Luchse in NRW Christine Thiel-Bender Christoph Heider - Regionale Perspektiven / europäische Verantwortung - DOHLE Stiftung

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Luchse in NRW Christine Thiel-Bender Christoph Heider - Regionale Perspektiven / europäische Verantwortung - DOHLE Stiftung
Christine Thiel-Bender • Christoph Heider

Luchse in NRW
Regionale Perspektiven / europäische Verantwortung

                        NATUR- & ARTENSCHUTZMANAGEMENT

                        DR. CHRISTINE THIEL-BENDER

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Luchse in NRW Christine Thiel-Bender Christoph Heider - Regionale Perspektiven / europäische Verantwortung - DOHLE Stiftung
Fotos auf dem Einband:
Stefan Rosengarten

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Luchse in NRW Christine Thiel-Bender Christoph Heider - Regionale Perspektiven / europäische Verantwortung - DOHLE Stiftung
Inhaltsverzeichnis
Grußwort ................................................................................................................................................................. 4
Vorwort ................................................................................................................................................................... 5
Zusammenfassung .................................................................................................................................................. 6
Abstract ................................................................................................................................................................... 7
1 Einleitung ............................................................................................................................................................. 8
    1.1 Ökologie des Luchses .................................................................................................................................... 8
    1.2 Der Luchs in Deutschland (1800-2017) ....................................................................................................... 11
    1.3 Vorhaben dieser Studie .............................................................................................................................. 12
2 Potentielle und reale Verbreitungsgebiete ........................................................................................................ 13
    2.1 Die aktuellen Luchsverbreitungsgebiete in Deutschland & NRW ............................................................... 13
    2.2 Welche Flächen stehen dem Luchs in NRW zur Verfügung? ...................................................................... 15
    2.3 Modellberechnungen für NRW................................................................................................................... 17
    2.4 Welche Nahrungsgrundlage bietet NRW dem Luchs? ................................................................................ 21
    2.5 Was ist die minimale/ effektive Populationsgröße für eine dauerhafte Ansiedlung in NRW? ................... 24
    2.6 Wie ist das Ausbreitungspotential des Luchses? ........................................................................................ 24
    2.7 Wege nach NRW ......................................................................................................................................... 26
    2.8 Europäische Vernetzung ............................................................................................................................. 28
3 Gefahren & Hindernisse ..................................................................................................................................... 30
    3.1 Landnutzung, Straßendichte & Querungsmöglichkeiten ............................................................................ 30
    3.2 Waldnutzung durch Freizeitnutzer und Forstwirtschaft ............................................................................. 32
    3.3 Illegale Jagd ................................................................................................................................................. 34
    3.4 Krankheiten ................................................................................................................................................ 34
    3.5 Akzeptanz in der Bevölkerung .................................................................................................................... 35
4 Perspektive 2050 ................................................................................................................................................ 39
5 Handlungsempfehlungen ................................................................................................................................... 40
    5.1 Monitoring der Luchse ................................................................................................................................ 40
    5.2 Wiederbesiedlung oder aktive Wiederansiedlung? .................................................................................... 41
    5.3 Identifizierung und Zusammenarbeit aller wichtigen Akteure bei einer Wiederansiedlung ...................... 42
    5.4 Vorbereitung der Bevölkerung ................................................................................................................... 43
    5.5 Risikobewertung, Managementplan und Lösungsansätze ......................................................................... 44
    5.6 Weiterführende Fragestellungen ............................................................................................................... 46
6 Schlusspunkt ...................................................................................................................................................... 48
Literatur ................................................................................................................................................................ 49
Danksagung ........................................................................................................................................................... 57
Anhang .................................................................................................................................................................. 59

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Luchse in NRW Christine Thiel-Bender Christoph Heider - Regionale Perspektiven / europäische Verantwortung - DOHLE Stiftung
Kritische Fragen von Landwirten, Schäfern und
Grußwort                                            Jäger müssen von Politik, Wissenschaft und Na-
                                                    turschützern ernstgenommen werden. Ebenso
Liebe Leserin,                                      darf die Tatsache nicht verschwiegen werden,
                                                    dass illegale Tötungen von Luchsen als eine der
lieber Leser                                        größten Gefahren für den Erfolg einer Wieder-
                                                    besiedlung zu beurteilen sind.
„… vielleicht können wir mit dieser Studie den
Mosaikstein Nordrhein-Westfalen weiter ausfül-      Zahlreiche weitere Gefahren, die die Ausbrei-
len und die Verantwortung, die das Land auf-        tung des Luchses in NRW, Deutschland und dar-
grund seiner Lage für die Entwicklung einer Me-     über hinaus erschweren, werden in der vorlie-
tapopulation hat, hervorheben.“ Mit diesen          genden Arbeit beschrieben. Deutlich wird auch,
Worten schließt die vorliegende Studie „Luchse      dass z.B. über das Ausbreitungsverhalten noch
in NRW, Regionale Perspektiven / europäische        Wissenslücken bestehen und dass der Luchs
Verantwortung“.                                     vermutlich anpassungsfähiger ist als bisher an-
                                                    genommen. Die Studie nennt notwendige Vo-
Verantwortung, was bedeutet das im Zusam-           raussetzungen für die Rückkehr des Luchses und
menhang mit dem Luchs in NRW? Der Duden             gibt Handlungsempfehlungen.
definiert Verantwortung so: „die Verpflichtung
dafür zu sorgen, dass (innerhalb eines bestimm-     Als Bindeglied zwischen Populationen könnte
ten Rahmens) alles einen möglichst guten Ver-       Nordrhein-Westfalen einen beachtlichen Beitrag
lauf nimmt, das jeweils Notwendige und Richtige     zur Vernetzung von Luchslebensräumen leisten
getan wird und möglichst kein Schaden ent-          und damit eine wichtige Rolle für den Erhalt der
steht.“                                             Art in unseren Breiten spielen.

Die vorliegende Schrift zeigt auf, dass die in      Den Autoren Christine Thiel-Bender und Chris-
Deutschland existierenden Luchs-Populationen,       toph Heider ist es mit Unterstützung der HIT
die alle aus Wiederansiedlungen stammen, so-        Umwelt- und Naturschutz Stiftungs-GmbH ge-
wohl zahlenmäßig als auch aufgrund ihrer Iso-       lungen, mit „Luchse in NRW“ auf die Bedeutung
liertheit unter den derzeit herrschenden Bedin-     des Bundeslandes für den Erhalt der Art und die
gungen nicht in der Lage sind bestehende Lü-        damit verbundene Verantwortung aufmerksam
cken zu schließen, um ein „Mosaikstein“ zur         zu machen. Wir alle sollten nun dafür Sorge
Sicherung des Fortbestandes des Eurasischen         tragen, dass die Bemühungen um den Erhalt des
Luchses sein zu können.                             Luchses in Europa einen guten Verlauf nehmen.

Ebenso deutlich weist die Studie darauf hin, dass
eine Rückkehr des Luchses nur erfolgreich sein
kann, wenn alle in den Prozess eingebunden
werden. Mit allen sind sowohl Wissenschaft und
Politik aber insbesondere auch Landwirte und        Christine Fischer-Ovelhey
Schäfer, Jäger, Naturschützer, Förster, als die     Kreisverband Natur- und Umweltschutz Euskir-
Gestalter von Lebensräumen und auch „die            chen e.V.
„normale“ Bevölkerung“ gemeint. Ein offenes
und ehrliches Miteinander ist die Voraussetzung
für Akzeptanz und damit den Erfolg aller Arten-
schutzbemühungen für den Luchs. Akzeptanz
kann dann das Fundament sein für ein Verant-
wortungsgefühl, welches Sorge dafür trägt das
Richtige zu tun.

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Luchsvorkommen –, soll diese Studie einen ers-
Vorwort                                             ten fachlich fundierten Anstoß bieten. Denn der
                                                    Anlass, sich mit dieser grenzüberschreitenden
Seit der „Machbarkeitsstudie zur Wiederansied-      „Luchsfrage“ in NRW auseinanderzusetzten, ist
lung des Luchses in der Nordeifel“, die Manfred     längst gegeben und mittlerweile auch einer brei-
Trinzen 2011 für die HIT Umweltstiftung erarbei-    teren Öffentlichkeit präsent: In jüngster Zeit gab
tet hat, ist in Sachen „Luchs“ viel passiert.       es immer wieder Luchsnachweise in Westfalen
                                                    (2015/2016 im Arnsberger Wald, 2014-2016 im
Seit 2015 werden wieder Luchse im Pfälzerwald       Kreis Höxter und 2008-2016 im Teutoburger
angesiedelt, woran sich auch die HIT Umweltstif-    Wald). Es scheint so, dass aus dem Harz stam-
tung als Förderer beteiligt. Dieses LIFE+-Projekt   mende Luchse nach und nach auch in NRW ein-
unter Federführung der Stiftung Natur und Um-       wandern könnten.
welt Rheinland-Pfalz sieht die Umsiedlung von
insgesamt 20 Luchsen aus dem Schweizer Jura         Die vorliegende Untersuchung geht diesem Phä-
und den slowakischen Karpaten bis 2020 vor. Die     nomen nach, sie beleuchtet die Wanderbewe-
ersten sieben Luchse fühlen sich in ihrem neuen     gungen der Luchse in NRW und zeigt basierend
Lebensraum sichtlich wohl und Kaya, eines unse-     auf Datensätzen, Expertengesprächen und einer
rer Patenluchse, hat sogar schon für Nachwuchs      intensiven Literaturstudie Perspektiven für die
gesorgt. Ende Mai brachte sie zwei Junge zur        Zukunft auf.
Welt – die ersten, die seit der Ausrottung Ende     Ob der Luchs sich in NRW etabliert und mit wel-
des 18. Jahrhunderts im Pfälzerwald in freier       chem Engagement wir ihn aufnehmen, bleibt
Wildbahn geboren worden sind. Auch das Ab-          abzuwarten. Diese Studie kann aber hoffentlich
wandern des Luchses Arcos in die Vogesen oder       einen Beitrag dazu leisten, die Bemühungen und
das Durchschwimmen des Rheins bei Ludwigha-         Diskussionen zum Luchs voranzubringen.
fen von Cyril wird von der Fachwelt mit großem
Interesse verfolgt. Kommt der Luchs in unserer
zerschnittenen Kulturlandschaft etwa besser zu
Recht – und auch voran – als allgemein ange-
nommen? Auch die seit Jahren beobachteten
                                                    Felix Dresewski
Ausbreitungsbewegungen der im Jahr 2000 im
                                                    für die HIT Umwelt- und Naturschutz Stiftungs-
Harz gegründeten Luchspopulation oder die
                                                    GmbH
Einwanderungen einzelner Luchse aus dem
Schweizer Jura bzw. der Nordostschweiz nach
Baden-Württemberg lassen dies zumindest hof-
fen.

Deutschlandweit gibt es laut Schätzungen mitt-
lerweile wieder über 100 Luchse (Stand 2016) –
allerdings verteilt auf einige wenige Regionen.
Zum langfristigen Überleben nötig wäre jedoch
eine Metapopulation aus 500 Luchsen oder
mehr. Ob die Art in Deutschland wieder eine
Zukunft haben soll und kann, muss daher nicht
allein auf lokaler Ebene, sondern bundesweit
und im europäischen Kontext beantwortet wer-
den. Für die Klärung, welche Rolle NRW künftig
dabei spielen kann – etwa als genetischer Brü-
ckenkopf zwischen südwestlichen und östlichen

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(Straßentot, Zerschneidung, Illegale Jagd, Krank-
Zusammenfassung                                      heiten) und die Hindernisse groß (Ausbreitungs-
                                                     potential der Tiere, Akzeptanz in der Bevölke-
Der Eurasische Luchs (Lynx lynx, Linnaeus 1758)      rung, Nutzung des Waldes), so dass eine baldige,
ist in Deutschland wieder anzutreffen – aller-       spontane und langfristige Rückkehr des Eurasi-
dings noch sehr selten. Einst im 18. Jahrhundert     schen Luchses mit seinem sehr konservativen
ausgerottet, konnte er nur durch aktive Wieder-      Ausbreitungsverhalten in NRW unwahrscheinlich
ansiedelungsprojekte wieder heimisch gemacht         ist. Und die 60 bis knapp 200 Luchse, denen das
werden. Dennoch beschränkt sich das bundes-          Bundesland Lebensraum bieten könnte, wären
weit geringe Vorkommen nur auf verinselte            isoliert betrachtet zu wenige für die Sicherung
Teilpopulationen. Im weitläufig agrarisch und        eines dauerhaften Fortbestandes.
industriell   geprägten      Nordrhein-Westfalen
(NRW) sind zwischen ein und drei Luchse mehr         Daher entwickelt diese Studie schließlich eine
oder weniger regelmäßig zu finden. Diese klei-       Perspektive für den Luchs in Deutschland. Denn
nen, vereinzelten Vorkommen in Deutschland           Nordrhein-Westfalen kann nur als Mosaikstein
können für eine langfristig überlebensfähige         eines grenzüberschreitenden mitteleuropäi-
mitteleuropäische Metapopulation – eine positi-      schen Luchsvorkommens gesehen und behan-
ve Entwicklung vorausgesetzt – bestenfalls als       delt werden. Daraus abgeleitete weitsichtige
Grundstein dienen. Für die denkbare Ausbrei-         Handlungsempfehlungen zeigen auf, was zu tun
tung spielen neuere Erkenntnisse aus der Umge-       wäre wenn wir den Luchs in unseren Breitengra-
bung von Harz und Pfälzerwald, wo es wieder          den erhalten wollen.
Luchse gibt, eine große Rolle. So haben Luchse
bereits ursprünglich lediglich als Korridor bewer-
tete Bereiche dauerhaft besiedelt (inkl. Repro-
duktion), als unwirtlich erachtete Gegenden
genutzt und Barrieren überwunden. Es häufen
sich demnach Anzeichen dafür, dass sich der
Luchs möglicherweise besser in unserer Kultur-
landschaft zurechtfindet als zunächst angenom-
men.

Die vorliegende Studie stellt zunächst eine
rechtzeitige Auseinandersetzung mit der Mög-
lichkeit der Rückkehr des Luchses nach NRW –
vielleicht auch beispielhaft für andere Regionen
– dar. Dazu wird die Lage der Luchse in NRW
beschrieben und Voraussetzungen sowie Hin-
dernisse einer positiven Bestandsentwicklung
werden ausgeführt.

Mit Hilfe von vorhandenem Kartenmaterial so-
wie Daten zum Nahrungsangebot wird die Habi-
tateignung für den Luchs in NRW analysiert und
das daraus abgeleitete potentiell mögliche Ver-
breitungsgebiet der Luchse in NRW dargestellt.
Dennoch sind die Gefahrenquellen zahlreich

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a too small a number to secure a long-term ex-
Abstract                                             istence of this species.

The Eurasian Lynx (Lynx lynx, Linnaeus 1758)         Hence, this paper develops an outlook for the
became extinct in Germany in the 18th century.       lynx in Germany, where North Rhine-Westphalia
Now it is back in small numbers due to several       can only be a small piece in the puzzle of a cross-
re-introduction projects in several forested         border central European lynx distribution. Deriv-
mountainous areas. In North Rhine-Westphalia,        ing recommendations will show the actions to
which is dominated by industry and agriculture,      take if we want to save the Eurasian Lynx in
lynxes are rarely documented – only two to           Central Europe.
three individuals have been reported in the last
years. These small, isolated German sub-
populations cannot function as a long-term sur-
vivable metapopulation of lynx in Europe – at
best they can serve as a foundation.

For a possible distribution in Germany, new
findings in lynx research in the region of the
Harz, Bavarian and Palatine Forest need to be
implemented. Since some lynx nowadays live in
areas, which were supposed to be “inhospita-
ble” and overcome barriers, which were sup-
posed to be almost insurmountable, there is
proof that lynx might be more adaptable to our
cultural landscape than we expected.

This present study discusses a timely debate
about the possible return of the lynx to North
Rhine-Westphalia. Therefore we describe the
lynx‘s distribution range, the conditions and the
obstructions for its positive population devel-
opment.

Using existing distribution maps, geographical
maps and information on prey availability as well
as on habitat suitability, we extrapolate a possi-
ble distribution map of North Rhine-Westphalia.
Nevertheless, the obstructions for lynx distribu-
tion are numerous: roadkill, isolation, illegal
hunt, diseases, forest industries, acceptance by
the public etc. Hence, an early or spontaneous
return of the lynx, which reveals a slow propaga-
tion performance anyway, seems to be unlikely.
Even if North Rhine-Westphalia would hold its
possible 60 to 200 lynxes, these would represent

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hier in Mittel- und Osteuropa zu finden ist (KIT-
1 Einleitung                                           CHENER et al. 2017).

1.1 Ökologie des Luchses                               1.1.2 Lebensraum und Revieransprüche

Der Eurasische Luchs (Lynx lynx, LINNAEUS 1758)        Der Eurasische Luchs bevorzugt als Lebensraum
ist eine in Europa und Asien verbreitete Katzen-       vornehmlich Waldareale mit strukturreichem
art. Seit den vergangenen Jahrzehnten wird             Unterholz. Vor allem ist er aber an seine Beute-
seine dauerhafte Rückkehr in angestammte               tiere gebunden, insbesondere kleinere Huftiere
Verbreitungsgebiete durch verschiedene, teils          und Hasenartige (SUNQUIST & SUNQUIST 2002).
abgeschlossene        Wiederansiedelungsprojekte       Telemetrische Untersuchungen haben gezeigt,
angestrebt. Als einer der größeren Beutegreifer        dass Luchse einen großen Teil ihrer Beute im
Europas gilt er für viele als Symbol für eine groß-    Randbereich von Wäldern jagen und dafür auch
räumig intakte Natur. Die auffälligsten Merkma-        landwirtschaftlich genutzte Flächen betreten
le aller Luchse, ihre Ohrpinsel und der kurze          (KALB 2007, BREITENMOSER & BREITENMOSER-
Schwanz, sind auch dem Eurasischen Luchs zu            WÜRSTEN 2008, ANDERS et al. 2012). Eurasische
eigen.                                                 Luchse finden sich allerdings auch in der felsigen
                                                       Gebirgszone bis zu einer Höhe von 2.500 Me-
                                                       tern, in Niedermooren und auf Heideflächen
1.1.1 Systematik
                                                       sowie in den überwiegend baumlosen Hochebe-
                                                       nen Zentralasiens (SUNQUIST & SUNQUIST 2002,
Über lange Zeit wurde der Luchs in die Gattung         BREITENMOSER & BREITENMOSER-WÜRSTEN 2008). Im
Felis einsortiert (MEANY & BEAUVAIS 2004). Aus         Himalaya bzw. in Ladakh konnten Tiere sogar in
diesem Grund findet man in der älteren Literatur       einer Höhe von bis zu 5.500 Metern nachgewie-
den Eurasischen Luchs gelegentlich noch unter          sen werden (SUNQUIST & SUNQUIST 2002).
der Bezeichnung Felis lynx. Heute ist die Einord-
nung der Luchse in die eigenständige Gattung
                                                       Tagsüber halten sie sich in ihren dichten Verste-
Lynx weithin akzeptiert. Der Eurasische Luchs
                                                       cken auf und können dabei teilweise auch die
wird dementsprechend als Lynx lynx geführt.
                                                       Nähe zum Menschen tolerieren. Sowohl in den
                                                       Vogesen als auch im Bayerischen Wald konnte
Nach molekularbiologischen Untersuchungen              der Nachweis erbracht werden, dass weibliche
von O´BRIEN et al. (2008) werden alle modernen         Luchse ihre Jungen unweit touristisch stark fre-
Katzenarten in acht phylogenetische Linien auf-        quentierter Plätze aufgezogen haben (HEURICH &
geteilt: 1.) Ozelot-Linie, 2.) Hauskatzen-Linie, 3.)   SINNER 2012).
Puma-Linie, 4.) Panthera-Linie, 5.) Bengalkatzen-
Linie, 6.) Luchs-Linie, 7.) Caracal-Linie und 8.)
                                                       So stellt der Luchs aufgrund seiner Anpassungs-
Borneokatzen-Linie. Die Luchs-Linie umfasst den
                                                       fähigkeit keinen Indikator für unberührte Wild-
Eurasischen Luchs (Lynx lynx), den Iberischen
                                                       nis dar. Er braucht „Nahrung und Deckung“ zum
Luchs/ Pardelluchs (Lynx pardinus), den Kanadi-
                                                       Überleben und kommt somit auch in der heuti-
schen Luchs (Lynx canadensis) sowie den Rot-
                                                       gen Kulturlandschaft zurecht (BREITENMOSER
luchs (Lynx rufus).
                                                       2014). Ein „Beispiel für die Anpassungsfähigkeit
                                                       dieser Tierart an die heutige Kulturlandschaft“
Seit 2017 werden sechs Unterarten von Lynx             ist der Kuder Arcos, dem es auf seinem Weg vom
lynx angenommen, wobei Lynx lynx carpathicus           Pfälzerwald in die Vogesen mehrfach gelungen
                                                       ist, „in der intensiv genutzten Landschaft Beute
                                                       zu machen“. So bewegte er „sich geschickt ent-

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lang der wenigen vorhandenen Deckungen wie           ten, sich wiederholenden Ranzrufe, welche von
Gebüsche und Wäldchen und nutzt den Raum             beiden Geschlechtern abgegeben werden, sind
bis nach Ludwigshafen.“ (Pressemitteilung der        in dieser Zeit häufig zu hören. Den Rest des Jah-
Stiftung Natur und Umwelt Rheinland-Pfalz;           res dagegen sind Luchsrufe kaum zu vernehmen.
12.05.2017). Dass Arcos von dort aus in die Vo-      Dennoch verfügt diese Katzenart über zehn bis
gesen weiterzog, könnte laut Trinzen (2017           zwölf verschiedene Laute, die regelmäßig und
mündl.) wiederum gegen die angenommene               vor allem im sozialen Kontext Verwendung fin-
Anpassungsfähigkeit an unsere Kulturlandschaft       den (PETERS 1987).
sprechen oder – zumal er unterwegs ja mehr-
fach Beute machte – einfach bedeuten, dass
                                                     Treffen aufgrund der weiblichen Rufe und der
dort nicht all seine Ansprüche voll erfüllt wurden
                                                     Markierungen mehrere Männchen aufeinander,
(Partnerin, Suche nach dem alten Revier).
                                                     kämpfen sie um das Paarungsrecht. In der Re-
                                                     gel hat das territoriale Männchen aber das Paa-
Die ermittelten Reviergrößen für Eurasische          rungsrecht. Hat ein Kuder ein paarungsbereites
Luchse variieren stark in Abhängigkeit vom Grad      Weibchen erobern können, hält es sich mehrere
der Bewaldung und der Waldstruktur, den De-          Tage in ihrer Nähe auf. Für die Paarung nähert
ckungsmöglichkeiten, der Dichte an potentiellen      sich das Männchen dem Weibchen von hinten
Beutetieren, der Besiedelung durch Menschen          und springt dann auf. Die Paarung selbst, wäh-
sowie den topografischen Verhältnissen. So           rend der sich das Männchen im Nackenfell der
konnten Größen zwischen 20 km² in den Karpa-         Katze verbeißt, ist meist von kurzer Dauer. Fast
ten und 2.000 km² in Nordschweden ermittelt          immer paart sich die Luchsin während der Ranz-
werden (GUGGISBERG 1975; JOHNSON 1980). In           zeit mit nur einem Kuder, fast immer dem terri-
Deutschland werden Streifgebiete von mindes-         torialen Männchen (HOFRICHTER & BERGER 2005).
tens 100 km² angenommen (SCHADT 2002).               Verliert ein Weibchen den Wurf, so ist eine zwei-
Weibchen haben kleinere Reviere als die männ-        te Ovulation möglich (SUNQUIST & SUNQUIST 2002).
lichen Tiere, deren Revier oft die von bis zu zwei
Weibchen überlappt (BREITENMOSER & BREITENMO-
                                                     Die ein bis vier Jungen werden nach einer Trag-
SER-WÜRSTEN 2008)
                                                     zeit von 67 bis 74 Tagen meist an einem ruhigen
                                                     Platz, wie etwa einer (Fels-)Höhle oder unter
1.1.3 Sozialverhalten                                einem Wurzelteller, geboren (SUNQUIST & SUNQU-
                                                     IST 2002). Das Geschlechterverhältnis der Jung-
                                                     tiere ist bei der Geburt ausgeglichen. Die Jung-
Die Ranz bzw. Paarungszeit findet zwischen Ja-
                                                     tiere wiegen zum Zeitpunkt ihrer Geburt etwa
nuar und April statt. Weibchen beteiligen sich
                                                     240 bis 430 Gramm und sind während der ersten
gewöhnlich in ihrem zweiten Winter das erste
                                                     zehn bis zwölf Lebenstage blind (SUNQUIST &
Mal an der Ranz, Männchen in ihrem dritten
                                                     SUNQUIST 2002). Das Fell ist nach der Geburt sehr
Winter (HEMMER 1993). Die ansonsten einzelgän-
                                                     weich und grau-braun gefärbt, mit leicht ange-
gerisch lebenden Tiere markieren besonders
                                                     deuteten Punkten. Mit 14 Wochen ist die Fell-
während dieser Zeit mit ihrem stark riechenden
                                                     färbung ähnlich der eines ausgewachsenen
Urin das Kerngebiet ihrer Reviere intensiv. Wäh-
                                                     Luchses. Sie werden ausschließlich von der Mut-
rend die Faeces-Markierungen in aller Regel
                                                     ter betreut und gesäugt. Erst ab einem Alter von
verscharrt werden, wird der Urin in der Paa-
                                                     sechs bis sieben Wochen beginnen sie allmählich
rungszeit bevorzugt auf Nasenhöhe der Luchse
                                                     auch feste Nahrung zu sich zu nehmen. Solange
an Wurzelstöcken oder Steinen abgesetzt (SUN-
                                                     die Jungtiere noch nicht in der Lage sind mit der
QUIST & SUNQUIST 2002). Urin wird von juvenilen
                                                     Mutter zu wandern, verbleibt diese innerhalb
und subadulten Luchsen auch auf dem Boden
                                                     eines Radius von bis zu neun Quadratkilometern
abgesetzt (HUCHT-CIORGA 2017 mündl.). Die lau-
                                                     um die Jungtiere herum. Erreichen die Kleinen

                                                                                                         9
Luchse in NRW Christine Thiel-Bender Christoph Heider - Regionale Perspektiven / europäische Verantwortung - DOHLE Stiftung
ein Alter von drei Monaten, vergrößert sich der       1975). Allerdings stellt dieses Verhalten eine
mütterliche Bewegungsraum schon auf bis zu            Ausnahme dar.
84 km² (KACZENSKY 1991). Jungtiere bleiben bis
etwa zehn Monaten bei der Mutter, bis zur
                                                      Während der Jagd legt ein Luchs durchschnittlich
nächsten Paarungszeit im darauf folgenden
                                                      zehn Kilometer zurück (SUNQUIST & SUNQUIST
Frühjahr (SUNQUIST & SUNQUIST 2002). Dann ver-
                                                      2002). Er läuft dabei meist innerhalb geschlos-
suchen sie, ein eigenes Revier zu finden. Diese
                                                      sener Wälder entlang von Waldrändern, über
Zeit der Suche birgt ein hohes Sterblichkeitsrisi-
                                                      Forstwege, Schneisen und Bergrücken und ba-
ko für die Jungtiere, nur etwa jeder vierte
                                                      lanciert auch über umgestürzte Baumstämme
Jungluchs überlebt bis zur Etablierung eines
                                                      und entlang verschiedener Erhöhungen in der
eigenen Revieres bzw. die ersten 36 Monate.
                                                      Landschaft. Seine Beute schlägt er häufig an
Neben anderen Beutegreifern sind es vor allem
                                                      regelmäßig begangenen Wildwechseln, auf
Verkehrsunfälle und Krankheiten, die eine Ge-
                                                      Äsungsflächen oder an Wildfütterungen (SUNQU-
fahr für die Jungtiere darstellen. Meist haben sie
                                                      IST & SUNQUIST 2002). Der Eurasische Luchs ist ein
nur dann eine reale Überlebenschance, wenn sie
                                                      Überraschungs- und Lauerjäger: Gemeint ist
ein unbesetztes Revier finden, kurz nachdem sie
                                                      damit das Auflauern von Beutetieren an erhöh-
sich von ihrer Mutter getrennt haben (HOFRICH-
                                                      ten Standorten (Baumstämme, Felsen etc.) und
TER & BERGER 2005).
                                                      das Anschleichen mit abschließendem Ansprin-
                                                      gen, beziehungsweise einem Kurzsprint. Bei
Die durchschnittliche Lebenserwartung von             diesen Kurzsprints kann der Luchs eine Ge-
Luchsen liegt bei zehn bis fünfzehn Jahren (HEUP      schwindigkeit von fast 70 Stundenkilometern
2007). Die natürliche Mortalitätsrate vor dieser      erreichen (HOFRICHTER 2005). Die Beute wird
durchschnittlichen Lebenserwartung liegt bei          durch einen gezielten Kehlbiss erstickt. Immer
etwa 5% der adulten Tiere; durch menschlichen         wieder gibt es Berichte darüber, dass der Luchs
Einfluss allerdings wird diese nicht selten auf bis   große Beute von oben anspringt und vom Rü-
zu 63% erhöht, so dass nur 37% ein hohes Alter        cken aus in den Hals und in die Kehle beißt. Die-
von 15-20 Jahren erreichen (JEDRZEJEWSKI et al.       ses Verhalten mag vor allem durch eine hohe
1996, BREITENMOSER et al. 1993). In Gefangen-         Schneelage erklärbar sein, da es unter diesen
schaft gehaltene Tiere erreichen ein Lebensalter      Umständen für die Katze schwer ist, sicher auf
von bis zu etwa 22 Jahren (SUNQUIST & SUNQUIST        den Hinterbeinen zu stehen (SUNQUIST & SUNQU-
2002).                                                IST 2002). Nach HUCHT-CIORGA (1988) werden bei
                                                      hoher Schneelage hingegen eher ruhende Rot-
                                                      wildkälber angegriffen. Der Luchs versteckt seine
1.1.4 Jagd & Beute
                                                      Beute meist im Ganzen unter Ästen und Blättern
                                                      und kehrt zu seinen Rissen in der Regel mehr-
Der Luchs lebt die meiste Zeit als Einzelgänger,      fach zurück.
der vor allem in der Dämmerung und nachts auf
die Jagd geht. In Ausnahmefällen, wie bei der
                                                      Während ausgewachsene Luchse Huftiere mit
Jungenaufzucht oder bei großem Hunger, jagen
                                                      einem Gewicht von 15 bis 50 Kilogramm jagen
Luchse auch bei Tag. Eine ausschließliche Jagd
                                                      können, stellen kleine und mittelgroße Huftiere
bei Nacht ist auch eher auf die Störungen durch
                                                      mit einem Gewicht von 20 bis 25 Kilogramm
den Menschen zurückzuführen. Üblicherweise
                                                      dennoch die bevorzugte Beute dar. Über weite
jagen Luchse alleine, es werden jedoch gelegent-
                                                      Teile Eurasiens ist das Reh wohl die bevorzugte
lich Belege für ein gemeinschaftliches Jagen von
                                                      Beute des Luchses; und das Verbreitungsgebiet
zwei oder mehr Individuen erbracht (HEPTNER &
                                                      des Rehs deckt sich weitgehend mit dem des
SLUDSKIJ 1992, MATJUSCHKIN 1978, GUGGISBERG
                                                      Beutegreifers. Paarhufer, im speziellen Rehe,
                                                      machen häufig bis zu 90% des Beutespektrums

    10
aus (HUCHT-CIORGA 1988, HEURICH & WÖLF 2002,        desartenschutzverordnung (Anhang 6), das Bun-
MAYER et al. 2012, SCHULTE 2017). In Finnland, wo   desjagdgesetz (§2 ganzjährige Schonzeit, §23),
Rehe nicht natürlicherweise vorkommen, eben-        das Tierschutzgesetz (§1, §17) und das Grundge-
so wie in Schweden und Norwegen, wo Rehe            setz (Art. 20a, Art. 74). In Europa ist der Luchs in
erst nach 1900 eingeführt wurden, schlagen          der FFH-Richtlinie unter Anhang II und IV aufge-
Luchse Rentiere und dabei besonders deren           führt – demnach besteht eine Überwachungs-
Junge (SUNQUIST & SUNQUIST 2002). Das Beutes-       pflicht des Erhaltungszustandes innerhalb und
pektrum des Luchses umfasst allerdings theore-      außerhalb der NATURA 2000 Gebiete – sowie in
tisch nahezu alle im jeweiligen Lebensraum vor-     der EG-Artenschutz-Verordnung in Anhang A.
kommenden kleinen und mittelgroßen Säuger           Auch die Berner Konvention und das Washing-
und Vögel. So zählen unter anderem Fasane,          toner Artenschutzabkommen (CITES) führen den
Hühnervögel und Sperlingsvögel, aber auch Ka-       Luchs in Anhang II.
ninchen, junge Wildschweine, Eichhörnchen,
Mäuse, Ratten und Murmeltiere zu den von
                                                    Alle derzeitigen Populationen in Deutschland –
Luchsen geschlagenen Beutetieren. Aas kann
                                                    samt von dort abwandernden Einzelvorkommen
insbesondere im Winter eine zusätzliche Nah-
                                                    – stammen aus Wiederansiedlungen. Derzeit
rungsquelle darstellen. Aber auch andere Karni-
                                                    besteht eine kleine Population im Bayerischen
vore, wie Fuchs, Marder, Dachs, Hund, Haus-
                                                    Wald und eine weitere im Harz (REINHARDT et al.
und Wildkatze, werden gelegentlich vom Luchs
                                                    2015). Seit den 1970er Jahren wurden die Tiere
erbeutet.
                                                    in verschiedenen Gebieten Mitteleuropas wie-
                                                    der angesiedelt. In Deutschland geschah dies im
                                                    Bayerischen Wald, im Harz und im Pfälzerwald,
                                                    mit unterschiedlichem Erfolg. Im Harz sind seit
                                                    dem Jahr 2000 insgesamt 24 Gehegetiere freige-
1.2 Der Luchs in Deutschland (1800-                 lassen worden (plus zwei Gehegetiere, die aus
2017)                                               dem Tierpark in Wernigerode entkamen), wel-
                                                    che mittlerweile zu einer kleine Quellpopulation
                                                    herangewachsen sein könnten. Die Luchse im
Im frühen 19. Jahrhundert wurde der Luchs in        Bayerischen Wald sind Teil der Bayerisch-
Mitteleuropa durch den Menschen so gut wie          Böhmischen Population, die in den 1980er Jah-
ausgerottet. In Nordrhein-Westfalen wurde der       ren mit Hilfe von 17 slowakischen Tieren im
letzte Luchs 1745 bei Schmallenberg (Westfalen)     böhmischen Teil des Grenzgebietes (Šumava,
erlegt, jedoch war der Bestand wohl bereits im      Tschechien) ihren Anfang nahm (ČERVENY, J. & L.
17. Jahrhundert weitestgehend aus den Wäldern       BUFKA 1996). Derzeit erstreckt sich ihr Areal auf
verschwunden (HUCHT-CIORGA 2012). „Es ist da-       das Länderdreieck Tschechien, Österreich und
von auszugehen, dass in den Jahrzehnten davor       Deutschland. Verkehrstote und illegale Verfol-
bereits keine Population mehr existierte und es     gungen erschweren allerdings die Stabilisierung
sich nur noch um Einzeltiere oder Zuwanderer        dieser Vorkommen und den Aufbau neuer Popu-
(Kater) handelte. Die Ausrottung des Luchses in     lationen.
NRW war also eigentlich auch schon vor oder
um 1700 unabwendbare Tatsache.“ (TRINZEN
2011).                                              Für ganz Deutschland belaufen sich die Schät-
                                                    zungen zum Luchsbestand (selbständige ausge-
                                                    wachsene Individuen) im Monitoringjahr 2015/
Heute ist der Luchs durch deutsche wie auch         2016 auf 97 Tiere. Im Jahre 2016 & 2017 kamen
durch europäische und internationale Gesetze        noch mindestens 6 Tiere aus dem Wiederansied-
streng geschützt. In Deutschland ist es das Bun-    lungsprojekt im Pfälzerwald hinzu. Diese Zahl
desnaturschutzgesetz (§10, §39, §44), die Bun-      erscheint schon recht hoch; dabei ist aber an-

                                                                                                           11
zumerken, dass davon nur 12 Individuen repro-        Luchses ablaufen, liegen bislang nur wenige
duzierende Weibchen sind. Im Jahr davor waren        Informationen vor“ (KAPHEGYI et al. 2010).
es noch 15 reproduzierende Weibchen. In ganz
Deutschland konnten im Monitoringjahr 2015/
                                                     Daher wurde hier zunächst das Muster der neu-
2016 rund 27 Juvenile erfasst, sowie 12 erfolg-
                                                     erlich in NRW registrierten Luchse im Groben
reiche Reproduktionen (Geburten) verzeichnet
                                                     nachgezeichnet, um diese denkbare Einwande-
werden (BFN 2016). Leider ist auch die Anzahl
                                                     rungstendenz weiter in die Zukunft zu projizie-
der Totfunde von Luchsen in diesem Monito-
                                                     ren. Es gibt bereits ein Computermodell zur
ringjahr wieder einmal gestiegen; auf 22 tote
                                                     Berechnung der potentiellen Lebensräume für
Luchse (9 juvenile, 5 subadulte und 8 adulte
                                                     Luchse in Deutschland, allerdings liegt ein sol-
Tiere; BFN 2016).
                                                     ches Modell für NRW spezifisch und mit neueren
                                                     Daten hinterlegt noch nicht vor. Diese Lücke soll
                                                     die vorliegende Arbeit im Ansatz schließen. Ba-
                                                     sierend auf Literaturrecherche und unter Beteili-
                                                     gung von Experten konnte so eine Perspektive
1.3 Vorhaben dieser Studie                           entwickelt werden, wie und ob der Luchs in
                                                     Nordrhein-Westfalen wieder heimisch werden
                                                     kann.
Anders als die Machbarkeitsstudie für die Wie-
deransiedlung des Luchses in der Nordeifel
(TRINZEN 2011) soll diese Studie zunächst eine       „Aufgrund der spezifischen Situation in Deutsch-
rechtzeitige Auseinandersetzung mit der Mög-         land – die betreffenden Arten waren nahezu 200
lichkeit der Rückkehr des Luchses nach NRW           Jahre lang verschwunden – sind in anderen Re-
darstellen.                                          gionen der Erde entwickelte Konzepte zur
                                                     Koexistenz mit großen Raubtieren nicht unein-
                                                     geschränkt übertragbar“ (KAPHEGYI et al. 2010).
In jüngster Zeit gibt es in Ostwestfalen-Lippe
                                                     „Die Großraubtiere kehren in eine Welt zurück,
wieder Hin- und Nachweise des Luchses (2017
                                                     die es so nie gab“ (BREITENMOSER 2015 mündl.).
waren es zwei Hinweise; HUCHT-CIORGA 2017
                                                     Dementsprechend will diese Studie die nord-
mündl.). Es ist zu hoffen, dass der Luchs es von
                                                     rhein-westfälischen Luchsvorkommen, ihre Po-
dort noch weiter ins Landesinnere schafft. In der
                                                     tentiale und Grenzen aufzeigen, um Diskussio-
„Machbarkeitsstudie zur Wiederansiedlung des
                                                     nen und Managmentmaßnahmen für eine Rück-
Luchses in der Nordeifel“ wies TRINZEN (2011) auf
                                                     kehr des großen Beutegreifers nach NRW anzu-
Schwierigkeiten bei einer aktiven Auswilderung
                                                     stoßen.
von Luchsen hin – aus ökologischer, rechtlicher
und gesellschaftlicher Sicht. Demnach fehlt es
noch an Informationen zu ökologischen Erfor-
dernissen und an einem grünen Verbundsystem
zur Vernetzung der einzelnen Tiere. Vor diesem
Hintergrund lehnte TRINZEN eine Auswilderung
ab. Aber eine selbstständige Wiederbesiedlung
Nordrhein-Westfalens durch den Luchs könnte
unter bestimmten Bedingungen vielleicht mög-
lich sein, wenngleich die Abläufe bei der Etablie-
rung in vormals unbesiedelten Areale bei Katzen
noch weitgehend unbekannt sind: „Zum Wan-
derverhalten und den Mechanismen, die bei der
Ausbreitung der Populationen des Eurasischen

   12
Auch aktuell finden Auswilderungsprojekte –
2 Potentielle und reale                             oder genauer Umsiedlungen von Wildfängen –
Verbreitungsgebiete                                 statt: Mit der Bewilligung von EU-
                                                    Fördermitteln hat die Stiftung Natur und Um-
                                                    welt Rheinland-Pfalz zu Beginn des Jahres 2015
2.1 Die aktuellen Luchsverbreitungs-                das LIFE-Projekt „Wiederansiedlung von Luchsen
gebiete in Deutschland & NRW                        im Biosphärenreservat Pfälzerwald" gestartet.
                                                    Dafür werden insgesamt 20 in der Schweiz bzw.
                                                    Slowakei gefangene Luchse umgesiedelt und
Der Luchs ist in Deutschland aktuell vor allem in   somit wird die grenzüberschreitende Population
zwei Regionen verbreitet: Zum einen in Ostbay-      mit den Vogesen gestärkt. Bislang wurden sie-
ern (Bayerischer und südlicher Ober-                ben Luchse in das Projektgebiet verbracht (Stand
Pfälzerwald), zum anderen in einer Population,      August 2017; www.luchs-rlp.de).
die sich über den Harz (Niedersachsen, Sachsen-
Anhalt, Thüringen) nach Nordhessen erstreckt.
Daneben liegen auch immer wieder Beobach-           In Deutschland konnte nun auch mit Hilfe gene-
tungen aus anderen waldreichen und störungs-        tischer Nachweise bestätigte werden, dass ein
armen Landschaften vor (etwa Fichtelgebirge,        Luchs aus dem Harz bis nach Hessen (ANDERS
Sächsische Schweiz, Pfälzerwald, Rothaargebir-      2011, DENK 2011) und ein weiterer bis nach Grä-
ge, Eifel, Senne, Schwarzwald z.B. HERDTFELDER &    fenthal in Thüringen über 150 km weit gewan-
SUCHANT 2008, HUCHT-CIORGA 2012, HEURICH &          dert                 sein                 muss
SINNER 2012). Die hierzulande bestehenden Vor-      (http://www.insuedthueringen.de/region/sonne
kommen sind auf Wiederansiedelungsprojekte          berg_neuhaus/neuhaus/Graefenthaler-Luchs-
zurückzuführen, wobei die einzelnen Nachweise       stammt-aus-dem-Harz;art83454,5410712,
zwischen Vogtland (angrenzend an Fichtelgebir-      17.03.2017)
ge) und Oberlausitzer Bergland (seit 2013 gibt es
im Westerzgebirge einen residenten Luchs            In NRW wird erst seit 1985 wieder von freile-
http://www.luchs-                                   benden Luchsen berichtet, abgesehen von ei-
sachsen.de/pages/aktuelles.html) jedoch auch        nem im Jahr 1969 im Rhein-Sieg-Kreis illegal
auf Zuwanderer aus den Beskiden (Karpaten)          geschossenen Luchs unbekannter Herkunft (FEN-
zurückgehen können, die Deutschland möglich-        GENWISCH 1972, TRINZEN 2011). Aktuell steht der
erweise über Altvatergebirge (Hrubý Jeseník;        Luchs auf der Roten Liste von NRW unter der
CZ), Aldergebirge (Orlické hory / Góry Orlickie;    Kategorie „R“, was bedeutet, dass er durch seine
CZ / PL) und Riesengebirge (Krkonoše / Karkono-     extreme Seltenheit (potentiell) gefährdet ist.
sze; CZ / PL) erreichen (RIEBE / ZSCHILLE 2015      Gelegentliche Nachweise in NRW erfolgten im
mündl.).                                            deutsch-niederländischen Grenzgebiet in der
                                                    Eifel, im Rothaargebirge, Eggegebirge und Arns-
Bei der bereits erwähnten Wiederansiedlung im       berger Wald (BACKBIER 1996, TRINZEN 2011,
Nationalpark Harz (vgl. Kapitel 1.2) kam es im      HUCHT-CIORGA 2012).
Jahr 2002 zum ersten Nachweis einer Reproduk-
tion (ANDERS & SACHER 2005). Im Rahmen des          Nachweise einzelner Tiere im Arnsberger Wald
Projektes „Luchsmonitoring“ wurde 2011 auch         (1999, 2004, 2015/2016), in der Nordeifel (2003,
eine recht stabile Population neben dem Harz        2007), im Rothaargebirge (2006, 2011), im Kreis
vor allem in den waldreichen Landkreisen Nord-      Höxter (2014-2016) und im Teutoburger Wald
hessens nachgewiesen, auch Nachwuchs wurde          (2008-2016). Im Monitoringjahr 2015/2016
dabei in den Fotofallen aufgenommen (AK HES-        konnten neun gesicherte Nachweise (C1) von
SENLUCHS 2015). Es könnte sich bei dieser Popula-
                                                    drei Individuen für NRW dokumentiert werden:
tion um Nachfahren der Harzer Tiere handeln.

                                                                                                       13
Ein Weibchen im südlichen Teutoburger Wald,         Niedersachsen. Dort konnten im Monitoringjahr
ein weiteres Weibchen im Weserbergland              2015/2016 sechs reproduzierende Luchsinnen,
sowie ein unbestimmtes Tier (Alter unbe-            vier davon im Harz (MIDDELHOFF & ANDERS 2016)
kannt) im Arnsberger Wald (BFN 2016). Hinzu         nachgewiesen werden. Elf Jungtiere und 13 selb-
kommen zwei weitere Nachweise (C1) des adul-        ständige Luchse konnten ebenfalls registriert
ten Weibchens im Teutoburger Wald im be-            werden. Wird jedoch die 2015 ermittelte Harzer
gonnenen Jahr 2017 (HUCHT-CIORGA mündl.).           Luchsdichte von 2,1 bzw. 3,8 selbstständigen
                                                    Luchsen       (2,4       im      Jahre      2017;
                                                    http://www.torfhaus.info/de/aktuelles/aktuell
Die Luchsin im Kreis Höxter kommt nachgewie-        es_downloads/Bericht_FF_Monitoring_2016_
senermaßen aus dem Grenzgebiet in Hessen,           17_20170530.pdf?m=1499090861)                  pro
aus dem Reinhardswald. Hessen weist in diesem       100 km² zugrunde gelegt, lässt sich diese im-
Bereich in unregelmäßigen Abständen ein klei-       merhin auf eine Populationsgröße von ca. 16 bis
nes Vorkommen nach (http://www.luchs-in-            28 selbstständigen Luchsen (19 im Jahre 2017
hessen.de/verbreitungskarte.html).                  mit        zusätzlich         11       Jungtieren;
                                                    http://www.torfhaus.info/de/aktuelles/aktuelles
                                                    _downloads/Bericht_FF_Monitoring_2016_17_2
In Hessen konnte 2015/2016 eine Mindestzahl
                                                    0170530.pdf?m=1499090861;
von sechs selbständigen Luchsen nachgewiesen
                                                    http://www.beobachter-
werden. Davon wanderte ein Tier nach Nieder-
                                                    online.de/goslar/lokales/der-luchs-breitet-sich-
sachsen ab. Von den anderen fünf Tieren ist
                                                    weiter-aus-d30836.html) im 779 km² großen
bekannt, dass sich darunter ein adultes, territo-
                                                    Untersuchungsgebiet zurückführen. In 2017
riales Männchen und ein adultes territoriales
                                                    wurde eine weitere Pilotstudie im Unterharz
Weibchen      befinden.    Das      Weibchen hat
                                                    durchgeführt und dabei konnten weitere fünf
2015/2016 auch reproduziert. „Allerdings gab es
                                                    selbstständige Luchse auf einem ähnlich großen
zwei Todesfälle durch Fuchsräude, darunter
                                                    Gebiet             identifiziert          werden
auch das führende Weibchen. Es ist anzuneh-
                                                    (http://www.torfhaus.info/de/aktuelles/aktuelle
men, dass dessen Jungtiere (3) ebenfalls veren-
                                                    s_downloads/Bericht_FF_Monitoring_2016_17_
det sind. Möglicherweise fand also keine erfolg-
                                                    20170530.pdf?m=1499090861). Für den ca.
reiche Reproduktion statt“ (BfN 2016). Auch im
                                                    2.200 km² großen Harz lässt sich so etwa eine
Monitoringjahr 2016 gibt es neue Rückschläge,
                                                    Gesamtpopulation von bis zu 87 Individuen er-
denn es ist das erste Jahr ohne Fortpflanzung
                                                    rechnen, nachgewiesen sind aber bisher nur 35
gewesen (M. Denk in http://www.fnp.de/rhein-
                                                    Luchse. Demzufolge bietet das Harzer Gebiet
main/Fuchsraeude-und-Weibchenmangel-
                                                    den Luchsen vielleicht noch mehr, bisher unge-
Weniger-Luchse-in-Hessen;art1491,2564665)
                                                    nutzten Lebensraum.
Auch 2017 werde kein Nachwuchs bei den hessi-
schen Luchsen erwartet, denn es fehlen Weib-
chen. „Insgesamt lebten nachweislich fünf Luch-     Westlich von NRW, in Belgien und den Nieder-
se in Hessen. Im Bestfall sind es zehn Luchse.”     landen, ist allerdings bisher noch kein Luchsvor-
Der Bestand steht also nicht zuletzt aufgrund der   kommen gemeldet. Südlich sind erst weit ent-
Krankheit Fuchsräude stark unter Druck.             fernt im Pfälzerwald die ersten in den Jahren
                                                    2016 und 2017 angesiedelten Luchse zu finden
                                                    (derzeit sechs Adulte und zwei im Pfälzerwald
Im Grenzgebiet Niedersachsen-Nordhessen nahe
                                                    geborene Jungtiere).
der NRW-Grenze werden zunehmend Luchse
registriert – im Kaufunger Wald, der Söhre und
im      Gebiet    von     Hessisch    Lichtenau
(http://www.luchs-in-hessen.de/). Denkbar ist
daher auch eine Einwanderung des Luchses aus

   14
2.2 Welche Flächen stehen dem                        48 km²           Fläche            beansprucht
                                                     (http://www.luchsprojekt-
Luchs in NRW zur Verfügung?
                                                     harz.de/de/luchsprojekt/3_aktuell/aktuelles/20
                                                     15/05/luchspopulation/).
Als Lebensraum bevorzugt der Eurasische Luchs
grundsätzlich vielfältige und strukturreiche
                                                     Nach SCHADT (1998) stellen Luchse gewisse An-
Waldareale (WEIGL 1993). Luchse weisen enorme
                                                     sprüche an die Mindestgröße der vorhandenen
Raumansprüche auf. Bisherige Studien in Mittel-
                                                     Wälder von 500 km², um dort Streifgebiete etab-
europa belegen für Luchskuder Reviergrößen
                                                     lieren zu können. Der Waldanteil in diesen Ge-
von 150 bis über 400 km², für weibliche Tiere 50
                                                     bieten sollte etwa bei 60% liegen, wobei die
bis 300 km² (TRINZEN 2011). Für Mittelgebirgs-
                                                     einzelnen Waldgebiete eine Mindestfläche von
landschaften, wie wir sie in NRW oft antreffen,
                                                     30 km² aufweisen müssen (HALLER 1992, SCHADT
wird ein Wert von etwa 100 km² für weibliche
                                                     1998). Die Waldflächen können dabei von land-
Luchse angenommen (SCHADT 2002). Ob Luchse
                                                     wirtschaftlich genutzten Flächen unterbrochen
in einem Gebiet von etwa 100 km² leben können
                                                     werden aber nur in geringem Maß durch anth-
hängt nicht nur von der Struktur ab, sondern
                                                     ropogene Strukturen wie Siedlungen oder
auch von der Verfügbarkeit an Nahrung. Mit
                                                     Hauptverkehrsstraßen (HALLER 1992, BREITENMO-
zunehmender Beutetierdichte nimmt auch die
                                                     SER & HALLER 1987). Im Jahre 2002 berechnet
Anzahl von Luchsen in einem Gebiet zu (HETHE-
                                                     Schadt allerdings eine Mindestgröße von >
RINGTON & GORMANN 2007). Im Alpenbereich wei-
                                                     99 km² für eine mögliche Nutzung des Lebens-
sen Streifgebiete von Luchsweibchen meist Flä-
                                                     raums durch den Luchs. Diese Nutzung von einer
chengrößen von 100 km² und von Kudern bis zu
                                                     Fläche > 99 km² beruht auf einer möglichen
500 km² auf. In Bayerischen Wald sind Revier-
                                                     Konnektivität des Lebensraumes an andere po-
größen von 300-400 km nachgewiesen worden.
                                                     tentielle Luchslebensräume, so dass ein natürli-
Allerdings kann die Flächengröße bei hohem
                                                     cher Austausch an Individuen geschehen kann.
Nahrungsangebot deutlich geringer sein. Säu-
                                                     Welche tatsächlichen Mindestgrößen an Wald-
gende Luchsinnen haben zusammen mit ihren
                                                     flächen für die Ansiedlung von Luchsen nun
Jungen nochmals einen deutlich geringeren Ak-
                                                     wirklich benötigt werden ist momentan wissen-
tionsraum, benötigen aber mehr Beutetiere,
                                                     schaftlich nicht belegt.
sobald sie auch für ihre Jungtiere auf die Jagd
gehen.
                                                     Nordrhein-Westfalen verfügt auf etwa 9.000 km²
                                                     Waldfläche, überwiegend in den Mittelgebirgen
Weibchen haben kleinere Reviere als die männ-
                                                     von Eifel, Bergischem Land, Sauerland, Sieger-
lichen Tiere, deren Revier oft die von bis zu zwei
                                                     land und Ostwestfalen potentiellen Lebensraum
Weibchen überlappt. Eine Luchspopulation be-
                                                     für den Luchs (HUCHT-CIORGA 2012). Deutsch-
steht meist zu 50% aus adulten Tieren (2/3
                                                     landweit konnte mit Hilfe von Computer gestütz-
Weibchen, 1/3 Männchen), 20% subadulten und
                                                     ten Berechnungen mit unterschiedlichen Model-
30% Jungtieren (HEURICH & SINNER 2012). Die
                                                     len durch KRAMER-SCHADT (2004 & et al. 2005)
Luchsdichte ist demnach von mehreren Faktoren
                                                     eine Analyse der Habitateignung und dem po-
abhängig. Sie ist in gut strukturierten Lebens-
                                                     tentiellen Luchsbestand erfolgen. HERDTFELDER
räumen mit hohem Wildbestand und geringem
                                                     (2012) modellierte eine Habitateignung für den
Wolfsvorkommen (als potentielle Gefahrenquel-
                                                     Luchs in Baden-Württemberg. Für NRW liegt
le; SUNQUIST & SUNQUIST 2002) am höchsten.
                                                     eine solche detaillierte Studie nicht vor, daher
Neuere Untersuchungen gehen in guten Vor-
                                                     soll die vorliegende Arbeit diese Lücke – unter
kommen von Dichten von ein bis drei Luchsen
                                                     Einbeziehung neuerer Erkenntnisse – schließen.
auf 100 km² aus (TRINZEN 2011); wie etwa im
Harz, wo ein Luchs durchschnittlich ca. 26 bis

                                                                                                        15
Nach den Berechnungen von SCHADT (2002),             9.095 km² und nach Landeswaldinventur (2014,
KRAMER-SCHADT (2004) und KRAMER-SCHADT et al.        https://www.wald-und-
(2005) bieten 32.266 km² Waldgebiete in              holz.nrw.de/fileadmin/Publikationen/Broschuer
Deutschland und den angrenzenden Ländern (F,         en/Broschuere_WuH_Landeswaldinventur-
CZ, PL) dem Luchs einen Lebensraum. Nimmt            2014.pdf) insgesamt 9.345 km² von insgesamt
man nur die Flächen in Deutschland, so reduzie-      etwa 35.000 km² Landesfläche. Zur Waldfläche
ren sie sich nach SCHADT (2002) auf 24.119 km²,      im Sinne des Landesforstgesetzes zählen in NRW
das sind weniger als 10% der Fläche in Deutsch-      auch Baum- und Wallhecken, Windschutzstrei-
land (~ 353.000 km²) – und das, obwohl               fen, Parkanlagen außerhalb der Wohnbereiche
Deutschland zu einem Drittel bewaldet ist. Auf       und Weihnachtsbaumkulturen innerhalb des
Grundlage dieser Flächenberechnungen ergibt          Waldes. So bieten nur ein Teil dieser Flächen
sich nach diesem Modell, dass die deutschen          einen Waldanteil von 50 - 100%, wie von Schadt
Wälder Platz für lediglich 370 territoriale Luchse   (1998 & 2002) und HALLER (1992) gefordert. Aber
bieten könnten, wenn man wie SCHADT (2002)           all diese Aussagen oder Anforderungen und
von den Dichteverhältnissen und Streifgebiets-       Modelle beruhen auf der Annahme einer hohen
größen des Schweizer Juras ausgeht, wo theore-       Waldgebundenheit der Luchse. Allerdings gibt es
tisch – der natürlichen Überlappung männlicher       mittlerweile Luchsnachweise auch in Gebieten
und weiblicher Reviere geschuldet – ca. 1,53         mit weniger als den 50 - 100% Waldanteil – wie
Luchse/ 100 km² vorkommen.                           z.B. in NRW im Weserbergland mit weniger als
                                                     40% (siehe Abb. 4 und Karte IV) und im Schwei-
                                                     zer Jura (39%) oder im Berner Oberland mit nur
In NRW wäre es nach Schadt et al. (2002b) für
                                                     35% (RÜDISSER 2001). Eine Herangehensweise,
Luchse möglich, dass Weserbergland und das
                                                     die potentielle Anwesenheit des Luchses allein
Rothaargebirge zu besiedeln. Dabei stellt das
                                                     über den Waldanteil zu bestimmen ist daher
Weserbergland allerdings kein Kerngebiet dar,
                                                     nicht zielführend. Auch SCHMIDT (2008) be-
welches mehr als 20 Luchse aufnehmen kann.
                                                     schreibt, dass Luchse sich gerade im Hinblick auf
Auch das Rothaargebirge ist in dieser Studie
                                                     Mikrohabitatstrukturen für ihre Jagd und Ruhe-
(neben dem Harz) nur in die Kategorie „geringe
                                                     stätten sehr selektiv verhalten. Diese Mikrohabi-
Eignung“ eingestuft worden, in dem 32 Weib-
                                                     tatstrukturen lassen sich nicht durch Compu-
chen bzw. 20 Männchen Platz fänden. KRAMER-
                                                     termodelle identifizieren, sondern sind durch
SCHADT (2004) und KRAMER-SCHADT et al. (2005)
                                                     gute naturnahe forstwirtschaftliche Praxis vor
berechneten zwei Jahre später, dass das Rot-
                                                     Ort zu erhalten und zu schaffen.
haargebirge ausreichend Raum für etwa 16
weibliche Luchse bietet (die Studie betrachtet
nur die weiblichen Streifgebiete, aber es kämen      Dieses Dogma der sehr starken Waldgebunden-
dann noch Jungtiere und männliche Luchse hin-        heit lässt sich auch aufgrund weiterer neuerer
zu). Dieselben Studien besagen, dass die Wald-       Erkenntnisse etwas aufweichen. So schreibt
gebiete in der Eifel, im Teutoburger Wald, im        BREITENMOSER (2014): „…sie brauchen zum Über-
Eggegebirge und im Arnsberger Wald dagegen           leben keine unberührte Wildnis, sie brauchen
nur Platz für wenige Individuen bieten. Trinzen      Nahrung und Deckung, um sich zu verbergen“.
(2011) berechnet für die gesamte deutsche Eifel      Ähnlich schreibt GARROTE in der National Geo-
mit einer Fläche von rund 5.200 km² und einem        graphic (2017) über den Pardelluchs „In Zukunft
45%-igen Waldanteil Lebensraum für eine Teil-        müssen die Katzen in fragmentierten Kulturland-
population mit etwa 20-50 Tieren.                    schaften überleben. Aber Luchse passen sich
                                                     flexibler an Lebensräume an, als wir ursprünglich
                                                     dachten.“ Telemetrische Untersuchungen haben
Nordrhein-Westfalen ist laut Bundeswaldinven-
                                                     gezeigt, dass Luchse einen großen Teil ihrer Beu-
tur 2012 zu rund 27% bewaldet, nach der Bun-
                                                     te im Randbereich von Wäldern jagen und dafür
deswaldinventur (BWI 3 von 2012) sind es

   16
auch landwirtschaftlich genutzte Flächen betre-     2.3 Modellberechnungen für NRW
ten (Kalb 2007). Laut ANDERS (2015 mündl.) ist
der Luchs eine waldgebundene Art: „Er braucht
vor allem Deckung und Nahrung. Sobald diese         In der vorliegenden Studie wurden die Geofach-
Anforderungen an den Lebensraum ausreichend         daten des Bundesamtes für Naturschutz (BFN
erfüllt sind, kommt der Luchs aber auch in der      2017) als Basis für eine kleine Berechnung mit
deutschen Agrarlandschaft zurecht“. Telemetrie-     der Software Quantum GIS, Version 2.18.10,
und Monitoringdaten aus dem Luchsprojekt            genommen. Dabei handelt es sich um die Daten-
Harz (bei einer Untersuchung eines telemetrisch     zusammenstellung „Bundeskonzept Grüne Infra-
überwachten Luchses befanden sich sogar „79 %       struktur (BKGI) - Grundlagen des Naturschutzes
der Offenlandpositionen auf Ackerflächen“;          zu         Planungen         des       Bundes“
ANDERS et al. 2012) belegen dies – so Anders        (http://www.bfn.de/bkgi.htm).
weiter: Dabei durchwanderten Luchse aus dem
Harz [zwischen Harz und Elm] „mehrfach Land-
                                                    Die Datenzusammenstellung „Bundeskonzept
schaftsräume mit einem Waldanteil unter 25%
                                                    Grüne Infrastruktur“ umfasst die Einzeldatenbe-
oder etablierten sogar ein festes Streifgebiet
                                                    stände, welche die grüne Infrastruktur Deutsch-
innerhalb solcher Gebiete“. Und dies – trotz
                                                    lands bilden. Diese Infrastruktur besteht aus
gegenteiliger Einschätzung durch SCHADT et al.
                                                    Flächen mit bundesweiter Bedeutung für die
(2002a & 2002b), die dort – (an dieser Stelle) im
                                                    biologische Vielfalt:
nördlichen Harzvorland – kein geeignetes Habi-
tat für Luchse erkannt haben: Das Gebiet galt als
gänzlich ungeeignet für das Dispersal des Luch-         •   Nationalparke
ses – also die gerichteten Wanderungen aus              •   Natura 2000-Gebiete (FFH-Gebiete, Vo-
dem angestammten Lebensraum hinaus, meist                   gelschutzgebiete)
mit dem Ziel der Ansiedlung in neuen Lebens-            •   Naturschutzgebiete
räumen.                                                 •   Nationale Naturmonumente
                                                        •   Ramsargebiete
Die Frage ist, ob sich Luchslebensräume mit den         •   Biosphärenreservate (Kern- und Pflege-
derzeit zur Verfügung stehenden Modellansät-                zonen)
zen ausreichend sensitiv analysieren lassen. Die        •   Fördergebiete (Kerngebiete) der Natur-
Modelle sind abhängig von den eingegebenen                  schutzgroßprojekte
Parametern. Aber gerade das geringe Wissen um           •   Lebensraumnetze der Feucht-, Trocken
Wanderbewegungen des Luchses in Kulturland-                 und naturnahen Waldlebensräume
schaften erschwert eine präzise Modellierung.               (Funktionsräume)
Demnach sind die bisherigen Modelle vielleicht
etwas zu eng gefasst und ihnen könnten gewis-
                                                    Ergänzt wird die Raumkulisse durch die national
se halboffene Landschaftstypen als Lebensraum
                                                    bedeutsamen Achsen / Korridore für Trocken-,
oder Wanderkorridor in Zukunft hinzugefügt
                                                    Feucht- und Waldlebensräume sowie für Groß-
werden. Und wie sieht es in Nordrhein-
                                                    säuger (Luchs, Wildkatze und Rothirsch). Ebenso
Westfalen aus? Wie viele Luchse könnten dort
                                                    finden sich unter den Daten auch Angaben zu
vor dem Hintergrund der vorangegangenen
                                                    unzerschnittenen     verkehrsarmen      Räumen
Überlegungen tatsächlich leben?
                                                    (UZVR), unzerschnittenen Funktionsräumen
                                                    (UFR), Hotspots der biologischen Vielfalt, Eng-
                                                    stellen der Lebensraumnetzwerke und der prio-
                                                    ritären Abschnitte der Wiedervernetzung

                                                                                                      17
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