahl der Schulabsol- 1.000 (Datengrundlage: venten insgesamt (ohne Abschluss, Hauptschul- Absolventen allgemeinbildender Schulen Bildungsvorausberech- abschluss, Mittlere Reife, Hochschulreife), der Anteil 800 nung 2010 des Statisti- der Schüler, der die Schule mit der Allgemeinen oder schen Bundesamtes13) Fachhochschulreife verlässt, steigt aber nur mäßig: 600 von 36 Prozent im Jahr 2008 auf 40 Prozent im Jahr 2025. 400 Absolventen mit Allgemeiner oder Fachhochschulreife 200 0 2014 2018 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2015 2016 2017 2019 2020 2021 2022 2023 2024 2025 Berlin-Institut 5
In die gängigen Begabungsmodelle werden Der Begabtenanteil gemäß sind 50 Prozent intelligenter als der daher auch nicht-kognitive Eigenschaften der Durchschnitt. Von den 717.000 Erstklässlern Person und Merkmale der sozialen Umwelt Wie groß ist also das Potenzial an Menschen, im Jahr 201014 waren demnach etwa 115.000 einbezogen. die allgemein oder in bestimmten Bereichen deutlich überdurchschnittlich begabt; die leistungsfähig und daher für eine akademi- Hälfte, also etwa 358.000, lagen über dem Ein Begabungsbegriff, der nicht allein auf sche Ausbildung geeignet sind? Auf diese Durchschnitt. die kognitive Intelligenz abhebt, ist auch Frage gibt es mehrere Antworten. im Kontext der Suche nach mehr potenziel- In den europäischen Ländern wird der Anteil len Fachkräften sinnvoll: Es geht um die Die einfachste Antwort lautet: Es gibt genug der besonders begabten beziehungsweise Suche nach den Leistungsfähigen; ob diese Begabte, weil die Leistung von der Motivation hochbegabten Kinder auf zwischen drei Leistungsfähigkeit auf einer herausragenden und einer förderlichen Umgebung abhängt und zehn Prozent geschätzt – die Differenz Intelligenz oder auf besonderem Interesse, und das abstrakte Denkvermögen, das für kommt nicht dadurch zustande, dass die besonderer Motivation und Anstrengung gute Leistung in wissensintensiven Berufs- Kinder je nach Land unterschiedliches Poten- beruht, ist dabei zweitrangig. feldern nötig ist, durch gezielte und frühe zial haben, sondern durch unterschiedliche Maßnahmen bei einem großen Teil der Kinder Definitionen von Begabung und Schätz- Nicht zu vergessen: Fachkräfte – mit oder ausreichend ausgebildet werden könnte. methoden.17 Von schulischen Fördermaß- ohne akademische Ausbildung – müssen nahmen und außerschulischen Angeboten nicht unbedingt Spitzenleistungen erbringen, Will man den Kreis der Begabten stärker profitiert in allen Ländern nur ein Bruchteil die der Begriff der (Hoch-)Begabung häufig einschränken, lohnt sich ein Blick auf den IQ: dieser Schüler. Untersuchungen in Frankreich impliziert. Im Sinne des Innovationspoten- Zwei Prozent der Menschen und damit auch zeigen beispielsweise, dass nur fünf Prozent zials und der internationalen Wettbewerbs- der Schüler sind hochbegabt mit einem IQ der Hochbegabten identifiziert werden;17 fähigkeit ist es sicherlich wünschenswert, über 130. 16 Prozent liegen deutlich über Schätzungen für Deutschland gehen dagegen auch herausragende Talente zu entdecken dem Durchschnittsbereich, das heißt sie davon aus, dass etwa die Hälfte der Begab- und zu fördern; für die Erschließung von besitzen einen IQ von über 115;15 definitions- ten gefunden wird.18 Das scheint zunächst „Begabungsreserven“ kommt jedoch nicht problematisch, muss es aber nicht sein: nur die kleine Gruppe der intellektuell weit Viele (Hoch-)Begabte zeigen hohe Leistun- überdurchschnittlich Begabten in Betracht. gen, ohne als hochbegabt identifiziert und speziell gefördert zu werden; und umgekehrt ist nicht nur das Potenzial der obersten zwei oder fünf Prozent verschenkt, wenn es nicht Die Verteilung der Intelligenz genutzt wird. Die Höhe der Balken gibt die Häufigkeit des jeweili- gen IQ-Wertes in der deutschen Bevölkerung an. Die IQ-Tests sind so geeicht, dass der Mittelwert bei 100 liegt – jeweils die Hälfte der Bevölkerung hat einen niedrigeren beziehungsweise einen höheren IQ-Wert. Je weiter die Werte von der Mitte entfernt sind, desto seltener sind sie. Nur je gut zwei Prozent haben einen IQ von über 130 oder unter 70; 16 Prozent liegen über 115 und haben damit deutlich überdurchschnitt- liche intellektuelle Fähigkeiten. Häufigkeitsverteilung der Intelligenz- quotienten in der Bevölkerung (Normalverteilung mit Mittelwert 100 und Standardabweichung 1515) 40 55 70 85 100 115 130 145 160 6 Mehr Chancen für Schüler
Klassische Begabtenförderung sogenanntes Enrichment-Programm, in dem Schlummernde Talente Experten Kurse für hochbegabte Schüler Die Notwendigkeit individueller Förderung anbieten.21 Ein anderes Beispiel ist das Schü- Einen Hinweis auf mögliche Begabungs- über den Schulunterricht hinaus, um Bega- lerforschungszentrum Südwürttemberg, in reserven geben die gravierenden Unterschie- bungen zur Entfaltung zu bringen, wird bis- dem besonders interessierte und begabte de zwischen den sozialen Schichten sowie lang vor allem im Bereich der Hochbegabung Schüler mit Wissenschaftlern an Forschungs- zwischen Schülern mit und ohne Migrations- erkannt und umgesetzt. Innerhalb des Schul- projekten arbeiten können.22 Auch die Stif- hintergrund, was Leistung und Schulerfolg systems besteht einerseits die Möglichkeit, tung „Bildung für Thüringen“ bietet für enga- angeht. Diese Disparitäten werden seit der eine oder mehrere Klassen zu überspringen. gierte Schüler mit hohen Leistungen speziell Veröffentlichung der ersten Pisa-Studie 2001 Andererseits gibt es für die betroffenen Schü- in mathematisch-naturwissenschaftlichen auch in der Öffentlichkeit immer wieder ler manchmal Zusatzangebote zum normalen Fächern Seminare und ideelle Förderung an, diskutiert. Sie deuten darauf hin, dass es Unterricht, etwa anspruchsvollere Aufgaben zum Beispiel ein Mentoringprogramm.23 An gesellschaftliche Gruppen gibt, die aufgrund oder zusätzliche Projekte. Eine weitere eine ähnliche Zielgruppe wenden sich auch äußerer Umstände nicht so viel erreichen, Möglichkeit besteht in einer vollständigen Förderprogramme von großen Unternehmen, wie sie eigentlich könnten. Trennung hochbegabter von den übrigen etwa das Bayer-Stipendium.24 Schülern, indem sie besondere Schulen Ein großer Teil des unentdeckten Potenzials besuchen. Außerhalb des Schulsystems gibt Alle diese Angebote erreichen ausschließlich liegt sicherlich in den sogenannten bildungs- es für Schüler, die – allgemein oder in einem Schüler, die bereits unter Beweis gestellt fernen Schichten: Kinder aus Arbeiterfamilien bestimmten Bereich – besonders begabt haben, dass sie auf einem Gebiet oder allge- haben selbst bei gleicher Begabung und sind, ebenfalls eine Reihe von Angeboten. In mein besonders begabt und motiviert sind. gleichen Schulleistungen eine um das zwei- Wettbewerben, die es für alle Fachrichtun- Dadurch werden keine bislang unbekannten bis dreifach geringere Wahrscheinlichkeit, gen gibt, können Schüler ihre besonderen Potenziale entdeckt, sondern erkennbare aufs Gymnasium zu gehen, als Kinder, deren Fähigkeiten unter Beweis stellen und sich mit Potenziale für herausragende Leistungen Eltern der oberen Dienstklasse angehören.26 anderen messen. Bekannte Beispiele sind die werden gezielt gefördert. Im Einzelfall mag Bundeswettbewerbe, etwa für Mathematik das bei den Wettbewerben anders sein: In Schüler, bei denen mindestens ein Elternteil oder Fremdsprachen, oder auch „Jugend der Auseinandersetzung mit anspruchsvollen nicht in Deutschland geboren wurde, besu- forscht“.15 Aufgaben aus einem Fachgebiet, das sie chen ebenfalls seltener das Gymnasium.12 besonders interessiert, können Schüler, die Dies gilt selbst dann, wenn der sozioökono- Auch bei den Schüler-19 und Juniorakade- im Schulunterricht unauffällig sind, auf ein- mische Status der Eltern hoch ist – der Mig- mien20 steht die intensive Beschäftigung mal hervorragende Leistungen zeigen. Un- rationshintergrund hat also einen Effekt auf mit einem Fachgebiet im Mittelpunkt. Aus- tersuchungen zeigen aber, dass Teilnehmer den Bildungserfolg, der sich nicht dadurch gewählte Schüler können an Sommerkursen an Wettbewerben vorwiegend aus Familien erklären lässt, dass Zuwanderer einen niedri- zu einem bestimmten Thema teilnehmen. mit akademischem Bildungshintergrund und geren Berufsstatus oder ein schlechteres Ein- Auswahlkriterien sind herausragende Schul- hohem beruflichem Status der Eltern stam- kommen haben. Eine Befragung der Schüler leistungen und besonders hohe Motivation; men, in denen sie schon frühzeitig in ihren nach ihrer Motivation in der Schule hat keine Schüler können sich nur in Ausnahmefällen Begabungen gefördert werden.25 So eine Unterschiede zwischen Jugendlichen mit oder selbst bewerben, normalerweise werden sie Förderung von „Spitzentalenten“ ist zweifel- ohne Migrationshintergrund ergeben. Auch von ihrer Schule vorgeschlagen. los wichtig – bei diesen Schülern handelt es das erklärt also die Leistungsunterschiede sich aber nicht um unentdeckte Potenziale nicht.27 Neben diesen annähernd bundesweit zu- oder „Begabungsreserven“. gänglichen Angeboten gibt es in der Hoch- Etwa 30 Prozent der unter sechsjährigen begabtenförderung eine Vielzahl kleiner, Wo sind diese nun zu finden; wo wird das Kinder haben in Deutschland einen Migra- größtenteils regionaler Fördermöglichkeiten, Potenzial an intellektueller Leistungsfähigkeit tionshintergrund28 und rund 27 Prozent aller die vom Konzept her den Schülerakademien zurzeit noch nicht voll ausgeschöpft? Diese Schüler haben Eltern, die selbst höchstens ähneln. In Schleswig-Holstein fördert das Frage ist insofern schwierig zu beantworten, einen Hauptschulabschluss haben.12 In den Bildungsministerium beispielsweise ein als „nicht erkanntes und nicht genutztes Potenzial“ definitionsgemäß nicht unmittel- bar sichtbar ist. Berlin-Institut 7
100 Verteilung der 15-jährigen Wessen Kinder kein Abitur machen 13 11 90 22 Schüler auf die Schularten 26 Der Anteil der Schüler, die nach der Grundschule 33 nach sozioökonomischem 80 37 das Gymnasium besuchen, unterscheidet sich stark 26 29 50 Hintergrund der Eltern und 70 61 Migrationshintergrund, in zwischen den sozialen Schichten und je nach ethni- 27 scher Herkunft. Kinder aus Familien mit hohem sozio- 60 29 Prozent ökonomischem Status gehen fast fünfmal so häufig 50 27 30 Gymnasium aufs Gymnasium wie Kinder aus sozial benachteilig- 31 40 22 Realschule ten Verhältnissen; Schüler mit Migrationshintergrund 46 sind auch bei gleichem Status der Eltern weniger 30 36 30 Hauptschule 16 16 20 erfolgreich im deutschen Bildungssystem. 11 Integrierte Gesamtschule 20 16 9 10 6 Schule mit mehreren 10 19 7 12 12 11 9 Bildungsgängen 11 11 6 3 3 4 2 Gesamt Niedrig Mittel Hoch Gesamt Niedrig Mittel Hoch (Datengrundlage: Pisa-E Sozioökonomischer Status Sozioökonomischer Status 2006; Quelle: Autoren- Beide Eltern in Deutschland Mindestens ein Elternteil im gruppe Bildungsbericht- geboren Ausland geboren erstattung 201012) letzten Jahren ist dabei vor allem der Anteil mikerkindern bei fast 62 Prozent.29 Von den und schulischer Leistung enger ist als die an Kindern stetig gestiegen, deren Eltern 717.000 Schulanfängern im Jahr 2010 hatten zwischen sozialer Herkunft und Intelligenz“31 keinerlei allgemeinen Schulabschluss vorwei- etwa 194.000 Eltern, die selbst höchstens – das heißt, dass zumindest ein Teil der Leis- sen können.12 einen Hauptschulabschluss besitzen; von tungsdefizite, die die Pisa-Studie offenbarte, diesen werden – wenn sich die Quoten nicht darauf zurückzuführen ist, dass Kinder aus Dass Jugendliche je nach Herkunft unter- verändern – nur 28.000 aufs Gymnasium den sozial benachteiligten Schichten ihre schiedliche Bildungschancen haben, ist gehen. Um die Dimension der ungenutzten Begabung weniger gut entfalten können, nicht allein problematisch, weil potenzielle Begabungsreserve abzuschätzen, kann man und nicht darauf, dass sie weniger begabt Fachkräfte verloren gehen. Da politisches berechnen, wie viele von diesen Kindern wären. Möglicherweise wäre eine sehr hohe Interesse, ehrenamtliches Engagement oder den Weg zum Abitur einschlagen würden, Übergangsquote ans Gymnasium – wie die auch das Gesundheitsbewusstsein direkt wenn sie die gleichen Übergangsquoten aufs der Kinder von Akademikern – für Kinder von mit dem Bildungsstand zusammenhängen, Gymnasium hätten wie die restlichen Kinder. Eltern mit geringem Bildungsstand unrealis- zieht die mangelnde Chancengleichheit Läge diese Quote für sie bei 35 Prozent, wie tisch. Aber selbst eine moderate Erhöhung auch hier einen Verlust für die Gesellschaft bei der „mittleren“ Gruppe, würden es etwa der Quote von 14 auf 35 Prozent würde im ak- nach sich. Darüber hinaus wirken sich die 67.000 aufs Gymnasium schaffen; läge sie so tuellen Schulanfängerjahrgang fast 40.000 schlechteren Bildungsaussichten negativ auf hoch wie bei den Akademikerkindern, wären zusätzliche Abiturienten bringen. den Einzelnen aus, etwa was das Einkommen, es sogar fast 120.000. Je nach Schätzgrund- aber auch die Selbsteinschätzung des Ge- lage liegt die Begabungsreserve bei Kindern In gleicher Weise lassen sich die Reserven sundheitszustands und des zwischenmensch- aus „bildungsfernen“ Elternhäusern also bei bei den Schülern mit Migrationshintergrund lichen Vertrauens angeht.12 gut 39.000 oder sogar knapp 92.000. abschätzen. Hätten sie die gleichen Chan- cen, das Gymnasium zu besuchen, wie die Die Wahrscheinlichkeit, nach der Grund- In diesen Abschätzungen wird eine Ungleich- deutschstämmigen Kinder, würden vom schule aufs Gymnasium zu wechseln, ist verteilung von Leistung und Begabung zwi- Einschulungsjahrgang 2010 rund 30.000 also stark von der Herkunft abhängig. Von schen den sozialen Schichten nicht berück- zusätzlich den Weg zum Abitur einschlagen. Kindern, deren Eltern selbst höchstens über sichtigt. Schüler von Eltern mit niedrigem einen Hauptschulabschluss verfügen, schaff- Bildungsabschluss zeigen im Durchschnitt Warum aber haben Schüler aus benachteilig- ten das im Jahr 2007 gut 14 Prozent. Bei schlechtere Leistungen.27 Aber auch bei glei- ten Familien so viel schlechtere Chancen als Kindern von Eltern mit mittlerem Abschluss cher Schulleistung gehen Kinder aus den obe- ähnlich begabte aus den oberen Schichten, lag die Quote bei etwa 35 Prozent, bei Akade- ren Sozialschichten häufiger aufs Gymnasium einen hohen Schulabschluss zu erreichen? als Kinder aus sozial weniger begünstigten Welchen Hürden begegnen sie während ihrer Familien.30 Es gibt außerdem Belege dafür, Schullaufbahn? dass „die Beziehung zwischen Sozialstatus 8 Mehr Chancen für Schüler
Hürden auf dem Bildungsweg Neben dem schulischen Abschluss der die Familie verbunden. Diese Investition Eltern kann auch ihre berufliche Stellung zahlt sich zwar in der Regel langfristig aus, Häufig fällt im Zusammenhang mit den eine wichtige Rolle für den Bildungsverlauf weil eine höhere Qualifikation ein höheres unteren Sozialschichten der Begriff „Bil- der Kinder spielen. Wenn die Eltern auf dem Einkommen ermöglicht und das Risiko der dungsferne“. Damit wird in der Regel nicht Arbeitsmarkt erfolgreich sind, bieten ihre Arbeitslosigkeit senkt;12 wenn die finanziel- nur auf ein geringes Bildungsniveau der beruflichen Erfahrungen ihnen Informations- len Ressourcen jedoch knapp sind, fällt die Erziehungsberechtigten verwiesen, sondern vorteile: Sie wissen häufig besser, welche Entscheidung dennoch häufiger zugunsten es wird zugleich angedeutet, dass Bildung Qualifikationen für bestimmte Positionen einer niedrigeren Qualifikation und einem in diesen Schichten bestenfalls eine geringe notwendig oder erfolgversprechend sind, und früheren Eintritt in den Arbeitsmarkt aus. Wertschätzung erfährt. können damit wichtige Kenntnisse an ihre Je geringer das verfügbare Einkommen ist, Kinder weitergeben.32 desto stärker fallen die erwarteten Kosten Ersteres geht aber nicht zwangsläufig mit eines längeren Schulbesuchs ins Gewicht letzterem einher. Auch Eltern, die selbst Insgesamt schätzen Kinder aus sozial be- und beeinflussen die Entscheidung. keinen oder nur einen Hauptschulabschluss nachteiligten Schichten beziehungsweise haben, können für ihre Kinder eine hohe deren Eltern ihre Erfolgswahrscheinlichkeit Die Gründe dafür, dass Begabung in unteren Bildung anstreben. Sie sind dann nicht „bil- auf dem Gymnasium oder später im Studium Schichten häufiger als in den höheren nicht dungsfern“ im herkömmlichen Sinn, sondern schlechter ein. Das kann wiederum mit feh- in Leistung und Schulerfolg umgesetzt wird, höchstens „bildungssystemfern“, das heißt lenden Kenntnissen über die tatsächlichen liegen also teilweise in der finanziellen sie sind mit dem System der höheren Bildung schulischen Anforderungen zusammenhän- Ausstattung der Familien und teilweise nicht vertraut und kennen seine Institutionen gen, aber auch damit, dass Familien aus – vermutlich zu einem größeren Teil – in und Inhalte nicht. Diesen Eltern fällt es daher sozial benachteiligten Schichten weniger Faktoren, die sich unter dem Schlagwort der auch schwerer, strategisch günstige Entschei- Ressourcen zur Verfügung stehen, um ihre „Bildungs(system)ferne“ zusammenfassen dungen für die Schullaufbahn ihrer Kinder Kinder zu unterstützen. Wenn Eltern selbst lassen: geringere subjektive Erfolgsaus- zu treffen und die Kinder auf einem höheren nur über eine geringe Schulbildung verfügen, sichten, geringeres Wissen über berufliche Bildungsweg beratend zu begleiten.32 Ähnlich haben sie zum Beispiel geringere Möglich- Chancen, geringere Kenntnisse über Optio- stellt sich die Lage bei Zuwanderern dar, die keiten, ihren Kindern bei den Hausaufgaben nen im Bildungssystem. in ihrem Herkunftsland zwar einen mittleren kompetent zu helfen.32 Und für Nachhilfe fehlt oder höheren Schulabschluss gemacht ha- oftmals das Geld. Will man Begabungsreserven heben, so ben, die aber über die Rahmenbedingungen muss man den Kindern und Jugendlichen des deutschen Schulsystems wenig wissen. Finanzielle Hürden können auch im Sozial- helfen, diese Hürden zu überwinden. Im In den Befragungen für die Pisa-Studie 2009 staat, in dem der Einzelne weitgehend gegen Idealfall sollte dies direkt vom Schulsystem geben etwa einige türkische Zuwanderer echte materielle Not abgesichert ist, einen geleistet werden. Die Pisa-Ergebnisse zur an, dass ihre Kinder ein Hochschulstudium großen Einfluss auf den Bildungsverlauf Bildungsgerechtigkeit in Deutschland wer- absolvieren sollen, obwohl die Kinder derzeit nehmen: Studien zur Kinderarmut zeigen, fen – trotz aller Verbesserungen seit 2001 die Hauptschule besuchen.27 In vielen Fällen dass insbesondere dauerhafte Armut die – allerdings erhebliche Zweifel daran auf, ist also ein Bewusstsein über die Wichtigkeit Entwicklungsmöglichkeiten der Kinder er- dass die Schulen dieser Anforderung derzeit von Bildung vorhanden, aber die Vertraut- heblich beeinträchtigt – auch im schulischen gerecht werden können. Was aber sind die heit mit den tatsächlichen Regelungen und Bereich.33 Es ist also davon auszugehen, dass Alternativen? Optionen fehlt. ein Teil der Begabungspotenziale aufgrund von finanziellen Problemen nicht ausge- schöpft wird. Denn die Entscheidung für einen längeren Schulbesuch und ein Hochschulstudium ist, etwa im Vergleich mit einer betrieblichen Ausbildung, zunächst mit Mehrkosten für Berlin-Institut 9
Begabte durch individuelle Förderung Der Schulbesuch stellt dagegen aufgrund der um Begabten trotz sozialer Benachteiligung aus der Reserve locken allgemeinen Schulpflicht erstens ein Muss für ein Studium zu ermöglichen, im Oberstufen- alle dar. Zweitens kann von einem Verdienst- bereich der Schule in ähnlicher Weise greifen Es gibt mittlerweile eine große Anzahl an ausfall zunächst keine Rede sein. Und drittens könnten. außerschulischen Akteuren, die sozial benach- handelt es sich bei den Bildungsteilnehmern teiligten Schülern zu größeren Bildungs- und um minderjährige Kinder und Jugendliche, für Allerdings wird die Entscheidung für oder Berufserfolgen verhelfen möchten. Dazu die die Erziehungsberechtigten verantwort- gegen das Abitur nicht erst kurz vor dem gehören Initiativen aus der Zivilgesellschaft, lich sind. Eintritt in die Oberstufe getroffen. Durch die etwa Mentorenprogramme wie „Rock your frühe Aufteilung in verschiedene Bildungsgän- life“34 oder „Agabey-Abla – Großer Bruder, Aber die Schulpflicht deckt nicht alle Etappen ge werden die Schüler in Deutschland bereits große Schwester“35, aber auch die vom Bund der schulischen Bildung ab. Bereits die Ober- in jungen Jahren in eine bestimmte Bahn finanzierten „Bildungslotsen“36. Viele der stufe, die zum Abitur führt, und nicht erst das gelenkt, die später oft nur noch schwer zu Programme richten sich an Hauptschüler, Studium, ist Teil eines freiwilligen Bildungs- verlassen ist.10 Geht es darum, durch eine in- einige auch an Abiturienten; „Arbeiterkind“37 wegs. Bei sozial Benachteiligten dürfte die dividuelle Förderung möglichst viele begabte beispielsweise möchte Kinder aus Nicht- Entscheidung für oder gegen das Abitur daher sozial Benachteiligte zum Abitur zu führen, ist Akademiker-Familien durch ein breites Infor- der Entscheidung für oder gegen ein Studium abzuwägen, in welchem Alter die Förderung mationsangebot zur Aufnahme eines Studiums ähneln. Entsprechend ist auch anzunehmen, ansetzen sollte; am Übergang zur Sekundar- ermutigen. dass Maßnahmen, die bereitgestellt werden, stufe II könnte es bereits zu spät sein. Im Rahmen dieses Discussion Papers können die vielfältigen Initiativen nicht alle gewürdigt Wie die soziale Herkunft den Bildungsweg beeinflusst werden. Hier liegt der Schwerpunkt auf An- sätzen, die erstens auf einen möglichst hohen Die Entscheidung für oder gegen einen längeren Schulbesuch beziehungsweise höheren Abschluss wird auf mehreren Wegen von der sozialen Herkunft beeinflusst. Nicht zuletzt wegen ihrer mangelnden Ausstattung Schulabschluss zielen und die sich zweitens mit Ressourcen wie Büchern oder einem PC fällt die Schulleistung bei benachteiligten Kindern im Allgemeinen die studentische Förderung zum Vorbild neh- schlechter aus. Lehrer empfehlen diesen Kindern daher seltener den Besuch eines Gymnasiums; die Kinder men. Die individuelle Unterstützung durch schätzen ihre Erfolgsaussichten aber selbst auch schlechter ein. Die Herkunft beeinflusst darüber hinaus, Leistungen nach dem Bundesausbildungsför- wie stark die Kosten eines längeren Bildungsweges ins Gewicht fallen und wie hoch die möglichen Erträge derungsgesetz (Bafög) und Stipendien gehört eingestuft werden. Somit hängt selbst bei gleicher Leistung die Entscheidung für oder gegen den Besuch eines Gymnasiums von der sozialen Herkunft ab. Finanzielle Förderung kann dazu beitragen, die Kosten eines im tertiären Bildungsbereich schon lange längeren Bildungswegs abzufedern; eine Berufsorientierung kann über die Erträge eines höheren Abschlusses zur gängigen Praxis, denn hier hat sich das informieren; zusätzliche Bildungsangebote und individuelle Betreuung und Beratung können die Schulleistung Bewusstsein durchgesetzt, dass es Begabten verbessern und die subjektive Erfolgswahrscheinlichkeit erhöhen. unabhängig von ihrem sozialen Hintergrund möglich sein sollte, ein Studium aufzunehmen. Modell für Bildungsentscheidungen in Abhängigkeit von der sozialen Herkunft finanzielle (Eigene, erweiterte Darstellung nach Förderung Berufsorientierung Dagegen scheint es bislang nicht zum etab- Maaz/Baumert/Trautwein 200926) lierten Meinungsbild zu gehören, dass auch im schulischen Bereich eine vergleichbare individuelle Unterstützung – das heißt: die Einschätzung Gewährung einer Förderleistung auf der Ressourcen der Kosten und möglichen Erträge Grundlage eines Einzelantrags – sinnvoll sein könnte. Dies mag an einer unterschiedlichen Erfolgserwartung, Wahrnehmung von Studium und Schulbesuch Beurteilung der liegen: Die Studierenden nehmen freiwillig Realisierungschancen einen um Jahre verzögerten Berufseintritt in Kauf und tragen als Erwachsene auch die Verantwortung für diese Bildungsentschei- zusätzliche dung. Dass sozial Benachteiligte nur dann schulische Bildungsangebote Bildungs- Leistung und Beratung entscheidung ein Studium aufnehmen können, wenn sie gefördert werden, erscheint nahe liegend. 10 Mehr Chancen für Schüler
Schülerstipendien – eine Einigen Stiftungen geht es darum, arme oder dabei gezielt, auch Haupt- oder Realschüler Bestandsaufnahme in anderer Weise benachteiligte Familien bei für diesen Abschluss zu gewinnen. Es gibt der Ausbildungsfinanzierung ihrer Kinder darüber hinaus auch erste Ansätze, sehr Es wird schnell klar, dass für Schüler weitaus zu entlasten. Sie kommen für Schulgeld, viel früher mit der ideellen Förderung zu weniger individuelle Fördermöglichkeiten Lernmaterial, Nachhilfe, Schulexkursionen, beginnen, um Kindern einen möglichst hohen bereitstehen als für Studierende: Bafög etwa Instrumente oder auch den allgemeinen Schulabschluss zu ermöglichen. Die Roland kann nur von Schülern beantragt werden, Lebensunterhalt auf. Berger Stiftung beispielsweise fördert Kin- die nicht mehr bei ihren Eltern leben.38 Der der bereits ab der ersten Klasse ideell, und Bund engagiert sich stark bei studentischen Mit so einer finanziellen Unterstützung lassen das Diesterweg-Stipendium richtet sich an Stipendien, indem er die zwölf bundesweit sich zwar die Kosten des schulischen Bil- Grundschüler am Übergang zur weiterführen- tätigen Begabtenförderungswerke mit finan- dungswegs abfedern, aber nicht die weiteren den Schule. ziellen Mitteln ausstattet. Zu den Förder- Hürden umgehen, die sich aus mangelndem werken zählen unter anderem die politischen Wissen über Chancen und Möglichkeiten oder Bei fast allen Programmen, die auf die Bega- und kirchlichen Stiftungen, aber auch die aus fehlendem Selbstvertrauen ergeben. Mit bungsreserven abzielen, erfahren die Schüler Studienstiftung des Deutschen Volkes oder einer rein finanziellen Unterstützung dürften neben der ideellen Förderung auch eine die Stiftung der deutschen Wirtschaft.39 daher vor allem Schüler zu einem hohen finanzielle Unterstützung. Sie dürfen sich Zusätzliche finanzielle Mittel werden für das Schulabschluss gelangen, die einerseits zwar beispielsweise ein Laptop oder Fachbücher 2010 neu geschaffene „Deutschlandstipendi- bedürftig sind, die andererseits ihren Weg kaufen oder können Kursgebühren für zusätz- um“ bereitgestellt; hier wird die Hälfte eines im Bildungssystem aber – eventuell unter liche Bildungsangebote davon bezahlen. Stipendiums vom Bund und die andere von Mithilfe engagierter Eltern oder Lehrer – ge- privaten Geldgebern finanziert.40 funden haben. Ungemein schwieriger ist es, Die Art der Förderleistung – rein finanziell, Schüler zum Abitur zu führen, die nicht allein rein ideell oder eine Mischform aus beidem Eine derartige vom Bund geförderte von ihrer finanziellen Lage zurückgehalten – gibt einen Hinweis darauf, wie die Auswahl Stiftungslandschaft ist für Schüler nicht werden. der Stipendiaten von den jeweiligen Program- vorhanden, was auch daran liegt, dass die men getroffen wird. Geht es allein um die Schulbildung Ländersache ist. Doch auch auf Zu diesem Zweck wurden in den letzten Jah- finanzielle Förderung eines Schülers, stellt Länderebene gibt es keine vergleichbaren, ren von einigen Stiftungen Programme ein- Bedürftigkeit meist das Hauptkriterium dar. von der öffentlichen Hand getragenen Stipen- geführt, bei denen die ideelle Förderung eine Dies gilt beispielsweise für die Förderpro- dienprogramme für Schüler. zentrale Stellung einnimmt. In Seminaren gramme, die sich an Waisenkinder richten. und Workshops können die Schüler Schlüs- Neben der Bedürftigkeit wird allerdings in Neben den zwölf Begabtenförderungswerken selkompetenzen wie Zeitmanagement oder den meisten Fällen auch eine gewisse Leis- gibt es für Studierende eine Vielzahl an Stif- Lern- und Arbeitstechniken erwerben und tungsbereitschaft vorausgesetzt. Begabung tungen, die Stipendien aus eigenen finanziel- Orientierung in Bildungsfragen erhalten. Sie und Motivation stehen dagegen stärker len Mitteln anbieten und die damit das staat- dürfen an Exkursionen teilnehmen, und teil- im Vordergrund, wenn es um die ideelle lich finanzierte Angebot ergänzen.41 Bei Schü- weise stehen ihnen auch Mentoren zur Seite. Förderung geht. Beides sollte sich in guten lerstipendien kommt den Stiftungen dagegen Derartige ideelle Förderprogramme beziehen Schulnoten und/oder Empfehlungsschreiben nicht nur eine ergänzende Rolle zu – sie sind ein Stück weit auch immer die Eltern mit ein, von Lehrern widerspiegeln – wobei die Schul- in diesem Bereich Vorreiter und Hauptakteur, die in der Regel über keinen akademischen noten nicht immer überragend sein müssen, das heißt sie bestreiten die existierenden Hintergrund verfügen. Diese können ihre etwa wenn schwierige familiäre Verhältnisse Schülerstipendienprogramme allein oder Kinder beispielsweise zum festlichen Auftakt vorliegen. Darüber hinaus wird bei den Aus- initiieren Kooperationen mit Landesministe- des Stipendiatendaseins begleiten oder an wahlkriterien dem sozialen Engagement der rien, Vereinen, Unternehmen, Wirtschaftsver- Informationsveranstaltungen teilnehmen. Schüler sehr viel Bedeutung beigemessen. bänden oder auch Privatpersonen. Die Profile Die meisten ideellen Programme richten sich der einzelnen Schülerstipendienprogramme an Schüler der Mittel- und Oberstufe. Je älter unterscheiden sich dabei zum Teil beträcht- die Zielgruppe ist, desto eher geht es bereits lich. Je nach Zielsetzung variieren die Aus- um den Übergang zwischen Schule und wahlkriterien, die praktische Umsetzung und Studium. Bei jüngeren Schülern steht dage- auch die Förderleistungen. gen erst noch das Bildungsziel „Abitur“ im Vordergrund. Einige Programme versuchen Berlin-Institut 11
Flickwerk statt Flächendeckung Ähnlich beschränkt ist der Zugang bei För- Nun zu den ideellen Stipendienprogrammen. derprogrammen, die einen ganz bestimmten Als größere Initiativen, bei denen auch eine Es gibt also durchaus eine ganze Palette an beruflichen Hintergrund von mindestens finanzielle Förderung vorgesehen bezie- Schülerstipendien. Doch reicht das Angebot einem Elternteil voraussetzen. Zwei Beispie- hungsweise möglich ist, sind die Programme aus? Die Suche in gängigen Stipendien- le: Die August-Schmidt-Stiftung wendet sich „Chance2“, „grips gewinnt“, die Roland Berger Datenbanken, etwa beim Bundesministe- an Waisen verunglückter Arbeitnehmer aus Schülerstipendien „Fair Talent“ und „Fit für rium für Bildung und Forschung42 oder bei Bergbau, Energie und Chemie, während die Verantwortung“, „Start – Das Stipendien- E-Fellows43, liefert zunächst erfreulich viele Emilie-Porzersche Stiftung bedürftige bayeri- programm für engagierte Schülerinnen und Treffer. Allerdings verbergen sich hinter sche Beamtentöchter fördert. Schüler mit Migrationshintergrund“, „Talent einem Großteil von ihnen lediglich Finanzie- im Land – Schülerstipendien für begabte rungsmöglichkeiten für ein zeitlich begrenz- Neben diesen kleineren, in Bezug auf die Zuwanderer“ sowie das „Diesterweg-Stipen- tes Vorhaben wie etwa ein Austauschjahr. Zielgruppe äußerst beschränkten Stipendien- dium für Kinder und ihre Eltern“ zu nennen. Derartige Programme sollen hier nicht weiter vergebern finden sich kaum größere Akteure, Letzteres stellt eine Besonderheit dar, da es beachtet werden. Im Vordergrund steht die bei denen Schüler sich um eine finanzielle sich nicht als Schülerstipendium, sondern dauerhafte Förderung eines Schülers in sei- Förderung bewerben können. Bedürftige als Bildungsstipendium für die ganze Familie nem normalen schulischen Umfeld, wobei die Schüler mit Wohnsitz in Bayern können sich versteht. Mit dem „Studienkompass“ gibt es Bestandsaufnahme in zwei Schritten erfolgt: an die Gustav-Schickedanz-Stiftung wenden, des Weiteren noch ein Programm, das sich Erst werden die finanziellen, dann die ide- die 70 Plätze pro Jahr vergibt. Hinzu kommen auf die ideelle Förderung beschränkt. ellen Förderprogramme betrachtet. Details mit dem Kölner Gymnasial- und Stiftungs- zu den Programmen finden sich im Anhang. fonds und dem Reemtsma Begabtenför- Die Namen lassen bereits erkennen, dass Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass derungswerk zwei Stipendienanbieter, bei zwei der Programme auf eine ganz bestimm- weitere Schülerstipendienprogramme exis- denen sich Schüler aus der ganzen Republik te Untergruppe der sozial benachteiligten tieren – diese sind dann aber weder in den bewerben können. Zusammengenommen Schüler zugeschnitten sind, nämlich auf genannten Datenbanken noch durch einschlä- vergeben sie jährlich etwa 80 Stipendien. diejenigen mit Migrationshintergrund. Die gige Suchbegriffe im Internet zu finden. anderen Programme fassen ihre Zielgruppe weiter und wenden sich auch an Kinder aus Bei den finanziellen Förderprogrammen zeigt sich, dass sie meist nur einem äußerst eng begrenzten Personenkreis zugutekommen. Regionale Ausdehnung Neuzugänge pro Jahr (Trend) Dies ist vor allem bei Stipendien der Fall, die von sehr kleinen Stiftungen ermöglicht und Chance2 Duisburg, Essen und umliegende 25 auf städtischer beziehungsweise kommuna- Städte ler Ebene verwaltet werden. Insbesondere in Diesterweg- Frankfurt am Main 32 alle zwei Jahre Bayern findet sich eine ganze Reihe derarti- Stipendium ger Zusammenschlüsse von Stiftungen und grips gewinnt Bremen, Hamburg, 50 Stadtverwaltungen, bei denen ausschließlich Mecklenburg-Vorpommern einheimische Schüler (und teilweise auch Studierende) eine finanzielle Förderung Roland Berger Hessen, Sachsen, Thüringen frei werdende Plätze beantragen können. Schülerstipendium werden neu belegt Fair Talent (Gesamtkapazität: 150) Roland Berger Baden-Württemberg, frei werdende Plätze Angebote für ideelle Förderung Schülerstipendium Bayern, Berlin, Brandenburg, werden neu belegt Die Zugangsmöglichkeiten zu ideellen Förderpro- Fit für Verantwortung Nordrhein-Westfalen (Gesamtkapazität: 210) grammen sind sowohl regional als auch aufgrund Start-Stipendien Alle Bundesländer außer Baden- knapp 200 der Teilnehmerzahlen beschränkt. Zu beachten Württemberg und Bayern ist, dass die Gesamtzahl der geförderten Schüler höher liegt als die Zahl der Neuzugänge, wenn Studienkompass 23 Regionen in Deutschland knapp 500 mehrere Stipendiaten-Jahrgänge gleichzeitig betreut werden. Talent im Land Baden-Württemberg, Bayern 100 12 Mehr Chancen für Schüler
Nicht-Akademiker-Familien oder an bedürf- die Diskrepanz zwischen Bewerber- und beiter. Darüber hinaus räumen die Schüler tige Schüler. Dennoch ist fraglich, für wie Teilnehmerzahlen verweist auf den Mangel an dem Austausch mit den Mit-Stipendiaten viele sozial Benachteiligte die Programme Schülerstipendien. Dieser Mangel wird auch und Alumni einen hohen Stellenwert ein. Die tatsächlich zugänglich sind. Das liegt auch in einem anderen Vergleich offensichtlich: finanzielle Unterstützung, die bei „Talent im daran, dass die ideellen Förderangebote an Die genannten acht ideellen Förderprogram- Land“ und beim Start-Stipendienprogramm konkrete Orte gebunden und damit regional me zusammen schreiben weniger als 1.000 hinzukommt, wird gegenüber der ideellen beschränkt sind. Die größte Ausdehnung neue Stipendienplätze pro Jahr aus – dem Förderung zwar als zweitrangig erachtet. erreicht die Start-Stiftung, die in vierzehn steht, wie weiter oben diskutiert wurde, Aber sie wird dennoch wertgeschätzt, ins- Bundesländern vertreten ist. eine geschätzte Begabungsreserve von etwa besondere wenn es um Ausgaben für eine 40.000 Kindern pro Jahrgang gegenüber. grundlegende „Bildungsinfrastruktur“, etwa Eine flächenmäßig breite Ausrichtung ist eine PC-Ausrüstung, geht. Dass die Teilnahme jedoch noch kein Garant für große Aufnahme- Hinzu kommt, dass es sich bei den Schüler- für den Einzelnen einen persönlichen Gewinn kapazitäten. Zwar betreut die Start-Stiftung stipendienprogrammen um Projekte handelt, bedeutet, steht somit außer Frage. pro Jahr insgesamt rund 700 Stipendiaten die zunächst nur auf Zeit finanziert sind. Wie in 14 Bundesländern; diese stammen jedoch es mit ihnen in Zukunft weitergeht, ist noch Doch wie steht es mit dem erklärten Ziel, Kin- aus mehreren Jahrgängen, da die Schüler offen, auch wenn von den Stiftungen bereits der und Jugendliche aus den Begabungsre- drei bis vier Jahre lang gefördert werden. Neu Konzepte zur Skalierung und Fortführung serven für einen höheren Bildungsabschluss aufnehmen kann die Start-Stiftung pro Jahr erarbeitet werden. zu gewinnen? Zwei Teilfragen müssen hier nur 200 Stipendiaten – das sind im Schnitt separat beantwortet werden: Erstens, lassen nicht einmal 15 Schüler pro teilnehmendem sich die Schüler auf das erklärte Bildungsziel Bundesland. Lob und Kritik ein? Und zweitens, erreichen die Programme die Zielgruppe? Auch bei den meisten anderen ideellen Allem Anschein nach stehen in Deutschland Stipendienprogrammen fällt das jährliche zu wenig Schülerstipendien zur Verfügung. Die erste Frage wird in den Evaluationen im Kontingent an Stipendien nicht großzügi- Bevor nun allerdings der Ruf nach einem Aus- Wesentlichen bejaht. Bei „Talent im Land“ ger aus. Ein benachteiligter, aber begabter bau der Stipendienprogramme ertönt, muss etwa wechselte ein beträchtlicher Anteil der Jugendlicher hat insgesamt also geringe zunächst die Frage gestellt werden, ob die Stipendiaten während der Förderung auf eine Aussichten, von einem Stipendienprogramm ideellen Förderprogramme denn überhaupt Schulform, an der das Abitur gemacht wer- zu profitieren. Für einen sozial benachteilig- ihre Ziele erreichen. den kann. Beim Start-Stipendienprogramm ten Schüler ohne Migrationshintergrund aus erlangten 97 Prozent der Stipendiaten das dem Saarland oder aus Schleswig-Holstein Zur Beantwortung der Frage können unab- Abitur. Und beim Studienkompass lag die ist die Chance sogar gleich null, weil es hier hängige Evaluationen herangezogen werden, Brutto-Studier-Quote, das heißt die Quote kein passendes Stipendienprogramm gibt. da die Stiftungen ihre Programme wissen- derer, die möglichst bald nach dem Abitur Zwar ist die Start-Stiftung in beiden Bundes- schaftlich begleiten lassen, um Verbesse- studiert beziehungsweise studieren will, bei ländern aktiv – aber sie nimmt nur Bewerber rungsmöglichkeiten aufzudecken und Erfolge 93 Prozent. mit Migrationshintergrund auf. Von einem glaubwürdig kommunizieren zu können. flächendeckenden, allgemein zugänglichen Beispielhaft sollen hier die Evaluationen Die Antwort auf die zweite Frage zur Ziel- Angebot an Fördermöglichkeiten für Schüler für „Talent im Land Baden-Württemberg“44, gruppe fällt dagegen gemischt aus. Der kann derzeit nicht die Rede sein – auch wenn das Start-Stipendienprogramm45 und den Studienkompass nahm im Förderjahr 2009 es erste, lobenswerte Ansätze gibt. Studienkompass46 vorgestellt werden. zu über 90 Prozent Teilnehmer aus Nicht- Akademiker-Haushalten auf und erreichte Bei allen Programmen lagen die Bewerber- Die Stipendiaten äußern sich insgesamt sehr damit seine Zielgruppe in hohem Maße. Bei zahlen nach Auskunft der Stiftungen deutlich positiv über die Programme. Sie betonen den beiden anderen Programmen war der über den Teilnehmerzahlen. Bei „Talent im dabei insbesondere den Wert der ideellen Anteil an Stipendiaten aus Elternhäusern mit Land“ beispielsweise bewerben sich pro Förderung, die ihnen Orientierung, Wissens- niedrigem Bildungsstand deutlich geringer – Jahr etwa sieben Mal so viele Schüler wie vorteile aber auch Kompetenzerweiterung beim Start-Stipendienprogramm lag er zum aufgenommen werden können. Schon allein bietet. Als wichtig erweist sich neben Kursen und Workshops vor allem auch die persön- liche Betreuung durch die Programm-Mitar- Berlin-Institut 13
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