Familiäre Hyperchol es - Aktuellen Studien zufolge kommt die Familiäre Hypercholesterinämie mit einer Prävalenz von 1:300 wesentlich häufiger vor ...
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MEDIZIN Originalarbeit Familiäre Hyperchol Aktuellen Studien zufolge kommt die Familiäre Hypercholesterinämie mit einer Prävalenz von 1:300 wesentlich häufiger vor als bisher angenommen. Damit zählt sie zu den häufigsten genetischen Erkrankungen in der Allgemein bevölkerung. Statine können die Entwicklung von Gefäßveränderungen ver hindern oder hintanhalten. Kurt Widhalm und Karin Fallmann* P zehnmal so hoch; bei vorzeitiger ischämischer Prävalenz Herzerkrankung 20 Mal und bei schwerer Hypercholesterinämie sogar 23 Mal so hoch. In In einer aktuellen Metaanalyse wurden 42 Stu 90 Prozent der Länder weltweit ist die genaue dien, die an der Allgemeinbevölkerung durchge Prävalenz allerdings unbekannt. führt wurden, und 20 Studien an Patienten mit atherosklerotischen kardiovaskulären Erkran Ursachen kungen untersucht. Es zeigten sich bei insgesamt knapp 7,3 Millionen Probanden der Allgemeinbe Bei Familiärer Hypercholesterinämie handelt es völkerung 24.636 Fälle von Familiärer Hypercho sich um einen häufigen genetischen Auslöser lesterinämie; bei 48.158 Probanden mit kardio für vorzeitige kardiovaskuläre Erkrankungen vaskulären Vorerkrankungen insgesamt 2.827 aufgrund von dauerhaft erhöhtem LDLChole Fälle. Die allgemeine Prävalenz für Familiäre sterin. Aufgrund eines GenDefekts bei Fami Hypercholesterinämie liegt damit bei 1:311. Die liärer Hypercholesterinämie funktionieren die Prävalenz bei kardiovaskulären Erkrankungen LDLRezeptoren in der Leber nur zum Teil. ist rund 18 Mal höher als in der Allgemeinbevöl Bislang sind mehr als 1.700 verschiedene Muta kerung. Damit zählt Familiäre Hypercholeste tionen des LDLRezeptorGens bekannt. Auch rinämie weltweit zu den häufigsten genetischen das Gen für Apolipoprotein B oder für PCSK9 Erkrankungen in der Allgemeinbevölkerung. kann verändert sein. In einer weiteren in diesem Jahr veröffentlich Familiäre Hypercholesterinämie kann hetero ten USamerikanischen Studie wird die Präva zygot (von einem Elternteil) oder homozygot lenz der Familiären Hypercholesterinämie in (von beiden Elternteilen) vererbt werden. Unbe der Allgemeinbevölkerung sowie bei Proban handelt kommt es bei Männern und Frauen mit den mit Vorerkrankungen untersucht. In der heterozygoter Familiärer Hypercholesterinämie Allgemeinbevölkerung lag sie bei 0,32 Prozent mit einem Gesamtcholesterin von 310 bis bei knapp 11 Millionen Probanden. Bei 84.479 580 mg/dl meist noch vor dem 55. Lebensjahr zu Probanden mit ischämischer Herzerkrankung einem kardiovaskulären Ereignis. Bei homozygo lag die Prävalenz bei 3,2 Prozent; bei 31.316 ter Familiärer Hypercholesterinämie und einem Probanden mit frühzeitiger ischämischer Gesamtcholesterin von 460 bis 1160 mg/dl tritt Herzerkrankung bei 6,7 Prozent und bei 17.728 ein kardiovaskuläres Ereignis bereits meist vor © SPL, picturedesk.com Patienten mit schwerer Hypercholesterinämie dem 20. Geburtstag auf. Die Betroffenen sterben bei 7,2 Prozent. Im Vergleich zur Prävalenz von meist schon im Kindesalter an schweren Herz 1:313 in der Allgemeinbevölkerung ist die Prä infarkten. Diese Form ist jedoch sehr selten; die valenz bei ischämischen Herzerkrankungen Häufigkeit liegt bei ca. 1:1 Million. 36 ÖSTERREICHISCHE ÄRZTEZEITUNG 15/16 | 15. August 2020
MEDIZIN esterinämie Generell kann man davon ausgehen, dass in Graubereich, in dem erhöhte Cholesterin Europa rund 4,5 Millionen Menschen mit Fami Werte auch durch andere, nicht aufgrund von liärer Hypercholesterinämie leben (zum aller Familiärer Hypercholesterinämiebedingten Ver größten Teil heterozygot); davon sind rund 20 änderungen (das heißt durch einen polygenen bis 25 Prozent Kinder und Jugendliche. Welt Defekt) ausgelöst werden. Als verdächtig gel weit kommt etwa jede Minute ein Kind mit ten bei Erwachsenen GesamtCholesterin Familiärer Hypercholesterinämie auf die Welt. Werte über 240 mg/dl und LDLWerte über Bei bis zu 30 Prozent der Betroffenen kann bis 150 mg/dl. Bei Kindern sind CholesterinWerte heute keine genetische Veränderung festgestellt ab 200 mg/dl und LDLWerte über 130 mg/dl werden. Dessen ungeachtet ist die klinische als verdächtig anzusehen. Diagnose relevant. Erhärtet sich der Verdacht auf eine Familiäre Diagnose Hypercholesterinämie durch eine Blutun tersuchung, kann eine genetische Untersu Der Grund, warum die Familiäre Hypercholes chung erfolgen, die oft eine Mutation (LDL terinämie oft zu spät und insgesamt zu selten R, Apo B oder PCSK9) zutage fördert. Ist dies diagnostiziert wird, liegt darin, dass die Betrof der Fall, können auch nahe Angehörige auf fenen zunächst keine Symptome zeigen. Auch das Vorliegen dieser Mutation untersucht, bei der klinischen Untersuchung durch den All als Träger diagnostiziert und frühzeitig gemeinmediziner oder Pädiater sind selbst bei behandelt werden. gründlichstem Vorgehen keine Veränderungen festzustellen. Wichtig ist: Es gibt drei Methoden, mit Hilfe derer man früh Eine positive genetische Untersuchung zeitig eine Familiäre Cholesterinämie vermuten kann eine Familiäre Hypercholesterinämie kann: Bei Erwachsenen hat sich in der Klinik beweisen; eine negative Untersuchung der DLCNScore (Dutch Lipid Clinic Network) schließt sie jedoch nicht aus. bewährt und wird somit für die Diagnose der Familiären Hypercholesterinämie bei Erwach senen empfohlen. Bei sechs bis acht Punkten ist Mittels Gefäßultraschalls oder mit Katheter die Diagnose Familiäre Hypercholesterinämie Untersuchungen können Gefäßveränderungen sehr wahrscheinlich; bei drei bis fünf Punkten nachgewiesen und manchmal behandelt wer möglich und bei Null bis zwei Punkten eher den. Sehr frühe Veränderungen in den Gefäßen unwahrscheinlich. Eine positive Familienana können durch die Messung der IntimaMedia mnese legt den Verdacht auf eine Familiäre Dicke (IMT) erfolgen. Hypercholesterinämie nahe, wenn bereits eine oder mehrere nahe Verwandte ungewöhnlich Ein generelles Screening (etwa ab dem sechs früh (zwischen dem 40. und 55. Lebensjahr; ten bis zehnten Lebensjahr) auf Familiäre bei homozygoter Familiärer Hypercholesterin Hypercholesterinämie ist ein guter Weg, um ämie noch deutlich früher) an einem Myokard Betroffene frühzeitig zu detektieren. Eine der infarkt erkrankt oder gestorben sind. artige Untersuchung könnte beispielsweise im Rahmen von schulärztlichen Routine Beim Cholesterin und LDLCholesterin gibt Testungen oder bei JugendGesundheitspass es keine klaren Grenzwerte, unterhalb deren Untersuchungen durchgeführt werden. eine Familiäre Hypercholesterinämie aus geschlossen werden kann; das gilt auch vice Damit ließen sich: versa. Vielmehr handelt es sich hier um einen 1. Todesfälle und schwere Erkrankungen bei » 15/16 | 15. August 2020 ÖSTERREICHISCHE ÄRZTEZEITUNG 37
MEDIZIN Originalarbeit Eine weitere Reduktion im Ausmaß von Bei Erwachsenen rund zehn Prozent – sowohl der LDL- als auch der Gesamt-Cholesterin-Werte – lässt sich durch den Ersatz von tierischem Eiweiß (Fleisch) durch pflanzliches Eiweiß (zum Beispiel Soja) erreichen. Bei den Kohlenhydraten ist es notwen- dig, Zucker und gezuckerte Lebensmittel (zum Beispiel Soft Drinks) sowie Weiß- brot und geschälten Reis zu reduzieren und stattdessen Vollkornprodukte (Brot, Nudeln, Reis) zu verwenden. In vielen Fällen reicht die Änderung des Lebensstils nicht aus. Jedoch erhöht ein gesunder Lebensstil ganz allgemein das » relativ jungen Menschen verhindern beziehungsweise Wohlbefinden und die Lebenserwartung; auch andere Risiko- deutlich in ein höheres Alter verschieben. faktoren wie Hypertonie, Adipositas, etc. werden reduziert. Bei 2. das Fortschreiten der Bildung von atherosklerotischen Pla- Kindern und Jugendlichen mit Familiärer Hypercholesterin- ques verhindern und diese Veränderungen teilweise sogar ämie kann durch Lebensstilmaßnahmen der Beginn einer rückgängig machen – wenn eine konsequente Behandlung medikamentösen Behandlung in manchen Fällen zumindest rechtzeitig beginnt. um einige Jahre hinausgeschoben werden. Behandlung Cholesterin in Lebensmitteln: Beispiele Veränderung des Lebensstils 300 mg Cholesterin sind jeweils ungefähr enthalten in: Der Grundpfeiler jeglicher Behandlung besteht in einer Ände- - 1 Eigelb rung des Lebensstils. Grundpfeiler sind eine gesunde Ernährung - 120 g Butter und regelmäßige körperliche Aktivität. Übergewicht sollte ver- - 300 g Käse mieden beziehungsweise reduziert werden. Die meisten Träger - 120 g Leber einer Familiären Hypercholesterinämie sind normalgewichtig. - 200 g Krabben Daher trifft die Assoziation: schlanker Patient – daher kann er keine Familiäre Hypercholesterinämie haben – nicht zu! Medikamentöse Behandlung Ernährungstherapie Derzeit sind Statine die medikamentöse Standardthera- Die Ernährung stellt bei allen Hyperlipoproteinämien die pie bei Familiärer Hypercholesterinämie. Diese kann auch wichtigste Basismaßnahme einer Intervention dar. In der schon bei Kindern im Alter von sechs bis acht Jahren ein- Regel ist davon auszugehen, dass durch gezielte Ernährungs- gesetzt werden. Statine wirken durch die Hemmung der maßnahmen durchschnittlich eine zehn- bis 15-prozentige körpereigenen Cholesterinsynthese in der Leber und durch Senkung von Cholesterin und LDL-C möglich ist. die Aktivierung der LDL-Rezeptoren. Valide Daten bestä- tigen die Wirksamkeit dieser Therapie und dass dadurch Basis der Ernährungstherapie ist die Senkung der Gesamtfettzu- die Entwicklung von Gefäßveränderungen verhindert oder fuhr, besonders die Zufuhr von gesättigten Fettsäuren und die Erhö- hintangehalten werden kann. hung der Zufuhr von mehrfach ungesättigten Fettsäuren. In zweiter Linie sollte die Cholesterinaufnahme unter 300 mg/Tag liegen. Die European Society of Cardiology (ESC) gibt als Ziel- werte für LDL-C bei Erwachsenen auch ohne arterioskle- Die Fettzufuhr soll auf circa 30 Prozent der zugeführten Ener- rotische Manifestationen Werte in der Größenordnung von gie beschränkt werden. Das heißt: Alle fetten Speisen und fett- 70 mg/dl und darunter an. Falls dies allein nicht ausreicht, haltigen Lebensmittel sollten möglichst gemieden werden. können zusätzlich zu oder − falls Statine nicht vertragen Außerdem sollten gesättigte (vor allem tierische) Fette durch werden − anstelle von Statinen auch Cholesterin-Resorpti- einfach und mehrfach ungesättigte Fettsäuren (zum Beispiel onshemmer aus dem Darm (Ezetimib) verwendet werden. Rapsöl, Olivenöl) ersetzt werden. Nebenwirkungen von Statinen (wie Muskelschwäche etc.) 38 ÖSTERREICHISCHE ÄRZTEZEITUNG 15/16 | 15. August 2020
MEDIZIN Ernährung bei Hypercholesterinämie: praktische Umsetzung Maßnahme Dies bedeutet praktisch: • Verringerung der Fettzufuhr auf maximal 30 Prozent der • Reduktion von tierischen Fetten, Butter, Vollmilch, etc.; Gesamtenergie und Reduzierung von gesättigten Fetten ausschließlich fettarme Fleischsorten und Milchprodukte auf maximal sieben bis zehn Prozent der Gesamtenergie • Vermeidung von frittierten Produkten und chemisch gehär- • Vermeidung von Transfetten teten Fetten (Transfette) • Erhöhung der Zufuhr von einfach ungesättigten Fetten auf • fettarme Zubereitungsformen wie Dünsten und Dämpfen bis zu 20 Prozent der Gesamtenergiezufuhr bevorzugen • Steigerung der mehrfach ungesättigten Fette auf circa • ausschließlich Raps- und Olivenöl verwenden zehn Prozent • Verwendung von Sojaprodukten • Reduktion von tierischem Eiweiß, Steigerung von pflanz- lichem Eiweiß über Soja treten im Kindes- und Jugendalter sehr selten auf. Auswir- Hinweise darauf, dass erste atherosklerotische Veränderungen kungen auf das Wachstum sowie die hormonelle und sexuelle bei Familiärer Hypercholesterinämie bereits im Kindes- und Entwicklung wurden nicht beschrieben. Jugendalter auftreten und dass eine frühe Behandlung die Ent- wicklung dieser Gefäßveränderung hintanhalten kann. PCSK-9-Hemmer, die nur alle paar Wochen injiziert werden müssen, werden bei Erwachsenen bereits mit Erfolg angewen- Die Tatsache, dass bisher so wenig Betroffene diagnostiziert det. Für Kinder und Jugendliche sind sie derzeit noch nicht werden, hat mehrere Ursachen: offiziell zugelassen, werden aber schon verwendet. Lomitapid • Es gibt keine klinischen Zeichen der Familiären Hypercholes- ist derzeit nur für Patienten mit homozygoter Familiärer Hyper- terinämie bei Kindern und Jugendlichen. cholesterinämie zugelassen (nicht für Kinder und Jugendliche). • Die Awareness für diese Erkrankung und das Risiko von frü- hen Myokardinfarkten und Gefäßveränderung ist bei Ärzten LDL-Apherese und Betroffenen zu gering. Bei schweren Fällen von heterozygoter sowie bei homo- • Auch das Bewusstsein, dass Familien, bei denen frühe Infarkte zygoter Familiärer Hypercholesterinämie ist die LDL- gehäuft vorkommen, sich untersuchen und behandeln lassen Apherese die wichtigste und wirksamste Therapie, die heu- sollten, ist nur gering ausgeprägt. te zur Verfügung steht. Diese Behandlung muss alle ein bis • Es gibt noch zu viele Ängste davor, Kinder und Jugendliche, zwei Wochen durchgeführt werden. Sie kann das Fortschrei- die keine Symptome zeigen, medikamentös zu behandeln. ten der Atherosklerose bei sehr stark erhöhten LDL-Werten hintanhalten. Der Grundpfeiler der Behandlung ist eine Veränderung des Lebens- stils mit gesunder, fettarmer Ernährung und regelmäßiger körper- Conclusio licher Aktivität. Die frühe Behandlung einer Familiären Hypercho- lesterinämie kann das Auftreten von Gefäßereignissen – inklusive Die Familiäre Hypercholesterinämie ist eine gut beschriebene, sehr häufige (circa 1:300) genetische Erkrankung, bei der das Myokardinfarkt – mit großer Wahrscheinlichkeit verhindern. ◉ LDL-Cholesterin und das Gesamt-Cholesterin im Blut deutlich Literatur bei den Verfassern erhöht sind. Die Erkrankung führt zu frühzeitigen Gefäßverän- derungen und in der Folge zu Herzinfarkten und anderen Gefäß- *) Univ. Prof. Dr. Kurt Widhalm; komplikationen schon bei jungen Erwachsenen. Die Diagnose Medizinische Universität Wien/Abteilung für der Familären Hypercholesterinämie (Familienanamnese, Cho- Gastroenterologie und Hepatologie lesterinbestimmung, Ultraschalluntersuchung und genetische Mag. Karin Fallmann; Untersuchung) kann und soll frühzeitig – wenn möglich schon Österreichisches Akademisches Institut für im Kindesalter – erfolgen. Ein Screening im Alter von sechs bis Ernährungsmedizin, Alserstraße 14/4a, 1090 Wien; zehn Jahren wäre sinnvoll und kosteneffektiv. Es gibt genügend E-Mail: kwidhalm@gmx.at; office@oeaie.at 15/16 | 15. August 2020 ÖSTERREICHISCHE ÄRZTEZEITUNG 39
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