Kinder und Jugendliche - MEHR WISSEN BESSER LEBEN - Universitätsklinikum Tübingen

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Kinder und Jugendliche - MEHR WISSEN BESSER LEBEN - Universitätsklinikum Tübingen
MEHR
WISSEN
  BESSER
  LEBEN

Kinder und
Jugendliche
       Was hilft, wenn Eltern
       an Krebs erkranken
       www.krebsverband-bw.de
Kinder und Jugendliche - MEHR WISSEN BESSER LEBEN - Universitätsklinikum Tübingen
IMPRESSUM

Herausgeber                                         Gestaltung
Krebsverband Baden-Württemberg e. V.                Kreativ plus GmbH, Stuttgart
Adalbert-Stifter-Straße 105 · 70437 Stuttgart       www.kreativplus.com
Tel. 0711 848-10770 · Fax 0711 848-10779
info@krebsverband-bw.de                             Druck
www.krebsverband-bw.de                              Krautheimer Werkstätten für
                                                    Menschen mit Behinderung gem. GmbH
Der Text der Broschüre wurde freundlicherweise
von der Bayerischen Krebsgesellschaft e. V.         Bildnachweise
zur Verfügung gestellt.                             Titel: nailiaschwarz/iStockphoto
                                                    Inhalt: S. 7 homydesign/fotolia
Autorin                                             S. 8 · shapecharge/iStockphoto,
Sabine Brütting, Frankfurt                          S. 11 · ljubaphoto/iStockphoto,
                                                    S. 13 · behrchen/photocase,
Lektorat                                            S. 14 · Spotmatik Ltd/Shutterstock, S. 17 · Bilderbox,
Reinhild Karasek · www.rkarasek.de                  S. 19 · KatarzynaBiałasiewicz/iStockphoto,
                                                    S. 20 · Cathy Yeulet/123RF,
Wir danken der Bayrischen Krebsgesellschaft e.V.    S. 21 · Katarzyna Białasiewicz/123RF,
und der Autorin Sabine Brütting für die gelungene   nikodash/fotolia, S. 22 · aussi97/photocase,
Zusammenarbeit bei der Realisierung dieser Bro-     S. 24 · PeopleImages/iStockphoto
schüre für Baden-Württemberg.                       S. 27 · 2Design/photocase, S. 30 Kzenon/fotolia,
                                                    S. 31 · Katja Xenikis/fotolia,
                                                    Photographee.eu/fotolia

                                                    Mit freundlicher Unterstützung
                                                    der BARMER Baden-Württemberg

Stand: Februar 2018

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Kinder und Jugendliche - MEHR WISSEN BESSER LEBEN - Universitätsklinikum Tübingen
Inhalt

      5   Vorwort
      6   Grußwort
      9   1. Einleitung
     10   2. Diagnose
     10      2.1 Wahrnehmung der Kinder
          		 und Jugendlichen
     12      2.2 Anregungen für ein Gespräch
     14   3. Therapie
     14      3.1 Krankenhausaufenthalt
          		 und Operation
     15      3.2 Nebenwirkungen
          		Chemotherapie
     17   4. Alltag
     17      4.1 In Kindergarten und Schule
     19      4.2 In der Familie
     25      4.3 Psychische und körperliche
          		 Reaktionen der Kinder
    28       4.4 Scheidungskinder
    29    5. Abschied
    33    6. Weitere Informationen

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Zur besseren Lesbarkeit werden in dieser Broschüre
personen­bezogene Bezeichnungen, die sich zugleich
auf Frauen und Männer beziehen, generell nur
in der im Deutschen üblichen männlichen Form
angeführt, also z.B. „Teilnehmer“ statt „Teilneh-
merInnen“ oder „Teil­nehmerinnen und Teilnehmer“.

Dies soll jedoch keinesfalls eine Geschlechter­
diskriminierung oder eine Verletzung des
Gleichheitsgrundsatzes zum Ausdruck bringen.

Alle mit * markierten Zitate sind dem Buch „Was
macht der Krebs mit uns? – Kindern die Krankheit
ihrer Eltern erklären“ entnommen.

Alle mit ** markierten Zitate sind der Broschüre
„Was jetzt für Dich wichtig ist – Ein Ratgeber von
und für Jugendliche, deren Eltern an Krebs erkrankt
sind“ entnommen, herausgegeben vom Verein
Hilfe für Kinder krebskranker Eltern e.V. Frankfurt.

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Kinder und Jugendliche - MEHR WISSEN BESSER LEBEN - Universitätsklinikum Tübingen
Vorwort

VORwort

Liebe Eltern,

wahrscheinlich war die Diagnose Krebs für Sie ein großer
Schock.

Neben den Sorgen und Ängsten um Ihre eigene Zukunft drehen
sich Ihre Gedanken auch um das Wohl Ihrer Familie – insbesondere um das
Wohl Ihrer Kinder.

Fragen wie „Wie soll es weitergehen?“, „Wie sage ich es meinen Kindern?“, Was
sage ich meinen Kindern?“, „Wie werden sie damit umgehen?“ stehen im Raum
und belasten Sie zusätzlich.

Auf der anderen Seite wagen Ihre Kinder häufig nicht nachzufragen. Sie wollen
Sie nicht weiter belasten, haben selbst Ängste und manchmal sogar Schuld­
gefühle. Oft ziehen sie sich zurück oder werden verhaltensauffällig.

In solch einer emotional belasteten Situation ist es wichtig, dass Sie ruhig und
offen auf die Fragen Ihrer Kinder eingehen.

Dieser Ratgeber gibt Ihnen ganz praktische Anregungen für Gespräche über
Krankenhausaufenthalte, über Operationen und Chemotherapie, über die
Hoffnung auf Heilung und auch über die schwersten aller Themen – Sterben
und Tod.

Wir wollen Ihnen helfen, die richtigen Worte zu finden, damit Sie und Ihre
Kinder gemeinsam so gut wie möglich durch die schwere Zeit kommen.

Ihre
Ulrika Gebhardt
Geschäftsführerin Krebsverband
Baden-Württemberg e.V.

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Kinder und Jugendliche - MEHR WISSEN BESSER LEBEN - Universitätsklinikum Tübingen
Grusswort

GruSSwort

Liebe Eltern,

der Satz „Sie haben Krebs.“ verändert alles. Innerhalb der weni-
gen Sekunden, die es braucht, um diese drei Worte auszuspre-
chen, stehen viele Betroffene plötzlich vor einem Abgrund.

Dieser Satz verändert aber auch das Leben der ganzen Familie. Denn auch
Partner und Kinder sorgen sich, auch sie haben Ängste. Die Kinder vor dieser
emotionalen Belastung schützen zu wollen, ist ein allzu verständlicher Reflex.
Und unabhängig davon: Mit den Kindern über die eigene Krebserkrankung re-
den, wie soll das gehen? Auf eine Situation wie diese sind wir nicht vorbereitet.

Ich glaube auch nicht, dass es für dieses Gespräch ein Patentrezept gibt. Ich
denke aber, dass Reden in vielen Situationen helfen kann. Und dass nichts zu
sagen, wenn auch in bester Absicht, nicht immer gut ist. Jedes Wort hat eine
Wirkung. Jedes Schweigen aber auch.

Kinder sind feinfühlig und registrieren Veränderungen innerhalb der Familie,
können sie sich aber vielleicht nicht erklären. Dann ist es die Aufgabe der
Eltern, ihnen Antworten zu geben. Deshalb unterstützt die BARMER diese
Broschüre des Krebsverbands Baden-Württemberg e.V.

Gemeinsam wollen wir Ihnen dabei behilflich sein, die richtigen Worte in einer
Situation zu finden, die viele sprachlos macht.

Ihr
Winfried Plötze
Landesgeschäftsführer
BARMER Baden-Württemberg

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Kinder und Jugendliche - MEHR WISSEN BESSER LEBEN - Universitätsklinikum Tübingen
Sie wissen nicht, an wen sie sich in dieser
Krisensituation wenden sollen oder wer Ihren
Kindern helfen kann?
Dann ist es hilfreich, wenn Sie sich kompetent
und vertrauensvoll beraten lassen und sich evtl.
mit anderen krebskranken Menschen treffen und
austauschen können.
In Baden-Württemberg finden Sie in den ambulanten
psychosozialen Krebsberatungsstellen ent­sprechende
Angebote. Dort beraten Sie psycho­onkologisch
qualifizierte Psychologen sowie Sozialpädagogen.
Auch Ihre Kinder werden dort liebevoll
aufgefangen und gestärkt. Die Adressen
finden Sie ab Seite 33ff.

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Kinder und Jugendliche - MEHR WISSEN BESSER LEBEN - Universitätsklinikum Tübingen
Kinder und Jugendliche – was hilft, wenn Eltern an Krebs erkranken

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Kinder und Jugendliche - MEHR WISSEN BESSER LEBEN - Universitätsklinikum Tübingen
Einleitung

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Einleitung

In Deutschland werden jährlich 150.000 bis 200.000 Kinder unter
18 Jahren neu mit der Situation konfrontiert, dass bei Mutter oder Vater
„Krebs“ diagnostiziert wird; so lauten Schätzungen des Robert Koch-
Instituts. Das heißt: In jeder dritten Familie, in der ein Elternteil an Krebs
erkrankt, leben minderjährige Kinder.

Die Krankheit beeinflusst das Leben aller        Hier gibt diese Broschüre Antworten, indem sie
Familienmitglieder. Auch Kinder sind Mit-        • Eltern bestärkt, ihre Kinder über
betroffene und tragen – oft über Jahre – die       die Krankheit zu informieren.
Belastungen mit, die die Krebserkrankung für     • konkrete Hinweise gibt, wie Gespräche
die Familie bedeutet. Leider werden die Stra-      mit den Kindern über die Erkrankung
pazen für die Kinder auch von den eigenen          gestaltet werden können.
Eltern oft unterschätzt oder nicht erkannt.      • einen Einblick in die Gefühlswelt von
Doch ein solch einschneidendes Erlebnis be-        Kindern krebskranker Eltern gewährt
einflusst die Kindheit und die Entwicklung         und sie für ihre Nöte sensibilisiert.
der Kinder nachhaltig.                           • Anregungen gibt, wie Kinder unterstützt
                                                   werden können.
Häufig sind Eltern unsicher, ob und in welcher   • Mut macht, auch über das Sterben
Form sie ihre Kinder über den Krebs informie-      zu reden.
ren sollen und welche Unterstützung auch die     • Adressen nennt, die professionelle Hilfe
Kinder während der Erkrankung brauchen.            geben können.

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Kinder und Jugendliche - MEHR WISSEN BESSER LEBEN - Universitätsklinikum Tübingen
Kinder und Jugendliche – was hilft, wenn Eltern an Krebs erkranken

  2                     Diagnose

Diagnose
2.1         Wahrnehmung der Kinder und Jugendlichen

Die Diagnose „Krebs“ erschüttert alle: den Betroffenen, seinen
Ehepartner, Familie und Freunde. Viele Erkrankte haben den
Eindruck, ihnen würde der Boden unter den Füßen weggezogen.

Sie fühlen sich aufkommenden Gefühlen wie         oft bestärkt durch Freunde und Verwandte –
Angst, Traurigkeit, Wut und Verzweiflung          ihrem Kind von der Erkrankung zu erzählen.
ausgeliefert. Hinzu kommt bei Eltern oft eine     Doch das ist für Kinder nicht hilfreich, denn
Unsicherheit, ob und wie sie ihre Kinder über     sie merken, dass irgendetwas in der Familie
die Diagnose informieren sollen. Für viele        nicht stimmt. Informieren Sie Ihr Kind des-
steht der Wunsch, ihre Kinder zu behüten und      halb zeitnah über Ihre Krebs­erkrankung.
ihnen weiterhin eine heile Welt zu bewah-
ren, im Vordergrund. Deshalb zögern sie –         Schon Kleinkinder spüren die veränderte
                                                  Stim­mung ihrer Eltern. Sie nehmen wahr,
                                                  wenn diese durch die Diagnose ängstlich,
 Natalie * (10 Jahre) bekam plötzlich Alb­        traurig oder verzweifelt sind, und reagieren
                                                  unter Umständen mit Schlafproblemen, Ess-
 träume. Sie wusste, dass ihre Mutter beim
                                                  störungen, Unruhe oder verstärktem Weinen.
     Arzt gewesen war, worum es genau ging,
  hatte sie jedoch nicht erfahren. Das Mäd­       Viel stärker als Erwachsene vermuten, regis-
 chen spürte nur, dass ihre Eltern irgendwie      trieren auch ältere Kinder die angespannte
 verändert waren, die Stimmung zu Hause           Gefühlslage ihrer Eltern. Wenn sie den Grund
     bedrückt. Natalie reagierte mit Albträu­     hierfür nicht kennen, suchen sie die Schuld
                                                  für das veränderte Verhalten oft bei sich
      men auf die veränderte Gefühlslage der
                                                  selbst. Sie stellen sich Fragen wie: „Ist Mama
     Eltern, sie spürte, dass irgendetwas nicht
                                                  jetzt so komisch, weil ich mein Zimmer wie-
     mit ihnen stimmte. Natalie wusste nicht,     der nicht aufgeräumt habe?“. Kinder beruhigt
      dass ihre Mutter vor wenigen Tagen die      es, wenn sie von ihren Eltern erfahren, dass
     Diagnose „Brustkrebs“ bekommen hatte.        sie nicht der Auslöser für deren Anspannung

10
2   Diagnose

   „Man muss, ob man will oder nicht, mit
   der Situation klarkommen. Es ist ein täg­
   licher Kampf. Durch diesen stillen Kampf
   habe ich so viel gelernt. Das bringt einem
   kein Buch oder Lehrer besser bei. Man
   lernt hinzufallen, aber vor allem wieder
   aufzustehen und aufrecht weiter durchs
   Leben zu gehen.“
                               Leonie (17 Jahre) **

sind. Bestätigen Sie Ihr Kind in seiner Wahr-         und reagieren in vielen Fällen wütend. Sie
nehmung, dass etwas anders ist als gewohnt            haben das Gefühl, ihren Eltern nicht mehr
und sagen Sie deutlich, dass die Krebsdiagno-         vertrauen zu können. Der entstandene Ver-
se der Grund hierfür ist.                             trauensverlust wird von den Eltern meist un-
                                                      terschätzt. Kinder sind grundsätzlich darauf
Kinder, die nicht wissen, was los ist, entwi-         angewiesen, sich auf ihre Eltern verlassen zu
ckeln oft überschäumende, Furcht erregende            können.
Phantasien und leiden unter diffusen Ängs-
ten, auf die sie mit aggressivem Verhalten re-        Einem Kind die schmerzliche Wahrheit zu
agieren. Andere Kinder werden immer stiller           sagen, ist nicht nur Zumutung, sondern be-
und ziehen sich mehr und mehr zurück.                 inhaltet gleichzeitig die Botschaft: „Du bist
                                                      mir wichtig, dass ich offen und ehrlich mit dir
Scheuen Eltern davor zurück, ihr Kind über die        sein will. Ich traue es dir zu!“
Krebserkrankung zu informieren, besteht die
Gefahr, dass das Kind von Außenstehenden              Trotz aller Belastungen: Viele Kinder gehen
davon erfährt – oft ohne Vorbereitung auf di-         aus der schwierigen Lebenssituation, die die
rekte Art und Weise. Geschieht dies, fühlen           Erkrankung eines Elternteils bedeutet, ge-
sich Kinder ausgegrenzt und hintergangen              stärkt hervor.

                                                                                                   11
Kinder und Jugendliche – was hilft, wenn Eltern an Krebs erkranken

2.2

2.2         Anregungen für ein Gespräch

In der Regel verursacht die Krankheit eines Elternteils viele Änderungen im
Familienalltag. Es ist nicht zu vermeiden, dass Krankenhausaufenthalte, The-
rapien und häufige Arztbesuche sich auch auf den Alltag der Kinder auswirken.
Spätestens jetzt ist es Zeit, die Kinder über den Krebs zu informieren.

Setzen Sie sich als Eltern nicht unter Druck,          Kleine Kinder vermuten oft, Krebs bedeute,
in einem ersten Gespräch alles umfassend               dass jetzt im Bauch der Mutter ein Tier (eben
erklären zu müssen. Dazu ist auch später               ein Krebs) wohnt. Das sollten Eltern richtig
noch Gelegenheit. Wichtig ist es, einen An-            stellen. Oft ist es hilfreich, durch Malen oder
fang zu machen. Sagen Sie klar, dass Mama              mit einem Bilderbuch vom Körper zu visuali-
oder Papa Krebs hat. Kleinkindern reicht die           sieren, wo der Krebs im Körper sitzt. Auch an
Erklärung, Mama oder Papa habe ein Aua und             einer Puppe können Eltern das gut demon­
müsse deshalb ins Krankenhaus. Ab Kinder-              strieren.
gartenalter sollten Eltern konkret benennen,
dass es Krebs ist. Vermeiden Sie diffuse Be-           Erklären Sie, dass Krebs keine ansteckende
schreibungen wie „eine schlimme Krankheit“             Krankheit ist. Das ist wichtig, denn viele Kinder
oder den Begriff „Tumor“. Diese führen oft zu          vermeiden aus Angst vor Ansteckung die Nähe
Missverständnissen, da Kinder damit wenig              zum Kranken. Sagen Sie, dass mit der kranken
anfangen können.                                       Mama oder dem kranken Papa weiterhin geku-
                                                       schelt werden kann – das ist für das Kind wie
                                                       für den Elternteil gleichermaßen wohltuend.
      „Ich hätte mir ein Gespräch gewünscht,
          wo wir mehr über die Angst geredet           Günstig ist es, wenn Eltern gemeinsam ihr
                                                       Kind über die Erkrankung informieren. Ei-
      hätten. Ich hatte immer das Gefühl, wir
                                                       nen pauschal „richtigen“ Zeitpunkt für das
 alle in der Familie haben Angst, aber jeder
                                                       Gespräch gibt es nicht. Am wichtigsten ist
      ist mit seiner Angst allein, weil wir nicht      es, dass Sie ehrlich sind und sich genügend
              miteinander gesprochen haben.“           Zeit für aufkommende Gefühle und Fragen
                                   Viola, 13 Jahre *   nehmen.

12
2     Diagnose

                                                        „Mein Vater hat mir erklärt, was ein
                                                        Hirntumor ist und was er mit meiner
                                                        Mutter anstellt, auch, dass sie wahrschein­
                                                        lich frühzeitig sterben wird. Das war sehr
                                                        wichtig für mich. Viele denken, Kinder
                                                        kriegen das nicht mit oder verstehen das
                                                        nicht, aber es ist sehr wichtig, darüber
                                                        zu sprechen, auch wenn es Überwindung
Es ist völlig normal, in diesem Gespräch auch           kostet, denn ich habe es einfach gemerkt,
zu weinen – das gilt auch für die Eltern. Ver-          dass irgendwas nicht stimmt.“
suchen Eltern ihre Kinder zu schonen, indem                                         Alexander, 13 Jahre *
sie die eigene Betroffenheit verheimlichen, so
vermitteln sie auch ohne Worte: „Wir müssen
stark und tapfer sein!“ Zeigen Eltern hingegen     Sie Ihr Kind nachzufragen, wenn es mehr wis-
ihre Gefühle, so ist dies für Kinder eine Einla-   sen möchte.
dung, auch eigene Emotionen auszudrücken.
Kinder können am besten über ihre Gefühle          Manche Kinder wollen gleich konkret wis-
reden, wenn Eltern ihnen das vorleben. Geben       sen, ob Mama oder Papa jetzt am Krebs ster-
Sie Ihrem Kind die Bestätigung, dass alle Ge-      ben wird. Eine solche Frage ist für Eltern oft
fühle jetzt in Ordnung sind und sein dürfen.       schwer auszuhalten. Doch bitte widerstehen
Verlangen Sie weder von sich noch von Ihrem        Sie der Versuchung zu beteuern, das könne
Kind, jetzt tapfer sein zu müssen. Doch ach-       auf gar keinen Fall passieren. Besser ist eine
ten Sie darauf, Ihr Kind nicht mit den eigenen     ehrliche Antwort, zum Beispiel: „Ja, manche
Ängsten zu überschütten; bei allen Emotionen,      Menschen, die Krebs haben, sterben auch da-
die Sie äußern, muss ein für das Kind erträgli-    ran. Wir wissen noch nicht, ob der Papa wie-
ches Maß gewahrt bleiben.                          der ganz gesund werden wird, aber die Ärzte
                                                   tun alles dafür.“
Alle aufkommenden Fragen der Kinder müs-
sen ernst genommen und beantwortet wer-            Auch Jugendliche machen sich von Anfang
den. Auf einige Fragen werden Sie vermutlich       an viele Gedanken darum, was die Diagnose
so schnell keine Antwort finden. Doch auch         für den Kranken und die Familie bedeutet. Je
die Aussage „Ich weiß es auch noch nicht so        mehr ehrliche Informationen sie bekommen,
genau“ hilft einem Kind weiter und ist besser      desto kleiner ist ihr Bedarf, selbst im Inter-
als eine wohlgemeinte Lüge. Wenn Kinder            net zu suchen und auf ungefilterte und oft
sich wieder ihrem Spiel zuwenden oder das          erschreckende Informationen und Statistiken
Thema wechseln, dann sind das deutliche Zei-       zu stoßen. Jugendliche wollen sich keinen fal-
chen, dass es für heute genug ist und diese        schen Illusionen hingeben, sie schätzen ehrli-
Signale sollten Sie ernst nehmen. Ermutigen        che Antworten ihrer Eltern.

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Kinder und Jugendliche – was hilft, wenn Eltern an Krebs erkranken

     3
Therapie

Therapie

3.1      Krankenhausaufenthalt und Operation

Im nächsten Schritt müssen Kinder auch über Behandlungen
aufgeklärt werden. Informieren Sie Ihr Kind über den
bevorstehenden Krankenhausaufenthalt und sagen Sie,
wie lange Mama oder Papa voraussichtlich im Krankenhaus
bleiben muss.

Wichtig ist es auch zu erklären, dass der Kran-   Sprechen Sie mit Ihrem Kind auch über be-
ke danach auch zu Hause noch Ruhe braucht.        vorstehende Operationen. Erklären Sie, was
Kinder gehen davon aus, dass sofort nach dem      bei der Operation geschieht, wie sich der
Klinikaufenthalt alles wieder in Ordnung ist,     Körper durch die Operation äußerlich ver-
und sind enttäuscht, wenn sie feststellen müs-    ändern kann und was das möglicherweise
sen, dass Mama oder Papa noch immer nicht         auch für Auswirkungen auf das Kind haben
gesund ist.                                       könnte. Eine Erklärung wäre beispielsweise:

14
3   Therapie

3.2

„Du weißt, dass die Mama in der einen Brust         Lassen Sie Ihr Kind selbst entscheiden, ob es
Krebs hat. Der wird jetzt bei der Operation         den kranken Elternteil im Krankenhaus besu-
von den Ärzten herausgeschnitten. Danach            chen möchte oder nicht. Wenn sich Ihr Kind
ist auf der Brust eine Narbe, die erst heilen       dafür entscheidet, beschreiben Sie ihm vorher,
muss. Deshalb kann die Mama dich eine Zeit-         was es am Krankenbett zu sehen bekommt,
lang nicht hochheben, aber kuscheln können          zum Beispiel Infusions- und Beatmungs-
wir trotzdem.“ Wenn Sie schmerzempfindlich          schläuche. Dann ist es vorbereitet und der
sind, geben Sie Ihrem Kind konkrete Anleitun-       ungewohnte Anblick nicht so schockierend.
gen, welcher Körperkontakt möglich und wo
Vorsicht geboten ist.                               Will ein Kind nicht mit ins Krankenhaus ge-
                                                    hen, sollte kein Druck ausgeübt oder gar ein
Kranke müssen selbst entscheiden, wie schnell       schlechtes Gewissen hervorgerufen werden.
sie ihrem Kind nach der Operation die Narbe         Oft verweigern Kinder aus Angst den Besuch.
zeigen. Es hat in erster Linie für sie selbst der   Dann ist es für ein Kind hilfreich, ihm anzubie-
richtige Zeitpunkt zu sein. Doch je offener alle    ten, ein Bild für die Mama oder den Papa zu
Betroffenen mit der Krankheit und auch dem          malen oder einen Brief zu schreiben. Der ge-
veränderten Körper umgehen, desto leichter          sunde Elternteil kann das dann stellvertretend
fällt es allen Familienmitgliedern.                 mitnehmen und überreichen. Und per Telefon
                                                    lässt sich auch leicht Kontakt aufrechterhalten.

3.2       Nebenwirkungen Chemotherapie

Bei vielen Chemotherapien ist Haaraus-              Viele Kranke entschließen sich, wenn ein
fall zu erwarten; sagen Sie das Ihrem Kind          Haarverlust zu erwarten ist, die Haare vorher
rechtzeitig. Der unvorbereitete Anblick von         abrasieren zu lassen. Wenn es für den Kran-
Mama oder Papa mit einer Glatze kann das            ken selbst passend ist, können Kinder gefragt
Kind schockieren und löst häufig Panik aus.         werden, ob sie dabei sein möchten, wenn
Erklären Sie ihm, dass die Chemotherapie so         beim Frisör die Haare fallen. Auch bei der
stark ist, dass die Haare ausfallen werden, sie     Auswahl einer Perücke ist es möglich, die Kin-
aber nach Beendigung der Therapie wieder            der mit einzubeziehen. Entscheiden sich Müt-
nachwachsen.                                        ter dazu, auf eine Perücke zu verzichten und

                                                                                                  15
Kinder und Jugendliche – was hilft, wenn Eltern an Krebs erkranken

selbstbewusst ihre Glatze zu zeigen, empfin-          Besonders kleineren Kindern ist es schwer
den Kinder das oft als peinlich und schämen           zu vermitteln, dass auch starke Müdigkeit
sich gegenüber Gleichaltrigen. Sie befürch-           eine Folge der Chemotherapie ist und die
ten blöde Kommentare, eine Befürchtung, die           Kraft zu vielen Aktivitäten fehlt. Dann wird
leider oft auch ihre Berechtigung hat. Viel-          die fehlende Energie von Kindern schnell als
leicht gehen Sie in diesem Fall mit Ihrem Kind        Desinteresse interpretiert: „Der Papa hat kei-
einen Kompromiss ein: Sie tragen Perücke              ne Lust, mit mir Fußball zu spielen!“, so die
oder Tuch immer dann, wenn andere Kinder              Wahrnehmung. Hier müssen Eltern deutlich
anwesend sind.                                        widersprechen und erklären, dass die fehlen-
                                                      de Energie des Kranken nichts mit dem Kind
                                                      zu tun hat, sondern eine Folge des Medika-
                                                      ments ist.

       „Wenn meine Mutter von ihrer Chemo­            Wenn es möglich ist, geben Sie Ihrem Kind
 therapie kommt, dann herrscht bei mir eine           einen Zeitrahmen, wie lang die Therapie vor-
seltsame Unwissenheit, denn ich würde sehr            aussichtlich noch dauern wird. Zum Beispiel:
                                                      „Ich hoffe, dass ich an Ostern mit der Thera-
gern in jeder Sekunde wissen, wie es ihr geht.
                                                      pie fertig bin. Dann werden die Haare wieder
Das ist aber nicht möglich, weil sie meistens
                                                      anfangen zu wachsen und ich kann wieder
             zwanzig Stunden am Tag schläft.          mehr mit dir zusammen unternehmen.“ Das
      Außerdem ist da auch noch Hilflosigkeit         ermöglicht es Ihrem Kind sich darauf ein-
      bei mir, denn ich würde ihr gerne helfen.       stellen. Auch während der verschiedenen
 Meistens wüsste ich gerne, wenn sie schläft,         Therapien sollten Eltern ihre Kinder über
                                                      Arzttermine und Untersuchungsergebnisse
     ob sie Schmerzen hat oder es ihr nicht gut
                                                      informieren.
geht. Meine Mutter sagt mir zwar immer, ob
 sie Schmerzen hat oder nicht, aber wenn sie
                schläft, ist das sehr schwierig.“
                                   Lukas, 12 Jahre*

16
Alltag

 4

Alltag

4.1     In Kindergarten und Schule

Leider bestimmt in den meisten Fällen die Krankheit
über eine längere Zeit den Alltag der betroffenen Familien.
Informieren Sie Pädagogen in Kindergarten, Hort und
Schule über die familiäre Situation. Oft sind sie die Ersten,
denen ein verändertes Verhalten eines Kindes auffällt.

                                                                17
Kinder und Jugendliche – was hilft, wenn Eltern an Krebs erkranken

Adäquate Unterstützung kann hier nur er-               Ältere Kinder und Jugendliche wählen sorgfäl-
folgen, wenn sie die Belastungen des Kindes            tig aus, wem sie von der Erkrankung erzählen.
kennen. Ob Freunde und Klassenkameraden                Oft sind es nur wenige Freunde, die ins Ver-
über die Krebserkrankung informiert werden             trauen gezogen werden. Der Wunsch, in der
sollen, entscheiden Kinder und Jugendliche             Schule keine Sonderrolle einnehmen zu wol-
am besten selbst.                                      len, steht im Vordergrund. Auf gar keinen Fall
                                                       wollen Jugendliche Mitleid von Lehrern oder
In manchen Familien ist das Thema ein Tabu.            Klassenkameraden. Nicht zu unterschätzen ist
So wenige Menschen wie möglich sollen da-              auch, wie wichtig es ist, in der Schule weiterhin
von wissen. Leider ist die Krankheit für einige        einen Platz zu haben, wo alles unverändert sei-
immer noch mit Scham besetzt. Viele Kranke             nen gewohnten Gang geht. Kindergarten, Hort
wollen weder Mitleid noch ungebetene Rat-              und Schule können sich so zur „krebsfreien“
schläge und befürchten Neugier. Kinder be-             Zone entwickeln, die einen Abstand zur belas-
lastet dieses Schweigen jedoch sehr.                   tenden Situation zu Hause ermöglichen.

                                                       Leider erfahren viele Jugendliche, dass Freun-
                                                       de damit überfordert sind, wenn sie ihnen
      „Manchmal traf ich mich mit Freunden.            von der Krebserkrankung der Mutter oder
     Allerdings war es nicht mehr dasselbe wie         des Vaters und den daraus entstehenden
     früher. Ich hatte immer öfters das Gefühl,        Belastungen erzählen. Statt des erhofften
                                                       Zuspruchs bekommen sie das Gefühl, von
missverstanden zu werden. Sie nahmen keine
                                                       niemandem verstanden zu werden. Sie fühlen
Rücksicht auf mich und ich hatte das Gefühl,
                                                       sich in dieser Notsituation von ihren Freun-
 sie wollten der Situation ganz aus dem Weg            den sehr allein gelassen. Manche reagieren
 gehen. Sie verstanden meine Art nicht mehr            mit Rückzug, andere zeigen ihren Mitschü-
(….). Nur sehr wenige boten mir ihre Hilfe an          lern und Freunden nur noch eine Fassade. Sie
 und fragten mich, wie es mir wirklich geht.           geben vor, dass alles okay wäre und es ihnen
                                                       gut ginge. Die Traurigkeit und Angst hinter
  Natürlich ist es für Außenstehende schwer
                                                       der Maske bekommt niemand zu sehen.
     zu verstehen, aber dennoch hätte ich mir
  einfach manchmal gewünscht, dass sie mir
              sagen, dass sie für mich da sind.“
                                 Melissa, 17 Jahre *

18
4   Alltag

    4.2

4.2       In der Familie

Ist ein Elternteil an Krebs erkrankt, wächst die Belastung für alle
Familienmitglieder. Informieren Sie Ihr Kind, vor allem über
Veränderungen, die seinen Alltag betreffen, denn sie verursachen
Unsicherheit.

So ist es für kleine Kinder zum Beispiel wich-    den Zeitrahmen abzustecken, wie lange die
tig zu wissen, wer sie in den Kindergarten        zusätzlichen Aufgaben übernommen werden
bringt und abholt, wenn die Mama krank ist.       müssen. Auf alle Fälle müssen Kinder noch
Struktur im Alltag und feste Rituale – zum        genug Zeit für ihre eigenen Interessen und
Beispiel abends beim Zubettgehen – helfen         Hobbys haben. Besonders bei Jugendlichen
und vermitteln ein bisschen Normalität. Äl-       wird oft übersehen, dass das Ausmaß der
tere Kinder müssen in dieser schwierigen Fa-      verlangten Mithilfe und die Verantwortung,
miliensituation fast ausnahmslos zu Hause         die ihnen aufgebürdet wird, mitunter zu groß
mehr Aufgaben und Pflichten übernehmen.           sind. Kinder krebskranker Eltern rutschen so
Manche tun dies klaglos, andere nur unter         leicht in eine Erwachsenenrolle hinein, eine
Protest. In diesem Fall kann es hilfreich sein,   Rolle, die sie meistens überfordert.

                                                                                            19
Kinder und Jugendliche – was hilft, wenn Eltern an Krebs erkranken

                                „Manchmal vergesse ich auch, dass meine Eltern Krebs haben,
                                z. B. wenn ich mich mit Freunden treffe. Dann bin ich mit ande­
                                   ren Dingen beschäftigt. Wenn ich das alles mit dem Krebs ver­
                                     gesse, geht es mir sehr gut, denn dann kann ich die ganze
                                       Last auf meinen Schultern einfach wegpusten.“
                                                                                    Lukas, 12 Jahre *

Besonders wenn der Haupternährer der Fa-          Hause in den Hintergrund treten zu lassen
milie erkrankt, sehen sich Familien schnell       und wieder Kraft zu tanken.
vor finanzielle Probleme gestellt. Kinder
bekommen das oft mit. Vermeiden Sie, mit          Gerade in Zeiten, in denen die Krankheit
Ihren Kindern im Detail über Ihre finanzielle     scheinbar das ganze Familienleben be-
Situation und Ihre Zukunftsängste zu spre-        herrscht, sind „krebsfreie“ Zeiten für alle
chen. Kinder sorgen sich, können aber an der      wichtig. Vereinbaren Sie mit Ihrem Kind
Situation nichts wirklich ändern, und fühlen      feste Zeiten, die sie zusammen verbringen
sich hilflos und ohnmächtig.                      und in denen die Erkrankung mal nicht im
                                                  Mittelpunkt steht. Große Unternehmungen
Kinder entlastet es immer, wenn ihre Eltern       sind vielen Kranken nicht möglich, doch die
sich bei Erwachsenen Unterstützung ho-            Hauptsache ist, dass die Familie Zeit mit-
len. Dann können sie ganz Kind sein und sie       einander verbringt und auch der kranke El-
müssen sich nicht um die Eltern und deren         ternteil daran teilnimmt. Allen tut es gut,
Wohlergehen sorgen. Trauen Sie sich ande-         zusammen zu spielen und zu lachen und ein
re Erwachsene zu bitten, sich um Ihr Kind zu      kleines Stück Unbeschwertheit miteinander
kümmern, wenn Ihnen selbst die Kraft und          zu genießen. Wenn Eltern mal wieder lachen,
Zeit dazu fehlen. Zum Beispiel: Bitten Sie        wirkt sich das positiv und entspannend auf
Freunde, Ihr Kind vom Kindergarten abzuho-        die Kinder aus. Gemeinsam verbrachte un-
len oder mit ihm ein ganz normales, „krebs-       beschwerte Stunden entschädigen alle für
freies“ Wochenende zu verbringen. Wenn            Streitereien, die in der angespannten Situ-
Kinder Zeit mit Gleichaltrigen verbringen,        ation, in der sich alle befinden, oft nicht zu
ist dies eine Gelegenheit, die Belastungen zu     vermeiden sind.

20
4     Alltag

                                       „In dieser Zeit der Krankheit meines Papas hatte ich jedoch
                                        immer mit mir selbst zu kämpfen. Der Spagat zwischen dem
                                        Alltagsleben und dem Leben zu Hause mit einem kranken
                                       Vater war einfach zu groß. Oft musste ich mir überlegen, ob
                                      ich nicht besser zu Hause blieb, um für meine Familie da zu
                                    sein, oder ob ich mich lieber ablenken und mit meinen Freunden
                                etwas unternehmen sollte. Ich kann mich noch genau daran erinnern,
                          dass ich ersteres meistens wählte. Ich brachte es einfach nicht übers Herz,
                  meinen kranken Vater alleine zu lassen, obwohl ich wusste, dass meine Mama und
                  meine Geschwister auch zu Hause waren. Hinzu kam außerdem immer die Angst.
                  Angst, dass etwas passiert, wenn ich nicht in diesem Augenblick zu Hause bin. Aber
                  auch Angst, dass er nicht mehr da sein wird, wenn ich dann nach Hause komme.“
                                                                                              Melissa, 17 Jahre *

„Vor zwei Jahren wurde festgestellt, dass meine Mutter Brustkrebs hat (…).
 Plötzlich war nichts mehr wie vorher. Das ganze Familienleben ver­
 änderte sich. Es gab sehr viel Streit zwischen meinen Eltern und
auch zwischen mir und meinen Eltern (…). Meine Mutter sagte
    dauernd: „Das könnt ihr doch alles tun, wenn ich tot bin.“
  Ich bekam es dadurch sehr mit der Angst zu tun. Ich konnte
      in diesen Momenten kaum noch etwas anderes denken.
Auch war meine Mutter ansonsten ganz anders. Sie regte sich
 plötzlich wegen jeder Kleinigkeit total auf. Dadurch wurde der
    Stress noch vergrößert. Stress war immer da (…). Dieser Stress
 wirkte sich auch auf mich aus (…). Heute ist es schon viel besser. Zwar
  haben meine Mutter und ich immer noch Angst, dass der Krebs wiederkommt, doch
meine Mutter hat sich schon etwas beruhigt. Aber Stress haben wir alle immer noch.“
                                                                           Paul, 15 Jahre *

                                                                                                            21
Kinder und Jugendliche – was hilft, wenn Eltern an Krebs erkranken

Leider lösen sich Konflikte in der Familie, die   Die Pubertät ist eine Lebensphase, die durch
schon vor der Erkrankung bestanden, nicht         emotionale Ablösung vom Elternhaus und
einfach auf, sondern verstärken sich oft noch     Neuorientierung geprägt ist. Erkrankt nun ein
während der Krankheitsphase. Durch die            Elternteil an Krebs, wird diese Ablösung häu-
Dauerbelastung liegen bei vielen Eltern die       fig unterbrochen und führt wieder zur ver-
Nerven blank. Geduld und Verständnis im           stärkten Zuwendung zur Familie; die Sorge
Umgang mit ihren Kindern fehlen jetzt häu-        und damit Hinwendung zum kranken Eltern-
fig. Oft ist es für Eltern entlastend, wenn sie   teil steht jetzt im Vordergrund. Für Jugend-
sich klar machen, dass nicht alle Probleme        liche ist es oft schwierig, eine gute Balance
im Zusammenhang mit der Krebserkrankung           zwischen Unterstützung des Kranken und
stehen. Besonders die Pubertät stellt für         den Anforderungen von Schule, Ausbildung
alle – Jugendliche wie Eltern – grundsätzlich     oder Studium und dem Verfolgen der eigenen
eine Herausforderung dar, daran ändert auch       Interessen zu finden.
der Krebs nichts. Generell kann es zu solchen
Zeiten auch ratsam sein, sich an einen er-        Jugendliche wissen es zu schätzen, wenn El-
fahrenen Berater aus einer psychosozialen         tern ihnen auch während der Krankheitspha-
Krebsberatungsstelle in Baden-Württemberg         se zugestehen, eigene Interessen zu verfol-
zu wenden, um dort für sich selbst Entlastung     gen und ihren eigenen Weg gehen zu können.
zu finden. Die Adressen der Beratungsstellen      Manche Kinder, große wie kleine, haben das
finden Sie ab Seite 33.                           Gefühl, angesichts der schweren Erkrankung

22
4    Alltag

   „Jeder muss selbst entscheiden, wie sehr
   er seine Gefühle zeigt. Es liegt auch an
   der eigenen Persönlichkeit, wie offen man
   damit umgeht. Ich persönlich verdränge sie           sie die Rolle aus, teilweise bis zur körperlichen
   lieber, anstatt sie offen zu zeigen, so geht es      Erschöpfung, überfordert sie das. Oft nehmen
   mir wenigstens für einen Moment gut. Es
                                                        Eltern dies nicht wahr, da sie zu sehr mit sich
                                                        selbst beschäftigt sind.
   ist wie eine Mauer, die ich um meine Seele
   aufgebaut habe. Ich kann selbst entschei­            Die Rollen in der Familie dürfen sich nicht auf
   den, wem und wann ich sie öffne, das gibt            Dauer vertauschen. Kinder sollten nicht zum
   mir ein Gefühl der Sicherheit."                      Tröster ihrer kranken Eltern werden – und
                                  Viola (16 Jahre) **   schon gar nicht zum Partnerersatz. Wenn
                                                        Sie das Gefühl haben, dass ihnen alles zu viel
                                                        wird, suchen Sie Hilfe bei anderen Erwachse-
                                                        nen. Das hilft auch Ihrem Kind.

von Mutter oder Vater keinen Spaß mehr                  Pubertierende besprechen ihre Probleme
haben zu dürfen und verzichten auf Dinge,               zunehmend mit Freunden statt mit den El­
die sie eigentlich gerne machen. Geben Sie              tern; das bleibt bei einigen unverändert, auch
ihrem Kind die Bestätigung, dass Spaß – trotz           wenn ein Elternteil an Krebs erkrankt. Die Er-
allem – erlaubt ist.                                    wartungen vieler Eltern, Jugendliche würden
                                                        sich jetzt in der Krisensituation ihnen gegen-
Viele Kinder stellen eigene Interessen und Be-          über öffnen und zu Gesprächen bereit sein,
dürfnisse während der Krankheit von Mutter              bleiben oft unerfüllt. Je mehr Druck Eltern
oder Vater zurück und zeigen eine große Für-            ausüben, je intensiver sie nachfragen, desto
sorglichkeit. Sie gehen ganz darin auf, etwas           weniger geben die Jugendlichen über ihr Ge-
für den kranken Elternteil tun zu können. Sie           fühlsleben preis. Einige wollen auch einfach
fühlen sich durch ihr Mitwirken, zum Beispiel           nichts mehr von der Krankheit hören. Wenn
eine Decke holen, in das Geschehen einbezo-             Ihr Kind ein Gespräch verweigert, machen Sie
gen und der Situation nicht mehr ohnmächtig             immer mal wieder ein Gesprächsangebot, wie
ausgeliefert. Wichtig ist es, darauf zu achten,         zum Beispiel: „Wenn du reden möchtest oder
dass Kinder – unabhängig vom Alter – keine zu           etwas wissen willst, sag’ mir Bescheid, ich bin
große Verantwortung übernehmen. Auch Ju-                jederzeit für dich da.“ Über bevorstehende
gendliche sollten nicht allein für die Betreuung        Untersuchungen und wichtige Veränderun-
oder Pflege eines Elternteils verantwortlich            gen beim Gesundheitszustand sollten Sie ihr
sein. Wird dies von ihnen erwartet und füllen           Kind aber grundsätzlich informieren.

                                                                                                      23
Kinder und Jugendliche – was hilft, wenn Eltern an Krebs erkranken

24
4   Alltag

4.3

4.3      Psychische und körperliche Reaktionen der Kinder

Die Reaktionen der Kinder auf die Krebserkrankung und die veränderte
Familiensituation fallen unterschiedlich und vielfältig aus, hängen ab von
Alter, Entwicklungsstand, Persönlichkeit, dem familiären und sozialen
Umfeld und nicht zuletzt von der Beziehung zum erkrankten Elternteil.

Manche Veränderungen im Verhalten eines         Kinder im Kindergartenalter nehmen bewusst
Kindes sind auch ganz normale Entwick-          wahr, wenn ein Elternteil krank ist. Auch sie
lungsschritte und sollten als solche wahrge-    leiden unter einer krankheitsbedingten Tren-
nommen werden. Säuglinge und Kleinkinder        nung von Mama oder Papa. Viele reagieren
haben noch kein wirkliches Krankheitsver-       deshalb mit erhöhter Anhänglichkeit, wenn
ständnis und können es nicht einordnen,         der Kranke wieder zu Hause ist. Sie suchen
wenn ein Elternteil an Krebs erkrankt ist.      verstärkt die Nähe des Erwachsenen nach der
Doch sie nehmen wahr, wenn ihre Eltern ge-      vorausgegangenen Trennung.
reizt oder traurig sind, und reagieren darauf
häufig mit Weinen, Unruhe, Schlaf- und Ess-     Einige Kinder reagieren mit Rückschritten in
problemen. Viel Nähe der Eltern, Körperkon-     ihrer Entwicklung auf die belastende Famili-
takt und eine ruhige Atmosphäre helfen, dass    ensituation. Ihre Sprache wird wieder einfa-
das Kind sich wieder beruhigt und geborgen      cher oder sie nässen wieder ein. Hier hilft nur
fühlt. Kleinkinder ängstigt die vorübergehen-   Verständnis; Druck verschlimmert eher die Si-
de Trennung von einem Elternteil immer.         tuation. Die Auffälligkeiten sind meistens nur
                                                vorübergehend und legen sich, sobald wieder
Feste Bezugspersonen, zum Beispiel die Oma,     Ruhe und Struktur in den Alltag des Kindes
die sich jetzt verstärkt um das Kind kümmert,   eingekehrt sind. Halten die Rückschritte in
vermitteln Sicherheit. Ermöglichen Sie Ihrem    der Entwicklung jedoch länger an, sollte ein
Kind, auch mit dem abwesenden Elternteil –      Kinderarzt oder eine Beratungsstelle aufge-
zum Beispiel mit der Mutter in der Reha –       sucht werden, um dort Hilfe für das Kind zu
Kon­takt zu halten. Oft reicht die Stimme der   erhalten.
Mama am Telefon, um über die Trennung hin-
weg zu helfen.

                                                                                            25
Kinder und Jugendliche – was hilft, wenn Eltern an Krebs erkranken

Manche Kinder bekommen Angst, jetzt auch           starke Anspannung spüren und nicht mit den
krank zu werden. Reaktion auf die Krebser-         eigenen Sorgen zusätzlich belasten möch-
krankung entwickeln viele Kinder und Ju-           ten – dieses Phänomen zieht sich durch alle
gendliche reale körperliche Beschwerden.           Altersstufen. Viele Kinder glauben, sie könn-
Kleine Kinder klagen häufig über Bauchweh,         ten ihre Traurigkeit und Angst vor ihren El-
wenn Mama oder Papa krank ist. Oft kann der        tern wirklich verbergen. Wenn Sie bei Ihrem
Kinderarzt nichts feststellen. Die Krankheits-     Kind überangepasstes Verhalten wahrneh-
symptome sollten in diesem Fall als Zeichen        men, sprechen Sie Ihr Kind direkt darauf an.
innerer Anspannung und seelischer Verun-           Fragen Sie es, wie es ihm wirklich geht. Ver-
sicherung gedeutet werden. Hier helfen am          mitteln Sie ihm, dass es in der jetzigen Situa-
besten Zuwendung und körperliche Nähe.             tion normal ist, Angst zu haben und traurig zu
Manche Kinder und Jugendliche leiden auch          sein. Geben Sie Ihrem Kind Gewissheit, dass
unter Schlafstörungen und Albträumen. Auch         Sie weiterhin für es und seine Nöte da sind.
Essstörungen können auftreten.
                                                   Andere Kinder fallen durch lautes und oft
Einige Kinder werden während der Erkran-           auch aggressives Verhalten auf. Sie suchen
kung eines Elternteils zunehmend still und         damit nach Aufmerksamkeit. Wenn das Ver-
ziehen sich immer mehr zurück. Ein paar sind       halten besonders auffällig ist, drückt das
auch überangepasst und versuchen es, den           ebenso eine innere Not aus, die Kinder oft
Eltern so einfach wie möglich zu machen.           nicht anders zeigen können. Aggressives
Kinder schonen ihre Eltern, weil sie deren         Verhalten braucht deshalb außer Grenzen
                                                   auch Verständnis. Suchen Sie mit Ihrem Kind
                                                   gemeinsam eine Ausdrucksmöglichkeit für
                                                   seine Wut. Häufig helfen Bewegung und kör-
         Eine Mutter, deren Mann an Krebs er­      perliche Betätigung.
           krankt ist, erzählt: „Unsere Tochter
       (8 Jahre) denkt zurzeit viel über den Tod   Kinder sowie Jugendliche sind in vielen Fällen
                                                   von der Vielfalt der Gefühle, die jetzt auftre-
  nach und träumt auch davon. Sie beschäf­
                                                   ten, verunsichert und fühlen sich wechseln-
     tigt sich auch sehr mit Krebs und anderen
                                                   den Stimmungen hilflos ausgeliefert. Geben
     Krankheiten, fragt immer wieder: „Woran       Sie Ihrem Kind die Zusicherung, dass das Ge-
      merke ich, dass ich auch Krebs habe und      fühlschaos normal ist und dass es angemes-
         wie kann ich mich davor schützen?“ *      sen auf die bedrohliche Situation reagiert.

26
4   Alltag

Viele Gedanken der Kinder drehen sich bei     Ein großer Teil der betroffenen Kinder und
einer Krebserkrankung auch um das Thema       Jugendlichen leiden unter Konzentrations-
„Schuld“. Sie fühlen sich schuldig, glauben   störungen in der Schule. Statt dem Unter-
der Krankheitsverursacher zu sein. „Die       richt zu folgen, kreisen ihre Gedanken um
Mama hat Krebs, weil ich so oft mit meinem    den kranken Elternteil und oft auch um die
Bruder gestritten habe und sie sich darüber   Zukunft der Familie. Schwächere Leistungen
geärgert hat“, so eine typische Vermutung.    sind oft die Folge. Doch statt Leistungsdruck
Diese Schuldgefühle müssen Eltern ihren       brauchen diese Schüler Unterstützung und
Kindern unbedingt nehmen. Sagen Sie Ihrem     Eltern, die über schlechtere Noten als nor-
Kind deutlich, dass zwischen seinem Verhal-   mal auch mal hinwegsehen. Manche Kinder
ten und der Erkrankung kein Zusammen-         werden während der Krankheit wiederum
hang besteht. Das heißt umgekehrt auch,       ausgesprochen gut in der Schule. Sie wollen
einem Kind klarzumachen, dass beson­ders      es ihren Eltern so leicht wie möglich machen.
braves Verhalten nicht zur erwünschten        Einigen hilft intensives Lernen, die Ängste
Heilung führt.                                und Sorgen vorübergehend zu verdrängen.

                                                                                        27
Kinder und Jugendliche – was hilft, wenn Eltern an Krebs erkranken

4.4

4.4         Scheidungskinder

Scheidungskinder sind während der Krebserkrankung eines
Elternteils noch stärker belastet, emotional und oft auch physisch.
Oft fehlt in der Familie ein weiterer Erwachsener, der sich um
den Kranken kümmert und für ihn Ansprechpartner ist.

Kinder tragen dann nicht selten die Verant-           Besonders schwierig wird es für alle Familien-
wortung. Durch die Scheidung selbst sind              mitglieder, wenn die Krankheit soweit fortge-
viele Kinder zusätzlich beansprucht, mit-             schritten ist, dass es dem Kranken nicht mehr
unter sogar belastet. Sorgen Sie für genug            möglich ist, für das Kind zu sorgen und ein
erwachsene Helfer in der Familie, damit Ihr           Umzug des Kindes zum getrennt lebenden
Kind entlastet ist. Für Scheidungskinder ist es       Elternteil gegebenenfalls notwendig ist. Kin-
besonders schwer, eigene Interessen zu ver-           der fühlen sich in dieser Situation hin und her
folgen und den Kranken in dieser Zeit alleine         gerissen, haben das Gefühl, den Kranken im
zu Hause zurückzulassen.                              Stich zu lassen.

                                                      Leben Kinder nicht bei dem erkrankten El-
      „Weil mein Papa sah, dass es mir immer          ternteil, sollten sie trotzdem über den Krebs
                                                      informiert werden. Geben Sie Ihrem Kind die
        schlechter ging und ich diesem Druck
                                                      Möglichkeit, den kranken Elternteil so oft
      einfach nicht mehr standhalten konnte,
                                                      zu besuchen, wie es will und es auch für den
  holte er mich zu sich. Doch diese Entschei­         Kranken passend ist.
dung war anfangs nicht ganz leicht für mich
(…). Diese komplette Situation überforderte           Adoptierte Kinder haben schon einmal erlebt,
       mich total (…). Ich hatte Angst, meine         dass sie von ihren Eltern verlassen wurden,
                                                      und reagieren auf die Krankheit meist mit be-
     Mutter dort einfach alleine zu lassen und
                                                      sonders starken Verlustängsten. Verlustängs-
  auch Angst davor, dass ich sie damit total
                                                      te müssen immer ernst genommen werden.
      verletzte (…). Ich hatte ein so schlechtes      Kindern hilft es, wenn Sie gemeinsam überle-
                               Gewissen (…). “        gen, wer außer Ihnen noch für das Kind da ist
                              Annabelle, 17 Jahre *   und in einer Notsituation für es sorgt.

28
5                Abschied

Abschied
Kinder dürfen nicht im Ungewissen gelassen werden, wenn der Krebs
unheilbar ist. Viele spüren sowieso, wenn der Tod eines Elternteils zu
erwarten ist. Es ist für sie sehr belastend, wenn sie merken, dass der
Tod von Mutter oder Vater bevorsteht und dies nicht angesprochen wird.

Den richtigen Zeitpunkt zu finden, um ein        Raum zu geben. Trösten Sie Ihr Kind, wie Sie
Kind über den nahenden Tod eines Eltern-         es auch in anderen Situationen tun.
teils zu informieren, ist jedoch schwierig.
Durch langes Zögern wird oft kostbare Zeit       Manche Kinder realisieren die Information
verschenkt; Zeit, die noch bewusst mitein-       über den zu erwartenden Tod und lernen, mit
ander verbracht werden kann, und Zeit, um        diesem Wissen zu leben. Andere verdrängen
Abschied zu nehmen. Wenn es absehbar ist,        die schreckliche Wahrheit so lange wie mög-
dass ein Elternteil sterben wird, muss mit       lich – das müssen Sie respektieren. Alle, Kin-
dem Kind darüber gesprochen werden. Fal-         der wie Erwachsene, brauchen ausreichend
sche Hoffnungen helfen nicht. Machen Sie         Zeit, um diese unvorstellbare und schmerz-
bezüglich des Krankheitsverlaufs keine Ver-      hafte Realität zu begreifen.
sprechungen, die sie nicht halten können.
                                                 Fast unmöglich ist es, Kinder über den bevor-
Wie im Gespräch über die Krebsdiagnose           stehenden Tod eines Elternteils zu informie-
sollten Sie einen ruhigen Rahmen wählen und      ren, wenn der Kranke selbst die Tatsache ver-
viel Zeit mitbringen. Sagen Sie von Anfang an,   drängt, nicht darüber sprechen will und sich
dass Sie etwas Trauriges erzählen müssen. Sa-    unerschütterlich optimistisch gibt. Kinder
gen Sie ohne Umschweife, dass der Kranke         dürfen in solchen Situationen nicht zu Trä-
bald sterben wird. Sie dürfen Ihre Traurigkeit   gern von Geheimnissen werden – das müssen
ruhig zeigen und auch weinen – das lädt Ihr      Sie in dieser Situation berücksichtigen.
Kind ein, auch seine Gefühle zu äußern. Wei-
nen, Wutausbrüche und Nicht-wahrhaben-           Besonders kleinere Kinder fragen sich, wer
Wollen sind normale Reaktionen auf die           Schuld hat, dass Mama oder Papa jetzt ster-
traurige Nachricht. Versuchen Sie, diesen        ben muss. Betonen Sie, dass keiner in der
Gefühlsausbrüchen standzuhalten und ihnen        Familie Schuld hat und auch die Ärzte alles

                                                                                            29
Kinder und Jugendliche – was hilft, wenn Eltern an Krebs erkranken

getan haben, um die Mama oder den Papa           Wenn es dem sterbenden Elternteil gelingt,
wieder gesund zu machen.                         ihren Kindern noch zu sagen, wie sehr sie sie
                                                 lieben und wie stolz sie auf sie sind, so ist dies
Kinder wollen auch wissen, wohin die Toten       ein riesiges Geschenk, von dem ein Kind sein
gehen. Das sollten Eltern so beantworten,        Leben lang zehren wird.
wie es ihrer Haltung und ihrem Glauben ent-
spricht und für sie stimmig ist. Fast immer      Kleinen Kindern Abschied zu ermöglichen
bekommen Kinder erklärt, dass die Toten in       heißt, so viel Nähe wie möglich „tanken“ und
den Himmel kommen und dort, in veränder-         noch etwas für den Betroffenen zu tun, z. B.
ter Form, weiterleben. Für Kinder sind solche    einen Engel zu basteln, der auf die Mama oder
Erklärungen tröstlich und hilfreich.             den Papa achtgeben wird, oder noch ein schö-
                                                 nes Bild für sie zu malen. Fragen Sie Ihr Kind,
Ermöglichen Sie es Ihrem Kind, bewusst Ab-       was es noch für den kranken Elternteil tun
schied zu nehmen. Es erleichtert später den      möchte. Ihr Kind hat dann die Chance selbst
Trauerprozess. Wird durch Schweigen kein         zu bestimmen, was ihm noch wichtig ist.
Abschied ermöglicht, geht eine Chance un-
wiederbringlich verloren und es bleibt immer     Älteren Kindern und Jugendlichen ist oft ein
etwas offen.                                     „gutes“ Gespräch mit dem Sterbenden noch

30
5     Abschied

           „Ich hatte es satt, unglücklich zu sein, ich wollte
          wieder ein normaler Mensch sein, ich wollte
       wieder lachen, glücklich und fröhlich sein!“
                                   Leonie, 14 Jahre *

 „Auch wenn ein Elternteil Krebs hat oder daran
  gestorben ist: Dein Leben geht trotzdem weiter,
 zwar anders als früher, aber trotzdem gut. Egal was
war, man kann wieder glücklich werden. Aber es liegt auch
      an einem selbst, man muss auch etwas dafür tun, die richtige
            Einstellung haben und sich nicht unterkriegen lassen.“
                                                            Anonym **

                         „Als es meiner Mama ganz schlecht ging, fuhr ich jeden
                           Tag ins Krankenhaus und blieb dort einige Stunden.
                             Man könnte meinen, dass das die schlimmste Zeit der
                             Krankheit war, (…) doch es war, glaube ich, eine der
                             schönsten Zeiten. Wir redeten über alltägliche Dinge,
                            was gerade in der Zeitung stand, spielten „Stadt-Land-
                          Fluss“ und schliefen, aber wir sprachen auch über das
                      Sterben. Meine Mama war die Einzige, die stark war und
                 nicht weinte, ich brach natürlich in Tränen aus und als mein Vater
            da war, kullerten ihm auch Tränen über seine Wangen.“
                                                                        Leonie, 14 Jahre *

                                                                                             31
Kinder und Jugendliche – was hilft, wenn Eltern an Krebs erkranken

wichtig. Sie spüren, auf welche Fragen sie         Fragen Sie Ihr Kind, ob es mit zur Beerdigung
Antworten suchen und was sie noch sagen            gehen möchte. Kindern, die bisher noch kei-
wollen.                                            ne Beerdigung erlebten, muss vorher der
                                                   Ablauf erklärt werden. Das hilft, Angst abzu-
Ist der Tod dann eingetreten, erleichtert der      bauen. Verwitwete Eltern entlastet es, wenn
Anblick des toten Vaters oder der toten Mut-       während der Beerdigung eine nahe Vertrau-
ter oft das Begreifen des Todes und seine          ensperson ihrem Kind zur Seite steht, also
Endgültigkeit. Kinder im Kindergartenalter         jemand, den das Kind gut kennt, der aber
leben sehr im Hier und Jetzt und sehen den         selbst nicht unmittelbar von dem Trauerfall
Tod als etwas Reversibles an. Sie glauben,         betroffen ist.
dass Menschen, die sterben, doch irgend-
wann wiederkommen. Gerade deshalb ist für          Kinder eines krebskranken Elternteils haben
sie der Anblick eines Toten oft hilfreich, um zu   ein erhöhtes Risiko verhaltensauffällig zu
begreifen, was geschehen ist. Sie sehen, dass      werden; das haben zahlreiche Studien bewie-
sich der Tote wirklich nicht mehr bewegt und       sen. Je offener in der Familie über die Krank-
nicht mehr atmet. Lassen Sie Ihr Kind selbst       heit gesprochen wird und je mehr Unterstüt-
entscheiden, ob es den verstorbenen Eltern-        zung Kinder erfahren, desto leichter fällt es
teil noch einmal sehen möchte und akzeptie-        ihnen, diese belastende Familiensituation gut
ren Sie, wenn Ihr Kind das nicht will.             zu überstehen.

Ebenfalls hilfreich für Kinder ist es, wenn sie    Häufig ist bei den betroffenen Kindern ein un-
bei der Beerdigung mit einbezogen werden,          bändiger Wille zu beobachten, sich vom har-
zum Beispiel, indem sie den Sarg bemalen           ten Schicksal, das die Familie getroffen hat,
oder mitentscheiden können, welche Klei-           nicht unterkriegen zu lassen. Vielen Kindern
dung der Tote tragen soll. Viele Kinder geben      gelingt dies – trotz allem.
dem toten Elternteil auch noch ein selbst ge-
maltes Bild oder einen Brief mit in den Sarg.

32
Infos

  6
Weitere Informationen
Psychosoziale Krebsberatungs­stellen
in Baden-Württemberg

• Freiburg                                     • Karlsruhe
  Psychosoziale Krebsberatung Freiburg           Psychosoziale Beratungsstelle für
  Tumorzentrum Freiburg – CCCF                   Krebskranke und Angehörige
  Hauptstraße 5A · 79104 Freiburg                AWO gGmbH Karlsruhe
  Tel. 0761 270-77500                            Kronenstraße 15 · 76133 Karlsruhe
  krebsberatungsstelle@uniklinik-freiburg.de     Tel. 0721 35007-229
  www.krebsberatungsstelle-freiburg.de           info@awo-karlsruhe.de
                                                 www.awo-karlsruhe.de
• Heidelberg
  Psychosoziale Krebsberatungsstelle           • Leonberg/Böblingen/Herrenberg
  Nordbaden · Ernst-Moro-Haus                    Haus der Diakonie Leonberg
  Im Neuenheimer Feld (INF) 155                  Agnes-Miegel-Straße 5 · 71229 Leonberg
  69120 Heidelberg · Tel. 06221 56-22722         Tel. 07152 332940-22 · www.edivbb.de
  kontakt@kbs-nordbaden.de
  www.kbs-nordbaden.de                         • Mutlangen
                                                 Psychosoziale Krebsberatungsstelle
• Heilbronn                                      Ostwürttemberg – Haus 6, Klinikgelände
  Psychosoziale Krebsberatungsstelle             Stauferklinikum
  Heilbronn-Franken                              Wetzgauer Straße 85 · 73557 Mutlangen
  Moltkestraße 25 · 74072 Heilbronn              Tel. 07171 4950230 · info@kbs-ow.de
  Tel. 07131 932480                              www.kbs-ow.de
  info@slk-krebsberatung.de
  www.slk-kliniken.de                          • Pforzheim
                                                 Krebsberatungsstelle Pforzheim
                                                 Kanzlerstraße 2-6 · 75175 Pforzheim
                                                 Tel. 07231 969-8900
                                                 info@kbs-pforzheim.de
                                                 www.kbs-pforzheim.de

                                                                                       33
Kinder und Jugendliche – was hilft, wenn Eltern an Krebs erkranken

• Ravensburg                                              • Tübingen
  Krebsberatungsstelle Oberschwaben                         Psychosoziale Krebsberatungsstelle
  St. Elisabethen-Klinikum                                  Tübingen
  Elisabethenstraße 15 · 88212 Ravensburg                   Herrenberger Straße 23
  Tel. 0751 87-2593                                         72070 Tübingen · Tel. 07071 2987033
  krebsberatung@oberschwabenklinik.de                       krebsberatung@med.uni-tuebingen.de
  www.oberschwabenklinik.de                                 www.kbs.tumorzentrum-tuebingen.de

• Schwäbisch Hall                                         • Ulm
  Krebsberatung Schwäbisch Hall                             Psychosoziale Krebsberatungsstelle Ulm
  Sparkassenplatz 6                                         Kornhausgasse 9 · 89073 Ulm
  74523 Schwäbisch Hall · Tel. 0791 89402                   Tel. 0731 88016520
  beratung@krebsverein-sha.de                               kbs.ulm@uniklinik-ulm.de
  www.krebsverein-sha.de                                    www.kbs-ulm.de

• Sigmaringen
  Psychosoziale Krebsberatungsstelle
  Sigmaringen
  Laizer Straße 1 · 72488 Sigmaringen                                                                        Main-Tauber-
                                                                                             Neckar-            Kreis
  Tel. 07571 7296 450                              Heidelberg                             Odenwald-Kreis
                                                                      Rhein-
  info@krebsberatung-sigmaringen.de                                   Neckar-Kreis                       Hohenlohe-
                                                                                                         Kreis
  www.krebsberatung-sigmaringen.de
                                                                                        Heilbronn

                                                                                                                Schwäbisch Hall
• Stuttgart                                                    Karlsruhe
                                                                                        Ludwigsburg
  Krebsberatungsstelle Stuttgart                                           Enzkreis
                                                                                                      Rems-Murr-
                                                                                                                      Ostwürttemberg
  Wilhelmsplatz 11 · 70182 Stuttgart                                                                    Kreis
                                                                   Pforzheim                                                Mutlangen
  Tel. 0711 5188-7276                                Rastatt                                          Stuttgart
                                                                      Calw                                   Göppingen
  info@kbs-stuttgart.de                                                         Böblingen       Esslingen
  www.kbs-stuttgart.de
                                                             Freudenstadt       Tübingen
                                                                                                Reutlingen         Alb-      Ulm
                                           Ortenaukreis
                                                                                                                   Donau-
                                                                                                                   Kreis
                                                                              Zollernalbkreis
                                                               Rottweil
                                      Emmendingen
                                                      Schwarzwald-                                            Biberach
                           Freiburg                      Baar-Kreis        Tuttlingen     Sigmaringen
                        im Breisgau    Breisgau-
                                       Hochschwarzwald
                                                                             Konstanz                        Ravensburg
                                                                                             Bodensee-
                                      Lörrach     Waldshut
                                                                                                    -Kreis

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6    Weitere Informationen

Weiterführende Literatur

• Alder, J./Loschnigg-Barman, A. (2011):         • Hilfe für Kinder krebskranker Eltern e.V.:
  Manchmal ist Mama müde: Ein Kinderbuch           Was jetzt für Dich wichtig ist – Ein Ratgeber
  zum Thema Brustkrebs. EMH –                      von und für Jugendliche, deren Eltern an
  Schweizerischer Ärzteverlag.                     Krebs erkrankt sind. Bezug über: Hilfe
• Brandes, S. (2001): Ein Baum für Mama.           für Kinder krebskranker Eltern e.V.,
  Allitera Verlag, München.                        Münchener Straße 45, 60329 Frankfurt a. M.,
• Broeckmann, S. (2002): Plötzlich ist alles       E-Mail: bestellung@hkke.org
  anders – wenn Eltern an Krebs erkranken.       • Horn, S. (2014): Expedition Krebs. atp Verlag,
  Klett-Cotta, Stuttgart.                          Köln.
• Brütting, S. (2011): Was macht der Krebs       • Motzfeldt, H. (2010): Der Chemo-Kasper und
  mit uns? Kindern die Krankheit ihrer Eltern      seine Jagd auf die bösen Krebszellen. Bezug
  erklären. BALANCE, buch + medien verlag,         über: Deutsche Kinderkrebsstiftung und
  Bonn.                                            Deutsche Leukämie-Forschungshilfe –
• Büntge, A. (2017): Tausche Gummibärchen          Aktion für krebskranke Kinder e.V.,
  gegen Drachenmedizin. Eine Geschichte            Adenauerstraße 134, 53113 Bonn.
  über Krebs und Chemotherapie mit Erklär-       • Tulodetzki, E. (2011): Das ist Krebs: Ein Buch für
  teil für kleine und große Leute, Herausgeber     Kinder über die Krankheit Krebs. atp Verlag,
  Dr. Anna Büntge.                                 Köln.
• Deutsche Kinderkrebsstiftung (o.J.): Radio-    • Wehnelt, S./Grocki, I. (2013): Auch Schutz-
  Robby und sein Kampf gegen die bösen             engel machen Urlaub: Mama hat Krebs.
  Krebszellen. Bezug über: Deutsche Kin-           Verlag Urban und Vogel, München.
  derkrebsstiftung und Deutsche Leukämie-        • White, S. (2011): Sparkys Geschichte.
  Forschungshilfe – Aktion für krebskranke         Bezug über: MSD Sharp & Dohme GmbH
  Kinder e.V., Adenauerstraße 134, 53113 Bonn.     Lindenplatz 1, 85540 Haar.
• Fessel, K.-S. (2016): Ein Stern namens Mama.
  F. Oetinger, Hamburg.
• Hermelink, K. (2005): Mein wunderschöner
  Schutzengel. Als Nellys Mama Krebs bekam.
  Verlag Diametric, Würzburg.

                                                                                                  35
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