Kommissionen, Ausschüsse, Tribunale: Internationale Einrichtungen im Staatsvertrag von St. Germain
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BRGÖ 2020 Beiträge zur Rechtsgeschichte Österreichs Laura R. RATHMANNER, Wien Kommissionen, Ausschüsse, Tribunale: Internationale Einrichtungen im Staatsvertrag von St. Germain Commissions, Committees, Tribunals: International Bodies in the Treaty of St. Germain Within the framework of the Paris Peace Treaties after World War I, a structure of various international bodies was created in order to implement numerous provisions. For the most part, their significance and their activities in the interwar period have receded into the background, especially concerning the lesser known parts of the Peace Treaties. Therefore, this contribution aims to provide an overview of the bodies linked to the Austrian Peace Treaty, the Treaty of St. Germain, showing their diversity regarding their significance, legal nature and legal basis, composition, scope of functions, duration and their relations with the Austrian Republic. Keywords: Commissions – Interwar Period – Paris Peace Treaties – St. Germain – Treaty Bodies 1. Einleitung Vertragsbestimmungen, auf die sie sich beziehen. Werke, die sich mit den Einrichtungen als sol‐ Die Inklusion der Satzungen zweier internationa‐ chen und deren Bedeutung auseinandersetzen, ler Organisationen im modernen Sinn, des Völ‐ bilden die Ausnahme.2 Dieser Beitrag versucht kerbunds und der Internationalen Arbeitsorgani‐ daher, einen Überblick über die im Vertrag von sation (ILO), zählt zu den prominentesten Aspek‐ St. Germain (VSG) enthaltenen Einrichtungen zu ten der Pariser Friedensverträge und stellt eines geben, wobei sich auch die Gliederung an der der Merkmale dar, durch die sich die Verträge Struktur des Staatsvertrags orientiert. von bisherigen Friedensverträgen unterscheiden. Weitaus weniger bekannt sind jedoch die zahlrei‐ Terminologische Vorbemerkung chen anderen in den jeweiligen Verträgen vorge‐ Das gewählte Thema bringt zunächst eine Fülle sehenen Einrichtungen, die – im Gegensatz zur von terminologischen Herausforderungen mit universellen, über den Zweck der Friedensrege‐ sich. Im geltenden Völkerrecht geht mit der Viel‐ lung im aktuellen Fall hinausreichenden Zielset‐ falt der Gebilde ein Mangel an einheitlicher Be‐ zung und eigenständigen Organisation des Völ‐ grifflichkeit einher, der eine klare Abgrenzung kerbunds bzw. der ILO – allein der Durchfüh‐ und Systematisierung der Einrichtungen unterei‐ rung bestimmter Vertragsregelungen dienen.1 nander erschwerte. Dafür gibt es mehrere Einblick in die Tätigkeit dieser Einrichtungen ge‐ Gründe, ein wesentlicher liegt und lag sicher in ben zum Teil Darstellungen zu den materiellen 1Dementsprechend werden auch die durch diese Sat‐ 2 Genannt seien an dieser Stelle etwa FREISE, Kommis‐ zungen oder in ihrem Gefolge geschaffenen Einrich‐ sionen und BUIRETTE, Réparer. tungen, darunter der Ständige Internationale Gerichts‐ hof, hier nicht näher behandelt. http://dx.doi.org/10.1553/BRGOE2020‐1s87
88 Laura R. RATHMANNER der Sache selbst begründet, da durch völkerrecht‐ wären8 – in der amtlichen Übersetzung wird er liche Verträge eingesetzte Einrichtungen jeweils zudem zumeist9 als „Ausschuss“ wiedergegeben, im Hinblick auf vertragsspezifische Funktionen wiewohl oftmals eher die Bezeichnung „Kom‐ ausgestaltet werden und sich damit so vielfältig mission“ gebräuchlich war.10 Zur Ausübung wie die Verträge selbst darstellen. Verstärkend schiedsrichterlicher und strafrechtlicher Ent‐ kommen die Expansion des Völkerrechts3 und scheidungsbefugnisse wurden weitere, im Fran‐ der internationalen Akteure4 in den letzten Jahr‐ zösischen11 als „tribunaux“ bezeichnete Einrich‐ zehnten und die Problematik hinzu, dass heutige tungen (in der Übersetzung als „Gerichtshöfe“ Begriffe in manchen Fällen nicht ohne Weiteres bzw. „Gerichte“ wiedergegeben) geschaffen. Im übernommen werden können und näherer Erläu‐ Folgenden wird daher ein möglichst weites Be‐ terung bedürfen. griffsverständnis zugrunde gelegt. Als Überbe‐ Sowohl die Bezeichnung der „Institution“ als griff soll trotz bzw. gerade wegen seiner Abs‐ auch die der „Entität“, des „Akteurs“ und des traktheit jener der „Einrichtung“ fungieren, da es „Organs“ werden (auch) in jeweils anderen Zu‐ in der deutschen völkerrechtlichen Terminologie sammenhängen gebraucht und ihre Verwendung keinen dem englischen „body“ korrespondieren‐ könnte daher missverständlich sein. Am ehesten den Terminus gibt. Darüber hinaus wurde so‐ käme noch der Begriff des „Vertragsorgans“ wohl unter den wirtschaftlichen als auch unter („treaty body“) in Betracht; auch dieser ist jedoch den finanziellen Bestimmungen die Entschei‐ in funktionaler Hinsicht eingeschränkt5 und be‐ dung einzelner Fragen durch Schiedsspruch vor‐ zieht sich in erster Linie auf bestimmte Bereiche, gesehen, da der Vertrag an zahlreichen Stellen nämlich den internationalen Menschenrechts‐ keine abschließenden Regelungen traf, sondern schutz6 sowie das internationale Umweltrecht.7 zum Abschluss von Übereinkommen zwischen Der Begriff der „Kommission“ wiederum wird den betroffenen Staaten verpflichtete und für die im VSG nicht für Gebilde gebraucht, die aus Entscheidung über strittige Punkte die Ernen‐ funktionaler Sicht der Judikative zuzuordnen nung eines oder mehrerer Schiedsrichter vorsah. 3 Vgl. etwa WOLFRUM, Introduction 1. 7 Im Vergleich zu jenen des Menschenrechtsschutzes 4 Zur Notwendigkeit einer Definition des Begriffs des sind die Funktionen der Vertragsorgane im Umwelt‐ „nicht‐staatlichen Akteurs“ siehe DUPUY, Proliferation recht extensiver, vgl. RÜBENS, Environmental Treaty 544–546, die die verbreitete Verwendung im weitesten Bodies Rz 38–52. Sinn (im Sinn von Einrichtungen, die keine Staaten 8 „Mixed claims commissions“ bestanden im 18. Jahr‐ und von Bedeutung für das Völkerrecht sind) kritisiert hundert, bis sie von den „mixed tribunals“ abgelöst und dafür eintritt, den Begriff auf bestimmte Einheiten wurden; im VSG sind bereits letztere vorgesehen, vgl. (unter Ausschluss insbesondere Internationaler Orga‐ DOLZER, Mixed Claims Commissions Rz 2, siehe dazu nisationen und von „institutions of judicial decision‐ noch unten unter „Gemischte Schiedsgerichtshöfe“. making“) einzuschränken; von einem solchen engen 9 Eine Ausnahme bilden die Erwähnungen in Art. 132 Begriffsverständnis gehen etwa auch die Herausgeber Abs. 5, Art. 136 Abs. 3, Art. 163 und Art. 248 Pkt. 4 des Handbuchs für Völkerrecht aus, die die nicht‐staat‐ Abs. 2, und die Europäische und Internationale Do‐ lichen Akteure jeweils separat behandeln. Vgl. REI‐ naukommission. NISCH, Handbuch 276–288. 10 Vgl. RATHMANNER, Reparationskommission 81. 5 Einrichtungen, deren Hauptaufgabe der judiziellen 11 Gemäß Art. 381 Abs. 2 ist – mit Ausnahme der Sat‐ Funktion zuzuordnen ist, werden üblicherweise nicht zungen des Völkerbundes und der Internationalen Ar‐ als „treaty bodies“, sondern als „courts“ oder „tribu‐ beitsorganisation, für die auch die englische Fassung nals“ bezeichnet. maßgeblich ist – die authentische Fassung des Vertrags 6 Für diese ist die Zusammensetzung aus unabhängi‐ die französische. gen und unparteilichen Experten kennzeichnend; ihre Hauptfunktion liegt in der Erstellung von Berichten (vgl. STOLL, Human Rights, Treaty Bodies Rz 10, 12).
Kommissionen, Ausschüsse, Tribunale 89 Auch bei einzelnen Zuständigkeiten anderer Ein‐ neter, koordinierender Instanz eine entschei‐ richtungen wurde alternativ die Möglichkeit der dende Bedeutung im Prozess der Grenzfestset‐ Ernennung eines oder mehrerer Schiedsrichter zung zukam. eröffnet; daneben bestanden Spezialfälle, von de‐ Für jede sich aus dem Staatsvertrag ergebende nen im Folgenden nur jener der Aufteilung der neue Grenze war pro Nachbarstaat ein eigener Flussschiffe näher behandelt wird. Grenzregelungsausschuss (GRA) vorgesehen, dessen grundlegende Zusammensetzung sich unter den politischen Bestimmungen zum jewei‐ 2. Grenzen (VSG Teil II) ligen Staat fand. Insgesamt regelte der VSG die Zusammensetzung von drei derartigen Aus‐ Die Grenzfestlegung im Gelände wurde gemäß schüssen: des österreichisch‐italienischen Art. 29 VSG den Grenzregelungsausschüssen (Art. 36 Abs. 3), des österreichisch‐jugoslawi‐ übertragen. schen (Art. 48 Abs. 1) sowie des österreichisch‐ Entsprechend einer für Grenzfestlegungen übli‐ tschechoslowakischen (Art. 55 Abs. 1) GRA. Die chen Regelungstechnik12 wurden die Bestim‐ letztgenannten sollten aus sieben Mitgliedern, je mungen der Friedensverträge in sogenannten einem Delegierten der alliierten und assoziierten „Instruktionen betreffend die Grenzregelungs‐ Hauptmächte (AAHM) und jeweils einem Ver‐ ausschüsse“ präzisiert, die allgemeine, organisa‐ treter der beiden beteiligen Staaten, bestehen; da torische und technische Belange betrafen. Verant‐ Italien zugleich AAHM und Nachbarstaat war, wortlich für diese Instruktionen13 (und gemäß sollte sich der italienisch‐österreichischen GRA den Instruktionen auch für die Akkreditierung nur aus fünf Delegierten, neben dem italieni‐ der Kommissionäre der Staaten) waren die Frie‐ schen und dem österreichischen drei aus dem denskonferenz14 und ihr nachfolgend die Bot‐ Kreis der AAHM, zusammensetzen. Die Rechts‐ schafterkonferenz,15 der als politisch übergeord‐ grundlage für den österreichisch‐ungarischen GRA, der ebenfalls aus sieben Mitgliedern beste‐ 12 Vgl. JONES, Boundary‐Making 180, der eindeutige In‐ 19.6. 1920]), war Anfang Juli die Übersendung eines struktionen für solche Grenzkommissionen empfiehlt. Aide‐Mémoires an die Botschafterkonferenz (Prot. 13 Die „Instructions to the Demarcation Commissions, Nr. 30, Pkt. 220 vom 6. 7. 1920) erfolgt, die sich in ihrer pursuant to the Peace Treaties“ finden sich bei den Pro‐ Antwort vom 27. 7. 1920 zu versichern genötigt sah, tokollen der Zentralgrenzkommission (ÖStA, AdR, dass es sich bei den Instruktionen lediglich um „Richt‐ AAng BKA/AA, NPA, Kart. 239, Liasse Österreich 9/I linien allgemeiner Natur“ handle, die – wie seitens Ös‐ – Verhandlungsschriften der österr. Zentralgrenzkom‐ terreichs befürchtet – die Vertragsbestimmungen we‐ mission; zu dieser noch unten) und sind bei JONES, der ändern noch einschränken würden. (Antwort der Boundary‐Making, Appendix I 229–239, abgedruckt. Botschafterkonferenz, abgedruckt als Beilage 17 zu Zu unterscheiden sind sie von den internen Instrukti‐ Prot. Nr. 44, Pkt. 321 vom 14. 8. 1920). 15 Die Einrichtung der Botschafterkonferenz, beste‐ onen an die österreichischen Vertreter der Grenzrege‐ lungsausschüsse (zu deren Inhalt vgl. Zentralgrenz‐ hend aus den Botschaftern der USA, Großbritanniens, kommission [im Folgenden: ZGK], Protokoll Nr. 31, Italiens und Japans und dem französischen Außenmi‐ Beilage 13 zu Pkt. 224 vom 7. und 8. 7. 1920). nister unter dem nominellen Vorsitz des französischen 14 Die Instruktionen gehen zurück auf den Beschluss Ministerpräsidenten, wurde mit Resolution des Obers‐ des Obersten Rates im Oktober 1919 und wurden von ten Rates vom 13. 12. 1919 endgültig beschlossen und der Botschafterkonferenz am 22. 7. 1920 redigiert sie nahm fünf Tage nach dem offiziellen Ende der Frie‐ (ZGK, Protokoll Nr. 42, Pkt. 301 vom 5. 8. 1920). Von denskonferenz am 21. 1. 1920 ihre Tätigkeit auf. Vgl. der Zentralgrenzkommission zunächst als Verstoß ge‐ HEIDEKING, Areopag 19–22. gen die Bestimmungen des Friedensvertrags bewertet (Prot. Nr. 26, Pkt. 202 vom 19. 7. 1920 [richtig wohl:
90 Laura R. RATHMANNER hen sollte, fand sich nicht im Vertrag von St. Ger‐ in Wien, Graz und Innsbruck.19 Die Zentralgrenz‐ main, sondern (nur) im Vertrag von Trianon kommission unterstand unmittelbar dem Kabi‐ (Art. 71 Abs. 2 VT). Die Ausschüsse hatten je‐ nettsrat und bestand aus den Vertretern der an weils binnen zwei Wochen nach Inkrafttreten des der Durchführung des II. Teiles des Staatsver‐ VSG zusammenzutreten (Art. 36 Abs. 3, Art. 55 trags „zunächst beteiligten“ Staatsämter;20 sie be‐ Abs. 1, Art. 48 Abs. 1) und mit Stimmenmehrheit riet bereits vor Zusammentreten der einzelnen zu entscheiden (Art. 29 Abs. 3), der Vorsitz war GRA über Besetzungs‐, Finanzierungs‐ und Or‐ einem Kommissär aus dem Kreise der nicht un‐ ganisationsfragen sowie über vorläufige Rege‐ mittelbar interessierten Mächte, d.h. der AAHM, lungen und Angelegenheiten der Grenzfestle‐ vorbehalten.16 Tatsächlich sollten an den Beratun‐ gung, insbesondere auch betreffend die direkten gen des österreichisch‐jugoslawischen sowie des Verhandlungen mit der Tschechoslowakei. Was österreichisch‐tschechoslowakischen GRA nur die Auswahl der österreichischen Vertreter für Vertreter dreier AAHM teilnehmen; die japani‐ die GRA anlangt, so wurden zunächst – in Ab‐ schen Vertreter wurden zwar ernannt, waren stimmung mit den interessierten Ländern – dip‐ aber nur im österreichisch‐italienischen GRA ver‐ lomatisch versierte, sprachlich qualifizierte und treten.17 Der österreichisch‐ungarische Aus‐ aus Sicht der unmittelbar beteiligten Länder ver‐ schuss konstituierte sich von vornherein ohne ja‐ trauenswürdige Kräfte des auswärtigen oder mi‐ panische und US‐amerikanische Vertreter.18 litärischen Staatsdienstes in Betracht gezogen, Innerstaatlich erfolgte die Koordination und Or‐ während das Staatsamt für Äußeres Offiziere für ganisation der Grenzfestlegung durch die soge‐ die bessere Wahl hielt.21 Dementsprechend wur‐ nannte Zentralgrenzkommission in Wien im Zu‐ sammenwirken mit drei „Länderzentralbureaus“ 16 Vgl. Instruktionen, Pkt. II. C, in: JONES, Boundary‐ des Staatsamtes der Finanzen (18. 11. 1919) und des Making, Appendix I, 229–239, hier 231; in den konsti‐ Staatsamtes für Land‐ und Forstwirtschaft (14. 2. 1920) tuierenden Sitzungen wurde jeweils der Kommissär dazu (Nr. 14, Pkt. 91). Den Vorsitz führte den organi‐ Frankreichs zum Vorsitzenden des österreichisch‐itali‐ schen Grundsätzen entsprechend ein Vertreter des enischen bzw. des österreichisch‐tschechoslowaki‐ Staatsamts für Inneres und Unterricht. (ZGK, Prot. schen GRA und der britische Kommissär zum Vorsit‐ Nr. 1). zenden des österreichisch‐jugoslawischen GRA ge‐ 21 ZGK, Prot. Nr. 1, Pkt. 3 vom 27. 10. 1919 sowie Prot. wählt. Vgl. ZGK, Prot. Nr. 41, Pkt. 289 und 293 vom Nr. 4, Pkt. 19 vom 6. 11. 1919. Das Staatsamt für Äuße‐ 2. 8. 1920 und Nr. 42, Pkt. 308 vom 5. 8. 1920. res betonte (weniger als das Staatsamt für Heereswe‐ 17 KÖNIG, Österreichs Grenzen Rz. 29. Ausführlich zur sen), dass „einem alten internationalen Brauch ent‐ Zusammensetzung des österreichisch‐italienischen sprechend“ ausschließlich Offiziere als Kommissäre in GRA EGGER, Teilung 29–34. Frage kämen. Vgl. Vortrag für den Kabinettsrat über 18 Vgl. KÖNIG, Österreichs Grenzen Rz. 62. die Einrichtung der Länderzentralbureaus in Inns‐ 19 Vgl. § 1 der „Organischen Bestimmungen für die bruck, Graz und Wien, ZGK, Prot. Nr. 6, Pkt. 34 vom Einrichtung eines Dienstes zur Regelung und Festset‐ 19. 11. 1919. Da in den organischen Bestimmungen die zung der neuen Staatsgrenze“, die mit Kabinettsrats‐ Ernennung der Vorstände der Länderzentralbureaus beschluss vom 31. 10. 1919 genehmigt worden waren. als Kommissäre vorgesehen worden war, einigte man 20 Organische Grundsätze, § 2. Zur konstituierenden sich hier schließlich auf deren zivile Leitung und die Beigabe militärischer Sachverständiger, damit diese im Sitzung am 27. 10. 1919 entsandten die Staatskanzlei Falle einer künftigen Nominierung als Vertreter im sowie die Staatsämter für Äußeres, Heereswesen, Han‐ GRA mit den bisherigen Geschehnissen bereits ver‐ del und Gewerbe, Industrie und Bauten und Verkehrs‐ traut wären. Vgl. Vortrag für den Kabinettsrat über die wesen jeweils einen Vertreter. In der Geschäftsord‐ Einrichtung der Länderzentralbureaus in Innsbruck, nung (§ 1) wurde zudem ein Vertreter des Staatsamtes Graz und Wien, ZGK, Prot. Nr. 6, Pkt. 34 vom 19. 11. für Finanzen vorgesehen, der schließlich ab der 5. Sit‐ 1919. zung (Nr. 5 Pkt. 25) seine Tätigkeit aufnahm. In weite‐ rer Folge kamen noch jeweils ein ständiger Vertreter
Kommissionen, Ausschüsse, Tribunale 91 den Mitte April 1920 vom Staatsamt für Heeres‐ bei der Festlegung des endgültigen Grenzver‐ wesen als militärische Sachverständige22 für die laufs ein gewisser Entscheidungsspielraum Länderbureaus Major Eduard Steyrer nach Graz, ergibt.30 So auch im VSG: Nach der Beschreibung Oberstleutnant Hugo Metzner nach Wien und der festzulegenden Grenzen in Art. 27 sowie des Oberstleutnant Alfons Bernhard nach Innsbruck Abstimmungsgebietes in Art. 49 Abs. 2 bzw. bestimmt23 und in der Folge als Kommissäre für Art. 50 Abs. 1 bezogen sich Art. 29 bis 35 in erster den jeweiligen GRA ernannt.24 Die Konstituie‐ Linie auf die Vermarkung und Verwaltung der rung der GRA erfolgte unter Teilnahme der ös‐ Grenzen. Die Kernbestimmung zur Kompetenz terreichischen Vertreter Ende Juli 1920 in Paris;25 der GRA stellt Art. 29 Abs. 2 dar, der den GRA Österreich konnte sich mit seinem Wunsch nach „jegliche Machtbefugnis“ – auf Antrag selbst zur Sitznahme auf österreichischem Gebiet26 nicht Revision der durch Verwaltungsgrenzen be‐ durchsetzen.27 stimmten Teilstrecken der neu festzulegenden in‐ Im Allgemeinen lässt sich der Prozess der Grenz‐ ternationalen Grenzen – übertrug; Art. 30 über‐ festlegung in mehrere Stadien unterteilen, wobei ließ ihnen bei den durch Flüsse bestimmten nach der Entscheidung über die Zuteilung des Grenzen die Entscheidung zwischen festen und betreffenden Territoriums die Phase der Grenz‐ beweglichen Grenzen. Noch weiter gingen die festlegung im Sinne einer vertraglichen Defini‐ Instruktionen, die ausdrücklich festhielten, dass tion von der Vermarkung im Gelände unterschie‐ auch bei Fehlen einer vertraglichen Spezialbe‐ den werden kann.28 Zumeist enthalten die Best‐ stimmung in wenig bedeutenden Fällen mit ein‐ immungen über die Grenzfestlegung auch Best‐ stimmiger Entscheidung die Zuordnung einer im immungen über die Vermarkung oder die künf‐ Vertrag namentlich genannten Örtlichkeit geän‐ tige Verwaltung (als weiteres Stadium).29 Es ist je‐ dert werden konnte.31 Ein möglichst weiter Ent‐ doch kaum möglich, eine Grenze vertraglich so scheidungsspielraum lag durchaus im Interesse exakt zu umschreiben, dass dem zur Durchfüh‐ Österreichs, das zudem (vergeblich) eine ähnli‐ rung berufenen GRA bloß die technische Umset‐ che Ermächtigung erhofft hatte, wie sie aus der zung, d.h. allein die Durchführung der Vermar‐ Geleitnote zum Vertrag von Trianon den ungari‐ kung im Gelände verbleibt, sodass sich daraus 22 Bis 1918 hatten sich topographische Landesauf‐ Dr. Stefan Neugebauer, vgl. KÖNIG, Österreichs Gren‐ nahme und Kartographie noch in militärischer Hand zen Rz 64. befunden, namentlich der des militärgeographischen 25 ZGK, Prot. Nr. 41 vom 2. 8. 1920. Instituts, an dem auch die entsprechende Ausbildung 26 ZGK, Prot. Nr. 4, Pkt. 17 und 18. erfolgte. Vgl. STRENN, Josefstadt 18–20, 23, 31. 27 ZGK Prot. Nr. 41, S. 289 vom 2. 8. 1920, ZGK, Prot. 23 Vgl. ZGK, Prot. Nr. 20, Pkt. 143 vom 15. 4. 1920. Aus Nr. 41, S. 293 vom 2. 8. 1920. Der österreichisch‐tsche‐ den Protokollen geht die Qualifikation der Ernannten choslowakische Ausschuss legte keinen Sitz fest, der nicht hervor, die Auswahl erfolgte durch das Staats‐ österreichisch‐jugoslawische entschied sich auf Antrag amt für Heerwesen. Der bekannteste unter den dreien Österreichs für eine Alternierung zwischen Marburg war wohl Hugo Metzner als anerkannter Spezialist für und Graz. artilleristisches Schießwesen und Ballistik (!), vgl. 28 In manchen Fällen wird der Begriff der Grenzfestle‐ HUMMELBERGER, Metzner 253. Bernhard war seit 1919 gung allerdings auch in einem weiteren, die Vermar‐ bereits im Ruhestand, vgl. Archivinformationssystem kung miteinbeziehenden Sinne verwendet. Vgl. JONES, OeStA, Bestand Bernhard, Alfons. Boundary‐Making 57. 24 ZGK, Prot. Nr. 31, Pkt. 224 vom 7. und 8. 7. 1920. 29 Ebd. 5. Oberst Bernhard wurde später von Gerneral Hervay 30 Ebd. 5. abgelöst, vgl. KÖNIG, Österreichs Grenzen Rz 29. Für 31 Instruktionen, Pkt. I, in: JONES, Boundary‐Making den österrreichisch‐ungarischen GRA war zunächst 229. Oberst Robert Schuch (ZGK, Prot. Nr. 5, Pkt. 52), vor‐ geschlagen worden; ernannt wurde schließlich MR
92 Laura R. RATHMANNER schen (und damit auch dem dort geregelten ös‐ im VSG nicht festgelegt worden und ergab sich terreichisch‐ungarischen GRA) zugestanden daher aus der Erfüllung der ihnen überantworte‐ worden war: Danach konnten sich die GRA in ten Aufgabe, d.h. dem Abschluss der Grenzfest‐ den Fällen, in denen sie eine Abänderung der im legung, wobei die Ausschüsse von Beginn an un‐ Friedensvertrag festgelegten Grenzen für unab‐ ter großem Zeitdruck standen.37 weislich hielten, mit einem Bericht an den Völ‐ So großes Aufsehen die neue Grenzziehung aus kerbund wenden.32 inhaltlicher Sicht erregt hatte, so wenig Beson‐ Die Aufgaben der GRA ließen sich nach den In‐ derheiten wies die Art der Regelung und ihre struktionen in 1. den Entwurf eines Arbeitspla‐ Durchführung auf: Sowohl die Grenzbeschrei‐ nes, 2. die Festlegung der Grenzlinie, 3. die Ver‐ bungen als auch die Einsetzung von Grenzrege‐ markung der Grenzlinie im Gelände, 4. die Über‐ lungsausschüssen stellen keine Neuerung gegen‐ prüfung der Arbeiten im Gelände und die Ver‐ über bisherigen Vorgehensweisen dar,38 auch De‐ fassung der offiziellen Vermessungsprotokolle tailregelungen wie etwa die grundsätzliche Kos‐ unterteilen.33 Wie nur aus diesen Instruktionen, tenteilung zwischen den betroffenen Staaten er‐ nicht aus dem Vertragstext hervorgeht, oblag die schienen nicht außergewöhnlich.39 Als unüblich Durchführung der notwendigen Tätigkeiten war allenfalls die Art der Zusammensetzung an‐ großteils den jeweiligen interessierten Staaten: zusehen, wonach nicht nur Delegationen der be‐ Diese sollten die Vorarbeiten vornehmen und die teiligten Staaten, sondern auch der Siegermächte Festlegung der endgültigen Grenzlinie vereinba‐ als Mitglieder vertreten waren, was verhältnis‐ ren. An den GRA sollten nur die strittigen Punkte mäßig große Ausschüsse zur Folge hatte.40 Wenn‐ bzw. Änderungsvorschläge herangetragen wer‐ gleich die Stellung der „nicht interessierten Staa‐ den. Nach den Vorgaben der GRA hatten sie auch ten“ trotz gleicher Stimmgewichtung letzten En‐ die Vermarkung durchzuführen34 und gem. des der von Neutralen glich,41 darf nicht verges‐ Art. 29 Abs. 4 VSG für die Kosten der Ausschüsse sen werden, dass es sich dabei um Vertreter der – mit Ausnahme der gewöhnlichen Bezüge, d.h. Siegermächte handelte. Darauf dürfte sich auch der Gehälter der jeweiligen Mitglieder35 – aufzu‐ die österreichische Kritik an den Instruktionen kommen.36 Die Dauer der Tätigkeit der GRA war 32 Eine Anfrage an die Botschafterkonferenz wurde ab‐ 38 Vgl. nur beispielsweise den Ersten Pariser Frieden schlägig beantwortet, vgl. ZGK, Prot. Nr. 44, Beilage 17 zwischen Österreich und Frankreich vom 30. 5. 1814, zu Pkt. 321 vom 14. 8. 1920. Art. III Zif. 7 Abs. 2 oder den Frieden von Frankfurt 33 Instruktionen, in: JONES, Boundary‐Making 232. zwischen Frankreich und dem Deutschen Reich vom 34 Einen anschaulichen Überblick über den Ablauf der 10. 5. 1871, Art. 1 Abs. 2. Vermarkungstätigkeit geben DOTTER, WEDRAC, Preis 39 Siehe JONES, Boundary‐Making 176–178, der die Frie‐ des Friedens 178‐186. densverträge im Allgemeinen, den VSG im Besonde‐ 35 Genaue Regelungen zu den Kosten enthalten die In‐ ren, als Beispiel für jene Verträge heranzieht, in denen struktionen (Pkt. II F, JONES, Boundary‐Making 234) eine Halbteilung der Kosten zwischen den beiden Staa‐ und – für den tschechoslowakischen GRA – das Prager ten vorgesehen ist. Übereinkommen vom 21. 8. 1921. 40 Zur typischen Zusammensetzung siehe JONES, 36 In Österreich hatte die mangelnde Begrenzung der Boundary‐Making 167–169, der die Delegierten der Dauer dieser finanziellen Belastung zu Bedenken An‐ Siegermächte jedoch wie neutrale Mitglieder behan‐ lass gegeben, vgl. ZGK, Prot. Nr. 27, Pkt. 204 vom 24. 7. delt. 1920. 41 Davon scheint auch JONES, Boundary‐Making 168, 37 Vgl. EGGER, Teilung 30. Der mit der aufwendigsten auszugehen, der im Kapitel über neutrale Mitglieder Grenzziehung betraute österreichisch‐italienische exemplarisch die Kommissionen nach den Pariser Frie‐ Ausschuss bestand bis 1924; die offizielle Übergabe der densverträgen und ihre Größe hervorhebt. Schussdokumente erfolgte in Rom im November 1924, vgl. EGGER, Teilung 107.
Kommissionen, Ausschüsse, Tribunale 93 für die GRA hinsichtlich des „verhandlungstech‐ mit dem Namen „Plebiszitkommission“ verse‐ nischen Teils“ bezogen haben, der „derart un‐ hen wurde44 und sich zumeist auch unter dieser günstig sei, daß die Tätigkeit der Grenzregulie‐ Bezeichnung in der Literatur findet. rungsausschüsse eine Erfüllung unserer grenz‐ Die Zusammensetzung des Ausschusses regelte politischen Wünsche kaum erwarten lasse.“4243 Art. 50 Abs. 3: Dementsprechend bestand er so‐ Diese Konstellation dürfte auch dazu beigetragen wohl aus Vertretern von vier der AAHM (mit haben, dass über die Festlegung der Grenze mit Ausnahme Japans) als auch der beiden betroffe‐ der Tschechoslowakei zusätzlich bilaterale Ver‐ nen Staaten. Pro vertretenem Staat war jeweils handlungen geführt wurden. ein Mitglied vorgesehen. Das von Österreich er‐ nannte Mitglied war nur den Beratungen betref‐ fend die von ihm verwaltete nördliche Zone, das 3. Politische Bestimmungen Mitglied des SHS‐Staats nur denen betreffend die über Europa, SHS‐Staat von diesem Staat verwaltete südliche Zone zuzu‐ ziehen. Die Entscheidung sollte mit Stimmen‐ (VSG Teil III, Abschnitt II) mehrheit erfolgen. Als die USA mangels Ratifi‐ Im Hinblick auf das „Selbstbestimmungsrecht“ zierung von der Entsendung eines Vertreters ab‐ der Völker berief Art. 49 Abs. 1 die Einwohner sahen,45 entschied die Botschafterkonferenz, dass des „Gebiets von Klagenfurt“ zur Entscheidung dem österreichischen und jugoslawischen Vertre‐ über die Zugehörigkeit des Gebietes im Wege ei‐ ter nur eine beratende Funktion zukommen ner Volksabstimmung, deren Durchführung in sollte.46 Auch die Festlegung, dass jeweils nur ein Art. 50 näher geregelt wurde. Das Gebiet wurde Vertreter der beteiligten Staaten an den Beratun‐ gem. Abs. 1 leg.cit. in zwei Zonen unterteilt, von gen teilnehmen sollte, wurde in der Praxis nicht denen die nördliche unter österreichische, die eingehalten, da von Beginn an die Angelegenhei‐ südliche unter Verwaltung des SHS‐Staats ge‐ ten der jeweiligen Zone nicht getrennt, sondern stellt wurde (Art. 50 Abs. 4 und 5). Um die Un‐ in Anwesenheit beider Vertreter besprochen parteilichkeit dieser Verwaltung sicherzustellen wurden, die jeweils vor den Abstimmungen Ge‐ und die Abhaltung der Volksabstimmung vorzu‐ legenheit zur Stellungnahme bekamen.47 bereiten, wurde das gesamte Abstimmungsge‐ Die beiden Aufgabenbereiche des Ausschusses biet gem. Art. 50 Abs. 2 der Aufsicht eines Aus‐ werden in Art. 50 Abs. 6 und 7 näher umschrie‐ schusses unterstellt, der von den Zeitgenossen ben: So hatte der Ausschuss in Bezug auf die Ver‐ waltung des Gebiets gem. Abs. 6 leg.cit. über die Herabsetzung der jeweiligen Truppen auf das 42 Prot. Nr. 26, Pkt. 202 vom 19. 7. 1920. 45 WAMBAUGH, Plebiscites I, 185. 43 Zu der besonders schwierigen Situation im österrei‐ 46 Die Entscheidung wurde den beiden Regierungen chisch‐italienischen GRA, namentlich auch der Bren‐ mit (jeweils gleichlautender) Note vom 8. 6. (als Ergän‐ nergrenze, siehe DOTTER, WEDRAC, Preis des Friedens, zung der Note vom 1. 6.) mitgeteilt; die jugoslawische 164–178. Version beider Noten ist abgedruckt bei WAMBAUGH, 44 Vgl. etwa die Berichterstattung in der Zeitung „Freie Plebsicites II, 128. Prompt protestierten beide Regie‐ Stimmen“ von Mai 1919 bis November 1920, in der rungen gegen die aus ihrer Sicht vertragswidrige An‐ auch die an die Bewohner des Abstimmungsgebietes ordnung; die Botschafterkonferenz entschloss sich ge‐ adressierten „Kundmachungen“ der Plebiszitkommis‐ gen die Abänderung eines bereits gefassten Beschlus‐ sion verlautbart wurden, siehe z.B. die „1. Kundma‐ ses mit eben diesem Argument, obwohl der französi‐ chung an die Bevölkerung des Kärntner Abstim‐ sche Delegierte auf die Möglichkeit einer Klage beim mungs‐Gebietes“ vom 10. 8. 1920, in: Freie Stimmen Völkerbund hinwies. HEIDEKING, Areopag 146. Nr. 190 v. 21. 8. 1920, 1. 47 WAMBAUGH, Plebiscites I, 186.
94 Laura R. RATHMANNER zur Aufrechterhaltung der Ordnung notwendige Interessengegensätzen der Italiener und der Ver‐ Maß – bis zu deren ehestmöglichen Ersatz durch treter des SHS‐Staates. Die grundsätzliche Her‐ Polizeikräfte – zu entscheiden und deren Tätig‐ ausforderung hatte darin bestanden, dass eine keit zu überwachen. Gem. Abs. 7 leg.cit. hatte er Grenzziehung im umstrittenen Gebiet anhand die Abhaltung der Volksabstimmung zu organi‐ geographischer und sprachlicher Kriterien nicht sieren und dabei „alle Maßnahmen zu treffen, die möglich war, da der südliche Teil eine slowe‐ er zur Sicherung einer freien, unbeeinflussten nischsprachige Mehrheit aufwies, zugleich aber und geheimen Stimmabgabe für notwendig geographisch vom restlichen Jugoslawien ge‐ hält“. Die Regelung der Modalitäten der Abstim‐ trennt war.49 Die Entscheidung für ein Plebiszit mung (Zeitpunkt, Stimmberechtigung, Ermitt‐ und seine konkrete Ausgestaltung fiel jedoch erst lung des Ergebnisses, Kundmachung) folgte in nach langem Hin und Her, auf das auch die Be‐ Art. 50 Abs. 8 bis 13. In diesem Zusammenhang sonderheiten der Kommission im Vergleich zu oblag dem Ausschuss die Festlegung des ge‐ anderen Abstimmungskommissionen nach den nauen Abstimmungszeitpunkts sowie die Kund‐ Pariser Friedensverträgen zurückzuführen wa‐ machung des Ergebnisses; in einer gesonderten ren. Diese bezogen sich auf ihre Organisation Mitteilung an die AAHM hatte er zudem Rechen‐ und Zusammensetzung sowie auf ihre Aufgabe: schaft über den Ablauf abzulegen. Im Anschluss Die Verwaltung des Abstimmungsgebiets er‐ hatte die Erstreckung der Staatsgewalt auf die – folgte nicht durch die Kommission selbst, zusam‐ je nach Ausgang der Abstimmung – von dem je‐ mengesetzt aus Vertretern der Siegermächte, weiligen Staat noch nicht verwaltete Zone im sondern durch die beiden betroffenen Staaten un‐ Einvernehmen mit dem Ausschuss zu erfolgen. ter Kontrolle der Plebiszitkommission, in der sie Im Gegensatz zu den anderen Einrichtungen war durch jeweils ein Mitglied vertreten waren und die Dauer der Tätigkeit des Ausschusses im VSG der keine eigenen Truppen beigestellt wurden.50 ausdrücklich mit der Sicherstellung der regulä‐ Die Mitglieder des Ausschusses, der unter der ren Verwaltung durch den Staat, dem das Gebiet Leitung des Briten Col. PECK stand, wurden im aufgrund der Volksabstimmung zufallen sollte, April 1920 von der Botschafterkonferenz ernannt. begrenzt worden (Art. 50 Abs. 16). Österreich entsandte Hauptmann Albert Peter‐ Im Vergleich zu anderen Vertragsbestimmungen Pirkham,51 Jugoslawien Professor Dr. Civić, der hatten die Regelungen über die Volksabstim‐ bereits bei den Friedensverhandlungen als Gut‐ mung und ihre Organisation auf der Pariser Frie‐ achter tätig geworden war. Im Zuge der Streitig‐ denskonferenz viel Raum eingenommen. Dies keiten um die Öffnung der Demarkationslinie lag nicht nur an der Kärntner Situation, die ange‐ trat er zurück und wurde durch seinen bisheri‐ sichts des Aufflammens von Kämpfen in regel‐ gen Stellvertreter, J. Jovanović, ersetzt.52 Die Bot‐ mäßigen Abständen die Aufmerksamkeit der Sie‐ schafterkonferenz verlangte sowohl vom öster‐ germächte beanspruchte,48 sondern auch an den 48 Allein seitens der deutschösterreichischen Delega‐ auch bei der Ödenburger Volksabstimmung einge‐ tion wurden insgesamt 13 Noten „wegen der Ereig‐ setzt. Vgl. Empfehlungsschreiben Karl Renners vom nisse an der südslawischen Front“ eingereicht; abge‐ 22. 10. 1920, Privatschreiben des Staatssekretärs für druckt im Bericht der deutschösterreichischen Frie‐ Äußeres an den Kärntner Landeshauptmann vom densdelegation. 8. 11. 1920, ÖStA, AdR, AAng BKA/AA, NAR, Fach 4 49 WAMBAUGH, Plebiscites I, 171. Serie A Kart 124 Personalakt Albert Peter‐Pirkham. 50 Ebd. 185. 52 WAMBAUGH, Plebiscites I, 189. Die übrigen Mitglie‐ 51 Der Fregattenkapitän Albert Peter‐Pirkham sprach der waren Graf Chambrun (Frankreich) und Fürst französisch, englisch und italienisch und wurde später Borghese (Italien).
Kommissionen, Ausschüsse, Tribunale 95 reichischen als auch vom jugoslawischen Mit‐ den sechs Bezirksräten übertragen, die die Ge‐ glied eine Ausstattung mit sämtlichen Vollmach‐ meinderäte in Hinblick auf die Vorbereitung der ten, um Verzögerungen durch Rückfragen bei Abstimmung und ihre Verwaltungstätigkeit zu der jeweiligen Regierung zu vermeiden, sowie überwachen hatten und durch welche die ge‐ die Sicherstellung einer Anordnungsbefugnis ge‐ samte Kommunikation der lokalen Verwaltung genüber den lokalen Zivil‐ und Militärbehörden mit der Kommission vermittelt wurde.60 Hinzu zur Durchführung der Kommissionsentschei‐ kam ein Beratender Verwaltungsrat aus drei Per‐ dungen.53 Nach Vorbereitung ihrer Tätigkeit54 in sonen, „which proved to be the most important Abstimmung mit der Botschafterkonferenz in Pa‐ feature of the organization“.61 Ihm oblag die ris55 trafen die Kommissionsmitglieder am Überwachung der Unabhängigkeit der Verwal‐ 21. Juli in Klagenfurt ein56 und hielten ihre kon‐ tung und er hatte der Kommission Bericht zu er‐ stituierende Sitzung in der Burg ab.57 In dieser statten. Die Vorsitzenden der Bezirksräte und der ersten Sitzung wurde die Einrichtung des Sekre‐ Verwaltungsrat waren zu gleichen Teilen mit tariats58 und die Beauftragung der Grenzkom‐ englischen, französischen und italienischen Ver‐ mission mit der genauen Abgrenzung des Ab‐ tretern besetzt, die Gemeinderäte wurden von stimmungsgebiets beschlossen; der Präsident der österreichischen und der jugoslawischen stellte die Grundzüge des geplanten Ablaufs und Kommission unter der lokalen Bevölkerung aus‐ der Organisation ihrer Tätigkeit vor, die in der gewählt.62 Die Kommission wandte sich von Be‐ Sitzung vom 24. Juli 1920 einstimmig angenom‐ ginn an auch unmittelbar an die Bewohner des men wurden.59 Die Organisationsstruktur sah Abstimmungsgebiets, indem sie regelmäßig Pro‐ eine grundsätzliche Selbstverwaltung durch die klamationen und Kundmachungen veröffent‐ Einwohner und auf unterster, lokaler Ebene 12 lichte. Gemeinderäte vor, die mit dem Großteil der Vor‐ Gem. Art. 50 Abs. 8 war die Volksabstimmung in bereitungs‐ und Durchführungsarbeiten betraut der südlichen Zone innerhalb einer Frist von drei wurden. Die Auszählung der Stimmen wurde Monaten nach Inkrafttreten des VSG, das am 16. Juli 1920 erfolgte, durchzuführen.63 Nachdem 53 Vgl. Note vom 1. 6. 1920 an die jeweiligen Regierun‐ 59 Ebd. I, 188. gen, abgedruckt bei WAMBAUGH, Plebiscites II, 126– 60 Vgl. Ebd. I, 190. 128, hier 128. 61 Ebd. I, 188. 54 Österreich hatte sich zwar bereits im März 1920 mit 62 Ebd. I, 188. Darüber hinaus wurde unter Berufung der Bitte um vorzeitige Entsendung an die Botschafter‐ auf Art. 50 VSG ein eigener „Interalliierter Plebiszit‐ konferenz gewandt, diese sollte ihr jedoch aufgrund Gerichtshof“ errichtet, der durch eine Reihe von spezi‐ der ablehnenden Haltung der französischen Regierung fischen Delikten die Einhaltung der Kommissionsvor‐ nicht nachkommen. HEIDEKING, Areopag 146f. gaben für einen ungehinderten und unverfälschten 55 Die Beratung über die in sieben Punkten zusammen‐ Ablauf sicherstellen sollte, wobei es jedoch zu keinen gefassten Empfehlungen fanden am 29. 4. statt und das Verfahren kam. Vgl. WAMBAUGH, Plebiscites I 189f. Zu‐ überarbeitete Programm wurden den beiden Regie‐ sammensetzung, Tatbestände und Sanktionen wurden rungen mit Note vom 1. 6. und Ergänzungsnote vom als 6. Kundmachung im September 1920 publiziert, ab‐ 8. 6. 1920 mitgeteilt. gedruckt ebd. II, 133f. und in den Freien Stimmen Nr. 56 Die Bevölkerung wurde von der Ankunft der Kom‐ 203 v. 5. 9. 1920, 1. Insgesamt waren für die Plebiszit‐ mission mit einer an sie gerichteten Proklamation for‐ kommission über 100 Personen tätig, vgl. Kärntner mell in Kenntnis gesetzt, abgedruckt bei WAMBAUGH, Landesarchiv, 10. Oktober 1920, 146. Plebiscites II, 128–9. 63 Die Instruktionen zur Durchführung datieren vom 57 Ebd. I, 185f. 16. 9. 1920 und sind abgedruckt bei WAMBAUGH, Ple‐ 58 Dieses setzte sich aus einem britischen General und biscites II, 135–157. drei Sekretären zusammen, Ebd. I, 186.
96 Laura R. RATHMANNER man im August 1920 mit einer Durchführung be‐ weitere sechs Wochen bis zur geordneten Über‐ reits Anfang Oktober gerechnet hatte,64 setzte der gabe der Zone am 18. November 1920 im Land.73 Ausschuss das Abstimmungsdatum mit 10. Ok‐ tober fest.65 Im Zuge der Vorbereitungen stellte die Öffnung der Demarkationslinie das erste 4. Bestimmungen über Land‐, große (Streit‐)Thema in der Kommission dar. See‐ und Luftstreitkräfte Diese wurde zwar entsprechend den Vorgaben der Botschafterkonferenz von der Kommission (VSG Teil V) einstimmig befürwortet, von Jugoslawien jedoch Zu den bekanntesten Regelungen des Vertrags abgelehnt und erfolgte schließlich am 23. August von St. Germain zählen die Abrüstungsbestim‐ 1920.66 Weitere Streitpunkte waren der Rückzug mungen, insbesondere die Abschaffung der all‐ der jugoslawischen Truppen,67 Zahl und Mitglie‐ gemeinen Wehrpflicht (Art. 119) und die Be‐ der der örtlichen Gendarmerieeinheiten und die schränkung der Streitkräfte auf 30.000 Mann Frage der „staatlichen Kontrolle“ von Privatbe‐ (Art. 120 Abs. 1). Weniger bekannt ist die Einrich‐ sitz in der von Jugoslawien verwalteten Zone.68 tung dreier internationaler Ausschüsse, denen Nachdem trotz mehrmaliger Anfragen (sowohl ein eigener Abschnitt des 5. Teils gewidmet war. von der österreichischen Regierung als auch dem Die Mitglieder des interalliierten Heeresüberwa‐ Präsidenten der Kommission) die Botschafter‐ chungsausschusses (HÜA), des interalliierten konferenz der Bitte um Zurverfügungstellung Marineüberwachungsausschusses (MÜA) und von Truppen zur Sicherung des ordnungsgemä‐ des interalliierten Luftfahrtüberwachungsaus‐ ßen Ablaufs der Abstimmung nicht nachkam, ge‐ schusses (LÜA) wurden von den AAHM ernannt lang es in letzter Minute, eine Entsendung alliier‐ und ihnen oblag die Überwachung der Durch‐ ter Soldaten vom Heeresüberwachungsaus‐ führung all jener Bestimmungen über Landheer, schuss aus Wien zu erreichen.69 Am Abstim‐ Seemacht und Luftfahrt des VSG, für die eine mungstag bereisten die Mitglieder der Kommis‐ zeitliche Grenze festgesetzt worden war sion zudem selbst das Abstimmungsgebiet.70 Das (Art. 149). In gewisser Weise konnten sie als Fort‐ Ergebnis wurde von allen unterzeichnet71 und – setzung der bereits seit Abschluss des Waffen‐ nachdem die Kommission am 18. Oktober die stillstands in Österreich befindlichen Militärkom‐ Verwaltung der Zone selbst hatte übernehmen missionen und ‐missionen angesehen werden.74 müssen – erging am 27. Oktober ihr Rechen‐ Die allgemeine Zeitspanne für die Demobilisie‐ schaftsbericht gemäß Art. 50 Abs. 13 VSG, in dem rung war gem. Art. 118 und Art. 156 mit drei Mo‐ sie auf den reibungslosen Ablauf am Abstim‐ naten ab Inkrafttreten des Vertrags bemessen. mungstag hinwies und mögliche Gründe dafür Eine dreimonatige Frist galt im Besonderen für anführte.72 Die Kommission blieb daraufhin noch 64 Freie Stimmen, Nr. 194 v. 26. 8. 1920, 1. 72 Ebd. I, 200. Neben der Präsenz der 58 Offiziere der 65 WAMBAUGH, Pleciscites I, 186. Interalliierten Kontrollkommission werden die Sieges‐ 66 Vgl. ebd. 188f. sicherheit beider Parteien, die frühe Registrierung, das 67 Während die österreichischen Truppen bereits bis Alkoholverkaufsverbot, der von der Bevölkerung be‐ 27. 8. 1920 ihre Zone geräumt hatten, zog sich der offi‐ fürwortete Abstimmungsablauf, die Haltung der Gen‐ zielle Abzug der jugoslawischen Truppen bis 14. 9. hin. darmerie und die Sicherstellung des Grundsatzes der WAMBAUGH, Plebiscites I, 191. geheimen Abstimmung als mitverantwortlich ge‐ 68 Ebd. I, 191–193. nannt. Ein Abdruck des Berichts findet sich bei WAM‐ BAUGH, Plebiscites II, 159–162. 69 Ebd. I, 195f. 73 Ebd. I, 200. 70 Ebd. I, 198. 74 FREISE, Kommissionen 60. 71 Ebd. I, 198.
Kommissionen, Ausschüsse, Tribunale 97 die Herabsetzung von Bewaffnung und Muni‐ tigkeiten berechtigen.76 Diese Anfangsschwierig‐ tion (Art. 130 Abs. 1, Art. 131 Abs. 2) sowie die keiten, weitere kleinere Zwischenfälle,77 und die Deponierung bzw. Auslieferung der überschie‐ Uneinigkeit der Ausschussmitglieder unterei‐ ßenden Bestände (Art. 130 Abs. 2, Art. 133), die nander sollten in weiterer Folge eine Verzöge‐ Schließung oder Umwandlung aller Anlagen zur rung ihrer Tätigkeit nach sich ziehen.78 Waffenerzeugung (mit Ausnahme einer Fabrik) Die Zusammensetzung der Interalliierten Über‐ zum wirtschaftlichen Gebrauch (Art. 132 Abs. 3) wachungsausschüsse hatte nach dem gleichen sowie die Schließung aller nicht mehr benötigten Grundmuster zu erfolgen: Sie setzten sich aus‐ Arsenale verbunden mit der Entlassung des Per‐ schließlich aus von den AAHM ernannten Mit‐ sonals (Art. 132 Abs. 4) und die eingeschränkte gliedern zusammen, als deren Vertreter sie in den und überwachte Verwendung der Wiener draht‐ betreffenden Angelegenheiten fungierten. Öster‐ losen Großstation sowie das Verbot der Errich‐ reich war in den Ausschüssen durch einen „Be‐ tung einer weiteren (Art. 143). Abweichende auftragten“ vertreten, dem eine rein passive, bo‐ Fristen gab es im Abschnitt für die Luftfahrt: Be‐ tenähnliche Rolle zugedacht war, die in Art. 151 reits mit Inkrafttreten des Vertrags war das ge‐ Abs. 2 mit dem Entgegennehmen von Mitteilun‐ samte militärische und Marine‐Luftfahrzeug‐ gen und der Beschaffung und Übergabe aller Material auszuliefern (Art. 148 Abs. 1);75 die De‐ vom Ausschuss verlangten Schriftstücke um‐ mobilisierung hatte innerhalb von zwei Monaten schrieben wurde. Als Sitz der Dienststellen war zu erfolgen. Innerhalb von sechs Monaten blieb in Art. 150 Wien festgelegt worden, wobei sich die Erzeugung, Ein‐ und Ausfuhr von Luftfahr‐ die Ausschüsse, auch in Form von Unteraus‐ zeugen und Luftfahrzeugmotoren, auch in Tei‐ schüssen und Beauftragten, im gesamten Bun‐ len, auf österreichischem Gebiet verboten desgebiet frei bewegen durften. Unterhalt und (Art. 147); bis zur völligen Räumung war den Kosten hatte Österreich zu tragen (Art. 151 Flugzeugen der alliierten und assoziierten Abs. 2). Angesichts ihrer Zusammensetzung han‐ Mächte (AAM) freie Fahrt sowie Durchfahrts‐ delte es sich bei den Überwachungsausschüssen und Landungsfreiheit zu gewähren (Art. 146). um gemeinsame internationale Organe der Alle Fristen waren jeweils ab Inkrafttreten des AAHM, die mit bestimmten durch den VSG fest‐ VSG zu berechnen. gelegten Aufgaben betraut waren. Hervorzuhe‐ Art. 151, der die Mitwirkungspflicht der österrei‐ ben ist auch hier die Rolle der Botschafterkonfe‐ chischen Regierung festlegte, hatte bereits früh renz, die als diplomatische Instanz nicht nur in Anlass zu Unstimmigkeiten zwischen Österreich die Kommunikation eingebunden wurde, son‐ und den Überwachungsausschüssen gegeben, dern auch wesentliche Entscheidungen in der Sa‐ nachdem die Botschafterkonferenz am 14. Feb‐ che traf. Dies erscheint insofern von Interesse, als ruar 1920 die vorzeitige Entsendung der Aus‐ ihre Tätigkeit nicht auf die Regelung des Staats‐ schüsse beschlossen hatte. Gegen diese vorzeitige vertrags zurückgeht, der ausdrücklich die allei‐ Entsendung (und Inanspruchnahme der vertrag‐ nige Vertretungsbefugnis der Ausschüsse vor‐ lichen Rechte) bestanden Vorbehalte vonseiten sah. Österreichs, das sich auf den Standpunkt stellte, Eine genauere sachliche Umschreibung der je‐ die Entsendung könne nur zu vorbereitenden Tä‐ weiligen Überwachungspflichten erfolgte für je‐ den Ausschuss in Art. 153 bis 155. Daneben war 75 Alle Kriegsschiffe und Unterseeboote wurden eben‐ 77 Dies betraf insbesondere die Tätigkeit des Luftfahrt‐ falls mit Inkrafttreten als ausgeliefert erklärt (Art. 136). überwachungsausschusses, siehe dazu noch unten so‐ 76 FREISE, Kommissionen 60. wie FREISE, Kommissionen 83. 78 Ebd. 61.
98 Laura R. RATHMANNER für jeden Ausschuss ausdrücklich die Entgegen‐ Chef der französischen Militärmission.83 Inoffizi‐ nahme der Auskünfte der österreichischen Regie‐ ell bestand der „Rat des Heeresüberwachungs‐ rung, die einer umfassenden Auskunfts‐ und ausschusses“, in dem sich die Leiter der nationa‐ Mitteilungspflicht unterlag, normiert. len Delegationen abstimmten.84 Japan war nur im Der Heeresüberwachungsausschuss (HÜA) hatte Präsidium, Großbritannien auch in den Unter‐ gemäß Art. 153 Abs. 2 die Ablieferung von Waf‐ ausschüssen vertreten; der ursprünglich vorgese‐ fen, Munition, Kriegsgerät, Werkzeug für Kriegs‐ hene US‐amerikanische Beobachter wurde nie fabrikationen entgegenzunehmen, die Orte, wo entsendet.85 diese Ablieferung stattzufinden hatte, festzuset‐ Der Marineüberwachungsausschuss (MÜA) zen und die durch den gegenwärtigen Vertrag hatte gemäß Art. 154 Abs. 1 besonders die Auf‐ vorgesehenen Zerstörungen, Außergebrauchset‐ gabe, sich auf die Bauwerften zu begeben und zungen oder Umwandlungen zu überwachen. den Abbruch der dortigen Schiffe zu überwa‐ Auch hatte er zu entscheiden, was mit den An‐ chen, die Ablieferung der Waffen, der Munition langen oder Arsenalen, die über das zulässige und des Materials für die Seekriegsführung ent‐ Ausmaß hinausgingen und daher zu schließen o‐ gegenzunehmen und die vorgesehenen Zerstö‐ der mit rein wirtschaftlicher Zielsetzung zu ver‐ rungen und Abbrüche zu überwachen, nachdem sehen waren, zu geschehen hatte (Art. 132 die österreichisch‐ungarische Flotte bereits im Abs. 5). Organisatorisch unterteilte er sich weiter Herbst 1918 ausgeliefert worden war.86 Er war in das Präsidium und zwei Unterkommissio‐ mit einer Mannschaft zwischen zehn und dreißig nen,79 eine Unterkommission für Organisation Personen bedeutend kleiner als der HÜA und und Stände (Durchführung von Kapitel II–IV die‐ stand ebenfalls unter italienischer Leitung (Vize‐ ses Abschnitts des VSG)80 und die Unterkommis‐ admiral Umberto Cagni, zumeist vertreten durch sion für Bewaffnung und Material (Durchfüh‐ Unteradmiral Ciro Canciani).87 Auch dieser Aus‐ rung von Kapitel V dieses Abschnitts des VSG), schuss nahm seine Tätigkeit vorzeitig auf, sie deren Tätigkeit in besonderem Maße unvollstän‐ stellte sich jedoch wesentlich unproblematischer dig bleiben sollte.81 An der Spitze des Präsidiums dar als die des HÜA:88 Nach Beantwortung seines stand der italienische General Zuccari,82 auch die Fragebogens durch die Marineabteilung des Mi‐ Unterkommission für Bewaffnung und Material litärliquidierungsamtes und entsprechenden Be‐ stand unter italienischer Leitung; die Unterkom‐ sichtigungen wurden die (wenigen) noch not‐ mission für Organisation und Stände leitete der wendigen Zerstörungen und Materiallieferungen 79 Ebd. 63. Umgestaltung zur anderweitigen Nutzung. Vgl. 80 Diese Unterkommission konzentrierte sich auf den FREISE, Kommissionen 69–72. Aufbau der neuen Wehrmacht, wobei mehrere Artikel 82 Ebd. 62. des neuen Wehrgesetzes 1920 beanstandet wurden, 83 Ebd. 64. insbesondere auch in Bezug auf die Frage der Rekru‐ 84 Ebd. 63. tierung und der Offiziersschulen. Besondere Aufmerk‐ 85 Ebd. 63. Die Gesamtgröße des Ausschusses lag nach samkeit galt auch der gem. Art. 123 vorgeschriebenen dem Eintreffen der ersten Staffel im April 1920 bei 30 Beschränkung der Sicherheitskräfte, über deren Stand Offizieren und 77 Mann, ab Mitte Juli 1920 waren es 72 über die Tätigkeitsdauer des Ausschusses hinaus zum Offiziere und über 200 Mann. Teil bis 1928 Nachweise verlangt wurden. Vgl. aus‐ 86 Vgl. FREISE, Kommissionen 74. führlich FREISE, Kommissionen 64–67. 87 Vgl. ebd. 74. 81 Die Tätigkeit der Unterkommission für Bewaffnung 88 Aus Sicht des österreichischen Beauftragten sei er und Material, deren Beschlagnahme des gesamten Ma‐ terials und Versuch der Neuinventarisierung, führte ohnehin „gänzlich überflüssig und zwecklos gewe‐ zu Streitigkeiten um den Begriff des „Kriegsmaterials“, sen“. über die Kontrollbefugnis und die Möglichkeit seiner
Kommissionen, Ausschüsse, Tribunale 99 vorgenommen.89 Nach Art. 136 Abs. 3 oblag dem VSG, alle österreichischen Flugplatzanlagen und Ausschuss zudem die Auswahl der drei Aufklä‐ alles Flugmaterial unter bestimmten Auflagen an rungsfahrzeuge, die für die Donau behalten wer‐ die neu gegründete Luftfahrwesen‐Gesellschaft den durften. Auf Ersuchen der österreichischen übertragen worden war.93 Die österreichische Re‐ Regierung und mit Zustimmung der Botschafter‐ gierung verneinte daher die Verfügungsbefugnis konferenz wurden schließlich vier Patrouillen‐ des Ausschusses nicht nur in zeitlicher Hinsicht boote zugesprochen, die im Mai 1921 in Wien ein‐ (wie beim HÜA), sondern ganz prinzipiell mit langten.90 Auch die Überwachung der Wiener Ra‐ dem Argument, dass es sich bei den betreffenden diostationen wurde zunächst vom MÜA, nach Gegenständen um Privatvermögen handle.94 dessen Auflösung vom HÜA durchgeführt.91 Die Schließlich wurde im Juli 1920 die Kommunika‐ ebenfalls auf den HÜA übertragene Überwa‐ tion mit dem LÜA einer eigens geschaffenen chung der noch verbliebenen geringfügigen Ma‐ „Luftfriedenskommission“ unter der Leitung des terialfragen blieb von diesem jedoch unerledigt.92 österreichischen Beauftragten übertragen und Der Luftfahrtüberwachungsausschuss (LÜA) die (Rück‐)Übertragung des Materials an eine schließlich hatte den Bestand des in den Händen „Staatstreuhandgesellschaft“ beschlossen, wobei der österreichischen Regierung befindlichen die Vertragsauflösung mit der Luftfahrgesell‐ Flugzeugmaterials aufzunehmen, die Werkstät‐ schaft erst Ende des Jahres gelang.95 Nach dem ten für Flugzeug, Ballons und Luftfahrzeugmoto‐ österreichischen Beitritt zum Völkerbund konn‐ ren, die Fabriken für Waffen, Munition und ten die Flugplätze in Graz, Wien‐Aspern, Kla‐ Sprengstoffe, die von Luftfahrzeugen verwendet genfurt und Innsbruck, nicht aber in Wiener Neu‐ werden konnten, zu besichtigen, alle auf österrei‐ stadt, für die zivile Luftfahrt beibehalten werden; chischem Boden befindlichen Flugplätze, Hallen, da Österreich die Frist zur Materialübergabe Landungsplätze, Parks und Lager zu besuchen gem. Art. 147 nicht eingehalten hatte, wurde das und gegebenenfalls die Verbringung des er‐ dortige Ein‐ und Ausfuhrverbot zunächst auf un‐ wähnten Materials an einen anderen Ort zu ver‐ bestimmte Zeit verlängert und erst im Herbst anlassen und es zu übernehmen (Art. 155 Abs. 1). 1922 aufgehoben.96 Die endgültige Abschaffung Wie der HÜA gliederte sich der LÜA in ein Prä‐ sämtlicher Kontrollvorschriften erfolgte schließ‐ sidium und zwei Unterkommissionen, die Unter‐ lich mit dem Luftschifffahrtsabkommen vom kommission für die Erzeugung von Luftfahrma‐ 27. Oktober 1927.97 terial und die Unterkommission für die Heeres‐ Während der MÜA bereits im August 192098 nach und Luftschifffahrt; insgesamt gehörten dem un‐ gut vier Monaten seine Tätigkeit beendet hatte ter der Leitung des französischen Oberst Barrès und seine restliche Aufgaben vom HÜA über‐ stehenden Ausschuss zwischen elf und zwanzig nommen wurden, blieben der HÜA und der LÜA Offiziere sowie einundzwanzig Mann an. Für die bis 20. Februar 1921 bestehen.99 Ihre Auflösung Durchführung der Vertragsbestimmungen ergab erfolgte gegen den Willen Italiens und wurde mit sich eine eigene Herausforderung daraus, dass im Juli 1919, mithin bereits vor Abschluss des 89 Vgl. FREISE, Kommissionen 74–76. 96 Ebd. 81f. 90 Vgl. ebd. 76. 97 Ebd. 82. 91 Ebd. 75. 98 Die Schlusssitzung fand am 8. 8. 1920 statt, vgl. 92 Ebd. 77. FREISE, Kommissionen 76. 93 Ebd. 78. 99 Ebd. 73, 82. 94 Ebd. 79. 95 Ebd. 79f.
100 Laura R. RATHMANNER der finanziellen Belastung Österreichs begrün‐ lich eine Heimkehr der über die ganze Welt ver‐ det.100 Sie kam zu einem Zeitpunkt, als noch zahl‐ streuten Kriegsgefangenen zu bewirken.106 Be‐ reiche Arbeiten durchzuführen waren und über‐ reits im November 1918 war vom Staatsrat eine raschte auch die Ausschussmitglieder.101 Für die Kommission unter der Leitung von Slatin Pa‐ Abwicklung der noch offenen Tätigkeiten wurde scha107 zur Kriegsgefangenensache eingerichtet ein Liquidationsorgan eingesetzt, dessen Leitung worden, die sich diesbezüglich um die Herstel‐ dem bisherigen Leiter der Unterkommission für lung einer Verbindung mit den Kriegsgegnern Stände und Organisation, General Hallier, über‐ bemühte.108 Noch vor Aufnahme der Friedens‐ tragen wurde.102 Seine Mitgliederanzahl war verhandlungen wurde die „Staatskommission schwankend und verringerte sich bis zu seiner für Kriegsgefangene und Zivilinternierte“109 ein‐ Auflösung am 31. Jänner 1928 auf sieben Mann.103 gesetzt, die aus Vertretern der Angehörigen und Wenig überraschend ging die weitere Abrüstung Kriegsgefangenenorganisationen bestand. Auch nun noch schlechter voran, sodass, wie es im Be‐ ihr war zunächst wenig Erfolg beschieden, da gleitbrief zu den Abschlussberichten vorsichtig vonseiten der diplomatischen Vertreter der aus‐ formuliert wurde, bei Abschluss der Arbeiten, stehende Friedensschluss als Verhandlungsbe‐ „,nicht alle Fragen‘ der österreichischen Abrüs‐ dingung genannt wurde. Bei den Friedensver‐ tung ,befriedigend geklärt‘ worden“104 waren.105 handlungen wurde zwar sogar ein persönliches Erscheinen Slatin Paschas vor dem zuständigen Ausschuss ermöglicht,110 der ursprüngliche Ent‐ 5. Kriegsgefangene und wurf der Friedensbedingungen vom 2. Juni er‐ fuhr jedoch trotz der drängenden Bitten der De‐ Grabstätten legation111 keine wesentliche Abänderung.112 (Teil VI, Abschnitt I) Gemäß Art. 161 war zur Organisation der Heim‐ Wie aus dem Bericht der Friedensdelegation her‐ schaffung der österreichischen Kriegsgefangenen vorgeht, kam der Frage der Kriegsgefangenen und Zivilinternierten, die „nach Inkrafttreten des von österreichischer Seite höchste Aufmerksam‐ gegenwärtigen Vertrages so bald wie möglich keit zu. Während die Monarchie keinerlei Auf‐ stattfinden und mit der größten Beschleunigung“ zeichnungen zu Zahl und Ort der Kriegsgefange‐ (Art. 160) und nach dem Prinzip der Gegenseitig‐ nen geführt hatte, stand die junge Republik von keit (Art. 167) zu erfolgen hatte, die Bildung eines Anfang an unter dem Druck, so rasch wie mög‐ Ausschusses vorgesehen. Dieser Ausschuss sollte 100 Ebd. 84, 73. aus seiner Zeit in Nordafrika über gute Kontakte zu 101 Ebd. 73. Vgl. auch HEIDEKING, Areopag 332. britischen Adelskreisen. Vgl. SAUER, Slatin. 102 FREISE, Kommissionen 73. Am 1. 11. 1923 wurde die‐ 108 RICHTER, Befreiung 1. 109 Gesetz vom 3. April 1919 über die Kriegsgefange‐ ser von seinem Landsmann Oberst Leopold Oudry ab‐ gelöst. nen‐ und Zivilinterniertenfrage StGBl. 214/1920. 103 FREISE, Kommissionen 84f. 110 Vgl. Friedensdelegation, Bericht II, 4. Dies war die 104 Zit. nach HEIDEKING, Areopag 337. einzige Ausnahme von den durchwegs schriftlichen 105 Vgl. zur Tätigkeit des Liquidationsorgans HEIDE‐ Verhandlungen. KING, Areopag 332–337. 111 Siehe die Note über die Kriegsgefangenen vom 106 RICHTER, Befreiung 1. 16. 7., Friedensdelegation, Bericht II, 58–60, Antwort 107 Dieser hatte ab 1915 als stellvertretender Direktor auf die Friedensbedingungen vom 20. 7., Friedensdele‐ des Informationsbüros für Kriegsgefangene und Vize‐ gation, Bericht II, 136–138. präsident des Kriegsgefangenenausschusses des Ös‐ 112 Siehe den vergleichenden Abdruck in Friedensdele‐ terreichischen Roten Kreuzes fungiert und verfügte gation, Bericht I, 55.
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