Familien in Balance GESUNDE ELTERN, GESUNDE KINDER - gg-digital.de
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Das AOK-Forum für Politik, Praxis und Wissenschaft Spezial 12/2018 GESUNDE ELTERN, GESUNDE KINDER S PEZIAL Familien in Balance +++ Fragen, Fakten, Perspektiven Gesundheit und Gesellschaft SPEZIAL 12/18, 21. Jahrgang 1
STARTSCHUSS P SYC H I S C H E G E S U N D H E I T Inhalt Bessere Chancen für Familien Online-Hilfen für den Alltag von Klaus Hurrelmann ���������������������������������������������������������������������������� 3 von Astrid Maroß ������������������������������������������������������������������������������������� 12 ÜBERBLICK INTERVIEW Für Familien aktiv »Ein Blick nach Nordeuropa lohnt« von Anke Tempelmann und Kai Kolpatzik �������������������������������������� 4 im Gespräch mit Rainer Rossi ��������������������������������������������������������������� 14 INTERVIEW AU F E I N E N B L I C K »Wer lesen kann, lebt gesünder« Projekte und Studien������������������������������������������������������������������������ 15 im Gespräch mit Simone C. Ehmig ����������������������������������������������������� 7 IMPFEN R E P O R TAG E Die Erde ist keine Scheibe Cooler als Fußball von Thomas Fischbach ��������������������������������������������������������������������������� 17 von Annegret Himrich ����������������������������������������������������������������������������� 8 STA N D P U N K T E P R ÄV E N T I O N Wie lässt sich die Gesundheit von Familien Was für ein Theater! noch mehr stärken? �������������������������������������������������������������������������� 18 von Sarah Pomp �������������������������������������������������������������������������������������� 10 INTERVIEW »Die Vorlieben werden sich ändern« im Gespräch mit Hans-Jürgen Moog ��������������������������������������������� 11 Lese- und Webtipps Literatur Internet Berufsverband der Kinder- und Jugend ärzte auf dieser Seite bereit. √ Christina Poethko-Müller et al. √ www.aok.de Die allgemeine Gesundheit von Kindern Das Internetportal der AOK umfasst Infos √ www.gesundheit.aok.de und Jugendlichen in Deutschland – und Angebote für Familien, von den Das Internetportal mit Informationen Querschnittergebnisse aus KiGGS Welle 2 Faktenboxen über Online-Coaches bis rund um Ernährung, Bewegung und Ge- und Trends zur Rufnummer des AOK-Baby-Telefons. sundheit ist Teil von „Gesunde Kinder – Journal of Health Monitoring 2018, 3(1), Auch die wichtigsten Ergebnisse der gesunde Zukunft“, der AOK-Initiative für DOI 10.17886/RKI-GBE-2018-004 AOK-Familienstudien sind hier zu finden. Familien. Weitere Beiträge in dieser und den folgenden Ausgaben behandeln √ www.aok-kindertheater.de √ www.kiggs-studie.de vertiefend Einzelaspekte, die in der „Studie Auf dieser Website dreht sich alles um Die KiGGS-Studie liefert kontinuierlich re- zur Gesundheit von Kindern und Jugend- das Kindertheater „Henrietta & Co.“: Dazu präsentative Daten zur gesundheitlichen lichen in Deutschland (KiGGS)“ untersucht gehören ein Tourplan, Filmausschnitte, Lage von Kindern und Heranwachsenden werden – zum Beispiel Übergewicht und Informationen zum pädagogischen in Deutschland. Adipositas, psychische Probleme, Allergien Konzept und begleitende Angebote für oder ADHS. Online unter: Lehrerinnen und Lehrer. √ www.kindergesundheit-info.de www.rki.de –> Gesundheitsmonitoring –> Das Elternportal der Bundeszentrale Journal of Health Monitoring √ www.aok-startraining.de für gesundheitliche Aufklärung bündelt Hier erfahren interessierte Grundschulen, Informationen rund um das gesunde √ Bundesministerium für Familie, welche Idee hinter dem AOK-Startraining Aufwachsen von Kindern. Senioren, Frauen und Jugend (Hrsg.) steckt, wo und wann sie sich bewerben Familienreport 2017. können und was die Teilnehmer und √ www.stiftunglesen.de Leistungen, Wirkungen, Trends. Gewinner erwartet. Im Projekt HEAL von Stiftung Lesen und Berlin 2017; zum Download unter AOK-Bundesverband geht es um die www.bmfsfj.de –> Suchbegriff: √ www.bvkj.de Verknüpfung von Leseförderung und der Familienreport Informationen zu Impfungen, Vorsorge- Steigerung der Gesundheitskompetenz. untersuchungen und weiteren Themen Mehr dazu unter –> Forschung rund um die Kindergesundheit stellt der –> Forschungsprojekte –> HEAL Spezial ist eine Verlagsbeilage von G+G Impressum: Gesundheit und Gesellschaft, Rosenthaler Straße 31, 10178 Berlin. G+G erscheint im KomPart-Verlag (www.kompart.de). Redaktion: Dr. Silke Heller-Jung, Annegret Himrich, Hans-Bernhard Henkel-Hoving (verantwortlich) | Art Direction: Anja Stamer Herausgeber: Geschäftsführungseinheit Politik/Unternehmensentwicklung des AOK-Bundesverbandes | Stand: November 2018
STARTSCHUSS Bessere Chancen für Familien Wenn es um das gesunde Aufwachsen von Kindern geht, kommt den Eltern eine zentrale Rolle zu. Doch auch die äußeren Rahmenbedingungen haben großen Einfluss auf die Gesundheit der gesamten Familie. Darum ist es dringend nötig, Mütter und Väter besser und gezielter zu unterstützen, meint Klaus Hurrelmann. S o sehr sich Kinderkrippen, Kindergärten, AOK zeigen, wie groß vor allem der Unterstüt- Grundschulen und andere Bildungsein- zungsbedarf von Eltern in sozial benachteiligten richtungen auch bemühen, die Gesund- Lebenslagen ist. Wir wissen, dass die Zusammen- heit der ihnen anvertrauten Kinder zu arbeit zwischen dem Elternhaus und den Kitas, fördern, sie alle kommen um eine Erkenntnis nicht den Schulen, den Vereinen, den Arztpraxen und herum: Ohne die Mitwirkung des Elternhauses den Krankenhäusern eine absolute Voraussetzung geht es nicht. Nicht nur für den Bildungserfolg dafür ist, um Kinder gesundheitlich zu fördern. der Kinder hat das Elternhaus eine Schlüsselrolle, Auch wird immer deutlicher, wie wichtig die sondern auch für ihre gesundheitliche Verfassung. Gestaltung des Wohnumfeldes der Familien ist, Die Art und Weise, wie im Elternhaus gegessen, damit sie Chancen für gesunde Verhaltensweisen gespielt, gestritten und gehandelt wird, prägt und viel Bewegung wahrnehmen können. Kinder nachhaltig. Kindergesundheit und Eltern- Wie fördernde Impulse aus den öffentlichen gesundheit sind, wie erst kürzlich die vierte Fa- Einrichtungen in die Familie überspringen kön- milien-Gesundheitsstudie der AOK nachgewiesen nen, das wird den Beiträgen in diesem Themen- hat, nicht voneinander zu trennen. heft demonstriert. Engagierte Fachleute stellen Titel: istockphoto/romrodinka; Foto: Hertie School of Governance Traditionell betonen wir in Deutschland die hier ihre Expertise zur Verfügung. Entstanden ist Rolle der Eltern besonders stark. Das hat gute ein umfassendes und reichhaltiges Kompendium historische Gründe, darf aber nicht dazu führen, mit konkreten Handreichungen für die weitere die Mütter und Väter mit ihrer verantwortungs- Verbesserung der Kinder- und Familiengesund- vollen Aufgabe komplett alleinzulassen. Allzu heit. lange haben wir darauf vertraut, dass Eltern auch in schwierigen Lebenssituationen über eine Art Naturbegabung verfügen, die Gesundheit ihrer Kinder zu fördern. Die öffentlichen Bildungs- und Gesundheitseinrichtungen wurden quasi als Re- paraturdienste angesehen, die erst einspringen, Prof. Dr. Klaus Hurrelmann wenn das Kind schon in den Brunnen gefallen ist. Professor of Public Health and Education Heute denken wir systemisch. Studien wie die der Hertie School of Governance Gesundheit und Gesellschaft SPEZIAL 12/18, 21. Jahrgang 3
ÜBERBLICK Für Familien aktiv Wie ist es um die Familiengesundheit in Deutschland bestellt? Im Prinzip gut – das geht aus der jüngsten AOK-Familienstudie hervor. Doch es gibt auch noch einige Baustellen. Welche das sind, beschreiben Anke Tempelmann und Kai Kolpatzik. B ereits zum vierten Mal hat die AOK in einer repräsenta- Der AOK-Familienstudie zufolge hatten die meisten Kinder in tiven Stichprobe Mütter und Väter umfassend zu ihrer den letzten sechs Monaten nur selten körperliche Beschwerden. Gesundheit, der ihrer Kinder und zu ihren Lebensum- Doch rund 40 Prozent der Mädchen und Jungen waren nach ständen befragen lassen. Die Ergebnisse dieser Studien Einschätzung ihrer Eltern fast jede Woche oder noch häufiger spiegeln die Lebenswirklichkeit von Familien in Deutschland gereizt und schlecht gelaunt, rund 20 Prozent hatten Probleme wider und zeigen konkrete Ansatzpunkte für die Gesundheits- mit dem Einschlafen. Vieles deutet darauf hin, dass sich die förderung auf. So entwickelte die Gesundheitskasse auf der gesundheitliche Situation von Heranwachsenden in Deutschland Grundlage der ersten AOK-Familienstudie 2007 zehn gesund- in den letzten Jahrzehnten spürbar verändert hat: Während die heitsfördernde Empfehlungen zur früher häufigen „Kinderkrankheiten“ Gestaltung des Familienlebens, wie Windpocken oder Masern dank die drei Jahre später auf Basis der Schon im Kindesalter flächendeckender Impfungen seltener zweiten AOK-Familienstudie um werden die Weichen für die geworden sind, rückten gleichzeitig weitere Hinweise zum gesunden chronische Erkrankungen, psychi- Aufwachsen von Kindern ergänzt spätere Gesundheit gestellt. sche Probleme und Entwicklungsstö- wurden. Bei der dritten AOK- rungen stärker in den Vordergrund. Familienstudie stand 2014 die Der Anteil an psychisch auffälligen Vereinbarkeit von Familie und Beruf im Mittelpunkt, während Kindern und Jugendlichen liegt der aktuellen KiGGS-Studie die jüngste Erhebung einen Schwerpunkt auf die Frage legte, zufolge bei 16,9 Prozent. Damit ging er im Vergleich zur Basis- welchen Einfluss die kommunale Infrastruktur auf die Bewe- erhebung (2003–2006) zwar leicht zurück, bewegt sich aber gungsfreudigkeit von Familien hat. immer noch auf einem hohen Niveau. Seit Mitte der 1970er- Jahre sind außerdem weltweit Übergewicht und Adipositas auf Rundum zufrieden. Im Vergleich zur Vorgängerstudie aus dem dem Vormarsch, und das auch schon im Kindes- und Jugend- Jahr 2014 waren jetzt deutlich mehr Eltern mit ihrem Gesund- alter. Dieser Trend hat sich in den letzten 20 Jahren zwar ver- heitszustand zufrieden: 2018 bezeichneten ihn rund drei Viertel langsamt, aber laut der aktuellen AOK-Familienstudie sind der Befragten als „gut“ oder „sehr gut“, 2014 waren es nur 67 derzeit mehr als die Hälfte der Eltern und rund ein Drittel der Prozent. Dennoch: Etwa jeder Zehnte fühlte sich in den vergan- Kinder in Deutschland übergewichtig oder adipös. genen vier Wochen häufig oder immer durch körperliche Be- schwerden im Alltag eingeschränkt. Auch das seelische Wohlbe- Ein gewichtiges Problem. Beim gesunden Heranwachsen von finden der Eltern war nicht immer ungetrübt, doch rund 44 Kindern spielen Mütter und Väter eine Schlüsselrolle: Als Vor- Prozent der Befragten hatten im vorhergehenden Monat keinerlei bilder und „Versorger“ prägen sie maßgeblich die gesundheits- psychische Probleme. Deutlich schlechter als Eltern in Paarfami- relevanten Lebensbedingungen der Familie. Bringen schon die lien ging es Alleinerziehenden: Von ihnen bezeichneten nur rund Eltern zu viel auf die Waage, gilt das oft auch für die Nachkom- 69 Prozent ihren Gesundheitszustand als „gut“ oder „sehr gut“. men: Der Anteil der Kinder mit Übergewicht oder Adipositas Fotos: iStock/Halfpoint/Geber86 Mit der Gesundheit der Kinder ist alles im Lot, findet die ist bei adipösen Eltern doppelt so hoch wie bei normalgewich- überwältigende Mehrheit der befragten Eltern. Fast 90 Prozent tigen, ergab die aktuelle AOK-Familienstudie. In vielen Fami- bewerteten den Gesundheitszustand ihres Kindes als „sehr gut“ lien kommt auch die Bewegung viel zu kurz. Zwar bewegen sich oder „gut“. Die Zufriedenheit der Eltern mit dem Befinden des 45 Prozent der befragten Eltern täglich mit ihren Kindern. Doch Nachwuchses hat im Laufe der letzten zehn Jahre zugenommen, für jede dritte Familie spielt körperliche Aktivität in der Freizeit das bestätigt auch der bundesweite Survey zur Gesundheit von überhaupt keine Rolle (siehe Grafik). Vor allem für übergewich- Kindern und Jugendlichen in Deutschland (KiGGS). tige Eltern ist Bewegung seltener ein fester Bestandteil des Fa- 4 Gesundheit und Gesellschaft SPEZIAL 12/18, 21. Jahrgang
Ein gewichtiges Problem Mehr als die Hälfte aller Eltern sind übergewichtig bis adipös: übergewichtig 36% BMI 25 – 29,9 BMI < 25 58 % 22% adipös BMI > 30 Eltern insgesamt milienalltags. Immerhin rund drei Viertel der Mütter und Väter Für jede dritte Familie gehört körperliche Aktivität bewegen sich mindestens 150 Minuten pro Woche mit „mode- in der Freizeit nicht dazu: rater Intensität“ und erfüllen damit die Empfehlung der Welt- gesundheitsorganisation (WHO); doch nur 28 Prozent treiben normalgewichtige Sport. Beim Nachwuchs fällt die Bewegungsbilanz deutlich 25% Eltern schlechter aus: Die WHO empfiehlt für Kinder täglich eine Stunde moderate Bewegung – doch nur zehn Prozent der be- Familien 33 % übergewichtige Eltern fragten Eltern gaben an, dass ihr Kind dieses Ziel erreiche. In insgesamt 33 % der aktuellen KiGGS-Studie waren die Werte zwar etwas besser (danach erfüllten 22,4 Prozent der Mädchen und 29,4 Prozent 43 % adipöse der Jungen zwischen drei und 17 Jahren die WHO-Empfehlung), Eltern doch der Alltag der heranwachsenden Generation ist offenbar durch einen erheblichen Mangel an Bewegung gekennzeichnet. Auch hier spielt das familiäre Umfeld eine wichtige Rolle: Trei- Anteil der Familien, für die körperliche Aktivität in der Freizeit nicht dazugehört ben die Eltern keinen Sport, bewegen sich auch die Kinder weniger, so lautet eine Erkenntnis aus dem KiGGS-Survey. Übergewicht und Bewegungsmangel bedingen einander und werden nicht selten von Generation zu Generation weitergereicht: In Famili- Ungleiche Startbedingungen. Bereits im Kindesalter werden en mit übergewichtigen Eltern haben auch die Kinder häufiger zu viel die Weichen für die spätere Gesundheit und einen gesundheits- auf den Rippen. Quelle: AOK-Familienstudie 2018 förderlichen Lebensstil gestellt. Vieles spricht für einen engen Zusammenhang zwischen dem Bildungsstand, der sozioökono- mischen Situation und der (Familien-)Gesundheit. Bei der ak- ten Familien tranken häufiger zuckerhaltige Erfrischungsge- tuellen AOK-Familienstudie schätzten Eltern mit Hauptschul- tränke, ernährten sich ungesünder, trieben seltener Sport, waren abschluss ihre Gesundheit seltener als „sehr gut“ oder „gut“ ein zu einem größeren Anteil übergewichtig oder adipös, rauchten als Eltern mit Abitur, und sie beurteilten auch den Gesundheits- häufiger als Gleichaltrige aus sozial besser gestellten Familien zustand ihrer Kinder weniger positiv. Je geringer der Bildungs- und erhielten etwa doppelt so oft eine ADHS-Diagnose. Beina- grad der Eltern, desto häufiger waren sie selbst und/oder ihre he jedes vierte Mädchen und fast jeder dritte Junge aus Familien Kinder adipös. Und während bei Eltern mit Abitur oder Hoch- mit niedrigem sozioökonomischen Status, aber nur etwa jedes schulabschluss rund 14 Prozent der Kinder fast jede Woche oder fünfzehnte Mädchen und jeder achte Junge aus wohlsituierten häufiger über Rücken-, Kopf-, Bauchschmerzen oder Einschlaf- Familien war psychisch auffällig. Der Anteil der Kinder und schwierigkeiten klagten, lag der entsprechende Anteil bei den Jugendlichen, die aufgrund gesundheitlicher Probleme dauerhaft Kindern von Eltern mit Hauptschulabschluss bei 21 Prozent. eingeschränkt sind, lag in der niedrigen Statusgruppe rund Je höher die Gesundheitskompetenz der Eltern ist, je souve- doppelt so hoch wie in der hohen (5,8 versus 2,8 Prozent). räner und sicherer sie bei der Beschaffung, Beurteilung und Anwendung von Gesundheitsinformationen agieren, desto Gesunde Lebenswelten schaffen. Unabhängig von der Fami- besser sind sie offenbar auch in der Lage, sich um die Gesundheit lie haben auch das Wohnumfeld und die Verhältnisse, in denen ihrer Familien zu kümmern. Das hat Folgen: Die aktuellen Kinder aufwachsen, einen erheblichen Einfluss auf ihre Gesund- Ergebnisse aus der KiGGS-Studie belegen, dass sich soziale heit. In einem Kooperationsprojekt von Bertelsmann Stiftung, Benachteiligung bereits in jungen Jahren auf die Gesundheit empirica AG und Robert Koch-Institut wurde 2010 der Daten- niederschlägt. Kinder und Jugendliche aus sozial benachteilig- satz der damaligen KiGGS-Studie mit Informationen zum Gesundheit und Gesellschaft SPEZIAL 12/18, 21. Jahrgang 5
Wohnquartier – Baustruktur, Mietpreisniveau und Bevölke- Als Ansatzpunkt für eine gelingende Prävention empfiehlt die rungsdichte – in Beziehung gesetzt. Dabei wurde deutlich: Ein Weltgesundheitsorganisation bereits seit geraumer Zeit die ungünstiges Wohn- und Lebensumfeld erhöht die gesundheit- Gestaltung gesundheitsfördernder Lebenswelten. Da Kinder lichen Risiken der dort lebenden Kinder spürbar. Gibt es an und Heranwachsende einen großen Teil ihrer Zeit im Kinder- jeder Straßenecke Fast Food, dann steigt die Wahrscheinlichkeit garten und in der Schule verbringen, engagiert sich die AOK seit einer ungesunden Ernährung. Die jüngste AOK-Familienstudie Jahren sehr intensiv in diesem Bereich. Denn von Programmen benennt Verbesserungsmöglichkeiten: Sind Sportangebote, wie „JolinchenKids“ oder „Henrietta“ (siehe Seite 10) profitieren Spielplätze und Grünflächen in erreichbarer Nähe, ist ein durch- alle Kinder in einer Kita oder Schule – auch diejenigen, die auf gängiges Netz von Rad- und gut beleuchteten Gehwegen vor- anderen Wegen nur schwer erreichbar sind. handen, dann fördert das die Bewegungsfreude von Familien. Die WHO fordert darüber hinaus auch gesetzgeberische Maßnahmen, um etwa einen besseren Zugang zu gesunden Le- Vielfältiges Engagement. So vielschichtig wie die gesundheit- bensmitteln oder eine gesundheitsförderliche Gestaltung sozial liche Situation von Familien, so vielfältig ist auch das gesund- benachteiligter Wohnquartiere zu erreichen. Auch auf dieser ge- heitsförderliche Engagement der AOK. So unterstützt die Ge- samtgesellschaftlichen Ebene ist die Gesundheitskasse aktiv. So sundheitskasse ihre Versicherten mit zahlreichen individuellen wirkte sie an der Entwicklung des Nationalen Aktionsplans Ge- Angeboten. Dazu zählen Präventionskurse, Info-Hotlines wie sundheitskompetenz mit, fördert gemeinsam mit der Stiftung das „AOK-Baby-Telefon“, Online-Programme zur Gewichtsre- Lesen die Steigerung der Lese- und damit auch der Gesundheits- duktion („Abnehmen mit Genuss“) oder zur Entspannung kompetenz und sucht im Hinblick auf die Gestaltung gesunder („Stress im Griff “), aber auch spezielle Online-Coaches für Lebenswelten den Schulterschluss mit dem Deutschen Städte- und psychisch bedingte Problemlagen (mehr dazu auf Seite 12/13). Gemeindebund. Als Gründungsmitglied der bundesweiten „Ak- Um Eltern den Zugang zu gesundheitsrelevanten Informationen tion Weniger Zucker“ setzt sich die AOK auch mit Veranstaltun- zu erleichtern, hat die Gesundheitskasse die Initiative „Gesunde gen wie den Zuckerreduktionsgipfeln und ihrem Engagement für Kinder – gesunde Zukunft“ ins Leben gerufen und informiert eine klare Lebensmittelkennzeichnung dafür ein, gesund Familien auf dem Portal www.gesundheit.aok.de zu Fragen rund heitsförderliche Rahmenbedingungen für alle zu schaffen. √ um das gesunde Aufwachsen. Auch Angebote wie die Fakten- boxen, die wichtige Gesundheitsthemen kompakt und verständ- Anke Tempelmann ist Referentin in der Abteilung Prävention des lich erklären, machen Eltern das Leben leichter. AOK-Bundesverbandes, die Dr. Kai Kolpatzik, MPH, EMPH leitet. »Belastete Familien brauchen aufsuchende Hilfen« Raimund Schmid ist Geschäftsführer des tigt, die medizinische und therapeutische Was würde den Familien helfen? Kindernetzwerk e. V., Versorgung des Kindes zu organisieren. Wenn besonders belastete Familien mehr das Familien mit Dadurch unterbleiben andere Sachen, die Unterstützung durch aufsuchende Hilfen chronisch kranken nötig wären, um die psychosoziale Balan- hätten, würden dadurch Kapazitäten für Kindern und Kindern mit Behinderungen ce in der Familie aufrechtzuerhalten. die Selbstsorge frei. Die ist sehr wichtig, unterstützt. denn wenn den Eltern die Kräfte ausge- Wie geht es den Geschwistern? hen, dann können sie auch keine starke Was heißt es für die Familiengesund- In unserer Kindernetzwerkstudie sagten Unterstützung mehr für ihre Kinder sein. heit, wenn ein Kind eine chronische rund 40 Prozent der Geschwister von Gerade Alleinerziehende holen oft das Erkrankung oder eine Behinderung hat? chronisch kranken Kindern, dass sie zu Letzte aus sich heraus. Den Eltern würde Trotz der vielen Hilfen, die es ja gibt, geht wenig Aufmerksamkeit und Zuwendung ein Lotse helfen, der die Familie begleitet damit eine psychische und physische erhalten. Aber nur 17,5 Prozent bekamen und bei der Organisation von Hilfen Mehrfachbelastung einher, die oft zu einer professionelle Hilfe zur Bewältigung ihrer entlastet. Laut unserer Studie wünschen großen Erschöpfung führt. Je schwerer Situation. Sozial besser gestellte Familien sich Eltern Unterstützung bei der Navi- Fotos: iStock/SbytovaMN, privat die Beeinträchtigung des Kindes, desto schaffen es eher zu organisieren, dass die gation durch das Gesundheitssystem und größer ist die Belastung für die ganze Geschwisterkinder zum Beispiel trotzdem einheitliche Anlaufstellen vor Ort, wo sie Familie, immer noch meist für die Mütter. regelmäßig Sport treiben können. In Fa- alle Informationen, die sie brauchen, aus In den ersten Jahren nach der Diagnose milien, die hier weniger Ressourcen haben, einer Hand bekommen. Das wäre eine sind die Eltern vor allem damit beschäf- bleibt auch das oft auf der Strecke. riesengroße Erleichterung. √ 6 Gesundheit und Gesellschaft SPEZIAL 12/18, 21. Jahrgang
Dr. Simone C. Ehmig leitet bei der Stiftung Lesen das Institut für Lese- und Medienforschung und ist BLINDTEXT INTERVIEW dort verantwortlich für das Projekt HEAL. »Wer lesen kann, lebt gesünder« Aus einem Beipackzettel schlau zu werden, ist oft nicht leicht. Doch wer schon beim Entziffern Probleme hat, tut sich doppelt schwer. Wie sich die Lesefähigkeiten der Eltern auf die Gesundheitschancen der Kinder auswirken, weiß Simone C. Ehmig. Wie viele Menschen in Deutschland Was bedeutet das für zeitig auch bessere Voraussetzungen dafür, können nicht richtig lesen? die Familiengesundheit? dass sie sich zu Gesundheitsthemen infor- Das Problem ist größer als viele Menschen Kinder, deren Eltern nicht richtig lesen mieren können. Umgekehrt funktioniert vermuten. Wir müssen von mindestens und schreiben können, laufen Gefahr, das aber auch: Man kann alltagsrelevante siebeneinhalb Millionen Erwachsenen in benachteiligt zu werden. Die Lesekompe- Themen, zum Beispiel Gesundheitsthe- Deutschland ausgehen, die nicht richtig tenz ist ja in der Regel immer dann ge- men, auch gut für die Leseförderung nut- lesen und schreiben können. Hinzu kom- fragt, wenn der persönliche Austausch zen. Das Bundeszentrum für Ernährung men etwa drei Millionen Kinder und endet: Wenn der Kinderarzt, die Hebam- zum Beispiel hat für den Einsatz in Al- Jugendliche, die beim Lesenlernen be- me, der Apotheker den Menschen verab- phabetisierungskursen ein Materialset nachteiligt sind. Nicht lesen können ist schiedet, gibt er ihm noch etwas zu lesen namens „Buchstäblich fit“ entwickelt, das ein nachwachsendes Problem. Eltern, die mit. Die Probleme fangen oft schon an, Texte mit Gesundheitsrelevanz, etwa zu selbst nicht gut lesen und schreiben kön- bevor das Kind überhaupt auf der Welt Themen wie Ernährung oder Bewegung, nen, lesen ihren Kindern auch weniger ist, zum Beispiel, wenn die werdende umfasst. Da geht es dann etwa zuerst vor. Doch Kinder, denen vorgelesen wur- Mutter in der Arztpraxis ein Formular darum, wie bestimmte Lebensmittel hei- de, lesen später lieber, tun sich leichter in ßen, und anschließend darum, wie man der Schule und haben bessere Noten. „Kartoffel“, „Artischocke“ oder „Auber- Was hat Lesen mit »Glassen esundheitsthemen sich sehr gut gine“ eigentlich schreibt. Es gibt auch Ansätze im schulischen Bereich, Texte zu der Gesundheit zu tun? lesen und zu verfassen, in denen es um für die Leseförderung « Wir erschließen uns lesend sämtliche gesundheitsrelevante Themen geht. Lebensbereiche, sowohl im Alltag als auch nutzen. in Ausnahmesituationen. Bei einer Studie Welche Rolle spielt dabei der Universität Bielefeld zur Gesundheits- das Projekt HEAL? kompetenz sagten mehr als 50 Prozent der ausfüllen soll. Das setzt sich fort, wenn es Das Projekt „HEAL – Health Literacy im befragten Erwachsenen, dass sie Probleme um Informationen zum gesunden Auf- Kontext von Alphabetisierung und damit haben, Gesundheitsinformationen wachsen des Kindes geht, etwa zur Ernäh- Grundbildung“ ist ein gemeinsames Son- zu finden, zu verstehen und einzuordnen. rung. Und wenn das Kind eine Krankheit dierungsprojekt der Stiftung Lesen und Überdurchschnittlich viele von denen, die oder eine Allergie hat, dann muss man die des AOK-Bundesverbandes. Bei zwei sich damit schwertun, sagten auch über Informationen, die man von Ärzten oder Fachtagungen haben sich Expertinnen sich selbst, dass sie nicht so gut lesen und Apothekern bekommt, verstehen, um und Experten aus der Lese- und der Ge- schreiben könnten. In vielen Studien zeigt dann entsprechend handeln zu können. sundheitsförderung darüber ausgetauscht, sich, dass ein enger Zusammenhang zwi- Aus diesem Grund sind Kinder von El- wie sich diese beiden Welten systemati- schen dem Bildungsniveau und einem tern, für die Lesen und Schreiben selbst- scher verknüpfen lassen: Welche Zielgrup- mehr oder weniger riskanten Umgang mit verständlich ist, in ihrer gesundheitlichen pen und welche Schnittmengen gibt es? der eigenen Gesundheit besteht. Je gerin- Entwicklung oft besser dran. Wo kann man Gesundheitsförderung und ger die Lesefähigkeiten ausgeprägt sind, Leseförderung zusammenbringen? Wel- desto höher ist das Risiko, dass Personen Wie lassen sich Lese- und che Empfehlungen können wir der Politik Foto: Stiftung Lesen schriftliche Informationen nicht gut ver- Gesundheitsförderung verknüpfen? geben? Das ist das zentrale Ziel von stehen und umsetzen können. Das gilt Wenn ich die Lesekompetenzen von Kin- HEAL: einen Weg aufzuzeigen und die auch für Gesundheitsinformationen. Wer dern, Jugendlichen und Erwachsenen Akteure dazu zu ermutigen, diesen Weg lesen kann, lebt gesünder. verbessere, dann schaffe ich damit gleich- miteinander zu beschreiten. √ Gesundheit und Gesellschaft SPEZIAL 12/18, 21. Jahrgang 7
REPORTAGE SUCHTSELBSTHILFE Cooler als Fußball Handballprofis trainieren mit Grundschulkindern – diese Idee steckt hinter dem AOK Star-Training, einem Projekt mit dem Deutschen Handballbund. Dabei geht es um Freude an der Bewegung und Spaß an einem spannenden Mannschaftssport. Von Annegret Himrich D ieser Freitagvormittag ist kein normaler Tag an der Jahr Kinder für mehr Bewegung und regelmäßigen Sport im Grundschule am Berliner Platz in Erfurt. Im Eingangs- Verein. Dabei besuchen Handballnationalspieler, Europa- und raum der Turnhalle wartet ein Plüschdrache. „Hallo Weltmeister Grundschulen in ganz Deutschland. „Wenn unse- Echse!“ ruft ein Drittklässler, der mit Klassenkamera- re Partnerschaft mit dem DHB dazu führt, dass Kinder sich den und einer Lehrerin hereinkommt. Vor ihm steht Jolinchen, mehr bewegen, Spaß haben und im Idealfall sogar ein neues das AOK-Maskottchen, und verteilt mit einigen Helfern grüne Hobby entdecken, dann haben wir unser Ziel erreicht”, sagt T-Shirts und Namensschilder. Zwei junge Frauen und ein Mann Martin Litsch, der Vorstandsvorsitzende des AOK-Bundes tragen schwarze Trainingskleidung, auf dem Rücken steht verbandes. „Deutschland“. Es sind die Handballnationalspielerinnen Ina Nach und nach strömen die Kinder in die Turnhalle, wo Großmann und Meike Schmelzer vom Thüringer HC und Jolinchen sie mit sportlichem Handschlag begrüßt. Jungen und Christian Prokop, der die Handballnationalmannschaft der Mädchen von der ersten bis zur vierten Klasse sind dabei. Wer Männer trainiert. ein T-Shirt und ein Namensschild bekommen und die Sport- schuhe angezogen hat, darf in die Halle gehen. Dort ist schon Spitzensportler besuchen die Schule. Die Grundschule am alles für das zweistündige Training vorbereitet. Eine Gitterbox Berliner Platz hat sich beim AOK Star-Training, dem bundes ist gefüllt mit grünen Handbällen. Sofort rennen, springen und weiten Schulprojekt des Deutschen Handballbundes (DHB) hüpfen die jungen Sportler durch die Halle, die von Geschrei und der Gesundheitskasse, beworben und gehört zu den 22 und Gelächter erfüllt ist. Dann ertönt ein Pfiff. Die 40 Jungen Gewinnerschulen. Bei einem Handballschnupperkurs können und Mädchen versammeln sich um Christian Prokop, Ina heute 40 Jungen und Mädchen herausfinden, ob der beliebte Großmann und Meike Schmelzer. Unterstützt werden die drei Hallensport ein Hobby fürs Leben werden könnte. Mit dem heute von Christian Roch und Ruben Arnold vom Thüringer Projekt begeistern die AOK und der DHB nun schon im vierten Handballverband. Ein abwechslungsreiches Programm. Gespannt hören die Kinder zu, als Prokop ihnen erzählt, was heute auf dem Pro- gramm steht. Sie werden Dribbling und Pässe üben, sich beim Duellwerfen und beim Torwarttraining versuchen und am Ende in mehreren Mannschaften bei einem kleinen Turnier gegeneinander antreten. Doch erst einmal heißt es Aufwärmen im Dauerlauf. „Große Runden außen herum, Maximus, Du läufst vorne, die anderen hinter Dir her!“, so die Ansage des Nationaltrainers. Die erste Runde ist noch sehr wuselig, dann klappt es immer besser: Laufen mit angezogenen Knien und im Hopserlauf, Armkreisen und zwischendurch immer mal die Laufrichtung wechseln. Weiter geht es mit einem Fangspiel. Im zweiten Durchgang kommen dann endlich die Bälle dazu. Allen ist jetzt warm geworden und die Aufregung hat sich etwas gelegt – Zeit für eine kurze Pause. In der Sporthalle haben sich einige Zuschauer eingefunden. Mitschüler, Eltern, Erzieher Volles Programm: Christian Prokop, Handballnationaltrainer der Männer, und der Direktor schauen der besonderen Sportstunde interes- und Nationalspielerin Meike Schmelzer halten die Kinder auf Trab. siert zu und machen Fotos. Schnell ist Jolinchen von einer 8 Gesundheit und Gesellschaft SPEZIAL 12/18, 21. Jahrgang
Gespannt hören die 40 Kinder zu, was sie beim AOK Star-Training erwartet. Immer mit am Ball: Jolinchen, das AOK-Maskottchen Kinderschar umringt. 130 Mädchen und Jungen besuchen die Den Nachwuchs im Visier. Auf dem Spielfeld geht es unterdes- Grundschule am Berliner Platz, die im Norden Erfurts liegt. sen zur Sache, gleich mehrere Kinder wollen den Ball bekommen. Manche der großen Mietshäuser sind noch unsaniert, Beton Die zarte Sophie schaut etwas skeptisch zu. „Ich turne lieber und und Asphalt prägen das Bild. Die kleine Ortsmitte direkt neben mache gerne Spagat“, erzählt sie. Ganz anders Domenic, der der Schule wirkt etwas verlassen, einige Geschäfte haben aufge- gerade noch gespielt hat und nun verschwitzt und mit roten geben. „Unsere Kinder haben sich so eine Aktion einfach ver- Wangen seinen Mitschülern zusieht: „Fußball mag ich nicht, dient“, findet Sarah Fiedler, die leitende Sportlehrerin der Handball finde ich viel cooler.“ Christian Roch, der Thüringer Schule. Die engagierte junge Frau, in deren Landestrainer, hat ihm schon einen Infor- Hand die schulinternen Vorbereitungen lagen, hatte vom Star-Training gehört und die Bewerbung ihrer Schule auf den Weg » Unsere Kinder haben sich so eine mationszettel gegeben, den Domenic seinen Eltern zeigen wird. Für die regionalen Sport- verbände ist ein AOK Star-Training immer gebracht. Aktion einfach auch eine gute Möglichkeit, um nach Nach- Handball hautnah erleben. Die kurze Pause ist vorüber. Weiter geht es mit einem verdient. « wuchs Ausschau zu halten. Gleich ist das Spiel vorbei, noch steht es unentschieden. Dann wirft Yaser das Sieg- Staffellauf. Nun sind Tempo, Koordinationsvermögen und tor – seine Mannschaft jubelt. Beim anschließenden Sieben- Geschick gefragt. Langsam werden die Übungen schwieriger: Meter-Werfen ist er besonders motiviert. Jedes Kind steht auch Dribbeln in gebückter Haltung, mit einem Partner und um den einmal im Tor. Dann ertönt ein letztes Mal die Trillerpfeife. Körper herum. Dann werden Bänke und Matten ins Training Zufrieden und erschöpft versammeln sich die Kinder zum Ab- integriert für Purzelbäume, Hockwenden und zum Balancieren. schlussfoto. „Kommt ihr zum Handball?“, will Christian Prokop Ina Großmann, Meike Schmelzer und Christian Prokop moti- wissen. Er hört viele Ja-Rufe und sieht eine Menge Hände, die vieren die Kinder immer wieder mit Tipps und anerkennenden hochschnellen. Nach dem Foto gibt es noch Autogramme und Worten. „Fußball kennt jedes Kind. Das Star-Training sorgt einige Kinder nutzen die Gelegenheit für ein Selfie mit den einerseits für Abwechslung im Schulalltag und bietet außerdem Handballprofis. die Chance, den Kindern den Handballsport nahezubringen“, Das AOK Star-Training ist zu Ende, der besondere Tag an meint Nationalspielerin Schmelzer. aber noch nicht: Auf dem Schulhof gibt es jetzt ein Fest für alle Jetzt treten vier Mannschaften bei einem kleinen Turnier Schüler mit einem Handball-Parcours, Mitmach-Übungen und gegeneinander an. Ziel ist es, möglichst viele Hütchen und Musik. Jolinchen freut sich schon. √ Dosen von einer Bank zu werfen. „Bleibt fair, geworfen wird von der weißen Linie!“, mahnt Trainer Prokop. Dann wird endlich richtig Handball gespielt, allerdings mit nur fünf Feldspielern AOK Star-Training: So geht es weiter und zwei Torhütern im doch recht großen Handballtor. Eins Vom 3. Dezember 2018 bis zum 28. Februar 2019 läuft die Bewer- der Teams pausiert und kann sich am Rand kurz ausruhen. Ina bungsphase für das nächste AOK Star-Training. Grundschulen Großmann nutzt die Gelegenheit und fragt nach einigen Hand- können sich unter www.aok-startraining.de bewerben. Nach ballregeln. „Wie viele Schritte darf ich mit dem Ball machen, der Handball-WM im Januar in Dänemark und Deutschland touren Fotos: brand unit berlin ohne zu Dribbeln oder zu werfen?“ Zwei Mädchen melden sich, die Stars dann vom 6. Mai bis zum 12. Juli durch die Gewinner- sie kennen die richtige Antwort: drei Schritte. „Und wozu ist die schulen. Deutschlands Handballerin des Jahres 2017, Clara Wol- orangefarbene Linie da?“ fragt Großmann weiter. Die beiden tering, und Nationalspieler Paul Drux sind auch 2019 Schirmher- sehen sich fragend an. „Wenn ich aufs Tor werfen will, muss ich rin und Schirmherr des Projekts. vor dieser Linie stehen bleiben“, erklärt die Nationalspielerin. Gesundheit und Gesellschaft SPEZIAL 12/18, 21. Jahrgang 9
Ob auf der Schatzinsel, im Weltall oder in Fructonia: PR ÄVENTION Mit ihren Freunden erlebt Henrietta viele Abenteuer. Was für ein Theater! Seit fast 15 Jahren begeistert das Kindertheater „Henrietta“ Schüler, Eltern und Lehrer. Inzwischen hat die AOK das erfolgreiche Projekt zu einem Präventionsprogramm weiterentwickelt. Wie Henrietta funktioniert, erläutert Sarah Pomp. D ie erste Welle der KiGGS-Studie – Studie zur Gesundheit „Henrietta & Co.“ können sich Mädchen und Jungen gleicher- von Kindern und Jugendlichen in Deutschland – sorgte maßen identifizieren. 2003 für Aufsehen. Wissenschaftler hatten herausgefun- Bei „Henrietta in Fructonia“ stehen die Themen Ernährung den, dass ein großer Teil der Grundschüler übergewich- und Bewegung im Mittelpunkt. Im Verlauf des Stückes „Hen- tig ist. Als Gründe wurden Bewegungsmangel und ungesunde rietta und die Schatzinsel“ entdecken die Heldin und ihre Be- Ernährung ausgemacht. Es gab also Handlungsbedarf. Vor gleiter, was Freundschaft bedeutet. Bei „Henriettas Reise ins diesem Hintergrund entwickelte die AOK mit Pädagogen und Weltall“ durchquert sie mit ihrem Freund Quassel das Universum Fachleuten aus dem Bereich Kindergesundheit in den folgenden und lernt verschiedene Lebensgemeinschaften mit eigenen Regeln Jahren drei Theaterstücke. Sie drehen sich um die Kernthemen und Ritualen kennen – hier geht es um verschiedene Facetten Ernährung, Bewegung und seelische Gesundheit. Im Mittel- seelischer Gesundheit. Nach diesen Abenteuern ist Henrietta punkt der Geschichten steht die Grundschülerin Henrietta. begeistert darüber, was sie selbst tun kann, um fit zu bleiben. Tanzen, spielen, Spaß haben. Henrietta hat kein Ernährungs- Lernen ohne erhobenen Zeigefinger. Wenn die Darbietung problem. Sie ist weder übergewichtig noch zu dünn. Allerdings den Interessen der Kinder entspricht und dazu fröhlich und hat sie Startschwierigkeiten in der Schule, weil sie nicht früh- anregend gestaltet ist, lassen sich auch komplexe Zusammen- stückt. Wenn Henrietta erst mal wach ist, ist sie fast immer in hänge vermitteln. Entscheidend ist: Die Vorführung kommt Bewegung. Sie wird bewusst als eine Schülerin dargestellt, die ohne erhobenen Zeigefinger aus. In einer von elektronischen gerne tanzt, spielt und Spaß hat. Alle drei Stücke vermitteln, wie Medien geprägten Lebenswelt erleben Kinder sehr intensiv, wenn wichtig eine gesunde Ernährung, ausreichend Bewegung und Schauspieler in wenigen Metern Entfernung für sie spielen. Mit ein stabiles soziales Miteinander für das eigene Wohlbefinden ihrer Emotionalität geben die Theaterstücke Impulse und bieten sind – und wie man diese Faktoren selbstbestimmt und eigen- den Zuschauern Anlässe, sich über den Theaterbesuch hinaus, verantwortlich positiv beeinflussen kann. Mit den Figuren aus etwa in Schule und Familie, mit den gezeigten Themen ausei- nanderzusetzen. Dass diese Verbindung von Prävention, Thea- terpädagogik, Unterhaltung und Lernen gut funktioniert, zeigt JolinchenKids: Fit und gesund in der Kita der anhaltende Erfolg der bundesweiten Aufführungen mit über 1,6 Millionen Zuschauern. Die Rückmeldungen sind dabei stets Während sich „Henrietta & Co.“ an Grundschüler richtet, fördert die gleichen: Kinder, Eltern und Pädagogen sind beeindruckt das bundesweite Kita-Programm „JolinchenKids“ die Gesundheit von der Qualität und Aussagekraft der Stücke. von Kindern bis sechs Jahren. Es besteht aus den fünf Modulen Seit 2017 hat die AOK Henrietta mit weiteren Aufgaben Bewegung, Ernährung, seelisches Wohlbefinden, Elternpartizipa- betraut: Sie will Lehrerinnen und Lehrer dabei unterstützen, tion und Erzieherinnengesundheit. Den Ausgangspunkt bildet Schüler für Gesundheitsthemen zu begeistern: auf der Bühne, eine Bedarfsanalyse: AOK-Präventionsexperten analysieren ge- im Klassenraum und zu Hause. Gesundheit im Theater zu er- meinsam mit der Kita, welche Maßnahmen zur Gesundheitser- leben und im Unterricht nachhaltig zu vertiefen – das ist die Idee ziehung und -bildung bereits umgesetzt werden. Anschließend des Präventionsprogramms „Henrietta & Co.“ Begleitendes entscheiden Erzieherinnen, Eltern und der Kita-Träger gemeinsam Material und ein Leitfadenordner ermöglichen gestaltete Un- über den Programmablauf. Jede Kita kann Schritt für Schritt alle terrichtseinheiten zu verschiedenen Detailthemen. Das gesam- oder ausgewählte Module in den Alltag integrieren. Die AOK te Material lässt sich weitgehend den Themen Ernährung, Be- Foto: AOK-Bundesverband begleitet sie mit Schulungen, Materialien, Workshops, Kursen und wegung und psychische Gesundheit zuordnen, ist aber auch Beratungen bei der Umsetzung. Ein wichtiges Ziel ist es, Gesund- themenübergreifend und flexibel verwendbar. √ heitsthemen auch im Familienalltag zu verankern. Besonders wichtig ist bei JolinchenKids deshalb die aktive Mitarbeit der Eltern. Dr. Sarah Pomp ist Referentin in der Abteilung Prävention des AOK-Bundesverbandes. 10 Gesundheit und Gesellschaft SPEZIAL 12/18, 21. Jahrgang
Hans-Jürgen Moog ist Einkaufschef der Supermarktkette REWE. INTERVIEW »Die Vorlieben werden sich ändern« Die Supermarktkette REWE hat damit begonnen, den Zuckergehalt in Produkten ihrer Eigenmarken nach und nach zu senken. Einkaufschef Hans-Jürgen Moog hält aber auch Wissen und Bewegung für Schlüsselfaktoren im Kampf gegen zuviel Zucker. Sie haben Ihre Kunden abstimmen gewählte Eigenmarkenartikel durch sol- unsere Freizeit ganz anders als unsere Groß- lassen, wie süß der Schokopudding che mit weniger Zucker oder Salz. Unser eltern und brauchen heute weniger Energie. Ihrer Hausmarke sein soll. Wieso? Ziel, bis zum Ende des Jahres 100 zucker- Unser Ernährungsverhalten hat sich dieser Und was kam dabei heraus? reduzierte Produkte anzubieten, haben Entwicklung nicht angepasst. Rezeptur Gesunde Ernährung ist bei REWE seit wir bereits im September übertroffen. Wir optimierungen sind aber nur ein Baustein Jahren fest verankert. Wir haben eine planen, bis 2020 das gesamte Eigenmar- einer ausgewogenen Ernährung. Informa- Möglichkeit gesucht, um dieses Thema kensortiment auf den Zucker- und Salz- tion, Wissen und Bewegung sind weitere bei unseren Mitarbeitern und Kunden gehalt überprüft zu haben. Schlüsselfaktoren. Vor allem das abneh- nachhaltig zu etablieren. Entscheidend ist mende Wissen vieler Verbraucher um eine es, diejenigen, die es betrifft, einzubinden Auch bei REWE findet man an der Kasse ausgewogene Ernährung sowie Art, Her- und mit ihnen offen zu kommunizieren. Schokoriegel und andere „Quengel stellung und Zusammensetzung der Le- Wir wollen die Verbraucher nicht bevor- ware“. Wie passt das zusammen? bensmittel ist ein negativer Einflussfaktor. munden, sondern sie selbst zum Bestand- Das ist nicht überall so. Wir haben auch Langfristig ist eine Bewusstseinsänderung teil eines Entwicklungsprozesses machen. Kassen ohne „Quengelware“. Alles in erforderlich – hin zu einer ausgewogenen Die Kampagne diente dazu, gemeinsam Maßen genossen ist ja auch nicht unge- Ernährung mit nährwertoptimierten Le- mit unseren Kunden auszuloten, auf wie- sund. Im Übrigen findet der Kunde im bensmitteln. Auf diesem Weg werden sich viel Zucker wir bei unseren Eigenmarken die geschmacklichen Vorlieben ändern, das am Beispiel des Rewe Beste Wahl Scho- süßere Produkt, das heute noch bevorzugt koladenpuddings verzichten können. Unsere Mitarbeiter waren begeistert und » Das süßere Produkt, das heute noch bevorzugt konsumiert wird, werden wir in wenigen Jahren als viel zu süß empfinden. haben diese Begeisterung auf die Kunden übertragen. Das Votum der rund 120.000 konsumiert wird, werden Welche Rolle kann der Einzelhandel Abstimmungsteilnehmer war eindeutig. wir in wenigen Jahren als bei der Zuckerreduktion spielen? Fast jeder Zweite sprach sich nach dem Geschmackstest für die Rezeptur mit 30 Prozent weniger Zucker aus. Mitte Mai zu süß empfinden. « Der Lebensmitteleinzelhandel ist sich seiner Schlüsselrolle an der Schnittstelle zwischen der Wertschöpfungskette und haben wir unser Versprechen eingelöst Kassenbereich in der Regel Kleinstverpa- den Verbrauchern bewusst. Und wir wer- und den Schokopudding dauerhaft durch ckungen, die im Sichtfeld der Kassenkraft den unserer Branchenverantwortung ja die zuckerreduzierte Variante ersetzt. am besten vor Diebstahl geschützt sind. auch gerecht. Mehr noch: Wir nehmen Die Produkte dort sind überwiegend Zi- mittlerweile eine Vorreiterrolle ein, indem Planen Sie weitere Schritte garetten, Feuerzeuge oder auch Rasier- wir auf breiter Front den Zuckeranteil in zur Zuckerreduktion? klingen. Insofern sehen wir in diesem unseren Eigenmarken senken. Darüber Die Strategie zur Reduzierung von Zucker Angebot keinen Widerspruch zu unserer hinaus suchen wir das Gespräch mit der und Salz umfasst alle unsere Eigenmar- Zuckerreduktionsstrategie. Lebensmittelindustrie, unserem Beispiel ken. Wir haben schon vor 2017 begonnen, zu folgen. Das zeigt bereits Wirkung. So die Warengruppen auf den Zucker- und Freiwillige Selbstverpflichtungen zur vermarktet der Milchproduktehersteller Salzgehalt zu analysieren. Anhand der Zuckerreduktion werden kontrovers Arla zunächst exklusiv bei REWE einen Foto: www.proeck.de Ergebnisse haben wir die Produkte danach diskutiert. Was halten Sie davon? Biojoghurt ohne zugesetzten Zucker. Un- gewichtet, wie vordringlich der Zucker- Der Radius, in dem das Problem Über- sere Eigeninitiative hat also längst eine und Salzgehalt reduziert werden soll. Seit gewicht dabei betrachtet wird, ist mir zu Eigendynamik bekommen, die unum- Anfang 2018 ersetzen wir sukzessive aus- klein. Wir arbeiten, essen und verbringen kehrbar ist. √ Gesundheit und Gesellschaft SPEZIAL 12/18, 21. Jahrgang 11
Online-Angebote ermöglichen rasche Hilfe für PSYCHISCHE GESUNDHEIT Eltern, Kinder … Online-Hilfen für den Alltag Wohl alle Eltern hoffen, dass ihr Kind sich gesund entwickelt. Doch der Familien-, Schul- und Berufsalltag stellt manche Kinder und ihre Eltern vor große Herausforderungen. Onlinebasierte Unterstützungsangebote können helfen, diese besser zu meistern. Von Astrid Maroß B eim Stichwort „glückliche Familie“ haben wohl viele aktivitäts-Störung, die Ursache; es bedarf einer genauen Diag- die gleichen Bilder im Kopf: Die Eltern sind gesund, nostik, um abzuklären, was hinter solchen Alltagsproblemen ausgeglichen und leistungsfähig, und auch die Kinder steckt. Doch unabhängig davon, ob und welche Behandlungs- sind mit dem Potenzial gesegnet, in der Schule und im wege eingeschlagen werden, steht die Familie jeden Tag vor späteren Berufsleben, im Umgang mit Gleichaltrigen und in der Herausforderungen, die sich Nicht-Betroffene oft nur schlecht Gesellschaft gut zurechtzukommen. Psychische Gesundheit und vorstellen können. Verhaltenstherapeutische Elterntrainings Widerstandsfähigkeit gegenüber Rückschlägen, Enttäuschungen können Eltern helfen, praktikable Strategien zu erarbeiten, um und Krisen werden dabei ebenso vorausgesetzt wie ein gerüttelt mit Problemsituationen besser klar zu kommen und ihre eigene Maß an Kompetenz und Gelassenheit aufseiten der Eltern, die Entlastung und Stärkung nicht aus den Augen zu verlieren. ihrer Vorbildfunktion selbstverständlich bestens gerecht werden. Das Online-Selbsthilfeprogramm „ADHS-Elterntrainer“ ist Die Realität ist oft eine andere. Nicht nur frei zugänglich, anonym, kostenlos und ist jedes Kind unterschiedlich veranlagt zeitlich flexibel nutzbar. Es hilft Müttern und entwickelt sich anders. Auch die Viele Menschen brauchen und Vätern, ihre Erziehungskompetenz äußeren Startbedingungen für eine sta- zu erweitern. Das Programm stützt sich bile Psyche und eine gute Widerstands- im Laufe ihres Lebens mal auf universell einsetzbare Methoden, die fähigkeit gegenüber Krisen und widrigen psychische Unterstützung. sich im Umgang mit besonders unruhi- Umständen sind von Kind zu Kind gen, unaufmerksamen oder trotzigen höchst unterschiedlich. Beides wird ent- Kinder bewährt haben – ob mit oder scheidend dadurch mitbestimmt, wieviel Liebe und Angenom- ohne ADHS. Es ist für Eltern konzipiert, deren Kind etwa sechs mensein, wieviel Orientierung und Struktur, wieviel Unterstüt- bis zwölf Jahre alt ist. Kernstück sind über 40 kurze Filmsequen- zung und Rückhalt ein Kind in der Familie und bei wichtigen zen, die in sieben Schritten zeigen, wie man schwierige Situati- Kontaktpersonen erfährt. Weil das Leben – anders als in Wer- onen – etwa Wutausbrüche, Streit um den Medienkonsum oder bebroschüren – selten oder nie ideal verläuft, benötigen die Probleme bei den Hausaufgaben – besser lösen kann. Komplet- meisten Menschen im Laufe ihres Lebens auch einmal Unter- tiert wird das Programm durch leicht verständliche Informati- stützung dabei, ihre psychische Gesundheit aufrechtzuerhalten. onen zum Krankheitsbild ADHS und konkrete Empfehlungen In solchen Situationen ist es wichtig, dass Familien niedrig- dazu, wie man die Beziehung zum Kind positiv gestalten und schwellige und einfach zugängliche Hilfen finden können. für die eigene Entlastung und Erholung sorgen kann. Gesundheitsinformationen werden heute zunehmend online gesucht, das Internet ist oft erste Anlaufstelle für Orientierung Digitaler Kummerkasten. Erwachsen werden kann ganz schön und Information. Die AOK hat sich auf diese Bedürfnisse einge schwer sein. Kinder und Jugendliche fühlen sich oft mit ihren stellt. Im Folgenden werden einige Angebote und Kooperationen Nöten allein gelassen. Manche habe Angst, sich den Eltern oder der Gesundheitskasse vorgestellt, die besonders häufige psychi- anderen erwachsenen Vertrauenspersonen zu öffnen. Besonders sche Problemfelder von Kindheit, Jugend und Erwachsenenalter die Sorge, damit abgelehnt zu werden, verhindert die frühzeiti- adressieren: ADHS, psychische Krisen und Depressionen. ge Suche nach Rat und Hilfe. Aber auch die noch nicht voll entwickelte Fähigkeit, auf eigene Ressourcen zu vertrauen, sowie Trotzkopf und Zappelphilipp. Konzentrationsprobleme, aus- das Fehlen geeigneter sozialer und professioneller Kontakte er- geprägte Unruhe, gesteigerte Impulsivität und oppositionelles schwert den Zugang zum etablierten Beratungs-, Hilfe- oder Verhalten ihres Kindes zählen zu den häufigsten Gründen, die Behandlungssystem. Häufige Probleme reichen von Selbstzwei- Eltern dazu bewegen, Beratung und Hilfe zu suchen. Nicht feln, Liebeskummer, depressiver Verstimmung und familiären immer ist ADHS, also eine Aufmerksamkeits-Defizit-Hyper- oder sozialen Konflikten bis zu Selbstverletzung, Missbrauchs- 12 Gesundheit und Gesellschaft SPEZIAL 12/18, 21. Jahrgang
… und Jugendliche in schwierigen Situationen. oder Gewalterfahrungen oder Schulabbruch. Kinder und Ju- gendliche halten sich viel online auf und suchen auch häufig Die Online-Angebote auf einen Blick zuerst dort nach Informationen, Austausch und Hilfe. Anony- mität, Autonomie und schriftliche Kommunikation kommen www.adhs-elterntrainer.de den Bedürfnissen junger Menschen entgegen und erleichtern es Online-Selbsthilfe für Eltern in schwierigen Erziehungssituationen ihnen, überhaupt einen ersten Schritt zu unternehmen. von Kindern zwischen sechs und zwölf Jahren, mit und ohne Alle diese Voraussetzungen erfüllt die anonyme Online- ADHS-Diagnose. Krisenberatung „Jugendnotmail“. Ehrenamtliche professionel- www.jugendnotmail.de le Berater arbeiten für den Verein Jungundjetzt e. V., dessen Anonyme Online-Krisenberatung für Kinder und Jugendliche bis Gesundheitspartner die AOK ist. Kinder und Jugendliche bis 19 Jahre durch Fachkräfte. zum Alter von etwa 19 Jahren können ihre Sorgen auf einer si- www.moodgym.de cheren Plattform loswerden und erhalten zeitnah eine individu- Online-Selbsthilfe zur Prävention und Linderung von depressiven elle, lösungsorientierte und ressourcenstärkende schriftliche Symptomen, geeignet ab 18 Jahren. Beratung. Das Ziel ist, herauszufinden, um welches Problem es sich genau handelt, wie die ersten Schritte aus der Krise aussehen www.familiencoach-depression.de können und wo gegebenenfalls vor Ort Unterstützung zu finden Online-Selbsthilfe für Angehörige von Erkrankten mit unipolarer ist. So kann das Angebot helfen, den Weg in das individuell Depression, geeignet ab 18 Jahren. passende Selbsthilfe-, Beratungs- oder medizinische Versor- gungssystem zu bahnen. muster zu erkennen und mit der Zeit so zu verändern, dass sich Training fürs Gemüt. Fitnesstraining für die Stimmung – so das Befinden bessern kann. Sogar als zusätzlicher Baustein in lässt sich das Online-Selbsthilfeprogramm „moodgym“ beschrei- der Behandlung einer Depression kann „moodgym“ helfen. ben. Anonym, kostenlos und frei zugänglich kann man online Eine Studie des Universitätsklinikums Leipzig hat gezeigt, dass lernen, mit depressiven Symptomen umzugehen oder einer „moodgym“ beim Einsatz in der hausärztlichen Versorgung Depression vorzubeugen. Fast jeder Fünfte ist im Laufe seines dazu geeignet ist, die Symptome einer leichten bis mittelschwe- Lebens von einer depressiven Phase betroffen. Viele Betroffene ren Depression bei den Patienten zu verringern. Auch für An- erzählen, sie hätten sich gewünscht, schon früher einfach an- gehörige, Freunde und die Familie kann es schwer sein, den wendbare Methoden gekannt zu haben, um besser auf Stim- Alltag mit einem depressiv Erkrankten zu bewältigen. Hierzu mungstiefs reagieren zu können. Stimmungstiefs treten bei jedem gibt es seit Neuestem den AOK-Familiencoach Depression – auch Menschen zumindest zeitweise auf. Wenn man Möglichkeiten diesen natürlich online. kennenlernt, sie selbst zu beeinflussen, stellt das einen enormen Die AOK stellt mit diesen Online-Angeboten frei zugängli- Fotos: iStock/KatarzynaBialasiewicz/kajakiki Zugewinn an Gesundheitskompetenz dar. che, kostenlos und anonym nutzbare Unterstützung bereit. So Das interaktive und leicht verständliche Online-Trainings- sind Betroffene wirklich frühzeitig und niedrigschwellig erreich- programm „moodgym“, das von Wissenschaftlern der Austra- bar. Als Ergänzung zu klassischer Hilfe und Selbsthilfe stärken lian National University entwickelt wurde, basiert auf der kog- solche Angebote die Autonomie und die Fähigkeiten bei der nitiven Verhaltenstherapie. Es behandelt Themen wie den Bewältigung von Problemen und Symptomen sowie beim Um- Zusammenhang von Gedanken und Gefühlen, Beziehungspro- gang mit Erkrankten. √ bleme und Stressbewältigung und vermittelt Entspannungs- techniken. Anhand der Übungen und Aufgaben lernen die Dr. Astrid Maroß ist Fachärztin für Neurologie, Psychiatrie und Nutzer beispielweise, negative und wenig hilfreiche Gedanken- Psychotherapie im Stab Medizin des AOK-Bundesverbandes.. Gesundheit und Gesellschaft SPEZIAL 12/18, 21. Jahrgang 13
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