Tinnitus: Interdisziplinäre Behandlung eines multi-kausalen Symptoms

 
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Tinnitus: Interdisziplinäre Behandlung eines multi-kausalen Symptoms
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State of the Art der Tinnitustherapie erfordert integratives Konzept

Tinnitus: Interdisziplinäre
Behandlung eines multi-
kausalen Symptoms
Die Behandlung von Patienten mit dem Symptom Tinnitus ist immer noch eine Herausforde-
rung in der modernen Medizin. Aufgrund der F ülle von Ur sachenfaktoren ist die Diagnostik
komplex und die R ealisierung einer interdisziplinären Behandlung in der P raxis schwierig.
Ein integratives Konzept, das den Fünf-Elemente-Zyklus der chinesischen Medizin einschließt,
kann bei der Vereinfachung von Diagnostik und Therapie helfen.
M. Golenhofen

Unser Wissen über das Symptom Tinni-            mit scheint auch den somatischen The-         • Die verschiedenen Ursachen sind Dia-
tus (lat. tinnire: klingeln) ist in den letz-   rapien wieder ein solides F undament            gnostik und Therapie nur dann zugäng-
ten J ahren spr unghaft ange wachsen.           geschaffen.                                     lich, w enn r eibungslos u nd s ynergie-
Die Erklär ung der akustisc hen Phan-           Dennoch sind Diagno stik und B ehand-           orientiert interdisziplinär gehandelt
tomwahrnehmung durc h das neuro-                lung von Tinnituspatienten in der är ztli-      wird. Wenige Zentren sind hierfür bis-
physiologische Modell des Tinnitus [7,          chen Praxis unverändert eine große He-          her adäquat eingerichtet.
8] stellte ab 1 993 bereits einen funda-        rausforderung. Zwei Gründe scheinen als       Die Konsequenz hieraus ist: Nur ein in-
mentalen Fortschritt dar und bestimm-           Erklärung dieses Umst ands im Vorder-         tegrativer Ansatz ersc heint Erf olg v er-
te nac hhaltig die B ehandlungspraxis           grund zu stehen:                              sprechend. Er muss einerseits in der
hin zu psychotherapeutischen Behand-            • Tinnitus als ein multikausales Symp-        Diagnostik integrativ sein, um so dif fe-
lungsstrategien. Erst in den letzten              tom entzieht sic h mit seiner K omple-      renziert genug alle Ursac hen für Tinnitus
fünf Jahren häuften sich dann die B e-            xität dem Zugrif f einer klinisc hen Pra-   zu erfassen. Und er muss andererseits in
lege für eine somatosensorisc he Aus-             xis, die auf den Umgang mit einf achen      der Therapie integrativ sein – was im We-
lösung und B eeinflussung akuter und              Ursache-Wirkungs-Beziehungen aus-           sentlichen die interdisziplinäre Betreuung
chronischer Ohrgeräusche [9, 1 2]. Da-            gelegt ist.                                 betroffener Patienten bedeutet.

                                                                                                     Komplement. integr. Med. · 01-02/2009
Tinnitus: Interdisziplinäre Behandlung eines multi-kausalen Symptoms
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Differenzierte Diagnostik                             Ursachenkomplex                               Pathophysiologie
Bereichert um die beiden jüngsten Ursa-
                                                      Cochleär-sensorisch                           Deafferenzierung
chenkomplexe für das Symptom Tinnitus
(zentrale und somatosensorische Ursa-                 Somatosensorisch                              Hirnstammbeeinflussung
chen) führen fünf p athophysiologische
Komplexe zur Ausprägung v on Ohrge-                   Zentral                                       Cortikale Sensibilisierung
räuschen (Tab. 1).                                    Endolymphatisch                               Hydrops des Endolymphraums

Cochleär-sensorischer                                 Toxisch                                       Potenzialveränderung an Sinneszellen oder Hörnerv
Ursachenkomplex                                       Tab. 1: Ursachenkomplexe für das Symptom Tinnitus und ihre Pathophysiologie

In der z eitlichen Abfolge st and am B e-
ginn der Überlegungen zur Tinnitusaus-
lösung die nahe liegende Annahme,
dass Tinnitus auf F ehlfunktionen im In-
nenohr zurückzuführen ist. Dies ist der
Fall beim coc hleär-sensorischen Funkti-
onsverlust. Typisch für diese Stör ungs-                                    Vene

form is t d as h ohe, t onale O hrgeräusch
zum B eispiel beim akuten Hörst urz.
Sauerstoffmangel, Durc hblutungsstö-                                        Arterie
rungen (vgl. Abb. 1) oder autonome
Innervationsstörungen w erden als Ur -
sachen für den Ausfall der Hörfunktion
diskutiert [3, 10, 11].

Somatosensorischer
Ursachenkomplex
                                                      Abb. 1: Gefäßversorgung der Cochlea (Quelle: [6], S. 37)
Ein weiterer E ntstehungsmechanismus
bewirkt, dass über somatosensorisc he
Afferenzen eine Ir ritation im Nucleus                                                                                                       Spinaler Kern des
                                                                                                                        Granulazelle des       N. trigeminus
cochlearis dorsalis erfolgt [1 , 9, 12]. Audi-                                                                         ventralen Nucleus
torische Afferenzen mischen sich dort im                                               Axon der Paralellfasern             cochlearis        Dorsaler Kern des
                                                                                                                                              Rückenmarks
verlängerten Mark und es k ommt nach
heutiger Vorstellung zu einer Weiterlei-                                                                                                        Ganglion der
tung chaotischer Signale in die höher ge-                                                                                                      dorsalen Wurzel
legenen Hör zentren des Zwisc henhirns
                                                        Oberflächliche
und Hörkortex, d ie als Tinnitus wahrge-                 Sternzellen               Pyramidalzelle
                                                                                                                    „Cartwheel”-Zellen
nommen werden (Abb. 2).

Zentraler Ursachenkomplex                                                                                        Vertikal-
                                                                                                                  Zellen
                                                            Excitatorisch
Als ein dritter Entstehungsmechanismus                                                                                                     N. trigeminus
konnten Sensibilisier ungsvorgänge im                       Inhibitorisch             Fasern des Nervus                                      Ganglion
                                                                                          acusticus
auditiven S ystem identifiziert w erden.
Ähnlich w ie der Tinnituswahrnehmung
des Gesunden in der sc halldichten Kam-               Abb. 2: Auditorischer und nichtauditorischer Input am Nucleus cochlearis dorsalis
                                                      (Quelle: [13], nach [6], S. 9)
mer, kommt es bei Tinnituspatienten zu
einer gezielten A ufmerksamkeitslen-
kung auf ein meist als beidseitig hochfre-           Endolymphatischer                                           liegt nach heutiger Vorstellung am ehes-
quent wahrgenommenes Ohrgeräusch.                    Ursachenkomplex                                             ten eine autoimmunologisc he Stör ung
Die Auslösung geschieht meist v or dem                                                                           zugrunde.
Hintergrund eines neurotischen Konflikts              Der vierte Ursachenmechanismus ist die
und kann bei negativ er Bewertung und                Störung der endolymphatischen Funktion                      Toxischer Ursachenkomplex
durch seelisc he B elastungssituationen              (Abb. 3) mit ihrem bekanntesten Vertre-
zur psy chosomatischen K omorbidität                 ter, dem Morbus Menière [5]. So gut wir                     Schließlich ist als Mec hanismus der Tinni-
führen, welche als k ompensiertes bzw.               den Entstehungsort dieser Tinnitusform                      tusentstehung der toxische Einfluss von
dekompensiertes Tinnitusleiden klassifi-              kennen, so wenig wissen wir über deren                      Medikamenten oder Gif tstoffen bekannt
ziert wird [4].                                      Ursachen. Dem anf allsartigen Rauschen                      [2, 3]. Sie v erändern die Stof fwechselvor-

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Tinnitus: Interdisziplinäre Behandlung eines multi-kausalen Symptoms
Übersichten                                     11

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                                                                                     Zentraler
                                                                                     Tinnitus

                                                           Holz                        Erde                           Metall
                                                        Somato-
                                                                                                                    Toxischer
                                                      sensorischer                  M. Menière
                                                                                                                     Tinnitus
                                                        Tinnitus

                                                                                      Wasser
                                                                                     Cochleär
                                                                                   sensorischer
                                                                                     Tinnitus

 Abb. 3 a, b: Endolymphatische Druckerhö-
 hung. a: Endolymphe im Normalzustand;
 b: Endolymphe mit Druckerhöhung (Quel-        Abb. 4: Kongruenz von Wandlungsphasen der chinesischen Medizin und Tinnitusformen der
 le: [6], S 18)                                westlichen Medizin (Quelle: [6], S. 31)

     Interdisziplinäres Team der Behandler    erkrankungen zu leisten. An dieser Stelle     keit erfassen. Sowohl die körperlichen als
     bei Tinnitus-Erkrankungen mit Tinnitus
                                              wird auch offenkundig, dass eine differen-    auch die seelisc hen Aspekte erfasst die
 • HNO-Heilkunde                              zierte Diagnostik als Minimalanf orderung     chinesische Medizin, da sie v on ihrem
 • Zahnheilkunde                              die B eteiligung der Disziplinen Hals-Na-     Grundverständnis her psy chosomatisch
 • Orthopädie
 • Kieferorthopädie
                                              sen-Ohrenheilkunde, Zahnheilkunde und         arbeitet. Ferner ist das K onzept der fünf
 • Sportwissenschaft                          Orthopädie erfordert. Zwanglos er weiter-     Wandlungsphasen, betrachten wir es in
 • Neurologie                                 bar ist diese Aufzählung durch Allgemein-     deren fraktalem Charakter [6], auch viel-
 • Manuelle Therapie (Osteopathie)            medizin, Neurologie, Kief erorthopädie,       schichtig genug , um die große Wissens-
 • Psychosomatische Medizin
 • Allgemeinmedizin                           psychosomatische Medizin, Sport wissen-       fülle über die Tinnitusursachen mühelos
 • Krankengymnastik HNO-Heilkunde             schaft und Bewegungslehre.                    zu integrieren und zu strukturieren.
 • Zahnheilkunde                              Um sowohl die Vielfalt der Einzelbefun-
 • Orthopädie
 • Kieferorthopädie
                                              de eines betrof fenen Patienten als auc h     Element Wasser: cochleär-
 • Sportwissenschaft                          die B ehandlungsvorschläge der einz el-       sensorisch – „Zur Stärke finden“
 • Neurologie                                 nen Behandler zu hierarchisieren und zu
 • Manuelle Therapie (Osteopathie)            integrieren, ist es von großem Vorteil, ein   Aus der P raxis ist bekannt, dass die
 • Psychosomatische Medizin                   Metasystem einzuführen, w elches die          cochleär-sensorische F orm v on Tinni-
 • Allgemeinmedizin
 • Krankengymnastik                           Interpretation der Befunde erleichtert
                                              und das therapeutisc he Vorgehen v er-
                                              einfachen hilft. Ein solches Metasystem
gänge in den Sinneszellen, Hörnerven oder     liegt in F orm des F ünf-Elemente-Zyklus
im Gehirn selbst, was eine beidseitige        der chinesischen Medizin vor, mit dem
hochfrequente Tinnituswahrnehmung zur         sich die Ursac henkomplexe der Tinnitu-
Folge hat. Bei der hochakuten Otitis media    sentstehung aus Sic ht der modernen
kann diese auch einseitig sein. Inwieweit     Medizin verblüffend einfach in Überein-
chronische Intoxikationen beispielsweise      stimmung bringen lassen.
mit Schwermetallen zur Ohrgeräusc hent-
stehung beitragen, muss der zeit noch als     Integrative Therapie
unklar bezeichnet werden.
                                              Sobald d ie D ifferenzialdiagnostik a bge-
Unser heutiges Wissen ermöglicht also,        schlossen ist, lässt sich aus dem – vielen
mit Anamnese, klinischer Untersuchung         von uns geläufi gen – Verständnis der chi-
und neurootologischen Tests eine Dif fe-      nesischen Medizin heraus das Wesen der
renzialdiagnostik des S ymptoms Tinnitus      zugrunde liegenden Störung beim betrof-         Abb. 5: Element Wasser – cochleär-senso-
                                                                                              rische Störung
hinsichtlich der zugrunde liegenden Grund-    fenen Patienten schnell und mit L eichtig-

                                                                                                   Komplement. integr. Med. · 01-02/2009
Tinnitus: Interdisziplinäre Behandlung eines multi-kausalen Symptoms
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 Abb. 6 : Element Holz – somatosensori-              Abb. 7: Element Feuer – zentrale Sensibi-     Abb. 8: Element Erde – endolymphatische
 sche Störung                                        lisierung                                     Störung

tus gehäuft bei st ark belasteten Men-              beispielsweise zur adjuvanten Behand-         zogen w erden. Die Akupunktur spielt
schen auftritt, dere n seelisches Befi n-            lung der Kief ergelenkfehlfunktion oder       nur eine untergeordnete R olle, w äh-
den mit Ängstlichkeit oder B edrohtheit             einer W irbelsäulenfehlstellung. Der          rend Qigong und verwandten Methoden
zu umschreiben ist. Aus Sicht der c hi-             Sanierung v on Herderkrankungen im            (Feldenkrais, Somatics) größere Bedeu-
nesischen Medizin fi nden sic h Str uk-              Kopfbereich (Zähne, Mandeln, Nasen -          tung eingeräumt werden kann.
turverlust und Entkräf tung im Element              nebenhöhlen) k ommt z entrale B edeu-
Wasser wieder und führen zur B eein-                tung zu. Sehr wichtig auch die Stärkung       Element Erde: endolymphatisch –
trächtigung der Hörfunktion.                        der Eigeninitiativ e durch Krank engym-       „Integration ermöglichen“
Westliche Diagnose: beidseitige Innen-              nastik und sensomot orische Übun gen
ohrschwerhörigkeit, Hörsturz.                       (z.B. Feldenkrais).                           Die Verzweiflung steht P atienten mit ei-
Der „Wasser-Element-Tinnitus“ erfordert                                                           ner endolymphatischen Erkrankung ins
eine St ärkung der R essourcen: Infusi-             Element Feuer:                                Gesicht gesc hrieben. Am ehesten ist
onstherapie, Hyperbare Oxygenierung                 zentral – „Ordnungsbezüge“                    dieser Zust and mit dem B egriff Desin-
(HBO), Kortikoide, Ginkgo, psychothera-                                                           tegration zu bez eichnen. Die uner wartet
peutische Intervention. Maßnahmen wie               Typischerweise tritt bei Patienten mit zen-   auftretenden Schwindelattacken mit rau-
Akupunktur, manuelle Therapie der Wir-              tral verursachtem Ohrgeräusch ein beid-       schendem Ohrgeräusch führen zu einer
belsäule, Qigong oder c hinesische Phy-             seitiges, hoc hfrequentes Ohrgeräusc h        hochgradigen Verunsicherung der Patien-
totherapie können eine sinn volle Ergän-            auf, dessen B eginn nicht eindeutig be-       ten. Die Ätiologie der Störung liegt noch
zung darstellen.                                    schrieben werden kann. Auf der Gr und-        immer im Dunk eln. Neben der immuno-
                                                    lage des neuroph ysiologischen Modells        logischen S törung i m E ndolymphraum
Element Holz: somatosensorisch –                    wird verständlich, wie Tinnitus als reine     können auch craniosakrale F ehlfunktio-
„Bewegungsraum schaffen“                            Phantomwahrnehmung generiert wird             nen mit Auswirkung auf den Saccus en-
                                                    [8]. Im Mittelpunkt steht daher die seeli-    dolymphaticus sowie Herderkrankungen
An P atienten mit somatosensorisc h                 sche Grundhaltung, die zu der gestörten       als Verursacher postuliert werden.
bedingtem Tinnitus fällt ihre ge reizte             Aufmerksamkeitslenkung geführt hat.           Westliche Diagnose: Morbus Menière,
Grundhaltung auf. Das zumeist einsei-               Westliche Diagnose: Tinnitus aurium           fluktuierendes Hör vermögen, Lermoyez-
tige, tief- oder hoc hfrequente Ohrge-              beidseits ohne Hörminderung, kompen-          Syndrom.
räusch stört die P atienten sichtlich und           siertes/dekompensiertes Tinnitusleiden.       Die B ehandlung zielt auf eine Norma-
ist häufig mit wirbelsäulenbedingten                In der Behandlung stehen die psychothe-       lisierung der v egetativen Versorgung
Kopfschmerzen und ggf. Schwindelsym-                rapeutischen Verfahren im Vordergrund,        des Endolymphorgans. Symptomatisch
ptomen v erbunden. Die Ursac hen rei-               insbesondere w enn Hin weise für eine         wird Betahistin eingesetzt, das in die
chen v on Herderkrankungen am K opf                 psychiatrische K omorbidität und seeli-       gleiche Richtung zielt. Die Sanierung
über die craniomandibuläre und cranio-              sche Dek ompensationszeichen v orlie-         chronischer Entzündungsproz esse am
vertebrale Dysfunktion bis hin zu Stö-              gen. In der Tinnitus-Retraining-Therapie      Kopf, von S törungen der Kief ergelenk-
rungen aus dem tieferen Bewegungsap-                (TRT) und verwandten Methoden kommt           und Halswirbelsäulenfunktion so wie
parat oder Narbenstörfeldern.                       der Wahrnehmungsschulung besondere            die B eseitigung allergischer und to xi-
Westliche Diagnose: Akuter, einseitiger             Bedeutung zu, die eine k ortikale Desen-      scher Belastungen steht im Mittelpunkt
Tinnitus ohne Hörminderung.                         sibilisierung bewirken.                       der Therapie. Auch die psychotherapeu-
Das gesamte Spektr um zahnär ztlicher,              Aus chinesischer Sicht ist das Ziel, eine     tischen Verfahren haben einen f esten
kieferorthopädischer, orthopädisc her               Neuordnung im L eben des P atienten zu        Stellenwert. D ie Akupunktur k ann s o-
und krankengymnastischer Therapien                  erreichen. Bewegungsapparat, Bindege-         wohl im Anfall als auch zur Behandlung
kommt hier zur Anwendung. Die Aku-                  webe und Verdauungssystem k önnen             der genannten Stör ungsbilder sinn voll
punktur ist in vielen Formen einsetzbar,            unterstützend in die B ehandlung einbe-       eingesetzt werden.

    Komplement. integr. Med. · 01-02/2009
Tinnitus: Interdisziplinäre Behandlung eines multi-kausalen Symptoms
Übersichten                                     13

                                                                                            nem System der Verbindung und gegen-
                                                                                            seitigen Durchdringung (Abb. 1 0). Zum
                                                                                            Ausdruck k ommt d amit a uch, d ass b ei
                                                                                            einem Patienten mehrere Entstehungs-
                                                                                            mechanismen vorliegen können, die sich
                                                                                            hinsichtlich der Tinnitusauslösung gegen-
                                                                                            seitig verstärken. Besonders häufi g be-
                                                                                            steht zum B eispiel eine Verbindung zwi-
                                                                                            schen somatosensorischen A uslösern
                                                                                            und der dadurc h begünstigten z entralen
                                                                                            Fixierung.
                                                                                            Für die tägliche Behandlungspraxis ent-
                                                                                            stehen daraus zwei wesentliche Vorteile,
                                                                                            die uns zukünftig helfen können, die am-
 Abb. 9 : Element Met all – to xische Beein-     Abb. 10: Integriertes Modell der Tinnitus- bulante Behandlung von Tinnituspatien-
 flussung                                         ursachen
                                                                                            ten zu verbessern:
                                                                                            • Das K onzept ber ücksichtigt a lle rele-
Element Metall:                                In der Behandlung steht bei Medikamen-          vanten Ursachenfaktoren des Tinnitus
toxisch – „Austausch fördern“                  tennebenwirkungen die Karenz an erster          und beschreibt konkrete Behandlungs-
                                               Stelle. Im Fall der akuten Otitis media sind    wege.
In der akuten F orm erbringt bereits die       es chirurgische Verfahren z ur M ittelohr- • Das Modell strukturiert die gro ße und
Anamnese beim to xisch bedingten Tinni-        drainage. Bei den c hronischen Intoxika-        unüberschaubare W issensfülle zum
tus eine klare Diagnose. Arzneimittelne-       tionen ist die Entfernung und Ausleitung        Tinnitus und macht sie damit für die
benwirkungen lassen sic h schnell identi-      von Giftstoffen aus dem Zahnbereich und         Praxis leichter anwendbar.
fizieren, da der Tinnitus unverzögert und       anderen Geweben, z.B. mit Komplexbild-
dosisabhängig auftritt. Selten k ommt es       nern, zu er wägen – dies häufi g eher aus Integrativ denken und
bei der hoc hakuten Otitis media zu to-        generell therapeutischen Überlegungen
                                                                                              interdisziplinärbehandeln
xischen E inflüssen a uf d ie C ochlea. Völ-    heraus als unter dem Aspekt der Beseiti-
lig unsc harf und h ypothetisch ist dage-      gung einer Tinnituswahrnehmung.              Die Integration moderner wissenschaft-
gen die Annahme eines Einfl usses einer                                                      licher Erk enntnisse in ein Modell der
chronischen Gifteinwirkung, wie z.B . der      Das integrierte Modell                       Traditionellen Chinesisc hen Medizin
Schwermetalle, auf die Tinnitusauslösung.                                                   bringt es mit sic h, dass k onventionelle
Westliche Diagnose: Tinnitus aurium            In der Synopsis erscheinen die einzelnen Behandlungsmethoden gleichberechtigt
beidseits, Otitis media acutissima, toxi-      Ursachenkomplexe und ihre Entspre-           neben den komplementären Heilverfah-
sche Innenohrschädigung mit Tinnitus.          chungen der c hinesischen Medizin in ei-     ren stehen. Die in vasiven Strategien
                                                                                            chirurgischer u nd m edikamentöser Art
                                                                                            haben ihren berec htigten Platz – eben-
                                                                                            so wie Akupunktur, traditionelle Ph y-
            (                              (                                        totherapie und übende Verfahren zur
                                                                                            sensomotorischen S chulung. An d em
                                                                                            folgenden F allbeispiel mag dies deut-
                                                                                            lich werden.

                                                                                            Kasuistik: Tinnitus
                                                                                            somatosensorischer Genese
                                                                                            Diagnose
                                                                                            Einseitiger Tinnitus ohne Hörminderung
                                                    (
                                                                                            (chinesische D iagnose: a ufsteigendes
                                                                                            Leber-Yang).

                                                                                            Therapieprinzip
                                                                                            Bewegungsraum schaffen.

                                  1L                                                      Anamnese
                                  /H
                                                                                            Der Patient ist ein 43-jähriger Mann mit
                                                                                            einem akuten, einseitigen Tinnitus rechts
            *E                                                                           ohne Hörminderung. Bei hoher Arbeits-
                                                                                            belastung leidet er an starker Nackenver-
 Abb. 11: Körperakupunktur: Aufsteigendes Leber-Yang (Quelle: [6], S. 148)
                                                                                            spannung. Seit rund drei Wochen klagt er

                                                                                                   Komplement. integr. Med. · 01-02/2009
Tinnitus: Interdisziplinäre Behandlung eines multi-kausalen Symptoms
14                                        Übersichten

über einseitige Schulterbeschwerden. Er                       1. Sitzung                                                         Disziplinen Allgemeinmedizin, psycho-
hat keinen Schwindel.                                         Counseling: Information über harmlose                              somatische Medizin, Osteopathie, Kie-
Befund: Der Patient wirkt innerlich beun-                     somatosensorische Ursache.                                         ferorthopädie, Trainingslehre u nd K ran-
ruhigt und hat einen leic ht pulsierenden                     Diätetik: R eizfreie K ost, Meiden v on                            kengymnastik.
Kopfschmerz. Es sind Triggerpunkte im                         Genussgiften empfohlen.                                            Zur Anwendung kommen in einem inte-
ipsilateralen M. sternocleidomastoideus                       Außerdem: Ohrakupunktur, Kraniale                                  grierten Konzept neben den k onventio-
und M. pter ygoideus lateralis so wie eine                    Osteopathie, Akupunktur (Abb. 11).                                 nellen Therapieverfahren zudem die Aku-
beidseitige K opfgelenksblockierung zu                                                                                           punktur, Pfl anzenheilkunde, Osteopathie
finden. Die Tonaudiometrie ist unauffällig,                    Zusammenfassung                                                    und Bewegungstherapien. Der aus sei-
pathologische Nystagmen gibt es keine.                                                                                           nem Gr undgedanken her rührende psy -
Zunge: Rot, wenig dünner B elag, gerö-                        Die Behandlung von Tinnituspatienten ist                           chosomatische Ansatz der c hinesischen
tete Ränder.                                                  unverändert eine Herausforderung in der                            Medizin ermöglicht dabei, einen P atien-
Puls: Schnell, saitenförmig.                                  modernen Medizin. Aufgrund der Fülle                               ten in seiner Ganzheit v on körperlichen
                                                              von Ursachenfaktoren ist die Diagnostik                            und leiblic hen Aspekten zu v erstehen
Therapie                                                      komplex und die R ealisierung einer in-                            und zu behandeln.                     dcs
Orale Medik ation: Magnesium 3-mal                            terdisziplinären Behandlung in der Praxis
täglich 150 mg , Vitamin E 3-mal t äglich                     schwierig.
500 mg.                                                       Ein integratives Konzept, bestehend
Sensomotorische Ü bungen: Aus dem                             aus aktuellem schulmedizinisch-wissen-                               Dr. med. Michael Golenhofen
Konzept Somatics nach Thomas Hanna.                           schaftlichem Herangehen an die Erkran-
Osteopathie: Occipital base release                           kung und dem F ünf-Elemente-Zyklus                                    HNO-Facharzt
nach Versorgung mit Dauerakupunk-                             der chinesischen M edizin k ann h elfen,
                                                                                                                                                            Harrasser Str. 6
turnadeln am Ohr: Kief ergelenk, HWS,                         Diagnostik und Therapie zu v ereinfa-                                                         83209 Prien
Shen Men, nach Messbefund.                                    chen. Dabei bietet ein Team die besten
Akupunktur: Le 3 – besänf tigt die L e-                       Voraussetzungen für eine v ollständige                                                        Tel. (0 80 51) 9 65 50
                                                                                                                                                            Fax (0 80 51) 9 65 51 10
ber, Ni 3 – st ärkt die Niere, 3E 17 – ent-                   Untersuchung und erfolgreiche Behand-
fernt Fülle aus dem Kopf, öffnet das Ohr,                     lung. Neben der Hals-Nasen-Ohrenheil-                                                         drgolenhofen
Gb 43 ipsilateral – leitet L eber-Yang ab,                    kunde, Zahnheilkunde und Orthopädie                                                           @4myear.com
wirkt auf laterale Symptomatik.                               umfasst ei n i ntegratives Team a uch d ie

                                                                                   Literatur
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     Komplement. integr. Med. · 01-02/2009
Tinnitus: Interdisziplinäre Behandlung eines multi-kausalen Symptoms Tinnitus: Interdisziplinäre Behandlung eines multi-kausalen Symptoms
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