Erfassung und apparatives Monitoring des Ernährungsstatus von Patient*innen auf der Intensiv- und Intermediate Care Station

 
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Medizinische Klinik
                                                                                                     Intensivmedizin und Notfallmedizin

Positionspapier
Med Klin Intensivmed Notfmed
https://doi.org/10.1007/s00063-022-00918-4
Angenommen: 14. März 2022
                                             Erfassung und apparatives
© Der/die Autor(en) 2022                     Monitoring des Ernährungsstatus
                                             von Patient*innen auf der
                                             Intensiv- und Intermediate Care
                                             Station
                                             Positionspapier der Sektion Metabolismus und Ernährung
                                             der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv-
                                             und Notfallmedizin (DIVI)
                                             Arved Weimann1 · Wolfgang H. Hartl2 · Michael Adolph3 · Matthias Angstwurm4 ·
                                             Frank M. Brunkhorst5 · Andreas Edel6 · Geraldine de Heer7 · Thomas W. Felbinger8 ·
                                             Christiane Goeters9 · Aileen Hill10 · K. Georg Kreymann11 · Konstantin Mayer12 ·
                                             Johann Ockenga13 · Sirak Petros14 · Andreas Rümelin15 · Stefan J. Schaller6 ·
                                             Andrea Schneider16 · Christian Stoppe17 · Gunnar Elke18
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                                                Abteilung für Allgemein-, Viszeral- und Onkologische Chirurgie, Klinikum St. Georg gGmbH, Leipzig,
                                             Deutschland; 2 Klinik für Allgemein-, Viszeral- und Transplantationschirurgie, Ludwig-Maximilians-
                                             Universität München – Klinikum der Universität, Campus Großhadern, München, Deutschland;
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                                                Universitätsklinik für Anästhesiologie und Intensivmedizin und Stabsstelle Ernährungsmanagement,
                                             Universitätsklinikum Tübingen, Tübingen, Deutschland; 4 Medizinische Klinik und Poliklinik IV, Ludwig-
                                             Maximilians-Universität München – Klinikum der Universität, Campus Innenstadt, München, Deutschland;
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                                                Zentrum für Klinische Studien, Klinik für Anästhesiologie und Intensivtherapie, Universitätsklinikum
                                             Jena, Jena, Deutschland; 6 Klinik für Anästhesiologie mit Schwerpunkt operative Intensivmedizin, Charité
                                             Universitätsmedizin Berlin, Berlin, Deutschland; 7 Zentrum für Anästhesiologie und Intensivmedizin,
                                             Klinik für Intensivmedizin, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, Hamburg, Deutschland; 8 Klinik für
                                             Anästhesiologie, Operative Intensivmedizin und Schmerztherapie, Kliniken Harlaching und Neuperlach,
                                             Städtisches Klinikum München GmbH, München, Deutschland; 9 Klinik für Anästhesiologie, operative
                                             Intensivmedizin und Schmerztherapie, Universitätsklinikum Münster, Münster, Deutschland; 10 Kliniken
                                             für Anästhesiologie und Operative Intensivmedizin und Intermediate Care, Uniklinik RWTH Aachen,
                                             Aachen, Deutschland; 11 Hamburg, Deutschland; 12 Klinik für Pneumologie und Schlafmedizin, St.
                                             Vincentius-Kliniken, Karlsruhe, Deutschland; 13 Medizinische Klinik II, Klinikum Bremen Mitte, Bremen,
                                             Deutschland; 14 Interdisziplinäre Internistische Intensivmedizin, Universitätsklinikum Leipzig, Leipzig,
                                             Deutschland; 15 Anästhesie, Intensivmedizin und Notfallmedizin, Helios St. Elisabeth-Krankenhaus Bad
                                             Kissingen, Bad Kissingen, Deutschland; 16 Klinik für Gastroenterologie, Hepatologie und Endokrinologie,
                                             Medizinische Hochschule Hannover, Hannover, Deutschland; 17 Klinik und Poliklinik für Anästhesiologie,
                                             Intensivmedizin, Notfallmedizin und Schmerztherapie, Universitätsklinikum Würzburg, Würzburg,
                                             Deutschland; 18 Klinik für Anästhesiologie und Operative Intensivmedizin, Universitätsklinikum Schleswig-
                                             Holstein, Campus Kiel, Kiel, Deutschland

                                             1. Präambel                                           Krankheitsbilds nachvollziehbar nicht prio-
                                                                                                   risiert, jedoch im weiteren Verlauf häu-
                                             Für die Planung einer individualisierten              fig auch nicht mehr nachgeholt. Dadurch
                                             medizinischen Ernährungstherapie (engl.               besteht vor allem bei längerer Verweil-
                                             „medical nutrition therapy“, MNT) auf der             dauer das Risiko einer Mangelernährung
                                             Intensiv (ITS)- oder Intermediate Care Sta-           mit Aufbau eines kumulativen, progno-
                                             tion(IMC) istdieErhebungdes Ernährungs-               serelevanten Energie-, Protein- und Mi-
                                             status eine wichtige Voraussetzung. Ernäh-            kronährstoffdefizits [1]. Eine standardisier-
                                             rungsmedizinische Diagnostik wird in der              te Diagnostik der Mangelernährung kann
QR-Code scannen & Beitrag online lesen       Erstversorgung eines vital bedrohlichen               grundsätzlich Patient*innen mit einem er-

                                                                                        Medizinische Klinik - Intensivmedizin und Notfallmedizin   1
Positionspapier                                          Zusammenfassung

                                                         Die Erhebung des Ernährungsstatus zum Zeitpunkt der Aufnahme im Intensiv-
höhtem Risiko für einen längeren Auf-
                                                         oder Intermediate Care Bereich hat sowohl prognostische als auch therapeutische
enthalt auf der ITS bzw. IMC oder gene-
                                                         Relevanz im Hinblick auf die Planung einer individualisierten medizinischen
rell im Krankenhaus und mit einer erhöh-
                                                         Ernährungstherapie (engl. „medical nutrition therapy“, MNT). Diese Planung
ten Sterblichkeit identifizieren [2]. Theo-               wird im Rahmen der Erstversorgung eines vital bedrohlichen Krankheitsbilds
retisch können aus ernährungsmedizini-                   nachvollziehbar nicht priorisiert, jedoch im weiteren Verlauf häufig auch oft nicht
scher Sicht 3 Patient*innengruppen unter-                mehr angemessen durchgeführt. Vor allem bei längerer Verweildauer besteht das
schieden werden, wobei jedoch bis heute                  Risiko einer Mangelernährung mit Aufbau eines kumulativen, prognoserelevanten
nicht sicher ist, wie diese Gruppen in der               Makro- und/oder Mikronährstoffdefizits. Bisher gibt es für Patient*innen auf Intensiv-
Praxis genau zu charakterisieren sind [3]:               und Intermediate Care Einheiten keine strukturierten Empfehlungen zur Erhebung
– Patient*innen, bei denen durch eine                    des Ernährungsstatus. Das vorliegende Positionspapier der Sektion Metabolismus
    MNT eine Multiorgandysfunktion und                   und Ernährung der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und
    ein komplikationsreicher Verlauf nicht               Notfallmedizin (DIVI) beinhaltet konsensbasierte Empfehlungen zur Erfassung und
    zu verhindern oder zu durchbrechen                   zum apparativen Monitoring des Ernährungsstatus von Patient*innen auf Intensiv-
    sein wird;                                           und Intermediate Care Stationen. Diese Empfehlungen ergänzen die aktuelle S2k-
– Patient*innen, die sich rasch erholen,                 Leitlinie „Klinische Ernährung in der Intensivmedizin“ der Deutschen Gesellschaft für
    und keine MNT benötigen, da sie                      Ernährungsmedizin (DGEM) und der DIVI.
    selbständig und frühzeitig wieder
                                                         Schlüsselwörter
    bedarfsdeckende orale Kost zu sich                   Malnutrition · Kritische Erkrankung · Ernährung · Intensivmedizin · Leitlinie
    nehmen können;
– Patient*innen, deren klinischer Verlauf
    signifikant durch eine individualisierte
    MNT positiv beeinflusst werden kann.                    „Intensivstation“ und „Intermediate               Sektionsmitgliedern am 31.01.2021 zur
                                                       Care Station“ werden entsprechend der                 Durchsicht vorgelegt und nachfolgend
Zur Identifikation dieser letztgenannten                DIVI-Strukturempfehlungen definiert [5,                in einer Onlinesitzung am 15.02.2021
Subgruppe steht eine Reihe von Parame-                 6]. Die Empfehlungen sollen das Be-                   strukturiert diskutiert. Es folgten ana-
tern zur Verfügung, deren Nutzen im Fol-               wusstsein für die prognostische und                   log weitere Überarbeitungen mit Onli-
genden diskutiert werden soll.                         mögliche therapeutische Relevanz des                  nesitzung am 18.05.2021, danach die
                                                       Ernährungsstatus für die Planung einer                Erstellung des Texts, der den Sektionsmit-
2. Ziele des Positionspapiers                          individualisierten MNT fördern und die                gliedern am 13.12.2021 vorgelegt wurde.
                                                       strukturellen Anforderungen der DIVI an               Die abschließende Diskussion und Kon-
Im Sinne der Mission 2030 der Deutschen                die apparative Ausstattung einschließlich             sensusfindung erfolgte am 21.12.2021
Interdisziplinären Vereinigung für Inten-              der bildgebenden Diagnostik ergänzen                  online. Für die Empfehlungen bestand je-
siv- und Notfallmedizin (DIVI) und in Er-              [5, 6].                                               weils 100 %ige Zustimmung. Der über-
gänzung zur aktuellen S2k-Leitlinie „Klini-                Da der Operationen- und Prozeduren-               arbeitete Text wurde am 23.12. und
sche Ernährung in der Intensivmedizin“ der             schlüssel(OPS)-Code 8-98j „Ernährungs-                30.12.2021 zur Durchsicht an die Sekti-
DeutschenGesellschaftfür Ernährungsme-                 medizinische Komplexbehandlung“ auch                  onsmitglieder und anschließend an das
dizin (DGEM) aus dem Jahr 2018 [4] sollen              bei Patient*innen auf der ITS oder IMC                DIVI-Präsidium versandt. Am 08.02.2022
mit 2 Positionspapieren der DIVI-Sektion               Anwendung finden kann, werden im                       wurde das vorliegende Positionspapier
„Metabolismus und Ernährung“ die Kom-                  Folgenden die Vorgaben zur Kodierung                  im Rahmen der DIVI-Präsidiumssitzung
petenz und Qualität weiterentwickelt wer-              berücksichtigt [7].                                   (online) in seiner finalen Version verab-
den. Während dieses erste Positionspapier                                                                    schiedet.
verschiedene Möglichkeiten der Erhebung                3. Methodisches Vorgehen und
und des (apparativ) technischen Monito-                Konsensfindung                                        4. Erhebung des Ernährungs-
rings des Ernährungsstatus vorstellt und                                                                     zustands
diskutiert, wird das zweite Positionspapier            Im Rahmen eines Onlinesymposiums der
laborchemische Parameter zur Beurteilung               DGEM in Zusammenarbeit mit der DIVI-                  Grundsätzlich erfolgt bei Aufnahme auf
des Ernährungsstatus und der metabo-                   Sektion Metabolismus und Ernährung                    eine ITS oder IMC eine allgemeine Risi-
lischen Toleranz sowie die Messung des                 am 20./21.11.2020 wurde der Themen-                   koeinschätzung anhand etablierter Scores
Energieumsatzes umfassen.                              komplex definiert und anhand der Prä-                  wie z. B. dem Acute Physiology and Chronic
                                                       sentationsinhalte gemeinsam ein erster                Health Evaluation (APACHE II) Score oder
                                                       Textentwurf erstellt. Zwischenzeitlich er-            dem Sepsis-related Organ Failure Assess-
    Zusatzmaterial online
                                                       folgte eine aktuelle Literatursuche anhand            ment (SOFA) Score. Diese klassischen
    Im Zusatzmaterial dieses Beitrags (https://        der auch für die Leitlinie verwendeten                Scores berücksichtigen jedoch nicht den
    doi.org/10.1007/s00063-022-00918-4)
                                                       Schlüsselwörter und Suchstränge. Die-                 Ernährungszustand der Patient*innen.
    finden Sie die Angaben aller Autor*innen
    zum Interessenkonflikt.                             se wurde im weiteren Verlauf mehrfach                 Da bei bis zu 80 % der kritisch kranken
                                                       aktualisiert. Der Textentwurf wurde den               Patient*innen bereits bei Aufnahme eine

2     Medizinische Klinik - Intensivmedizin und Notfallmedizin
Mangelernährung vorliegt oder sich inner-       tes ernährungsmedizinisches Risiko (Nutri-       anamnestisch verminderte Nahrungsauf-
halb des Verlaufs auf der ITS einstellenkann    tional Risk Screening Score [NRS] ≥ 5), das      nahme oder -resorption sowie Schwere der
[8], erscheint es grundsätzlich sinnvoll, den   mit einer Letalität von 87 % assoziiert war.     Grunderkrankung/Inflammation. Jeweils
Ernährungsstatus in die Risikoeinschät-         Patient*innen mit niedrigeren NRS-Score-         ein ätiologisches oder phänotypisches
zung für einen verlängerten Aufenthalt, die     Werten starben signifikant seltener (49 %,        Kriterium muss erfüllt sein, damit eine
Entwicklung einer (Multi-)Organdysfunk-         p < 0,01) [13].                                  Mangelernährung klinisch diagnostiziert
tion und eine prolongierte Rehabilitation                                                        werden kann [16]. Biochemisch entspricht
miteinzubeziehen.                               4.2. Adipositas-Paradox                          dies einem abnormen Verhältnis von Ge-
    Dadurch sollte sich die prognosti-                                                           samtkörpereiweißmasse (überwiegend
sche Sicherheit erhöhen und es sollte           Häufig wird auf der Basis des sog. Adipo-         Muskelmasse) zu Gesamtkörpergewicht
zumindest möglich sein, diejenigen Pa-          sitas-Paradox auf einen Überlebensvorteil        und einem Defizit an Mikronährstoffen.
tient*innen zu identifizieren, die von einer     für (speziell auch septische) Intensivpati-          Als Ursachen für eine Malnutrition wer-
besonders sorgfältigen Überwachung und          ent*innen hingewiesen, die übergewich-           den unterschieden [22]:
leitliniengerechten Ernährung profitieren        tig oder sogar adipös sind [14, 15]. In          – bedingt durch eine akute Erkrankung:
[4]. Eine simple Steuerung der Kalorien-/       einer aktuellen Metaanalyse (8 Studien               akute Inflammation mit schwerem Aus-
Proteinzufuhr (vor allem in der Akutphase       bei 9696 septischen Patient*innen) fand              maß (Sepsis, Verbrennung, Trauma).
der kritischen Erkrankung) anhand des           sich im Vergleich zu Normalgewichtigen           – ernährungsbedingt, z. B. chronischer
Ernährungszustands (nach dem Motto „je          ein signifikant besseres Überleben nur                Hungerzustand ohne Inflammation,
schlechter, umso mehr“) ist inzwischen          bei Übergewichtigen mit einem Body                   Nahrungskarenz (z. B. sozioökono-
jedoch verlassen worden. Eine inadäquat         Mass Index (BMI) von 25–30 kg/m2, nicht              misch, prolongierte perinterventionel-
überwachte, „aggressive“ Kalorienzufuhr         jedoch bei Adipositas (BMI 30–40 kg/m2)              le Nüchternheit).
in der Akutphase kann unter Umständen           oder morbider Adipositas (BMI > 40 kg/m2)        – bedingt durch eine chronische Er-
die Morbidität sogar erhöhen und die Ver-       [16]. Eine „Dose-Response“-Metaanalyse               krankung: chronische Inflammation
weildauer verlängern [9, 10]. Besonders         von 31 Studien mit 238.961 Patient*innen             mit mildem oder moderatem Ausmaß
in dieser Phase ist eine nach der meta-         konnte nur bis zu einem BMI ≤ 35 kg/m2               (z. B. Malabsorption bei chronischer
bolischen und gastrointestinalen Toleranz       protektive Wirkungen identifizieren, wäh-             Pankreatitis, chronisch-entzündlicher
ausgerichtete individuelle MNT und Stei-        rend ein BMI > 35 kg/m2 mit einer signi-             Darmerkrankung, Pankreaskarzinom,
gerung der Substratzufuhr vorzunehmen           fikant erhöhten Letalität einherging [17].            rheumatoide Arthritis, sarkopene
[4].                                            In einer Studienkohorte von 6357 Pa-                 Adipositas).
                                                tient*innen konnten keine signifikanten
4.1. Mangelernährung als Risiko                 Vorteile für kritisch kranke Adipositaspa-       Alle 3 Formen können sich bei Pa-
                                                tient*innen (18,9 % der Fälle) identifiziert      tient*innen im ITS- oder IMC-Bereich
In einer überernährten Gesellschaft wer-        werden [18].                                     überlagern.
den für ITS- und IMC-Patient*innen bzw.             Somit scheinen adipöse Patient*innen
generell für hospitalisierte Patient*innen      nicht speziell vor den negativen Folgen          4.4. Medizinische Ernährungs-
die Risiken einer Mangelernährung unter-        einer Sepsis geschützt zu sein. Mögliche         therapie (MNT) und Ernährungs-
schätzt. Mogensen et al. [11] konnten an-       Vorteile bei Übergewichtigen beruhen aus         zustand
hand einer retrospektiven Analyse in ei-        metabolischer Sicht nicht auf der erhöhten
nem Kollektiv von6518 kritischkrankenPa-        Fettmasse per se, sondern ergeben sich           Die DGEM-Leitlinie empfiehlt mit star-
tient*innen zeigen, dass eine Protein-Ener-     indirekt durch eine sekundäre Erhöhung           kem Konsens: „Der Ernährungszustand
gie-Mangelernährung bei Aufnahme – de-          der fettfreien Masse bzw. Muskelmasse, die       sollte zum Zeitpunkt der Aufnahme auf
finiert als krankheitsbedingte Gewichts-         mit der erhöhten Fettmasse einhergehen           die Intensivstation abgeschätzt werden“
abnahme, Untergewicht, Verlust an Mus-          kann [19].                                       [4]. Hierbei ist die Einschätzung des Er-
kelmasse und verminderte Energie- oder                                                           nährungszustands zuallererst Ausdruck
Proteinaufnahme – im Vergleich zu nicht-        4.3. Definition der Mangelernährung               einer besonderen Sorgfalt im Rahmen
mangelernährten Patient*innen mit einem                                                          der MNT. Auch für elektive präopera-
doppelt so hohen Sterblichkeitsrisiko as-       Die 2019 von den internationalen Fach-           tive/präinterventionelle    Patient*innen
soziiert war. Grundsätzlich ist eine vorbe-     gesellschaften konsentierte Global-Lea-          ohne Organdysfunktion, jedoch mit ei-
stehendeMangelernährung in Verbindung           dership-Initiative-on-Malnutrition(GLIM)-        ner hohen Wahrscheinlichkeit für eine
mit einem akuten Organversagen ein un-          Definition der Mangelernährung beinhal-           postoperative/postinterventionelle inten-
abhängiger, signifikanter Prädiktor für eine     tet phänotypische und ätiologische Kri-          sivmedizinische oder IMC-Therapie wird
schlechterePrognose[8].DieseAssoziation         terien, die auch für Patient*innen im            empfohlen, den Ernährungsstatus – wenn
hat sich relevant auch bei intensivpflichti-     ITS- oder IMC-Bereich angewandt werden           nicht bereits auf der Basis der allgemei-
gen COVID-19-Patient*innen gezeigt [12,         können [20, 21]. Phänotypische Kriterien         nen Patient*innenaufnahme vorliegend –
13]. Fast zwei Drittel dieser Patient*innen     sind: unfreiwilliger Gewichtsverlust, nied-      spätestens im Rahmen des Prämedikati-
besaßen bei Aufnahme ein deutlich erhöh-        riger BMI, verminderte Muskelmasse und           onsgesprächs zu erheben.

                                                                                       Medizinische Klinik - Intensivmedizin und Notfallmedizin   3
Positionspapier
   Mangelernährte Patient*innen benöti-                und den mithilfe der Körpergröße errech-      dauer und korreliert nach mechanischer
gen eine gründliche Beachtung der Indika-              neten BMI zu unzuverlässigen Parametern       Beatmung mit der Rate an Reintubationen
tion bzw. der individuellen metabolischen              bei der Beurteilung des Ernährungsstatus.     [29–31]. Eine Assoziation mit der sono-
Toleranz einer MNT. So bedarf eine MNT                 So korreliert die Messung des Körperge-       graphisch bestimmten Querschnittsfläche
insbesondere auch eines adäquaten Mo-                  wichts unabhängig von der Phase der Er-       des M. rectus femoris ist bei Patient*innen
nitorings, das zusätzlich eine Verlaufskon-            krankung nicht nur mit der Eiweißmasse,       mit Sepsis gezeigt worden [32]. Vorausset-
trolle des Ernährungsstatus mit einbezie-              sondern auch mit dem Hydratationszu-          zung für die Messung ist allerdings eine
hen sollte [23, 24].                                   stand der Patient*innen.                      standardisierte Untersuchungstechnik oh-
   Die MNT muss immer individuell im                      Das „gewohnte“ Körpergewicht und ein       ne patientenseitige Limitationen. Da klare
Kontext von akuter Inflammation, meta-                  eventueller Gewichtsverlust vor Aufnah-       Cut-off-Werte für Intensivpatient*innen
bolischem Zustand, Organfunktion und                   me können insbesondere bei Notfallpa-         fehlen, liegt der Wert vor allem in der
Körperzusammensetzung bei Aufnahme                     tient*innen nur fremdanamnestisch und         intraindividuellen Verlaufskontrolle. Für
und im weiteren Krankheitsverlauf gese-                mit dem Risiko der Fehleinschätzung in        die ernährungsmedizinische Komplexbe-
hen werden und risiko- bzw. phasenad-                  Erfahrung gebracht werden. Die Messung        handlung OPS 8-98j ist die Dynamometrie
aptiert gesteuert durch die individuelle               des aktuellen Körpergewichts kann auf-        als Verlaufskontrolle anerkannt.
metabolische Toleranz erfolgen [4].                    wändig sein. Eine Bettwaage steht nicht
   Ziel der MNT muss es grundsätzlich                  immer zur Verfügung.                           Empfehlung 2
sein, einerseits ein Kalorien-, Protein- und              Trotz dieser methodischen Limitatio-       Unter Berücksichtigung der methodischen
auch ein Mikronährstoffdefizit zu vermei-                nen sollte dennoch bei allen Patient*innen    Limitationen sollte bei allen Intensiv- und In-
den bzw. eine vorbestehende Malnutriti-                im ITS- und IMC-Bereich die regelmäßi-        termediate Care-Patient*innen die regelmä-
on nicht zu verstärken; andererseits sollte            ge Messung des aktuellen Körpergewichts       ßige Messung des aktuellen Körpergewichts
jedoch die Prognose nicht durch eine un-               möglich sein und bei mobilisierbaren Pa-      möglich sein und mittels Bettwaage bzw.
                                                                                                     bei mobilisierbaren Patient*innen durch eine
angepasste, zu aggressive Substratzufuhr               tient*innen durch eine konventionelle Per-    konventionelle Personen- bzw. Stuhlwaage
verschlechtert werden. Diese Ziele sind be-            sonen- bzw. Stuhlwaage (alternativ Bett-      erfolgen.
sonders relevant für                                   waage) erfolgen. Die möglichst genaue         Zur Prüfung der Muskelkraft und funktionel-
– bereits primär bei Aufnahme mangel-                  Erfassung des Körpergewichts unter Be-        len Verlaufskontrolle wird bei kooperations-
   ernährte Risikopatient*innen;                       rücksichtigung der Flüssigkeitsbilanz und     fähigen Patient*innen die serielle Dynamo-
                                                                                                     metrie mit Messung der Handkraft empfoh-
– Patient*innen, die aufgrund ihrer                    des Hydratationsstatus ist dabei nicht nur    len.
   Grunderkrankung ein hohes Risiko                    Grundlage für die Kalkulation des BMI, son-
   aufweisen, während ihres Aufenthaltes               dern auch für medikamentöse Therapien
   auf der ITS oder IMC bzw. generell                  [25].                                         5.2 Scores zur Erhebung des
   während ihrer Hospitalisation eine                     Ein einfacher anthropometrischer Para-     Ernährungszustands
   Mangelernährung als zusätzliches                    meter ist der mittlere Armumfang, der sich
   Risiko zu entwickeln.                               bei Patient*innen mit einem Köpergewicht      Die verfügbaren und ansonsten bewähr-
                                                       < 15. Perzentile als ein Prädiktor für das    ten Screening- und Messinstrumente sind
    Empfehlung 1                                       Risiko schwerer Komplikationen und er-        für die Erhebung des Ernährungsstatus im
Sofern nicht bereits vorliegend soll die Ein-          höhter Letalität erwiesen hat [26].           ITS- und IMC-Bereichnichtgutvalidiert.Die
schätzung des Ernährungszustands zum Zeit-                Bei der Messung des oberen Bauchum-        Befunde weisen eine große Unsicherheit
punkt der Aufnahme auf der Intensiv- oder              fangs zur Abschätzung der viszeralen Adi-     auf. Bei fehlender Evidenz geben deswe-
Intermediate Care Station erfolgen.                    positas mit CT bei COVID-19-Patient*innen     gen die international verfügbaren Leitlini-
                                                       war jeder Zentimeter Zunahme mit einer        en keine klaren Empfehlungen im Hinblick
5. Methoden zur Bestimmung des                         1,13-fach höheren Wahrscheinlichkeit für      auf die präzise Methodik bzw. den Umfang
Ernährungszustands                                     eine Intensivbehandlung und einer 1,25-       personeller Ressourcen, die zur Erhebung
                                                       fach höheren Wahrscheinlichkeit für eine      des Ernährungszustands vorgehalten wer-
5.1 Anthropometrie                                     mechanische Beatmung assoziiert [27].         den sollen [33–36]. Dieses Defizit ist auch
                                                          Bei kooperationsfähigen Patient*innen      in einer aktuellen Leitlinienübersicht noch
Die präzise klinische Erfassung des Ernäh-             ohne vorbestehende oder erworbene neu-        einmal deutlich geworden [37].
rungsstatus anhand klassischer Parameter               rologische Komorbidität (Critical-illness-        Die . Tab. 1 zeigt eine Übersicht der ak-
(speziell Gewicht und BMI) kann insbeson-              Polyneuropathie, oder -Myopathie) stellt      tuellen Leitlinienempfehlungen, . Tab. 2
dere bei Intensivpatient*innen zum Zeit-               die Dynamometrie mit Messung der Hand-        eine Übersicht der Screeningtools zur Ein-
punkt der Aufnahme (und auch im Ver-                   kraft eine einfache und quantifizierbare       schätzung des Ernährungszustands.
lauf) durch beträchtliche interstitielle Flüs-         Methode zur funktionellen (Verlaufs-)Kon-
sigkeitseinlagerungen („capillary leak“) er-           trolle der Muskelkraft dar [28]. Die Hand-    5.3. NRS, MNA, SGA
schwert sein. Die je nach Stadium der Er-              griffstärke ist signifikant niedriger bei
krankung zu beobachtende Hyperhydra-                   Langzeitintensivpatient*innnen als bei        Die DGEM gibt auf ihrer Webseite einen
tation macht das aktuelle Körpergewicht                Patient*innen mit kurzer Behandlungs-         Überblick zu den empfohlenen Scree-

4     Medizinische Klinik - Intensivmedizin und Notfallmedizin
Tab. 1 Übersicht zu Leitlinienempfehlungen verschiedener Fachgesellschaften zur Einschät-                  Der NRS wurde in einer Studie an 260
 zung bzw. Erfassung des Ernährungszustands                                                              älteren internistischen und chirurgischen
  Fachgesellschaft        Parameter                                                                      Intensivpatient*innen > 65 Jahre evaluiert.
  DGEM Leitlinie          Einschätzung des Ernährungszustands zum Zeitpunkt der Aufnahme mit             Es fand sich eine NRS-definierte Häufigkeit
  „Intensivmedizin“       DGEM-Kriterien oder Subjective Global Assessment (SGA)                         der Mangelernährung von 23–34 % [45].
  [4]                     Nichtinvasive serielle Untersuchungen der Skelettmuskelmasse mittels           Im Vergleich mit dem MNA zeigte der NRS
                          Sonographie/MRT/CT zum Aufnahmezeitpunkt als auch während des                  die höchste Sensitivität, während SGA und
                          Aufenthalts auf der Intensivstation
                                                                                                         MNAShortForm einehöhereSpezifitätauf-
  DGEM Leitlinie          BMI < 18,5 kg/m2 oder
                                                                                                         wiesen. Eine mit diesen Methoden identi-
  „Terminologie in        Ungewollter Gewichtsverlust > 10 % in den letzten 3–6 Monaten oder
  der Klinischen                                                                                         fizierte Mangelernährung war signifikant
                          BMI < 20 kg/m2 und ungewollter Gewichtsverlust > 5 % in den letzten            mit einem längeren Krankenhausaufent-
  Ernährung“ [38]
                          3–6 Monaten oder
                                                                                                         halt, einem höheren Bedarf an poststa-
                          Nahrungskarenz > 7 Tage
                                                                                                         tionärer pflegerischer Unterstützung und
  A.S.P.E.N. Leitlinie    Risikoabschätzung mit validiertem Score, Nutritional Risk Score (NRS),         auch einer höheren Letalität assoziiert.
  „Intensivmedizin“       Nutrition Risk in the Critically Ill (NUTRIC)
  [26]                                                                                                       In einer Metaanalyse von 20 Studien
                          Unzureichende Energieaufnahme
                                                                                                         mit 1168 Patient*innen fand sich unter
                          Gewichtsverlust
                                                                                                         Verwendung von NRS, SGA und MNA ei-
                          Verlust von Muskelmasse und subkutanem Fettgewebe                              ne Prävalenz der Mangelernährung von
                          Wassereinlagerungen                                                            38–78 % [7]. Das SGA war prädiktiv dem
                          Verminderter funktioneller Status                                              MNA klar überlegen. Die Assoziation zwi-
  ESPEN Leitlinie         Anamnese und klinische Untersuchung                                            schen Screening und Risiko für Mangeler-
  „Intensivmedizin“       Verminderter BMI                                                               nährung war hingegen wenig konsistent.
  [28]
                          Unfreiwilliger Gewichtsverlust                                                 Es bestand eine unabhängige Assoziation
                          Körperzusammensetzung mit Muskelmasse und -kraft – wenn möglich                zwischen dem Vorliegen einer Mangeler-
  A.S.P.E.N. American Society for Parenteral and Enteral Nutrition, BMI Body Mass Index, CT Compu-       nährung und einer schlechteren Progno-
  tertomographie, DGEM Deutsche Gesellschaft für Ernährungsmedizin, ESPEN European Society for           se. Weiteres Ergebnis dieser Analyse war,
  Clinical Nutrition and Metabolism, MRT Magnetresonanztomographie                                       dass zur Abschätzung der Ernährungssta-
                                                                                                         tus-assoziierten Prognose SGA und MNA
                                                                                                         besser geeignet waren als der NRS [7]. Im
ningmethoden inklusive der jeweiligen               14 Punkten, und Anamnese mit weiteren                Vergleich zum Grad C des SGA als Gold-
Screeningfragebögen         (www.dgem.de/           12 Items (G–R) – davon 2 anthropome-                 standard für die Diagnose einer Mangeler-
screening), die zur Abklärung einer Man-            trische Messungen (Oberarmumfang und                 nährung hat der NRS in einer anderen Stu-
gelernährung zur Verfügung stehen.                  Wadenumfang) – mit max. 16 Punkten                   die bei Intensivpatient*innen eine höhere
    Die European Society for Clinical Nutri-        [40].                                                Sensitivität (79,1 %) und Spezifität (94,8 %)
tion and Metabolism (ESPEN) empfiehlt für                Das Subjective Global Assessment                 gezeigt [46].
nicht-intensivpflichtige Patient*innen ein           (SGA) ist eine einfache, reproduzierbare                 Aus Sicht der Arbeitsgruppe sind diese
2-stufiges Konzept unter Verwendung des              bettseitigeMethode, dieauf der Grundlage             Scores jedoch nur begrenzt für den Einsatz
gut validierten Nutritional Risk Score (NRS).       von anamnestischen (Gewichtsverände-                 bei kritisch kranken Patient*innen geeig-
Wird eine der in . Tab. 2 aufgeführten Fra-         rung, Nahrungszufuhr, gastrointestinale              net, da sie eine Anamnese voraussetzen,
gen des Vorscreenings mit „ja“ beantwor-            Symptome, Leistungsfähigkeit, Grunder-               die zuverlässig nur bei wachen und aus-
tet, schließt sich das Hauptscreening an, in        krankung) und klinischen Untersuchungs-              kunftsfähigen Patient*innen zu erheben
dem die Störung des Ernährungszustands              befunden (Unterhautfettgewebe, Muskel-               ist. Fremdanamnestische Angaben sind in
und die Krankheitsschwere anhand eines              masse, Ödeme) den Ernährungszustand                  der klinischen Routine oft nur aufwändig
graduellen Punktescores genauer quanti-             der Patient*in quantifiziert [41]. Im Hin-            zu erheben bzw. unzuverlässig.
fiziert werden (zusätzlich 1 Punkt, wenn             blick auf die Früherkennung einer Man-                   Zusätzlich limitierend ist, dass der
Alter ≥ 70 Jahre). Scorewerte > 3 charak-           gelernährung scheint das aufwändigere                NRS in seinem Scoresystem eine kriti-
terisieren eine Risikopatient*in, Werte ≥ 5         SGA den Screeningverfahren überlegen                 sche Erkrankung immer mit 3 Punkten
eine Hochrisikopatient*in mit den Zeichen           zu sein [42]. Daten liegen auch für In-              bewertet, wodurch alle kritisch kran-
der manifesten Mangelernährung [39].                tensivpatient*innen vor, bei denen eine              ken Patient*innen auf der ITS per se bei
    Das Mini Nutritional Assessment (MNA)           mit dem SGA diagnostizierte Mangeler-                Aufnahme ein Risiko für eine Mangel-
ist ein Screeninginstrument zur Erfassung           nährung mit einer höheren Wiederauf-                 ernährung aufweisen und keine weitere
des Ernährungszustands bei Individuen               nahmerate auf die ITS, einer längeren                Differenzierung möglich ist. Der SGA er-
> 65 Jahre in der häuslichen Pflege, Kran-           Krankenhausverweildauer und auch hö-                 fordert neben der Anamnese geschulte
kenhaus oder Pflegeheim und besitzt                  heren Krankenhausletalität einherging                Untersucher*innen [41]. Der Nutzen des
ebenfalls einen 2-stufigen Aufbau: Vor-              [43, 44].                                            MNA wird dadurch eingeschränkt, dass
anamnese mit 6 Items (A–F) mit max.                                                                      er ursprünglich zur Erfassung des Er-

                                                                                               Medizinische Klinik - Intensivmedizin und Notfallmedizin   5
Positionspapier
  Tab. 2 Screeningtools zur Einschätzung des Risikos einer Mangelernährung bzw. Methoden zur      (NUTRIC-Score ≥ 5) und längerer Verweil-
 Erfassung des Ernährungsstatus                                                                   dauer > 12 Tagen profitierten von einer
 Screening-Tool           Parameter                                                               aggressiveren Energie- und Eiweißzufuhr
 NUTRIC                   Alter                                                                   (signifikant niedrigere 60-Tage-Letalität),
 (Nutrition Risk in       APACHE (Acute Physiology and Chronic Health Evaluation) II-Score        während dies nicht für Patient*innen mit
 Critically Ill)
                          SOFA (Sepsis-related Organ Failure Assessment)-Score                    niedrigem Score und einer Verweildauer
                          Anzahl Komorbiditäten                                                   von ≤ 4 Tagen galt. Die Relevanz die-
                          Verweildauer im Krankenhaus vor ITS-Aufnahme                            ser Beobachtungen ist jedoch aufgrund
                          IL-6 (Interleukin-6) (fakultativ)                                       methodischer Limitationen bei der Daten-
 NRS-2002                 BMI ≤ 20,5 kg/m2                                                        auswertung (keine Berücksichtigung des
 (Nutritional Risk        Gewichtsverlust > 5 % während der letzten 3 Monate                      „confounding by indication“, von kom-
 Screening)                                                                                       petitiven Risiken, der Zeitabhängigkeit
                          Verminderte Nahrungsaufnahme
                                                                                                  der Nahrungszufuhr und von zeitvariie-
                          Schweregrad der Erkrankung
                                                                                                  renden bzw. nichtlinearen Assoziationen)
 MUST                     BMI
 (Malnutrition Univer- Gewichtsverlust
                                                                                                  eingeschränkt.
 sal Screening Tool)                                                                                  In der explorativen Post-hoc-Analyse
                          Schweregrad der Erkrankung
                                                                                                  der randomisiert-kontrollierten PERMIT-
 SGA                      Anamnese                                                                Studie zum Vergleich einer permissiven
 (Subjective Global       – Gewicht
 Assessment)              – Nahrungsaufnahme
                                                                                                  Unterernährung und einer kalorienzielori-
                          – Gastrointestinale Symptome                                            entierten Ernährungstherapie wurde ein
                          – Funktioneller Status                                                  hohes ernährungsmedizinisches Risiko ab
                          Körperliche Untersuchung                                                einem NUTRIC-Score > 4 angenommen,
                          – Subkutanes Fettgewebe                                                 wobei die klinische Prognose unabhängig
                          – Muskelmasse                                                           vom NUTRIC-Score war [50]. In einer wei-
                          – Ödeme
                                                                                                  teren Kohortenstudie (n = 312) ließ sich
                          – Aszites
                                                                                                  keine Assoziation zwischen dem NUTRIC-
 MNA                      BMI oder Wadenumfang (in cm)
 (Mini Nutritional                                                                                Score und dem NRS 2002 zeigen [51].
                          Anamnese
 Assessment)              – Abnahme der Nahrungsaufnahme in den letzten 3 Monaten durch
                                                                                                  Lew et al. [52] verglichen einen modifi-
                             Appetitverlust, Verdauungsprobleme, Kau-/Schluckstörungen            zierten NUTRIC-Score mit dem SGA und
                          – Gewichtsverlust in den letzten 3 Monaten                              fanden keine gute Übereinstimmung. Die
                          – Mobilität                                                             Kombination beider Scores zeigte jedoch
                          – Akute Krankheit oder psychischer Stress                               die beste Trennschärfe im Hinblick auf
                          – Neuropsychologische Probleme wie Demenz, Depression
                                                                                                  die Prognose (Letalität). In einer weiteren
                          Voraussichtliche Nahrungskarenz von mehr als 5 Tagen und akute Er-
                                                                                                  Post-hoc-Analyse der multizentrischen
                          krankung
                                                                                                  REDOXS-Studie zeigte sich dagegen eine
 BMI Body Mass Index, ITS Intensivstation
                                                                                                  signifikante Assoziation zwischen NUTRIC-
                                                                                                  Score und 28-Tage- und 6-Monate-Leta-
nährungszustands älterer, nicht kritisch             Alter, Anzahl von Komorbiditäten sowie       lität bei insgesamt 1199 kritisch kranken
kranker Patient*innen > 65 Jahre entwi-              Krankenhausverweildauer vor Aufnahme         Patient*innen mit Multiorgandysfunktion
ckelt wurde [47].                                    auf die ITS. Die Variable Interleukin(IL)-   (mittlerer NUTRIC-Score 5,5) [53].
                                                     6-Konzentration ist je nach Verfügbar-           Die 2016 publizierte Leitlinie der Amer-
5.4. NUTRIC-Score                                    keit optional. Ein Score < 6 Punkte (bei     ican Society for Parenteral and Enteral
                                                     Nichtverfügbarkeit der IL-6-Konzentrati-     Nutrition (A.S.P.E.N.) empfiehlt auf Basis
Der Nutrion Risk In Critically Ill (NUTRIC)-         on < 5) zeigt an, dass das Risiko für die    einer Expertenmeinung die Erhebung
Score wurde speziell für Intensivpati-               Entwicklung einer Mangelernährung ge-        des NUTRIC-Scores bei Aufnahme auf die
ent*innen entwickelt, um die Wahrschein-             ring ist, ab einem Punktwert von 6 (bei      Intensivstation [34]. Die ESPEN-Leitlinie
lichkeit für einen komplizierten Intensiv-           Nichtverfügbarkeit der IL-6-Konzentrati-     [36] empfiehlt eine Beurteilung des Er-
verlauf („Langlieger“) und das damit                 on ab Punktewert 5) muss von einem           nährungszustands, ohne sich dabei auf
assoziierte ernährungsmedizinische Risi-             erhöhten Risiko für einen komplizierten      ein bestimmtes Verfahren festzulegen; aus
ko abschätzen zu können [48]. Der Score              Verlauf mit längerem Aufenthalt auf einer    Sicht der DGEM/DIVI-Arbeitsgruppe ist der
beruht u. a. auf dem APACHE II- und SOFA-            Intensivstation ausgegangen werden [48].     NUTRIC-Score nicht zur Abschätzung des
Score. Ausgangspunkt ist ein primär nicht               In einer prospektiven Beobachtungs-       Ernährungszustands geeignet, sondern
mangelernährter Patient, sodass keine                studie an 2863 mechanisch beatmeten          reflektiert nur das durch Inflammation/
typischen Parameter des Ernährungssta-               Intensivpatient*innen erfolgte eine Ri-      Infektion und Multiorgandysfunktion be-
tus einfließen. Weitere Parameter neben               sikostratifizierung gemäß dem NUTRIC-         einflussteGesamtrisiko. Geradedies erfasst
dem APACHE II- und SOFA-Score sind                   Score [49]. Patient*innen mit hohem Risiko   hingegen der NRS überhaupt nicht [39].

6   Medizinische Klinik - Intensivmedizin und Notfallmedizin
Es gibt Hinweise dafür, dass die Erweite-       scher Methoden oder der Bioimpedanz-             nifikante Korrelation von 0,45 [59]. In der
rung des NUTRIC-Scores um das Merkmal           analyse zur Erfassung der Körpermuskel-          Regressionsanalyse zur Güte der Vorher-
Sarkopenie (anhand der Messung des              masse ist derzeit noch ausstehend [56,           sage der Muskelmasse konnte eine signifi-
Wadenumfangs, „SARC-CALF“) und um               57]. Trotzdem soll im Folgenden auch ein         kante Erhöhung des Konkordanzindex von
das Merkmal Gebrechlichkeit vor Aufnah-         kurzer Überblick über die Charakteristika        0,67 auf 0,77, jedoch nur durch die Einbe-
me („clinical frailty scale“) einen noch        beider diagnostischer Verfahren gegeben          ziehung zusätzlicher Variablen (Alter, Ge-
besseren Prädiktor für ein ungünstiges          werden.                                          schlecht, BMI, Charlson-Komorbiditätsin-
Outcome darstellen könnte („modified                                                              dex und Zuordnung der Aufnahme [chirur-
NUTRIC score SF“) [54]. Eine ausreichende       5.5.1. Muskelsonographie                         gisch/internistisch]) erreicht werden. Auf-
Validierung ist jedoch noch ausstehend.         Die Muskelsonographie ist ein nicht-in-          grund dieser Ergebnisse ist die Einmalmes-
    Da der NUTRIC-Score das Risiko kritisch     vasives, bettseitig verfügbares Verfahren,       sung der Quadrizepsdicke ohne ergänzen-
Kranker insgesamt abbildet, empfiehlt sich       mit dem ein Muskelverlust als Zeichen der        de Informationen wohl eher kritisch zu
die Kombination mit einer zusätzlichen          Mangelernährung diagnostiziert werden            sehen.
ernährungsmedizinischen Untersuchung;           kann und eine Schätzung der fettfreien               Die Datenlage für die Querschnitts-
z. B. Bestimmung der Körperzusammen-            Masse möglich ist. Zusätzlich ermöglicht         flächenmessung ist etwas besser; so
setzung.                                        das Verfahren die repetitive Messung und         korreliert der Quadrizepsquerschnitt sehr
                                                somit eine quantitative Verlaufsbeurtei-         gut (Männer r = 0,88, Frauen r = 0,89) mit
 Empfehlung 3                                   lung der Muskelmasse. Die Methode ist            der Gesamtmuskelmasse im MRT [65].
Ein regelhaftes Screening mit NRS oder MNA      prinzipiell ohne besondere Vorkenntnisse         Drei Studien konnten eine Assoziation
wird nicht empfohlen. Die Durchführung          in der Sonographie rasch erlernbar.              zwischen Querschnittsfläche und den Er-
des SGA ist zur Erfassung des Ernährungs-           Eine einheitliche standardisierte Mess-      gebnissen funktioneller Messungen nach-
zustands für Patient*innen auf Intensiv- und    vorgabe gibt es jedoch nicht, wobei al-          weisen, während dies nur ineiner Studie für
Intermediate Care Stationen geeignet, setzt     lerdings typischerweise der M. quadrizeps        die Muskeldickenmessung gelang [60, 66,
aber erfahrene Untersucher*innen voraus.
Der NUTRIC-Score kann zur Identifikation        femoris oder der M. rectus femoris im Quer-      67]. Eine weitere prospektiv-randomisierte
von Patient*innen mit Risiko für eine längere   schnitt vermessen werden. Der Messpunkt          Studie bei Langzeitintensivpatient*innen
Liegedauer eingesetzt werden.                   für den M. rectus femoris liegt typischer-       in der chronischen Phase konnte mit-
                                                weise auf der Linie von der Spina iliaca an-     tels sonographischer Verlaufskontrollen
                                                terior superior zum proximalen Rand der          der Quadrizepsmuskeldicke den aus CT-
5.5. Nicht-invasive Bestimmung                  Patella (mit einem Abstand von 60 % der          morphologischen bzw. neutronenakti-
der Skelettmuskelmasse als                      Gesamtlängezur Spinailiacaanterior supe-         vierenden Untersuchungen bekannten
Surrogatvariable zur Erfassung des              rior). Vermessen werden die Querschnitts-        Verlust an Muskelmasse bestätigen [68].
Ernährungszustands                              fläche des M. rectus femoris oder technisch       In 2 Beobachtungsstudien hat sich eine
                                                einfacher die Quadrizepsdicke (Durchmes-         Assoziation zwischen dem sequenziellen
In einer systematischen Übersicht von           ser) bestehend aus M. rectus femoris und         Verlust der sonographisch gemessenen
6 Studien zum Muskelverlust von Inten-          M. vastus intermedius. Die Muskelsono-           Quadrizepsdicke und der Krankenhaus-
sivpatient*innen wurde in den ersten            graphie weist bezogen auf Untersucher*in         sowie 60-Tage-Letalität gezeigt [69, 70].
14 Tagen nach Aufnahme ein Muskelmas-           sowohl intra- als auch interindividuell ei-          Limitierend für alle sonographischen
severlust von bis zu ca. 20 % beobachtet,       ne hervorragende Reliabilität im Hinblick        Verfahren ist, dass Veränderungen des
wobei die Muskelmasse mittels γ-Neutro-         auf die Bestimmung der Muskeldicke und           Hydratationszustands die Messergebnisse
nen-Aktivierung, Computertomographie            Querschnittsfläche auf [58–63].                   signifikant beeinflussen können [71, 72]
(CT) oder Ultraschall quantifiziert wurde            So fanden Pardo et al. [64] bei 280 Mes-     und dass nicht die Quadrizepsmuskelmas-
[55]. Problematisch ist bei den in der kli-     sungen der Quadripzepsmuskeldicke an             se, sondern die lumbale Muskelmasse am
nischen Routine einsetzbaren computer-          29 Patient*innen eine gute intra- als            besten mit der Gesamtkörpereiweißmasse
tomographischen oder sonographischen            auch interindividuelle Reliabilität, wenn        korreliert [73].
Verfahren bisher jedoch, dass speziell          die Messungen entweder in der Mitte
im Verlauf gleichbleibende Befunde nur          (Korrelationskoeffizient 0,74 und 0,86)            5.5.2. Computertomographie
scheinbar eine unveränderte Muskelmas-          oder an der Zweidrittelstelle (0,83 und          Computertomographien des Abdomens
se anzeigen können; Volumenverluste             0,81) der Messlinie erfolgten. Deswegen          werden bei Patient*innen im ITS- und IMC-
durch eine Abnahme der myofibrillä-              empfehlen die Autoren die Sonographie            Bereich mit kompliziertem Verlauf aus kli-
ren Masse können durch eine Volumen-            als Instrument zur Bestimmung des Aus-           nischen Gründen oftmals sogar mehrfach
zunahme aufgrund einer interstitiellen          gangszustands bei Aufnahme und zur               durchgeführt. Die CT-morphologischen
Flüssigkeitseinlagerung („capillary leak“)/     Verlaufskontrolle der Effizienz einer MNT.         Befunde können auch für eine Analyse
Bindegewebsvermehrung überdeckt wer-                In einer multizentrischen Studie zur         der Körperzusammensetzung herange-
den.                                            Validierung der Muskeldickenmessung an           zogen werden. Die quantitative Analyse
   Eine endgültige Bewertung des Nut-           149 Intensivpatient*innen ergab sich beim        der Muskulatur im computertomographi-
zens bzw. der Zuverlässigkeit sonographi-       VergleichvonSonographieund CT einesig-           schen Querschnitt des Abdomens (CSA)

                                                                                       Medizinische Klinik - Intensivmedizin und Notfallmedizin   7
Positionspapier

                               183.176 Frauen                                                                        30.572 Männer

                                                                                               6,9        7,0       6,9
                                                                                                                                 6,7
                                                                                                                                              6,4
                    6,1       6,2          6,1
         6,0                                                                                                                                         6,0
                                                       5,9                                                5,8       5,8
                                                              5,6                              5,6                               5,6
                                                                                                                                                             5,4
                              5,2                                      5,2                                                                    5,2
         5,0        5,1                    5,1
                                                       4,9                                                                                           4,8
                                                              4,5
                                                                       4,1                                                                                   4,2

                Mittelwert          5. Perzentile        SD                                           Mittelwert          5. Perzentile         SD

        18–19     20–29      30–39       40–49        50–59   60–69    70                     18–19     20–29      30–39       40–49         50–59   60–69   70
    a                                 Alter (Jahre)                                       b                                  Alter (Jahre)

Abb. 1 8 Referenzwerte des Phasenwinkels bestimmt mittels bioelektrischer Impedanzanalyse (BIA). Mittelwerte mit Stan-
dardabweichung (SD) und 5. Perzentile des Phasenwinkels in Abhängigkeit des Alters bei Frauen (a) und Männern (b). Daten
einer deutschen Population aus [92])

im Bereich der Lendenwirbelsäule (meist                       Anwendung finden, wenn sich aus der kli-              wie ein Kondensator und verursachen
auf Höhe von L3) korreliert gut mit der                       nischen Situation heraus eine Indikation             den kapazitativen Widerstand. Hierbei
Muskel- und Fettmasse des Gesamtkör-                          für eine solche Untersuchung ergibt und              entsteht durch eine Phasenverschiebung
pers. Zur mathematischen Auswertung                           eine entsprechende Expertise zur Auswer-             der Phasenwinkel, bewirkt durch die
stehen verschiedene Softwareprogramme                         tung der Körperzusammensetzung lokal                 kondensatorähnliche Wirkung der Zell-
zur Verfügung wie beispielsweise das frei                     verfügbar ist. Die logistischen Argumen-             membranen [80]. Der Phasenwinkel kann
verfügbare ImageJ des National Institute                      te gelten ebenso für die MRT. Die Au-                als Summenparameter für die Gewebe-
of Health (Bethesda, MD, USA) und Sli-                        toren wünschen sich im radiologischen                qualität betrachtet werden, die abhängig
ceomatic der Firma TomoVision, Montreal,                      Fachgebiet eine vermehrte Akzeptanz die-             ist vom Hydratationszustand, Ausmaß des
Quebec, Canada.                                               ser Technik zur Analyse der Körperzusam-             „capillary leak“ und von der Körpermager-
   Im Rahmen der Sarkopeniediagnostik                         mensetzung; in diesem Zusammenhang                   masse. Somit besteht nur eine bedingte
wird die Gewebeverteilung lediglich in ei-                    ist auch eine automatisierte, beschleunig-           Korrelation mit dem Ernährungszustand.
ner axialen Schnittebene meist auf der                        te Auswertung und Entscheidungsunter-                    Unter Einbeziehung des Körperge-
Höhe des Wirbelkörpers L3 verwendet.                          stützung durch künstliche Intelligenz wün-           wichts können über verschiedene Algo-
Die Häufigkeit einer computertomogra-                          schenswert [79].                                     rithmen die fettfreie Masse, Körperzell-
phisch diagnostizierten Sarkopenie wird                                                                            masse und Fettmasse berechnet werden
bei Intensivpatient*innen auf 60–70 % ge-                     5.5.3. Bioelektrische Impedanz-                      [81, 82]. Diese Berechnungen sind jedoch
schätzt [73, 74]. Während für spezielle                       analyse                                              bei Intensivpatient*innen weit weniger
Patient*innengruppen, wie beispielswei-                       Die nicht-invasive bioelektrische Impe-              aussagekräftig als der gewichtsunabhän-
se onkologische Patient*innen [75], Pa-                       danzanalyse (BIA) zielt auf die elektrische          gige, jedoch alters- und geschlechts-
tient*innen mit Leberzirrhose [76] oder                       Leitfähigkeit des Körpers ab, die durch              abhängige Phasenwinkel. Bei extremer
chirurgische Patient*innen [77], bereits gu-                  Messung des Gesamtkörperwiderstands                  Verschiebung des Hydratationszustands
te Daten vorliegen, steht der breite Ein-                     (Impedanz) beim Anlegen eines Wech-                  muss die Messung der fettfreien Masse
satz radiologischer Verfahren für die Dia-                    selstroms (50 kHz bei 0,8 mA) mittels                und Körperzellmasse als sehr unzuverläs-
gnostik der Körperzusammensetzung bei                         auf Hand- und Fußrücken aufgebrachter                sig angesehen werden [83]. Die mittels
Intensivpatient*innen jedoch noch am An-                      Elektroden bestimmt wird. Die Körper-                BIA oder bioelektrischer Impedanz-Vek-
fang. Auch bei diesem Verfahren sind je-                      impedanz ist umgekehrt proportional                  toranalyse (BIVA) gemessene Veränderung
doch möglicherweise Interferenzen durch                       zum elektrolythaltigen Körperwasserge-               des Phasenwinkels ist insgesamt mit einer
einen variablen Hydratationszustand mit                       halt (Ohm-Widerstand) und abhängig von               erhöhten Sterblichkeit assoziiert [42, 84].
zu berücksichtigen [78].                                      den Körperproportionen (d. h. dem Quer-              Es ist methodisch limitierend, dass für die
   Aus Strahlenschutz- und Kostengrün-                        schnitt des Leiters). Zellmembranen wir-             am Markt existierenden BIA-Geräte unter-
den sollten CT-Untersuchungen nur dann                        ken beim Anlegen eines Wechselstroms                 schiedliche Gleichungen zur Kalkulation

8       Medizinische Klinik - Intensivmedizin und Notfallmedizin
Tab. 3 Empfehlungen zur apparativen Grundausstattung zur Erfassung des Ernährungsstatus              rungsstatus bei Aufnahme und im Verlauf
 auf der Intensiv- und Intermediate Care Station – in Ergänzung zu den DIVI-Strukturempfehlungen       angepasst ist, ein Muskelabbau kom-
 [5, 6]                                                                                                plett verhindert (und nicht nur minimiert)
  Obligat                                                        Fakultativ                            werden kann, um so das klinische Out-
  Bettwaagea ggf. mit Hebevorrichtung bzw. Personen-/            Bioelektrische Impedanzanalyse        come zu verbessern. Unklar ist bis heute
  Stuhlwaage bei möglicher Mobilisation
                                                                                                       ebenfalls die Optimierung der MNT im
 Sonographiegerät b                                                                                    Hinblick auf immunologische und repara-
 Dynamometer                                                                                           tive Funktionen [4]. Grundvoraussetzung
 DIVI-Strukturempfehlungen: a1C, b2C [5, 6]                                                            einer effektiven MNT ist jedoch immer,
                                                                                                       durch kausale Therapie die Signalketten
                                                                                                       zu unterbrechen, die die Katabolie von
der Körperzusammensetzung basierend                weilige Alter und Geschlecht bekannten              Seiten des inflammatorischen/infektiösen
auf der gemessenen Resistance (R) und/             Mittelwert subtrahiert und die Differenz             Fokus her auslösen und unterhalten [91].
oder Reactance (Xc) erforderlich sind.             durch die entsprechende Standardabwei-                  Im Hinblick auf die apparative Ausstat-
Der im Stehen gemessene Phasenwinkel               chung dividiert.                                    tung der ITS oder IMC sollten entspre-
weicht vom Phasenwinkel im Liegen ab;                  Aufgrund der inhaltlichen Besonder-             chend der DIVI-Strukturempfehlungen zur
ein Problem, das bei kritisch kranken Pa-          heiten des Phasenwinkels ist der Bezug              Erfassung des Ernährungsstatus eine Bett-
tient*innen keine Bedeutung hat. Für die           zu Screeningtools für die Diagnose ei-              bzw. bei mobilisierbaren Patient*innen ei-
Geräte, die im Liegen messen, sind in weni-        ner Mangelernährung noch unklar. Eine               ne Personen-/Stuhlwaage (1C) und ein So-
gen Arbeiten nur geringe Abweichungen              Querschnittsstudie an 55 kritisch kran-             nographiegerät (2C) obligat verfügbar sein
des Phasenwinkels beschrieben worden.              ken COVID-19-Patient*innen ergab, dass              [5, 6]. Die Expertengruppe empfiehlt auf-
Das Körpergewicht, das neben der Kör-              zwar ein niedrigerer Phasenwinkel mit ei-           grund der günstigen Anschaffungskosten
pergröße als Grundlage zur Berechnung              nem höheren Risiko verbunden war, eine              (ca. 200 ) zusätzlich ein Dynamometer
der Variablen in die Software eingegeben           schwerere COVID-19-Infektion zu entwi-              (. Tab. 3). Eine bioelektrische Impedanz-
wird, sollte idealerweise aktuell zum Zeit-        ckeln. Ein direkter Bezug zum Ernährungs-           analyse ist fakultativ. Eine spezifische ap-
punkt der BIA-Untersuchung gemessen                zustand der Patient*innen konnte jedoch             paratetechnische Diagnostik sollte spezi-
werden. Zusätzlich sollte bei der Ver-             nicht hergestellt werden [89]. Zusammen-            ell bei Hochrisikopatient*innen (vgl. oben)
wendung des Parameters „extrazelluläres            fassend reflektiert der Phasenwinkel die             nach der klinischen Stabilisierung regel-
Wasser (EZW)“ auch eine aktuelle Erniedri-         Qualität der Magermasse nur zum Teil und            mäßig (einmal wöchentlich) erfolgen.
gung des Albuminspiegels berücksichtigt            ist sowohl ein Indikator für eine katabolie-            Ferner verweisen wir darauf, dass für
werden.                                            bedingte Störung der zellulären Integrität          die im Anhang zusammengestellten An-
    Die Berechnung der Körperkomparti-             als auch für eine inflammatorisch beding-            forderungen für die Kodierung der ernäh-
mente hat jedoch für die Bestimmung des            te Hyperhydratation („capillary leak“). Die         rungsmedizinischen Komplexbehandlung
Ernährungszustands keine Bedeutung. In             prognostischen Fähigkeiten des Phasen-              „OPS 8-98j“ gemäß aktuellem aG-DRG Fall-
Bezug auf die Prognose wurde der Pha-              winkels sind jedoch denen der anderen               pauschalenkatalog die Erhebung des Er-
senwinkel in mehr als 170 Studien an über          BIA-Parameter überlegen [90].                       nährungsstatus bei Aufnahme und die ap-
40.000 Patient*innen untersucht und hat                                                                parative Verlaufskontrolle mit Handkraft-
sich bei den verschiedensten Grunderkran-            Empfehlung 4                                      messung und bioelektrischer Impedanz-
kungen – auch bei Intensivpatient*innen            Empfohlen wird bei Intensiv- und Intermedi-
                                                                                                       analyse oder indirekter Kalorimetrie ein-
[85, 86] – als aussagekräftig insbesonde-          ate Care-Patient*innen eine nicht-invasi-           mal wöchentlich unabdingbare Vorausset-
re im intraindividuellen Verlauf erwiesen.         ve serielle Untersuchung der Skelettmus-            zung sind.
So waren Veränderungen des mittels BIA             kelmasse zur Erkennung und Verlaufskon-                 Auf die Messung des Ruheenergieum-
bestimmten Phasenwinkels bei kardiochir-           trolle kataboler Veränderungen des Ernäh-           satzes sowie auf laborchemische Parame-
                                                   rungszustands. Geeignete Verfahren sind
urgischen Patient*innen mit einem ver-             Sonographie/BIA//CT. Interferenzen durch            ter zur Beurteilung des Ernährungsstatus
längerten Aufenthalt auf der ITS und im            einen variablen Hydratationszustand müssen          und der metabolischen Toleranz wird in
Krankenhaus assoziiert [87]. Ein niedriger         dabei berücksichtigt werden. Bei Hochrisiko-        einem weiteren Positionspapier eingegan-
Phasenwinkel wird als prognostisch kri-            patient*innen mit zu erwartender längerer           gen.
tisch beurteilt und kann mit einer erhöhten        Verweildauer (z. B. NUTRIC-Score > 5) kann
                                                   eine Bestimmung des Phasenwinkels mittels
Sterblichkeiteinhergehen[88].Normwerte             BIA hilfreich sein.                                 6.1 Vorgehen in der klinischen Praxis
und Standardabweichungen für einzelne
Alters- und Geschlechtsgruppen liegen vor                                                              Die Erfassung des Ernährungsstatus erfolgt
(. Abb. 1). So wird zur besseren Vergleich-        6. Zusammenfassung                                  in mehreren Schritten (. Abb. 2):
barkeit idealerweise der standardisierte                                                               1. Bei Aufnahme auf die ITS oder IMC
Phasenwinkel eingesetzt. Zur Berechnung            Offen ist die Frage, ob bei Risikopati-                 sollten als Basis bei wachen, an-
des standardisierten Phasenwinkels wird            ent*innen mit einer personalisierten und               sprechbaren und auskunftsfähigen
der gemessene Wert vom dem für das je-             optimierten MNT, die an den Ernäh-                     Patient*innen eine genaue Gewichts-

                                                                                             Medizinische Klinik - Intensivmedizin und Notfallmedizin   9
Positionspapier
                                                                                                      therapie als medizinische Hauptbehand-
                                                                                                      lung ist gesondert zu codieren (8-015 ff.,
     Aufnahme
  Intensiv-/Intermediate Care              Status der                                                 8-016). Die Art der Ernährungstherapie als
       Station (ITS/IMC)                                                                              medizinische Nebenbehandlung ist bei
                                          Ernährung?                                                  nicht intensivmedizinisch behandelten
                                                                                                      Patient*innen gesondert zu codieren (8-
                                                                                                      017 ff., 8-018 ff.)
                                                                                                      – Strukturmerkmale:
                   Screening                                                                             j Ernährungsteam mit Behandlungs-
                                                              Erwarteter                                   leitung durch einen Facharzt mit
     Gewichts-/                            Subjective
     Ernährungsanamnese                    Global             Aufenthalt                                   der strukturierten curricularen Fort-
     Messung Körpergewicht                 Assessment        auf ITS/IMC                                   bildung oder Zusatzbezeichnung
     Hydratationszustand                                          > 7 Tage?                                Ernährungsmedizin und mit einem
                                                                                                           Diätassistenten oder Ökotropholo-
     Bestimmung der Muskelkraft & Muskelmasse
     9 Handkraft mittels Dynamometrie
                                                                                                           gen
     9 Sonographie des Oberschenkels                                                                     j Werktags mindestens 7-stündige
         Querschnitt M. rectus femoris
         Dicke M. quadriceps femoris                                                                      Verfügbarkeit des Ernährungsteams
     9 Lumbale Muskelfläche bei verfügbarem CT
                                                                                                      – Mindestmerkmale:
                                                                                                         j Standardisiertes Screening des Er-
               Hohes Ernährungsrisiko                                                                      nährungsstatus innerhalb der ersten
                                                                              Abb. 2 9 Vorgehen            48 h nach stationärer Aufnahme (z. B.
        Erhebung des NUTRIC Score und Bioimpedanzanalyse                      inderklinischenPra-          NRS 2002, MNA oder NUTRIC Score)
                                                                              xis zur Erfassung des      j Standardisiertes ernährungsmedizi-
                                                   Körper-
                     Körper-                                                  Ernährungsstatus
                                           zusammensetzung                                                 nisches Basisassessment zu Beginn
       72 h          gewicht                     Handkraft
                                                                   7d         aufderIntensiv-und
                                                                              Intermediate Care            der Behandlung durch ein Mitglied
                                                                              Station                      des Ernährungsteams, bestehend
                                                                                                           aus:
                                                                                                           a) Ernährungsanamnese inkl. aktuel-
   und Ernährungsanamnese erhoben                          einem NUTRIC-Score > 5 oder einem               ler Nahrungsaufnahme
   werden. Empfohlen wird die Durchfüh-                    Phasenwinkel < 4,0 sollten serielle             b) Handkraftmessung
   rung eines SGA sowie einer Handkraft-                   Untersuchungen erfolgen. Bei die-               c) Bestimmung der Körperzusam-
   messung. Bei nicht anamnestizierbaren                   sen Patient*innen sollte mindestens             mensetzung mittels Bioimpedan-
   Patient*innen sollte wenn möglich ei-                   zweimal wöchentlich eine Messung                zanalyse oder Bestimmung des
   ne Fremdanamnese erfolgen. Ist das                      des Körpergewichts sowie einmal pro             Energieumsatzes mittels indirekter
   aktuelle Körpergewicht nicht bekannt                    Woche eine Verlaufskontrolle der Kör-           Kalorimetrie
   bzw. nicht eruierbar, sollte dieses                     perzusammensetzung mit einem der                d) Energie- und Nährstoffbedarfser-
   mittels Bettwaage (oder Personen-/                      angegebenen Verfahren (BIA, Sonogra-            mittlung unter Berücksichtigung von
   Stuhlwaage bei möglicher Mobilisati-                    phie, CT nur bei klinischer Indikation)         Verträglichkeit und Gesamtbilanz
   on) gemessen werden. Zusätzlich sollte                  und der Handkraft mittels Dynamome-           j Erstellung eines individuellen Be-
   der Hydratationszustand mittels kör-                    trie erfolgen; dabei ist Voraussetzung,         handlungsplans (oral, Trinknahrung,
   perlicher und/oder sonographischer                      dass Veränderungen des Hydratati-               enteral und/oder parenteral nach
   Untersuchung festgestellt werden. Es                    onszustands in die Interpretation der           einem Stufenschema der Ernährung)
   sollte geklärt werden, ob eine zeitnahe                 Befunde mit einbezogen werden bzw.              zu Beginn der Behandlung
   CT-Untersuchung des Abdomens vor-                       entsprechende Korrekturen erfolgen.           j Mindestens 2-mal pro vollständiger
   liegt; falls ja, sollte nach Rücksprache                                                                Woche Verlaufs- und Zielkontrolle
   mit geschulten radiologischen Kol-                   Anhang                                             der dokumentierten Nahrungsauf-
   leg*innen die lumbale Muskelfläche                                                                       nahme (oral, Trinknahrung, enteral
   auf Höhe LWK 3 bestimmt werden.                      Ernährungsmedizinische                             und/oder parenteral), davon ein-
   Sind die technischen Voraussetzungen                 Komplexbehandlung 8-98j                            mal mit Durchführung folgender
   gegeben, sollte zusätzlich möglichst                                                                    Verfahren:
   innerhalb von 48 h eine Sonographie                  https://www.dimdi.de/static/de/klassifi             a) Handkraftmessung oder Bioimpe-
   zur Bestimmung der Dicke des M. qua-                 kationen/ops/kode-suche/opshtml2022/               danzanalyse oder indirekte Kalori-
   driceps und/oder Querschnitts des M.                 block-8-97...8-98.htm                              metrie
   rectus femoris erfolgen.                                Hinweis: Diese Codes sind auch bei in-          b) Erfassung von Gewicht/Body-
2. Bei einem voraussichtlichen Aufenthalt               tensivmedizinisch versorgten Patient*in-           Mass-Index
   > 7 Tagen auf der ITS oder IMC, bei                  nen anzugeben. Die Art der Ernährungs-           j Wöchentliche Teambesprechung

10     Medizinische Klinik - Intensivmedizin und Notfallmedizin
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