Ernährung: Technologische Trends und Innovationen - Innovations- und Technikanalyse: Kurzstudie - Anette Braun, Eva Cebulla, Norbert Malanowski
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Ernährung: Technologische Trends und Innovationen Innovations- und Technikanalyse: Kurzstudie Anette Braun, Eva Cebulla, Norbert Malanowski Zukünftige Technologien Consulting
Ernährung: Technologische Trends und Innovationen Innovations- und Technikanalyse: Kurzstudie Dr. Anette Braun Eva Cebulla Dr. Norbert Malanowski Herausgeber: Zukünftige Technologien Consulting der VDI Technologiezentrum GmbH VDI-Platz 1 40468 Düsseldorf im Auftrag des Instituts für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse (ITAS) des Karlsruher Institut für Technologie (KIT) und gefördert vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF)
Diese ITA-Kurzstudie wurde im Auftrag des Instituts für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse (ITAS) des Karlsruher Institut für Technologie (KIT) im Rahmen des Forschungsprojektes „ITA-Monitoring: Identifizierung neuer Themen für die Inno- vations- und Technikanalyse” und gefördert vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF), Referat 113, von der Abteilung Zukünftige Technologien Consul- ting der VDI Technologiezentrum GmbH erstellt. Projektleitung: Prof. Dr. Dr. Axel Zweck Durchführung: Dr. Anette Braun Eva Cebulla Dr. Norbert Malanowski Dank gilt einer Vielzahl von Experten, die wertvolle Beiträge und Anregungen geliefert haben. Einen besonderen Dank möchten wir an Dipl.-Ing. Nora Weinberger und an PD Dr. Rolf Meyer (beide Institut für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse) rich- ten, die wichtige konstruktiv-kritische Kommentare zum Manuskript eingebracht haben. Kontakt: Dr. Anette Braun (braun_a@vdi.de) Zukünftige Technologien Nr. 96 Düsseldorf, im April 2013 ISSN 1436-5928 Für den Inhalt zeichnen die Autoren verantwortlich. Das Bundesministerium für Bil- dung und Forschung (BMBF) übernimmt keine Gewähr für die Richtigkeit, die Genau- igkeit und die Vollständigkeit der Angaben. Die in der Veröffentlichung geäußerten Ansichten und Meinungen müssen nicht mit der Meinung des BMBF übereinstimmen. Außerhalb der mit dem Auftraggeber vertraglich vereinbarten Nutzungsrechte sind alle Rechte vorbehalten, auch die des auszugsweisen Nachdruckes, der auszugsweisen oder vollständigen photomechanischen Wiedergabe (Photokopie, Mikrokopie) und das Recht der Übersetzung. Titelbild: © fotovika - Fotolia.com. Das Bild wurde mit einem Blaufilter verfremdet.
Zukünftige Technologien Consulting (ZTC) der VDI Technologiezentrum GmbH VDI-Platz 1 40468 Düsseldorf Die VDI Technologiezentrum GmbH ist im Auftrag und mit Unterstützung des Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) tätig.
5 Inhaltsverzeichnis ZUSAMMENFASSUNG 7 1 EINORDNUNG DER ITA-KURZSTUDIE 11 2 EINLEITUNG UND EINGRENZUNG DES THEMAS 13 3 WELTERNÄHRUNGSPROBLEMATIK 17 3.1 Sicherung der Welternährung 18 3.2 Nahrungsmittelknappheit und Unter-/Mangelernährung 20 3.3 Nahrungsmittelüberfluss und Fehlernährung 27 4 NEUARTIGE TECHNISCH-WISSENSCHAFTLICHE ANSÄTZE: DREI AUSGEWÄHLTE BEISPIELE 35 4.1 Neue Ansätze für die Fleischherstellung 36 4.2 Nanotechnologie für Lebensmittelsicherheit 43 4.3 Informations- und Kommunikationstechnologien zur Verbraucherorientierung 50 5 SYNTHESE DER ERGEBNISSE: OFFENE ITA-FRAGEN UND VORSCHLÄGE ZUR BEARBEITUNG 59 6 LITERATURVERZEICHNIS 63
7 ZUSAMMENFASSUNG Heute und vor allem zukünftig gilt es zu berücksichtigen, dass in den kommenden Jahrzehnten die Nachfrage nach Nahrungsmitteln durch den Anstieg der Weltbevölkerung von heute sieben Mrd. auf über neun Mrd. in 2050 stark zunehmen wird. Derzeit leiden rund 1 Mrd. Menschen – vor allem in Ländern der Dritten Welt – an Hunger und eine weit größere Zahl an den Folgen von Unterernährung oder Mangelernährung. Somit stellt Nahrungsmittelknappheit und Unter-/Mangelernährung eine gravie- rende Seite des Welternährungsproblems dar. Die andere gravierende Seite des Problems wird zunehmend geprägt durch den Nahrungsmittel- überfluss und die Fehlernährung in vielen reichen OECD-Ländern. Der Nahrungsmittelüberfluss führt hier immer häufiger zu unverhältnismäßi- gem Verzehr von besonders fett- und zuckerhaltigen Lebensmitteln und führt in der Regel zu Krankheiten infolge von Fehlernährung. Lösungsansätze und Innovationen im Bereich Welternährung sind immer auch von der Weiterentwicklung verschiedener Forschungszweige im Bereich der Spitzentechnologien abhängig, z. B. neue Ansätze für die Fleischherstellung in molekularer Biotechnologie, Nanotechnologie für Lebensmittelsicherheit sowie Informations- und Kommunikationstechno- logien (IKT) zur Verbraucherorientierung. In der vorliegenden ITA- Kurzstudie wird dem Technology-Push-Pfad im Sinne des Technolo- giemonitorings gefolgt. Demnach ermöglichen Technikentwicklungen eine Vielzahl von Innovationen in unterschiedlichen Anwendungskontex- ten und manifestieren sich dort auf unterschiedliche Art und Weise. Da es sich bereits um Techniken oder technische Entwicklungsvisionen han- delt (und nicht allein um Grundlagenforschung ohne erkennbaren An- wendungsbezug), haben diese spätestens durch ihren Gebrauch, Folgen für die Gesellschaft. In den ausgewählten Gebieten entwickeln sich neue technologische Trends und Innovationen, die Beiträge zur Lösung von Nahrungsmittelknappheit und Unter-/Mangelernährung sowie von Nah- rungsmittelüberfluss und Fehlernährung liefern können. Die Herstellung von kultiviertem Fleisch, das im Labor aus Zellen ge- wonnen wird, ohne dass dafür Tiere gemästet und geschlachtet werden müssen, kann mittelfristig im Industriemaßstab möglich werden. Zudem kann mit diesem Ansatz die Senkung der Produktions- und Verarbei- tungskosten bzw. eine höhere Wertschöpfung aus dem Rohstoff erreicht werden. Dies könnte eine Lösung von Nahrungsmittelknappheit und Un- ter-/Mangelernährung ermöglichen. Das Beispiel „Nanotechnologie für Lebensmittelsicherheit“ zeigt Wege auf, wie durch den Einsatz von Na- notechnologie eine erhöhte Lebensmittelsicherheit erreicht werden kann und somit auch wertvolle natürliche Ressourcen eingespart werden könn- ten, indem z. B. weniger Lebensmittelabfälle entstehen oder weniger Lebensmittel verderben. Damit ließe sich sowohl das Problem der Nah- rungsmittelknappheit und Unter-/Mangelernährung als auch das des Nah- rungsmittelüberflusses und der Fehlernährung angehen. Durch die „In-
8 Ernährung: Technologische Trends und Innovationen formations- und Kommunikationstechnologien zur Verbraucherorientie- rung“ können schließlich neue Möglichkeiten zur Verbraucherorientie- rung eröffnet werden, die Menschen dabei helfen, das Problem des Nah- rungsmittelüberflusses und der Fehlernährung besser informiert und gezielter anzugehen. Die Kurzstudie thematisiert speziell auf die Innovations- und Technik- analyse ausgerichtete offene Fragen bezüglich des weiteren Forschungs- bedarfs und der systematischen Analyse der Chancen und Risiken der behandelten Beispiele. 1 Für die technisch-wissenschaftliche und wirt- schaftliche Dimension stellen sich folgende zentrale Fragen: x Welche weiteren neuen technologischen Entwicklungen sind kurz- oder mittelfristig in den Bereichen molekulare Biotechnolo- gie, Nanotechnologie und IKT zu finden, die sich für den Bereich Ernährung nutzen lassen? Welche Erfolgsaussichten sind hier zu erwarten? x Welche Relevanz haben diese Entwicklungen bei der Bewälti- gung der Problemlage von Nahrungsmittelknappheit und Unter- /Mangelernährung sowie Nahrungsmittelüberfluss und Fehlernäh- rung? x Welche Rolle nehmen Unternehmen und wissenschaftliche Insti- tute am Standort Deutschland bei der Entwicklung von wissen- schaftlich-technischen Lösungsansätzen einerseits zur Bewälti- gung von Nahrungsmittelknappheit und Unter-/Mangelernährung sowie andererseits zur Bewältigung von Nahrungsmittelüberfluss und Fehlernährung ein? Bei der gesellschaftlichen Dimension des Themas sind folgende Aspekte zentral zu diskutieren: x Wie kann eine sachliche gesellschaftliche Debatte über Chancen und Risiken neuer Ansätze für die Fleischherstellung durch die molekulare Biotechnologie, der Nanotechnologie für Lebensmit- telsicherheit sowie der Informations- und Kommunikationstech- nologien zur Verbraucherorientierung geführt werden? x Wie können wissenschaftliche Erkenntnisse aus den Gebieten der molekularen Biotechnologie, Nanotechnologie und IKT in Ver- bindung mit dem Themenfeld Ernährung aufbereitet bzw. aktuelle Informationen so gestaltet werden, dass neben den bildungsnahen auch bildungsferne Schichten der deutschen Gesellschaft erreicht werden? 1 Eine ausführliche Diskussion der offenen Fragen zu den Beispielen „Neue Ansätze für die Fleischherstellung“ (molekulare Biotechnologie), „Nanotechnologie für Lebens- mittelsicherheit“ und „Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) zur Verbraucherorientierung“ finden sich in Kapitel 4 der vorliegenden ITA-Kurzstudie.
Zusammenfassung 9 x Wie lässt sich eine geeignete Kombination von Kompetenzen und Qualifikationen entwickeln, und wie lassen sich vor allem ausge- bildete und hochqualifizierte Fachkräfte gewinnen, um die Inno- vationstätigkeit für den Bereich Ernährung auszubauen?
11 1 EINORDNUNG DER ITA-KURZSTUDIE Die vorliegende Kurzstudie entstand im Rahmen des vom Bundesminis- terium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderten Projektes „ITA- Monitoring – Identifizierung neuer Themen für die Innovations- und Technikanalyse“. Ziele dieses Forschungsprojektes sind die frühzeitige Identifizierung neuer Themen für die Innovations- und Technikanalyse (ITA) und die strategische Einordnung der Themen als Orientierung für zukünftige Maßnahmen des BMBF in diesem Themenbereich. Der Be- griff „neue Themen“ impliziert, dass es sich dabei um noch unzureichend oder gar nicht untersuchte Fragestellungen handelt. Diese sollen abgren- zend zum langfristigen Foresight-Prozess vor einem mittelfristigen Zeit- horizont relevant sein. Zur Identifizierung der strategischen Themen wurde folgender systemati- scher und kontinuierlicher Such- und Themenauswahl-Prozess sowohl aus der Technologie- als auch aus der Bedarfsperspektive erarbeitet: Im kontinuierlichen Monitoring wurden zunächst mithilfe einer breit an- gelegten Recherche durch das Projektteam mögliche ITA-Themen identi- fiziert und in einem Themenpool gesammelt (Prozessebene A: „Grobra- dar“). Hierfür wurden Kriterien zur Einschätzung der ITA-Relevanz neuer Themen, die sogenannten Dimensionen, wie z. B. die technische oder die gesellschaftliche/soziale Dimension, erarbeitet. Im weiteren Pro- zess wurden diejenigen Themen ausgewählt (Prozessebene B: „Themen- auswahl“), für die in einem „Feinradar“ in Kurzstudien eine detaillierte Aufbereitung der wesentlichen Fragestellungen und Herausforderungen erfolgen soll (Prozessebene C). Die Themenauswahl in Projektebene B resultiert aus einem sogenannten „Tandemprozess“. In diesem Tandem erfolgt die kontinuierliche Auswahl der Themen abwechselnd durch ei- nen diskursiven Expertenworkshop (Projektzyklus 1 und 3) und eine Kombination aus einer Abstimmung zwischen den beiden beteiligten Institutionen (ITAS, ZTC) sowie einem projektinternen, diskursiven Workshop (mit Beteiligung des Auftraggebers BMBF, Projektzyklus 2). Die Auswahl der Themen und die Aufbereitung der wesentlichen Frage- stellungen und Herausforderungen sind damit Resultat eines ausgespro- chen komplexen Prozesses der Erfassung, Aggregation und Auswertung von Expertenwissen unterschiedlicher Art. Das vorliegende Thema „Ernährung: Technologische Trends und Innova- tionen“ ist zum einen das Ergebnis des Diskussionsprozesses während eines Expertenworkshops, der im November 2009 in Berlin stattfand. Im Rahmen dieses Workshops wurden 19 Themen identifiziert, die von den Expertinnen und Experten als wichtig für die Innovations- und Technik- analyse eingeschätzt wurden. Diese 19 Themen wurden anschließend von den Experten nochmals auf ihre Dringlichkeit hin bewertet. Das Thema „Designer-Lebensmittel“ wurde in die Kategorie „sehr, sehr dringlich“
12 Ernährung: Technologische Trends und Innovationen eingestuft, das Thema „Kunst- und Klonfleisch“ in die Kategorie „weiter beobachten“. Zum anderen rieten die involvierten Expertinnen und Experten nicht nur diese beiden Themen zusammenzufassen und die Breite und Komplexität des Themas Ernährung zu berücksichtigen, sondern auch um Aspekte aus den ITA-Themenprofilen „Übergewichtige Kinder“, „Steigender Fisch- bedarf (Aquakultur)“ sowie „Nanotechnologie im Bereich Lebensmittel“ und „Bio- und Gentechnik in Lebensmitteln“ zu ergänzen. Dieser Anre- gung folgend wurde zum einen für die vorliegende ITA-Kurzstudie der Titel „Ernährung: Technologische Trends und Innovationen“ ausgewählt. Zum anderen war es aufgrund der Vielfalt der Teilthemen und angesichts einer mittlerweile fast unüberschaubaren Anzahl von Studien zu diversen Teilthemen notwendig, die großen Herausforderungen bezüglich der Welternährung zusammenzufassen. In diesem Kontext werden neue technologische Trends und Innovationen anhand von ausgewählten Bei- spielen aus dem Bereich der Spitzentechnologien erörtert und daraus of- fene Fragen für die Innovations- und Technikanalyse im BMBF abgelei- tet.
13 2 EINLEITUNG UND EINGRENZUNG DES THEMAS Die Verfügbarkeit von nahrhaften und sicheren Lebensmitteln ist für die Menschen in allen Teilen der Welt ein Grundbedürfnis [The Government Office for Science 2011]. 2 Dabei gilt es heute und zukünftig zu berück- sichtigen, dass in den kommenden Jahrzehnten die Nachfrage nach Nah- rungsmitteln durch den Anstieg der Weltbevölkerung von heute sieben Mrd. auf über neun Mrd. in 2050 stark zunehmen wird. Nach einer aktuellen Studie des Büros für Technikfolgenabschätzung Derzeit leiden rund 1 Mrd. Menschen an beim Deutschen Bundestag (TAB) hat das Welternährungsproblem „[…] Hunger und weit mehr trotz aller Bemühungen der vergangenen Jahrzehnte noch immer einen an Mangelernährung immensen Umfang: Derzeit leiden rund 1 Mrd. Menschen an Hunger und eine weit größere Zahl an den Folgen von Mangelernährung“ [Dusseldorp / Sauter 2011, S. 25]. Somit stellt die Nahrungsmittelknapp- heit und Unter-/Mangelernährung 3 eine gravierende Seite des Problems der Welternährung dar. Unter- und Mangelernährung können mit erhebli- chen Folgen verbunden sein. Beispielweise können sie zu einer Beein- trächtigung der körperlichen und geistigen Entwicklung und erhöhter Sterblichkeit führen. Die andere gravierende Seite des Problems der Welternährung ist der Nahrungsmittelüber- Nahrungsmittelüberfluss und die Fehlernährung in vielen reichen OECD- fluss und Fehlernäh- Ländern mit all seinen Folgen, wie z. B. Übergewicht und Fettleibigkeit. rung erhöhen das Ri- siko für Folge- Nahrungsmittelüberfluss und Fehlernährung erhöhen das Risiko für Fol- erkrankungen wie geerkrankungen wie Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes mellitus z. B. Herz-Kreislauf- Erkrankungen und Di- Typ 2, Fettstoffwechselstörungen, orthopädische Komplikationen sowie abetes mellitus Typ 2 bestimmte Krebserkrankungen [Kuntz / Lampert 2010]. Das Themenfeld Ernährung kann als Dauerbrenner in Deutschland, Eu- ropa und in der Welt bezeichnet werden [vgl. Fraunhofer IVV/TU Mün- chen 2010]. Es wird in der Öffentlichkeit quasi regelmäßig und kontro- vers diskutiert. 4 Ernährung umfasst viele verschiedene Bereiche mit diversen Akteuren wie Landwirtschaft, Lebensmittelproduktion, Le- bensmittelhandel oder Verbraucherhaushalte. Ernährung ist ein komple- Ernährung ist ein komplexer gesell- xer gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Prozess mit vielen Schnittstel- schaftlicher und len zu diversen Politikfeldern (z. B. Landwirtschaftspolitik/Agrarpolitik; wirtschaftlicher Pro- zess mit vielen Verbraucher- und Gesundheitspolitik, Innovations- und Technologiepoli- Schnittstellen zu di- tik) mit entsprechenden Schnittmengen, aber auch Interessenkonflikten. versen Politikfeldern 2 Aus der Perspektive der Vereinten Nationen handelt es sich bei Ernährung um ein grundlegendes Menschenrecht [siehe UN Human Rights 2010]. 3 Unter- und Mangelernährung gelten als zwei Komponenten eines Problemkomplexes. Ausführlicher dazu Kapitel 3. 4 Als aktuelle Beispiele seien an dieser Stelle zwei rege genutzte Online- Diskussionsforen genannt: http://www.ernaehrgesund.de/ oder http://www.facebook. com/Ernaehrung.kontrovers. Abgerufen am: 07.12.2012
14 Ernährung: Technologische Trends und Innovationen Ernährung ist mehr oder weniger ein Dauerthema für Einrichtungen, die im Bereich Technikfolgenabschätzung tätig sind [Meyer 2006]. Dies zei- gen interdisziplinäre Studien, wie die des TAB zu den Themen „Funktio- nelle Lebensmittel“ [z. B. Hüsing et al. 1999], „Nahrungsmittelangebot und -nachfrage“ [Meyer 2004, Meyer / Sauter 2004], „Grüne Gentech- nik“ [Sauter / Hüsing 2005, Meyer / Boysen 2009], „Welternährung“ [Dusseldorp / Sauter 2011] und seines Pendants in der Schweiz, TA Swiss, zu „Functional Food“ [Menrad et al. 2000] und „Nanotechnologie im Bereich Lebensmittel“ [Möller et al. 2009]. Die vorliegende Kurzstudie im Kontext einer Innovations- und Technik- analyse soll auf Anraten im Vorfeld involvierter externer Expertinnen und Experten und in Absprache mit dem Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) die Breite und Komplexität des Themas Ernäh- rung und somit eine fast unüberschaubare Anzahl von interdisziplinären und disziplinären Studien zu diversen Teilthemen berücksichtigen. Die Arbeiten zu dieser Studie wurden im Herbst 2012 abgeschlossen; somit konnte aktuelle Literatur nur bis Sommer 2012 berücksichtigt werden. Nach der grundsätzlichen Einordnung der ITA-Kurzstudie in Kapitel 1 sowie der Einleitung und Eingrenzung des Themas in Kapitel 2, beginnt Kapitel 3 dieser ITA-Kurzstudie mit einem Abriss zur Frage nach der Sicherung der Welternährung. Im Anschluss daran werden die beiden gravierenden Seiten des Welternährungsproblems dargestellt und Bei- spiele für aktuelle forschungspolitische Lösungsansätze zu deren Bewäl- tigung erörtert. Als die zwei gravierenden Seiten der Welternährung gel- ten hier: x Nahrungsmittelknappheit und Unter-/Mangelernährung im Kon- text der Ernährungssituation in vielen Ländern der sogenannten Dritten Welt x Nahrungsmittelüberfluss und Fehlernährung in vielen OECD- Ländern 5 5 Als „Dritte Welt“ gilt nach dem Lexikon der Politik [Nohlen / Grotz 2008, S. 84 f.] „die Gruppe strukturell heterogener Länder mit ungenügender Produktivkraftentfal- tung (…), die sich lose organsiert haben.“ Demgegenüber stehen die reichen Indust- rieländer, die Mitglied der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) sind (z. Zt. 34 Staaten). Beim Thema „Ernährung“ ist aller- dings in Bezug auf den wirtschaftlichen Entwicklungsstand und die Produktivkraft- entfaltung eines Landes Vorsicht geboten. Einerseits gibt es Fehlernährung mitunter auch in einigen Bevölkerungsgruppen in armen Entwicklungsländern und andererseits Unter-/Mangelernährung mitunter auch in reichen Industrieländern wie z. B. die Exis- tenz der sogenannten Tafeln für bedürftige Menschen in Ländern wie Deutschland zeigt. Die Tafeln sammeln u. a. einwandfreie Lebensmittel, die eigentlich für den Müll bestimmt sind, und verteilen diese an Bedürftige. Ferner finden sich in den so- genannten Schwellenländern, wie z. B. Brasilien, Mexiko und Südafrika, beide Prob- leme: Ein zunehmend größerer Teil der Bevölkerung leidet an Übergewicht während andere Teile der Bevölkerung sich (weiterhin) Unterernährung oder Mangelernährung ausgesetzt sehen.
Einleitung und Eingrenzung des Themas 15 Kapitel 3 bietet mit der Auswertung breit angelegter Studien den Kon- text, in den die in Kapitel 4 ausgewählten Beispiele als Beiträge zur Lö- sung der zwei Seiten des Welternährungsproblems einzuordnen sind. Kapitel 4 bildet den Schwerpunktteil der vorliegenden Arbeit. Lösungs- ansätze und Innovationen im Bereich Welternährung sind immer auch von der Weiterentwicklung verschiedener Forschungszweige im Bereich der Spitzentechnologien abhängig. In dieser ITA-Kurzstudie folgen wir dem Technology-Push-Pfad im Sinne des Technologiemonitorings. Technikentwicklungen ermöglichen eine Vielzahl von Innovationen in unterschiedlichen Anwendungskontexten und manifestieren sich dort auf unterschiedliche Art und Weise. Da es sich bereits um Techniken oder technische Entwicklungsvisionen handelt – und nicht allein um Grundla- genforschung ohne erkennbaren Anwendungsbezug – haben diese, spä- testens durch ihren Gebrauch, Folgen für die Gesellschaft. Hier werden technologische Trends und Innovationen anhand von ausgewählten Bei- spielen skizziert, die neuartige technisch-wissenschaftliche Beiträge zur Lösung von Nahrungsmittelknappheit und Unter-/Mangelernährung so- wie Nahrungsmittelüberfluss und Fehlernährung liefern können und in der Innovations- und Technikanalyse oder der Technikfolgenabschätzung „Worum geht es?“, aufgrund ihrer Neuheit bisher kaum oder gar nicht diskutiert werden. Die „Warum ist es wich- tig?“ und „Was muss Beispiele „Neue Ansätze für die Fleischherstellung“, „Nanotechnologie aus der Perspektive für Lebensmittelsicherheit“ und „Informations- und Kommunikations- der Innovations- und technologien zur Verbraucherorientierung“ werden diskutiert anhand der Technikanalyse ge- klärt werden?“ Leitfragen „Worum geht es?“, „Warum ist es wichtig?“ und „Was muss aus der Perspektive der Innovations- und Technikanalyse geklärt wer- den?“ 6 Im abschließenden Kapitel 5 findet sich eine Synthese der Ergebnisse der vorliegenden ITA-Kurzstudie samt einem zweiteiligen Blick in die Zu- kunft. Hier werden zum einen die offenen Fragen der Innovations- und Technikanalyse zum Thema „Ernährung: Technologische Trends und Innovationen“ gebündelt. Zum anderen werden Vorschläge unterbreitet, wie diese offenen Fragen im Rahmen zukünftiger Aktivitäten angegan- gen bzw. bearbeitet werden können. 6 Das Thema „Designer-Lebensmittel“ bzw. „Functional Food“ wird in dieser Kurzstu- die nicht vertieft, da es im Bereich ITA/TA hinreichend zwischen 1999 und 2008 dis- kutiert worden ist [zusammenfassend z. B. IPTS 2008]. Das Thema „Bio- und Gen- technik in Lebensmitteln“ wird ausführlich diskutiert im Rahmen von TA-Studien zur „Grünen Gentechnik“ [EPTA 2009, Meyer / Boysen 2009, Sauter / Hüsing 2005], so dass eine Vertiefung dieses Themas hier mit dem Hinweis auf diese Literatur entfal- len kann. Das Thema „Steigender Fischbedarf (Aquakultur)“ wird im Rahmen der vorliegenden Kurzstudie nicht vertieft, da gegenwärtig diverse Projekte mit ITA- Fragestellungen auf europäischer Ebene bearbeitet werden (siehe etwa unter: http://www.euraquaculture.info).
17 3 WELTERNÄHRUNGSPROBLEMATIK Gegenwärtig geht man davon aus, dass in den kommenden Jahrzehnten Drohende Verschär- fung des Hungers in die Nachfrage nach Nahrungsmitteln durch den Anstieg der Weltbevöl- vielen Teilen der kerung von heute sieben Mrd. auf über neun Mrd. in 2050 stark zuneh- (Dritten) Welt bei men wird. Vor dem Hintergrund, dass Nahrungsmittelknappheit und Un- weiterem Bevölke- rungswachstum ter-/Mangelernährung seit Jahrzehnten ein gravierendes Problem darstellt, mit denen die Weltgemeinschaft konfrontiert ist [Dusseldorp / Sauter 2011], droht bei einem weiteren Bevölkerungswachstum eine Ver- schärfung des Hungers in vielen Teilen der (Dritten) Welt. Auch wenn das Welternährungsproblem in den letzten Jahren wieder stärker in den Mittelpunkt des öffentlichen und politischen Interesses gerückt ist: Hin- reichende zukünftige Lösungen zur Bewältigung dieser Problematik sind zum einen zu identifizieren und zum anderen umzusetzen. Wie bereits kurz dargestellt macht Nahrungsmittelknappheit und Un- ter/Mangelernährung die eine Seite und Nahrungsmittelüberfluss und die Fehlernährung die andere Seite der Welternährungsproblematik aus. Letztere Seite ist vor allem in den reichen OECD-Ländern zu beobach- ten. Nach einer aktuellen Studie des TAB, wird die Entstehung von Übergewicht und Adipositas durch Fehlernährung mit zahlreichen Fakto- ren in Verbindung gebracht, u. a. der Qualität und Quantität des Nah- rungsmittelangebotes, den Ernährungsgewohnheiten sowie einer geneti- schen Disposition. Die Autoren der TAB-Studie gehen davon aus, „[…] dass sich das Verhältnis zwischen der Nahrungsenergiezufuhr und dem Energiebedarf des Menschen in den vergangenen Jahrzehnten stark ver- schoben hat. So gehen auf der einen Seite verschiedene Faktoren – z. B. eine vorwiegend sitzende Tätigkeit im Beruf, wenig Bewegung in der Freizeit – mit einem reduzierten Energiebedarf einher, während sich auf der anderen Seite die Kalorienzufuhr über die Nahrung durch stark zu- cker- und fetthaltige Nahrungsmittel, die ständige Verfügbarkeit von Es- sen, die Zunahme größerer Mengen von Nahrungsmitteln etc. deutlich erhöht hat“ [Dusseldorp / Sauter 2011, S. 35 f.]. Im nachfolgenden Kapitel 3 erfolgt zunächst ein Abriss zur Sicherung der Welternährung. Daran schließt sich an die Diskussion der zweiteili- Zweiteilige Problema- gen Problematik Nahrungsmittelknappheit und Unter-/Mangelernährung tik: Nahrungsmittel- sowie Nahrungsmittelüberfluss und Fehlernährung. Ferner werden aus- knappheit und Unter-/ Mangelernährung gewählte, aktuelle forschungspolitische Lösungsansätze zur Bewältigung sowie Nahrungsmit- der Welternährungsproblematik skizziert. Wie bereits angedeutet, ist dies telüberfluss und Fehlernährung kein einfaches Unterfangen angesichts der Vielzahl von Studien zu diver- sen Teilthemen im Bereich Ernährung.
18 Ernährung: Technologische Trends und Innovationen 3.1 Sicherung der Welternährung Die Lage der Welternährung wird in der Regel als dramatisch bezeichnet [Dusseldorp / Sauter 2011]. Nahrungsmittelknappheit und Unter- /Mangelernährung in vielen Teilen der Dritten Welt stünden Nahrungs- mittelüberfluss und Fehlernährung in den reichen OECD-Ländern gegen- über und demonstrierten die ungleiche Verteilung von Nahrungsmitteln in der Welt. Aktuelle Entwicklungen ließen zudem eine Verschärfung der Welternährungsproblematik in den kommenden Jahren erwarten [Wein- gärtner / Trentmann 2011]. Neben der Frage der Verteilungsgerechtigkeit rückt immer mehr die Frage nach der Sicherung der Welternährung in den Mittelpunkt der Diskussion [Politische Ökologie 2012]. Der prog- nostizierte Anstieg der Weltbevölkerung von derzeit sieben auf über neun Milliarden Menschen bis zum Jahr 2050 stellt bei der Betrachtung der zukünftigen Erfordernisse für eine hinreichende Nahrungsmittelversor- gung eine zentrale Größe dar. Bei der grundsätzlichen Betrachtung der Welternährungsproblematik dominieren zwei zentrale Perspektiven – die Mengenperspektive und die Zugangsperspektive. Bei der Mengenper- spektive wird ausgehend von der Anzahl von Menschen und ihrem mitt- leren Nahrungsenergiebedarf auf die benötigte Menge an Nahrungsmit- teln geschlossen. Im Zentrum der Zugangsperspektive steht die Verteilung der Nahrungsmittel innerhalb der Weltbevölkerung. Das der- zeitige Welternährungsproblem wird primär als Zugangs- denn als Men- Rein rechnerisch ge- genproblem angesehen [Dusseldorp / Sauter 2011]. Rein rechnerisch sind nügend Lebensmittel vorhanden zur Ernäh- gegenwärtig genug Lebensmittel vorhanden, um die Weltbevölkerung rung der Weltbevöl- hinreichend zu ernähren, d. h. es gibt eigentlich kein Mengenproblem. kerung Die vorhandenen Lebensmittel sind allerdings sehr ungleich verteilt, d. h. der Zugang für einige Bevölkerungsgruppen ist unzureichend. Ein weite- rer Anstieg der Weltbevölkerung könnte das Zugangsproblem noch zu- sätzlich mit einem Mengenproblem verknüpfen. Auf dem Weg zu einer dauerhaften Sicherung der Welternährung ist aus der Sicht diverser Expertenkreise, eine Reihe von Herausforderungen zu bewältigen [z. B. The Royal Society 2009]: x Negative Auswirkungen des Klimawandels x Schädigung und Verlust fruchtbarer Böden x Zunehmende Flächennutzungskonkurrenzen x Verknappung relevanter Ressourcen x Optimierung der Bewirtschaftungssysteme x Nachernteverluste x Wandel der Ernährungsgewohnheiten
Welternährungsproblematik 19 Die Folgen des Klimawandels, wie beispielsweise steigende Durch- Negative Beeinflus- sung der Welternäh- schnittstemperaturen und die Zunahme extremer Wetterereignisse, haben rungsproblematik vielfältige Auswirkungen auf die Landwirtschaft [Weingärtner / Welt- durch Verschärfung hungerhilfe / IFPRI / Concern Worldwide 2011]. Im Ergebnis führen Sie der Klimaproblematik bereits heute verstärkt zu Ernteeinbußen und Ernteverlusten. Eine Ver- schärfung der Klimaproblematik kann somit auch die Welternährungs- problematik negativ beeinflussen. Die sogenannte Bodendegradation (Herabsetzung oder Verschlechterung der Bodenqualität) führt zunehmend zur Schädigung oder gar dem Ver- lust von fruchtbaren Böden für den Anbau von landwirtschaftlichen Er- zeugnissen. Potentielle Anbauflächen werden so zunehmend kleiner. Landwirtschaftlich nutzbare Flächen sind weltweit begrenzt verfügbar. Flächennutzungs- Die Verknappung der fossilen Rohstoffreserven führt zu einer gesteiger- konkurrenzen zwi- ten Nachfrage nach Energiepflanzen zur Erzeugung von Bioenergie wie schen Nahrungsmit- telproduktion und beispielsweise Biokraftstoffen. Die gesteigerte Nachfrage führt zuneh- Energiepflanzenanbau mend zu Flächennutzungskonkurrenzen zwischen Nahrungsmittelpro- duktion und Energiepflanzenanbau. Auch die Umwandlung von land- wirtschaftlichen Nutzflächen in Siedlungs- und Verkehrsflächen führt im Ergebnis zu einem Verlust von Flächen zum Anbau von landwirtschaftli- chen Erzeugnissen. Um den zunehmenden Bedarf einer wachsenden Weltbevölkerung an Effiziente Nutzung Nahrungsmitteln in Zukunft hinreichend decken zu können, gewinnt die der Ressourcen, z. B. Wasser, Boden, Nähr- effiziente Nutzung der Ressourcen, die zur Nahrungsmittelproduktion stoffe notwendig sind (z. B. Wasser, Boden, Nährstoffe) erheblich an Bedeu- tung [Reuscher et al. 2011]. Die sich verstärkende Verknappung von für die Ernährungssicherung relevanten Ressourcen erfordert geeignete Maßnahmen. Flächenproduktivität sowie erforderlicher Ressourceneinsatz sind abhän- gig von dem jeweiligen Bewirtschaftungssystem. So deutet sich verstärkt an, dass in Entwicklungsländern mit ökologischer Landwirtschaft deut- lich höhere Erträge erzielt werden können als mit konventionellen An- baumethoden [Dusseldorp / Sauter 2011]. Die Auswahl geeigneter bzw. die Verbesserung vorhandener Bewirtschaftungssysteme kann somit ei- nen Beitrag zur Steigerung der Flächenproduktivität sowie zum Ressour- censchutz leisten. Einer aktuellen Schätzung zufolge wird etwa ein Drittel der erzeugten Beitrag zur Lebensmittel nicht verzehrt, weil hier sogenannte Nachernteverluste ein- Sicherung der treten. Ursächlich für diese Verluste zwischen der Ernte und Verbraucher Welternährung durch Reduzierung der sind vorwiegend Fehler bei der Ernte, unsachgemäßer Transport und un- Nachernteverluste zureichende Lagerungs- und Konservierungsmethoden [FAO 2011]. Die
20 Ernährung: Technologische Trends und Innovationen Reduzierung der Nachernteverluste kann einen Beitrag zur Sicherung der Welternährung leisten. 7 Das Ernährungsverhalten in den reichen OECD-Ländern ist meist durch den Verzehr hochkalorischer und stark verarbeiteter Lebensmittel ge- prägt. Der Anteil an Lebensmitteln tierischen Ursprungs ist hoch. Bereits heute wird ein Drittel des weltweiten Ackerlandes für die Erzeugung von Futtermitteln genutzt [Politische Ökologie 2012]. Auch ist in den Ent- wicklungs- und Schwellenländern ein Wandel der Ernährungsgewohn- heiten zu beobachten. Die Nachfrage nach ressourcenintensiven, Nah- rungsmitteln tierischen Ursprungs steigt bereits heute. Zukünftig wird mit einer weiteren starken Zunahme des weltweiten Verbrauchs tierischer Nahrungsmittel gerechnet [Dusseldorp / Sauter 2011]. 3.2 Nahrungsmittelknappheit und Unter- /Mangelernährung Regionale Verteilung Etwas vereinfachend lässt sich festhalten, dass von den aktuell ca. sieben Milliarden Menschen auf der Welt etwa eine Milliarde Menschen gut ernährt bis überernährt (Nahrungsmittelüberfluss und Fehlernährung) und etwa fünf Milliarden mittelmäßig bis schlecht ernährt sind. Darüber hin- aus leidet etwa eine Milliarde Menschen an Hunger und den Folgen von Nahrungsmittelknappheit und Unter-/Mangelernährung. Gemeinhin wird vermutet, dass die Zahl unter- oder mangelernährter Menschen u. a. auf- grund einer wachsenden Weltbevölkerung, dem Schrumpfen landwirt- schaftlich nutzbarer Flächen, weiterhin steigender Preise für Nahrungs- mittel (und nachwachsender Rohstoffe) und der Folgen des Klimawandels weiter wachsen wird. Um den steigenden Bedarf der Weltbevölkerung zu decken 8, müsste entweder die landwirtschaftliche Nutzfläche erheblich erweitert oder die Flächenproduktivität deutlich verstärkt werden. 7 Die Nachernterverluste in den reichen OECD-Ländern sind in der Regel deutlich geringer als in den Ländern der Dritten Welt, doch nehmen die Verluste auf den nachgelagerten Stufen der Lebensmittelkette zu. Lebensmittel, die unansehnlich ge- worden sind oder das Mindesthaltbarkeitsdatum überschritten haben, werden in der Regel in den reichen OECD-Ländern entsorgt auch wenn sie ohne Bedenken noch für den Menschen genießbar wären. Bezüglich dieser wichtigen Thematik, die im Rah- men der engen Grenzen der vorliegenden ITA-Kurzstudie nicht vertieft werden kann, sei verwiesen auf die ITA-Kurzstudie „Frisch auf den Müll“, die vom Institut für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse (ITAS) bearbeitet wird und voraus- sichtlich in der ersten Jahreshälfte 2013 erscheinen wird. Es gibt bereits einen Preprint der Kurzstudie „Frisch auf den Müll“: http://www.itas.fzk.de/deu/lit/ epp/2012/prjo12-pre01.pdf. 8 Die Weltbank geht davon aus, dass der Nahrungsmittelbedarf von 2000 bis 2030 um 50 Prozent, der Bedarf an Fleisch sogar um 85 Prozent ansteigen wird [The World Bank 2007].
Welternährungsproblematik 21 Gegenwärtig gemessen an der Anzahl der Armen ist Südasien (Indien, Südasien und Afrika am stärksten von Bangladesh, Pakistan, Nepal und Sri Lanka) die Region mit der ausge- Nahrungsmittelknapp- prägtesten Nahrungsmittelknappheit und Unter-/Mangelernährung. Legt heit betroffen man allerdings den Anteil der Armen an der Gesamtbevölkerung zu Grunde, dann ist nach Einschätzung des Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung Afrika – vor allem im ländlichen Raum – südlich der Sahara am stärksten betroffen [Heidhues 2008]. Hinzu kommt, dass über 75 Prozent der Armen derzeit in ländlichen Regionen wohnen und vor- wiegend von der Landwirtschaft leben [Ravallion et al. 2007]. Nur wenige der betroffenen Länder konnten den Hunger innerhalb der letzten 20 Jahre erkennbar senken (siehe Abbildung 1). Der von der Welthungerhilfe, dem International Food Policy Research Institute (IFPRI) und Concern Worldwide herausgegebene Welthungerindex [Welthungerhilfe / IFPRI / Concern Worldwide 2010] kommt zum Er- gebnis, dass das Ausmass des Hungers in den letzten zwei Dekaden zwar scheinbar weltweit abgenommen hat, allerdings regional sehr unter- schiedlich. Die positivsten Entwicklungen sind diesem Bericht zufolge in Asien (mit Ausnahme Nordkoreas) zu verzeichnen; auch in Lateinameri- ka und der Karibik sind die meisten Länder auf einem positiven Weg. Besonders negativ sei die akute und anhaltende Ernährungsunsicherheit in der Demokratischen Republik Kongo. Demgegenüber kommt die Food and Agriculture Organization of the United Nations (FAO) zu dem Er- Weiterhin wachsende gebnis, dass die Zahl der Hungernden in der Welt relativ und absolut Weltbevölkerung ist große Herausforde- zugenommen hat [FAO 2010]. Auch wenn die dargestellten Ergebnisse rung für die Welter- widersprüchlich sind, lässt sich festhalten, dass ein beträchtlicher Anteil nährung der Weltbevölkerung mit Nahrungsmittelknappheit und Unter- /Mangelernährung konfrontiert ist und eine weiterhin wachsende Welt- bevölkerung eine große Herausforderung für die Welternährung darstellt.
22 Ernährung: Technologische Trends und Innovationen Abbildung 1: Entwicklung des Welthungers (Quelle: Welthungerhilfe / IFPRI / Concern Worldwide 2010).
Welternährungsproblematik 23 Krankheit infolge von Unter-/Mangelernährung Das Problem der Unter-/Mangelernährung wird übersichtlich in einem Unter-/ Mangelernährung füh- aktuellen TAB-Bericht [Dusseldorp / Sauter 2011, S. 32 ff.] dargestellt. ren zur Beeinträchti- Dem Bericht zufolge sind Unter-/Mangelernährung mit erheblichen Fol- gung der geistigen gewirkungen für die betroffenen Menschen verbunden und führen z. B. Entwicklung, einer Schwächung des Im- zu einer Beeinträchtigung der körperlichen und geistigen Entwicklung, munsystems, Er- einer Schwächung des Immunsystems, einem Erblinden und erhöhter blinden und erhöh- ter Sterblichkeit Sterblichkeit. Hinzu kommen u. a. noch die negativen Auswirkungen auf die Wirtschaftskraft der von Hunger und Mangelernährung betroffenen Länder, die erheblich seien. Neben dem Problem der chronischen Unterernährung – d. h. der dauer- haft unzureichenden Energiezufuhr über die Nahrung – stelle auch Man- gelernährung ein globales Problem dramatischen Ausmaßes dar. Mangel- ernährung bestehe dann, wenn trotz ausreichender Energiezufuhr nicht genügend Mikronährstoffe, wie z. B. Eisen, Jod und Vitamin A, über die Nahrung aufgenommen werden. Mangelernährung, die durch unzurei- chende Zufuhr von Mikronährstoffen über die Nahrung hervorgerufen werde, sei unmittelbar von der Qualität der zur Verfügung stehenden Nahrung bestimmt. Während Unterernährung sich unmittelbar bemerkbar mache, könne ein Mangel an Mikronährstoffen einige Zeit bestehen, oh- ne dass Krankheitszeichen erkennbar wären. Aktuelle forschungspolitische Lösungsansätze Auf internationaler Ebene hat die Weltbank im Jahr 2007 mit dem World Zu den Lösungsan- Development Report 2008 – Agriculture for Development [The World sätzen zählen u. a. Zugang zu Land, Bank 2007] einen vielbeachteten Bericht auf den Weg gebracht, der Nah- Wasser, Bildung und rungsmittelknappheit und Unter-/Mangelernährung sehr deutlich themati- Gesundheit und ein verbesserter Zugang siert. In Teilen Afrikas und Asiens seien Armut und Hunger ein sehr zu Krediten ernstes Problem. In diesem Bericht finden sich wichtige Lösungsansätze, u. a. auch mit Bezug zu Technologien und Innovationen. Hier wird the- matisiert, mit welchen Instrumenten die Landwirtschaft für eine verbes- serte Weltentwicklung genutzt werden kann. Als Instrumente werden u. a. genannt: x Verbessern des Zugangs zu Vermögenswerten, wie z. B. Land, Wasser, Bildung und Gesundheit x Erhöhen der Produktivität und Nachhaltigkeit bei kleinen Farmen x Verbessern des Zugangs zu Krediten x Reduktion nicht-versicherter Risiken x Fördern von Innovation durch Wissenschaft und Technologie Zu letztgenanntem Instrument hält der Bericht fest, dass die Ausgaben für Forschung und Entwicklung im Agrarsektor in einigen Ländern Afri- kas verschwindend gering seien im Vergleich zu Staaten wie China und Indien oder im Vergleich zu den reichen OECD-Staaten. Hinzu käme
24 Ernährung: Technologische Trends und Innovationen noch als weiteres Problem, dass Forschungsinfrastrukturen häufig unzu- reichend seien. Am Beispiel der Biotechnologie kommen die Autoren der Weltbank zu dem Schluss, dass arme Lebensmittelproduzenten und arme Verbraucher z. B. von dieser Technologie erheblich profitieren könnten, wenn es in den armen Ländern ein größeres Investment in solche Tech- nologie gäbe. Aus diesem Grund wird ein verstärktes Engagement der Länder mit hohen Aufwendungen für Forschung und Entwicklung in armen Ländern gefordert, die Interesse an einer solchen „technologi- schen“ Zusammenarbeit signalisieren. Gegenwärtig existie- Ein ebenfalls stark beachteter Bericht stammt vom International Assess- rendes Landwirt- schaftssystem nicht ment of Agricultural Knowledge, Science and Technology for Develop- geeignet zur Siche- ment [IAASTD 2009]. Hinter diesem Bericht stehen internationale Orga- rung der zukünftigen nisationen wie die Weltbank, die FAO und die WHO. In diesem Bericht Welternährung wird konstatiert, dass das gegenwärtig existierende Landwirtschaftssys- tem und das Wissenssystem, auf dem es basiert, nicht länger geeignet sind, um den großen Herausforderungen zur Sicherung der zukünftigen Welternährung adäquat begegnen zu können. Vielmehr seien Systeme notwendig, die auf der Basis neuer integrierter Forschung – u. a. zur In- teraktion von Produktivität und Nachhaltigkeit in der Landwirtschaft – entwickelt werden müssten. Die entsprechenden Forschungsprogramme sollten auch eine Partizipation der Landwirte vorsehen. Die Europäische Union (EU) hat die auf internationaler Ebene diskutier- ten Herausforderungen und forschungspolitischen Anregungen und Lö- sungsansätze ebenfalls aufgegriffen. Im Frühjahr 2011 veröffentlichte der ständige Ausschuss für die agrarwissenschaftliche Forschung der Gene- raldirektion Forschung und Innovation (SCAR) der Europäischen Kom- mission eine Foresight-Studie zum nachhaltigen Lebensmittelverbrauch in einer Welt mit eingeschränkten Ressourcen. Hier wird in vier Szenari- en beschrieben, dass bei einer prognostizierten Bevölkerungszahl von über neun Mrd. im Jahre 2050 die Versorgung der Weltbevölkerung mit hinreichenden Nahrungsmitteln eine überaus große Herausforderung auch für die EU und ihre Mitgliedsstaaten darstellt. Allerdings ließen sich u. a. mittels neuer technologischer Lösungen die Lebensmittelproduktion unter dem geringeren Einsatz natürlicher Ressourcen steigern und Le- bensmittelabfälle reduzieren; letzeres auch durch ein anderes Ernäh- Ein verstärktes In- rungsverhalten. Ein verstärktes Investieren in technologische Innovatio- vestieren in techno- nen sei notwendig, um neue zukunftsfähige Landwirtschaftsysteme zu logische Innovationen ist notwendig, um entwickeln, wie sie z. B. IAASTD fordert. Mit den Trends und Innovati- neue zukunftsfähige onen aus den Bereichen Biotechnologie, Nanotechnologie, IKT und Ag- Landwirtschaftsyste- me zu entwickeln ro-Ökologie seien neue Möglichkeiten (aber auch neue Risiken) zur Be- wältigung der Ernährungsproblematik in Reichweite gekommen [European Commission – Standing Committee on Agricultural Research 2011a]. Die Expertengruppe schlägt aus diesem Grund eine prominente Berücksichtigung der neuen Facetten des Themas „Ernährung“ im 8. Forschungsrahmenprogramm der Europäischen Kommission vor. Dieses
Welternährungsproblematik 25 Programm wurde im November 2011 in seinen Grundzügen der Öffent- lichkeit vorgestellt. Es trägt den Namen „Horizon 2020“, soll von 2014 bis 2020 laufen und hebt das Themenfeld „Nahrungsmittelsicherheit und nachhaltige Landwirtschaft“ [European Commission 2011b] als einen besonderen Schwerpunkt gemeinsam mit fünf anderen Themenfeldern hervor. Das britische Government Office for Science hat kürzlich einen umfang- Lösungsansätze sind reichen Zukunftsbericht mit dem Titel „The Future of Food and Farming: koordinierte Refor- Challenges and choices for global sustainability” veröffentlicht. In die- men in allen Berei- chen: nachhaltige Le- sem Bericht beschreiben fast 400 Experten aus 35 Ländern die Entwick- bensmittelproduktion, lungen des Lebensmittel- und Landwirtschaftssektors bis zum Jahr 2050. Reduzieren der Le- Der Bericht untersucht, wie die Weltbevölkerung von zukünftig über bensmittelabfälle und Erhöhung der Res- neun Milliarden Menschen gesund, ökologisch, sozial und wirtschaftlich sourceneffizienz tragbar, also nachhaltig, ernährt werden kann und welche Faktoren die Ernährung der Weltbevölkerung bis zum Jahr 2050 wesentlich beeinflus- sen [The Government Office for Science 2011]. Der Bericht für die briti- sche Regierung kommt zu dem grundsätzlichen Ergebnis, dass die hin- reichende Lösung des Problems nicht durch isolierte Maßnahmen, sondern nur durch umfassende, koordinierte Reformen in allen Bereichen möglich sei. Als die zentralen Herausforderungen werden die folgenden betrachtet: x Erreichen einer Balance von zukünftigem Bedarf und nachhalti- ger Versorgung x Adressieren der Gefahr der zukünftigen Schwankungen im Le- bensmittelsystem x Beenden des Hungers in der Welt x Gestalten einer Welt mit geringen Emissionen x Erhalt der Biodiversität und der Umwelt bei der Lösung von Nah- rungsmittelknappheit und Unter-/Mangelernährung Um diesen Herausforderungen begegnen zu können, schlagen die Auto- ren des Berichts u. a. vor, neue wissenschaftliche Ansätze und neue Technologien zu entwickeln, mit denen es z. B. gelingt, die derzeitigen Grenzen bei einer nachhaltigen Lebensmittelproduktion zu durchbrechen, Lebensmittelabfälle zu reduzieren und die Ressourceneffizienz bei einge- setztem Wasser, Boden etc. zu erhöhen. Ferner wird neben dem Bedarf nach zusätzlicher Forschung u. a. in den Agrarwissenschaften, in der Bo- denkunde und in der Agro-Ökologie ein zusätzlicher Bedarf von For- schungsarbeiten aus den Ingenieurwissenschaften, den Informations- und Kommunikationstechnologien sowie aus den Sozialwissenschaften mit dem Schwerpunkt auf eine nachhaltige Lebensmittelproduktion betont. Die Ergebnisse eines Berichts der Royal Society gehen in eine ähnliche Richtung. Hier wird noch zusätzlich betont, dass u. a. sogenannte wissen- schaftliche High-Risk-Ansätze, wie z. B. die Entwicklung gentechnisch
26 Ernährung: Technologische Trends und Innovationen Wissenschaftliche veränderter Pflanzen, zur Sicherung der Welternährung verfolgt werden High-Risk-Ansätze zur Sicherung der sollten. Dafür sei ein deutliches Aufstocken der öffentlichen Fördermittel Welternährung notwendig. Die Forschung solle dann im Dialog mit Landwirten und an- deren wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Stakeholdern vorangetrie- ben werden [The Royal Society 2009]. Forschungspolitische Lösungen für den Nahrungsmittelmangel und die Unter-/Mangelernährung finden sich in Deutschland an prominenter Stel- le. Das Fundament bildet hier die „Nationale Forschungsstrategie Bio- Ökonomie 2030“ [BMBF 2010], die wiederum Bestandteil der Hightech- Strategie der Bundesregierung ist und Impulse u. a. für die Bedarfsfelder Energie/Klima sowie Gesundheit/Ernährung liefern soll. Die For- schungsstrategie hat eine Ausrichtung auf folgende fünf Handlungsfel- der: x Weltweite Ernährung sichern x Agrarproduktion nachhaltig gestalten x Gesunde und sichere Lebensmittel produzieren x Nachwachsende Rohstoffe industriell nutzen x Energieträger auf Basis von Biomasse ausbauen Forschungspolitische Neben diesen Handlungsfeldern gibt es sogenannte Leitlinien zur Ausge- Maßnahmen: Menschen staltung der forschungspolitischen Maßnahmen [BMBF 2010, S. 17, nachhaltig versorgen, Nutzungswege ge- leicht gekürzt, Anm. d. V.]: meinsam betrachten, gesamte Wertschöp- x „Menschen nachhaltig versorgen: Bei der Versorgung des Men- fungsketten in den schen mit Nahrung, nachwachsenden Rohstoffen und Bioenergie Blick nehmen müssen die Auswirkungen auf Mensch, Umwelt und Natur be- rücksichtigt werden. x Nutzungswege gemeinsam betrachten: Die Nutzungswege von Biomasse (Nahrung, stofflich-industriell bzw. energetisch) sind in ihren Wechselwirkungen zu betrachten, um Konkurrenzen zu er- kennen und Prioritäten auf globaler, nationaler und regionaler Ebene zu setzen. Die Ernährungssicherheit genießt dabei stets Vorrang. Zudem sind Produkte mit einem höheren Wertschöp- fungspotenzial zu bevorzugen. x Gesamte Wertschöpfungsketten in den Blick nehmen: Die Hand- lungsfelder sollen mit systemorientierten Forschungsansätzen verfolgt werden, die die gesamten Wertschöpfungsketten in den Blick nehmen.“
Welternährungsproblematik 27 Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) hat im Juli Förderinitiative „Glo- 2011 die Förderinitiative „Globale Ernährung – GlobE“ gestartet, um mit bale Ernährung – GlobE“ durch BMBF Forschungsprojekten den weltweiten Aufbau einer nachhaltigen und leis- tungsstarken Landwirtschaft zur Bewältigung der Nahrungsmittelknapp- heit und der Unter-/Mangelernährung zu unterstützen. Die Initiative ist Bestandteil der „Nationalen Forschungsstrategie BioÖkonomie 2030“ der Bundesregierung. Das zentrale Ziel liegt darin, die Sicherung der Welter- Nationale For- nährung mithilfe nachhaltiger Technologien zu fördern. Im Fokus der schungsstrategie Förderinitiative steht die Zusammenarbeit mit afrikanischen Ländern. Im BioÖkonomie 2030 Rahmen interdisziplinärer und internationaler Zusammenarbeit sowie auf Grundlage regionaler Bedarfsanalysen in Afrika sollen Agrarforschungs- themen entlang der gesamten Wertschöpfungskette identifiziert und be- arbeitet werden. Unter dem Dach der Förderinitiative stehen daher an die lokale Situation angepasste Forschungsprojekte zur Bewältigung der Nahrungsmittelknappheit und Unter-/Mangelernährung [BMBF 2011a]. 3.3 Nahrungsmittelüberfluss und Fehlernährung Verändertes Ernährungsverhalten In vielen reichen OECD-Staaten verändert sich das Ernährungsverhalten sehr deutlich. Immer häufiger führen Nahrungsmittelüberfluss und Fehl- ernährung zu Krankheit. Die Alterung der Gesellschaft, längere Arbeits- zeiten, der wachsende Anteil berufstätiger Frauen, die Zunahme der Sin- gle-Haushalte und die zunehmende kulturell-religiöse Heterogenität der Bevölkerung führen zu veränderten Mahlzeitenmustern. Fertiggerichte, Mahlzeiten außer Haus bzw. vom Lieferservice stehen als Alternativen zum Selbstkochen in der heimischen Küche zur Verfügung. In Ländern u. a. mit einer steigenden Zahl von Singles (sowohl ältere als auch jüngere Menschen) und dem Schwinden der Kochkenntnisse wächst der Bedarf nach Bequemlichkeit und sogenanntem Convenience Food 9 Wachsender Bedarf einerseits und nach neuen Formen der Ernährung andererseits – wie etwa nach Bequemlichkeit und sogenanntem nach Zwischenmahlzeiten, die ohne Besteck, während der Autofahrt oder Convenience Food der Arbeit verzehrt werden können. Die Popularität der Convenience- Produkte kann auf die heute vorherrschende Lebensweise zurückgeführt werden. 9 Die Bezeichnung Convenience-Produkte bezieht sich auf Fertiggerichte, vorverarbei- tete, verpackte Frischwaren, Snacks und Mitnahmegerichte. Diese Convenience- Produkte werden verstärkt in Kantinen, Verpflegungsstellen und Restaurants einge- setzt.
28 Ernährung: Technologische Trends und Innovationen Das Ernährungsver- Das Ernährungsverhalten in Deutschland ist für rund ein Drittel der Be- halten in Deutschland völkerung durch eine starke Preis- und Mengenorientierung gekenn- ist für rund ein Drit- tel der Bevölkerung zeichnet. 10 „Beim Lebensmittelmarkt des Niedrigpreissektors handelt es durch Preis- und sich um einen standardisierten, internationalen und vom Preiskampf be- Mengenorientierung gekennzeichnet stimmten Massenmarkt für industriell verarbeitete, teilweise mit zusätzli- chen Inhaltsstoffen (z. B. Vitamine oder ungesättigte Fettsäuren) ange- reicherte Lebensmittel. Dieser Markt fokussiert u. a. auf eine Ver- brauchergruppe, die aus der Sicht des Deutschen Ethikrates in mehrerlei Hinsicht als `arm´ bezeichnet werden kann: arm an Ernährungs- und Gesundheitsinteresse, Bildung, Wissen, Koch- und Küchenfertigkeiten und Geld“ [Schönberger / Hartmann 2008, S. 6]. Wohingegen sich der Hochpreissektor – in dem Gesundheit ein Leitbild für Lebensqualität ist und wofür es sich lohnt mehr zu bezahlen – in zwei Verbraucher- Fraktionen zu teilen scheint: „Die eine Fraktion will funktionale, medizi- nisch wirksame Produkte, die andere naturbelassene, ethisch wertvolle Produkte“ [Meyer-Ries 2007]. Eine wachsende Zahl von Verbrauchern trifft nach zahlreichen Lebens- „Bio-Food“ als Trend etabliert mittelskandalen (z. B. BSE, Acrylamid, Gammelfleisch, Dioxineier) die Kaufentscheidung zunehmend stärker auf Grundlage der Produktionsbe- dingungen ihrer Lebensmittel und für welche Werte die Hersteller und Händler stehen. Längst hat sich Bio-Food aus seinem Nischendasein herausgelöst und als Trend etabliert. Während Bio-Produkte früher fast ausschließlich über Bauernhöfe, spezielle Wochenmärkte, Reformhäuser und den Naturkostfachhandel zu bekommen waren, sind sie heute auch in Supermärkten oder bei Discountern erhältlich (z. B. Bio-Obst, Bio-Eier, Bio-Säfte). Während anfangs vor allem ökologisch orientierte Käufer Bio-Food kauften, sind es heute ebenso die Ernährungsbewussten aus diversen anderen gesellschaftlichen Gruppen, die zu den festen Käufern gehören. Ähnlich wie beim Trend „Regional Food“ fördert der Wunsch nach Transparenz, aber auch ein zunehmendes Gesundheitsbewusstsein, den Bio-Trend. Eine wachsende Zahl von Verbrauchern entscheidet sich inzwischen auch für ethisch unbedenkliche Produkte: Produkte aus fai- Steigende Nachfrage rem Handel (Fair Trade). Die nachhaltige Nahrungsmittelproduktion nach „ethisch unbe- denklichen“ Produk- scheint der Branche großes Innovationspotenzial zu bieten. Dies betrifft ten aus fairem Han- vor allem Produktionsmethoden, Energienutzungskonzepte (erneuerbare del Energien, die Senkung des Energieverbrauchs und die Nutzung von Le- bensmittelresten als Energiequelle) sowie die Lebensmittelbestandteile. 10 Schätzung auf Grundlage der in verschiedenen Studien ermittelten Ernährungsstile und -typen. [Eberle / Hayn 2007, Schulte / Butzmann 2009]
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