FAHRZEUGVERNETZUNG REVOLUTIONIERT MOBILITÄT - PERSPEKTIVE Perspektiven, Chancen und Herausforderungen für NRW
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PERSPEKTIVE FAHRZEUGVERNETZUNG / Juni 2016 REVOLUTIONIERT MOBILITÄT Perspektiven, Chancen und Herausforderungen für NRW
INHALT INHALT 2 AUTOREN 3 VORWORT 4 1 EXECUTIVE SUMMARY 6 2 WIRTSCHAFT: TREIBER, POTENZIALE UND HANDLUNGSFELDER 8 2.1 Digitale Services und Geschäftsmodelle 10 2.2 Wertschöpfungsketten und neue Kooperationen 14 3 TECHNIK: DATEN, KOMMUNIKATION UND SICHERHEIT 16 3.1 Datenakquisition im Fahrzeug 19 3.2 Kommunikation zwischen Fahrzeugen und Umwelt 25 3.3 Safety, Security und Privatsphäre 30 3.4 Robustheit, Qualitätssicherung und Tests 35 4 GESELLSCHAFT: INTELLIGENTE VERKEHRSSYSTEME, AKZEPTANZ UND ARBEITSMARKT 40 4.1 Intelligente Verkehrssysteme 40 4.2 Gesellschaftliche Akzeptanz 43 4.3 Begleiterscheinungen für den Arbeitsmarkt 45 5 POLITIK: GESETZGEBER, STANDARDISIERER UND FÖRDERER 46 5.1 Vernetzte Fahrzeuge und Kommunikationsinfrastrukturen 46 5.2 Voraussetzungen für offene und agile Märkte 47 5.3 Förderprogramme und Testumgebungen 48 5.4 Rechtssicherheit und vernetzte Fahrzeuge 49 6 NORDRHEIN-WESTFALEN: AUTOMOTIVE UND IKT 50 6.1 Automobilbranche 50 6.2 IKT-Branche 51 6.3 Forschungslandschaft 51 6.4 Akteure 53 6.5 Projekte 55 ABBILDUNGEN / TABELLEN 60 ABKÜRZUNGEN 61 LITERATURVERZEICHNIS 62 CPS.HUB / NRW 2
Autoren Monika Gatzke Gregor Engels Claudia Motzek Christoph Sommer Martina Schneider Katharina Stahl Lena Weigelin Stefan Gries Christoph Ide Volker Gruhn Johannes Pillmann Marc Hesenius Christian Wietfeld Julius Ollesch Michael Patalas Kontakt Institut SIKoM+ | Bergische Universität Wuppertal Rainer-Gruenter-Straße 21 42119 Wuppertal E-Mail: kontakt@cps-hub-nrw.de Telefon: +49 202 439–1026 Fax: +49 202 439–1037 www.cps-hub-nrw.de | www.facebook.com/cpshubnrw | www.twitter.com/cpshub CPS.HUB / NRW 3
VORWORT Fahrzeugvernetzung revolutioniert Mobilität – Analyse eines für NRW zentralen Themas Mobilität wird neu erfunden: Können autonome Fahrzeuge unser Leben tatsächlich ein- facher machen? Rund um die Welt werden Konzepte diskutiert, die den Personen- ebenso wie den Gütertransport grundlegend anders gestalten. Einige Bausteine gehören durchaus schon jetzt zu unserem Alltag: Immer mehr Assistenzsysteme unterstützen uns in Autos beim Fahren, autonome Transportsysteme befördern Güter und in man- chen Fällen liefern Roboter Pakete aus. Den Blick in die Zukunft zu richten und lediglich zu fragen, um Themen wie Connected Cars und Mobilität auf vier ob und wann der Verkehr auf unseren Straßen ganz ohne Ebenen zu beziehen. Es geht um die relevanten For- menschliche Fahrer fließt, grenzte allerdings das Innovati- schungs- und Entwicklungs-Themen, ihre Entwicklungsli- onsfeld sträflich ein. Heute gilt es, den Horizont zu öffnen, nien und -reife zur Einschätzung des wissenschaftlich- um auch die Potenziale und Herausforderungen erkennen technologischen Potenzials. Marktprognosen, Branchen- zu können, die sich jetzt und in den kommenden Jahren auswirkungen, mögliche disruptive Tendenzen sind we- durch die Verbindung von vielfach, aber nicht ausschließ- sentlich für die Annäherung an das wirtschaftliche Poten- lich, digitalen Innovationen ergeben werden. „Thinking tial. In Hinsicht auf das gesellschaftliche Potential stellt outside the box“ heißt es dazu oft handlungsleitend. sich unter anderem die Frage, welcher Beitrag durch digi- CPS.HUB NRW ergänzt den notwendigen nächsten Schritt tale Innovationen zur Lösung der großen gesellschaftli- mit dem Denken in Cyber Physical Systems: Mehr oder chen Herausforderungen zu erwarten ist. Die Strategien weniger autonome Fahrzeuge bilden den Ausgangspunkt unserer Landesregierung und die Diskussion des Themas für die Analyse des Wandels unseres komplexen Mobili- im politischen Kontext versucht der Punkt politisches tätssystems. Potenzial zu fassen. Die entstehenden digitalen Innovationen werden in ihren Die vorliegende Analyse unterscheidet die vier Dimensio- Zusammenhängen, Abhängigkeiten und Veränderungen nen Wissenschaft, Wirtschaft, Gesellschaft und Politik, um betrachtet und dabei wird insbesondere auch die wech- Ansatzpunkte in diesen Bereichen zu identifizieren, die es selseitige Beeinflussung durch Wirtschaft und Gesell- ermöglichen konkrete Handlungen umzusetzen. Gleichzei- schaft in den Blick genommen. Denn nicht allein die wis- tig werden die wechselseitigen Einflüsse, die diese Berei- senschaftlichen und technischen Faktoren sind für die che aufeinander nehmen, betrachtet. digitale Transformation durch „Connected Cars“ aus- schlaggebend, ebenso wichtig ist das wirtschaftliche In den vergangenen Monaten wurde in unseren Fachgrup- Handeln von Unternehmen, die Aufnahme des Themas pen, fundiert vorbereitet und begleitet durch unsere Lead durch die Politik und die Zivilgesellschaft. Experts, intensiv diskutiert, z. B. über intelligente Systeme in der Logistik 4.0, die Nutzung von Positionsdaten im Für uns im CPS.HUB NRW bedeutet Denken in Cyber Verkehr sowie Perspektiven der Car-2-X Kommunikation. Physical Systems also das Innovationsgeschehen rund Die Ergebnisse aus den Fachgruppen wurden ergänzt CPS.HUB / NRW 4
durch wertvolle Anregungen und Informationen aus dem Herausforderungen für NRW“ möchten wir Ihnen eine CPS.HUB-Netzwerk und vielfältige Expertengespräche Zwischenbilanz geben. Ziel ist es, einen Überblick über die sowie die Analyse zahlreicher Studien und Fachpublikatio- wesentlichen Entwicklungslinien zu schaffen. Dement- nen. sprechend mussten wir die Komplexität reduzieren und auf analytische Tiefe in einzelnen Aspekten verzichten – Mit der vorliegenden Publikation „Fahrzeugvernetzung zumindest in der hier nun vorliegenden Veröffentlichung. revolutioniert Mobilität – Perspektiven, Chancen und Abbildung 1 – Dimensionen des digitalen innovationsökosystems Darüber hinaus verläuft die Entwicklung dynamisch: Na- Für alle Fragen, Anregungen und Kritik zu diesem Papier hezu täglich wird über neue Aktivitäten berichtet, die un- stehen Ihnen die Autoren, mich eingeschlossen, wie üblich ser Mobilitätssystem digital verändern. Vor diesem Hin- gern zur Verfügung. Wir würden uns freuen, wenn Sie sich tergrund kommt es auch darauf an zu wissen, wer sich in eingeladen fühlen, im Rahmen des CPS.HUB NRW (weiter- der näheren Umgebung, also in unserem Innovationsöko- hin) gemeinsam daran mitzuwirken, die digitale Transfor- system in Nordrhein-Westfalen, mit welchem Thema mation in Nordrhein-Westfalen auch zum Thema Mobilität kompetent beschäftigt. zu gestalten. Auch dazu stellen wir Ihnen einige wesentliche Informati- Herzliche Grüße onen über Kompetenzen und Projekte rund um Connected Cars in NRW zur Verfügung. Monika Gatzke CPS.HUB / NRW 5
1 EXECUTIVE SUMMARY Bis zum Jahr 2020 sollen weltweit über 220 Mio. vernetzte Fahrzeuge – Connected Cars – auf den Straßen unterwegs sein. Dahinter steht ein enormes Potenzial, das Ak- teure auf der ganzen Welt beschäftigt. Das Land Nordrhein-Westfalen hat durch seine starke IT-Branche, die Nähe zu den führenden Telekommunikationsanbietern, die exzel- lente Hochschullandschaft und die zahlreichen Unternehmen der Automobilindustrie einzigartige Ausgangsbedingungen, die Zukunft des vernetzen Fahrens mitzugestalten und davon zu profitieren. Bereits heute existieren zahlreiche Projekte und Akteure in NRW, die das Thema ambitioniert vorantreiben. In diesem Whitepaper wird die Fahr- zeugvernetzung aus vier zentralen Perspektiven beleuchtet. Das Innovationsfeld Connected Cars wird dabei in Hinsicht auf die wichtigsten wirtschaftlichen, technischen, gesellschaftlichen und politischen Potenziale und Herausforderungen für das Land Nordrhein-Westfalen untersucht: ob sie neue Partnerschaften mit der IT-Industrie einge- Wirtschaft hen und eigene Angebote vermarkten. / Connected Cars sind Wachstumstreiber der Automo- bilwirtschaft. Bereits für das Jahr 2016 wird für das Technik Connected-Car-Segment ein weltweites Umsatz- volumen von ca. 40 Mrd. Euro prognostiziert. Für 2020 / Die interne Fahrzeugkommunikation überträgt immer soll der Connected-Car-Markt allein in Deutschland ein größere Datenmengen; Die Menge an generierten Sen- Marktvolumen von 6,16 Mrd. Euro erreichen. [1] [2] sorsignalen übersteigt so eine kosteneffektive Über- tragungs- und Speicherkapazität. Um Analysen gezielt / Neue digitale Services eröffnen Potenziale über die durchführen zu können, müssen Daten skalierbar ag- Grenzen der Automobilindustrie hinaus. Connected- gregiert und gesammelt werden. Es bedarf Systeme, die Car-Services bieten enormes Potenzial, das sich nicht einen Zugang zu Fahrzeugsensordaten ohne große Ein- nur auf die Automobilindustrie beschränkt. So können stiegshürden ermöglichen. Dabei muss die technische auch branchenfremde Akteure die Schnittstelle zum Au- Machbarkeit von Big-Data- und Connected-Car- to nutzen, um ihre digitalen Services anzubieten. Projekten immer bedacht werden. Die Menge an gene- rierten Sensordaten in einem einzelnen Fahrzeug über- / Bei der Realisierung von Connected Cars werden neue steigt aktuell jedoch die kosteneffektive Übertragungs- Partnerschaften essenziell. Die Vernetzung des Fahr- und Speicherkapazität der am Markt verfügbaren Tech- zeugs eröffnet Markteilnehmern den Zugang zu neuen nologien. Geschäftsmodellen. Fahrzeughersteller müssen sich je- doch entscheiden, ob sie innovativen Playern aus der / Für die externe Fahrzeugkommunikation wird leis- Informations- und Kommunikationswirtschaft eine tungsstarke Kommunikationstechnik benötigt. Die Plattform für deren digitale Dienste bereitstellen oder Kommunikation zwischen Fahrzeugen und ihrer Umwelt CPS.HUB / NRW 6
wird zukünftig durch einen Mix aus Mobilfunksystemen Zentrale Elemente sind hier die Kommunikation zwi- und Nahbereichs-Kommunikationssystemen realisiert. schen den Fahrzeugen, eine cloudbasierte Vernetzung Moderne Lösungen verweben WLAN-Varianten und Mo- der Verkehrsinfrastruktur mit Leitsystemen zur Steue- bilfunktechnologien so, dass sich ihre jeweiligen Nach- rung von Verkehrsflüssen in Echtzeit und die Einbin- teile aufheben und ihre Vorteile ergänzen. dung von Connected Cars in intelligente Mobilitätsange- bote verkehrsmittelübergreifender Konzepte. / Die Verarbeitung von Fahrzeugdaten in der Cloud er- fordert offene Standards. Neuartige Dienste, wie bei- / Der Erfolg von Connected Cars hängt von der gesell- spielsweise das Anbieten hochpräziser und in Echtzeit schaftlichen Akzeptanz ab. Die Akzeptanz von techno- aktualisierter Karten, verlangen von vernetzten Fahr- logischen Innovationen wird dann erreicht, wenn sowohl zeuge das Hochladen von Informationen und Sensorda- auf individueller wie auf gesellschaftlicher Ebene die ten in die Cloud. Bei mehreren Millionen Connected Cars Nutzungsoptionen gegenüber Risikobefürchtungen auf europäischen Straßen entstehen große Datenmen- überwiegen. Eine zentrale Voraussetzung für breite ge- gen. Damit unterschiedliche Systeme miteinander sellschaftliche Akzeptanz ist der Datenschutz bzw. die kommunizieren können, bedarf es offener Standards. angemessene Wahrung der Privatsphäre der Kunden. Häufig werden proprietäre Formate verwendet, die ei- Gerade die Vereinbarkeit von Sicherheit auf der einen nen herstellerunabhängigen Informationsaustausch Seite und Wahrung der Privatsphäre auf der anderen schwierig bis unmöglich machen. Seite erfordert eine interdisziplinäre Zusammenarbeit aller Akteure. / Software wird zum entscheidenden Faktor bei der Sicherheit von Connected Cars. Die fortschreitende Vernetzung mit digitalen Diensten sowie drahtlose Car- Politik to-Car- und Car-to-X-Kommunikation eröffnen die Ge- fahr eines unberechtigten Zugriffs aus der Ferne. Daher / Die Politik muss die Rolle als Gesetzgeber, Standardi- muss die IT-Architektur in und um Connected Cars von sierer und Förderer erfüllen. Um die wirtschaftlichen, vornherein geschützt gegenüber Angriffen von außen wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Potenziale entworfen werden. Eines der essenziellen Mittel hierfür des vernetzten Fahrens optimal nutzen zu können, sind sind intensivierte und angepasste Software-Tests. Sie politische Weichenstellungen nötig. Die Politik muss die unterstützen Entwickler bei der Diagnose und frühzeiti- nötigen Standards und den Rechtsrahmen für die Neue- gen Erkennung von Fehlern innerhalb des Systems und rungen, die durch vernetzte Fahrzeuge entstanden sind potenziellen Sicherheitslücken. und in Zukunft noch entstehen werden, gestalten. Dar- über hinaus hat sie die Aufgabe, die technologischen Weiterentwicklungen im Rahmen entsprechender För- Gesellschaft derprogramme zu unterstützen. / Connected Cars in Verbindung mit intelligenten Ver- kehrssystemen bieten für urbane Umgebungen neue Mobilitäts-Lösungen. Connected Cars bieten Lösungen, um in Städten dem Verkehrszuwachs besser begegnen zu können oder den Bedürfnissen einzelner Bevölke- rungsgruppen besser gerecht werden. CPS.HUB / NRW 7
2 WIRTSCHAFT TREIBER, POTENZIALE UND HANDLUNGSFELDER Die Automobilbranche – einer der größten Industriemärkte der Welt – steht vor einem tiefgreifenden Wandel. Durch die unaufhaltsame Vernetzung mit dem Internet of Things entwickeln sich Fahrzeuge immer mehr zu komplexen mobilen Endgeräten auf vier Rä- dern. Als Connected Cars kommunizieren sie untereinander, mit dem Fahrer, dem Her- steller, ihrer Umgebung sowie vielfältigen Serviceanbietern und verarbeiten Informatio- nen in Echtzeit. Zahlreiche neue Services stehen dem Fahrer zur Verfügung. Die Impulse für neue Geschäftsmodelle kommen nicht nur aus der Branche selbst, sondern auch von großen Unternehmen der IT-Branche wie Google und Apple sowie innovativen Start- Up-Unternehmen. Die Vernetzung des Fahrzeugs eröffnet einer Vielzahl von Marktteil- nehmern den Zugang zu neuen Märkten und Geschäftsmodellen im Automobilsektor. Connected-Car-Lösungen werden dabei zu einem zentralen Wachstumstreiber der Wirt- schaft. Bereits für das Jahr 2016 wird für das Connected-Car-Segment ein weltweites Umsatzvolumen von ca. 40 Mrd. Euro prognostiziert (vgl. Abbildung 1). Digitale Anwen- dungen machen dann im Schnitt 10 Prozent aller Neuwagenumsätze im Premiumseg- ment aus [1]. Dieses Potenzial soll zukünftig noch weiter ansteigen: / Allein in Deutschland wird der Connected-Car-Markt / Der Connected-Car-Markt wird mit einer jährlichen im Jahr 2020 ein Marktvolumen von 6,16 Mrd. Euro Rate von 45 Prozent rund zehn Mal so schnell wach- erreichen; dies entspricht einem jährlichen Umsatz- sen wie der globale Gesamtautomobilmarkt [4]. wachstum von 27 Prozent [3]. / Bis zum Jahr 2021 soll Hard- und Software im Wert / Bis zum Jahr 2020 sollen weltweit über 220 Mio. von 122,6 Mrd. Euro in Fahrzeugen verbaut werden vernetzte Fahrzeuge auf den Straßen unterwegs sein (vgl. Abbildung 1). Mit knapp 49 Mrd. Euro liegt der [2]. Fokus der Umsatzgenerierung auf Sicherheitslösun- gen. Auf Rang zwei mit 39,6 Mrd. Euro liegen Techno- logien für das autonome Fahren. Auf dem dritten Platz folgen Unterhaltungssysteme mit gut 13 Mrd. Euro. [5] CPS.HUB / NRW 8
Abbildung 2 – Der Connected-Car-Markt 2016 und 2021 / Quelle: PwC [134] Im Folgenden werden die wirtschaftlichen Entwicklungen, Potenziale und Veränderungen, die durch den Connected- Car-Markt hervorgerufen werden, dargestellt. CPS.HUB / NRW 9
2.1 DIGITALE SERVICES UND GESCHÄFTSMODELLE Durch die innovative Verwendung von Datenverbindungen von und zwischen Fahrzeu- gen eröffnen sich neue Quellen der Wertschöpfung. Das Produkt Auto steht nicht länger im Fokus, sondern digitale Geschäftsmodelle und Services [6]. Diese Connected-Car- Services bieten ein enormes Potenzial, das sich nicht nur auf den Automobilsektor be- schränkt. So können Autoversicherungen durch die Vernetzung von Fahrzeugen Daten zum Fahrverhalten auswerten und speziell zugeschnittene Beiträge berechnen [7]. In der Logistik begleitet die Informationskette den physischen Verkehr, Routen werden optimiert, Teilladungen identifiziert und gesteuert sowie Kapazitäten ausbalanciert. Die durch die Vernetzung hervorgerufenen Mobilitätskonzepte können Einfluss auf das Ta- xi- und Mietwagengeschäft, Car-Sharing-Dienste oder den öffentlichen Nahverkehr ha- ben und einen Beitrag zur Lösung von gesellschaftlichen Herausforderungen leisten (vgl. Kapitel 4). Insgesamt lassen sich digitale Services und Geschäftsmodelle in die Ka- tegorien Sicherheit, B2B-Services, Navigation, Individualisierte Services und Infotain- ment unterteilen. 2.2.1 Sicherheit Der Fokus der Autohersteller bei Connected-Car- Nothaltesystem Entwicklungen lag in den vergangenen Jahren vor allem Die Idee des Nothaltesystems sieht vor, dass beim Erken- auf Sicherheitslösungen. Dabei spielen nicht nur Sicher- nen einer gesundheitlichen Notfallsituation des Fahrers heitsfunktionen beim Fahren eine Rolle, sondern auch die Warnblinkanlage eingeschaltet und das Fahrzeug kon- Diebstahlsicherungen. Eine Übersicht der Anwendungen, trolliert an den rechten Straßenrand manövriert wird. die zur Steigerung der Sicherheit beitragen, findet sich im Gleichzeitig soll ein Notruf mit relevanten Daten zur Einlei- Folgenden. tung der notwendigen medizinischen und verkehrstechni- schen Hilfsmaßnahmen abgesetzt werden. [9] eCall Im Fall eines Aufpralls oder wenn das Fahrzeug ins Diebstahlsicherung Schleudern gerät, lösen Sensoren einen Notruf an die Im Falle eines Diebstahls sendet das Fahrzeug automa- europaweite Notrufzentrale 112 aus. Es wird automatisch tisch eine Nachricht an den Halter mit Informationen über die aktuelle GPS-Position des Wagens an die Leitstelle den Standort sowie den Grund für den Alarm. [10] durchgegeben. Diese versucht daraufhin, mit dem Fahrer über eine automatisch aufgebaute eCall-Verbindung Kon- Lokale Sensorik und digitale Umfeldkarte takt aufzunehmen. Klappt dies nicht, werden sofort Ein- Empfangene Daten von anderen Fahrzeugen ergänzen satzhelfer an den Unfallort geschickt. Ab April 2018 wird Informationen über erkannte Hindernisse und Gefahren eCall zur Pflicht bei allen Neuzulassungen. [8] auf der Strecke. So entsteht eine hochpräzise, digitale CPS.HUB / NRW 10
Umfeldkarte, mit der Unfälle minimiert und Kosten ge- senkt werden können. [11] 2.1.2 B2B-Services Connected-Car-Services für den Bereich B2B eröffnen beim Werkstattbesuch ausgelesen. Die generierten Daten Unternehmen neue Optionen im After-Sales-Geschäft. Die stehen nur den einzelnen Werkstätten zur Verfügung, die folgende Darstellung gibt eine Übersicht über die derzeit diese auswerten. Die Echtzeit-Diagnose ermöglicht, dass diskutierten und zum Teil schon realisierten Anwendungen Zustands- sowie Diagnosedaten des Fahrzeugs den Her- aus diesem Bereich. stellern, ausgewählten Partnern sowie unabhängigen Fir- men bereitgestellt werden, um so Prognosen zu treffen, Flottenmanagement & Cross-Docking wann ein Problem im Fahrzeug entstehen wird und ob bzw. Schon heute werden GPS-gestützte Flottenmanagement- wie dieses schon vor Eintreten gelöst werden kann. [12] Lösungen aktiv genutzt. Unter Zuhilfenahme von Echt- zeitdaten lassen sich diese Lösungen noch weiter aus- Predictive Maintenance bauen. So können die Gesamtkosten je Fahrzeug redu- Ein weiteres Feld, das sich durch Echtzeit-Diagnosen ziert, Inspektionen und Reparaturen besser planbar ge- eröffnet, ist Predictive Maintenance. Werden Daten aus macht und die Fahrzeugauslastung einfacher gesteuert einzelnen Fahrzeugen gesammelt und mit Big-Data- werden. Bei Stau- oder Unfallmeldungen lassen sich durch Analyseverfahren ausgewertet, können z. B. Serienfehler Echtzeit-Verfolgung der Flotten Routen anpassen und identifiziert werden. Die Auswertung großer Datenmengen Zuladungen kurzfristig umdisponieren. Der Prozess des aus dem Connected Car könnte dazu beitragen, systema- Cross-Dockings – eine Warenumschlagsart, bei der die tische Probleme zu identifizieren und frühzeitig prophylak- Lagerung entfällt und Waren direkt den entsprechenden tisch zu beheben. [12] Warenausgängen zugeordnet und weiter versendet werden – kann somit optimiert werden. [12] Ladeschnittstelle Im Rahmen der Elektromobilität stellt die Ladeschnittstel- Maut Collect System le zwischen Elektrofahrzeugen und Ladeinfrastrukturen Jeder Lkw auf bundesdeutschen Autobahnen muss eine einen Markt-Enabler dar, dessen Funktionalität sich, ange- Maut zahlen. Das Maut Collect System berechnet diese fangen bei der Autorisierung des Ladevorgangs, über Abgaben vollautomatisch durch den Einsatz von GPS- Komfortfunktionen für den Nutzer bis hin zur energienetz- Daten und eine On-Board-Unit (OBU) im Fahrzeug. Durch verträglichen Netzintegration von E-Fahrzeugen erstreckt. die Lokalisierung des Fahrzeugs mittels Satellitennaviga- Dabei stellt die Ladeschnittstelle im OEM Umfeld eine tion sowie die in der OBU gespeicherten Streckendaten erste umfangreich standardisierte Kommunikations- kann die mautpflichtige Fahrstrecke berechnet werden. schnittstelle dar, die zugleich mit öffentlichen Infrastruk- Die dabei gesammelten Daten werden dann per Mobilfunk turen agiert. Andere Car-to-X Schnittstellen bedienen in ein Rechenzentrum übermittelt und dort für die Rech- hingegen zumeist geschlossene oder zumindest einge- nungsstellung verarbeitet. schränkte Umgebungen. Vor diesem Hintergrund, spielt die Ladekommunikation gegenüber anderen bekannten Echtzeit-Diagnosen Fahrzeugschnittstellen aus dem Connected Car Umfeld Aktuell werden die Diagnosedaten der etwa 54 Mio. zuge- eine Vorreiterrolle hinsichtlich Datensicherheits- und In- lassenen PKW auf deutschen Straßen [13] nur punktuell teroperabilitätsanforderungen. 2.1.3 Navigation Im Bereich Navigation sind Echtzeitdaten ein wichtiges Verkehrsmeldungen. Durch die Integration von umfassen- Thema. Navigationslösungen beruhen heute meist auf den Echtzeitinformationen z. B. durch die Einbindung des stationär im Fahrzeug vorhandenen Karten, hinterlegt mit Smartphones werden neue Services möglich. CPS.HUB / NRW 11
Echtzeit-Verkehrsinformationen Location-based Services Ein verbessertes Verkehrsmanagement ist durch den Unter Location-based Services werden ortsgebundene Austausch von Echtzeit-Informationen möglich. Zu diesen Dienste gefasst, welche dem Nutzer individuell abge- Informationen gehören u. a. Staumeldungen, Wetter, Un- stimmte Informationen mittels zeit- und positionsabhän- fälle, Falschfahrer, lokale Tankstellen mit aktuellen Preis- gigen Daten zur Verfügung stellen. So genannte Points of angaben und Parkplatzinformationen bei der Parkhaus- Interest bieten dem Fahrer Umgebungsinformationen z. B. suche. So kann z. B. im Falle eines Unfalls eine Warn- über Restaurants, Sehenswürdigkeiten oder Einkaufs- meldung in die Navigationsgeräte der sich nähernden möglichkeiten. Location-based Advertising macht anhand Fahrzeuge eingespeist werden und eine Verkehrsumlei- des aktuellen Aufenthaltsortes Angebote für Produkte und tung erfolgen. [12] Dienstleistungen. [14] 2.1.4 Individuelle Services Individuelle Services umfassen z. B. neue Mobilitätskon- starten. Gleichzeitig kann in jeder App auch mehr als ein zepte sowie personalisierte Fahrzeugeinstellungen. Bei- Schlüssel hinterlegt werden, wodurch sich verschiedene spiele aus dieser Kategorie finden sich folgend. Volvo Fahrzeuge auf der ganzen Welt nutzen lassen. [17] Concierge Service Vernetzte Mobilität Durch die Datensammlung von Umwelteinflüssen, wie z. B. Zielsetzung der vernetzten Mobilität ist es, flächende- Ort, Zeit, Wetter und Veranstaltungen sowie persönlichen ckend eine nahtlose Personenbeförderung zu ermögli- Gewohnheiten spricht eine Concierge-App Empfehlungen chen, die verschiedene Verkehrsmittel einbezieht. Dabei für den Fahrer aus. Diese können das automatische Ein- sollen Angebote des öffentlichen Nahverkehrs, der Bahn, schalten der Sitzheizung, die Auswahl eines Musiksenders von Mitfahrzentralen und Car-Sharing-Diensten sowie oder auch die Einstellungen des Sitzes und Spiegels um- auch Miet-Fahrräder etc. miteinander so vernetzt werden, fassen. [15] dass dem Nutzer bei Bedarf die optimale Verkehrsmittel- wahl und -kombination angeboten werden kann. [17] Bei- Zustellservice spiele dafür sind die Mobilitäts-Apps moovel und Ally. [18] Das eigene Auto als zentrales Lager für Bestellungen zu nutzen, ist der Kerngedanke des Zustellservices. Dabei Autoversicherungen wird das Fahrzeug als Lieferort verwendet, unabhängig Die Versicherungsindustrie hat in den letzten Jahren be- von seinem Aufenthaltsort. Der Kunde kann seine Einkäu- gonnen, die Kostenberechnung anhand von Telematik- fe bequem über eine App oder das Internet z. B. in der Studien zu verbessern. Als Grundlage dienen hierfür ano- Mittagspause vom Arbeitsplatz aus erledigen. Der Liefe- nyme Daten über das Fahrverhalten der Kunden, automa- rant kann mithilfe eines Schlüssels das Fahrzeug per tische Unfallmeldungen (eCall) oder die Ortung von ge- GPS-Daten orten und den Nutzer über die Zustellung be- stohlenen Fahrzeugen. Auf die individuelle Fahrweise nachrichtigen. Die Telematik-App „Volvo On Call“ bietet angepasste Abrechnungsmodelle werden durch so ge- diesen Service bereits an. [16] nannte Black Boxes ermöglicht, die in Fahrzeuge einge- baut werden. Sie übermitteln per GPS den Standort, mes- Digitale Schlüssel sen ständig die Geschwindigkeit und vergleichen sie mit Digitale Schlüssel ermöglichen per Smartphone-App einer dem jeweils erlaubten Limit. Sie registrieren, wie scharf Gruppe von Personen den Zugang zu einem Fahrzeug, um ein Autofahrer bremst und wie sein Fahrstil insgesamt ist. dessen Nutzung zu ermöglichen. Darüber hinaus kann der Diese Angaben werden permanent an eine Datensammel- Zugang zum Fahrzeug zeitlich oder räumlich einge- stelle gesendet und ausgewertet und sind die Grundlage schränkt werden. Ein Beispiel hierfür sind Volvo Cars digi- zur Ermittlung eines individuellen Versicherungsbeitrags. tale Schlüssel. Mit der App lassen sich nicht nur die Fahr- [7] zeugtüren öffnen bzw. schließen, sondern auch den Motor CPS.HUB / NRW 12
2.1.5 Infotainment Der Infotainment-Sektor kombiniert zahlreiche Anwen- Erste Lösungen für Internetradio-Dienste existieren be- dungen, die durch Big-Data-Nutzung, Musik- und Daten- reits: Das Online-Radio „detektor.fm“ ist als App in Autos streaming sowie Social-Media-Integration entstehen. Im von Ford verfügbar [21]. Der Fahrer kann über das Autora- Folgenden findet sich ein Überblick über Services und dio Livestreams und Podcasts abrufen. Ermöglicht wird Anwendungen aus der Kategorie Infotainment. das durch die Ford-eigene Connected-Car-Lösung „Ap- pLink“ [22]. Social Media Im Connected Car sind alle Systeme miteinander vernetzt. Mobiles Büro Auf diese Weise werden die Vorzüge des Onlinelebens Um die Fahrtzeit im Auto sinnvoll zu nutzen, offerieren auch im Auto verfügbar. Durch die Integration des Smart- verschiedene Dienste ein mobiles Büroangebot. Dazu phones wird das Dashboard um Social-Media-Funktionen gehört z. B. das Vorlesen und Diktieren von Textnachrich- ergänzt: Newsfeed, Facebook, Twitter oder personalisierte ten sowie die Bearbeitung von Präsentationen und Doku- Musikvorschläge. [19] menten [23]. Als erweiterter Telefondienst ist auch das Abhalten von Video-Konferenzen innerhalb des Fahrzeugs Internet Radio möglich. Eine erste Lösung bietet die Deutsche Telekom Integrierte Online-Musikdienste streamen Musik direkt mit der App „AutoRead“ an [24]. aus dem Netz ins Auto. Dies geschieht entweder direkt über den Boardcomputer des Autos oder über ein ange- schlossenes Smartphone [20]. CPS.HUB / NRW 13
2.2 WERTSCHÖPFUNGSKETTEN UND NEUE KOOPERATIONEN Die zahlreichen Connected-Car-Services und Anwendungen bieten großes wirtschaftli- ches Potenzial, die Automobilindustrie ist dadurch aber auch ganz neuen Einflussfakto- ren ausgesetzt. Kürzere Entwicklungszyklen, neue gesetzliche Regelungen, Verände- rungen des Kundenverhaltens sowie innovative Entwicklungen aus Bereichen wie Big Data, Cloud-Services oder Car-to-X-Kommunikation bringen teils tiefgreifende Verände- rungen mit sich. KPMG bezeichnet die Situation, in der sich die klassischen Fahrzeug- hersteller befinden, als „Iconic Change“: Tradierte Geschäftsmodelle laufen weiter, wäh- rend zur selben Zeit neue technologische Entwicklungen integriert werden und in Ser- vices und Geschäftsmodellen münden. Bestehende Strukturen werden dabei aufgebro- chen. Fahrzeughersteller müssen sich entscheiden, ob sie die Aufgabe des reinen „Blechbiegers“ übernehmen und innovativen Playern aus der Informations- und Kom- munikationswirtschaft wie Google und Apple das Fahrzeug lediglich als Plattform für deren digitale Dienste bereitstellen. Oder ob sie den Iconic Change bewältigen und zum „Gridmaster“ werden, neue Partnerschaften mit der IT-Industrie eingehen und somit ihre Kunden über die ganze Lebensdauer eines Fahrzeuges mit eigenen digitalen Ser- vices On-Car und Off-Car begleiten wollen. [6] Entscheiden die traditionellen Akteure der Automobilbran- In einem derartigen Ökosystem entstehen Kooperationen che sich dafür, die Rolle des „Gridmasters“ zu überneh- über die bisherigen Grenzen der Automobil- men, stehen sie vor der Herausforderung, Wertschöpfungskette hinaus und die Angebote der einzel- neue Kooperationspartner zu finden: Bestenfalls entsteht nen Unternehmen ergänzen sich (vgl. Abbildung 2). ein Connected-Car-Ökosystem, in dem Automobil- hersteller, Zulieferer, Telekommunikationsunternehmen, Cloud-Dienstleister, Big-Data-Analysten sowie App- Entwickler oder Soft- und Hardware-Anbieter zusammen arbeiten [25]. CPS.HUB / NRW 14
Abbildung 3 – Die neuen Player in der Automobilindustrie Quelle: PWC [134] Es haben sich bereits einige neue industrieübergreifende Eine weitere Entwicklung ist die Bereitstellung einer offe- Partnerschaften herauskristallisiert: nen Entwicklungsumgebung für externe Software- bzw. App-Entwickler durch die Fahrzeughersteller. Vorausset- / Die Autozulieferer Bosch und Continental gehen eine zung für eine derartige Zusammenarbeit ist die Bereitschaft Zusammenarbeit mit dem Kartendienst Here von BMW, der OEMs (Original Equipment Manufacturer) ihre „Head- Daimler und Audi ein und legen damit den Grundstein für Unit-Schnittstellen“ freizugeben. Auf diese Weise ist es dynamische Echtzeit-Karten [26]. möglich, Connected-Car-Funktionalitäten bzw. Software externer Hersteller zu integrieren. Beispiele dafür sind die / Das Berliner Start-Up-Unternehmen DoorBird hat in Plattform Open XC des Automobilherstellers Ford [29], Kooperation mit VW seine cloudbasierte Videotürklingel Mirrorlink vom Car Connectivity Consortium [30], Android in das Infotainmentsystem des Autoherstellers inte- Auto von Google [31] sowie Carplay von Apple [32]. griert und vernetzt das Auto auf diese Weise mit dem eigenen Zuhause [27]. / Pivotal hat mit Mercedes-Benz eine „Cloud native Connected Car App“ entwickelt, die die Fernsteuerung z. B. der Standheizung oder der Türverriegelung ermög- licht [28]. CPS.HUB / NRW 15
3 TECHNIK DATEN, KOMMUNIKATION UND SICHERHEIT Auf dem Weg zum autonomen Fahren steigt die Vernetzung von Fahrzeugen kontinuier- lich an. Fahrzeuge entwickeln sich immer weiter zu High-Tech-Computern auf Rädern. Bereits heute existieren Systeme, die das assistierte (unterstützte Längs- oder Quer- führung) und teilautomatisierte (fahrerüberwachte Längs- und Querführung) Fahren ermöglichen. Abbildung 4 – Stufen des automatisierten Fahrens [133] [135] CPS.HUB / NRW 16
Als Beispiel sei das Projekt „Highway Pilot Connect“ der die hochautomatisiertes Fahren ermöglicht: Durch diese Firma Daimler genannt, mit dem sich auf ausgewählten Systeme führt das Fahrzeug selbstständig Vorgänge aus deutschen Autobahnen und Fernstraßen LKW per WLAN wie z. B. das Auslösen des Blinkers, den Fahrspurwechsel elektronisch zu angekoppelten Fahrverbünden mit Klein- oder das Halten der Spur. Insgesamt unterscheidet der stabständen (sogenannten Platoons) zusammenschließen Verband der Automobilindustrie fünf Automatisierungs- können – und seit März 2016 dürfen. Nur noch der vor- stufen für den Vernetzungsgrad von Fahrzeugen: assis- derste LKW wird gelenkt; der Rest des Platoons folgt au- tiert, teilautomatisiert, hochautomatisiert, vollautomati- tomatisch. In einigen Jahren sollen bereits die ersten siert und fahrerlos (vgl.Abbildung 3). [33]. Fahrzeuge mit der nötigen Technik ausgestattet werden, Abbildung 5 – Technische Herausforderungen von Connected Cars [TU Dortmund] Der nächste Evolutionsschritt liegt im Connected Car – Die Zunahme der wechselseitigen Fahrzeugkommunikati- Stufe 2: Teilautomatisiertes Fahren. Während in klassi- on eröffnet neue Sicherheitsrisiken. Connected Cars ent- schen Fahrzeugen anfallende Daten hauptsächlich lokal stehen durch das Zusammenspiel verschiedener Cyber gesammelt und ausgewertet werden, müssen bei Connec- Physical Systems, nutzen offene, heterogene Netze und ted Cars enorme Datenmengen (Big Data) aufbereitet und Schnittstellen [33] und bieten so Angriffsflächen nach zudem ausgetauscht werden. Möglich wird der Informati- außen. Daher ist es essentiell, verwendete Netzwerke – onsaustausch durch leistungsstarke Kommunikations- sowohl innerhalb der Fahrzeuge als auch zu Schnittstellen technik sowie durch intelligent vernetzte Steuergeräte nach außen – vor unbefugtem Zugriff zu schützen. Kleine und Sensoren im Fahrzeug (vgl. Abbildung 4). Fehler in einzelnen Komponenten können enorme Auswir- kungen auf die Funktionalität des gesamten Fahrzeugs CPS.HUB / NRW 17
haben und lassen sich nur schwer zu ihrer Ursache zu- ellen Stand der Technik im Bereich Connected Cars. Die rückverfolgen. Wissenschaft, Wirtschaft und Politik arbei- Schwerpunkte liegen auf der Fahrzeugkommunikation, ten an Maßnahmen und Standards, die die Sicherheit von der Sicherheit von Daten und Verkehrsteilnehmern sowie Verkehrsteilnehmern und Daten gewährleisten sollen. Die der Sicherstellung von Robustheit und Zuverlässigkeit im folgenden Abschnitte bieten einen Einblick über den aktu- Connected Car. CPS.HUB / NRW 18
3.1 DATENAKQUISITION IM FAHRZEUG Das Herzstück von Connected Cars sind Assistenzsyteme, die dem Fahrer zusätzliche Informationen und Services bieten. Um diese Dienste bereitzustellen, ist eine echtzeit- fähige Erfassung, Aufbereitung und Auswertung der Daten notwendig – mittels Senso- ren und Aktoren, die als Cyber Physical Systems (CPS) vernetzt werden. Dabei werden Daten mittels zahlreicher Sensoren gesammelt, über so genannte Datenbusse trans- portiert und in Steuer- und Kontrolleinheiten des Fahrzeugs vearbeitet. Jeder einzelne dieser Schritte beinhaltet ganz eigene, systemimmanente Herausforderungen, aber auch Wege, diese zu meistern. 3.1.1 Sensoren als Sinnesorgane von Fahrzeugen Sensoren stellen die Sinnesorgane von Fahrzeugen dar, ausgewählter Sensoren. Sie werden in Komfortsensoren, deren Hauptaufgabe es ist, physikalische Phänomene und Sicherheitssensoren und Sensoren für den Antriebsstrang chemische Größen zu bestimmen und in elektrisch klassifiziert. Vor allem bei Sicherheits- und Komfortfunk- messbare Signale umzuwandeln. Sie beobachten die tionen ist in den letzten Jahren die Vielfalt stark gestie- Umwelt und generieren Inhalte, die vernetzte Fahrzeuge gen. Der Aufbau von Sensoren ist sehr verschieden. Un- austauschen können. Sensoren bilden damit die Grundla- terschieden werden sie häufig in passive, welche lediglich ge für Connected Cars und sind Kernelemente der Cyber durch Messen einer analogen Spannung abgelesen wer- Physical Systems. den können, und aktive Sensoren, die zusätzlich Messver- stärker und weitere Elektronik beinhalten. Die verbaute In modernen Fahrzeugen werden zwischen 50 und 100 Komplexität nimmt hierbei kontinuierlich zu, moderne Sensoren verbaut, Tendenz steigend. Je nach Ausbaustu- Sensoren besitzen eigene Auswertungselektronik. Dabei fe und Fahrzeugklasse wird diese Anzahl sogar weit über- werden analoge Signale direkt im Sensor abgetastet und schritten. Abbildung 5 zeigt beispielhaft die Vielfalt einiger digitalisiert. CPS.HUB / NRW 19
Abbildung 6 – Vielfalt der Fahrzeugsysteme mit Sensoren [132] Die Anforderungen an die Bauteile sind äußerst vielfältig. weder gegenseitig beeinflusst, noch durch andere elekt- Um Ausfallsicherheit und Zuverlässigkeit zu garantieren, romagnetische Felder und Störeinflüsse beeinträchtigt müssen sie starken Temperaturschwankungen standhal- wird. Der harte Preiskampf zwingt Fahrzeughersteller ten, sowie unempfindlich gegenüber Feuchtigkeit und dazu, die Herstellungskosten zu minimieren und gleichzei- Schmutz sein. Eine hohe elektromagnetische Verträglich- tig möglichst platzsparende, langlebige, kompakte und keit ist erforderlich, damit die Vielzahl an Sensoren sich leichte Sensoren zu entwickeln. 3.1.2 Kontroll- und Steuereinheiten zur Sensordaten-Verarbeitung Die Beobachtungen von Sensoren werden von verschie- ern und zu regeln. Sie werden in der Regel für eine spezifi- denen Kontrolleinheiten, den „Electronic Control Units“ sche Funktion gebaut, wie beispielsweise zur Motorsteue- (ECU), verarbeitet. Diese ECUs sind fest eingebaute, elekt- rung, ESP oder Airbag-Steuerung und in sicherheitskriti- ronische Kleincomputer, deren Aufgabe es ist, Sensoren schen Bereichen häufig redundant ausgelegt. Die gestie- von verschiedenen Stellen des Autos auszulesen, deren genen Rechenkapazitäten von aktuellen Microchips er- Daten zu verarbeiten und andere Komponenten zu steu- möglichen den ECUs dabei völlig neue Möglichkeiten. Field CPS.HUB / NRW 20
Programmable Gate Arrays (FPGA) und digitale Signalpro- Sekunde ausgewertet. Dies stellt eine hohe Anforderung zessoren (DSP) bieten enorme Rechenleistung auf kleins- sowohl an die ECUs und die darauf implementierten Soft- tem Raum und ermöglichen unter anderem Bilderkennung warealgorithmen als auch an die Qualität der Sensordaten. in Echtzeit. Diese Rechenleistung ist notwendig, um mo- dernste Assistenzsysteme wie Spurhalteassistenten zu Typischerweise sind heutzutage zwischen 40 und 70 realisieren. Aber auch ECUs von Sicherheitssystemen wie ECUs in Fahrzeugen verbaut. Während Sensoren die Sin- Airbag oder eCall-Systemen erfordern eine hohe Rechen- nesorgane darstellen, bilden die einzeln verteilten und kapazität. Damit sich ein Airbag im Falle eines Unfalls dezentral organisierten ECUs zusammen das Gehirn der innerhalb von 50 Millisekunden öffnet, werden Beschleu- Fahrzeuge. nigungs- und Drucksensoren mehrere hundert Mal pro 3.1.3 Datenbusse für die fahrzeuginterne Kommunikation Für die Kommunikation zwischen Sensoren und ECUs elektromagnetischen Feldern als herkömmliche Leitungen werden in Fahrzeugen Datenbusse verwendet. Viele Funk- und ermöglichen dem Bus eine robuste und zuverlässige tionen innerhalb von Fahrzeugen sind darauf angewiesen, Kommunikation. dass Daten innerhalb einer fest definierten Zeit vom Sen- sor an die Steuereinheit übertragen werden. Daten sind Ein weiterer, konkurrierender Standard ist Flex Ray. Der daher möglichst in Echtzeit aufzunehmen und zuverlässig Flex Ray-Datenbus basiert ebenfalls auf Glasfasern. Er mit niedrigen Latenzen vom Sensor an die ECUs weiterzu- wurde ausgelegt, schneller und zuverlässiger als CAN zu leiten – eine hohe Anforderung an die Robustheit der sein, wodurch er jedoch teurer ist. Bei Datenraten von 10 Kommunikation. MBit/s bietet er durch zwei unabhängige Datenkanäle eine höhere Fehlertoleranz und ein festes Timing an, welches Der am häufigsten in Fahrzeugen verbaute Datenbus ist Höchstübertragungsdauern für Datensignale garantiert. Er der CAN-Bus (Controller Area Network). Der Vorteil, der zu wird daher häufig für die Vernetzung sicherheitskritischer der weiten Verbreitung von CAN geführt hat, ist der einfa- Komponenten verwendet. che Aufbau durch simple und kostengünstige Verdrahtung bei einer hohen Zuverlässigkeit. Mehrere ECUs können an Als Newcomer der automobilen Datenbusse ist Automotive demselben CAN-Bus betrieben werden und haben an jeder Ethernet anzusehen. Obwohl die Ethernet-Technologie beliebigen Stelle im Fahrzeug darauf Zugriff. Zudem gibt bereits seit zwanzig Jahren existiert, haben erst Verbes- es eine Funktion zur Priorisierung bestimmter Komponen- serungen von Bitübertragung einerseits (z. B. zur Verbes- ten und Nachrichten sowie eine Fehlererkennung und - serung der elektromagnetischen Verträglichkeit) und der signalisierung. Ein Nachteil des CAN-Busses ist seine Echtzeitfähigkeit andererseits zum Einzug in Fahrzeuge niedrige Datenrate von 1 MBit/s, welche durch die Erwei- geführt [34]. Aktuell werden bei Bitübertragung nach dem terung CAN FD (Flexible Datarate) auf bis zu 15 MBit/s BroadR-Reach-Standard Datenraten von 100 MBit/s un- angehoben werden kann. Im Bereich Autonomous Driving, terstützt. Dabei wird durch Einsatz von ungeschirmten in dem auch Bilddaten innerhalb des Fahrzeugs verteilt Twisted-Pair-Kabeln eine erhebliche Kosteneinsparung werden müssen, stößt dieses Bussystem an seine Gren- erzielt. Über 160 involvierte Unternehmen bilden hierbei zen. In der Regel werden zwischen vier und zwölf CAN- eine breite Basis für die Definition des offenen Daten- Busse für unterschiedliche Funktionen und Anwendungs- busstandards. Neuere Verfahren zur Bitübertragung wie klassen parallel in einem Fahrzeug verbaut. etwa IEEE 802.3bp (RTPGE) sind für Geschwindigkeiten von 1 GBit/s über Twisted-Pair-Leitungen standardisiert Ein Datenbus, der auch auf datenintensive Video- und und werden in naher Zukunft in Fahrzeugen verbaut. Der Audiosignale ausgelegt ist, ist der Media Oriented Systems Implementierungsaufwand ist größer als bei den anderen Transport (MOST). Bei MOST werden durch Einsatz von Datenbussen, jedoch stellt Ethernet eine kostengünstige Glasfasern hohe Datenraten zwischen 25 und 150 MBit/s Alternative für moderne, datenintensive Sensorik dar. Die erzielt, die Verkabelung ist jedoch deutlich aufwändiger Nutzung etablierter Techniken verspricht darüber hinaus und teurer als beim CAN-Bus. Dabei bieten Glasfaser- einen sicheren Datenaustausch über Fahrzeuggrenzen Verkabelungen eine höhere Störfestigkeit gegenüber hinweg (etwa mittels WLAN). CPS.HUB / NRW 21
Anforderung an die Komponenten Anforderung an die Bandbreite Verzögerung Antriebsstrang – Motor, Antriebswelle, Differential, < 10 µs* Niedrig Getriebe, etc. Steuerung – Gas, Bremse, Steuerung, etc. < 10 µs Niedrig Komfortfunktionen – Radio, Klimaanlage, Scheiben, < 10 ms* Niedrig Sitze, etc. Fahrassistenzsysteme – Airbag, Tempomat, Navi- < 10 µs bis zu Hoch gation, etc. < 1 ms (z. B. 20-100 MBit/s pro Kamera) Human-Machine-Interface – Displays, Interfaces, < 10 ms Niedrig bis hoch (steigt an) etc. * µs = Microsekunde (1/100.000 Sekunden) ms = Millisekunde (1/1000 Sekunden) Tabelle 1 - Konnektivitätsanforderungen innerhalb von Fahrzeugen [132] 3.1.4 Analyse von Fahrzeugdaten in der Cloud Die Menge an generierten Sensorsignalen in einem einzel- wachsenden Zahl an Sensoren innerhalb und außerhab nen Fahrzeug übersteigt bei weitem eine kosteneffektive von Fahrzeugen und dem steigenden Informationsaus- Übertragungs- und Speicherkapazität aktueller Technolo- tausch ist der Einsatz eines Big-Data-Analyseverfahrens gien. Tabelle 2 zeigt das Bruttodatenaufkommen ver- erforderlich, das eine Vorverarbeitung und Komprimierung schiedener Datenbussysteme im Vergleich. Einhergehend der rohen Sensorabtastung auf die wesentlichen Informa- mit der zunehmenden Vernetzung von Fahrzeugen, der tionen realisiert. Data Source Volumen pro Fahrzeug Volumen pro 1000 Fahrzeugflotte 4-12 CAN Busse 12 GByte/Tag 12 TByte/Tag 4.3 PByte/Jahr MOST Bus 211 GByte/Tag 211 TByte/Tag 77 PByte/Jahr Flex Ray 83 GByte/Tag 83 TByte/Tag 30 PByte/Jahr Ethernet 83 GByte/Tag 83 TByte/Tag 30 PByte/Jahr * µs = Microsekunde (1/100.000 Sekunden) ms = Millisekunde (1/1000 Sekunden) Tabelle 2 - Übertragene Datenvolumen verschiedender Bus-Systeme [132] CPS.HUB / NRW 22
Um Analysen gezielt durchführen zu können, müssen er wie Amazon, Google oder Apple Schritt halten zu kön- Daten skalierbar aggregiert und gesammelt werden [35]. nen. Daher bedarf es offener Systeme, die einen freien Dies gilt sowohl für die Qualität als auch die Quantität der Zugang zu Fahrzeugsensordaten ohne große Einstiegs- Daten. Plattformen einzelner Hersteller werden nicht aus- hürden ermöglichen. reichen, um mit den Analyseinstrumenten der Global Play- Abbildung 7 – Zusammenhang von Connected Cars und Big Data Durch das Bereitstellen von Sensorfahrzeugen bzw. Cars genutzt werden können. Abschnitt 2.1 stellt einige Connected Cars werden völlig neuartige Dienste durch Anwendungen detailliert vor. Cyber Physical Systems ermöglicht. Vernetzte Fahrzeuge laden Informationen und Sensor-Beobachtungen in die Damit unterschiedliche Systeme miteinander kommuni- Cloud hoch. Bei mehreren Millionen Connected Cars auf zieren können, bedarf es offener Standards, die Spielre- europäischen Straßen entstehen große Datenmengen. geln und Formate für den Datenaustausch definieren. Schnell skalierbare Technologien, wie nicht-relationale Häufig werden proprietäre Formate verwendet, die einen NoSQL-Datenbanken, ermöglichen eine Speicherung und herstellerunabhängigen Informationsaustausch schwierig Auswertung von Big Data. Derzeit gibt es eine Vielzahl an bis unmöglich machen. Daher gibt es aktuell mehrere Forschungs- und Industrieprojekten, die innovative Lö- Bemühungen, einen offenen, herstellerunabhängigen sungsansätze für Smart Cities und autonomes Fahren Standard für Fahrzeugdaten zu schaffen: durch Big-Data erforschen. Vehicle Data & Vehicle Information Access API Abbildung 6 zeigt allgemein das Konzept, wie vernetzte Die Automotive Working Group des World Wide Web Con- Fahrzeuge Informationen miteinander austauschen und sortium (W3C) hat mit ihren Spezifikationen „Vehicle Data“ an die Cloud übermitteln. Big Data schafft innovative [36] und „Vehicle Information Access API“ [37] die Basis Dienste, welche im Gegenzug auch häufig von Connected zur Schaffung eines solchen herstellerunabhängigen Da- tenmodells geschaffen. Durch Verwendung offener und CPS.HUB / NRW 23
bereits erprobter Web- und Internettechnologien wird freien Creative Commons Lizenz veröffentlicht und kann durch die Standards die Anwendungsentwicklung für damit kostenlos eingesehen und implementiert werden. fahrzeugdatenbasierte Dienste stark vereinfacht. Common Vehicle Information Model Vehicle Sensor Data Cloud Ingestion Interface Im Rahmen des europäische AutoMat Projekts wird das Mit dem Ziel, Kartenmaterialien zu verbessern und lang- Datenmodell „Common Vehicle Information Model“ (CVIM) fristig autonomes Fahren zu ermöglichen, wurde von entwickelt. Mit dem Ziel, einen Marktplatz für Fahrzeugda- HERE [38] unter Mitwirken mehrerer Fahrzeughersteller ten zu realisieren, steht vor allem die Vehicle-to-Cloud und Zulieferer das Datenmodell „Vehicle Sensor Data Kommunikation der Connected Cars, eine gute Skalierbar- Cloud Ingestion Interface“ entwickelt. Weitere Anwen- keit und hohe Effizienz des Datenmodells für Big-Data- dungsgebiete sind Verkehrsprognosen und aktuelle Mobi- Anwendungen im Vordergrund. Das AutoMat Projekt wird litätsinformationen. Neben den Bemühungen, die Spezifi- näher in Abschnitt 6.5 erläutert. kation bei einem Standardisierungsgremium wie der ISO normieren zu lassen, wurde das Dokument unter der CPS.HUB / NRW 24
3.2 KOMMUNIKATION ZWISCHEN FAHRZEUGEN UND UMWELT Drahtlose Kommunikationstechnologien für Connected Cars zerfallen in zwei große Tei- le: Mobilfunksysteme und solche zur Nahbereichskommunikation – jedes mit eigenen Stärken und Schwächen. In diesem Kapitel werden diese beiden Technologien bezüglich ihrer Eignung für Fahrzeugkommunikationsdienste in Hinblick auf die benötigte Verzö- gerungsanforderung, die Netzabdeckung, die Zuverlässigkeit, die Kommunikationskos- ten und die Datenrate analysiert. 3.2.1 Kommunikationstechnologien Mobilfunktechnologien In die erste Kategorie fallen etwa das etablierte UMTS, das ausreichend hohe Anzahl von Autos sicherzustellen, muss aktuelle LTE, aber auch zukünftige Technologien wie etwa diese Infrastruktur ausgebaut werden. Die hohe Anzahl an 5G-Mobilfunk. Mobilfunksysteme sind für die Sprach- potenziellen Kommunikationsteilnehmern macht eine kommunikation und für das mobile Internet entwickelt Anpassung der bestehenden Netze speziell für Fahrzeug- worden. Dabei spielen insbesondere Dienste wie Sprach- dienste, welche beispielsweise eine sehr geringe Verzöge- telefonie, Videokonferenzen und Web Serving eine zentra- rung erfordern, notwendig (siehe Abbildung 7). Dies kann le Rolle (vgl. Kapitel 3.2.5). Diese Dienste sind meist durch z. B. über spezielle Scheduling-Verfahren in den Basissta- eine überschaubare Anzahl an Nutzern mit hohen Anfor- tionen erzielt werden. Zudem wird aktuell der Aufbau von derungen an die Datenrate charakterisiert. Ferner ist die eigenen Netzen für sogenannte Machine-Type- Nutzung von Mobilfunk zur Kommunikation vom Vorhan- Communication (MTC) – unter welche z. B. die Kommuni- densein der nötigen Infrastruktur abhängig. Um eine Ver- kation für Smart Grids, aber auch die Fahrzeugkommuni- sorgung, auch mit ausreichend Netzkapazität, für eine kation fällt – diskutiert. CPS.HUB / NRW 25
Abbildung 8 – Connected Cars in der 5G Roadmap (Abbildung in Anlehnung an [39]) Damit Daten für lokale Anwendungen, z. B. aus dem Fahr- Nahbereichstechnologien zeug-Kontext, nicht mehr durch das komplette Mobilfunk- Die zweite große Kategorie von Kommunikationstechno- netz geleitet werden müssen, sondern lokal bereitgestellt logien, solche für Nahbereichskommunikation, enthält werden können, werden aktuell lokale Clouds (sogenannte etwa WLAN und Bluetooth. Beide wurden um zahlreiche Mobile Edge Clouds) erforscht und entwickelt. Durch die Technologien ergänzt, um ihren Einsatz in hochdynami- kürzeren Transportwege der Daten lassen sich damit schen Netzen zu ermöglichen. Im Falle von Bluetooth sind deutlich geringere Latenzen erzielen. Zudem befindet sich das die Erweiterungen von Bluetooth Low Energy (Blue- LTE-V für Car-to-Car-Kommunikation aktuell in der Stan- tooth Smart). Auch neuartige Technologien wie die Visible- dardisierungsphase. Damit sollen insbesondere lokale Light-Communication (VLC) – der Informationsaustausch Fahrzeuganwendungen, ohne benötigte Abdeckung einer durch Aufmodulation von Daten auf Licht – fallen in diese Basisstation, adressiert werden. Dass das Thema „Fahr- Kategorie. Es ermöglicht den Austausch von Informatio- zeugkommunikation über LTE“ sehr aktuell ist, zeigen die nen über einen schnellen, zuverlässigen und störsicheren Feldtests im Zusammenhang mit dem „Digitalen Testfeld Kanal, dessen geringe Reichweite einerseits seine Schwä- Autobahn“ auf der A9. Hier testen z. B. die Deutsche Tele- che darstellt, andererseits aber eine Störung des Kanals kom, Continental und Nokia aktuelle LTE-Lösungen für anderer Verkehrsteilnehmer fast ausschließt. Fahrzeug-Echtzeitkommunikation. CPS.HUB / NRW 26
Besonders hervorzuheben sind auf WLAN basierende nur lose auf WLAN basieren, stützen sich die Standardfa- Kommunikationsstandards, die (anders als die Consumer- milien ITS-G5 und WAVE zentral auf den WLAN-Standard, variante Wi-Fi, vgl. Abbildung 8) speziell für Fahrzeug- der dazu (in IEEE 802.11p) um einen neuen Betriebsmodus kommunikation geschaffen wurden. In Europa ist das die erweitert wurde, der den Austausch von Informationen Standardfamilie ETSI ITS-G5, in den vereinigten Staaten ohne zeitaufwändigen Verbindungsaufbau ermöglicht. IEEE 1609 WAVE, in Japan ARIB T-109. Während letztere Abbildung 9 – Illustration der Zusammenhänge der Bezeichnungen „ WLAN“ (das Baukastensystem IEEE 802.11, Mitte), Wi-Fi (verschiedene Varianten von WLAN für den Heimgebrauch, links), und anderen auf WLAN basierenden Kommunikationsstandards für Fahrzeugkommunikation (rechts), Quelle: eigene Abbildung Diese Standards für Fahrzeugkommunikation nutzen in den meisten Kommunikationssituationen. Mobilfunk- exklusiv bis zu sieben reservierte Funkkanäle in Europa systeme haben gemein, dass verhältnismäßig hohe La- und den Vereinigten Staaten im Frequenzband um 5.9 tenzen selbst bei Kommunikation im unmittelbaren GHz. Sie bieten den Vorteil, dass Fahrzeugkommunikation Nahbereich auftreten, die Gesamtlatenz einer Verbin- in einem geschlossenen System betrieben werden kann, dung jedoch fast unabhängig vom Abstand zwischen das von äußeren Störeinflüssen abgeschirmt ist und In- Quelle und Ziel ist. Ein Datenpaket über wenige Meter zu formationsflüsse unterschiedlicher Priorität streng vonei- übertragen dauert nicht substantiell länger als es über nander trennt. hunderte Kilometer zu transportieren. Mobilfunk ist da- mit die ideale Basistechnologie für Dienste, die zentral Diese Standards vereint, dass sie auf WLAN basieren, koordiniert werden müssen oder von solcher zentraler jedoch fundamental andere Charakteristika aufweisen als Steuerung profitieren. das bekannte Wi-Fi. / Die Reichweite von Mobilfunksystemen (bis zu mehrere Vergleich der Technologien Kilometer) ist im Vergleich zu WLAN (mehrere hundert Meter, abhängig von der Kanalbelegung) deutlich größer. Dies ist insbesondere durch die deutlich höhere Sende- / Obwohl die Verzögerungszeiten von Mobilfunksystemen leistung des Mobilfunks und die höhere Frequenz von z. in der Entwicklung der Systeme deutlich reduziert wer- B. 802.11p WLAN zu begründen. Um die Reichweite der den konnte (bis zu einigen Sekunden für 2G, ca. 20 bis WLAN-Technologie zu erhöhen, können Multi-Hop- 100 ms für 4G und ca. 1 ms als Ziel für 5G), bieten Systeme eingesetzt werden, wodurch sich jedoch die WLAN-basierte Kommunikationssysteme aktuell gerin- Verzögerung verschlechtert. Darüber hinaus hängt die gere Latenzzeiten im Bereich von einigen Millisekunden CPS.HUB / NRW 27
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