Europa in 12 Lektionen - von Pascal Fontaine

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Europa in 12 Lektionen - von Pascal Fontaine
Europa in
 12 Lektionen
        von Pascal Fontaine
Europa in 12 Lektionen - von Pascal Fontaine
Diese Broschüre und andere kurze Erklärungen zur EU finden Sie im Netz
unter ec.europa.eu/publications

Europäische Kommission
Generaldirektion Kommunikation
Veröffentlichungen
B-1049 Brüssel

Manuskript abgeschlossen im Oktober 2006

Umschlaggestaltung/Fotos: Reporters

Luxemburg: Amt für amtliche Veröffentlichungen der Europäischen Gemeinschaften, 2007

ISBN 92-79-02862-6

© Europäische Gemeinschaften, 2007
Nachdruck gestattet.

Printed in Belgium

GEDRUCKT AUF WEISSEM, CHLORFREIEM PAPIER
Europa in 12 Lektionen - von Pascal Fontaine
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E-Mail: comm-rep-vie@ec.europa.eu                         Delegationen der Europäischen Kommission
                                                          bestehen in anderen Teilen der Welt.
Europa in 12 Lektionen - von Pascal Fontaine
Europa in 12 Lektionen
Welches Ziel hat die EU? Wie funktioniert sie? Wie wird’s
gemacht? Was hat sie bereits für die Bürger erreicht, und
welchen Aufgaben steht sie heute gegenüber? Wie können
die Bürger stärker beteiligt werden?

Kann die EU im Zeitalter der Globalisierung erfolgreich
mit anderen wichtigen Volkswirtschaften konkurrieren und
ihre Sozialstandards beibehalten? Kann Europa weiterhin
eine führende Rolle in der Welt spielen und zum Schutz vor
Terrorismus beitragen?

Dies sind nur einige der Fragen, die Pascal Fontaine – ein EU-
Experte und ehemaliger Hochschullehrer – in dieser neuen
Ausgabe 2007 seiner Broschüre „Europa in 12 Lektionen“
erörtert.

                                                                 NA-AK-06-290-DE-C
Europa in 12 Lektionen - von Pascal Fontaine
12 Lektionen
von Pascal Fontaine
Ehemaliger Assistent von Jean Monnet,
Professor am Institut d’Études Politiques, Paris
Europa in 12 Lektionen - von Pascal Fontaine
Europa in 12 Lektionen - von Pascal Fontaine
Contents

                                                             Europa in 12 Lektionen
    1.     Warum brauchen wir eine Europäische Union?   4

    2.     Zehn historische Schritte                    8

    3.     Erweiterungs- und Nachbarschaftspolitik      12

    4.     Wie funktioniert die EU?                     16

    5.     Aufgaben                                     22

    6.     Der Binnenmarkt                              28

           Wirtschafts- und Währungsunion (WWU)
    7.     und Euro                                     32

    8.     Übergang zur Wissensgesellschaft             36

    9.     Das Europa der Bürger                        40

    10.    Freiheit, Sicherheit und Recht               44

    11.    Die Europäische Union in der Welt            48

    12.    Welche Zukunft für Europa?                   54

           Chronik der Europäischen Einigung            58

                                                             3
Europa in 12 Lektionen - von Pascal Fontaine
1. Warum brauchen wir eine
  Europäische Union?
Europa in 12 Lektionen - von Pascal Fontaine
Der Auftrag Europas im 21. Jahrhundert:

                                                                                                   Europa in 12 Lektionen
  • Stabilität für seine Bürger sicherstellen;
  • die Spaltungen auf dem Kontinent überwinden;
  • die Sicherheit seiner Bürger gewährleisten;
  • eine ausgewogene Entwicklung von Wirtschaft und Gesellschaft fördern;
  • die Globalisierungsherausforderungen angehen und die Vielfalt der Völ-
    ker Europas wahren;
  • die gemeinsamen Werte der Europäer, wie nachhaltige Entwicklung und
    eine gesunde Umwelt, Achtung der Menschenrechte und soziale Markt-
    wirtschaft, pflegen.

I. Frieden und Stabilität                        Ländern, die sich noch kurz vorher bekämpft
                                                 hatten, wurde die Erzeugung von Kohle und
Zunächst war die Vorstellung von einem ge-       Stahl einer gemeinsamen Behörde – der „Ho-
einten Europa nur ein Traum von Philosophen      hen Behörde“ – unterstellt. Auf praktische,
und Visionären. Erst später wurde daraus ein     aber äußerst symbolische Weise wurden
konkretes politisches Ziel. Victor Hugo konnte   kriegswichtige Rohstoffe zu Instrumenten der
sich beispielsweise friedliche, vom humanisti-   Versöhnung und des Friedens.
schen Denken inspirierte „Vereinigte Staaten
von Europa“ vorstellen. Dieser Traum wurde
durch zwei schreckliche Kriege, die den Konti-   II. Europa wird wieder vereinigt
nent in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts
erschütterten, zerstört.                         Die Europäische Union unterstützte die Wie-
                                                 dervereinigung Deutschlands nach dem Mau-
Doch erwuchs aus den Trümmern des Zweiten        erfall 1989. Als die Sowjetunion 1991 aus-
Weltkriegs eine neue Hoffnung. Die Gegner        einanderbrach, wollten die Länder Mittel- und
des Totalitarismus waren entschlossen, den       Osteuropas, die bis dahin kommunistisch wa-
gegenseitigen Hass und die Rivalität in Euro-    ren und jahrzehntelang dem Warschauer Pakt
pa zu beenden und einen dauerhaften Frieden      angehört hatten, sich der Familie der demo-
zwischen den ehemals verfeindeten Völkern zu     kratischen Nationen Europas anschließen.
schaffen. Zwischen 1945 und 1950 gelang
es weitsichtigen Staatsmännern, wie Konrad       Der Erweiterungsprozess ist bis heute nicht ab-
Adenauer, Winston Churchill, Alcide de Gas-      geschlossen. Mit der Türkei und Kroatien wur-
peri und Robert Schuman, die Menschen in ih-     den im Oktober 2005 Beitrittsverhandlungen
rem Land zu überzeugen, dass eine neue Zeit      aufgenommen, und mehrere Balkanländer ha-
anbrechen müsse. In Westeuropa sollten neue      ben den Weg eingeschlagen, der eines Tages
Strukturen geschaffen werden, denen gemein-      zur EU-Mitgliedschaft führen könnte.
same Interessen und Verträge zugrunde lagen,
die Rechtsstaatlichkeit und Gleichberechti-
gung zwischen allen Ländern garantierten.        III. Sicherheit
Der französische Außenminister Robert Schu-      Europa steht auch im 21. Jahrhundert noch
man griff eine ursprünglich von Jean Monnet      vor Sicherheitsproblemen. Die EU muss alles
entwickelte Idee auf und schlug am 9. Mai        tun, um ihre Mitglieder gegen Gefahren von
1950 die Gründung einer Europäischen Ge-         innen und von außen zu schützen. Dazu muss
meinschaft für Kohle und Stahl (EGKS) vor. In    sie konstruktiv mit den Regionen jenseits ih-

                                                                                                   5
Europa in 12 Lektionen - von Pascal Fontaine
rer Grenzen zusammenarbeiten: dem Balkan,           der Europäischen Kommission verwaltet wer-
    Nordafrika, dem Kaukasus und dem Nahen              den) unterstützen und ergänzen die Maßnah-
    Osten. Aber die EU muss zum Schutz ihrer mi-        men der nationalen und regionalen Behörden
    litärischen und strategischen Interessen auch       der EU-Mitgliedstaaten zur Verringerung von
    mit ihren Alliierten – insbesondere im Rahmen       Ungleichheiten zwischen verschiedenen Teilen
    der NATO — zusammenarbeiten und eine ei-            der EU. Zur Verbesserung der europäischen
    gene Europäische Sicherheits- und Verteidi-         Verkehrsinfrastruktur (beispielsweise für den
    gungspolitik (ESVP) entwickeln.                     Ausbau von Autobahnen und Hochgeschwin-
                                                        digkeitsnetzen) werden sowohl Mittel aus dem
    Innere und äußere Sicherheit sind zwei Seiten       EU-Haushalt als auch Darlehen der Europä-
    derselben Medaille. Im Kampf gegen Terroris-        ischen Investitionsbank (EIB) eingesetzt, um
    mus und organisierte Kriminalität müssen die        einen besseren Zugang zu abgelegenen Regi-
    Polizeikräfte aller EU-Länder intensiv zusam-       onen herzustellen und den transeuropäischen
    menarbeiten. Eng kooperieren müssen aber            Handel zu fördern. Der wirtschaftliche Erfolg
    auch die Regierungen, denn nur so kann die          der EU wird zum Teil daran gemessen werden,
    EU ihr neues Ziel erreichen: Sie will sich zu       wie sehr ihr Binnenmarkt mit einer halben Mil-
    einem „Raum der Freiheit, der Sicherheit und        liarde Verbrauchern Bürgern und Unterneh-
    des Rechts“ entwickeln, in dem alle Bürger          men Nutzen bringt.
    gleichen Zugang zur Justiz und gleichen Schutz
    durch das Recht genießen. Einrichtungen wie
    Europol, das Europäische Polizeiamt und Euro-       V. Identität und Vielfalt in der
    just, das die Zusammenarbeit zwischen Staats-       globalisierten Welt
    anwaltschaften, Richtern und Polizeibehörden
    in verschiedenen EU-Staaten fördert, müssen         Die postindustrielle Gesellschaft in Europa
    ebenfalls eine aktivere Rolle übernehmen.           wird immer komplexer. Der Lebensstandard
                                                        steigt fortlaufend, doch auch jetzt noch be-
                                                        stehen beträchtliche Unterschiede zwischen
    IV. Die Europäische Union wurde                     Armen und Reichen. Seit Länder beigetreten
    gegründet, um politische Ziele zu                   sind, deren Lebensstandard unter dem EU-
    erreichen                                           Durchschnitt liegt, öffnet sich die Schere wei-
                                                        ter. Die EU-Länder müssen zusammenarbeiten,
    Die Europäische Union wurde gegründet, um           um diese Entwicklung umzukehren.
    ein großes politisches Ziel – Frieden – zu errei-
    chen, doch ihre Dynamik und ihr Erfolg sind         Durch solche Anstrengungen werden die je-
    das Ergebnis ihrer wirtschaftlichen Aktivität.      weiligen kulturellen oder sprachlichen Beson-
                                                        derheiten der EU-Länder jedoch nicht in Frage
    Auf die EU-Länder entfällt ein immer gerin-         gestellt. Ganz im Gegenteil: Viele Regionen
    gerer Anteil der Weltbevölkerung. Sie müssen        können sich dank EU-Hilfen ihre typischen
    daher weiterhin zusammenstehen, wenn sie            Erzeugnisse sowie ihre vielfältigen Traditionen
    für Wirtschaftswachstum sorgen und weltweit         und Kulturen für ein neues Wirtschaftswachs-
    mit den anderen großen Marktwirtschaften            tum zunutze machen.
    konkurrieren wollen. Kein EU-Mitgliedstaat ist
    stark genug für einen Alleingang im Welthan-        Ein halbes Jahrhundert europäischer Eini-
    del. Der Europäische Binnenmarkt bietet Un-         gungsbemühungen hat gezeigt, dass die EU
    ternehmen wichtige Voraussetzungen für ihre         als Ganzes größer ist als die Summe ihrer Teile:
    erfolgreiche Teilnahme am Wettbewerb auf            In Wirtschaft, Gesellschaft, Technologie, Han-
    den Weltmärkten.                                    del und Politik ist sie wesentlich schlagkräf-
                                                        tiger, als es einzelne Mitgliedstaaten je sein
    Doch muss dem europaweiten freien Wett-             könnten. Hinzu kommt der große Vorteil, als
    bewerb eine europaweite Solidarität entge-          Europäische Union mit einer Stimme sprechen
    gengesetzt werden. Die Bürger ziehen daraus         zu können.
    einen konkreten Nutzen: Kommen sie durch
    Überschwemmungen oder andere Naturka-               Warum?
    tastrophen zu Schaden, erhalten sie Mittel aus      • Weil die EU die größte Handelsmacht
    dem EU-Haushalt. Die Strukturfonds (die von         der Welt ist und in internationalen Verhand-

6
Europa in 12 Lektionen
© Sylvain Grandadam/Van Parys Media

                                       Einheit in Vielfalt – ein zweisprachiges Straßenschild auf Malta

                                      lungen, wie bei der 149 Mitglieder starken            Menschheit Nutznießer und nicht Opfer der
                                      Welthandelsorganisation (WTO) und bei der             großen globalen Veränderungen ist, die sich
                                      Umsetzung des Kyoto-Protokolls über Luftver-          heute vollziehen. Die Belange der Bürger kön-
                                      schmutzung und Klimawandel, eine entschei-            nen nicht allein den Marktkräften überlassen
                                      dende Rolle spielt;                                   oder einem einseitigen Diktat unterworfen
                                                                                            werden.
                                      • weil sie bei sensiblen Themen, die den
                                      Bürger betreffen, wie Umweltschutz, erneu-            So steht die EU für humanistische Werte und
                                      erbare Energiequellen, „Vorbeugeprinzip“ bei          ein Gesellschaftsmodell, das von der gro-
                                      der Nahrungsmittelsicherheit, ethische As-            ßen Mehrheit der Bürger unterstützt wird.
                                      pekte der Biotechnologie und die Notwendig-           Die Europäer wollen die ihnen überlieferten
                                      keit, gefährdete Arten zu schützen, eindeutig         Werte erhalten, zu denen der Glaube an die
                                      Stellung nimmt;                                       Menschenrechte, gesellschaftliche Solidarität,
                                                                                            freies Unternehmertum und eine gerechte
                                      • weil sie im Zusammenhang mit dem                    Verteilung der Früchte des Wirtschaftswachs-
                                      „Erdgipfel“, der 2002 in Südafrika stattfand,         tums, das Recht auf eine geschützte Umwelt,
                                      wichtige Initiativen für die nachhaltige Ent-         die Achtung der kulturellen, sprachlichen und
                                      wicklung auf der ganzen Welt gestartet hat.           religiösen Vielfalt und ein harmonischer Aus-
                                                                                            gleich zwischen Tradition und Fortschritt ge-
                                      Das alte Sprichwort „gemeinsam sind wir               hören.
                                      stark“ gilt für die heutigen EU-Bürger mehr
                                      denn je. Die europäische Einigung hat die un-         In der im Dezember 2002 in Nizza proklamier-
                                      terschiedlichen Lebensweisen, Traditionen und         ten Grundrechte-Charta der EU sind alle Rech-
                                      Kulturen der Völker Europas nicht verdrängt.          te verankert, die die EU-Mitgliedstaaten und
                                      Vielmehr betrachtet die EU die Vielfalt als ei-       ihre Bürger heute anerkennen. Diese Werte
                                      nen ihrer größten Vorzüge.                            können ein Zusammengehörigkeitsgefühl bei
                                                                                            den Europäern bewirken. So haben beispiels-
                                                                                            weise alle EU-Länder die Todesstrafe abge-
                                      VI. Werte                                             schafft.

                                      Die EU will humanitäre und fortschrittliche
                                      Werte fördern und dafür sorgen, dass die

                                                                                                                                             7
2. Zehn historische Schritte
1951:      Die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl wird von den
                    sechs Gründermitgliedstaaten ins Leben gerufen.

                                                                                                           Europa in 12 Lektionen
         1957:      Der Vertrag von Rom schafft die Grundlage für einen gemeinsamen
                    Markt.
         1973:      Die Gemeinschaft wächst auf neun Mitgliedstaaten an und entwi-
                    ckelt gemeinsame Politiken.
         1979:      Das Europäische Parlament wird zum ersten Mal direkt gewählt.
         1981:      Als erstes Mittelmeerland tritt Griechenland bei.
         1993:      Der Binnenmarkt wird vollendet.
         1993:      Durch den Vertrag von Maastricht wird die Europäische Union
                    errichtet.
         1995:      Die EU wächst auf 15 Mitgliedstaaten an.
         2002:      Euro-Banknoten und -Münzen werden eingeführt.
         2004:      Zehn weitere Länder treten der EU bei.

       1. Am 9. Mai schlug der französische Außen-         burg und die Niederlande). Das Ziel war,
       minister Robert Schuman die Errichtung einer        nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs durch
       Europäischen Gemeinschaft für Kohle und             gleichberechtigte Zusammenarbeit innerhalb
       Stahl (EGKS) vor, die mit dem Vertrag von Pa-       gemeinsamer Organe den Frieden zwischen
       ris vom 18. April 1951 Realität wurde. Dies         Siegern und Besiegten in Europa zu sichern.
       war der Beginn des gemeinsamen Marktes für
       Kohle und Stahl der sechs Gründerländer (Bel-       2. Am 25. März 1957 beschlossen die Sechs
       gien, Deutschland, Frankreich, Italien, Luxem-      mit dem Vertrag von Rom die Errichtung ei-
© EC

        Am 9. Mai 1950 stellte der französische Außenminister Robert Schuman seine Ideen, die später zur
        Europäischen Union führten, öffentlich vor. Daher wird der 9. Mai als Europatag begangen.

                                                                                                           9
ner Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft             5. Griechenland trat der Gemeinschaft 1981
     (EWG), die auf einem größeren gemeinsamen            bei, Spanien und Portugal folgten 1986. Da-
     Markt mit einer breiten Palette von Waren und        durch gewann die Gemeinschaft an Präsenz in
     Dienstleistungen gründen sollte. Die Zölle zwi-      Südeuropa, so dass eine Ausweitung ihrer regio-
     schen den sechs Ländern wurden am 1. Juli            nalen Hilfsprogramme umso dringlicher wurde.
     1968 völlig abgeschafft. Parallel dazu wurde
     in den 60er Jahren eine gemeinsame Handels-          6. Der weltweite Konjunkturrückgang An-
     und Landwirtschaftspolitik entwickelt.               fang der 80er Jahre führte zu einer Phase von
                                                          sogenanntem Europessimismus. Neue Hoff-
     3. Diese Maßnahmen waren so erfolgreich,             nung gab es jedoch 1985, als die Europäische
     dass sich Dänemark, Irland und das Vereinig-         Kommission unter ihrem Präsidenten Jacques
     te Königreich für einen Beitritt zur Gemein-         Delors ein Weißbuch mit einem Zeitplan zur
     schaft entschieden. Diese erste Erweiterung          Vollendung des Europäischen Binnenmarkts
     von sechs auf neun Mitgliedstaaten erfolgte          bis zum 1. Januar 1993 vorlegte. Dieses ehr-
     1973. Gleichzeitig wurden neue sozial- und           geizige Ziel wurde in der Einheitlichen Euro-
     umweltpolitische Maßnahmen eingeführt.               päischen Akte verankert, die im Februar 1986
     Der Europäische Fonds für regionale Entwick-         unterzeichnet wurde und am 1. Juli 1987 in
     lung (EFRE) wurde 1975 errichtet.                    Kraft trat.

     4. Mit den ersten Wahlen zum Europäischen            7. Der Fall der Berliner Mauer im Jahre 1989
     Parlament durch allgemeine Direktwahl im             änderte das politische Gesicht Europas grund-
     Juni 1979 tat die Europäische Gemeinschaft           legend. Dieses Ereignis führte zur Wiederver-
     einen entscheidenden Schritt. Diese Wahlen           einigung Deutschlands im Oktober 1990 und
     finden alle fünf Jahre statt.                        zur Demokratisierung der Länder Mittel- und

                                                                                                              © Reuters

     1989 fiel die Berliner Mauer, und die Teilung des europäischen Kontinents wurde allmählich überwunden.

10
Osteuropas, die sich von der Sowjetunion lös-     10. Kaum hatte sich die EU auf 15 Mitglied-
ten. Die Sowjetunion selbst zerfiel im Dezem-     staaten erweitert, da bereitete sie schon eine
ber 1991.                                         Erweiterung bis dahin unbekannten Ausmaßes

                                                                                                    Europa in 12 Lektionen
Zur gleichen Zeit verhandelten die Mitglied-      vor: Mitte der 90er Jahre reichten die ehema-
staaten über den neuen Vertrag über die Eu-       ligen Ostblockländer (Bulgarien, die Tsche-
ropäische Union (EU), der den bestehenden         chische Republik, Ungarn, Polen, Rumänien
Gemeinschaftsstrukturen neue Bereiche der         und die Slowakei), die drei baltischen Staaten,
Regierungszusammenarbeit hinzufügte. Er           die früher zur Sowjetunion gehört hatten (Est-
wurde vom Europäischen Rat – der Versamm-         land, Lettland und Litauen), eine der aus dem
lung der Staats- bzw. Regierungschefs – im        ehemaligen Jugoslawien hervorgegangenen
Dezember 1991 in Maastricht angenommen            Republiken (Slowenien) und zwei Mittelmeer-
und trat am 1. November 1993 in Kraft.            länder (Zypern und Malta) ihre Beitrittsge-
                                                  suche ein.
8. Diese neue europäische Dynamik und die
veränderte geopolitische Lage führten dazu,       Die EU sah in dieser Erweiterung eine Chan-
dass Finnland, Österreich und Schweden der        ce zur Stabilisierung des europäischen Kon-
EU am 1. Januar 1995 beitraten.                   tinents und zur Ausweitung der Vorteile der
                                                  europäischen Integration auf diese jungen De-
9. Inzwischen hatte die EU den Weg zu ihrer       mokratien. Die Beitrittsverhandlungen wurden
spektakulärsten Errungenschaft, der Schaffung     im Dezember 1997 aufgenommen. Am 1. Mai
einer einheitlichen Währung, eingeschlagen.       2004 traten zehn der zwölf Bewerberländer
1999 wurde der Euro für (bargeldlose) Finanz-     bei, und die EU zählte nunmehr 25 Mitglied-
transaktionen eingeführt; drei Jahre später       staaten. Der Beitritt Bulgariens und Rumäni-
wurden Euro-Scheine und -Münzen in den            ens erfolgte am 1. Januar 2007.
zwölf Ländern des Euroraums (oft bezeichnet
als Euroland) ausgegeben. Der Euro hat heute
neben dem Dollar große Bedeutung als inter-
nationale Zahlungs- und Reservewährung.

Auch die Europäer sind mit der Globalisierung
konfrontiert. Neue Techniken und die immer
stärkere Nutzung des Internets verändern die
Wirtschaft und bewirken Veränderungen in
Gesellschaft und Kultur.

Im März 2000 hat die EU die „Lissabonner
Strategie“ aufgestellt, um die europäische
Wirtschaft zu modernisieren und sie auf den
Weltmärkten für die Konkurrenz mit anderen
wichtigen Wirtschaftsmächten, wie den Verei-
nigten Staaten und den „neuen Industrielän-
dern“, zu rüsten. Diese Strategie setzt auf die
Förderung von Innovation und Investitionen
sowie die Anpassung der europäischen Bil-
dungssysteme an den Bedarf der Informati-
onsgesellschaft.

Gleichzeitig belasten die Arbeitslosigkeit und
die steigenden Kosten der Rentensysteme die
Wirtschaft der Mitgliedstaaten. Reformen sind
also unerlässlich. Auch die Wähler verlangen
zunehmend von ihren Regierungen praktische
Lösungen für diese Probleme.

                                                                                                    11
3. Erweiterungs- und
Nachbarschaftspolitik
• Der Europäischen Union kann jedes europäische Land beitreten, das die
    demokratischen, politischen und wirtschaftlichen Beitrittskriterien erfüllt.

                                                                                                    Europa in 12 Lektionen
  • Nach mehreren Erweiterungen ist die EU von ursprünglich sechs auf heu-
    te 27 Mitglieder angewachsen. Weitere Länder sind Beitrittskandidaten.
  • Jeder Vertrag über die Aufnahme eines neuen Landes muss von allen Mit-
    gliedstaaten einstimmig gebilligt werden. Vor jeder neuen Erweiterung
    prüft die EU, ob sie in der Lage ist, weitere Länder aufzunehmen und ihre
    Institutionen auch danach ordnungsgemäß funktionieren können.
  • Die bisherigen Erweiterungen haben die Demokratie gestärkt, Europa si-
    cherer gemacht und sein Potenzial für Handel und Wirtschaftswachstum
    erhöht.

I. Ein Kontinent findet zur Einheit                c) Beitrittskandidaten
                                                   Die Türkei, Mitglied der Nato und seit langem
a) Eine Union der 25                               durch ein Assoziierungsabkommen mit der EU
Im Dezember 2002 traf der Europäische Rat in       verbunden, bewarb sich 1987 um die EU-Mit-
Kopenhagen eine der bedeutendsten Entschei-        gliedschaft. Wegen der geografischen Lage
dungen in der Geschichte der europäischen          und politischen Geschichte des Landes rea-
Integration. Er bot zehn weiteren Ländern die      gierte die EU erst nach langem Zögern positiv.
EU-Mitgliedschaft zum 1. Mai 2004 an, wo-          Im Oktober 2005 eröffnete der Europäische
durch sich die EU nicht nur räumlich, sondern      Rat die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei.
auch von der Einwohnerzahl her vergrößerte.        Gleichzeitig nahm er die Verhandlungen mit
Vor allem wurde hierdurch die seit 1945 be-        Kroatien, einem weiteren Kandidatenland,
stehende Teilung unseres Kontinents in Ost         auf. Wann etwaige Beitrittsverträge mit diesen
und West beendet.                                  Ländern geschlossen werden, nachdem die
                                                   Verhandlungen beendet sind, ist noch offen.
Somit hatte die fünfte EU-Erweiterung eine
politische und geistige Dimension. Durch sie       d) Westliche Balkanländer
konnten mehrere Länder – Estland, Lettland,        Diese Länder, die überwiegend Teil von Ju-
Litauen, Malta, Polen, die Slowakei, Sloweni-      goslawien waren, blicken zur Europäischen
en, die Tschechische Republik, Ungarn und          Union, von der sie sich eine Beschleunigung
Zypern –, die nicht nur geografisch, sondern       ihres wirtschaftlichen Wiederaufbaus, eine
auch ihrer Kultur, ihrer Geschichte und ihren      Verbesserung ihrer durch ethnische und re-
Bestrebungen nach genauso europäisch sind          ligiöse Kriege in Mitleidenschaft gezogenen
wie die anderen, Mitglieder der demokra-           Beziehungen untereinander und die Festigung
tischen europäischen Familie werden. Heute         ihrer demokratischen Institutionen erhoffen.
sind sie als Partner an dem grandiosen Projekt     Die EU hat der ehemaligen jugoslawischen
beteiligt, das die Gründerväter der EU einst er-   Republik Mazedonien im November den Sta-
sonnen haben.                                      tus eines Kandidatenlands zuerkannt. Poten-
                                                   zielle Bewerber sind Albanien, Bosnien und
b) Nächste Erweiterung                             Herzegowina, Montenegro und Serbien.
Bulgarien und Rumänien erlangten 1995
den Status von Kandidatenländern. Der Weg
zur Mitgliedschaft dauerte bei diesen beiden
Ländern länger als bei den zehn anderen, doch
seit dem 1. Januar 2007 gehören sie zur EU,
die jetzt also 27 Mitglieder zählt.

                                                                                                    13
II. Beitrittsvoraussetzungen                        Während der Verhandlungsphase erhalten die
                                                         Bewerberländer Unterstützung von der EU, da-
     a) Rechtliche Auflagen                              mit sie ihren wirtschaftlichen Rückstand leich-
     Die europäische Integration war stets ein po-       ter aufholen können. So haben die 2004 bei-
     litischer und wirtschaftlicher Prozess, der allen   getretenen Länder insgesamt 41 Mrd. EUR an
     europäischen Ländern offen steht, die zur Un-       Hilfen erhalten, um vor allem Strukturprojekte
     terzeichnung der Gründungsverträge und zur          finanzieren und ihren Pflichten als Mitglieder
     Übernahme des gesamten EU-Rechts bereit             nachkommen zu können.
     sind. Artikel 237 des Vertrags von Rom be-
     stimmt, dass jeder europäische Staat um eine
     Mitgliedschaft in der Gemeinschaft ersuchen         III. Wie groß kann die
     kann.                                               EU werden?
     Ergänzend heißt es in Artikel F des Vertrags        a) Geografische Grenzen
     von Maastricht, dass die „Regierungssysteme         In den meisten Ländern fanden Debatten zur Ra-
     [der Mitgliedstaaten] auf demokratischen            tifizierung des EU-Verfassungsvertrags statt. Wie
     Grundsätzen beruhen“ [müssen].                      dabei deutlich wurde, machen sich viele Europä-
                                                         er Sorgen darüber, wo die endgültigen Grenzen
     b) Die „Kriterien von Kopenhagen“                   der Europäischen Union liegen könnten, und
     Nachdem die früheren kommunistischen                sogar darüber, was eigentlich die Identität der
     Länder ihr Interesse an einer Mitgliedschaft        EU ausmacht. Darauf gibt es keine einfachen
     bekundet hatten, legte der Europäische Rat          Antworten, vor allem, weil jedes Land seine
     1993 drei Beitrittskriterien fest. Zum Zeitpunkt
     ihres Beitritts müssen die neuen Mitgliedstaa-
     ten Folgendes nachweisen:

     • Gefestigte Institutionen, die Demokratie,
     Rechtsstaatlichkeit, Menschenrechte sowie die
     Achtung und den Schutz von Minderheiten ge-
     währleisten;

     • eine funktionierende Marktwirtschaft und
     die Fähigkeit, dem Wettbewerbsdruck und den
     Marktkräften innerhalb der Union standzuhalten;

     • die Fähigkeit, die aus der Mitgliedschaft
                                                                                                             © Inger Hogstrom/Van Parys Media
     erwachsenden Pflichten zu erfüllen, wozu
     gehört, die Ziele der Union zu unterstützen.
     Die beitrittswilligen Länder müssen über eine
     öffentliche Verwaltung verfügen, die die EU-
     Rechtsvorschriften in der Praxis anwenden und
     durchsetzen kann.

     c) Der Beitrittsprozess
     Die Beitrittsverhandlungen werden von dem
     jeweiligen Bewerberland und der Europä-
     ischen Kommission als Vertreterin der EU             Das kroatische Dubrovnik, die „Perle der Adria“
     geführt. Dann müssen die im Rat vereinigten
     Mitgliedstaaten einstimmig beschließen, dass        geopolitischen oder wirtschaftlichen Interessen
     ein neues Land der EU beitreten darf. Das           anders sieht. Die baltischen Staaten und Polen
     Europäische Parlament muss mit absoluter            sprechen sich für die EU-Mitgliedschaft der Uk-
     Mehrheit zustimmen. Danach müssen alle              raine aus. Der mögliche Beitritt der Türkei wird
     Beitrittsverträge von den Mitgliedstaaten und       die Frage des Status einiger Kaukasusländer,
     den Bewerberländern nach den jeweiligen Ver-        wie Georgien und Armenien, aufwerfen.
     fassungsverfahren ratifiziert werden.

14
Obwohl Island, Liechtenstein, Norwegen und die     zuerst mit Kroatien und der ehemaligen ju-
Schweiz die Beitrittsvoraussetzungen erfüllen,     goslawischen Republik Mazedonien geschlos-
sind sie nicht Mitgliedstaaten der Europäischen    sen. Es folgte Albanien. Potenzielle Kandidaten

                                                                                                     Europa in 12 Lektionen
Union, weil die öffentliche Meinung dieser Län-    sind außerdem Bosnien und Herzegowina,
der den EU-Beitritt derzeit ablehnt.               Montenegro und Serbien.

Die politische Lage in Weißrussland und die        • Im Rahmen ihrer Nachbarschaftspolitik
strategische Position Moldawiens stellen noch      hat die EU mit Nicht-Mitgliedstaaten („Dritt-
Probleme dar. Eine Mitgliedschaft Russlands in     staaten“) im südlichen Mittelmeerraum und
der Europäischen Union würde sowohl politisch      im südlichen Kaukasus sowie mit einigen ost-
als auch geografisch die Balance auf unan-         europäischen Ländern, deren künftige Bezie-
nehmbare Weise gefährden.                          hungen zur Europäischen Union noch unklar
                                                   sind, Handels- und Kooperationsabkommen
b) Verwaltungstechnische                           geschlossen.
Beschränkungen
Der 2003 unterzeichnete Vertrag von Nizza re-
gelt den institutionellen Rahmen für eine EU mit
höchstens 27 Mitgliedstaaten. Um diese Grenze
überschreiten zu können, müssten die Mitglied-
staaten ein neues Regierungsabkommen über
ihre Beziehungen innerhalb der Institutionen
schließen.

Wenn die EU sich auf über 30 Mitgliedstaaten
vergrößerte, würde es für sie schwerer werden,
gemäß den Grundprinzipien in den Verträgen zu
funktionieren (siehe Kapitel 4 „Wie funktioniert
die EU?“). Die Verfahren zur Beschlussfassung
müssten gründlich überarbeitet werden, damit
eine Lähmung der EU verhindert wird und sie
handlungsfähig bleibt.

Außerdem gibt es noch einige heikle Themen,
wie der Gebrauch der Amtssprachen. Deren Zahl
hat sich mit dem Beitritt Bulgariens und Rumä-
niens auf 23 erhöht. Die EU-Erweiterung darf
nicht zur Folge haben, dass einfache Bürger das
Gefühl bekommen, ihre nationalen oder regio-
nalen Identitäten innerhalb einer „genormten“
EU verlören an Kraft.

IV. Bewerberländer und
Nicht-Bewerberländer
Die EU verfolgt gegenüber ihren Nachbarstaa-
ten eine unterschiedliche Politik, je nachdem,
ob diese Staaten mögliche Bewerberländer
sind oder nicht.

• Stabilisierungs- und Assoziierungsabkom-
men eröffnen einem Land die Möglichkeit,
am Ende eines langwierigen Verhandlungs-
prozesses ein Kandidat für die EU-Mitglied-
schaft zu werden. Solche Abkommen wurden

                                                                                                     15
• Der Rat der Europäischen Union („Ministerrat“), der die Mitgliedstaa-
                ten vertritt, ist das bedeutendste Entscheidungsorgan der EU. Die

                                                                                                          Europa in 12 Lektionen
                Staats- bzw. Regierungschefs kommen als „Europäischer Rat“ zusam-
                men. Dessen Aufgabe ist es, der EU politische Anstöße zu besonders
                wichtigen Fragen zu geben.
              • Das Europäische Parlament, das die Bürger vertritt, teilt Legislativ-
                und Haushaltsbefugnisse mit dem Ministerrat der EU.
              • Die Europäische Kommission, die das gemeinsame Interesse der EU
                wahrnimmt, ist das wichtigste Exekutivorgan. Sie ist befugt, neue ge-
                setzgeberische Maßnahmen vorzuschlagen, und sorgt dafür, dass die
                Politik der EU ordnungsgemäß umgesetzt wird.

       I. Beschlussfassung im Dreieck                    en (oder abgeleiteten) Rechts, das sich unmit-
                                                         telbar auf das Leben der EU-Bürger auswirkt.
       Die Europäische Union ist mehr als eine Län-      Das Sekundärrecht besteht überwiegend aus
       derkonföderation, jedoch kein Bundesstaat.        Verordnungen, Richtlinien und Empfehlungen,
       Sie bildet eine neuartige Struktur, die sich      die die EU-Organe angenommen haben.
       keiner traditionellen rechtlichen Kategorie zu-
       ordnen lässt. Ihr politisches System ist in der   Diese Vorschriften werden, wie generell alle
       Geschichte einmalig und entwickelt sich seit      EU-Maßnahmen, von drei Organen getroffen,
       über 50 Jahren kontinuierlich weiter.             die ein institutionelles Dreieck bilden: dem
                                                         Rat als Vertreter der nationalen Regierungen,
       Die Verträge (das sogenannte Primärrecht) sind    dem Europäischen Parlament als Vertreter der
       die Grundlage eines umfangreichen sekundär-       Bürger und der Europäischen Kommission, die
                                                         von den Regierungen unabhängig ist und die
                                                         gemeinsamen Interessen Europas wahrt.

                                                         a) Der Rat der Europäischen Union
                                                         und der Europäische Rat
                                                         Der Ministerrat der Europäischen Union ist
                                                         ihr wichtigstes Entscheidungsorgan. Die Mit-
                                                         gliedstaaten der EU führen turnusmäßig sechs
                                                         Monate lang den Vorsitz im Rat. An jeder Rats-
                                                         tagung nimmt ein Minister pro Mitgliedstaat
                                                         teil. Welche Minister dies jeweils sind, hängt
                                                         davon ab, welches Thema auf der Tagesord-
                                                         nung steht: Außenbeziehungen, Landwirt-
                                                         schaft, Industrie, Verkehr, Umweltschutz usw.

                                                         Im Rahmen des Mitentscheidungsverfahrens
                                                         übt der Ministerrat seine Legislativbefugnisse
                                                         gemeinsam mit dem Europäischen Parlament
                                                         aus. Auch über den EU-Haushalt entschei-
                                                         den diese beiden Organe gemeinsam. Ferner
                                                         schließt der Rat internationale Abkommen ab,
                                                         die von der Kommission ausgehandelt wer-
© EC

                                                         den.

        Das Europäische Parlament ist die Stimme der
        Bürger.

                                                                                                          17
Anzahl der Stimmen im Rat

        Deutschland, Frankreich, Italien und Vereinigtes Königreich                            29
        Polen und Spanien                                                                      27
        Rumänien                                                                               14
        Niederlande                                                                            13
        Belgien, Griechenland, Portugal, Tschechische Republik und Ungarn                      12
        Österreich, Portugal und Schweden                                                      10
        Dänemark, Finnland, Irland, Litauen und Slowakei                                        7
        Estland, Lettland, Luxemburg, Slowenien und Zypern                                      4
        Malta                                                                                   3

        Insgesamt:                                                                            345

         Mindestens 255 von 345 Stimmen (73,9 %) sind notwendig, um eine qualifizierte Mehrheit
         zu erreichen. Ferner:

         • muss eine Mehrheit der Mitgliedstaaten (in einigen Fällen zwei Drittel) der Entscheidung
           zustimmen, und
         • jeder Mitgliedstaat kann nachprüfen lassen, ob die abgegebenen Ja-Stimmen mindestens
           62 % der Gesamtbevölkerung der EU entsprechen.

     Der Rat entscheidet mit einfacher Mehrheit,        chen soll, mit einer Stimme zu sprechen, be-
     qualifizierter Mehrheit oder einstimmig.           fasst sich der Europäische Rat auch mit drän-
                                                        genden internationalen Themen.
     Über eine Vertragsänderung, eine neue ge-
     meinsame Politik oder den Beitritt eines neu-      b) Das Europäische Parlament
     en Mitgliedstaats muss der Rat einstimmig          Das Europäische Parlament ist das Organ, das
     beschließen.                                       die Bürger vertritt. Es übt die politische Kon-
                                                        trolle über die Tätigkeit der EU aus und betei-
     In den anderen Fällen ist zumeist die quali-       ligt sich am Gesetzgebungsprozess. Seit 1979
     fizierte Mehrheit erforderlich. Das bedeutet,      werden die Mitglieder des Europäischen Par-
     dass ein Ratsbeschluss angenommen wird,            laments (MdEP) alle fünf Jahre in allgemeiner
     wenn für diesen Beschluss eine bestimmte           Wahl direkt gewählt.
     Mindestzahl von Stimmen abgegeben wird.
     Die Zahl der Stimmen für jedes EU-Land ent-
     spricht in etwa der Größe seiner Bevölkerung.

     Der Europäische Rat tagt grundsätzlich vier-
     mal im Jahr. Geleitet wird er von dem Staats-
     oder Regierungschef des Landes, das den
     Ratsvorsitz innehat. Der Präsident der Europä-
     ischen Kommission nimmt an den Tagungen
     als Vollmitglied teil.

     Seit Inkrafttreten des Vertrags von Maastricht
     kann auch der Europäische Rat Anstöße für
     eine neue Politik geben. Außerdem kann er in
     wichtigen Fragen entscheiden, in denen der
     Ministerrat zu keiner Einigung gelangt ist.

     Im Rahmen der gemeinsamen Außen- und
     Sicherheitspolitik (GASP), die der EU ermögli-

18
Anzahl der Sitze im               Das Parlament hält seine Plenarsitzungen in
 Europäischen Parlament 2007-09          der Regel in Straßburg und weitere Sitzungen in
                                         Brüssel ab. Es verfügt über 20 Ausschüsse, die

                                                                                            Europa in 12 Lektionen
Belgien                        24        die Beratungen der Plenarsitzung vorbereiten.
Bulgarien                      18        Etliche politische Fraktionen tagen gewöhnlich
Dänemark                       14        in Brüssel. Das Generalsekretariat ist in Luxem-
Deutschland                    99        burg und in Brüssel ansässig.
Estland                         6
                                         Das Parlament beteiligt sich auf drei Ebenen an
Finnland                       14        der Gesetzgebungstätigkeit der EU:
Frankreich                     78
Griechenland                   24        • Im Rahmen des „Verfahrens der Zusam-
Irland                         13        menarbeit“, das 1987 durch die Einheitliche
Italien                        78        Europäische Akte eingeführt wurde, kann das
Lettland                        9        Parlament der Kommission zu ihren Richtli-
                                         nien- und Verordnungsentwürfen Änderungen
Litauen                        13
                                         vorschlagen.
Luxemburg                       6
Malta                           5        • Seit 1987 besteht auch das „Zustimmungs-
Niederlande                    27        verfahren“, dem zufolge das Parlament von der
Österreich                     18        Kommission ausgehandelten internationalen
Polen                          54        Abkommen und Vorschlägen für eine EU-Erwei-
Portugal                       24        terung zustimmen muss.
Rumänien                       35
                                         • Durch den Vertrag von Maastricht wurde
Schweden                       19
                                         1992 das „Mitentscheidungsverfahren“ einge-
Slowakei                       14        führt, das dem Parlament in einer ganzen Reihe
Slowenien                       7        wichtiger Themen, einschließlich Freizügigkeit
Spanien                        54        der Arbeitnehmer, Binnenmarkt, Bildung, For-
Tschechische Republik          24        schung, Umwelt, transeuropäische Netze, Ge-
Ungarn                         24        sundheit, Kultur, Verbraucherschutz usw., eine
Vereinigtes Königreich         78        gleichwertige Stellung neben dem Rat zuweist.
Zypern                          6        Das Parlament ist befugt, Rechtsvorschläge in
                                         diesen Bereichen zurückzuweisen, wenn eine
Insgesamt                     785        absolute Mehrheit seiner Mitglieder den „ge-

                    Die Fraktionen im Europäischen Parlament

                                 Insgesamt: 785
                               Stand: Oktober 2006

                                                                                            19
meinsamen Standpunkt“ des Rates ablehnt.           Als Exekutive der EU wendet die Kommission
     Für diesen Fall sieht der Vertrag ein Konzertie-   die Ratsbeschlüsse, beispielsweise in der Ge-
     rungsverfahren vor.                                meinsamen Agrarpolitik, an. Auch verfügt sie
                                                        über einen großen Spielraum zur Abwicklung
     Das Europäische Parlament entscheidet ge-          anderer gemeinsamer EU-Politiken, wie For-
     meinsam mit dem Rat über den EU-Haushalt.          schung und Technologie, Entwicklungshilfe
     Es kann den Haushaltsentwurf ablehnen und          und Regionalpolitik. Dazu gehört auch die
     hat dies bereits mehrfach getan. Dann muss         Verwaltung der entsprechenden Haushalts-
     das gesamte Haushaltsverfahren neu aufge-          mittel.
     rollt werden, und die Europäische Kommission
     muss einen neuen Haushaltsentwurf vorlegen,        Unterstützt wird die Kommission von Beamten,
     den Rat und Parlament erörtern. Das Parla-         die in 36 Generaldirektionen (GD) und Dienst-
     ment nutzt seine Haushaltsbefugnisse umfas-        stellen vornehmlich in Brüssel und Luxemburg
     send, um die EU-Politik zu beeinflussen.           arbeiten.

     Nicht zuletzt übt das Europäische Parlament
     die demokratische Kontrolle über die EU aus.       II. Andere Institutionen und
     Es kann die Kommission durch ein Misstrau-         Einrichtungen
     ensvotum zum Rücktritt zwingen. Hierzu ist
     eine Zwei-Drittel-Mehrheit erforderlich. Durch     a) Der Gerichtshof
     mündliche und schriftliche Anfragen an die         Der Gerichtshof der Europäischen Gemein-
     Kommission und den Rat überwacht das Par-          schaften, mit Sitz in Luxemburg, besteht aus je-
     lament außerdem die laufende Verwaltung            weils einem Richter aus jedem EU-Mitgliedstaat.
     der EU-Politik. Der Präsident des Europäischen     Den Richtern stehen acht Generalanwälte zur
     Rates erstattet dem Europäischen Parlament         Seite. Sie werden einvernehmlich von den Re-
     über seine Beschlüsse Bericht.                     gierungen der Mitgliedstaaten für eine Amtszeit
                                                        von sechs Jahren ernannt (Wiederernennung ist
     c) Die Europäische Kommission                      möglich). Ihre Unabhängigkeit ist garantiert.
     Die Europäische Kommission ist der dritte          Aufgabe des Gerichtshofs ist es, darüber zu wa-
     Teil des institutionellen Dreiecks, das die Eu-    chen, dass das EU-Recht eingehalten wird und
     ropäische Union verwaltet und leitet. Ihre         die Verträge korrekt ausgelegt und angewendet
     Mitglieder werden einvernehmlich von den           werden.
     Mitgliedstaaten benannt. Das Parlament muss
     den Benennungen zustimmen. Die Amtszeit            b) Der Rechnungshof
     eines Kommissionsmitglieds beträgt fünf Jahre.     Der Rechnungshof, der ebenfalls in Luxemburg
     Die Kommission ist gegenüber dem Parlament         ansässig ist, wurde 1975 eingerichtet. Er setzt
     verantwortlich, und die gesamte Kommission         sich aus einem Mitglied je EU-Mitgliedstaat
     muss zurücktreten, wenn das Parlament ihr          zusammen. Die Mitglieder werden einvernehm-
     das Misstrauen ausspricht.                         lich von den Mitgliedstaaten nach Anhörung
                                                        des Europäischen Parlaments für eine Amtszeit
     Seit 2004 gehört der Kommission jeweils ein        von sechs Jahren ernannt. Der Rechnungshof
     Mitglied aus jedem Mitgliedstaat an.               überprüft die Recht- und Ordnungsmäßigkeit
                                                        der Einnahmen und Ausgaben und vergewissert
     Die Kommission genießt große Unabhängig-           sich, dass der EU-Haushalt wirtschaftlich geführt
     keit. Ihre Aufgabe ist es, das gemeinsame In-      wird.
     teresse zu wahren. Deshalb darf sie von den
     nationalen Regierungen keinerlei Weisungen         c) Der Europäische Wirtschafts- und
     annehmen. Als Hüterin der Verträge hat sie         Sozialausschuss
     sicherzustellen, dass die von Rat und Parla-       In einer Reihe von Politikbereichen hören der
     ment verabschiedeten Rechtsvorschriften in         Rat und die Kommission den Europäischen Wirt-
     den Mitgliedstaaten umgesetzt werden. Hält         schafts- und Sozialausschuss (EWSA), bevor sie
     ein Mitgliedstaat EU-Recht nicht ein, kann die     einen Beschluss fassen. Dessen Mitglieder, die
     Kommission ihn vor dem Gerichtshof verkla-         vom Rat für vier Jahre ernannt werden, vertreten
     gen.                                               die verschiedenen wirtschaftlichen und sozialen

20
Europa in 12 Lektionen
© Marcy Maloy/Photodisc Red/Getty Images

                                            Der Gerichtshof sorgt für die Einhaltung der EU-
                                            Rechtsvorschriften. Beispielsweise gewährleistet
                                            er, dass Mütter bei ihrer Rückkehr in den Beruf
                                            fair behandelt werden.

                                           Interessengruppen, die die organisierte Zivilge-
                                           sellschaft bilden.

                                           d) Der Ausschuss der Regionen
                                           Der Ausschuss der Regionen (AdR) wurde durch
                                           den Vertrag über die Europäische Union einge-
                                           richtet und setzt sich zusammen aus Vertretern
                                           der Regionen und Kommunen. Diese Vertreter
                                           werden von den Mitgliedstaaten vorgeschla-
                                           gen und vom Rat für vier Jahre ernannt. Rat
                                           und Kommission müssen den AdR bei Angele-
                                           genheiten, die für die Regionen wichtig sind,
                                           anhören. Der Ausschuss kann auch aus eigener
                                           Initiative Stellungnahmen abgeben.

                                           e) Die Europäische Investitionsbank
                                           Die Europäische Investitionsbank (EIB), mit Sitz
                                           in Luxemburg, vergibt Darlehen und übernimmt
                                           Garantien, um den weniger entwickelten Regi-
                                           onen der EU zu helfen und die Wettbewerbsfä-
                                           higkeit kleiner Unternehmen zu stärken.

                                           f)   Die Europäische Zentralbank
                                           Die Europäische Zentralbank (EZB), mit Sitz in
                                           Frankfurt, ist für die Verwaltung des Euro und
                                           die Währungspolitik der EU verantwortlich (sie-
                                           he Kapitel 7 „Wirtschafts- und Währungsunion
                                           (WWU) und Euro“).

                                                                                               21
5. Aufgaben
• Die EU betätigt sich in einer Vielzahl von Politikbereichen – Wirtschaft,
    Soziales und Finanzen –, wo ihre Maßnahmen den Mitgliedstaaten zugu-

                                                                                                    Europa in 12 Lektionen
    te kommen. So betreibt sie z. B. eine
            • Solidaritätspolitik (auch bekannt als Kohäsionspolitik) gegenüber
              den Regionen, in der Landwirtschaft und in sozialpolitischen Berei-
              chen;
            • Innovationspolitik, die in Bereichen wie Umweltschutz, Forschung
              und Entwicklung (FuE) und Energie allerneuesten Techniken zum
              Durchbruch verhilft.
  • Die EU finanziert ihre Maßnahmen aus einem Jahreshaushalt von mehr
    als 120 Mrd. EUR, für den zum größten Teil die Mitgliedstaaten aufkom-
    men. Dieser Haushalt stellt nur einen kleinen Teil des gesamten Wohl-
    stands der EU dar (maximal 1,24 % des Bruttonationaleinkommens
    (BNE) aller Mitgliedstaaten zusammen genommen).

I. Solidaritätspolitik                             • Konvergenz – Durch eine Verbesserung
                                                   der Wachstums- und Beschäftigungsbedin-
Durch die Solidaritätspolitik soll in erster Li-   gungen soll den am wenigsten entwickelten
nie die Vollendung des Binnenmarkts (siehe         Ländern und Regionen geholfen werden, ra-
Kapitel 6 „Der Binnenmarkt“) unterstützt wer-      scheen Anschluss an den EU-Durchschnitt zu
den. Außerdem gilt es, eventuell bestehende        finden. Dies erfordert, dass Mittel bereitge-
Ungleichgewichte durch Strukturmaßnahmen           stellt werden für Sach- und Humankapital, In-
zu beheben, um Regionen mit Entwicklungs-          novation, Wissensgesellschaft, Umweltschutz,
rückstand oder in Schwierigkeiten befind-          Anpassung an den Wandel sowie eine effizi-
lichen Industriesektoren zu helfen. Seitdem        entere Verwaltung.
zwölf neue Mitgliedstaaten beigetreten sind,
deren Einkommen weit unter dem EU-Durch-           • Regionale Wettbewerbsfähigkeit und
schnitt liegen, müssen sich die Mitgliedstaa-      Beschäftigung – Auch andere Regionen be-
ten und die Regionen untereinander noch            nötigen Hilfe, um ihre Wettbewerbsfähigkeit,
solidarischer zeigen. Die EU muss auch helfen,     ihr Beschäftigungsniveau und ihre Anzie-
Wirtschaftssektoren umzustrukturieren, denen       hungskraft zu verbessern. Deswegen muss ih-
der scharfe internationale Wettbewerb sehr         nen dabei geholfen werden, sich frühzeitig auf
zugesetzt hat.                                     wirtschaftliche und soziale Änderungen ein-
                                                   zustellen sowie Innovation, Unternehmertum,
a) Regionalhilfen                                  Umweltschutz und einen allen zugänglichen,
Grundlage der EU-Regionalpolitik ist der           anpassungsfähigen Arbeitsmarkt zu fördern.
Transfer von Mitteln von den reichen zu den
armen Ländern. Das Geld wird für eine Viel-        • Territoriale Zusammenarbeit – Die EU
zahl von Maßnahmen verwendet: Förderung            will die Zusammenarbeit über Grenzen, Länder
des Wachstums in wirtschaftlich schwächeren        und Regionen hinweg intensivieren. Benach-
Regionen, Neubelebung von im Niedergang            barte Behörden sollen künftig stärker gemein-
befindlichen Industrieregionen, Förderung der      same Probleme auch gemeinsam lösen (z. B.
Beschäftigung junger Menschen und Lang-            Entwicklung von Stadt-, Land- und Küstenge-
zeitarbeitsloser, Modernisierung der Land-         bieten, Pflege von Wirtschaftsbeziehungen
wirtschaft und Unterstützung benachteiligter       sowie Aufbau von Netzwerken kleiner und
ländlicher Gebiete.                                mittlerer Unternehmen).

Für den Zeitraum 2007-13 wird Folgendes an-        Mit den hierfür eingesetzten EU-Mitteln (die
gestrebt:                                          sogenannten Strukturfonds und der Kohäsi-

                                                                                                    23
onsfonds) werden Investitionen des Privat-
     sektors oder nationaler und regionaler Regie-
     rungen aufgestockt bzw. Anreize für derartige
     Investitionen geschaffen.

     • Der Europäische Fonds für Regionale
     Entwicklung (EFRE) ist der älteste Struktur-
     fonds. Seine Mittel werden eingesetzt zur Stär-

                                                                                                           © Chris Windsor/Photodisc Red/Getty Images
     kung des wirtschaftlichen, sozialen und territo-
     rialen Zusammenhalts durch die Verringerung
     der Unterschiede zwischen den Regionen, die
     Unterstützung der Strukturentwicklung und
     die Anpassung der Regionalwirtschaften, ein-
     schließlich neuer Entwicklungsimpulse für im
     Niedergang befindliche Regionen.

     • Der zweite Strukturfonds, der Europä-
     ische Sozialfonds (ESF), vergibt Mittel für be-
     rufliche Bildung und Initiativen zur Schaffung
     von Arbeitsplätzen.

     • Der Kohäsionsfonds finanziert in EU-Län-          Gesunde Ernährung: Qualität ist ebenso wich-
     dern, deren Pro-Kopf-BIP weniger als 90 % des       tig wie Quantität.
     EU-Durchschnitts beträgt, Projekte in den Be-
     reichen Verkehrsinfrastrukturen und Umwelt-        Die Landwirte sollen nunmehr dazu beitragen,
     schutz.                                            dass im ländlichen Raum eine gewisse Wirt-
                                                        schaftstätigkeit bestehen bleibt. Auch will
     b) Die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP)               die Kommission die Vielfalt der europäischen
     Die Ziele der GAP, die 1957 im Vertrag von         Landschaften erhalten, denn sie ist, wie auch
     Rom festgelegt wurden, sind zum großen Teil        das Prinzip einer ländlichen, Natur und Mensch
     erreicht: Sicherung eines angemessenen Le-         zusammenführenden Lebensweise, eine Kom-
     bensstandards für die Landbevölkerung; Stabi-      ponente der europäischen Identität.
     lisierung der Märkte; vertretbare Preise für die
     Verbraucher; Modernisierung der agrarischen        Die EU sähe es gern, dass die Welthandels-
     Infrastruktur. Andere Maßnahmen, die im Lau-       organisation (WTO) mehr Gewicht auf die
     fe der Jahre ergriffen wurden, hatten ebenfalls    Nahrungsmittelqualität, das Vorsorgeprinzip
     positive Auswirkungen. Die Versorgung der Ver-     und den Tierschutz legt. Inzwischen hat die
     braucher zu stabilen, von den Schwankungen         Europäische Union auch mit der Reform ih-
     des Weltmarkts unabhängigen Preisen ist ge-        rer Fischereipolitik begonnen. Ihr Ziel ist, die
     währleistet. Die Mittel für die GAP stammen        Überkapazitäten bei den Fischereiflotten zu
     aus dem Europäischen Ausrichtungs- und Ga-         verringern, den Fischbestand zu bewahren und
     rantiefonds für die Landwirtschaft (EAGFL).        Fischergemeinschaften bei der Entwicklung al-
                                                        ternativer Wirtschaftstätigkeiten finanziell zu
     Jetzt ist die GAP allerdings zum Opfer ihres       unterstützen.
     eigenen Erfolgs geworden. Die Produktion
     nahm schneller zu als der Verbrauch, wodurch       c) Die soziale Dimension
     der EU-Haushalt schwer belastet wurde. Zur         Die EU-Sozialpolitik zielt darauf ab, die größ-
     Lösung dieses Problems musste die Agrar-           ten sozialen Ungleichheiten in Europa zu kor-
     politik neu festgelegt werden. Diese Reform        rigieren. Der Europäische Sozialfonds (ESF)
     zeigt allmählich Erfolg: Die Produktion wurde      wurde 1961 gegründet, um die Schaffung von
     gesenkt. Den Landwirten wird zu nachhal-           Arbeitsplätzen sowie den Arbeitsplatz- und
     tigen, umweltverträglichen Anbaumethoden           Ortswechsel von Arbeitnehmern zu fördern.
     geraten, die die Landschaft bewahren und die
     Qualität und Sicherheit der Nahrungsmittel         Die EU will jedoch nicht nur durch Finanzhilfen
     gewährleisten.                                     zur Verbesserung der sozialen Bedingungen

24
beitragen, denn Geld allein kann niemals die        • die Bewahrung natürlicher Ressourcen
Probleme lösen, die Konjunkturrückgang oder         und eine wirksame Abfallbeseitigung.
regionaler Entwicklungsrückstand verursachen.

                                                                                                     Europa in 12 Lektionen
Wachstumseffekte müssen vor allem sozialen          Dieses Programm hat bereits fünf Vorläufer-
Fortschritt bewirken. Gleichzeitig brauchen wir     programme, da die EU sich seit über fünf Jah-
Rechtsvorschriften, die feste Mindestrechte         ren bemüht, ein umfassendes Umweltschutz-
garantieren. Einige, wie das Recht von Frau-        System aufzubauen.
en und Männern auf gleiche Bezahlung für
gleiche Arbeit, sind bereits in den Verträgen       Die unterschiedlichsten Probleme werden an-
verankert. Andere Rechte sind in Richtlinien        gegangen: Lärm, Abfall, Schutz der natürlichen
zum Schutz von Arbeitnehmern (Gesundheit            Lebensräume, Abgase, chemische Substanzen,
und Sicherheit am Arbeitsplatz) sowie zur           Industrieunfälle und unsaubere Badegewäs-
Aufstellung grundlegender Sicherheitsnormen         ser. Auch ein Europäisches Informations- und
festgeschrieben.                                    Hilfsnetz für Notfälle, das im Falle von Um-
                                                    weltkatastrophen wie Ölverschmutzungen oder
1991 nahm der Europäische Rat in Maastricht         Waldbränden tätig würde, wird aufgebaut.
die Gemeinschaftscharta der sozialen Grund-
rechte an, in der die Rechte aufgeführt sind, die   Unlängst wurden die gesundheitlichen Aus-
allen Arbeitnehmern in der EU gewährt wer-          wirkungen der Luftverschmutzung im Rahmen
den sollten: Freizügigkeit; gerechte Bezahlung;     eines Aktionsplans für Umwelt und Gesund-
bessere Arbeitsbedingungen; sozialer Schutz;        heit (2004-10) untersucht, der den Zusam-
Koalitionsfreiheit und Tarifverhandlungen; be-      menhang zwischen Gesundheit, Umwelt und
rufliche Bildung; Gleichbehandlung von Frau-        Forschungspolitik deutlich macht.
en und Männern; Unterrichtung, Anhörung
und Mitwirkung der Arbeitnehmer; Gesund-            Die europäischen Vorschriften sorgen EU-weit
heitsschutz und Sicherheit in der Arbeitsum-        für ein einheitliches Maß an Schutz, sind aber
welt; Kinder- und Jugendschutz; Schutz älterer      so flexibel, dass örtliche Gegebenheiten be-
Menschen und Behinderter. Diese Charta wur-         rücksichtigt werden können. Auch wird das
de im Juni 1997 Bestandteil des EG-Vertrags         Umweltrecht ständig aktualisiert. So wurde
und gilt seitdem in allen Mitgliedstaaten.          beschlossen, die Regelungen für Chemikalien
                                                    zu überarbeiten und ältere Vorschriften, die
                                                    jeweils nur ein Problem regelten, durch ein
II. Innovationspolitik                              einziges System zur Registrierung, Bewertung
                                                    und Genehmigung von Chemikalien (REACH)
Da sich die EU mit den großen Herausforde-          zu ersetzen.
rungen von heute befasst – Umweltschutz,
Gesundheit, technologische Innovation, En-          Dazu wurde eine zentrale Datenbank einge-
ergie –, hat sie Einfluss auf den Alltag ihrer      richtet, die von einer neuen in Helsinki ange-
Bürger.                                             siedelten Europäischen Agentur für chemische
                                                    Stoffe betrieben werden soll. Es geht darum,
a) Umwelt und nachhaltige                           die Verschmutzung der Luft und des Wassers
Entwicklung                                         oder von Boden oder Gebäuden zu vermeiden,
Den Eckpfeiler der EU-Maßnahmen im Umwelt-          die Artenvielfalt zu bewahren und die Gesund-
bereich bildet das Aktionsprogramm „Umwelt          heit und Sicherheit der EU-Bürger zu verbes-
2010: Unsere Zukunft liegt in unserer Hand“.        sern, ohne die Wettbewerbsfähigkeit der euro-
Es erstreckt sich auf den Zeitraum 2001 bis         päischen Wirtschaft zu beeinträchtigen.
2010 und hat folgende Schwerpunkte:
                                                    b) Technische Innovation
•   Klimawandel und Erderwärmung;                   Die Gründerväter der Europäischen Union sa-
                                                    hen zu Recht voraus, dass der künftige Wohl-
• den Schutz natürlicher Lebensräume und            stand Europas davon abhängen würde, dass
wild lebender Tiere und Pflanzen;                   Europa seine technologische Spitzenstellung
                                                    in der Welt behaupten kann. Sie erkannten,
• die Bekämpfung von Umwelt- und Ge-                welche Vorteile eine gemeinsame europäische
sundheitsproblemen;                                 Forschung haben würde. Deshalb gründeten

                                                                                                     25
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