ALLES DIGITAL Wie Datenwissenschaft die Welt verändert - ETH Zürich

Die Seite wird erstellt Helene-Charlotte Voigt
 
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ALLES DIGITAL Wie Datenwissenschaft die Welt verändert - ETH Zürich
NR. 2  / 2017

                                                  FOKUS

                                   ALLES DIGITAL
                                     Wie Datenwissenschaft
                                      die Welt verändert
                                              SEITE 14

            Start-up: Ein Roboter      Wissenschaftsförderung   Sabine Döbeli gestaltet
            sticht ins Auge            made in Europe           Finanzwirtschaft nachhaltig
            SEITE 10                   SEITE 34                 SEITE 46

A170604_ETH_Globe_0217_DE.indd 1                                                         06.06.17 08:48
ALLES DIGITAL Wie Datenwissenschaft die Welt verändert - ETH Zürich
EDITORIAL

                                                                                                                                                                                                                                           GLOBE
                                                                                                                                                                                                                                       NR. 2  / 2017

                                                                                                                                                          RAFFINIERTE
                                                                                                                                                          DATEN
                                                                                                                                                          Es ist für uns längst selbstverständlich, mit dem Mobiltelefon
                                                                                                                                                          überall und jederzeit Daten aus dem Internet abzurufen.
                                                                                                                                                          Gesundheitsapps sammeln Daten, die schon bald in die
                                                                                                                                                          ärztliche Diagnose miteinfliessen. Auch in der Industrie
                                                                                                                                                          werden immer mehr Daten erfasst und zur Steuerung und
                                                                                                                                                          Optimierung ganzer Wertschöpfungs­prozesse eingesetzt.

                                                                                                                                                          Aber mit Daten alleine ist es nicht getan. So wie Erdöl erst
                                                                                                                                                          raffiniert werden muss, um zum Treib- oder Brennstoff zu              Lino Guzzella,
                                                                                                                                                                                                                           Präsident der ETH Zürich
                                                                                                                                                          werden, braucht es die Datenwissenschaft, um aus «Big Data»
                                                                                                                                                          verwertbare Informationen und Erkenntnisse herauszu­
                                                                                                                                                          destillieren. Diese Entwicklung eröffnet vielfältige Chancen,
                                                                                                                                                          wirft aber auch Fragen auf.

                                                                                                                                                          Die Datenwissenschaft ist ein Schwerpunkt der ETH Zürich.
                                                                                                                                                          Sie hat das Swiss Data Science Center mitbegründet.
                                                                                                                                                          Unsere Forschenden sind auch am Nationalen Forschungs­
                                                                                                                                                          programm Big Data (NFP 75) beteiligt. Das Zurich
                                                                                                                                                          Information Security & Privacy Center (ZISC), das die ETH
                                                                                                                                                          gemeinsam mit Partnern aus der Industrie seit 2003
                                                                                                                                                          betreibt, kümmert sich um sicherheitsrelevante Aspekte
                                                                                                                                                          unserer informations- und datengetriebenen Gesellschaft.

      Opportunities
                                                                                                                                                          Wir möchten mit dieser Ausgabe von Globe, aber auch in              Lesen S
                                                                                                                                                                                                                                      ie ab Se
                                                                                                                                                                                                                           ETH-F               ite 24, w
                                                                                                                                                          der direkten Begegnung mit Ihnen, zeigen, wie die Daten­         der Zuk
                                                                                                                                                                                                                                  orschen
                                                                                                                                                                                                                                           de d          ie
                                                                                                                                                          wissenschaft unsere Zukunft prägen wird. Die Zürcher                     unft sich as Internet
                                                                                                                                                                                                                                             erer ma
                                                                                                                                                                                                                                                      chen.
                                                                                                                                                          Wissenschaftstage Scientifica vom 1. bis 3. September 2017
                                                                                                                                                          sind deshalb dem Thema «Was Daten verraten» gewidmet.
                                                                                                                                                          Besuchen Sie uns an diesem Anlass der Universität und der

      for you
                                                                                                                                                          ETH Zürich – zahlreiche attraktive Exponate warten auf Sie.

                                                                                                                                                          Ich wünsche Ihnen eine spannende Lektüre und freue mich
                                                                                                                                                          schon darauf, Sie an der Scientifica begrüssen zu dürfen!

                                                                                                                                                          Lino Guzzella, ETH-Präsident
      www.georgfischer.com                                                                    Find out more
                                                                                              about GF:

      Do you want to make things happen? Do you want to use your knowledge and
      skills to master challenging projects? As a globally active and innovative industrial                              Globe, das Magazin der ETH Zürich und der ETH Alumni
      corporation, GF provides many opportunities for you. Now it’s your turn.
                                                                                                                         Titel: Carl De Torres, StoryTK / Editorial: Giulia Marthaler

A170604_ETH_Globe_0217_DE.indd
GF_Anz_ETH_Globe_2017.indd 1   2-3                                                                      02.05.17 10:58                                                                                                                               06.06.17 08:48
ALLES DIGITAL Wie Datenwissenschaft die Welt verändert - ETH Zürich
GLOBE
       NR. 2  / 2017                                            INHALT

                                                                                                                                                                                          Was Daten verraten
           NEW AND NOTED                                                                                          COMMUNITY
       7   News aus der ETH Zürich                                                                           33 Verbunden mit der ETH

       8   Brennen für die Wissenschaft                                                                      34	ERC-Grants: Vertrauen in die
                                                                                                                 Grundlagenforschung
       10	Dieser Roboter sticht ins Auge                                                                                                                                                  Freitag, 1. September 2017, 18 bis 21 Uhr
                                                                                                             37 Kolumne
                                                                Bald übernimmt ein Roboter den                                                                                             Ausstellungsvernissage
           FOKUS                                                 Eingriff ins Auge. – Seite 10
       16	Maschinen haben noch                                                                                   REPORTAGE
           keine Moral                                                                                       38 Forschen in der Tropenmetropole                                            Samstag, 2. September 2017, 13 bis 19 Uhr
           Was Digitalisierung für                                                                              In Singapur arbeiten ETH-For-
           unser Leben und für die Schweiz                                                                      schende an nachhaltigen Lösun-
                                                                                                                                                                                           Sonntag, 3. September 2017, 11 bis 17 Uhr
           bedeutet                                                                                             gen für die Stadtentwicklung.                                              Ausstellung, Workshops, Kurzvorlesungen, Shows, Slams, Talks,
       20	Medizin im Datenrausch                                                                                                                                                          Familienprogramm und mehr.
           Gesundheitsdaten befeuern                                                                              CONNECTED
           Forschung für die Medizin der                                                                     42 Begegnungen an der ETH
           Zukunft.                                                                                                                                                                        Hauptgebäude der ETH Zürich und Universität Zürich
                                                                                                             44	Agenda
       24	Neues Fundament fürs Web                           In Singapur wird erprobt, was auch
           ETH-Wissenschaftler erfinden                         anderen Städten nützen könnte.
           das sichere Internet neu.                                      – Seite 38
                                                                                                                  PROFIL
                                                                                                             46 Nachhaltig wirtschaften
       27	Lernen geht vom Menschen aus                                                                         ETH-Alumna Sabine Döbeli
           Schnelle intelligente Daten­                                                                         ­fördert Nachhaltigkeit
           systeme berücksichtigen                                                                               am Finanzplatz Schweiz.
           menschliche Eigenschaften.

       28	Vom Computer programmiert                                                                              5 FRAGEN
           Maschinen sind die besseren                                                                       50 Frank Schimmelfennig
           Programmierer.                                                                                       Der Professor für Europäische
                                                                                                                Politik gewinnt auch aus
       30	Big Data für die Umwelt                                                                              produktivem Scheitern neue
           Wenn in den Umweltwissen­                                                                            Erkenntnisse.
           schaften komplexe Daten
           zusammenkommen, ist
           Datenwissenschaft gefragt.

                                IMPRESSUM — Herausgeber: ETH Alumni/ETH Zürich, ISSN 2235-7289 Redaktion: Martina Märki (Leitung), Fabio Bergamin,
                                Corinne Johannssen-Hodel, Nicole Kasielke, Florian Meyer, Meryem Riahi, Felix Würsten Mitarbeit: Claudia Hoffmann, Samuel
                                Schlaefli, Andrea Schmits Inserateverwaltung: ETH Alumni Communications, globe@alumni.ethz.ch, +41 44 632 51 24 Inserate­
                                management: Zürichsee Werbe AG, Fachmedien, Stäfa, info@fachmedien.ch, +41 44 928 56 53 Gestaltung: Crafft Kommunikation AG,
                                Zürich Druck, Korrektorat: Neidhart + Schön AG, Zürich Übersetzung: Burton, Van Iersel & Whitney GmbH, München; Anna Focà,
                                ETH Zürich Auflage: 34 600 deutsch, 31 400 englisch, viermal jährlich Abonnement: CHF 20.– im Jahr (vier Ausgaben);
                                in der Vollmitgliedschaft bei ETH Alumni enthalten. Bestellungen und Adressänderungen: globe@hk.ethz.ch bzw. für ETH-Alumni
                                www.alumni.ethz.ch/myalumni Kontakt: www.ethz.ch/globe, globe@hk.ethz.ch, +41 44 632 42 52 Kostenlose Tablet-Version.

                                                                                                                 Bild: Jodi Jacobson / iStock; Lina Meisen; Annick Ramp

A170604_ETH_Globe_0217_DE.indd 4-5                                                                                                                                        170509_Inserat_Scientifica17_GLOBE_200x265.indd 1                                17.05.17 08:48
                                                                                                                                                                                                                                                           06.06.17 17:03
ALLES DIGITAL Wie Datenwissenschaft die Welt verändert - ETH Zürich
NEW AND NOTED

                Was Daten verraten
                                                                                                                                                                                                                                     Umweltforschung

                                                                                                                                                                                                                                     GOOGLE ALS BASIS
                                                                                                                                                                                                                                     Forschenden des Future Cities Labo-
                                                    Big Data, personalisierte Medizin, digitale Gesellschaft, Open Acccess                                                                                                           ratory ist es gelungen, mit einer neuen
                                                    oder Citizen Science: Gesellschaft und Wissenschaft durchlaufen                                                                                                                  Methode aufzuzeigen, wie wichtig
                                                    derzeit einen tiefgreifenden Wandel. Er beruht im Kern auf den neuen                                                                                                             Bäume für das städtische Ökosys-
                                                                                                                                                                                                                                     tem sind. Die Wissenschaftler extra-
                                                    Möglichkeiten, Daten zu sammeln, auszuwerten, miteinander zu
                                                                                                                                                                                                                                     hierten beinahe 100 000 Bilder von
                                                    verküpfen und sie global zugänglich zu machen.                                                                                                                                   ­Google Street View. Mit einem Algo-
                                                                                                                                                                                                                                      rithmus errechneten sie bei jedem Bild
                                                    Wie setzen Forscherinnen und Forscher an der ETH und der UZH diese                                                                                                                die Fläche der Baumkronen. In einem
                                                    Möglichkeiten ein? Welche Auswirkung hat dies auf die Art, wie                                                                                                                    zweiten Schritt schätzten sie die Son-
                                                    Forschung betrieben wird? Bricht ein neues, goldenes Zeitalter der                                                                                                                nenstrahlung ein, die den Erdboden
                                                    Erkenntnis an, oder geht uns die Arbeit aus? Um diese Fragen dreht sich                                                                                                           durch das Blätterdach noch erreicht.
                                                                                                                                                                                                                                      So können sie ableiten, wie stark die
                                                    die Scientifica 2017.                                                                                                                                                             Temperatur regulierende Funktion
                                                                                                                                                                                                                                      von Bäumen im Stadtgebiet ist.
                                                    Gleichzeitig werden Daten zu einer neuen Währung in der Gesellschaft.
                                                                                                                                               Strassenbäume verbessern das Stadtklima, zum Beispiel in Singapur.
                                                    Vermeintlich kostenlose Dienstleistungen werden mit Informationen

                                                                                                                                                                                                                                                                                7
                                                    zum Nutzerverhalten oder anderen personenbezogenen Daten erkauft.
                                                    Wer soll über solche Daten verfügen, wie können diese geschützt werden?
                                                                                                                                               Nanowissenschaften                         der ETH Zürich konnten diese An­
                                                                                                                                                                                          nahme nun in einem Experiment mit
                                                                                                                                               PLÄTTCHEN STATT
                                                    Programm
                                                                                                                                                                                          Cadmium-Selenid, auch bekannt als

                                                                                                                                               PUNKTE                                     Katzengold, widerlegen.
                                                                                                                                                                                                In ihrem Versuch bildete sich zu-
                                                    Freitag, 1. September 2017                                                                                                            erst ein Kristallisationskern aus weni-
                                                                                                                                               Sie sind nur wenige Atomschichten          gen Atomen, der nach einer gewissen
                                                    18.00 bis 21.00 Uhr: Ausstellungsvernissage
                                                                                                                                               dick und wurden erst vor wenigen Jah-      Grössenüberschreitung zum Plättchen
                                                    20.30 bis 22.30 Uhr: Filmabend                                                             ren entdeckt: die hauchdünnen recht-       heranwuchs. Aus energetischen Grün-
                                                                                                                                               eckigen Nanoplättchen. Besser er-          den hefteten sich die Atome nur an die     Autismusforschung
                                                    Samstag, 2. September 2017                                                                 forscht sind ihre Verwandten, die          Seiten des Kerns, so breiteten sie sich
                                                    13.00 bis 19.00 Uhr: Ausstellung, Workshops, Kurzvorlesungen, Shows,                       Quantenpunkte, die bereits Verwen-         nur zweidimensional aus. Dies führte       EMPATHIE IM HIRN
                                                    Slams, Talks und mehr                                                                       dung in der Alltagselektronik, bei-       schlussendlich zum flachen Plättchen
                                                    20.30 bis 22.30 Uhr: Theaterabend                                                           spielsweise im Fernseher, finden. Auch    und nicht zum runden Quantenpunkt.         Ein internationales Forscherteam um
                                                                                                                                                die Plättchen wären interessant für die        Katzengold ist allerdings hochgif-    ETH-Professorin Nicole Wenderoth
                                                    Sonntag, 3. September 2017                                                                  Elektronikindustrie, da sie gewisse       tig und daher nicht für den Alltagsein-    konnte zeigen, dass bei Autisten das
                                                                                                                                                Farben leuchtender erzeugen können        satz geeignet. Ein Ziel der Forscher ist   Hirnareal für Empathie wenig aktiv
                                                    11.00 bis 17.00 Uhr: Familienprogramm
                                                                                                                                               und zudem effiziente Energieträger         es daher, Nanoplättchen aus weniger        ist. In ihrer Studie mit autistischen
                                                    Ausstellung, Workshops, Kurzvorlesungen, Shows, Slams, Talks und mehr                      sind. Dies würde sie auch für den Ein-     giftigen oder ungiftigen Substanzen        und gesunden Jugendlichen mussten
                                                                                                                                               satz in Solarzellen prädestinieren.        herzustellen. Die Studie bildet eine       die Probanden anhand von Spielsitua-
                                                    Eintritt frei.                                                                                  Im Gegensatz zu den Punkten war       wichtige Basis, um eine breite Palette     tionen beurteilen, ob eine Drittper-
                                                                                                                                               Wissenschaftlern bisher aber nicht         von Nanoplättchen-Materialien unter-       son negativ oder positiv überrascht
                                                    Detailprogramm ab 15. Juli 2017 online                                                     ­bekannt, wie genau sich die Plättchen     suchen zu können.                          wurde. Im MRI konnten die Forscher
                                                                                                                                                bilden. Vermutet wurde, dass sie zum                                                 sehen, dass bei autistischen Jugendli-
                                                    Gratistickets für Shows und Workshops ab 18. August online erhältlich.
                                                                                                                                                passgenauen Wachsen eine Art von                                                     chen die Nervenaktivität im Hirn­­   -
                                                                                                                                                Formvorlage benötigen. Forschende                                                    areal für Empathie viel schwächer war.

                                                    www.scientifica.ch
                                                                                                                                               Bild: colourbox.com; Joshua Balsters                  ETH GLOBE 2/2017

170509_Inserat_Scientifica17_GLOBE_200x265.indd
A170604_ETH_Globe_0217_DE.indd    6-7           2                                                                             17.05.17 17:03                                                                                                                            06.06.17 08:48
ALLES DIGITAL Wie Datenwissenschaft die Welt verändert - ETH Zürich
NEW AND NOTED                                                                                    NEW AND NOTED

                                                                                                                                                         Holz im Test

                                                                                                                                                         BRENNEN FÜR DIE
                                                                                                                                                         WISSENSCHAFT
                                                                                                                                                         Der nachhaltige Rohstoff Holz kommt
                                                                                                                                                         in immer mehr Gebäuden in der
                                                                                                                                                         Schweiz zum Einsatz. Die Brandsi-
                                                                                                                                                         cherheit dieser Gebäude muss dabei
                                                                                                                                                         genauso wie bei Gebäuden aus Beton
                                                                                                                                                         oder Stahl gewährleistet sein. Das In-
                                                                                                                                                         stitut für Baustatik und Konstruktion
                                                                                                                                                         (IBK) der ETH Zürich ist weltweit für
                                                                                                                                                         seine Forschung im Brandschutz und
                                                                                                                                                         die Durchführung von grossmass-
                                                                                                                                                         stäblichen Brandversuchen bekannt.
8

                                                                                                                                                                                                          9
                                                                                                                                                         Durch die Durchführung dieser
                                                                                                                                                         Brandversuche kann das Trag- und
                                                                                                                                                         Temperaturverhalten von tragenden
                                                                                                   chen
                                                                                         er brau
                                                                    s u c h e  wie dies       it a lles wie                                              Wand- und Deckenelementen im
                                                                   r                        m
                                                          Brandve       r b e re it ung, da                                                              Brandfall untersucht und der Feuer-
                                                                 ige Vo             abläuft.
                                                        sorgfält       geplant                                                                           widerstand des Bauteils ermittelt
                                                                                                                                                         werden. Diese Informationen helfen
                                                                                                                                                         bei der Entwicklung von Bemes-
                                                                                                                                                         sungsmodellen oder können direkt
                                                                                                                                                         für die Klassifizierung des Bauteils
                                                                                                                                                         verwendet werden. Das Foto entstand
                                                                                                                                                         während eines Grossbrandversuchs
                                                                                                                                                         an einer neu entwickelten Holz-Be-
                                                                                                                                                         ton-Verbunddecke im Brandlabor auf
                                                                                                                                                         dem Gelände der Empa Dübendorf.
                                                                                                                                                         Der Versuch zeigte, dass die neuartige
                                                                                                                                                         Decke den geforderten Feuerwider-
                                                                                                                                                         stand von 60 Minuten erreicht. Sie
                                                                                                                                                         wurde bereits erfolgreich im ETH
                                                                                                                                                         House of Natural Resources (HoNR)
                                                                                                                                                         eingesetzt.

                                                                                                                                                         Projektbeschreibung:
                                                                                                                                                         → www.ethz.ch/brandschutzforschung

                                     ETH GLOBE 2/2017                                                         Bild: IBK, ETH Zürich   ETH GLOBE 2/2017

A170604_ETH_Globe_0217_DE.indd 8-9                                                                                                                                                                06.06.17 09:31
ALLES DIGITAL Wie Datenwissenschaft die Welt verändert - ETH Zürich
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       Sicher und punktgenau

       Dieser Roboter sticht ins Auge
       Patienten mit einer altersbedingten Erkrankung der Netzhaut benötigen                                                            zunächst das Pflegepersonal den Pati-       mit welcher Medikamentendosis. So-          riert sein. So können Arzt und Patient
                                                                                                                                        enten vor. Dessen Auge wird mit ei-         gar die exakte Stelle des Einstichs         sich während der Behandlung sehen
       regelmässig Spritzen ins Auge. Diese müssen ihnen bisher spezialisierte                                                          nem Lokalanästhetikum unempfind-            merkt sich das System bei jeder Be-         und miteinander sprechen, ähnlich
       Ärzte verabreichen. Doch schon bald könnte das ein Roboter übernehmen.                                                           lich gemacht und desinfiziert. Dann         handlung und berechnet dann für das         wie beim Skypen. Der Bildschirm
                                                                                                                                        wird das Lid mit einer Klammer vor-         nächste Mal eine etwas andere Positi-       dient aus­serdem dazu, dass der Patient
                                                                                                                                        sichtig offen gehalten. Anschliessend       on. Das ist deshalb wichtig, weil zu        seinen Blick im Moment des Einstichs
                                                                                                                                        setzt der Arzt die Spritze mit einer        häufiges Spritzen an derselben Stelle       auf etwas fixieren und so die Augen
                                                                                                                                        sehr feinen Nadel. Der Bereich, in den      das Auge schädigen könnte.                  besser still halten kann. Welche Bilder
                                                                                                                                        er injizieren kann, ist ein sehr schmaler                                               man ihm dazu am besten zeigt, testet
                                                                                                                                        Streifen zwischen Iris und äusserem         Ärzte können Zeit sinnvoller nutzen         man derzeit in Zusammenarbeit mit
                                                                                                                                        Augenwinkel. Während des Einstichs          Den grössten Vorteil des Roboters           der Hochschule für Technik und Wirt-
       In der Schweiz ist die häufigste Ursa-                                                                                           darf der Patient das Auge nicht bewe-       sieht Michels jedoch darin, dass er den     schaft HTW Chur.
       che für eine schwere Sehbehinderung                                                                                              gen, weil es sonst verletzt werden          Ärztinnen und Ärzten Zeit sparen und
       bei älteren Menschen die sogenannte                                                                                              könnte. «Das kommt extrem selten            grössere Flexibilität ermöglichen wür-      Hohe Akzeptanz bei Patienten
       Makuladegeneration. Bei den über                                                                                                 vor», sagt Augenarzt Michels.               de. Denn diese müssen bisher im Ope-        Dass sich Patienten dem Roboter auch
       80-Jährigen ist jeder Fünfte betroffen.                                                                                               Trotzdem würde der Roboter eine        rationssaal warten, bis der nächste Pa-     tatsächlich anvertrauen würden, dar-
       Die Krankheit führt zwar selten zur                                                                                              noch grössere Sicherheit bieten. Denn       tient vorbereitet ist und sie die Spritze   auf deutet eine erste Umfrage hin, die
       vollständigen Erblindung, beeinträch-                                                                                            er misst mit Hilfe von Sensoren, ob der     setzen können – ungenutzte Zeit, die        Ophthorobotics mit 15 Personen mit
       tigt das Sehvermögen aber stark. Be-                                                                                             Patient das Auge unmittelbar vor dem        sich über den Tag auf mehrere Stunden       Makuladegeneration durchgeführt hat.
       troffene sehen häufig nur noch ver-                                                                                              Einstich bewegt. In dem Fall bricht das     summiert. Eine Injektion an sich dau-       «Wir waren überrascht davon, wie
       schwommen, können nicht mehr lesen                                                                      Mit Hilfe von            Gerät die Injektion sofort ab. «Es kann     ert hingegen nur etwa 30 Sekunden.          ­positiv die Befragten reagiert haben»,
10

                                                                                                                                                                                                                                                                               11
       oder Auto fahren. In schweren Fällen                                                                    Sensoren kann der        schneller reagieren als wir Ärzte», sagt    «Dank dem Roboter muss der Arzt              sagt Ullrich. Alle gaben an, dass sie sich
       nehmen sie nur noch hell und dunkel                                                                     Augenroboter             Michels. Ein weiterer Vorteil wird          künftig nicht mehr selbst im Operati-        vom Roboter behandeln lassen würden
                                                                                                               schneller als jeder
       wahr.                                                                                                                            sein, dass der Roboter jeden Patienten      onssaal anwesend sein», sagt Ullrich.        – auch dann, wenn der Arzt oder die
                                                                                                               Arzt reagieren,
            Die Krankheit lässt sich nicht hei-                                                                falls der Patient        mittels Iris-Scan eindeutig identifi-       Er kann das Gerät von einem anderen          Ärztin nicht im Raum ist, sie aber mit
       len, aber im fortgeschrittenen Stadium                                                                  das Auge bewegt.         ziert. So gibt es keine Verwechslungen      Raum aus steuern, etwa seinem                ihm oder ihr kommunizieren können.
       mit Medikamenten behandeln. Diese                                                                                                von Patienten. Gleichzeitig ist vorge-      Sprechzimmer. «Dadurch kann er die               Bei Spitälern findet der Injekti-
       halten den Krankheitsverlauf auf und                                                                                             sehen, dass das System automatisch          Zeit zwischen den Injektionen für an-        onsroboter ebenfalls Anklang: Bereits
       können manchmal sogar die Sehkraft                                                                                               die entsprechende Krankenakte auf-          dere Aufgaben nutzen», sagt Ullrich.         fünf Augenkliniken haben Interesse
       wieder verbessern. Dazu muss Patien-                                                                                             ruft, in der sämtliche vorherigen Be-            Damit die Kommunikation mit             geäussert, ein solches Gerät zu kaufen.
       ten in Abständen von vier bis sechs                                                                                              handlungen gespeichert sind – bei-          dem Patienten trotzdem sichergestellt        Doch zunächst müssen die Forschen-
       Wochen ein Medikament gespritzt                                                                                                  spielsweise auch, in welches von bei-       ist, werden im Gerät ein Bildschirm so-      den aus dem bestehenden Prototyp ein
       werden, und zwar direkt ins Auge.                                                                                                den Augen injiziert werden soll und         wie Mikrofon und Lautsprecher integ-         klinisch einsetzbares Gerät entwi-
       «Die Prozedur ist unangenehm, aber                                                                                                                                                                                        ckeln, dieses testen und schliesslich
       in der Regel nicht schmerzhaft», sagt      Forschende des Multiscale Robotic          berechnet es die Einstichstelle und po-                                                                                             zertifizieren lassen. Dazu suchen sie
       Professor Stephan Michels, Stellver-       Lab der ETH zusammen mit Ärzten            sitioniert selbstständig die Injektions-                                                                                            zurzeit die nötige Finanzierung. Einen
       tretender Chefarzt der Augenklinik         des Triemlispitals gegründet. «Unser       nadel. Der Arzt kann alles in Echtzeit                                                                                              ersten Erfolg können sie verzeichnen:
       des Zürcher Stadtspitals Triemli. Al-      Roboter wird der erste sein, der für       auf einem Bildschirm überwachen. Er                                                                                                 Der Start-Up erhält vom Schweizeri-
       lein am Triemli werden 7500 Augen­         Augeninjektionen eingesetzt werden
                                                  ­                                          muss nur noch kurz die Einstellungen                                                                                                schen Nationalfonds und von der Kom-
       injektionen pro Jahr durchgeführt,         kann», sagt Franziska Ullrich, Maschi-     prüfen und dann die Injektion per                                                                                                   mission für Technologie und Innovati-
       schweizweit sind es etwa 100 000.          nenbauingenieurin an der ETH und           Knopfdruck starten. «Mit dem Robo-                                                                                                  on einen Förderpreis in Höhe von
       «Manchmal behandle ich bis zu 60 Pa-       CEO von Ophthorobotics. Dank dem           ter wird der Eingriff präziser und si-                                                                                              130 000 Franken, der den Transfer von
       tienten an einem Tag», sagt Michels.       Roboter braucht der Arzt die Spritze       cherer», sagt ETH-Forscherin Ullrich.                                                                                               Forschungserkenntnissen in die Wirt-
                                                  nicht mehr selbst zu verabreichen.         Sie arbeitet an der Weiterentwicklung                                                                                               schaft beschleunigen soll. — Claudia
       Injektionen per Knopfdruck                 Stattdessen wird das mobile Gerät          des Geräts, das vorerst nur als Proto-                                                                                              Hoffmann
       Unterstützen könnte ihn und seine          über dem Kopf des liegenden Patien-        typ im Labor existiert.                                                    Der Augenroboter führt nicht nur den Eingriff aus,
       Kollegen dabei künftig ein Roboter,        ten platziert. Es erstellt mit Hilfe von        Bis jetzt führen Ärzte die Augenin-                                   sondern er liefert dem überwachenden Arzt auch          Zum ETH-Start-up:
       den der ETH-Start-up Ophthorobotics        zwei Kameras ein 3D-Bild des Auges,        jektionen manuell durch. Diese finden                                      relevante Patienteninformationen.                       → www.ophthorobotics.com
       derzeit entwickelt. Die Firma haben        in das die Injektion erfolgen soll. Dann   im Operationssaal statt. Dort bereitet

                                                            ETH GLOBE 2/2017                                                            Bild: Ophthorobotics (2)                              ETH GLOBE 2/2017

A170604_ETH_Globe_0217_DE.indd 10-11                                                                                                                                                                                                                                   06.06.17 08:49
ALLES DIGITAL Wie Datenwissenschaft die Welt verändert - ETH Zürich
NEW AND NOTED                                                                                                                                 NEW AND NOTED

                                                                                         Klimaforschung                                             Architektur                               Einen neuen Lösungsansatz präsentie-
                                                                                                                                                                                              ren nun Architekten der ETH Zürich:
                                                                                         SENSIBLER                                                  LEICHT UND                                Sie haben Bodenelemente aus Beton

                                                                                         REGENGÜRTEL                                                TROTZDEM STABIL                           entworfen, deren tragende Platte nur
                                                                                                                                                                                              zwei Zentimeter dick, aber trotzdem
                                                                                                                                                                                              sehr stabil ist. Im Vergleich zu her-
                                                                                         Erstmals untersuchten Wissenschaft-                        In den Städten ist der Platz knapp.       kömmlichen Betonböden sind sie rund
                                                                                         ler die globalen Wetterdaten der letz-                     Deshalb suchen Architekten nach We-       70 Prozent leichter. Weil die Platten
                                                                                         ten 2000 Jahre. Dabei stellten sie fest,                   gen, kompakt zu bauen – und das mög-      nicht flach, sondern gewölbt sind –
                                                                                         dass bereits kleine Temperatur-                            lichst günstig und umweltfreundlich.      ähnlich wie die Deckengewölbe in go-
                                                                                         schwankungen den tropischen Re-                            Ein Ansatz ist dabei die Leichtbauwei-    tischen Kathedralen – können sie sehr
                                                                                         gengürtel beeinflussen. So verschob                        se: Je dünner die Decken eines mehr-      grossen Belastungen standhalten. Des-
                                                                                         er sich von 1450 bis 1850 deutlich                         stöckigen Gebäudes sind, desto mehr       halb benötigen sie keinen schweren
                                                                                         nach Süden. Diese Verschiebung hing                        Platz bleibt für zusätzliche Etagen.      Bewehrungsstahl zur Verstärkung. In
       Moleküle mit einem Dysprosium-Atom (blau) werden auf der Oberfläche               mit der Kleinen Eiszeit zusammen,                          Weil sie weniger Gewicht tragen müs-      der Praxis getestet werden die neuarti-
       eines Nanopartikels (rot und orange) deponiert und verschmolzen.                  die damals für tiefere Temperaturen                        sen, lässt sich auch bei Fundamenten      gen Bodenplatten im Forschungsge-         Flach gedruckt kann das Objekt später
                                                                                         auf der Erde sorgte. Jedoch betrug die                     Baumaterial sparen, was die Kosten        bäude NEST in Dübendorf.                  in weitere Formen gebracht werden.
                                                                                         durch die Eiszeit verursachte Diffe-                       senkt. Doch bei der heute üblichen             Für die Produktion der Platten
                                                                                         renz der Durchschnittstemperaturen                         Bauweise mit Beton ist es kaum mög-       verwendeten die Forscher bisher teure     Fertigungstechnik
       Datenspeicherung                         den Wissenschaftlern, magnetisierba-     lediglich 0,4 Grad Celsius. Besonders                      lich, Gewicht zu reduzieren: Damit die    Gussformen. Um die Kosten zu sen-
                                                 re Dysprosium-Atome auf Nanoparti-      für die Landwirtschaft in den Tropen                       Böden der Geschosse tragfähig sind,       ken, haben sie nun erste Elemente aus     VIERTE DIMENSION
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                                                                                                                                                                                                                                                                                       13
       KLEINSTMAGNETE                            keln anzuordnen. Die Forschenden        und Subtropen kann eine Verschie-                          müssen sie im Durchschnitt 25 Zenti-      Sand mit Hilfe von 3D-Druck gefer-

       AUF NANOEBENE                             packten die Atome in ein Molekülge-
                                                rüst und fusionierten sie bei 400 Grad
                                                                                         bung fatale Folgen haben: zum Bei-
                                                                                         spiel grosse Dürren oder Starknieder-
                                                                                                                                                    meter dick sein und im Innern zusätz-
                                                                                                                                                    lich mit Stahlstäben oder -gittern ver-
                                                                                                                                                                                              tigt. Diese halten Lasten von 1,4 Ton-
                                                                                                                                                                                              nen stand und erfüllen damit ebenfalls
                                                                                                                                                                                                                                        3D-Drucker sind zum Standard vieler
                                                                                                                                                                                                                                        Labors geworden. Nun kommt der
                                                Celsius mit den Partikeln.               schläge.                                                   stärkt werden. Dadurch sind sie sehr      die schweizerischen Baunormen.            4D-Druck. Damit werden bewegliche
       Die Vorstellung klingt faszinierend:          Im Unterschied zu anderen                                                                      schwer.                                                                             und veränderbare Objekte herge-
       Unmengen von Daten könnten auf Kleinstspeichern auf Nanoebene ist                                                                                                                                                                stellt, wie etwa flache Bausätze, die
       kleinstem Raum gespeichert werden, diese neue Methode besonders ein-                                                                                                                                                             sich zu einem späteren Zeitpunkt zu
       wenn man für eine Informationsein- fach: Man benötigt für die Herstellung         Mikrobiologie                                                                                                                                  dreidimensionalen Objekten entfal-
       heit (in der binären Digitaltechnik eine der mit Atomen bestückten Nano­                                                                                                                                                         ten lassen. ETH-Wissenschaftlern ist
       Null oder eine Eins) bloss ein ein­    - partikel weder einen Reinraum noch       DURCHFALLERREGER                                                                                                                               es nun gelungen, ein Konstruktions-
       ziges Atom oder ein kleines Molekül ­komplexe Apparaturen. Zudem kön-
       brauchte. Theoretisch ist dies möglich, nen die Nanopartikel bei Raumtempe-
                                                                                         IN KETTEN LEGEN                                                                                                                                prinzip zu schaffen, dank dem sich die
                                                                                                                                                                                                                                        Formänderungen genau kontrollie-
       indem man bestimmte Atome so mag- ratur aufbewahrt und wiederverwen-                                                                                                                                                             ren lassen. Ihre flach hergestellten
       netisiert, dass die Magnetisierung eine det werden.                               ETH-Biologen konnten aufklären,                                                                                                                Strukturen verändern ihre Konfigura-
       von zwei möglichen Richtungen an-             Die Nachteile: Die Magnetisie-      wie Impfungen bakterielle Darm­                                                                                                                tion nicht irgendwie, sondern genau
       nimmt: «Spin down» oder «Spin up». rung funktioniert nur bei rund –270            erkrankungen bekämpfen: Die Impf-                                                                                                              wie von den Forschenden vorhergese-
       So liesse sich in der Abfolge der Mag- Grad Celsius und hält auch nur maxi-       stoff-induzierten Antikörper legen                                                                                                             hen. Ausserdem können die Struk­
       netisierungsrichtungen Information mal eineinhalb Minuten an. Daher               die sich im Darm ausbreitenden                                                                                                                 turen mit Gewicht belastet werden.
       speichern.                               ­suchen die Wissenschaftler nach Me-     Krankheitserreger in Ketten. Zwar                                                                                                              ­Solche tragfähigen 4D-Druck-Objek-
            Jedoch gibt es noch einige Hürden thoden, die Magnetisierung auch bei        können sich die Erreger weiterhin                                                                                                              te konnte vor dem ETH-Forschungs-
       zu überwinden auf dem Weg zu Einzel- höheren Temperaturen und über län-           vermehren, doch die Nachkommen                                                                                                                 team noch niemand herstellen.
       molekülmagnet-Datenspeichern. Eine gere Zeit stabil zu halten. Ausserdem          bleiben in einem Klumpen gefangen.
       davon ist das Anordnen von magneti- möchten sie die magnetisierbaren Ato-         Dadurch wird die Ansteckung des
       sierbaren Molekülen auf einer festen me statt mit Nanopartikeln mit einer         Darmgewebes verhindert, das Aus-
       Unterlage. Diese Herausforderung flachen Unterlage fusionieren.                   scheiden des Erregers beschleunigt                                                                                                             Mehr Informationen zu diesen und
       konnte nun ein internationales For-                                               und der Genaustausch zwischen Bak-                                                                                                             weiteren Forschungsnachrichten
       scherteam unter ETH-Leitung bewäl-                                                terien verschiedener Familien unter-                                                                                                           aus der ETH Zürich finden Sie unter:
       tigen: In ihrem neuen Ansatz gelang es                                            bunden.                                                    ETH-Forscher Philippe Block steht auf einem aus Sand gedruckten Boden-Prototyp.     → www.ethz.ch/news

                                                           ETH GLOBE 2/2017                  Grafik: Allouche F. et al., ACS Central Science 2017   Bild: Peter Rüegg; Tian Chen                         ETH GLOBE 2/2017

A170604_ETH_Globe_0217_DE.indd 12-13                                                                                                                                                                                                                                           06.06.17 08:49
ALLES DIGITAL Wie Datenwissenschaft die Welt verändert - ETH Zürich
FOKUS

                 Ein winziger Augenblick im Web: In jeder
                 Sekunde verschicken wir weltweit mehr
                 als 2 Millionen E-Mails, starten rund
                 60 000 Google-Anfragen und verteilen rund
                 70 000 Facebook-Likes. Doch das ist nur
                 die Spitze des Eisbergs. Unser Leben wird
                 mehr und mehr davon bestimmt, dass riesige
14

                 Datenmengen sicher verarbeitet werden.
                 Im Fokus dieser Globe-Ausgabe steht die
                 Datenwissenschaft, die hilft, aus dem
                 Datenmeer sinnvolles Wissen zu fischen.

                                                                                                                                                                                                                                           ANGESCHAUTE YOUTUBE-VIDEOS — 68 747

                                                                                                                                                                                                                                                                                 HOCHGELADENE INSTAGRAM-FOTOS — 774
                                                                                                                         VERSCHICKTE E-MAILS — 2 557 933

                                                                                                                                                                                      ABGESETZTE TWEETS — 7567
                                                                                                                                                           GOOGLE-ANFRAGEN — 59 601

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                      GEHACKTE WEBSITES — 0.9

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                               POSTS AUF TUMBLR — 1226
                                                                                                                                                                                                                 FACEBOOK-LIKES — 66 666
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                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                SKYPE-ANRUFE — 2529
                                                              ILLUSTRATIONEN IM FOKUS:
                                                              Carl De Torres, Story TK

                                                              Quelle: www.internetlivestats.com

A170604_ETH_Globe_0217_DE.indd 14-15                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                  06.06.17 08:49
ALLES DIGITAL Wie Datenwissenschaft die Welt verändert - ETH Zürich
FOKUS                                                                                              FRIEDEMANN MATTERN ist
                                                                                                                                                                      Professor an der ETH

        «Maschinen haben noch
                                                                                                                                                                      Zürich. Er leitet die
                                                                                                                                         PATRICK BURKHALTER ist       Forschungsgruppe für
                                                                                                                                         Verwaltungsratspräsident     verteilte Systeme im
                                                                                                                                                                      ­
                                                                                                                                         der Firma Ergon Informatik   ­Departement Informatik.
                                                                                                                                         AG in Zürich, die er als      Forschungsgebiete sind

            keine Moral.»
                                                                                                                                         CEO von 1992 bis 2016         dezentrale Systeme,
                                                                                                                                         leitete. Als einer von 50
                                                                                                                                         ­                             ­Ubiquitous Computing,
                                                                                                                                         «digital shapers» war ­
                                                                                                                                                               er       Sensornetze und das
                                                                                                                                         beteiligt an der Erarbei-      Internet der Dinge. Dabei
                                                                                                                                                                        ­
                                                                                                                                         tung des «Digitalen Mani-      geht es ihm und seiner
                                                                                                                                         fests für die Schweiz»,        Gruppe weniger um einzel-
           Alle reden von der digitalen Revolution.                                                                                      das in Zusammenarbeit mit      ne Anwendungen, sondern
                                                                                                                                         Digitalswitzerland und         um grundlegende Konzepte,
       Für Patrick Burkhalter, langjähriger Leiter der                                                                                   Bundespräsident Johann         die als Basis für mög-
                                                                                                                                         Schneider-Ammann im Januar     lichst viele Anwendungen
         Softwarefirma Ergon, und Informatikprofessor                                                                                    2017 vorgestellt wurde.        dienen können.

        Friedemann Mattern hat diese längst begonnen.
                                        INTERVIEW Martina Märki und Nicole Kasielke
                                                    FOTO Gerber/Loesch

                                                   dass dieses Verfahren besser funktio-      haupt. Schliesslich sind die Vorstellun-
                                                   niert als regelbasierte Systeme, mit de-   gen, was moralisch richtig ist, von
                                                   nen derzeit noch die meisten Banken        Kultur zu Kultur, von Zeitraum zu
                                                   arbeiten.                                  Zeitraum unterschiedlich. Es gibt je-
                                                   FRIEDEMANN MATTERN — Tatsächlich           doch interessante Experimente. So
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                                                   stellt man in einer ganzem Reihe von       versucht man derzeit, Systeme aufzu-
                                                   Gebieten fest, dass selbstlernende         bauen, die nichts anderes machen als
                                                   Verfahren besser sind als das, was
                                                   ­                                          Zeitung zu lesen und so ein Weltwissen
                                                   Experten den Maschinen vorher in
                                                   ­                                          entwickeln. Diese Systeme lernen so
                                                   mühsamer Arbeit mit Regelwerken            beispielsweise, dass jeder Mensch El-
                                                   zu einem Thema eingebaut haben. In         tern hat. Aber sie scheitern an der Fra-
                                                   Bereichen wie Bilderkennung etwa,
                                                   ­                                          ge, ob Schwiegermütter nett oder böse
                                                   wo früher Menschen als Experten            sind, weil beide Varianten in Texten
                                                   unersetzlich waren, treffen heute
                                                   ­                                          vorkommen.
                                                   Maschinen, sofern genügend Lern­
                                                   ­
                                                   material zur Verfügung steht, oft bes-     Künstliche Intelligenz war doch schon
                                                   sere Entscheidungen als der Mensch.        in den 1980er-Jahren ein Thema.
                                                   Aber Maschinen haben ein Manko:            Warum ist gerade jetzt so oft die Rede
                                                   Sie reflektieren ihre Entscheidungen       von einer digitalen Revolution?
                                                   derzeit nicht auf einer Metaebene. Sie     BURKHALTER – Für mich als Informa-
                                                   haben noch kein moralisch-ethisches        tiker ist das eher eine Evolution. Es
                                                   Sensorium.                                 gibt alle paar Jahre neue Entwicklun-
       Herr Burkhalter, Ihre Firma hat 1997                                                   gen in der Forschung. Dass man nun
       zusammen mit Credit Suisse das erste        Wäre so etwas überhaupt denkbar?           plötzlich von einer digitalen Revoluti-
       Onlinebanking-System der Schweiz            BURKHALTER – Unser System erkennt          on spricht, könnte daran liegen, dass
       ­entwickelt. An welchem Meilenstein         Muster, die aus dem Rahmen fallen,         den Leuten plötzlich bewusster wird,
        ­arbeiten Sie heute?                       und reagiert auf auffällige Abweichun-     dass Software in immer mehr Alltags-
         PATRICK BURKHALTER — Ein aktuel-          gen. Es trifft keine moralischen Ent-      gegenständen eine immer grössere
          les Beispiel ist die Anwendung von       scheidungen.                               Rolle spielt.
         ­maschinellem Lernen im Umfeld von        MATTERN — Die Frage, wie man Moral         MATTERN —      Digitalisierung findet
          Finanztransaktionen. Wir entwickeln      so formalisieren könnte, dass sie Ma-      schon lange statt. Die ersten Computer
          ein lernendes System, das Betrugsfälle   schinen implementiert werden könn-         gibt es seit dem Zweiten Weltkrieg, in
          aufdecken kann. Wir konnten zeigen,      te, gehört zu den Schwierigsten über-      den 1950er-Jahren entstanden be-

                                                             ETH GLOBE 2/2017

A170604_ETH_Globe_0217_DE.indd 16-17                                                                                                                                                         06.06.17 08:49
ALLES DIGITAL Wie Datenwissenschaft die Welt verändert - ETH Zürich
FOKUS                                                                                                                            FOKUS

       reits zahlreiche Bankanwendungen.          haben. Das geht nicht von heute auf       Wie steht es denn um die Akzeptanz?       gesetzlich regulieren. Wenn allerdings      einfach zu weit weg für uns. Wir kön-      MATTERN — Das ist ein Traum. In der
       Dann krempelte der PC in den               morgen, sondern eher schleichend,         Immerhin werden dabei ganz schön viele    zu streng reglementiert wird, welche        nen von der Schweiz aus gewisse Ni-        Praxis zeigt sich immer wieder, dass
       1980er-Jahren die Bürowelt um, es gab      aber es wird die Welt verändern.          Daten über den Einzelnen gesammelt.       Daten wie verwendet und weitergege-         schen besetzen, wir sind sogar in man-     ein Hub wirklich lokal konzentriert
       die Digitalisierung der Telefonie in den                                             MATTERN — Es kommt immer darauf           ben werden dürfen, dann wird der Ser-       chen Nischen Marktführer, aber ich         sein muss. Nur so entsteht der Aus-
       1990ern und schliesslich die Digitali-     Können Sie Beispiele nennen für das,      an, in welchem Rahmen sich die neue       vice entweder nicht angeboten, oder         bin mir nicht sicher, ob das tatsächlich   tausch unter den Beteiligten, der krea-
       sierung von Fotografie, Musik und          was auf uns zukommt?                      Technik präsentiert. Wenn eine Sache      wir müssen teuer dafür bezahlen. Aber       reicht, um global Standards zu setzen.     tive Funken schlägt.
       Fernsehen. Die Digitalisierung kam         BURKHALTER – Einer unserer Kunden,        unmittelbaren Nutzen oder Spass ver-      dass immer mehr Dinge mehr Daten            MATTERN — Ich bin nicht ganz so opti-      BURKHALTER – Als Firma machen wir
       schon immer in Wellen und hat ganze        der in der Heizungs-, Lüftungs- und       spricht, wird über den potenziellen       brauchen, diese Entwicklung können          mistisch, was die Schweiz betrifft. Es     genau die gleiche Erfahrung. Wir ha-
       Bereiche umgekrempelt, mit Folgen          Klimabranche tätig ist, hat kürzlich      Schaden kaum nachgedacht. Denken          wir nicht aufhalten.                        gibt etwa vier bis fünf IT-Technolo-       ben unsere Mitarbeiter gefragt, wo un-
       für die Arbeitswelt und einhergehen-       sein erstes Produkt mit einer Verbin-     Sie an das Smart Home: Als älterer                                                    gie-Hubs in der Welt. Das sind Stan-       sere Büros liegen sollen: sehr teuer in
       der Sorge um Arbeitsplätze.                dung in die Cloud herausgebracht. Es      Mensch mit gesundheitlichen Proble-       Gibt es kulturelle Unterschiede in der      ford und das Silicon Valley, Berkeley      der Stadt Zürich oder günstig und ver-
                                                  handelt sich um ein Ventil, das bei       men bin ich unter Umständen ganz          Akzeptanz intelligenter Techniken?          und ganz Kalifornien sowie Boston mit      kehrstechnisch gut erschlossen an der
       Ist Digitalisierung also nur ein neues     Heiz- und Kühlanlagen die Durch-          froh, sanft überwacht zu werden und       MATTERN — Natürlich. In China zählt         dem MIT und Harvard. Zu nennen ist         Peripherie. Wir hätten dabei das Geld,
       Schlagwort?                                flussmenge des Wassers sowie die ein-     eine Technik zu haben, die Alarm          der Einzelne nicht so viel wie die Ge-
       MATTERN — Nicht nur. Es gibt eine Rei-     und ausgehende Temperatur misst.          schlägt, wenn ich stürze. Andererseits    sellschaft. Dort muss jedes Auto fun-
       he von Techniken, die reif geworden        Dadurch, dass das Ventil an die Cloud     kann diese Art Technik – und das geht     ken, wo es sich befindet. Das liesse sich
       sind. Das Mobiltelefon existiert seit      angeschlossen ist, kann die Firma den     über das Datenschutzproblem hinaus        in unserer individualisierten Gesell-          «Wer einen Hub Schweiz will, muss
       Jahrzehnten. Aber erst heute ist es        Energieverbrauch ständig überwachen       – auch in Paternalismus ausarten. Ma-     schaft nicht durchsetzen. In Amerika
       klein und preiswert genug, so dass je-     und auf den optimalen Wirkungsgrad        schinen werden uns vermutlich immer       sieht man Daten als Ware – bei uns
                                                                                                                                                                                       für einen Hub Zürich kämpfen.»
       der darüber verfügt. Das Cloud Com-        einstellen – und zwar weltweit. Das       mehr zu unserem Schutz bevormun-          sagt man, du kannst doch dein Eigen-                   Friedemann Mattern
       puting ist innerhalb kurzer Zeit aufge-    MIT spart mit diesem relativ simplen      den. Das Auto etwa fährt prinzipiell      tum an persönlichen Daten nicht ein-
       kommen, weil die Vernetzung so ext-        Mittel bereits 1,5 Millionen Dollar pro   nicht schneller, als auf der Strecke      fach verkaufen. Die entscheidende
       rem billig geworden ist und weil heute     Jahr an Energiekosten.                    durch Geschwindigkeitsbegrenzung          Frage ist, wer die Macht hat, seine
       riesige Datenspeicher vorhanden sind.      MATTERN — Intelligente Stromzähler        vorgeschrieben. Oder es startet nicht,    Standards durchzusetzen. Die grossen        auch Israel, wo der Bereich massiv         das wir einsparen, unseren Mitarbei-
       Diese Entwicklungen zusammen erge-         können anhand des Stromverbrauchs         bevor ich angeschnallt bin. Davon sind    Entwicklungen der letzten Jahre, die        durch das Militär gefördert wird. Vor-     tern als zusätzliches Salär ausbezahlt.
       ben plötzlich neue Potenziale, es                                                                                              heute unser Leben verändern, kamen          aussetzung für einen solchen Hub ist       80 Prozent der Befragten haben den-
       kommt zu Lawineneffekten aufgrund                                                                                              praktisch alle aus den USA. Google,         immer eine herausragende Universität       noch klar für Zürich votiert.
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                                                                                                                                                                                                                                                                                  19
       von Synergien.                                                                                                                 Facebook, Uber – es sind die grossen        von einer gewissen Grösse. Und da ha-      MATTERN — Auch Google sitzt nicht ir-
       BURKHALTER – Wir spüren auch auf                    «Wir brauchen nicht einfach                                                amerikanischen Firmen, die die Nor-         ben wir in der Schweiz ein Problem.        gendwo auf der grünen Wiese, sondern
       der Nachfrageseite, dass da etwas                                                                                              men bestimmen. Wer dagegen Server           Die ETH Zürich ist in entscheidenden       im Zentrum des Zentrums direkt beim
       kocht. Jeder will plötzlich digitalisie-
                                                                   Datenschutz,                                                       in China verkaufen will, muss garantie-     Bereichen zu klein. Gewiss, wir konn-      Zürcher Hauptbahnhof. Wenn wir ei-
       ren, die wenigsten wissen genau was,                 sondern eine Datenethik.»                                                 ren, dass die Daten in China bleiben.       ten in den letzten Jahren, nicht zuletzt   nen Hub in der Schweiz haben wollen,
       aber die meisten haben Geld. Etwas                                                                                             Wir in Europa lavieren ein bisschen,        dank Unterstützung von Industrie-          müssen wir für einen Hub Zürich
       Ähnliches habe ich zum letzten Mal                       Patrick Burkhalter                                                    und Afrika und andere Länder sind           partnern, einiges aufbauen: Ich denke      kämpfen. Ich weiss, dass das dem hel-
       1996 mit dem Aufkommen des Inter-                                                                                              dem völlig ausgeliefert. Ich glaube,        zum Beispiel an Disney Research oder       vetischen Denken eigentlich wider-
       nets erlebt.                                                                                                                   dass die Werte letztendlich von denen       an das ZISC *. Aber wir können ein-        spricht, aber hier kann man nicht mit
                                                                                                                                      gesetzt werden, die die wirtschaftliche     fach nicht alle wichtigen Gebiete genü-    der Giesskanne alle berücksichtigen
       Damals folgte auf den Internetboom         auch feststellen, um welche Art Haus-     wir bereits heute nicht weit entfernt.    und industrielle Macht haben.               gend breit abdecken. Chancen für wei-      wollen. Und man darf den Zugang von
       die Blase …                                halt es sich handelt: Familienhaushalt,   Alles gut gemeint, aber es schränkt un-                                               tere Hubs bestehen auch in Europa          guten Köpfen aus aller Welt nicht be-
       BURKHALTER – Es gibt einen wichti-         Singlehaushalt und so weiter. Man         sere Handlungsfreiheit ein.               Die Schweiz ist klein, technologisch        und Asien. In China ist definitiv der      hindern. Wenn wir nicht zu einem In-
       gen Unterschied: Die aktuellen Digita-     könnte also ganz gezielt Stromspar-                                                 aber auf einem hohen Stand. Kann sie        politische Wille dafür vorhanden. In       formatik-Hub in Europa werden, wer-
       lisierungsprojekte sind heute meistens     tipps geben, etwa in dem Stil: Deine      Maschinen werden also darüber ent-        bei den Grossen mitspielen?                 Europa hätte Zürich gute Chancen,          den die Chancen für Unicorns aus dem
       gekoppelt an etwas Physisches. Soft-       Waschmaschine verbraucht doppelt so       scheiden, was gut für mich ist. Können    BURKHALTER – Rein vom Wissen her,           aber wir müssten die Kapazitäten im        Informatikbereich made in Switzer-
       ware Engineering ist eine immer wich-      viel Strom wie eine in einem vergleich-   wir uns dem überhaupt entziehen?          ja. Aber wir haben in der Schweiz, ver-     Bereich Informationstechnik der ETH        land sehr klein bleiben. Aber ich bin
       tigere Komponente, um Produkte bes-        baren Haushalt. Vielleicht solltest du    BURKHALTER – Bis zu einem gewissen        glichen mit dem Silicon Valley etwa,        nochmals kräftig aufstocken. Und es        überzeugt, dass Europa einen solchen
       ser zu machen oder um damit verbun-        ein sparsameres Modell kaufen. All das    Grad werden wir die Vorteile, die sol-    einfach nicht so viele intelligente Soft-   müssten noch ein paar grosse Firmen        Hub braucht – auch damit sich die be-
       dene Dienstleistungen anzubieten.          gleich mit entsprechenden Links, so       che Techniken uns bieten, nicht missen    wareingenieure zur Verfügung. Wir           mehr hierherziehen – all das geschieht     währten europäischen Werte in unse-
       MATTERN — Das heisst aber auch, dass       dass der Betroffene mit wenigen Klicks    wollen. Aber wir brauchen sicher in       müssen gezielt daran arbeiten, ein          nicht von heute auf morgen. Ich fürch-     rer digitalisierten Zukunft wiederfin-
       mit dieser Digitalisierungswelle wahr-     zu seiner neuen Waschmaschine             Zukunft nicht einfach Datenschutz,        Hotspot zu werden. Manche Voraus-           te, dass der politische Mut für die not-   den. //
       scheinlich ein viel nachhaltigerer und     kommt. Ähnlich könnten wir auch in        sondern eine Datenethik.                  setzungen sind nicht schlecht. Wir ha-      wendigen Investitionen noch nicht
       umfassenderer Umbruch der Gesell-          der Industrie mit Sensorik und intelli-   MATTERN — Gesundheitsarmbänder,           ben Google hier, wir sind ein führendes     wirklich da ist.
       schaft einhergeht. Sie wird nicht nur      genter Datenauswertung den Energie-       Smartphones und so weiter müssen et-      IT-Zentrum von Europa. Doch demge-                                                     * Das Zurich Information Security and Privacy
                                                                                                                                                                                                                             Center (ZISC) wird durch Donationen an die ETH
       einige wenige Bereiche betreffen, son-     verbrauch weiter optimieren. Im Ener-     was über uns erfahren, damit sie sinn-    genüber stehen die USA mit einem            Müsste man nicht über Zürich hinaus
                                                                                                                                                                                                                             Zürich Foundation unterstützt von Dormakaba,
       dern auf die Industrie, die Politik und    giebereich gibt es enormes Potenzial      volle Dinge tun können. Natürlich soll-   Riesenmarkt und einer einheitlichen         denken? Zürich und Lausanne etwa –         Open Systems, Schweizerische Post, SIX Group,
       unser soziales Leben Auswirkungen          für intelligente Technik.                 te man das bis zu einem gewissen Grad     Sprache und Kultur. Asien dagegen ist       könnte so ein Hub entstehen?               Swisscom, ZKB und Zurich Insurance.

                                                            ETH GLOBE 2/2017                                                                                                                ETH GLOBE 2/2017

A170604_ETH_Globe_0217_DE.indd 18-19                                                                                                                                                                                                                                      06.06.17 08:49
FOKUS

             Medizin im Datenrausch
          Genomik, digitalisierte Patientendossiers und
            Echtzeit-Gesundheitsüberwachung – noch nie
            waren so viele Gesundheitsdaten verfügbar.
                                                         TEXT Samuel Schlaefli

                                Karsten Borgwardt spricht unaufgeregt und be-       erzählt Borgwardt. Durch technische Fortschrit-
                                dacht, als wollte er dadurch etwas Ruhe in ein      te in der Genomik können heute Milliarden Ba-
                                Forschungsgebiet bringen, in dem es turbulent zu    senpaare eines menschliches Genoms in wenigen
                                und her geht. Die Datenwissenschaften in der        Tagen sequenziert werden – und das für weniger
                                biomedizinischen Forschung erleben aktuell ei-      als 2000 Franken. Das eröffnet komplett neue
                                nen Boom: mehr Professoren, mehr Fördergel-         Möglichkeiten: Standen früher Fragen auf der
                                der, mehr Rechenkapazität und mehr For-             Molekularebene des Individuums im Vorder-
                                schungskooperationen. Borgwardts «Machine           grund, so beschäftigen sich Forschende heute im-
                                Learning & Computational Biology Lab» am De-        mer mehr mit Fragen auf Populationsebene;
                                partement für Biosysteme in Basel ist seit der      letztendlich also mit dem Erbgut der gesamten
                                Gründung im Juni 2014 auf 15 Mitarbeiter ange-      Menschheit. Zugleich verschiebt sich die Über-
                                wachsen – und es werden weitere hinzukommen.        wachung des Gesundheitszustands von punktu-
                                     Der 36-jährige Professor verkörpert einen      ellen Messungen, zum Beispiel beim jährlichen
                                neuen Typus von Data Scientist, wie er in der       Arztbesuch, zu kontinuierlichen Echtzeitmes-
20

                                Medizin der Zukunft einen festen Platz einneh-      sungen. Mit «Wearables» und Smartphone-Apps
                                men dürfte. Er hat Informatik mit Biologie im       können schon heute jederzeit Puls, Körpertem-
                                Nebenfach studiert, wobei er in letzterem in sei-   peratur und Bewegungsmuster aufgezeichnet
                                nem vierten Studienjahr zusätzlich einen Master     werden. Zu den neuen Möglichkeiten in Gesund-
                                an der Oxford University absolvierte. Borgwardt     heitsüberwachung und Genomik kommt hinzu,
                                ist mit der Entschlüsselung des ersten menschli-    dass Patientendossiers in den Spitälern zuneh-
                                chen Genoms aufgewachsen und war schon wäh-         mend elektronisch verfügbar sind.
                                rend des Studiums fasziniert von den neuen               In all diesen Daten steckt grosses Potenzial.
                                Möglichkeiten in der Genomik. Doch heute            Gelingt es, sie gezielt zu nutzen, so könnten The-
                                weiss er, dass die anfänglichen Hoffnungen oft      rapien personalisiert und deren Wirkung erhöht
                                überzogen waren: «Wir sind nach wie vor weit        werden, so die Hoffnung der Forscher. «Dabei
                                davon entfernt, vom Genom einer Person präzi-       wird der Zufall zu einer extrem wichtigen Grös­
                                se auf das Vorkommen komplexer Krankheiten          se», erklärt Borgwardt. Denn ein Algorithmus
                                schliessen zu können.» Eine mögliche Erklärung      muss unterscheiden können zwischen zufälligen
                                dafür: Nicht einzelne Veränderungen im Genom,       Zusammenhängen zwischen Patientendaten und
                                sondern vielmehr die Interaktion von Millionen      dem Auftreten einer Krankheit und statistisch-­
                                von Basenpaaren in der menschlichen DNA sind        signifikanten. «Aufgrund der Grösse der multi­
                                für komplexe Krankheiten wie Krebs oder Dia-        dimensionalen Datenräume stellen sich klassi-
                                betes verantwortlich. Und hier kommt die Infor-     sche Fragen der Statistik komplett neu.» Mit
                                matik ins Spiel.                                    Hilfe eines SNF-Starting Grants entwickelt seine
                                                                                    Forschungsgruppe deshalb neue Algorithmen,
                                DATENEXPLOSION IN DER GENOMIK                       die statistisch-signifikante Muster in riesigen
                                Um solche Interaktionen abbilden und simulie-       Datenbergen entdecken. Die Algorithmen
                                                                                    ­
                                ren zu können, braucht es Unmengen von Daten.
                                Heute – 16 Jahre nach der Veröffentlichung der      Bis in fünf Jahren wird das Genom von
                                Sequenz des menschlichen Genoms – sind diese        15 Prozent der Bevölkerung in den In-
                                verfügbar. «Wir erleben aktuell eine Explosion      dustrieländern sequenziert sein. Dann
                                der Datenmengen in mehreren Dimensionen»,           werden Algorithmen in Milliarden von
                                                                                    Basenpaaren nach krankheitsrelevanten
                                                                                    Mustern suchen.
                                                              ETH GLOBE 2/2017

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FOKUS

       sind schneller, benötigen weniger Rechenkapazi-      nen eine wichtige Rolle. So zum Bei-       KARSTEN BORGWARDT ist
       tät und können relevante von irrelevanten Daten      spiel bei der Magnetresonanztomogra-       ordentlicher Professor
       viel effizienter als bisher trennen.                 phie (MRI), die heute, besonders bei       für Data-Mining am
                                                            Weichteilen, zu den wichtigsten medi-      Departement für Biosys-
                                                                                                       ­
       FÜR DIE INTENSIVSTATION                              zinischen     Untersuchungsmethoden        teme (D-BSSE) der ETH
                                                                                                       Zürich in Basel. Seine
       Durch die Fortschritte in der Genomik und die        gehört. Klaas Prüssmann, Professor
                                                                                                       Forschung gilt der Ent-
       zunehmende Digitalisierung von Patientendaten        am Institut für Biomedizinische Tech-      wicklung von Algorith-
       wird Data Science für die Medizin relevant. Das      nik, das von der ETH und Universität       men zur effizienten
       «European Bioinformatics Institute» prognosti-       Zürich gemeinsam betrieben wird, hat       Suche in schnell wach-
                                                                                                       ­
       ziert, dass bis in fünf Jahren das Genom von 15      sich der Weiterentwicklung der MRI         senden Datenbeständen.
       Prozent der Bevölkerung in Industrieländern,         verschrieben. In einem kürzlich publi-
       also 150 Millionen Menschen, sequenziert sein        zierten Artikel beschreibt er ein Sys-
       wird. Gunnar Rätsch, Professor für Biomedizin-       tem, das mit 30 Temperatur- und 16
       informatik, rechnet vor: Das wären rund 28 Exa-      Magnetsensoren eine Selbstdiagnose
       byte (= 28×10 9 Gigabyte) an Daten. Um aus sol-      des MRI-Geräts erstellt. Bei verdäch-
       chen Datenmengen für Forschung und Patienten         tigen Mustern könnten Techniker
       Wissen zu gewinnen, das zu präziseren und per-       künftig frühzeitig gewarnt und so Aus-     GUNNAR RÄTSCH ist seit
       sonalisierten Therapien beiträgt, sind neue, effi-   fallzeiten des Geräts im Spital verkürzt   Mai 2016 Professor für
                                                                                                       Biomedizininformatik am
       ziente Algorithmen nötig. Diese sollen zum Bei-      und Kosten gespart werden.                                                         Data Science wird die Bildgebung der Zukunft stark verändern.
                                                                                                       Departement Informatik
       spiel in Milliarden von Basenpaaren nach krank-           Auch Prüssmann spürt in seinem        der ETH Zürich. Er
       heitsrelevanten Interaktionen suchen. Rätschs        Forschungsbereich aktuell «den Vor-        ­entwickelt maschinelle
       Gruppe arbeitet im Rahmen eines Projekts im          abend einer Goldgräberzeit». Er geht        Lernalgorithmen für
       Nationalen Forschungsprogramm 75 «Big Data»          davon aus, dass Data Science in Zu-         die Analyse biologi-                 nicht für die weitere Analyse.» Er setzt grosse              MEDIZIN UND DATENWISSENSCHAFT FÖRDERN
       daran, die grossen Genomdatenmengen effizient        kunft nicht nur MRI-Geräte, sondern         scher und medizinischer              Hoffnungen in das «Swiss Personalized Health
       zu speichern und zu analysieren. «Wir befinden       auch die Bildgebung an sich verändern       Daten.                               Network» (SPHN), an dem sich Schweizer Hoch-                 Die ETH Zürich schreibt erstmals eine
                                                                                                                                                                                                          Professur für Genombiologie aus. Damit baut
       uns mitten in einem Durchbruch!», sagt der Da-       wird. «Wenn es uns gelingt, bei                                                  schulen und Kliniken beteiligen, um die Inter­
                                                                                                                                                                                                          die Hochschule ihre internationale Führungs­
       tenwissenschaftler euphorisch.                       MRI-Aufzeichnungen relevantes Vor-                                               operabilität der Daten zu sichern und den Daten-
22

                                                                                                                                                                                                                                                             23
                                                                                                                                                                                                          position im Bereich der personalisierten
            Doch wie können Patienten konkret von sol-      abwissen, zum Beispiel, dass wir ein                                             transfer zwischen Spitälern und Forschungsinsti-             Medizin weiter aus. Ermöglicht wird die neue
       chen smarten Algorithmen profitieren? Rätsch         Hirn und nicht ein Herz untersuchen,                                             tutionen zu erleichtern. Rätsch sieht weitere                Professur durch Donationen der NOMIS Founda­
       präsentiert ein praktisches Beispiel: In enger Zu-   in eine für unser System verwertbare                                             Herausforderungen: «Im klinischen Alltag ste-                tion und der Lotte und Adolf Hotz-Sprenger
       sammenarbeit mit dem Inselspital Bern entwi-         Form zu bringen, könnten wir die Ge-                                             hen die Patienten und die Datensicherheit an vor-            Stiftung an die ETH Zürich Foundation. Die
                                                                                                       KLAAS PRÜSSMANN ist                                                                                Professur wird mit anderen Forschenden des
       ckelt seine Gruppe zusammen mit der Gruppe           schwindigkeit, Effizienz und Aussage-                                            derster Stelle und nicht das Aufzeichnen aller
                                                                                                       Professor für Bioima-                                                                              Departements Biologie der ETH Zürich in den
       von Borgwardt ein Frühwarnsystem für Organ-          kraft der Messungen stark steigern.»       ging am Institut für
                                                                                                                                             relevanten Daten für weiterführende Big-Da-
                                                                                                                                                                                                          Bereichen Proteomik, Genetik, Systembiologie,
       versagen auf der Intensivstation. Während zehn       Zugleich prognostiziert Prüssmann          Biomedizinische Technik               ta-Forschung.» Datenwissenschaftler müssten                  Zelldynamik und molekulare Biologie eng zu­
       Jahren hat das Spital von nahezu 54 000 Patien-      auch für die Radiologie grössere Um-       der Universität und ETH               noch klarer aufzeigen, wo sie Mediziner unter-               sammenarbeiten. Im Vordergrund steht die Ver­
       ten Daten zu Blutdruck, Puls, Temperatur, Medi-      brüche. In Zukunft wird es nämlich         Zürich. Seine Forschung               stützen können, ohne den klinischen Alltag zu                netzung mit den Computerwissenschaften. So
       kamenteinnahme, Glukose- und Laktosestand            möglich, Millionen von bestehenden         widmet sich der Ent-                  stören oder die Datensicherheit zu gefährden.                sollen klinische Entscheidungen künftig durch
       sowie Elektrokardiogramm (EKG) aufgezeich-           MRI-Bildern mit einer aktuellen Mes-       wicklung medizinischer                Deshalb erachtet er den Bachelor Humanmedi-                  computergestützte Analysen der komplexen
                                                                                                       Bildgebungsmethoden                                                                                Patientendaten rational getroffen werden
       net. Rätsch entwickelt nun Algorithmen, um die-      sung zu vergleichen. Daraus können                                               zin, der im Herbst 2017 zum ersten Mal an der
                                                                                                       auf der Basis von mag-                                                                             können.
       se 500 Gigabyte an Daten mit rund 3,5 Milliarden     wichtige Hinweise auf bestimmte            netischer Kernresonanz.               ETH durchgeführt wird und der auch Kurse in
       Einzelmessungen auf Muster hin zu analysieren,       Krankheiten gewonnen werden. Zu-                                                 Informatik und maschinellem Lernen beinhaltet,               www.ethz-foundation.ch
       die auf einen baldigen Notfall hindeuten. Ärzte      dem können Algorithmen Muster in                                                 als wichtigen Schritt im Zusammenrücken von
       und Pfleger könnten dadurch künftig Massnah-         MRI-Bildern erkennen, die von blos-                                              Datenwissenschaften und Medizin. «Der Einzug
       men einleiten, bevor sich der Gesundheitszu-         sem Auge nicht sichtbar sind.                                                    von Data Science ins Spital wird auch eine neue
       stand eines Patienten sichtbar verschlechtert.                                                                                        Generation von Medizinern hervorbringen», ist
       Für solche Systeme ist maschinelles Lernen nö-       RUF NACH HARMONISIERUNG                                                          Rätsch überzeugt. //
       tig, ein wichtiges Teilgebiet der Data Science.      Eine der grössten Herausforderungen für Data-­
       Programme sollen aus einem gegebenen Daten-          Science-Anwendungen im Gesundheitswesen,                                         MACHINE LEARNING & COMPUTATIONAL
                                                                                                                                             BIOLOGY LAB:
       satz Muster und Gesetzmässigkeiten erkennen          da sind sich die Experten einig, ist die fehlende
                                                                                                                                             www.bsse.ethz.ch/mlcb
       und dadurch kontinuierlich hinzulernen.              Harmonisierung der Daten. «Anonymisierte
                                                            ­Daten aus unterschiedlichen Spitälern zu For-                                   BIOMEDICAL INFORMATICS GROUP:
       AUTOMATISIERTE RADIOLOGIE                             schungszwecken sind oft nicht direkt vergleich-                                 bmi.inf.ethz.ch
       Nicht nur bei der Auswertung von Patientenda-         bar», erzählt Borgwardt. Und sein Kollege Rätsch
       ten, sondern auch bei der Weiterentwicklung von       ergänzt: «In Spitälern wurden Daten bislang oft                                 BIOMEDICAL IMAGING:
       medizinischen Geräten spielt maschinelles Ler-        für Krankenkassenabrechnungen gesammelt und                                     www.mrtm.ethz.ch

                                                            ETH GLOBE 2/2017                                    Bild: Giulia Marthaler (3)   Bild: Scanderbeg Sauer                              ETH GLOBE 2/2017

A170604_ETH_Globe_0217_DE.indd 22-23                                                                                                                                                                                                                 06.06.17 08:49
FOKUS

                                               Ein neues Fundament
                                              Der weltweite Datenverkehr basiert auf
                                                veralteten Technologien. Eine neue
                                            Internetarchitektur soll Abhilfe schaffen.
                                                                                   TEXT Felix Würsten

                                                       Am Anfang stand ein Gedankenspiel: Angesichts        den richtigen Rechnern führen. Das Problem da-
                                                       der vielen Sicherheitsmängel, die das heutige In-    bei: Wer den Hauptserver kontrolliert, kann im
                                                       ternet aufweist, fragte sich Adrian Perrig: Wie      Prinzip ohne viel Federlesens ganze Länder vom
                                                       sicher kann man ein Internet überhaupt konzi-        Netz abhängen, ohne dass sich diese dagegen
                                                       pieren? Im Laufe der letzten sieben Jahre ist aus    wehren könnten. Auch das HTTPS-Protokoll,
                                                       dieser Frage ein Grossprojekt entstanden, das        das heute vertrauensvoll zur sicheren Datenüber-
                                                       unsere heutige digitale Welt grundlegend verän-      tragung verwendet wird, ist längst nicht so sicher,
                                                       dern könnte. Als Professor für Netzwerksicher-       wie sich das die Nutzer vorstellen. Es sei, so er-
                                                       heit arbeitet Perrig zusammen mit seinem Team        klärt Perrig, sogar relativ einfach, dieses System
                                                       am Zurich Information Security and Privacy           so zu manipulieren, dass die Daten umgeleitet
                                                       Center (ZISC) daran, das Internet auf ein neues,     und von Unbefugten mitgelesen und verändert
                                                       solideres Fundament zu stellen. «Mit unserem         werden können. Und noch an einem anderen gra-
                                                       Ansatz wird das Internet nicht nur sicherer, son-    vierenden Problem stört sich Perrig: Immer wie-
                                                       dern auch zuverlässiger und sogar schneller», er-    der kommt es vor, dass Internetdienste für meh-

                                                                                                                                                                   25
                                                       klärt er.                                            rere Minuten nicht verfügbar sind. Was für den
                                                                                                            Privatanwender zuhause vielleicht bloss ein är-
                                                       ELEMENTARE FEHLER                                    gerlicher Schönheitsfehler ist, kann im Ge-
                                                       Das Internet neu starten: auf den ersten Blick       schäftsleben, wo Daten in Echtzeit ausgetauscht
                                                       eine unmögliche Aufgabe, wenn man bedenkt,           werden müssen, gravierende Folgen haben.
                                                       wie weit verzweigt und komplex das Zusammen-
                                                       spiel der Abertausende von Servern und Compu-        KEINE ABSTECHER
                                                       tern inzwischen ist. Dennoch ist Perrig felsenfest   «Es ist unglaublich, wie pannenanfällig das heuti-
                                                       überzeugt, dass sich mit seinem Ansatz zahlrei-      ge Internet ist», sagt Perrig kopfschüttelnd.
                                                       che grundlegende Probleme gleichzeitig lösen         «Dies alles wäre mit Scion nicht mehr der Fall.»
                                                       lassen, mit denen sich die Netzgemeinschaft          Das Akronym steht für «scalability, control, and
                                                       schon seit Jahren herumschlägt. «Die Grundla-        isolation on next-generation networks». Die
                                                       gen für das heutige Internet wurden in den           Grundidee hinter der abstrakten Formel: Das In-
                                                       1970er-Jahren entwickelt, zu einer Zeit also, als    ternet wird künftig in autonome, voneinander
                                                       sich noch niemand vorstellen konnte, welches         separierte Untereinheiten, sogenannte Isolation
                                                       Ausmass der weltweite Austausch von Daten ein-       Domains, unterteilt, in denen sich die Mitglieder
                                                       mal annehmen würde.»                                 auf eine gemeinsame vertragliche und rechtliche
                                                           Die heutigen Probleme fangen bereits bei         Basis einigen. Innerhalb einer Isolation Domain
                                                       ganz elementaren Dingen wie dem Domain Name          definieren dann die Internet Service Provider –
                                                       System (DNS) an: Dieser hierarchische Verzeich-      Telekom-Unternehmen, Firmen, Universitäten
                                                       nisdienst, weltweit verteilt auf Tausenden von       oder sonstige Organisationen –, welche Verbin-
                                                       Servern, macht es überhaupt erst möglich, dass       dungen sie als verlässlich erachten. Damit ist ge-
                                                       die für Menschen lesbaren Internetadressen zu        währleistet, dass die Daten auf einem sicheren
                                                                                                            und von aussen nicht mehr manipulierbaren Pfad
                                       Heute wissen wir nicht, welchen ver-                                 vom Sender zum Empfänger geschickt werden.
                                       schlungenen Weg unsere Daten im Netz                                 Mit einer solchen Netzarchitektur könnten Tele-
                                       nehmen. In Zukunft können wir bestim-                                komfirmen ihren Kunden beispielsweise garan-
                                       men, auf welchem Pfad die Daten vom                                  tieren, dass die Daten nicht mehr über irgend-
                                       Sender zum Empfänger geschickt werden,
                                       und diesen sicher gestalten.
                                                                                      ETH GLOBE 2/2017

A170604_ETH_Globe_0217_DE.indd 24-25                                                                                                                       06.06.17 08:49
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