ENERGIEWENDE-INDEX DEUTSCHLAND 2020+ - NEUER KOMPASS FÜR DIE WENDE - MCKINSEY
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ENERGIEPOLITIK Energiewende-Index Deutschland 2020+ – Neuer Kompass für die Wende Thomas Vahlenkamp, Ingmar Ritzenhofen, Gerke Gersema und Julia Kropeit Hält die Energiewende, was sie einst versprochen hat? Fünf Jahre nach der ersten Index-Erhebung fällt die Bilanz gemischt aus: Während zentrale Ziele wie die Reduktion der CO2-Emissionen nicht erreicht werden, fehlt es für wichtige neue Aufga- ben an verbindlichen Zielmarken – etwa zur Dekarbonisierung des Wärme- und Verkehrssektors oder zum Zusammenspiel von zentraler und dezentraler Versorgung. Der Energiewende-Index adressiert diese Zukunftsthemen mit neuen Indikatoren und Berechnungsgrundlagen. Jetzt ist es an der kommenden Bundesregierung, die richtigen Weichen zu stellen, damit die Energiewende zur Erfolgsgeschichte wird. Die Formulierung weniger, konsistenter und klarer Ziele steht dabei an erster Stelle. Die Energiewende zählt nach wie vor zu den größten wirtschaftlichen und ökologi- schen Projekten unseres Landes. Ihr Erfolg bildet die entscheidende Voraussetzung, um Deutschlands Beitrag zum Klimaschutz zu gewährleisten und gleichzeitig unsere wirtschaftliche Entwicklung positiv fortzu- schreiben. Seit 2012 verfolgt McKinsey den Fortschritt der Energiewende halbjährlich in einem eigens entwickelten Index und bewertet ihn anhand von 15 Indikatoren in den Dimensionen Klima- und Umwelt- schutz, Versorgungssicherheit und Wirt- schaftlichkeit. Dieses Zieldreieck hat bis heute Bestand. Doch die Herausforderungen in den ein- zelnen Dimensionen sind nach fünf Jahren technologischer und rahmenpolitischer Wei- terentwicklung andere geworden: Eine sub- stanzielle weitere Senkung des CO2e –Aussto- Mit einer bloßen Fortsetzung der bisherigen „Fahrt auf Sicht“ in der Energiewende wird Deutsch- land der Größe der anstehenden Aufgabe nicht gerecht Foto: oporkka | Fotolia ßes kann nur durch höhere Energieeffizienz und sektorübergreifende Optimierungen erreicht werden. Die Versorgungssicherheit Kernherausforderungen der Energiewende hend von CO2e-Emissionen entkoppelt ist. wird zunehmend beeinflusst durch das Ne- innerhalb des bekannten Zieldreiecks Kli- Damit rückt die Transformation des Ver- beneinander von dezentralen und zentralen maschutz, Versorgungssicherheit und Wirt- kehrs- und Wärmesektors in den Fokus: Systemen, die durch integrierte Steuerung schaftlichkeit. Politik und Unternehmen wer- Neben effizienzsteigernden Maßnahmen aufeinander abzustimmen sind. Und in der den hierbei in den kommenden Jahren noch wie verbesserter Wärmedämmung kommt dritten Zieldimension, bei der Wirtschaft- einmal vor ganz neue Aufgaben gestellt. dem Ersatz fossiler Brennstoffe wie Öl und lichkeit, dreht sich die Kostenspirale bis weit Gas wachsende Bedeutung zu. Eine stärkere ins nächste Jahrzehnt hinein unvermindert Dekarbonisierung Elektrifizierung beider Sektoren, auch Sek- weiter – was neben neuen Wegen der Aus- torkopplung genannt, wird unausweichlich gabensteuerung nun auch verstärkt die Fra- Die Reduktion der CO2e -Emissionen bleibt und ist erfolgskritisch für das Projekt Ener- ge der Kostenverteilung in den Mittelpunkt auch über 2020 hinaus das zentrale Ziel giewende. rückt. im Bereich Umwelt- und Klimaschutz. Den Themen Energieeffizienz und Ausbau der Emissionssenkend wirkt die Elektrifizie- Die Schlüsselthemen der erneuerbare Energien kommen hierbei rung allerdings nur, wenn der verwendete kommenden Jahre Schlüsselrollen zu. Eine weitere substan- Strom auch umweltfreundlich produziert zielle Dekarbonisierung kann nur gelingen, wird. Seit 2012 hat sich hier viel getan: Dekarbonisierung, Dezentralisierung, Kos- wenn über alle Sektoren hinweg weniger Wurden noch vor fünf Jahren Wind- und tenverteilung – das sind die künftigen Energie verbraucht wird und diese weitge- Solarstrom weitgehend unabhängig von- 26 ENERGIEWIRTSCHAFTLICHE TAGESFRAGEN 67. Jg. (2017) Heft 10
ENERGIEPOLITIK einander betrachtet, geht der Trend inzwi- Zusätzlich zum innerdeutschen Netzausbau zeuge bis 2020 wurde von Bundeskanzlerin schen zu technologieneutralen Lösungen. wird zudem eine weitere europäische Inte- Angela Merkel inzwischen relativiert. Das Viele Gründe sprechen heute dafür, Energie gration der nationalen Stromnetze durch Autoland Deutschland benötigt aber klare technologieübergreifend zu fördern und ge- grenzübergreifende Verbindungen, sog. Ziele für die zukunftsweisende Transforma- zielt diejenigen Erneuerbaren auszubauen, Interkonnektoren, angestrebt. Diese sollen tion seines Verkehrssektors. die für den jeweiligen Standort am vorteil- bei starken Nachfrage-Erzeugungs-Gefällen haftesten sind – sowohl in wirtschaftlicher – z. B. an besonders windstillen Tagen in Ähnlich ist die Situation im Wärmesektor: Hinsicht als auch was ihr Erzeugungsprofil bestimmten Teilen Europas – den nötigen Noch wird überwiegend mit fossilen Ener- betrifft. Erste Windanlagenanbieter offerie- Ausgleich zwischen den Ländern schaffen. gieträgern wie Öl und Gas geheizt. Künftig ren bereits hybride Lösungen, bei der Wind- Das optimale Verhältnis zwischen länderü- werden jedoch die Erneuerbaren auch hier kraft und Photovoltaik an einem Standort bergreifendem und lokalem Netzausbau ei- vermehrt zum Einsatz kommen, verspricht und mitunter sogar an einem Umspannwerk nerseits und Flexibilitätsbereitstellung (etwa das Bundesministerium für Wirtschaft und kombiniert genutzt werden. Da sich Wind durch Batterien) andererseits wird in den Energie. Auch wenn es hierzu teilweise be- und Sonnenschein häufig abwechseln, kann kommenden Jahren noch ausgelotet werden reits Ziele gibt, finden sich diese noch nicht so ein stabileres Erzeugungsprofil entste- müssen. in einem klaren Zielekanon gebündelt oder hen. Ähnliche Effekte lassen sich durch sind nicht immer eindeutig und ganzheitlich kombinierte Speicherung erzielen. Die Bei- Kostenverteilung messbar. Dazu zählen etwa die Erhöhung spiele zeigen, dass der Übergang zu techno- der Sanierungsquote und die Reduktion des logieneutraler Förderung dringend auf die Das aktuell hohe Kostenniveau in der Strom- Wärmebedarfs von Gebäuden. politische Agenda gehört. versorgung resultiert größtenteils aus Ent- scheidungen der Vergangenheit und wird Index-Reform 2017: Dezentralisierung noch bis weit in die 2020er Jahre hinein Neue Kennzahlen für die abzutragen sein. Damit nicht genug: Wie Energiewelt von morgen Eine hohe Versorgungssicherheit bleibt im letzten Index-Bericht (et 3/2017, S. 25ff.) auch im Zuge der Energiewende oberstes dargelegt, ist ein weiterer Ausgabenanstieg Um die neuen Herausforderungen ange- Gebot. Doch die Methoden, sie herzustellen, unausweichlich. Die Hauptkostenquelle ver- messen abzubilden, wurde der Energiewen- wandeln sich. Der Einsatz von Wind- und schiebt sich dabei von der Förderung der de-Index jetzt methodisch angepasst und Solarstrom – ob zentral oder dezentral er- Erneuerbaren auf den Ausbau und die Steu- um wichtige Indikatoren ergänzt – auch zeugt – macht einen grundlegenden Um- erung der Netze. Eine Kernherausforderung in Bereichen, für die von politischer Seite bau der Netzinfrastruktur und -steuerung der kommenden Jahre wird es daher sein, noch keine konkreten Ziele formuliert sind. erforderlich. Bevor diese Transformation neben Maßnahmen zur Ausgabensenkung Hauptzweck der Anpassungen ist es, den In- nicht abgeschlossen ist, werden sich teure eine angemessene Verteilung dieser Kosten dex mit Blick auf die gegenwärtigen Trends Netzeingriffe mehren – zunehmend auch im zu erreichen. noch aussagekräftiger zu machen und so Verteilnetz, wo es (u. a. infolge von Engpäs- den Fortschritt der Energiewende über die sen im Übertragungsnetz) zu verstärktem Ziele verschieben sich kommende Legislaturperiode hinweg besser Einspeisemanagement kommt und bidirek- verfolgen zu können. Denn gerade in den tionale Stromflüsse immer komplexere Opti- Drei zentrale Ziele der Energiewende, die nächsten Jahren werden wichtige Weichen- mierungsarbeit erfordern. im bestehenden Index abgebildet sind, gel- stellungen anstehen. ten seit Jahren als unrealistisch. Neben dem Um die Netzstabilität aufrechtzuerhalten bereits thematisierten CO2e -Ausstoß zählen Was hat sich am Index konkret geändert? und zugleich Kosten zu senken, bedarf es dazu die EEG-Umlage und der Primärener- Insgesamt wurden drei Kennzahlen ersetzt, neuer Formen der Steuerung. Ein möglicher gieverbrauch (Stichwort Energieeffizienz). deren Ziele bereits erfüllt sind oder für die Ansatz wäre die Schaffung dezentraler Me- Gleichzeitig fehlt es an anderer Stelle an es mittlerweile passendere Messgrößen chanismen, die bereits auf lokaler Ebene ei- klaren und messbaren Zielformulierungen gibt: Ausbau Offshore-Wind, Ausbau Solar/ nen Ausgleich schaffen. Dazu fehlt es aller- – insbesondere dort, wo durch technologi- Photovoltaik (PV) sowie die Anbindung der dings noch an verbindlichen Systemen und sche Entwicklungen oder veränderte Rah- Offshore-Windparks. An ihre Stelle treten der nötigen Koordination mit der weiterhin menbedingungen neue Herausforderungen drei neue Indikatoren, die aktuelle Schlüs- erforderlichen zentralen Erzeugung. Erste entstanden sind. Zu nennen ist hier vor al- selthemen der Energiewende abbilden: Praxistests hierzu laufen bereits im bundes- lem die zunehmende Elektrifizierung des Stromerzeugung aus Erneuerbaren, Inter- weiten Förderprogramm SINTEG (Schau- Verkehrs- und Wärmesektors (Stichwort konnektorkapazität und Sektorkopplung. fenster intelligente Energie). Entscheidend Sektorkopplung). wird allerdings sein, ob die Projekte ihren Stromerzeugung aus Erneuerbaren Anspruch, skalierbare Musterlösungen für Prominentes Beispiel ist die noch schlep- eine umweltverträgliche und zugleich wirt- pende Umgestaltung des Verkehrssektors Die Ausbauziele für Offshore-Wind- und schaftliche Energieversorgung zu entwi- in Richtung Elektromobilität: Das einst de- Solar-PV-Anlagen werden durch das ge- ckeln, auch einlösen. klarierte Ziel von einer Million Elektrofahr- meinsame Ziel „Stromerzeugung aus Erneu- ENERGIEWIRTSCHAFTLICHE TAGESFRAGEN 67. Jg. (2017) Heft 10 27
ENERGIEPOLITIK erbaren“ ersetzt. Der neue Indikator steht greifende Verknüpfung von Stromnetzen lediglich qualitativ bewertet. Bei geeigne- für den Trend, dass erneuerbare Energien ein nützliches Werkzeug, um Versorgungs- tem Datenstand könnte bereits zur nächsten zunehmend miteinander im Wettbewerb ste- sicherheit zu gewährleisten. Interkonnekto- Veröffentlichung im Frühjahr 2018 ein neu- hen und Technologieneutralität bei Förde- ren gelten hier aktuell als Mittel der Wahl er Indikator z. B. zur „Energieeffizienzstra- rungen und Ausschreibungen zur wichtigen und finden folglich auch Eingang in den tegie Gebäude“ in den Energiewende-Index Vorbedingung wird, um eine möglichst kos- Energiewende-Index. aufgenommen werden. tengünstige emissionsfreie Energieversor- gung in Deutschland zu gewährleisten. Mit Allerdings könnten sich durch weitere De- Neben der Einführung neuer Indikatoren der neuen Kennzahl lässt sich außerdem zentralisierungen bald neue Möglichkeiten wurde die Index-Umstellung für weitere die tatsächliche wetterbedingte Stromein- der Balance zwischen dezentraler und zen- Aktualisierungen genutzt. Einzelne Kenn- speisung aus erneuerbaren Energiequellen traler Steuerung, Erzeugung und Verbrauch zahlen haben neue und aussagekräftigere abbilden statt wie zuvor nur die theoretisch finden. Insbesondere die schnelle Verbrei- Datenquellen und Berechnungsgrundlagen verfügbare Kapazität. tung von Batterien oder anderen dezentralen erhalten, um sie den aktuellen Fokusver- Speichern könnte diese Balance verändern. schiebungen in der Energiewendediskus- Interkonnektorkapazität Die Interkonnektorkapazität bleibt daher als sion anzupassen. Bei der Berechnung der Indikator so lange bestehen, wie sie die flä- Kosten für Netzeingriffe, z. B., wird das Anstelle der bisherigen Kennzahl zur An- chendeckende Stromversorgung als zentrale inzwischen größere Repertoire an verfüg- bindung von Offshore-Windparks, deren Stellgröße wesentlich beeinflusst. baren Eingriffsmaßnahmen berücksichtigt: Zielmarke seit 2015 erreicht ist, tritt der Die Analysen schließen jetzt auch das Ein- neue Indikator Interkonnektorkapazität. Er Sektorkopplung speisemanagement und die Vorhaltung von bildet die Integration Deutschlands in das Reservekraftwerken mit ein. Und für den europäische Stromnetz ab. Der Indikator Für den Bereich Sektorkopplung, der den Indikator Netzausbau werden nicht mehr misst die Kapazität der Hochspannungs- Einsatz von Strom aus Erneuerbaren in nur die Fortschritte bei den Bauvorhaben leitungen zwischen Deutschland und den anderen Sektoren wie Verkehr oder Wär- gemessen, die auf dem Energieleitungs- Nachbarstaaten und vergleicht sie mit der meerzeugung vorantreiben soll, sind bis- ausbaugesetz (EnLAG) aus dem Jahr 2009 installierten Erzeugungsleistung. Für das lang keine spezifischen, mess- und nach- basieren, sondern auch die neuere Ausbau- Verhältnis beider Werte gibt die Europä- vollziehbaren Ziele formuliert, die einen planung nach dem Bundesbedarfsplange- ische Union klare Ziele vor: Danach sind genauen Einblick in die Transformation setz (BBPlG) von 2015, deren Anteil an den bis 2020 so viele Interkonnektoren zu er- der Sektoren ermöglichen. Dennoch ist das noch zu bauenden Netzkilometern in den richten, dass rund 10 % der installierten Thema zu wichtig, um es in der Gesamtbe- nächsten Jahren stark zunehmen wird. Erzeugungskapazität über die Landesgren- trachtung der Energiewende außer Acht zu zen transportiert werden können. In Zeiten lassen. Daher wird die Sektorkopplung als Die Indikatoren im Überblick – immer stärker fluktuierender lokaler Erzeu- Indikator zunächst ohne konkreten Zielwert nur 5 von 14 im Zielkorridor gung aus Erneuerbaren ist die länderüber- in den Index eingeführt und ihr Fortschritt Von den verbliebenen 14 Kennzahlen im reformierten Energiewende-Index (vormals 15) haben sich vier gegenüber der letzten Erhebung im Frühjahr 2017 verändert – drei davon in positive Richtung. Zusätzlich wurden vier Indikatoren neu berechnet. Insgesamt werden fünf Indikatoren in ihrer Zielerreichung als „realistisch“ eingestuft, für acht ist die Zielerreichung „unrealis- tisch“. Eine Kennzahl fällt in die Kategorie „leichter Anpassungsbedarf“. Der Indikator Sektorkopplung, für den bislang kein Ziel formuliert ist, bleibt vorerst ohne Kategorie- zuordnung. Für sechs Indikatoren lagen zum Zeitpunkt der Indizierung noch keine neuen Daten vor: Die Zahl der Stromausfälle lag bei der letzten Erhebung in ihrer Zielerreichung 112 % über Plan und verbleibt damit in der Abb. 1 Wirtschaftlichkeit, Wertung H2 2016 und H1 2017 Kategorie „realistisch“. Gleiches gilt für die Arbeitsplätze in erneuerbare Energien mit 28 ENERGIEWIRTSCHAFTLICHE TAGESFRAGEN 67. Jg. (2017) Heft 10
ENERGIEPOLITIK einem Zielwert von zuletzt 102 %.Weiter- hin „unrealistisch“ in ihrer Zielerreichung verbleiben die EEG-Umlage (3 %), der CO2e- Ausstoß (zuletzt 44 %), der Primärenergie- verbrauch (46 %) und der Stromverbrauch (54 %). Veränderung bei Indikatoren mit „realistischer“ Zielerreichung ■■ Wieder mehr Arbeitsplätze in stromin- tensiven Industrien: Nach vorübergehendem Rückgang ist die Zahl der Arbeitsplätze zwi- schen März und Dezember 2016 wieder um rund 9.000 Stellen gestiegen. Die Zielerrei- chung verbessert sich von 116 % auf 119 % und übertrifft damit den ursprünglichen Zielwert von 1,27 Mio. Beschäftigten – ge- messen am Ausgangsjahr 2008 – weiterhin deutlich (Abb. 1). Abb. 2 Versorgungssicherheit, Wertung H2 2016 und H1 2017 ■■ Erneuter Anstieg der gesicherten Reser- vemarge: Die Zielerreichung für Kapazitäts- reserven in deutschen Kraftwerken steigt Status der neuen und genüber dem Startpunkt im Jahr 2010 auf weiter von 292 % auf jetzt 323 %. Nach der angepassten Indikatoren einen Zielerreichungswert von 143 % und bereits 2016 angepassten Kalkulation liegt ist somit als „realistisch“ einzuschätzen die gesicherte Reservemarge damit nun bei ■■ Stromerzeugung aus Erneuerbaren über (Abb. 3). 4,2 % (Abb. 2). Plan: Der anstelle von Offshore-Wind- und ■■ Interkonnektorkapazität rückläufig: Solar-PV-Ausbau neu eingeführte Indikator Deutschlands grenzüberschreitende Strom- Veränderung bei Indikatoren mit misst den Anteil der Einspeisung von Er- übertragungskapazität liegt aktuell bei ca. „unrealistischer“ Zielerreichung neuerbaren am Bruttostromverbrauch. Der 7 % der installierten Erzeugungsleistung. Zielwert folgt den Vorgaben der Bundesre- 2014 lag der Indikator, der rechnerisch ■■ Weiter anziehende Haushaltsstromprei- gierung von 2010 und liegt demnach für das nicht zwischen den verschiedenen Erzeu- se: Während die hiesigen Strompreise erneut Jahr 2020 bei 35 %. Da dieser Anteil aktuell gungstechnologien differenziert, mit 10 % um rund 1,4 % auf 30,8 ct/kWh angestie- bereits erzielt ist, kommt der Indikator ge- noch genau im Zielkorridor. Doch durch gen sind, kostet der Strom in den übrigen europäischen Ländern im Schnitt nur noch 20,5 ct/kWh – eine zusätzliche Entlastung um 0,5 % für die Haushalte. Der Indikator sinkt damit in seiner Zielerreichung von 15 % auf nunmehr 3,6 %. Der Preisabstand zum europäischen Durchschnitt hat sich da- mit seit Beginn der Index-Erhebung nahezu verdoppelt. ■■ Industriestrompreise erneut gesunken: Die Stromkostenentwicklung für Industrie- kunden erfuhr erneut eine relative Verbes- serung. Mit 5,5 % fiel der Preisrückgang in Deutschland sehr viel deutlicher aus als im Rest Europas, wo die Preise nur um 2,4 % sanken. Das hiesige aktuelle Preisniveau von 9,65 ct/kWh liegt damit nur noch 13,4 % über dem europäischen Durchschnitt. Der Indikator verbessert dadurch seine Zieler- reichung von -2 % auf 42 %, verbleibt aber mit Blick auf 2020 weiterhin in der Katego- Abb. 3 Umwelt- und Klimaschutz, Wertung H2 2016 und H1 2017 rie „unrealistisch“. ENERGIEWIRTSCHAFTLICHE TAGESFRAGEN 67. Jg. (2017) Heft 10 29
ENERGIEPOLITIK den Zubau erneuerbarer Erzeugung und wort E-Auto-Quote), bleiben die Fortschritte Sicher ist: Mit einer bloßen Fortsetzung der teils geringerer Verfügbarkeit von Inter- in diesem Bereich überschaubar. Der Anteil bisherigen „Fahrt auf Sicht“ wird Deutsch- konnektoren ist die Kapazität länderüber- der Elektroautos an den Neuzulassungen in land der Größe der anstehenden Aufgabe greifender Netze mittlerweile rückläufig Deutschland lag 2016 immer noch unter- nicht gerecht. Allen beteiligten Akteuren und fällt mit einer Zielerreichung von 70 % halb von 1 %, während Nachbarstaaten wie fehlt es an Planungssicherheit, um recht- in die Kategorie mit „leichtem Anpassungs- Frankreich, Österreich oder die skandina- zeitig die richtigen Schritte einzuleiten. Die bedarf“. vischen Länder hier bereits deutlich weiter Folgen sind unnötig hohe Kosten für Strom- ■■ Weiter steigende Kosten für Netzeingriffe: sind. Auch bei der Wärmewende erreicht verbraucher und Steuerzahler auf der öko- Neben den Kosten für Redispatch-Maßnah- Deutschland die gesteckten Teilziele nicht: nomischen Seite und das Verfehlen unserer men schließt dieser Indikator von nun an Während bei Neubauten durch die gesetz- Klimaschutzziele auf der ökologischen. auch das Einspeisemanagement und die lichen Vorgaben sichtbare Fortschritte zu Vorhaltung von Reservekraftwerken mit ein. verzeichnen sind, kommt die Sanierung im Es ist an der Zeit, dass die kommende Bun- Gleichzeitig wurde der Wert der 0 %-Zieler- Bestandsbau nur schleppend voran. Selbst desregierung zeitnah einen neuen, um- reichung angehoben, um die heutigen die bereits relativ niedrig angesetzte Sanie- fassenden Kompass für die Energiewende Marktgegebenheiten zu berücksichtigen. rungsquote von 2 % gilt als noch nicht er- entwickelt. Denn erst durch die Formulie- Dieser Wert entspricht den aktuell erwar- reicht – jedoch ist sie derzeit kaum explizit rung eines klaren Zielbilds entstehen neue teten hohen Kostensteigerungen bis Anfang bestimmbar, da der öffentliche Datenstand Perspektiven für alle Akteure. Aufstrebende der 2020er Jahre. Mit Netzeingriffskosten nur maßnahmen-, nicht aber gebäudebezo- Unternehmen wie tado, grid-x oder Sonnen, von insgesamt 7,34 €/MWh – was seit 2014 gene Auswertungen ermöglicht. die mit innovativen Geschäftsmodellen die bereits einer Verdoppelung entspricht – er- Zukunftstrends des Sektors aufgreifen und gibt sich für das Jahr 2016 nun eine Zieler- Ein neues Zielbild damit zugleich den Erfolg der Energiewende reichung von 55 %. Damit verbleibt der Indi- für die Energiewende mit vorantreiben, geben bereits die Rich- kator auch nach der neuen Berechnung in tung vor. Mit dem reformierten Energiewen- der Kategorie „unrealistisch“. Die weitere Entwicklung des Projekts „Ener- de-Index wollen wir unseren Beitrag zum ■■ Schleppender Ausbau der Transportnet- giewende“ wird die ökonomische und öko- Gelingen leisten, indem wir zentrale Hand- ze: Zusätzlich zu den Ausbauplänen nach logische Zukunft Deutschlands maßgeblich lungsfelder weiterhin faktenbasiert adres- dem EnLAG berücksichtigt der Indikator prägen. Einige Bereiche schreiben bereits sieren und neue Trends frühzeitig abbilden. nun auch die Vorhaben nach dem Bundes- Erfolgsgeschichten – z. B. die Entwicklung bedarfsplangesetz (BBPlG). Er misst jetzt der Erneuerbaren oder auch die Versor- Dr. T. Vahlenkamp, Senior Partner, McKin- die Gesamtzahl der fertiggestellten Kilome- gungssicherheit. Andere geben weniger sey & Company, Düsseldorf; Dr. I. Ritzen- ter auf Basis beider Pläne und setzt sie in Anlass zur Zufriedenheit: Während zentrale hofen, Engagement Manager, McKinsey & Relation zu einem Gesamtzielpfad, der sich Indikatoren wie der CO2e-Ausstoß ihre ge- Company, Köln; G. Gersema, Senior Associ- aus der Summe der einzelnen Zielpfade er- steckten Ziele seit Jahren verfehlen, explo- ate, McKinsey & Company, Berlin; J. Kropeit, gibt. Für das Jahr 2020 liegt der Zielwert dieren die Kosten weiter und lassen neue Senior Research Analyst, McKinsey & Com- bei 3.582 km. Aktuell sind 816 km gebaut, Handlungsfelder wie die Sektorkopplung pany, Düsseldorf damit ergibt sich eine Zielerreichung von bislang messbare Ziele vermissen. thomas_vahlenkamp@mckinsey.com 49 % und der Indikator fällt in die Kategorie „unrealistisch“. Feedback erwünscht Status bei Indikatoren Der Energiewende-Index bietet alle sechs Monate einen Überblick über den Status ohne Zielsetzung der Energiewende in Deutschland. Reaktionen und Rückmeldungen seitens der Leser sind ausdrücklich erwünscht und werden bei der Aktualisierung des Index berück- ■■ Sektorkopplung stagniert: Obwohl die sichtigt, sofern es sich um öffentlich zugängliche Daten und Fakten handelt. Auf der Transformation des Verkehrs- und Wärme- Website von McKinsey besteht die Möglichkeit, den Autoren Feedback zum Thema sektors eine zunehmend prominente Rolle in Energiewende zu geben: www.mckinsey.de/energiewendeindex. der politischen Diskussion einnimmt (Stich- 30 ENERGIEWIRTSCHAFTLICHE TAGESFRAGEN 67. Jg. (2017) Heft 10
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