Enthinderung à la Grimm - RefRat HU Berlin

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Enthinderung à la Grimm - RefRat HU Berlin
Zeitung der studentischen Selbstverwaltung

Humboldt-Universität
collected highlights
no. 63 Januar 2010

Enth i n d e r u n g
  à l a G r i m m
Barriere-Uni
75,5 Millionen Euro für Berlins
modernste Bibliothek und
nicht für 5 Cent nachgedacht.
Beim Bau ihres Jakob Wilhelm
Grimm Zentrums ignoriert
die HU Jahrzehnte politischer
Diskurse um Inklusion und
Enthinderung. Seiten 3-4

Gar nicht Grimm
Keine Prinzessin, kein Prinz.
Einfach nur ein Kinderbuch
ohne normativen Mist.
Wie das geht, verraten die
Autor_innen von ‚Unsa Haus‘ im
Interview auf den Seiten 14-16

(Eine) deutsche Geschichte
Geschichtswissenschaften
sind ja sooo objektiv. Auch von
NS-WissenschaftlerInnen ge-
prägte Begriffe können hier
neutral gebraucht werden.
Sehr irritierend das alles.
Seiten 6-8
                                                               Bild: GettysGirl auf flickr.com
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      editorial                                                Ständische Vertretung
          Auch im neuen Jahr möchte sich Hans das Glück        – Neues aus StuPa und RefRat –
          noch immer als alleiniges Anrecht einheimsen.
          Ob nun von den Macher_innen des Grimm
          Zentrums oder vom RCDS; Märchen werden gern          Eine Ehe auf Zeit. Die alljährlichen Wahlen des Student_innenparlaments
          erzählt. Dass die Arbeit der kleinen Geißlein        (StuPa) finden dieses Jahr am 19. und 20. Januar statt. Die Studieren-
          im Referent_innenRat dabei mehr selbstvertei-        den der Humboldt-Universität zu Berlin können auch dieses Mal ihre
          digend als „extremistisch“ ist, zeigt nicht nur      Stimme an eine Person richten, die sie gerne auf den insgesamt 60 zu
          die Notwendigkeit so manches Studierenden,           vergebenen Sitzen sehen würden. Feierlich wird es, wenn mensch sich
          sich ins Studium einklagen zu müssen - 250           „(i)n dem Bewusstsein, sich konsequent in demokratische studentische
          Studierwilligen konnte das Referat für Lehre und     und universitäre Traditionen einbinden zu wollen, und mit den Erfah-
          Studium zum Thema Studien-Einklagen im Win-          rungen studentischer Selbstvertretung seit dem Herbst 1989, gewillt, zu
          tersemester 2009/10 beratend zur Seite stehen –      studentischen und hochschulpolitischen Belangen konstruktiv Stellung
          sondern auch der Versuch des RCDS im jahres-         zu nehmen und sich an gesellschaftlichen Gestaltungsprozessen zu
          abschließenden StuPa am 14. Dezember 2009,           beteiligen (...)“ zur Wahl begibt. Auch die zu wählenden Menschen sollen
          sechs von dreizehn Referate kürzen, beziehungs-      sich laut Satzung der StudentInnenschaft „ (...) dem Ziel [verpflichten],
          weise zusammenlegen zu wollen. Wer dabei             im Rahmen ihres gesetzlichen Auftrages eine offene und solidarische
          wegfallen sollte? Alle die, die nicht Hans heißen,   Gesellschaft zu verwirklichen, die die Würde und Freiheit des Einzelnen
          Weiß und männlich sind und heteronormativen          und zugleich Aller sichert“. Dass dabei nicht, wie in der Präambel der
          Dünnschiss verbreiten. Aus diesem und vielerlei      Satzung der Student_innenschaft der HU geschrieben steht, immer und
          anderen Anlässen geben (selbst-)kritische Stu-       von allen Vertreter_innen der Studierendenschaft „die Gleichstellung
          dent_innen in dieser Ausgabe ihre alternativen       der Geschlechter“ sowie der Schutz unserer natürlichen Umwelt im
          Vorschläge zum Student_innen-Dasein zum Be-          Vordergrund stehen, zeigten etliche und schmerzhaft lange Redebeiträge
          sten. Ganz besonders möchte sich die Redaktion       im Amtsjahr 2009. Hoffen wir auf Besserung – ob durch Einsicht oder
          mit Kristina Voigt bedanken, die unerschütterlich    Abwahl. Studierende, die das Ergebnis ihres Kugelschreiber-Einsatzes
          für enthinderte Zugänge im Grimm-Zentrum             live betrachten wollen, sind herzlich zum (sachbezogenen) politischen
          kämpft und sich weder von Bürokratie noch durch      Diskurs in die nächste StuPa-Sitzung am 29. Januar 2010 eingeladen.
          patriarchalischen In-den-rosaroten-Himmel-Gu-        Und noch ein paar gute Nachrichten: Die Berliner S-Bahn hat auf Druck
          ckern aufhalten lässt! In diesem Sinne wünschen      der Studierendenvertretungen der Berliner und Potsdamer Univer-
          auch wir allen ein frohes Neues und Mut zur Tat!     sitäten und Fachhochschulen auch den Student_innen endlich eine
                                                               Rückzahlung in Höhe von 26,44 Euro an Studierende des derzeitigen
          HUch!                                                Wintersemesters angeboten. Momentan kann noch nichts ausgezahlt
                                                               werden, weil die Übernahme der anfallenden Verwaltungskosten noch
                                                               immer nicht geklärt wurde. Wir werden euch in jedem Fall auf der
                                                               Homepage des Referent_innenRats und über Aushänge updaten.

     inhalt
      3           Barrieren im Märchenland
                  Grimm-Zentrum mit Hindernissen

      5           AntiRa-Referat
                  VV und Neubesetzung

      6           Geschichten aus der Geschichte
                  ‚Nazi-Ideologen‘ und ‚Innovatoren‘

      8           FrauenLesbenTrans*Tresen
                  Selbstdarstellung

      10          Demokratie und Zensur
                  PM: Das UnRecht zur Kritik

      12          Bildungsstreik
                  Erfolg und soziale Herkunft

      13          Viele Wege führen nach...
                  Bildungssystem und Rassismus

      14          Unsa Haus                                          Alle Bilder in diesem Heft sind Teil des nicht normativen Kinderbuches Unsa Haus.
                                                                     Wir bedanken uns dafür herzlichst bei dem Anti-Discrimination Future Project. Das
                  Ein nicht normatives Kinderbuch                    Interview zum Buch und zum Projekt selbst findet ihr auf den Seiten 14-16.
Seite 3

Barrieren im Märchenland
 Auch im neuen Jahr geht der Kampf um Barrierefreiheit im Jacob-und-Wilhelm-Grimm-
 Zentrum weiter. Warum dem HU Präsidenten, Christoph Markschies, das Lachen
 vergangen ist und Ewald Schwalgin, Leiter der Technischen Abteilung, sich das neue
 Jahr anders vorgestellt hat, erklären Kristina Voigt und Anett Zeidler.

S
      chon die Gebrüder Grimm wussten es: Weiße
      Steine leuchten nur, weils Dunkel drum herum ist.
      Dieser Trick half schon Hänsel und Gretel aus dem
dunklen Wald wieder herauszufinden. In diesem Sinne
stehen die weißen Marmortreppen des ‚modernen‘ und           nen der HU-Berlin als auch denen
75,5 Millionen teuren „Schatzbaus“ stellvertretend für       der Senatsverwaltung für Stadtent-
das Bewusstsein der Macher_innen: Notwendigkeiten            wicklung und des Architektenbü-
werden als Mängel neben anderen deklariert, schweiß-         ros „Max Dudler“, das zufriedene Lächeln
treibend errungene Einsichten unter ‚Sonderbehandlung‘       über den „Schatzbau“, der bereits mit dem
abgestempelt. Die einheitliche, normativ gesunde Masse       Architekturpreis 2009 ausgezeichnet wurde,
ohne Kontraste reproduziert sich selbst bis in den letzten   an diesem Samstagabend aus dem Gesicht
Winkel. Stufenvorderkantenmarkierungen? Es herrscht          getrieben haben.
Verzicht auf ganzer Linie. Nicht nur für Menschen mit
einer Rest-Sehfähigkeit besteht hohe Sturzgefahr.            Selbstbestimmung statt Fürsorge

Es war einmal...                                             Entgegen der Behauptung von Edwald
                                                             Schwalgin, Leiter der technischen Abtei-
Am 12.Oktober 2009 wurden die Türen des Grimm-               lung der HU Berlin, es sei behinderten-
Zentrums erstmals für Studierende und Interessierte          gerecht geplant und gebaut worden, ist deutlich
geöffnet. Zirka 2,5 Millionen Bücher, 1250 Arbeitsplätze,    erkennbar, dass dies eben nicht der Fall ist. Im Be-
ein PC-Pool, Videokonferenzräume, Schulungs- und             hindertengleichstellungsgesetz (BGG) § 4 wird Barriere­
Versammlungsräume, ein Forschungslesesaal, Multime-          freiheit wie folgt definiert: „Barrierefrei sind bauliche
diaarbeitsplätze, Gruppenarbeitsräume, Einzelarbeits-        und sonstige Anlagen, Verkehrsmittel, technische Ge-
kabinen, ein Eltern-Kind-Bereich, Lese- und Lümmel-          brauchsgegenstände, Systeme der Informationsverarbei-
sofas, drahtlose Netzanbindung, Kopier-, Druck- und          tung, akustische und visuelle Informationsquellen und
Scanservice - all das lässt sich im neuen Bibliotheksbau     Kommunikationseinrichtungen sowie andere gestaltete
finden. Laut HU Berlin würde das Grimm Zentrum zu-           Lebensbereiche, wenn sie für behinderte Menschen in
sammen mit dem Erwin-Schrödinger-Zentrum auf dem             der allgemein üblichen Weise, ohne besondere Erschwer-
Campus Adlershof und den dezentralen Einrichtungen           nis und grundsätzlich ohne fremde Hilfe zugänglich
die Informations- und Kommunikationsversorgung               und nutzbar sind.“ Im BGG, das am 1. Mai 2002 in Kraft
einer hervorragenden Universität für das 21. Jahrhundert     getreten ist, kommt der Paradigmenwechsel bundesweit
sicherstellen.                                               und konsequent zum Ausdruck - „Selbstbestimmung
   Nach einer Begehung des Grimm-Zentrums am 28.             statt Fürsorge“ ist seitdem der Leitgedanke. Im Grimm-
Oktober durch die Architekten Peter Woltersdorf und          Zentrum wurden aber nicht nur einfache Planungs- und
Klaus-Dieter Wüstermann sowie durch die Studentin            Ausführungsfehler gemacht, die zum Teil schnell und
Kristina Voigt wurden hingegen ungewöhnlich viele            kostengünstig behoben werden könnten, sondern es
Barrieren für einen Neubau gefunden. Resultat: Eine          wurde sogar gegen das Baurecht verstoßen, wie sich
sechs-seitige Mängelliste.                                   am Beispiel der gänzlich fehlenden Handläufe an der
                                                             zentralen Treppenanlage nachweisen lässt. Laut Berliner
… ein Samstag im Dezember                                    Bauordnung § 34 und § 51: sind „Für Treppen Hand-
                                                             läufe auf beiden Seiten [...] vorzusehen“ und „Treppen
Gut einen Monat ist es her, da wurde in der rbb-Abend-       müssen an beiden Seiten Handläufe erhalten, die über
schau am 12.12. 2009 ein Beitrag mit dem Titel „Stress       Treppenabsätze und Fensteröffnungen sowie über die
durch Barrieren“ ausgestrahlt. Thematisiert wurde            letzten Stufen zu führen sind.“ Damit wurde im Grimm-
die Barrierevielfalt des Jacob-und-Wilhelm-Grimm-            Zentrum ordnungswidrig gehandelt (BauO Bln § 83 (1)).
Zentrums. Jürgen Schneider, der Berliner Landesbeauf-        Des Weiteren lassen sich an mehreren Stellen Diskrimi-
tragte für Menschen mit Behinderung und Studiogast an        nierungstatbestände finden, die ebenfalls zeitnah und
diesem Abend, zeigte auf, dass es in der Bibliothek der      fachgerecht ausgeräumt werden müssen!
Humboldt-Universität zu Berlin „erhebliche Verstöße
gegen die Berliner Bauordnung“ gibt, die als „Ord-           Gedankenlosigkeit, Inkompetenz...
nungswidrigkeiten“ eingestuft und mit „Bußgeldern
bis zu 500.000 Euro“ belegt werden können. Zudem             Gleich zu Beginn der intuitiven Erschließung des Ge-
spricht die Moderatorin, Cathrin Böhme davon, dass der       bäudes fällt auf, dass auf die allgemein üblichen – und
„Behinderten-Verband den Bauherrn verklagen“ will.           in Fachkreisen grundsätzlich geforderten Leit- und Ori-
Dieser Beitrag dürfte den Verantwortlichen, sowohl de-       entierungssysteme – verzichtet wurde. Bereits auf dem
Seite 4                                                                                                    HUch! 63 – Januar 2010

          Vorplatz, anschließend im Foyer und letztendlich im         Fortsetzung folgt...
          gesicherten Bibliotheksbereich können sich Menschen
          mit Einschränkungen der sensorischen und kognitiven         In der Sitzung des Akademischen Senats der HU Berlin
          Fähigkeiten nur mit fremder Hilfe orientieren. Taktile,     vom 08.12.2009 wurde einstimmig die Einrichtung einer
          kontrastreiche, leicht verständliche und intuitiv zu fin-   Kommission für Barrierefreiheit beschlossen. NACH der
          dende Informationen zur selbstbestimmten Nutzung des        Ausstrahlung der rbb-Abendschau vom 12.12.2009 zeigte
          Gebäudes sucht mensch vergebens.                            sich Ewald Schwalgin einsichtig und räumte ein, dass die
             Auch Rollstuhlfahrer_innen finden sich in diesem         Zentrale Universitätsbibliothek Mängel im Hinblick auf
          Bau in der weit verbreiteten Rollenzuschreibung des         eine barrierefreie Nutzung aufweist. Auch der Präsi-
          Sonderlings wieder. Sonderzugänge, Sondergarderobe,         dent der HU, Christoph Markschies, bedauerte nach
          Sondertoilette - Sonderbehandlung! An der Gebäudesei-       einer gemeinsamen Begehung und der nachfolgenden
          te zur Planckstraße zum Beispiel führt eine verwinkelte     Medienberichterstattung zusammen mit weiteren Ver-
          Rampe zu einem separierten Eingang, der momentan            antwortlichen die unzureichende Situation und sicherte
          nur für Mitarbeiter_innen mit Ausweis zugänglich ist.       mündlich wie schriftlich zu, dass es nun auf eine schnel-
          Nach langen Wegen auf dem Vorplatz, der mit archi-          le, koordinierte und kompetente Behebung der bereits
          tektonisch ‚wertvollen‘ Stufen statt mit funktionalen       vorhandenen, aber auch noch ergänzend zu erstellenden
          Schrägen versehen wurde, findet sich der Haupteingang       Mängellisten ankomme. Ende Dezember wurde zudem
          mit zwei Karussell-Türen. Die sind allerdings so schmal,    eine Zusammenarbeit mit von Planung und Bau unab-
          dass sie nur von einer Person zu nutzen sind und auch       hängigen Kompetenzpersonen gesucht.
          keinen Platz für Rollstuhlfahrer_innen bieten. Folglich        Ein Anfang wurde gemacht und weitere Schritte wer-
          gibt es auch an dieser Stelle wieder eine Sonderlösung.     den (hoffentlich!) folgen. Auch wenn drei Monate nach
          Eine Drehflügeltür mit Automatik und Türöffner (Ta-         Semesterbeginn und damit drei Monate nach erstma-
          ster). Letzterer wurde allerdings nicht nach Vorschrift     liger Toresöffnung des Grimm-Zentrums der Eindruck
          und auch nicht nach Logik angebracht, sondern so, dass      erweckt wird, die Gefahr sei erkannt und damit gebannt,
          er nicht ohne fremde Hilfe betätigt werden kann.            so muss an dieser Stelle relativierend gesagt werden, dass
                                                                      diese Entwicklung kein Selbstläufer war. Von mehreren
          Und wenn sie nicht...                                       Seiten wurden im Vorfeld, erstmalig im März 2009 auf
                                                                      einer Sitzung der Senatsverwaltung für Stadtentwick-
          Allein zwei Tische von 1250 Lese- und Computerarbeits-      lung, auf die diskriminierenden Zustände aufmerksam
          plätzen sind elektrisch höhenverstellbar. Leider befin-     gemacht. Auf Verständnis und Eingeständnis seitens
          den sie sich ausschließlich im Erdgeschoss und lassen       der Verantwortlichen stößt mensch erst jetzt – nach
          sich noch dazu nicht so weit absenken, dass sie von         zeitintensivem und nervenzehrendem Einsatz von Men-
          Menschen mit Kleinwuchs nutzbar wären. Im zweiten           schen, die das Gebäude selbstbestimmt nutzen möchten
          Obergeschoss wurden die mietbaren Arbeitskabinen            und von Menschen, die es nicht akzeptieren können,
          für Doktorand_innen und Examenskandidat_innen               dass unsichtbare Barrieren in den Köpfen auch noch
          eingeplant. Zwei davon sind für “behinderte” Nutzer_in-     zu sichtbaren in der Gesellschaft werden. Bis zum 12.12.
          nen gekennzeichnet. Seltsamerweise wurde ausgerechnet       2009 wurden Anregungen und Mängelbenennungen
          auf dieser Etage auf einen großflächigen Sanitärbereich     von Herrn Schwalgin, Herrn Bulaty und Herrn Wilke
          verzichtet. So müssen Rollstuhlnutzer_innen lange Wege      belächelt und abgewiesen. Ob sie heute, öffentlich der
          mit zum Teil nicht funktionierenden Tastern und über-       Inkompetenz überführt, immer noch lächeln, ist nicht
          belegten Aufzügen in Kauf nehmen.                           bekannt.
Seite 5

Neubesetzung des AntiRa-Referates
AusländerInnen Vollversammlung
 Es ist mal wieder soweit. Die 8. Sitzung des 17. StuPas steht an und das AntiRa-Referat
 ist neu zu besetzen. Chamberlin Wandji, der sich für den Posten bewirbt, stellt sich in
 einem Interview mit der derzeitigen AntiRaReferentin Fathiyeh Naghibzadeh vor.

W
            ie bei den anderen Referaten auch üblich,       weiß, dass Du in dem Bereich sehr viel Erfahrung hast.
            kann das Referat für AntiRassismus von einer
            oder von zwei Personen geführt werden. Der/     Chamberlin: Seit Januar 2007 habe ich mit acht ande-
die ReferentInnen werden vom StudentenInnenparla-           ren MitstreiterInnen die „Afrika-Initiative“ gegründet
ment bei der Wahl am 29. Januar 2010 bestimmt. Da           mit dem Ziel, allen AfrikanerInnen, die in Deutschland
wir eine möglichst große Beteiligung von MigrantInnen       leben, einen Raum zu geben, in dem sie sich selbst mit
sicherstellen wollen, gibt es davor eine AusländerInnen–    ihren Alltagsproblemen (Abschiebung, Residenzpflicht,
Vollversammlung. Dort können sich alle interessierten,      Rassismus, Diskriminierung, Aufenthalt, Bildung, u.a.)
ausländischen Studierenden als KandidatInnen vorstel-       beschäftigen können. Diese Zielsetzung ist nur möglich,
len oder sich einfach an der Diskussion beteiligen. Wenn    wenn wir uns an andere ausländische Communities
möglich, soll diese Vollversammlung eine Empfehlung         annähern können, denn Austausch und Netzwerkarbeit
an das StuPa bezüglich der KandidatInnen ausspre-           sind Kernsache unserer politischen Arbeit.
chen. Das AntiRa-Referat braucht den Input und die          Ich bin seit 2005 sehr mit den Fällen Oury Jalloh und
Unterstützung der ausländischen Studierenden: Welche        Dominique Koumadjio beschäftigt. Diese zwei Men-
Wünsche habt Ihr an die Arbeit des AntiRa-Referats?         schen wurden von PolizistInnen in Dessau bzw. in
Was sind eurer Meinung nach seine wichtigsten Aufga-        Dortmund ermordet und bis heute kämpfe ich immer
ben? Und welche Aussenwirkung soll das AntiRa-Referat       mit anderen AktivistInnen um Gerechtigkeit. Seit
haben? Wir hoffen auf eine möglichst zahlreiche Beteili-    Dezember 2005 organisiere ich mit anderen Flücht-
gung von Euch. Ort und Zeit erfahrt ihr in Kürze auf der    lingen aus verschiedenen Organisationen eine Gegen-
Homepage des RefRats.                                       Innenministerkonferenz innerhalb der BRD für die
   Der Schwerpunkt der derzeitigen AntiRa-Referentin        Rechte der Flüchtlinge. Nachdem ich im Februar 2006
Fatiyeh lag darin, Informationen zur iranischen Studen-     in Cottbus von zehn jungen Leuten aus der rechten
tInnenbewegung zusammenzustellen und besonders              Szene angegriffen wurde, habe ich in dieser Stadt eine
die Rolle der Frauen in dieser Bewegung zu reflektieren     intensive Kampagne gegen Rassismus und alle Formen
und in Artikeln und Veranstaltungen Informationen, an       der Diskriminierung eingeführt und zahlreiche Demos
denen ein großer Bedarf besteht, an die Studierenden        und Aktionen zur Sensibilisierung der Bevölkerung
und die Gesellschaft in Deutschland weiterzugeben.          veranstaltet. Diese verschiedenen Aktionen sahen die
Chamberlin Wandji möchte sich nun mit eigenen Ideen         Mitwirkung beziehungsweise die aktive Unterstützung
und Zielen für dieses Amt bewerben und hofft auf eine       von PolitikerInnen und Prominenten aus Cottbus, wie
Zusammenarbeit mit einer weiteren Person. Welche            zum Beispiel den Bürgermeister, den Polizeipräsidenten
Wege er in seiner Amtszeit gehen möchte und welche          und die Oberrichterin vor.
Erfahrungen und Wünsche er mitbringt, erzählt er uns
in einem Interview.                                         Fathiyeh: Warum möchtest Du AntiRa Referent werden?
                                                            Was willst Du als AntiRa-Referent machen?
Fathiyeh: Was studierst du?
                                                            Chamberlin: Seit Anfang meines Studiums interessiere
Chamberlin: Ich bin Chamberlin Wandji und ich               ich mich für die Hochschulpolitik und bin dabei auch
studiere Agrarwissenschaft in der LGF der Humboldt          sehr aktiv. So bin ich im Januar 2009 als Mitglied des
Universität.                                                StuPa gewählt worden. Jetzt will ich, aufgrund meiner
                                                            Erfahrung, für das AusländerInnenreferat kandidieren.
Fathiyeh: Was für einen kulturellen Hintergrund hast Du?    An dieser Stelle würde ich mehr Engagement in der
Wie lange bist Du hier in Deutschland?                      Hochschulpolitik einbringen und vor allem mich für die
                                                            Interessen der ausländischen Studierenden einsetzen.
Chamberlin: Ich komme aus Kamerun. Ich bin seit fünf        Meine Motivation kommt dadurch, dass viele Entschei-
Jahren in Deutschland, als Flüchtling angekommen und        dungen innerhalb der Uni getroffen werden, ohne dass
bin seit meiner Ankunft in verschiedenen Flüchtlings-       ausländische Studierende beteiligt sind. Ich möchte
organisationen u.a. FIB (Flüchtlingsinitiative Branden-     genau an dieser Stelle eine Mobilisierung und Sensibi-
burg), JOG (Jugendliche Ohne Grenzen), Oury Jalloh          lisierungsarbeit in die Richtung der ausländischen Stu-
Initiative und Black-African-Community sehr aktiv.          dierenden machen um ihre Teilnahme beziehungsweise
                                                            Mitwirkung in der Hochschulpolitik zu fördern.
Fathiyeh: Kannst Du uns bitte kurz über deine Aktivitäten
im Bereich Menschenrechtsorganisationen erzählen? Ich       Vielen Dank!
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          'Nazi-Ideologen' und
          'Wissenschaftliche Innovatoren'

                                             Das 'Volk' – ein innovativer Begriff? Wie durch Loyalität zur Weiß/deutschen
                                             Geschichtswissenschaft eine Neudeutung rassistischer Begriffe vollzogen wird.
                                             Von Enrique Martino.

                                            D
                                                     ieses Wintersemester hielt ich in einem Haupt-
                                                     seminar zu Reinhard Koselleck ein Referat zum      ‚Volksboden‘ nach dem Versailler Vertag zu legitimieren,
                                                     Thema ‚Nazi-Volksgeschichte‘. Ich behauptete,      wird darauf beharrt, dass sich im Kern dieser Forschung
                                            dass der Begriff ‚Volk‘ noch heute ähnliche rassifizie-     eine Grundlage des Fortschritts der wissenschaftlichen
                                            rende und hierarchisierende Fantasiekonstruktionen          Methoden der Geschichtszunft finde. Grund für das
                                            hervorriefe wie im Nationalsozialismus. Daraufhin un-       Zurückgreifen auf die Volksgeschichte schien unter
                                            terbrach mich Professor Doktor Thomas Mergel brüsk          anderem der Versuch zu sein, eine ‚eigene‘ deutsche
                                            mit einem „Stimmt nicht!“. Mergel argumentierte im          Sozialgeschichtswurzel nachzuzeichnen. Dieses wissen-
                                            Seminar explizit für die ‚Wandelbarkeit der Begriffe‘ und   schaftsgeschichtliche Vorhaben diente im Grunde dazu,
                                            deutete die Möglichkeit einer Neudeutung des Wortes         Theorieverflechtungen mit der “Geschichte von Unten”
                                            ‚Volk‘ an: “(D)er Nationalsozialismus und der Zweite        der britischen Kommunisten und der französischen
                                            Weltkrieg haben diese Kategorie wohl ein für alle Mal       Annales-Schule zu umgehen, die zwar auch Statistiken
                                            desavouiert; grundsätzlich hätte der Volksbegriff weiter-   benutzten, aber das Manko hatten, nicht deutsche faschi-
                                            leben können.”1 Als ich dies las, musste ich erst lachen,   stische Intellektuelle gewesen zu sein. Die Verteidigung
                                            dann sprach ich das Wort aus und versuchte, in Worte        des unideologischen Charakters der reinen Wissenschaft
                                            zu fassen, was genau an dem Wort im Halse stecken           über das ‚Volk‘ heute, deutet auf eine derzeitige Re-
                                            blieb: Die Annahme, das Wort ‚Volk‘ könne ‘objektiv’        flexreaktion auf das Eindringen der ‚beliebigen Trends‘
                                            benutzt werden, indem angegeben wird, es bezöge sich        (wie Poststrukturalismus und Cultural Studies) in die
                                            nicht auf ihren ideologisierenden Gebrauch während des      deutsche Universitätslandschaft hin. Wenn schon darauf
                                            NS-Regimes, ist gelinde gesagt unaufrichtig. Doch gerade    bestanden wird, dass etwas von den Nazihistorikern zu
                                            das Interesse an einer objektiven Operationalisierung des   lernen sei, dann sollten deren Methoden als diskursive
                                            Volksbegriffs ist in der deutschen Sozialwissenschaftsge-   Legitimierungsmittel der NS-Politik studiert werden,
  1 Thomas Mergel: Kulturgeschich-
                                            schichte weit verbreitet.                                   wie es mehrere jüngste, die Disziplin aufarbeitende
  te - die neue „große Erzählung“?
  Wissenssoziologische Bemerkungen
                                                                                                        Dissertationen tun.3 Die Objektivität ihrer Methoden zu
  zur Konzeptualisierung sozialer Wirk-     Die ‚wissenschaftliche‘ Debatte                             fetischisieren, erinnert an das Symptom jener, die – auf
  lichkeit in der Geschichtswissenschaft.                                                               die Weisheit der Väter bestehend – nicht gegen ihre Na-
  In: Wolfgang Hardtwig, Hans-Ulrich        Das Wort ‚Volk‘ ‘objektiv’ heranzuziehen, verschleiert      zieltern rebellierten - aus Angst französisiert zu werden.
  Wehler (Hg.) 1996: Kulturgeschichte       nicht nur seine ideologischen, rassifizierenden Implika-
  heute. Göttingen. S.52.                   tionen im gegenwärtigen Deutschland. Auch wird von          … und was noch mitschwingt
                                            Mergel und vielen anderen bekannten Historiker_innen
  2   Mergel, ibid 51.                      behauptet, dass sich die Kategorie ‚Volk‘ der 30er Jahre    Inzwischen habe ich das Seminar verlassen, was es
                                            dank der wissenschaftlichen Methoden der Volkshi-           mir erlaubt, meine frustrierte Ungläubigkeit über jene
  3 Ingo Haar and Michael Fahlbusch
                                            storiker durch soziologische Objektivität auszeichne.       Situationen, die sich im Seminar und in anschließenden
  (Hg.) 2005: German scholars and
  ethnic cleansing 1919-1945. Berghahn
                                            Diese Kontroverse um den Status der Nazihistoriker,         Konversationen zugetragen haben, mitzuteilen. Warum
  Books.
                                            die als Vorväter und Gründer der Sozialgeschichte der       ist die Maskerade des ‚unideologischen‘, sogar ‚wissen-
                                            Adenauer-Zeit gelten, wird seit den 90er Jahren im Kern     schaftlichen‘ Werts des Begriffs ‚Volk‘ so erschütternd?
                                            der deutschen Geschichtswissenschaften geführt. Mergel      Und inwiefern strukturiert nationales Denken die Wis-
                                            räsonierte zum wissenschaftlichen Wert des Volksbe-         senschaftsgeschichte der heutigen deutschen Geschichts-
                                            griffs der Volksgeschichte der Nazizeit wie folgt: „Auch    zunft?
                                            wenn es heute die ideologischen Barrieren erschweren,          Zusammengefügt oder pluralisiert, wie in ‚Volks-
                                            darin eine tatsächliche wissenschaftliche Innovation        republik China‘ oder in die ‚Völker Lateinamerikas‘,
                                            zu sehen, handelte es sich doch um den ernsthaften          trägt das Wort andere Konnotationen. Zwar sind diese
                                            Versuch, einen neuen Metabegriff zu etablieren.“2 Die       Beispiele immer noch unangemessene Übersetzungen,
                                            Volkshistoriker seien also ‚innovativ‘ gewesen, da sie      da die sprachliche Vorstellungswelt dabei der koloni-
                                            Statistiken und Soziologie nutzten, um Kategorien wie       alen und nationalistischen Form einer ‚vormodernen
                                            Familie und Grundbesitz der ‚Volksdeutschen im Osten‘       und organischen‘ ethnischen Homogenität verhaftet
                                            zu analysieren. Obwohl dieses Wissen gezielt dafür          bleibt. Im Singular und auf Deutsch ist ‚das Volk‘ jedoch
                                            produziert wurde, einen territorialen Anspruch auf den      unverkennbar und stellt schwerlich das von Mergel
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behauptete deutschsprachige Äquivalent zu „plebs“, the
people oder den nicht-adligen dar. Die Geschichtlichkeit
des Wortklangs wird – durch archivierte, auditive und         auf angebrachte Schlüsselbegriffe wie ‚Definitionsmacht‘
visuelle Technologien zur unendlichen Wiedergabe ge-          und Theorien wie denen von Gayatri Chakravorty
speichert – in Schulen, Museen oder Dokumentarfilmen          Spivak verwiesen hatte, schrieb mir Mergel eine per-
in das Allgemeingedächtnis eingeschrieben. Auditive           sönliche E-Mail. Um auch diesem Artikel ein bisschen
Medien verleihen der auf Tonband archivierten neuesten        (im Seminarraum ungewollten) Humor hinzuzufügen,
Geschichte eine gespenstische Unsterblichkeit: Das Ge-        soll seine Email an mich an dieser Stelle direkt zitiert
sicht verzerrt sich als Effekt der gespeicherten Geschichte   werden: „Wenn Sie in der Wissenschaftlergemeinde,
des Wortes; die Aussprache der Wortgeräusche wird             in der Sie sich hier befinden, kommunizieren wollen,
sofort mit der Frequenz der 30er Jahre kurzgeschlossen.       dann ist es sinnlos, die Selbstverständlichkeiten, die wir
Was dabei durch das wiederholte Aufgreifen des Wortes         haben, in Frage zu stellen und gleichzeitig Ihre eigenen
‚Volk‘ und in die Porosität des Wortes selbst hinein          unbefragt als „wahre“ zu inszenieren.... Erstens versteht
sickert, sind die Aufnahmen von Getöse und virulenten         sich der Wissenschaftsbegriff, den Sie voraussetzen, als
Stimmen. Die Behauptung ‚Volk‘ in einem neuen, gar            selbstverständlich und immer politisch. Wie sehr er aber
unideologischen Kontext, umdeuten zu können, beruht           selbst interessiert ist und politischen Bias hat, reflektie-
auf einer naiven und linearen Sicht der Zeit und auf der      ren Sie nicht - jedenfalls nicht öffentlich. Zweitens steckt
Annahme von Wissenschaft als objektive Ebene, die der         darin immer eine emphatische Selbstzuschreibung als
Macht der Sprache und dem gespenstisch-realen der             „Sprache der Subalternen“ (oder wie man das immer fas-
Geschichte entkommen könnte. Traumata wirken so ein-          sen möchte). Gleichzeitig ist sie so hochabstrahiert, oft
dringlich, weil Zeit gerade nicht als jeweils ‚neue Etappe‘   formelhaft und hermetisch, dass jedenfalls die Subalter-
verläuft, was es erlauben würde, sich durch eine Neudeu-      nen nicht so sprechen. Die Sprache ist auch bei Ihnen ein
tung aus der Vergangenheit des Wortes herauszuwinden.         Herrschaftsinstrument“.
Die Vergangenheit bleibt in der Gegenwart.                       Einige Tage später, in einem Konferenzvortag zu
                                                              Kosellecks Buch Kritik und Krise und anderen Themen,
‚Selbstverständlich‘ Subaltern                                verkündete Mergel dem Publikum, er neige nun dazu,
                                                              „Kritik“ durch das Wort „Irritation“ zu ersetzen. Was
Die von Mergel instrumentalisierte Seminarraum-Har-           bestenfalls in manchen Seminarräumen ankommt, ist
monie bedingte eine leichte Irritation; mitunter indem        dann die Rolle der Irritierenden, die als unerklärlich
sie es geradezu forderte, ein anderes, unverzichtbares        unangenehme Geste gegen bestimmte unkritischen
Vokabular einzubringen. Nachdem ich in der Diskussion         Harmonien agitieren.
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 Frauen_Lesben_Trans* Tresen
    – über uns, unser Konzept und mehr –

               Seit dem Sommersemester 2009 findet jeden Dienstag in der Krähe im Ostflügel
               der HU ein Frauen_Lesben_Trans* Tresen statt. Hiermit möchten wir unser Konzept
               vorstellen und Transparenz schaffen. Vom FLT*-Tresen

             W
                         ir sind eine lose zusammenhängende Gruppe       entsprechen zu müssen. Ich sollte also schlank, attraktiv
                         von Studierenden an der HU, die sich            und ‚weiblich‘ sein. Auf keinen Fall darf ich so aussehen,
                         zusammengefunden hat, um dem hetero-            dass Menschen mich nicht mehr eindeutig als ‚Frau‘ er-
             normativen Alltag im Allgemeinen und besonders an           kennen können. Und auf keinen Fall sollte ich ein breites
             der Uni etwas entgegen zu setzen. Heteronormativität,       Kreuz haben und Power, mit der ich locker allen meinen
             Homophobie und Transphobie (und vieles mehr) sind           ‚männlichen‘ Freunden ein schickes Veilchen verpassen
             gesamtgesellschaftliche, strukturelle Probleme, die sich    kann. Ich sollte sanft und einfühlsam sein. Ganz einfach
             in allen Bereichen des Lebens wiederfinden und auch an      eben ‚weiblich‘. Wir aber wollen alles sein und das nicht
             der Uni-Tür nicht Halt machen. Momentan gibt es an          gekoppelt an gender oder sex!
             der HU – neben ein paar wenigen emanzipatorischen –
             keinerlei Strukturen, die sich bewusst darum bemühen,       Du darfst hier nicht rein!
             einen Raum zu schaffen, innerhalb dessen Heteronor-
             mativität explizit Thema oder eben nicht Thema ist.         Derzeit sehen wir uns als „Organisator_innen“ des
                Wir sehen es als eine Notwendigkeit an, diese Situa-     Frauen_Lesben_Trans* Tresens besonders mit zwei
             tion zu verändern und einen Raum zu schaffen, in dem        Problemen konfrontiert: Auf der einen Seite ergibt sich
             sich Frauen_Lesben_Trans* wohl fühlen und entspannt         durch unsere Entscheidung, die Krähe am Dienstag nur
             abhängen können, ohne sich durch „Rumgemackere“             für Frauen_Lesben_Trans* zu öffnen, das Problem,
             und/oder ähnliches gestört, genervt und/oder belästigt      dass sich so mancher Hetero-Macker stark diskrimi-
             zu fühlen.                                                  niert und ausgeschlossen fühlt. Sehr häufig kommt es
                                                                         dazu, dass eben diese Leute (bewusst) provozierend die
             Die heteronormative Vorstellungswelt                        Krähe aufsuchen, um ihren Unmut über diese „Unver-
                                                                         schämtheit“ und „Diskriminierung“ kundzutun. An
             Heteronormativität bedeutet für uns, sich für eines der     dieser Stelle kämpfen wir immer wieder mit langen und
             ‚beiden‘ Geschlechter, also ‚Frau‘ oder ‚Mann‘, entschei-   besonders auch langweiligen bis wahnsinnig anstren-
             den zu müssen – oder, dass diese Entscheidung ohne          genden Diskussionen. Diese nervigen Diskussionen
             unsere Meinung bereits getroffen wurde. Heteronorma-        führen dazu, dass wir uns manchmal überfordert,
             tivität bedeutet, heterosexuell sein zu müssen und als      gereizt, genervt, verzweifelt und gelangweilt fühlen. Auf
             ‚Frau‘ den gegenwärtig ‚weiblichen‘ Schönheitsidealen       der anderen Seite möchten wir ein offener Raum für
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                  Definitionsmacht
                                                                                    zu definieren, was den Freiraum einer Person einschränkt
                  Definitionsmacht ist ein vielseitiger Begriff, der in verschie-   und was nicht. Jede_r setzt sich individuell Grenzen, die für
                  denen linken Kontexten gebraucht wird, um zu hinterfra-           niemanden als solche zur Debatte stehen und auch nicht
                  gen, wer aus welcher Position heraus die Macht inne hat,          am Tresen oder im Plenum hinterfragt werden [dürfen].
                  Zusammenhänge, Subjekte, Identitäten, Sachverhalte etc.           Kommt es also zu sexualisierter Gewalt und die_der
                  zu definieren. Damit sollen Herrschafts- und Unterdrü-            Betroffene wendet sich auf der Suche nach Unterstützung
                  ckungsverhält-                                                    an andere und                   macht die Grenzüberschrei-
                  nisse transpa-                                                    tung [be-                            dingt] öffentlich, stehen
                  rent gemacht                                                      Fragen                                 nach der genauen
                  werden und                                                         Situati-                              on oder dem Verhältnis
                  zum Beispiel                                                                                               zwischen der_dem
                  der bürgerlichen                                                                                           Betroffe_nen und
                  Justiz etwas entge-                                                                                         dem_der Täter_in
                  gengesetzt werden,                                                                                         im Gegensatz zur
                  das den Betroffenen                                                                                        individuellen De-
                  den Status von politischen                                                                               finitionsmacht und
                  Akteur_innen zuspricht.                                                                                  widersprechen ihr.
                  Im Konkreten bezieht sich dieses                                                                          Es spielt dabei auch
                  Konzept auf den Umgang mit sexua-                                                                         keine Rolle, ob der_die
                  lisierter Gewalt auch (und vor allem) in                                                                  Täter_in „eigentlich
                  der eigenen Szene, Gruppe oder Beziehung.                                                                ein_e ganz Liebe_r“
                  Statt sexueller Gewalt verwenden wir den Begriff                                                       ist und „einfach nur
                  sexualisierte Gewalt. Letzterer weist darauf hin,                                             zu viel getrunken“ hat. All dies
                  dass es bei solchen Situationen nicht primär um                                   schützt den_die Täter_in. Um den_die
                  Sexualität, sondern vielmehr um die Aufrecht-                                   Betroffene_n zu schützen und sie nicht länger
                  erhaltung und Herstellung von [patriarchalen]                                 der Gefahr auszusetzen, dass sie dem_der
                  Machtverhältnissen geht. Dabei wird Sexualität                                 Täter_in wieder begegnen muss, ist es sinnvoll
                  als Mittel gebraucht, um das Selbst-bestim-                                    den_die Täter_in des Raumes, der Party oder
                  mungsrecht einer Person über ihren eigenen                                     des Plenums zu verweisen. Dies geschieht
                  Körper auszuhebeln. Sexualität und sexuelle Be-                                mindestens so lange, bis der_die Betroffene
                  friedigung stehen also nicht im Vordergrund. Viel-                            - sofern sie_er das ausdrücklich wünscht und
                  mehr dienen sie als Mittel zum Zweck der Gewalt.                                 sonst nicht - wieder in der Lage ist, die Anwe-
                  Sexualisierte Gewalt macht auch nicht vor linken                                   senheit des_der Täter_in zu akzeptieren.
                  oder emanzipatorischen Zusammenhängen halt:                                         Allerdings muss sich sexualisierte Gewalt
                  Auf dem wöchentlichen Plenum, im Hausprojekt,                                       gar nicht an einzelnen Situationen festma-
                  auf der Soliparty oder im Freund_innenkreis kann es                                chen lassen: Patriarchale und sexistische
                  zu sexistischen Übergriffen oder Grenzüberschreitungen                           Herrschafts- und Unterdrückungsverhältnisse
                  kommen. Dabei muss der_die Täter_in gar nicht mal über-           können auch im Redeverhalten oder in Benennungs-
                  griffig werden. Oftmals genügen dumme Sprüche, nervige            praktiken zum Ausdruck kommen. Auch hier gilt: Jede_r
                  Blicke oder Gegröle, die als ätzend empfunden werden. Es          setzt sich seine_ihre Grenzen selbst! Verhandelt nicht mit
                  ist also nicht möglich, formal oder gar vermeintlich objektiv     dem_der Täter_in, es gibt hier keinen Minimalkonsens!

Frauen_Lesben_Trans* sein und wollen eigentlich keine          und immer wieder die angelernte Scheiße, wie Sexismus,
Türsteher_innen-Politik. Gerade deshalb, weil wir keine        Rassismus, Antisemitismus und vieles andere. Daher ist
Menschen definieren wollen und uns eigentlich wün-             es uns wichtig, auch unsere eigenen Sprechpositionen zu
schen, dass alle selber entscheiden, ob sie sich irgendwie     markieren. Das bedeutet für uns, zu sehen, dass wir alle
als Frauen_Lesben_Trans* fühlen oder eben nicht.               weiß sind und beispielsweise alle Student_innen sind. Da-
Diese zwei Punkte (provozierende Hetero-Macker und             mit versuchen wir reflektiert umzugehen und suchen dazu
Einlass-Politik) ergeben in der Praxis immer wieder ein        eine Auseinandersetzung. Wie an allen anderen Tagen
Konfliktfeld und bergen die Gefahr, dass dieser Kon-           auch, kann es natürlich auch am Dienstag zu Grenzver-
flikt besonders Trans*Menschen bei der Einlasspolitik          letzungen und Grenzüberschreitungen kommen. Daher                      Zum Weiterlesen:
zulasten fällt.                                                ist für uns das Stichwort Definitionsmacht eine wichtige
   Damit stecken wir in einer altbekannten Zwickmühle:         theoretische wie auch praktische Grundlage, auf der unser              re.ACTion Readergruppe für eman-
Obwohl wir heteronormative Geschlechterkonstruk-               Handeln basiert. Wir fühlen uns als Tresen-Leute dafür                 zipatorische Aktion: Antisexismus
tionen aufbrechen wollen, reproduzieren wie diese in           verantwortlich, dass sich alle wohl fühlen und es zu keinen            reloaded. Zum Umgang mit sexua-
gewisser Weise und die daran geknüpften Vorstellungen,         Grenzverletzungen kommt. Es ist jedoch wichtig, dass                   lisierter Gewalt – ein Handbuch für
                                                                                                                                      die politische Praxis. Unrast. 2007.
indem wir den Zugang zum Dienstag anhand der Kate-             sich alle dafür verantwortlich fühlen und sich Einmischen
gorie Geschlecht definieren. Besonders virulent wird die       und Handeln, wenn etwas passiert! Für Alternativen und
                                                                                                                                      http://www.a-camps.net/
Türsteher_innen-Politik bei Menschen, die sich zwar            bessere Handhabe bezüglich der Einlass-Politik sind wir                AST/definitionsmacht.html
nicht als Frauen_Lesben_Trans* definieren würden, sich         offen und sehr dankbar! Wir wünschen uns mehr Trans-
aber dennoch mit Heterosexismus auseinandergesetzt             parenz zu schaffen, mehr Menschen über „den Dienstag“                  http://www.jpberlin.de/
haben und einen antisexistischen und feministischen            zu informieren und dass es mit der Zeit immer weniger                  antifa-pankow/defmacht/
Anspruch vertreten.                                            zu Konflikten und nervigen Auseinandersetzungen mit                    index.php?section=campaign
                                                               beschriebener Spezies „Hetero-Macker“ kommen wird.
Einmischen und Handeln                                         Ansonsten soll der Raum fast so sein wie immer: abhän-                 http://asbb.blogsport.de/
                                                               gen, lesen, quatschen, schlafen, rumalbern... . Darüber
Wir sind uns bewusst, dass durch einen Frauen_Lesben_          hinaus wollen wir uns aber auch vernetzen und eventuell
Trans* Tresen nicht automatisch alle gesellschaftlichen        auch mal ein paar Veranstaltungen organisieren. Gerne
Probleme überwunden werden. Wir sind als Teil dieser           könnt ihr bei uns auch Plenen oder Veranstaltungen or-
Gesellschaft sozialisiert und (re-)produzieren permanent       ganisieren. Wir freuen uns über zahlreiches Erscheinen!
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    Demokratie und Zensur
       Das UnRecht zur Kritik
      Demokratie lebt vom Diskurs, sowohl inhaltlich als auch in der Art und Weise wie dieser geführt wird und
      geführt werden kann. Darum ist die Begrenzungen des politischen Mandats an der Uni auf ‚sachbezogene‘
      (aka. hochschulpolitische) Themen hochgradig kritikwürdig.
      Gedanken zum politischen Mandat von Marie Melior, Referentin für politisches Mandat und Datenschutz.

                              Kritik erwünscht?
                              Der Begriff „politisches Mandat“ ist ohne Frage ein Reiz-
                              wort in studentischen Kreisen. Es geht darum, ob stu-
                              dentische Vertretungen politische Meinungen ausdrü-
                              cken dürfen, die keinen eindeutigen Bezug zu Universität      durch die studentischen Vertretungen, jedenfalls gemäß
                              und Studium haben. Was für die einen unmittelbar mit          eines irgendwie demokratischen Grundverständnisses
                              der Forderung nach Meinungsfreiheit verbunden ist,            und insbesondere angesichts der Erkenntnis, welch
                              assoziieren andere mit Kompetenzüberschreitung und            hohen Grad an Organisation es bedarf, um überhaupt in
                              Bevormundung durch die gewählte studentische Ver-             der Öffentlichkeit hörbar zu sein. Wer die Vorstellung
                              tretung. Die Reaktionen von studentischer Seite auf die       von Hochschule als Ort gesellschaftlicher Auseinan-
                              Begrenzung des politischen Mandats durch die Gerichte         dersetzungen teilt, aber dennoch glaubt, es gäbe eine
                              auf rein hochschulpolitische Äußerungen reichen von           irgendwie mögliche neutrale Position der Diskursbetei-
                              kritiklosem Hinnehmen über neugieriges Interesse an           ligten, beispielsweise der Gruppe der Studierenden, der/
                              der Thematik bis zu genervter Frustration über die ewige      die verkennt, dass „unpolitsch“ nicht weniger als die
                              Selbstzensur. Was für einige Studierende sofort wider-        politische Affirmation von Bestehendem ist. Als Hinweis
                              sprüchlich anmutet, weil es in politischer Organisation       darauf kann auch die Tatsache verstanden werden, dass
                              sinnlos erscheint, ein Mandat extra als „politisch“ zu        das politische Mandat juristisch erst Ende der 50er
                              charakterisieren, ist für andere das anerkannte juristische   Jahre angezweifelt wurde, als die Verlautbarungen der
                              Mittel der eigenen Abgrenzung gegen jegliches Poli-           studentischen Vertretungen die herrschende Politik zu
                              tische. Wieder andere nehmen diesen Begriff in ihrer ge-      kritisieren begannen.
                              samten Studienzeit kein einziges Mal als Problem wahr.
                                                                                            Die herrschende Meinung
                              Nur eine Frage der Betrachtung?
                                                                                            Nach der juristisch herrschenden Meinung wird zwar
                              Zugegeben, die Konfrontation mit dem Phänomen                 der Uni durchaus große gesellschaftliche Bedeutung
                              politisches Mandat hängt sehr stark davon ab, welches         beigemessen, damit aber nicht notwendigerweise der
                              Verständnis mensch vom Verhältnis zur eigenen Uni             Gruppe der Studierenden eine Beteiligung am Diskurs
                              mitbringt. Wird diese lediglich als Bildungsdienstlei-        zugestanden. Dementsprechend stellt sich die Argumen-
                              sterin verstanden, wo mensch kritiklos mitnimmt, was          tation juristisch wie folgt dar: Studierende werden durch
                              gerade angeboten wird, sinkt die Beteiligung an ihrer         Immatrikulation automatisch Mitglieder der Teilkörper-
                              Ausgestaltung gen Null und damit auch das Interesse an        schaft Studierendenschaft. Diese hat eigene Finanzho-
                              politischer Mitbestimmung. Besteht jedoch der An-             heit und darf Beiträge erheben. Sie ist parlamentarisch
                              spruch, an Entscheidungen der Hochschule mitzuwirken          organisiert, indem alle Studierenden das Studierenden-
                              und dies nicht kritiklos zu tun, wird die Sache virulent.     parlament (StuPa) wählen und dieses wiederum den
                              Denn Studienalltag und Bildungskonzepte nicht als fest-       Allgemeinen Studierendenausschuss (AStA, an der HU:
                              gesetzte Tatsachen zu akzeptieren, heißt sich alternative     RefRat). Dieses Verfahren ist gesetzlich im jeweiligen
                              Wege einfallen zu lassen und sich um deren Umsetzung          Hochschulgesetz des Landes geregelt - für die HU im
                              zu bemühen. Sobald solchen Bildungseinrichtungen              Berliner Hochschulgesetz (§§ 18-20 BerlHG) - und im
                     ´        wie den Hochschulen nicht nur der grobe Einfluss auf          Detail in den Satzungen der jeweiligen Studierenden-
                              den Bildungsgrad einer Gesellschaft, sondern auch die         schaft. Weil damit quasi Pflichtmitgliedschaft für jede_n
                              umfangreiche Prägung gesellschaftlicher Diskurse zuge-        Studierende_n bestehe, bedürfe es eines zumindest von
                              sprochen wird, ist die Frage, wer genau in welcher Form       der Rechtsprechung zugesprochenen Abwehrrechts
                              an der Universität aktiv ist bzw. sein kann, gesamtgesell-    gegenüber dem „Zwangsverband“. Zumindest insoweit,
                              schaftlich politisch relevant. Genauso wie nach diesem        dass dieser gesetzlich zugewiesene Kompetenzen nicht
                              Verständnis die Frage wichtig ist, wer die gesellschaft-      überschreitet.
                              lichen Verhältnisse, in deren Abhängigkeit sich die Uni          Soweit, so gut. Das Berliner Hochschulgesetz spricht
                              zweifelsohne befindet, hörbar problematisieren kann.          der Studierendenschaft jedoch auch tatsächlich die
                              Genau genommen steigt also mit der Relevanz der               Wahrnehmung eines konkreten politischen Mandates im
                              Hochschule für den gesellschaftlichen Diskurs auch die        Namen ihrer Mitglieder zu. Diese Kompetenz ist gesetz-
                              Relevanz der Wahrnehmung eines politischen Mandates           lich zugewiesen. Genauso wie auch die Aufgaben um-
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                                                             Art zu ermöglichen (§ 18 Abs. 2 Satz 5 BerlHG), wodurch
                                                             diese letztlich ihre durch das Grundgesetz garantierte
                                                             Studier- und Lernfreiheit ausüben können sollen. An
                                                             der HU waren von dieser Beschränkung durch die bloße
                                                             Zurechnung von Meinungen studentischer AutorInnen
                                                             schon diverse studentische Medien betroffen (darun-
                                                             ter die Zeitschrift HUch! und die früher noch kritisch
                                                             berichtende UnAufgefordert). So entschied das Verwal-
                                                             tungsgericht 2002 den Streit um studentische Artikel,
                                                             die sich unter anderem kritisch mit dem Kosovo-Krieg
                                                             auseinandersetzten, im Sinne der herrschenden Meinung
                                                             und verbot damit eine derartige Meinungsäußerung.
                                                             Ein Student der HU fasste dies mit dem Kommentar
                                                             zusammen: „StudentInnen ist es in Berlin nicht mög-
                                                             lich kritisch über den Krieg zu schreiben, nicht einmal
                                                             wenn genau auf das Militär Bezug genommen wird, das
                                                             im Luftraum über der HU verkehrt. Erst wenn eine der
                                                             Maschinen direkt über der HU abstürzt, dann darf ein
                                                             Artikel dazu in einem studentischen Medium veröffent-
                                                             licht werden.“

                                                             Gehört wird, wer‘s Maul aufmachen kann...
                                                             Der Effekt dieser Politik von Ein- und Ausgrenzung
                                                             ist eindeutig: Die Chance wird immer geringer, dass
                                                             Stimmen – ohne rein affirmative Haltung gegenüber
                                                             gesellschaftlichen Verhältnissen in ihrer aktuellen
fangreich ausformuliert sind, die neben vielem anderen       Form – Niederschlag in den politischen Entscheidungen
auch die Förderung politischer Bildung, des staatsbür-       finden, die sich genauso wie die jeweiligen Verhältnisse
gerlichen Verantwortungsbewusstseins und das Eintre-         auf die Hochschulen auswirken. Demokratisch beteiligt
ten für die Grund- und Menschenrechte einbeziehen.           ist de facto nur, wer auch die Erlaubnis hat sich am ge-
Doch bei der Auslegung der Gerichte über die Reichwei-       sellschaftlichen Diskurs zu beteiligen. Der immer stärker
te des politischen Mandats wird dieses wiederum als rein     beschränkte Zugang zur Universität führt ohnehin schon
hochschulpolitisches Mandat eingegrenzt. Dafür wird          zu der Tatsache, dass nur noch begrenzt verschiedene
„politisch“ entsprechend des Sachzusammenhanges, also        studentische Positionen an der Uni vertreten werden
der Hochschule, definiert. Die kulanteste, jedoch längst     können, weil ein freier Zugang zu Bildung und der
nicht herrschende, Auslegung, durch das OVG (Ober-           gesellschaftlichen Einrichtung Hochschule gerade nicht
verwaltungsgericht) Münster, erlaubt gerade noch einen       für alle besteht. Durch die Beschränkung der Äußerungs-
Brückenschlag von hochschulpolitischen zu allgemein-         freiheit der gewählten studentischen Vertretungen und
politischen Themen, wenn der Bezug zur Hochschule            die weitreichende Begrenzung möglicher studentischer
noch unverkennbar ist (Beschluss vom 24.07.1996). Frei       Foren findet diese stark sozial ausgrenzende Politik noch
nach dem Motto: Was nicht sein soll, darf auch nicht         eine zusätzliche Verankerung. Und so sieht Demo-
möglich gemacht werden. Die studentische Vertretung          kratie am Ende auch aus: Das Wort erhält, wer
wird damit weiterhin zur Behörde degradiert. Sämtliche       ohnehin schon Gehör gefunden hat. Und wer
politische Fragen nach dem Inhalt und dem Wie der            das unerhört findet, dem_der bleibt nichts
Durchsetzung studentischer Interessen werden zur rein        anderes übrig als dennoch das Maul aufzu-
juristischen Kompetenzfrage. Jegliche Unterstützung          machen.
eines auch nur irgendwie gearteten Über-den-Teller-
Rand-Schauens wird damit enorm erschwert und ohne
jede Hemmung die Form studentischer Selbstorganisa-
tion bestimmt. Zuwiderhandlungen werden mit saftigen
Ordnungsgeldern bestraft.

Studentische Interessen
Diese Form der Beschränkung reicht bis zu dem Grad,
dass beispielsweise die Veröffentlichung einzelner Artikel
von Studierenden nicht in studentischen Publikationen
erfolgen kann, weil die Meinungen der AutorInnen aus-
nahmslos der Studierendenschaft zugerechnet werden
würden - und das selbst, wenn sie sich eine Abgrenzung
dazu explizit vorbehalten. Wird ein solcher Artikel
dennoch abgedruckt, riskiert die Studierendenschaft als
Verantwortliche die Belegung mit immer weiter stei-
genden Ordnungsgeldern. Sie wird sanktioniert, obwohl
sie im Grunde nur ihrer gesetzlichen Aufgabe nachkom-
mt, Studierenden die Diskussion und Veröffentlichung
zu allgemeinen gesellschaftlichen Fragen in Medien aller
Seite 12                                                                                                                                HUch! 63 – Januar 2010

             Der Bildungserfolg darf nicht von
             der sozialen Herkunft abhängen!
                   Eine Gesellschaft, die sich dem Prinzip der Chancengleichheit verpflichtet, kann es sich nicht erlauben,
                     einen großen Teil ihrer Mitglieder durch das Bildungssystem zu benachteiligen und auszugrenzen. In
                                diesem Sinne stellen die Bildungsproteste nicht nur eine Kritik am Hochschulsystem dar.
                                                                Alternative Konzeptionen von der AG Gesellschaftskritik

                                      “Bildung für alle.”                                          Chancengleichheit und Leistungsprinzip
                                      Das Recht auf Bildung, wie es in Artikel 26 der Erklärung    Das Argument, das Leistungsprinzip führe zu Chancen-
                                      der Menschenrechte der Vereinten Nationen verankert          gleichheit, wird oft zur Rechtfertigung für das dreiglied-
                                      ist, muss in vollem Umfang umgesetzt werden. Es müs-         rige Schulsystem verwendet. Tatsächlich ist nicht nur
                                      sen gleiche Bildungschancen für alle geschaffen werden,      das Leistungsprinzip Kriterium für den Bildungserfolg,
                                      unabhängig von sozialer Herkunft, Migrationshinter-          sondern auch die soziale Herkunft.
                                      grund, Geschlecht, Alter und sogenannter Behinderung.           Die Auslese nach Leistung wird bei Kindern aus
                                      Der Zugang zum höchstmöglichen Bildungsabschluss             unteren Schichten ungleich schärfer angewandt als bei
                                      muss für alle gewährleistet werden. Das dreigliedrige        Kindern von Akademiker_innen. So sind beispielsweise
                                      Schulsystem benachteiligt vor allem Kinder von soge-         die Chancen von Kindern aus höheren Dienstleistungs-
Zum Weiterlesen:                      nannten Geringqualifizierten, Alleinerziehenden und          schichten, ein Gymnasium zu besuchen, bei gleichen
                                      Migrant_innen erheblich. Nur eines von fünf Kindern          kognitiven Fähigkeiten fast vier Mal höher als bei
Bundesministerium für Bildung         von Nichtakademiker_innen schafft den Sprung an die          Kindern von Arbeiter_innen. (vgl. Geißler 2006: 296)
und Forschung (2007): Die             Hochschule, wohingegen vier von fünf Kindern von             Das Leistungspotential der Kinder aus unteren sozialen
wirtschaftliche und soziale Lage      Akademiker_innen ein Studium aufnehmen.                      Schichten wird nicht ausgeschöpft.
der Studierenden in der Bun-             Die soziale Selektion beginnt nicht erst beim Über-          Nach Beendigung der Grundschule entscheiden die
desrepublik Deutschland 2006.         gang von der Schule in die nachschulische Ausbildung,        Bildungsempfehlungen der Lehrer_innen darüber,
18. Sozialerhebung des Deut-          sondern schon wesentlich früher. Die PISA-Studie der         welchen weiterführenden Schultyp die Schüler_innen
schen Studentenwerks durch-
                                      OECD (Organization for Economic Cooperation and              besuchen. Abgesehen davon, dass die Notwendigkeit von
geführt durch HIS Hochschul-
                                      Development) aus dem Jahr 2006 verdeutlicht, dass die        Bildungsempfehlungen kritisch zu hinterfragen ist, sind
Informations-System. Berlin.
                                      Abhängigkeit zwischen sozialer Herkunft und Bil-             viele falsch. Wird ein Kind auf Grund einer Fehleinschät-
In: http://www.bmbf.de/pub/
wsldsl_2006_kurzfassung.pdf
                                      dungserfolg in der Bundesrepublik im internationalen         zung auf ein Gymnasium geschickt, wird dieser Fehler
                                      Vergleich auffallend stark ausgeprägt ist. Die erste große   in der Regel korrigiert. Wird jedoch ein Kind aufgrund
Geißler, Rainer (2006): Die           Hürde ist der Übergang von der Grundschule in die Se-        einer Fehleinschätzung auf eine Hauptschule geschickt,
Sozialstruktur Deutschlands.          kundarstufe I (meist 5.-10. Klasse). Besonders augenfällig   wird dieser Fehler in der Regel nicht korrigiert. Die
Zur gesellschaftlichen Ent-           ist die Selektion in Bayern. Die Ergebnisse der PISA-        Durchlässigkeit zwischen den Schultypen ist vor allem
wicklung mit einer Bilanz zur         Studie von 2006 zeigen, dass in Bayern gerade einmal         eine Durchlässigkeit nach unten. 77 Prozent der Schul-
Vereinigung. Wiesbaden.               acht Prozent der Kinder ungelernter oder angelernter         typenwechsel sind Abstiege (vgl. PH-Weingarten 2007).
                                      Arbeiter_innen ein Gymnasium besuchen (PISA-Studie              Die Ergebnisse der ersten PISA-Studie aus dem Jahr
Pädagogische Hochschule Wein-         2006: 17).                                                   2000 widerlegen das Argument, gemeinsames Lernen
garten (Hrsg.) 2007: Säulen des                                                                    leistungsstärkerer und leistungsschwächerer Schüler_in-
dreigliedrigen Schulsystems sind      Chancenungleichheit trotz Bildungsexpansion                  nen müsse mit Niveauverlusten erkauft werden. Die
veraltet, ungerecht, zukunftsfeind-                                                                meisten OECD-Staaten, die im Gesamtergebnis über-
lich und schöpfen die Potentiale      Trotz der sogenannten Bildungsexpansion, die in den          durchschnittlich gut abschnitten, selektieren ihre Schü-
der Kinder und Jugendlichen nicht     1970er Jahren eingeleitet wurde (d.h. dass immer mehr        ler_innen nicht, da sie kein mehrgliedriges Schulsystem
aus. Weingarten. In: http://www.      Menschen höhere Bildungsabschlüsse erwerben und              haben. Während sich durch gemeinsamen Unterricht
laenger-gemeinsam-lernen-bw.          länger im Bildungssystem verweilen, vgl. Geißler 2006:       leistungsschwächere Schüler_innen deutlich verbessern,
de/bilder/schule_bw_PH%20             274), hat sich die Chancenungleichheit zwischen den          sind bei leistungsstärkeren Schüler_innen keine Niveau-
Wgt%20Stellungnahme%20                sozialen Gruppen nicht vermindert. Bei Schüler_innen,        verluste zu verzeichnen (PISA-Studie: 2000).
Schulsystem%20.pdf
                                      die nach dem Jahr 2000 eingeschult wurden, hat sie sich         Die UNO kritisiert in ihrem Bildungsbericht aus dem
                                      sogar vergrößert. Die Hauptverlierer_innen der Bil-          Jahr 2006 einmal mehr die vom deutschen Bildungssy-
                                      dungsexpansion sind Kinder von Arbeiter_innen, deren         stem hervorgerufenen sozialen Benachteiligungen von
                                      Bildungschancen sich im Vergleich zu allen anderen           Schüler_innen. Wir teilen diese Kritik und solidarisie-
                                      Schichten seit 1970 erheblich verschlechtert haben (vgl.     ren uns mit den Schüler_innen und mit allen von der
                                      Geißler 2006: 285ff).                                        Bildungsmisere Betroffenen.
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