Fernsehen ist Familiensache Expertise - Erstellt von: Prof. Dr. med. Karla Misek-Schneider, Prof. Dr. phil. habil. Winfred Kaminski und Lena Marie ...

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Fernsehen ist Familiensache Expertise - Erstellt von: Prof. Dr. med. Karla Misek-Schneider, Prof. Dr. phil. habil. Winfred Kaminski und Lena Marie ...
Fernsehen ist Familiensache
Expertise

Erstellt von:

Prof. Dr. med. Karla Misek-Schneider, Prof. Dr. phil. habil. Winfred
Kaminski

und Lena Marie Freund, M.A. (alle: Fachhochschule Köln)

Köln, im März 2013
Fernsehen ist Familiensache Expertise - Erstellt von: Prof. Dr. med. Karla Misek-Schneider, Prof. Dr. phil. habil. Winfred Kaminski und Lena Marie ...
Karla Misek-Schneider, Winfred Kaminski, Lena M. Freund:
„Fernsehen ist Familiensache“

I. Fernsehkindheiten...................................................................... 4

      Kindheiten und Fernsehen........................................................ 4

      Was ist eigentlich ein Kind? ..................................................... 6

      Fernsehkinder der ersten Fernsehgeneration sind heute
      Großeltern ............................................................................... 8

      Welche Antworten und Orientierungen geben wissenschaftliche
      Studien und Untersuchungen? ................................................ 11

      Führt früher Fernsehkonsum zu Beeinträchtigungen oder
      Schäden? ............................................................................... 14

      Faszinationskraft und Funktionen des Fernsehens im
      Kinderalltag ........................................................................... 16

      Warum lassen Eltern ihre Kleinkinder fernsehen? .................. 18

      Fazit der Studien .................................................................... 18

II. Fernsehzeiten

      Was Familien bewegt, wenn die Medien ins Spiel kommen −
      Ein Problemaufriss ................................................................ 20

      Bild und Selbstbild moderner Familien .................................. 26

      Familien mit besonderem Unterstützungsbedarf ..................... 30

      Das familiäre Zeitregime und die Fernsehnutzung .................. 32

      Erhöhung der Zeitsouveränität ............................................... 32

      Verbesserung der Synchronisation verschiedener Zeitstrukturen
      .............................................................................................. 32

      Umverteilung von Zeit ........................................................... 33

      Stärkung der Zeitkompetenz .................................................. 33

      Fernsehzeiten und Zeitkonflikte ............................................. 36

      Familien mit kleinen Kindern und das Fernsehen ................... 40

      Wie und was diskutieren Eltern und Familien übers Fernsehen
      .............................................................................................. 43

      Eltern raten Eltern .................................................................. 45

      Medien als potentieller Risikofaktor? ..................................... 52

                                                                                                     2
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„Fernsehen ist Familiensache“

III. Fernsehmuster

     Medienpädagogische Ansätze und Aufgaben der Familien ..... 56

     Kleinkinder und Fernsehen − was Eltern erzählen .................. 57

     Familiäre Medienerziehung als Teil der Medienpädagogik ..... 63

     Fernsehen als Gemeinsamkeit ................................................ 67

     Fernsehen als Notbeschäftigung ............................................. 69

     Fernsehen verschafft Freiraum ............................................... 70

     Fernsehen als Ritual............................................................... 71

     1) Fernsehen als Unterstützung elterlicher Fürsorge ............... 73

     2) Fernsehen, um Emotionen zu beeinflussen ......................... 74

     3) Fernsehen als Erziehungshilfe ............................................ 74

     Medienerzieherische Aufgaben in der Familie ........................ 77

     Aufgaben für die Zukunft....................................................... 79

  IV. FERNSEHEN IST FAMILIENSACHE − SUMMARY................... 82

     Junge Familien fühlen sich in der Regel mediensicher und
     fernsehkompetent................................................................... 83

     Fernsehzeit gehört zur Familienfreizeit .................................. 83

     Medienerziehung wird zwischen Müttern und Vätern
     unterschiedlich aufgeteilt ....................................................... 84

     Fernseherziehung im Kleinkindalter wird als pädagogische
     Herausforderung erlebt und erzeugt Irritationen ..................... 84

     Fernsehen wird eingesetzt zum „Doing family“ ...................... 85

     Medienerziehungsberatung erfolgt in privaten Räumen oder
     durch „peers“ ......................................................................... 85

     Kleinkinderfernsehen bleibt ein großes Familienthema........... 87

     Quo Vadis? Medienpädagogik und Medienerziehungs-Beratung
     .............................................................................................. 87

  V. QUELLEN .............................................................................. 89

                                                                                                    3
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I. Fernsehkindheiten
Kindheiten und Fernsehen

Einen     Schwerpunkt       unserer   Ausführungen        bildet   der
Themenbereich Kindheiten und Fernsehen. Hierzu möchten wir
auf der einen Seite aus Sicht der Kindheitsforschung
nachzeichnen, was es in der aktuellen Zeit in unserer
Gesellschaft    heißt,     ein   „Kind“    zu    sein    und   welche
Anforderungen daraus an die Eltern und an die Gesellschaft
erwachsen; zum zweiten möchten wir die Literatur über
Fernsehen      und     Klein-,    Vor-     und     Grundschulkinder
überblicksartig betrachten und Schlüsse für Medienerziehung,
Medienforschung und medienpädagogisches Handeln ziehen.

Die     Debatten     und    Diskussionen    um     die    potentiellen
schädlichen Auswirkungen von Fernsehen auf die kindliche
Entwicklung sind so alt wie das Fernsehen und insbesondere
das Kinderfernsehen selbst, nämlich ca. 60 Jahre. Schon damals
war das rege Interesse der Kinder an Fernsehsendungen Anlass
zu Besorgnis und es wurde eindringlich vor negativen Folgen
für Kinder in kognitiven, emotionalen und sprachlichen
Bereichen gewarnt.

Heutzutage, über ein halbes Jahrhundert später, werden diese
Diskussionen im wesentlichen nahezu unverändert geführt;
trotz zahlreicher Studien und Untersuchungen zur – wie es in
der aktuellen Literatur heißt - Fernsehrezeptionsforschung
werden deren differenzierte Ergebnisse kaum von der
Öffentlichkeit zur Kenntnis genommen; stattdessen erreichen
die sogenannten „Fernseh-Skeptiker“ oder auch die sog.
„Medien-Warner“ mit ihren Studien oder auch Büchern hohe
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Aufmerksamkeit          oder       auch     hohe      Buchauflagen.    Die
Suchmaschine von Google bietet                       unter der deutschen
Stichwortsuche Kleinkinder und Fernsehen 964.000 Treffer
an, 1 nahezu alle Einträge auf der ersten Ergebnis-Seite führen
das Wort „schädlich“ oder „Schaden“ im Titel oder zeigen
negative Blickwinkel des Fernsehens auf.

Damit hebt sich das Medium Fernsehen deutlich von der
öffentlichen Betrachtung der anderen Medien und deren
Einfluss auf das Heranwachsen von Kindern ab; während sich
der Blick in unserer Gesellschaft in Bezug auf Computer und
Internet − ja sogar teilweise bei den Bildschirmspielen −
differenziert hat und neben ungünstigen und schädlichen
Nutzungsfolgen              auch          günstige       und      positive
Nutzungsauswirkungen wahrgenommen und akzeptiert werden,
gilt der Fernsehbildschirm immer noch als potentiell sozial und
emotional gefährlich, verdummend und dickmachend. Die
interessante      Frage,     was     hinter    dieser     „Spaltung“   der
Bildschirmmedien in nützliche (z.B. Computer, denn sie
bereiten auf das Berufsleben vor) und unnütze (z.B. der
Fernseher, denn sie bieten nichts als pure Unterhaltung und
sind Gift, weil träge machend) steht und vor allem, welche
Auswirkungen es auf die Medienerziehungspraxis in Familien
hat, wurde bisher wenig gestellt und soll hier auch als ein
Diskussionsthema aufgegriffen werden.

Mittlerweile sind die Fernsehkinder der ersten Stunde im
Großelternalter, die aktuellen Eltern sind mit der Sesamstrasse
groß geworden; entsprechen eigentlich deren Erfahrungen mit
dem Medium Fernsehen noch den Erfahrungen, die Kinder
aktuell machen? Wie hat sich das Kinderfernsehen und das
Kinderfernsehverhalten in den letzten Jahrzehnten verändert,
was bedeutet das für die Medienerziehungspraxis in Familien?

1
    Zugriff am 14.02.2013

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Der Zeitraum von 60 Jahren Fernsehgeschichte ist auch 60
Jahre Kinderfernsehgeschichte und bietet auch Jahrzehnte
voller Forschung rund um das Medium. Gibt es eigentlich
verlässliche Antworten auf Fragen der Eltern? Welche Muster
lassen sich in den vielen Forschungsergebnissen aus diesen
Jahrzehnten erkennen? Inwieweit beeinflussen Studien die
Medienerziehungspraxis in Familien?

Welche Entwicklungstendenzen in Bezug auf das Fernsehen
und Kinder zeichnen sich ab und vor welchen Aufgaben stehen
die Forschung, die Familie und die pädagogische Praxis?

Was ist eigentlich ein Kind?

Unter Kindheit wird heutzutage der Zeitraum im Leben eines
Menschen verstanden, der sich zwischen Geburt und Eintritt
der Geschlechtsreife (Pubertät) erstreckt; in der Regel meint
das die Lebensphase bis zum Alter von 12 Jahren. Kindheit gilt
in unserer Gesellschaft als eigenständige Entwicklungsphase,
als schützenswerte und spezielle Periode im Lebenslauf; das
war nicht zu jeden Zeitpunkt unserer Menschheitsgeschichte so
bzw. in vielen Teilen der Welt ist diese Sicht immer noch nicht
etabliert. Wie die Kindheitsforschung zeigt (Bamler et al 2010:
26ff), unterliegt die Sicht auf Kinder historischen und
kulturellen Wandlungsprozessen und ist in die jeweiligen
historischen       gesellschaftlichen       und       kulturellen
Zusammenhänge und Leitbilder eingebunden. So finden sich in
jeder geschichtlichen Epoche spezifische Zuschreibungen und
Erwartungen an Kinder, die sich in unterschiedlichen Bildern
von Kindsein und Kindheiten äußern; die Kindheitsforschung
nennt diesen Prozess „die Konstruktion von Kindheit bzw.
spricht von „Kindheitskonstruktionen“ (Bühler-Niederberger,
2011: 22). Wie diese Konstruktionen ausfallen, ist keinesfalls

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beliebig,    sondern   steht   in   engen     Zusammenhang           mit
gesellschaftlichen     Ordnungsvorstellungen.           Für     zentrale
Konstruktionen der Gesellschaft            wie Geschlechterrollen,
Familienmodelle oder Familienmuster gibt die gesellschaftliche
Definition von Kindheit einen legitimierenden Kern ab
(Bühler-Niederberger 2011: 34). Einstellungen, Haltungen,
Forschungsfragen und besonders auch Erziehungs- und
Bildungsvorstellungen             werden           von            diesen
Kindheitskonstruktionen und ihren jeweiligen Leitbildern stark
beeinflusst.

Ein wichtiges Leitbild des 20. Jahrhunderts und der aktuellen
Kindheitsforschung ist das Bild von Kindern als Akteure und
Subjekte in ihrer Lebenswelt; als Akteure gestalten sie ihre
eigene Biografie und ihren Alltag; das Bild eines unreifen und
unmündigen Kindes aus den letzten Jahrhundert wurde so
verlassen und durch das mit Rechten, Bedürfnissen und
persönlichen Gestaltungswünschen ausgestattetes Kind ersetzt
(Keller, Rümmele 2010: 189). Dieser Perspektivenwechsel hat
eine neue, starke Verantwortung für Eltern und Gesellschaft zu
Folge; Erziehen heißt jetzt immer auch, Kinder stark zu
machen, damit sie als „Akteure“ mit den Anforderungen ihrer
Lebenswelt gut zurecht kommen. Diese Aufgabe sollen sich
Eltern      mit   Institutionen     der      Gesellschaft         teilen,
Pädagogisierungstendenzen           werden         so         legitimiert
vorangetrieben. Verschärft wird dieser Trend durch den
demografischen Wandel und den Rückgang der Geburtenrate in
den letzten Jahrzehnten, die die wenigen Kinder zu unter
psychologischen        wie     auch        unter        ökonomischen
Gesichtspunkten wertvollen Gesellschaftsmitgliedern macht.
Erziehung im Allgemeinen, bleibt nicht nur Privatsache,
sondern vollzieht sich auch speziellen Erziehungsinstitutionen,
Schule, und KITA und stellt einen Bereich mit Wechsel von
privater und öffentlicher Pädagogik und Fürsorge dar.

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Dies betrifft auch den Bereich der Medienerziehung und den
Umgang mit Medien in Familien. Aus dem Wandel des
Kindheitsbildes bzw. der Konstruktion von Kindheit ergeben
sich dabei insbesondere zwei Konsequenzen:

       So heißt das für den Bereich von Familie und
       Erziehung, dass Eltern unter starkem Druck stehen, ihre
       Kinder auch in Bezug auf den Umgang mit Medien und
       dem Fernsehen stark zu machen.

       Und für den Bereich der Medienforschung bedeutet dies
       einen Wandel, weg von der Medienwirkungsforschung
       und passiven NutzerInnenmodellen aus den Anfängen
       der     Medienwirkungsforschung         hin     zu    einer
       differenzierten       RezipientInnenforschung          und
       interaktionistischen Nutzungskonzepten und -modellen,
       die Kinder in das Forschungsgeschehen partizipatorisch
       einbindet.

Fernsehkinder der ersten Fernsehgeneration sind heute
Großeltern

Das Kinderfernsehen in der Bundesrepublik Deutschland hat
gerade seinen 60. Geburtstag gefeiert. 1952 wurden von dem
damaligen      Nordwestdeutschen      Rundfunk        die   ersten
Kindersendungen ausgestrahlt; mittlerweile sind fast vier
Generationen    in    unserem    Land    mit    dem     Fernseher
aufgewachsen. Nach wie vor ist es das beliebteste und am
häufigsten benutzte Medium von Kindern im Vorschul- und
Grundschulalter. (KIM Studie 2012). Im Laufe der letzten fünf
Jahrzehnte durchlief das Kinderfernsehen verschiedene Phasen
und entwickelte sich entlang den Linien, die gesellschaftliche
Umbrüche und         Wandlungsprozesse und der technische
Fortschritt vorzeichneten (Honeck 2010: 15 ff).

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In den 50er Jahren richtete sich das Kinderfernsehen
vornehmlich      an    Grundschüler;      es    wurden        meist
Studiosendungen ausgestrahlt, die Turn- oder Bastelübungen
zum     Thema      haben       oder   Puppenspiele      (Beispiele:
Kasperletheater, Fiete und Appelschnut) und Filme (Erich
Kästner-Verfilmungen) gezeigt.

In den 60er Jahren vollzieht sich ein allmählicher Wandel, die
pädagogisch     konzipierten     Sendungen     werden      weniger,
Unterhaltssendungen und -serien, wie z.B. viele amerikanische
Tiersendungen (Lassie, Fury, RinTinTin), werden Lieblinge der
kleinen Zuschauer. Eine neue Sendeform kommt hinzu,
studioeigene Produktionen, in denen Kinder, ihr Alltag und ihre
Lebenswelt gezeigt, erklärt und erläutert werden (z.B. Der
Hase Caesar).

In den 70er Jahren existieren nun mehrere Programme und die
Programmauswahl wird größer. Das Angebot für Kinder
differenziert sich mehr und mehr, orientiert sich an Alter und
Geschlecht der Kinder; es entstehen z.B. Formate, die speziell
Vorschulkinder ansprechen und deren Schreib-, Lese- und
Rechenkompetenzen fördern wollen, wie die Sesamstrasse und
die Sendung mit der Maus.

In den 80er Jahren werden diese Formate fortgesetzt und
weiterentwickelt und Kinder als Zielgruppe mit spezifischen
Rezeptionsgewohnheiten und -voraussetzungen immer ernster
genommen. Mit dem Start der privaten Fernsehsender
differenziert sich das Angebot im Bereich des Kinderfernsehen
weiter; neben den Formaten des öffentlich rechtlichen
Bildungsfernsehens treten andere – meist Zeichentrickserien
(wie z.B. der Disney-Club) der privaten Sender, die die Kinder
unterhalten aber auch als Kunden und Zielgruppen für
Werbung ansprechen möchten (Pokémon oder Ninja-Turtles).

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In den 90ern beginnt der Kampf der Sender um die
Marktanteile; Actionhelden und Fantasy-Serien sind bei den
Kindern sehr beliebt       (z.B. Ninja-Turtles) und werden
vorwiegend von den privaten Sendeanstalten ausgestrahlt. Die
öffentlich-rechtlichen Sender gründen einen gemeinsamen
Kinderkanal     (KIKA),     der    den     Ursprungsideen     des
Kinderfernsehens (Bildungsauftrag, Anregung, Reflexionsfeld)
treu bleiben möchte und selbstproduzierte Serien und Formate
(z.B. Schloss Einstein) sendet. Die Senderauswahl insgesamt ist
mittlerweile so groß, dass es schwer ist, einen Überblick zu
behalten.

Im neuen Jahrtausend bzw. in den letzten 10 Jahren lässt sich
die Entwicklung des Kinderfernsehens durch vier Merkmale
charakterisieren:

       1. durch die Einbeziehung immer jüngerer Zielgruppen,
       also    Programminhalte      auch     Kleinkinder    (z.B.
       Teletubbies)

       2. durch die zunehmenden Multidimensionalität der
       Sendungen; die meisten Sender haben zu ihren beliebten
       Programmen bzw. Kindersendungen informierende,
       begleitende und auch zur Interaktion einladende
       Webseiten (Beispiel: Lila Elefant, Sendung mit der
       Maus)

       3. durch die Abkoppelung der Sendungsrezeption von
       einer        vorgegebenen         Zeitstruktur       durch
       Entertainmentformate und -pakete und spezifische
       Aufzeichnungsprogramme der Anbieter, die Familien
       erlauben die Fernsehnutzung auch bei ihren Kindern
       dem Zeitrhythmus und den zeitlichen Bedürfnissen der
       Familie anzupassen und nicht umgekehrt.

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       4. durch die Möglichkeit des Internetfernsehens und der
       Multilokalität des Fernsehschauens und damit durch die
       Abkoppelung vom klassischen Fernsehgerät.

Die Geschichte des Kinderfernsehens zeigt, dass wir in der
Bundesrepublik alle mit dem Kinderfernsehen groß geworden
sind, die spezifischen Kindersendungen und Programme haben
sich eng verwoben mit den Biografien und individuellen
Erfahrungen mehrerer Generationen, der der Großeltern und
der der aktuellen Eltern; sie prägen deren Haltungen,
Einstellungen und medienerzieherische Strategien. Wissen über
und Erfahrungen mit dem Fernsehen und seinen Sendungen
bleiben also nicht ExperterInnen vorbehalten, sondern werden
von allen geteilt; wir alle sind in gewisser Weise „Experten“ für
dieses Medium.

Welche       Antworten      und         Orientierungen     geben
wissenschaftliche Studien und Untersuchungen?

Die Geschichte des Kinderfernsehens ist auch eine 60 Jahre alte
Geschichte von heftigen Debatten und Diskussionen um die
Frage von Risiken und Folgen des Fernsehkonsums bei
Kindern     (Honeck;   2010:    9ff).    Empirisch    vorgehende
Wissenschaftler, Wissenschaftsjournalisten und pädagogisch
orientierte Experten liefern sich in regelmäßigen, zeitlichen
Abständen Schlagabtausche über das Pro und vor allem über
das Contra des Fernsehschauens bei Kindern. Die Wiederkehr
dieser Debatten zeigt, dass Antworten auf Fragen gesucht
werden, dass große Ängste, Misstrauen und Vorbehalte
gegenüber    dem    Fernsehen     und     seiner   unübersehbaren
Programmvielfalt herrschen und Sicherheit, Orientierung und
auch Kontrolle gesucht werden. Insbesondere das Themenfeld
Kleinkinderfernsehen löst viele Fragen und Irritationen aus,

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zumal es für diesen Bereich noch wenig Erfahrung und sehr
wenige Forschungsergebnisse gibt.

Die Flut an empirischen Studien und wissenschaftlichen
Veröffentlichungen zum Thema Kinder und Fernsehen zu
ordnen, ist nicht einfach. Es findet sich z.B.

       A) Literatur, die sich als Ratgeber und pädagogische
       Fachbücher versteht, ohne den Anspruch zu haben, nur
       auf empirischen Befunden zu gründen. In diesen oft
       brilliant formulierten und deshalb gerne gelesenen
       Abhandlungen werden meist durch düstere Prognosen
       für Fernsehkinder Ängste der Eltern geschürt und solche
       Bewahrheitungen und bewahrpädagogische Tendenzen
       verfestigt, die suggerieren, wenn man Kinder vom
       Fernsehen fernhält kann nicht schlimmes, können keine
       negativen Folgen eintreten; so behält man als Eltern und
       Familie die Kontrolle über das Medium und letztlich
       auch über die Kinder (Beispiel: Manfred Spitzer:
       Vorsicht Bildschirm, 2005).

       In manchen Ratgebern wird den Eltern und Familien
       aber auch Mut und Zuversicht zugesprochen, und darauf
       hingewiesen, dass Kinder nicht hilf- und wehrlos den
       Wirkungen des Fernsehens ausgesetzt sind, sondern
       schon selbst schauen und auswählen können und
       Verarbeitungsmöglichkeiten       haben,      um     mit     dem
       Gesehenen konstruktiv umzugehen ( Beispiel: Jan -Uwe
       Rogge Kinder können fernsehen, 2005).

       B) Fachliteratur, die sich als solche aber auch als
       Ratgeberlektüre     verstehen   und       sich   explizit   auf
       empirische Befunde und Studienergebnisse stützen (z.B.
       Helga Theunert, 1996).

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       C)      Empirische         Studien,       die      sich     mit
       Wirkungszusammenhängen              von       Fernsehen     und
       kindlicher Entwicklung beschäftigen; hier kann man
       zum einen solche Untersuchungen nennen, die einen
       Zusammenhang          von        Programminhalten           und
       psychischen Entwicklungsschritten prüfen (z.B. die
       Studie von Helga Theunert und Bernd Schorb über
       Gewaltdarstellungen,        1995)         und     jenen,    die
       Zusammenhänge        von     Dauer      und     Zeitpunkt   des
       Fernsehkonsums und psychophysische Auswirkungen
       auf kindliche Entwicklung zum Gegenstand haben. Hier
       handelt es sich oft um Längsschnittuntersuchungen oder
       auch Langzeituntersuchungen (z.B. F.J. Zimmermann
       und D. A. Christakis 2005).

       D) Empirische Studien, die Motive und die möglichen
       Funktionen des Fernsehkonsums bei Kindern in den
       Mittelpunkt ihrer Betrachtungen stellen (Raabe 2007,
       Vollbrecht, Götz 2008).

       E) Empirische Studien, die das Fernsehverhalten, das
       sog. Nutzungsverhalten in den Blick nehmen (z.B. die
       jährlichen     KIM-        und        FIM-      Studien     des
       Medienpädagogischen Forschungsverbundes Südwest
       oder die GFK-Studien).

Im Folgenden soll versucht werden, anhand der vorhandenen
Literatur auf verschiedene Fragen über Kinder und Fernsehen
Antworten zu finden; dabei liegt der Schwerpunkt auf Studien
über Klein- und Vorschulkinder.

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Karla Misek-Schneider, Winfred Kaminski, Lena M. Freund:
„Fernsehen ist Familiensache“

Führt früher Fernsehkonsum zu Beeinträchtigungen oder
Schäden?

In den letzten Jahren haben hier Studien aus Kanada und den
USA für heftige Diskussionen gesorgt.

Eine Forschergruppe der Universität von Montreal wertete
Daten von 1314 Kindern aus, die im Rahmen der Quebec
Longitudinal Study of Child Development Main Exposure über
mehrere Jahre hinweg untersucht wurden. Das Team von Linda
S. Pagani und Caroline Fitzpatrick befragte die Eltern von
zweieinhalb und viereinhalb jährigen Kindern zu Fernsehdauer
und Fernsehgewohnheiten. Lehrer und Ärzte beurteilten im
weitern Verlauf, als die Kinder ca. 10 Jahre alt waren, deren
schulische     Leistungen,     psychosoziale      Kompetenzen,
Ernährungsgewohnheiten und den Body Mass Index (Pagani et
al. 2010).

Zu Beginn der Studie verbrachten die Kleinkinder bereits
durchschnittlich 8,8 Stunden pro Woche vor dem Fernseher,
zwei Jahre später war die Fernsehdauer - nicht bei allen - aber
immerhin bei 15 % bis auf 18 Stunden pro Woche angestiegen.
Das bedeutet eine Fernsehdauer von über 2,5 Stunden pro Tag
für diese Gruppe. Die Kinder aus dieser Gruppe waren im Alter
von 10 Jahren motorisch ungeschickter (zu 13%), ihr
Hüftumfang betrug fast 1 cm mehr, sie zeigten zu 7% ein
niedrigeres Engagement und Mitarbeit im Unterricht und auch
zu 6% schlechtere Mathematikleistungen, hatten einen höheren
Süßigkeitenkonsum (zu 10%), einen höheren BMI (zu 5%) und
ein höheres Ausmaß an Hyperaktivität und emotionalen
Problemen. Die Forscherinnen schlussfolgern daraus, dass je
höher der Fernsehkonsum im Klein- und Vorschulkinderalter
ist, desto höher das Risiko zu psychischen und körperlichen
Schäden.

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Karla Misek-Schneider, Winfred Kaminski, Lena M. Freund:
„Fernsehen ist Familiensache“

Zu     ähnlichen      Ergebnissen    kommen     Zimmermann       und
Christakis und ihr Team vom Seattle Children Research
Institute der Universität          Seattle Washington D.C. (FJ
Zimmerman, DA Christakis, 2005). Hier wurden 78 Studien
zum Thema Kleinkinder und Fernsehen analysiert und
verglichen. Auf der Basis dieser Metaanalyse schlussfolgert die
Forschergruppe, dass je höher der Konsum und je jünger die
Kinder desto höher ist das Risiko, später psychophysische
Probleme       und     Entwicklungsverzögerungen        aufzuweisen.
Christakis geht soweit, dass er behauptet, auch spezielle
Kinderprogramme seien schädlich für die Gehirnentwicklung.
Sie führten zu Stress und Überforderung, hemmen andere
Spielaktionen und reduzieren den Kontakt zu Gleichaltrigen
oder Erwachsenen.

Eine Forschergruppe von der Universität Massachusetts hat 50
Kinder im Alter von 1-3 Jahren in Begleitung eines Elternteils
dazu eingeladen, eine Stunde lang mit altersgerechten
Spielsachen zu spielen; zeitweise lief währenddessen im
Hintergrund ein Fernseher mit einer Spielshow für Erwachsene,
zeitweise war der Fernseher abgeschaltet. Die Spieldauer und
die Konzentration der Kinder war deutlich kürzer, wenn der
Fernseher eingeschaltet war, was die Forscher veranlasste,
Entwicklungsrisiken zu befürchten und vor einem sog.
„Beikonsum Fernsehen“ zu warnen (Schaff PM BKJPP 2012).

Auch      in    der      Bundesrepublik      Deutschland     werden
Zusammenhänge           zwischen     einer   erhöhten    Quote    an
Sprachauffälligkeiten und grobmotorischen Auffälligkeiten, die
bei 10.000 Kölner Schulanfängern im Jahre 2005 festgestellt
wurden, mit einem Fernsehkonsum von täglich drei und mehr
Stunden in Zusammenhang gebracht (Schlack 2007).

Eine andere Perspektive auf das Thema vermittelt die
Zusammenstellung und Analyse verschiedener empirischer

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Karla Misek-Schneider, Winfred Kaminski, Lena M. Freund:
„Fernsehen ist Familiensache“

Studien von Kendo Kaoruko und Jeanette Steemers, Universität
von Westminster aus dem Jahr 2009. Unter der Überschrift
„Can Television Be Good for Children“ stellen sie zahlreiche
Studien vor, die positive Lerneffekte durch TV-Konsum bei
Kindern beschreiben, so         z.B. differenzierte sprachliche
Fähigkeiten, eine Zunahme von prosozialen Verhalten und
Empathie sowie verbesserte Fähigkeiten im Lesen und
Rechnen. Sie schlussfolgern daraus, das Fernsehen für die
Mehrzahl von Kindern lehrreich und persönlichkeitsbildend
sein kann und ihnen sogar Chancen bieten kann, neue Wissens-
und Themengebiete für sich zu erschließen.

Faszinationskraft und Funktionen des Fernsehens im
Kinderalltag?

Kinder und Jugendliche lieben das Fernsehen; nach wie vor ist
es das beliebteste Medium in den ersten Jahren ihres Lebens.
Nutzungsverhalten, Nutzungsmotive und Nutzungsfunktionen
ändern sich jedoch im Laufe der Kind- und frühen Jugendzeit;
so lässt sich beobachten, dass sich am Ende der Grundschulzeit
mit   ca.   zehn    Jahren   die    Nutzungsvorlieben      ändern;
geschlechtstypische und persönlichkeitsspezifische Präferenzen
bestimmen nun Sender- und Programmauswahl. Das Schauen
von spezifischen Kindersendungen nimmt ab, andere Sender
und Formate nehmen deren Platz ein; Familienfernsehen wird
zunehmend abgelehnt. Die Entscheidung überhaupt fern zu
schauen oder den Fernseher einzuschalten, wird mehr und mehr
allein getroffen; meist steht auch ein eigener Fernseher im
Kinderzimmer, oder es wird auf dem Computer eine
Fernsehsendung geschaut, manchmal auch ohne Wissen oder
Erlaubnis der Eltern. Entsprechend richten sich Funktionen und
Motive      des    Fernsehens      nach   entwicklungstypischen
Gesichtspunkten wie Langeweile vertreiben, mit anderen

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Karla Misek-Schneider, Winfred Kaminski, Lena M. Freund:
„Fernsehen ist Familiensache“

mitreden zu können, entspannen und Stimmung regulieren,
Grenzen überscheiten, Spaß haben und durch die Identifikation
mit anderen lernen und mitfühlen (vgl. die KIM- und JIM-
Studien       des    Medienpädagogischen        Forschungsverbundes
Südwest). Ralf Vollbrecht hat die Funktionen des Fernsehens
folgendermaßen zusammengefasst (2010, siehe auch Claudia
Raabe, 2006):

     -     es erfüllt situative Funktionen (das Vertreiben von
           Langeweile, Stimmungsregulierung, Eskapismus und
           Gewohnheit

     -     es erfüllt soziale Funktionen (Gesprächsthema in
           Familie        und     Peers,     soziale         Orientierung,
           Werteorientierung)

     -     biografische         und    ich-bezogene           Funktionen
           (Identitätsentwicklung,         Selbstreflexivität         und
           Selbstdarstellung, Lösungsmodelle für Probleme und
           Konflikte.)

Fernsehen erfüllt so für die Kinder relevante soziale,
emotionale und sozialisatorische Funktionen.

In       früheren    Entwicklungsphasen,       in      der    Vor-    und
Grundschulzeit, sind diese oben genannten Funktionen weniger
relevant; anschließend an entwicklungstypische Leitmotive
geht es hier für die Kinder um Spiel und Spaß, um die
Befriedigung von Neugierde, die Lust an der Entdeckung der
Welt, die Sinnesreizungen durch bunte Bilder und verschiedene
Geräusche, um Vergnügen, Unterhaltung und Spannung.

Fernsehen ist dadurch ein hoch-emotionales Medium, und
entzieht sich oft kognitiver Steuerung und Selbstkontrolle;
sicher tragen diese Besonderheiten dazu bei, dass der Fernseher

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Karla Misek-Schneider, Winfred Kaminski, Lena M. Freund:
„Fernsehen ist Familiensache“

als schädlich, eventuell suchterzeugend und andere Spiel- und
Freizeitaktionen verdrängend, erlebt wird.

Warum lassen Eltern ihre Kleinkinder fernsehen?

Die Thematik des Baby- bzw. Kleinkind- TV ist sicherlich
eines der heiß diskutierten Fragen der Medienpsychologie und -
pädagogik, aber auch der Eltern und Familien selbst. Im Jahre
2008 wurden vom Internationalen Institut für das Jugend und
Bildungsfernsehen (IZI) 728 Mütter von 0- bis 5- jährigen
Kindern befragt, warum sie ihre Kinder fernsehen lassen; der
am häufigsten genannte Grund überraschte: die Mütter gaben
an, dass gemeinsames Fernsehen zum Kuscheln einladen kann
und eine gemütliche gemeinsame Beschäftigung darstellt.
Fernsehen als Notbeschäftigung, z.B. wenn das Kind krank ist
oder fernsehen als Beschäftigung für die Kinder, um selbst
anfallenden Hausarbeiten zu erledigen, rangierten als weitere
Gründe weiter hinten. Fernsehen als Tröster,               um die
Emotionen ihres Kindes positiv zu beeinflussen, wurde
ebenfalls angeführt. Insgesamt waren die Gründe sehr viel
differenzierter und vielschichtiger als angenommen; meist
waren sie gekennzeichnet durch Schuldgefühle auf Seiten der
Mütter aber auch dem Fehlen von Alternativen und familiären
Unterstützungsmöglichkeiten (Götz, 2008).

Fazit der Studien

In den letzten 50 Jahren sind hunderte von Studien zu dem
Thema     Kinder    und    TV     durchgeführt    worden;     die
Forschergruppen haben untersucht, wie das Fernsehen den
Schlaf, die Bewegung, die Ernährungsgewohnheiten, das
soziale Verhalten, die Sprachentwicklung, die Emotionen, die

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Karla Misek-Schneider, Winfred Kaminski, Lena M. Freund:
„Fernsehen ist Familiensache“

Schulnoten etc. beeinflusst. Dabei hat sich herausgestellt, dass
das Fernsehen seine schädlichen aber auch seine guten Seiten
hat und es sehr schwierig ist, allgemeingültige Aussagen zu
treffen. Folgende Tendenzen zeichnen sich ab:

       Komplementär vor kompensatorisch

Je   mehr    und     häufiger   der    Fernsehkonsum       andere
entwicklungstypische Formen kindlicher Tätigkeit ersetzt,
desto höher ist das Risiko später im Leben gesundheitliche,
psychosoziale, emotionale und kognitive Nachteile zu erleben.
Diese Nachteile sind besonders gravierend in Familien, in
denen – aufgrund von Überforderung oder auch Nachlässigkeit
und Hilflosigkeit − wenig Strukturen und Erziehungskonzepte
oder auch Medienumgangsregeln zu finden sind.

Fernsehen kann die Lebenswelt von Kindern ergänzen und
Entwicklungsschritte fördern und begleiten, es kann aber keine
Erfahrungen ersetzen.

       Bildschirmkinder werden immer jünger

Kinder, die fernsehen, werden immer jünger. Fernsehen beginnt
immer früher, manchmal sogar schon vor dem ersten
Lebensjahr. Die Unterhaltungs- und Kommunikationsindustrie
unterstützt diesen Trend durch spezifische Produkte, wie z.B.
dem Baby-TV oder spezifische Programminhalte. Verlässliche
Studien über die Auswirkungen dieser Fernseh- bzw. dieser
Bildschirmexposition in frühen Entwicklungsphasen gibt es
bisher nicht, hier gibt es zugleich eine starke Verunsicherung
bei den Eltern und einen hohen Forschungsbedarf, zumal die
aktuellen Tabletcomputer mit ihren ‚lebendigen‘ Bilderbüchern
immer häufiger in Kinderzimmern und sogar in Kinderwägen
anzutreffen sind.

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„Fernsehen ist Familiensache“

       Mobile und zeitversetzte Zugänge erhöhen die
       Fernsehzeiten (oder Bildschirmexposition)

Die moderne Medientechnik eröffnet mittlerweile variable,
mobile und orts- wie zeitunabhängige Zugänge zu TV Inhalten.
Studien aus den USA konnten zeigen, dass diese neuen
Möglichkeiten     die    Rezeptionsgewohnheiten         verändern,
insbesondere die TV-Rezeption noch mehr individualisieren
und zu einer Zunahme der Fernsehzeit geführt haben (Rideout,
Foehr, Roberts, 2010).

       Fernsehzeit ist oft Familienzeit

Die sozialen Funktionen des Fernsehens in Familien sind bisher
wenig in den Blick genommen worden; Fernsehzeit – auch bei
den Allerjüngsten – heißt jedoch auch immer Familienzeit und
gemeinsam verbrachte Familienfreizeit und Familienaktivität.
Die   Chancen     für    Gemeinsamkeitserleben        und    soziale
Interaktionen, die hierin liegen können, bedürfen einer
stärkeren Berücksichtigung in Pädagogik und Forschung.

II. Fernsehzeiten

Was Familien bewegt, wenn die Medien ins Spiel kommen −
Ein Problemaufriss

Die   Begriffe    Familie     und    Medien    benennen        zwei
Aufgabenfelder und beziehen sich aufeinander. Wie haben wir
uns aber diese Verknüpfung näher vorzustellen? Auf einer
abstrakteren     Ebene      zählen    wir     beide     zu      den

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Karla Misek-Schneider, Winfred Kaminski, Lena M. Freund:
„Fernsehen ist Familiensache“

Sozialisationsagenturen, die eine als primäre, die andere auf
jeden Fall als Ergänzung zu Schule und Beruf.

Wir sehen zugleich, dass in der Gegenwart von vielen Seiten
die Funktionstüchtigkeit des klassischen Familienmodells,
Eltern und zwei Kinder, bezweifelt wird. Die Prozesse der
Modernisierung gingen an der Kleinfamilie nicht spurlos
vorüber,    sie   erfährt   seit   Jahren   einen    erheblichen
Funktionsverlust und musste spezifische Aufgaben an andere
Instanzen abgeben; jedenfalls wird das gern behauptet und
skandalisiert.

Das durch die Familie überlieferte Wissen und Können − so ein
breit geteilter Alltagskonsens − reicht längst nicht mehr, um
bestehen zu können: Nicht nur wurde und werden Kindergarten
und Schule zahlreiche der traditionellen Erziehungsaufgaben
des    Elternhauses     zugewiesen,      sondern     auch     die
Vorbildfunktion, die einmal Eltern, Großeltern und nahe
Verwandte inne hatten, drohen gegen die Konkurrenz zu
verlieren. Und dann kommen noch die Medien ins Spiel.
Dadurch wird nichts einfacher, sondern vieles komplizierter.
Denn die Medien sind es, denen zugleich öffentlich – vor allem
in den Medien selbst − der Dauervorwurf gemacht wird, sie
würden das familiäre Gefüge unterminieren. D.h., wir hätten es
in dieser Sichtweise gewissermaßen mit zwei gleicherweise
defizitären gesellschaftlichen Institutionen zu tun, die noch
dazu kaum von einander zu trennen sind.

Zwar hat die heutige Elterngeneration mit Blick auf die
audiovisuellen Medien (TV, Film, Radio) den Anspruch, sich
auszukennen und das nötige Know-how an ihre Kinder
weitergeben zu können. Auf dem Hintergrund der jüngsten
Entwicklungen scheint jedoch ihre Vorrangstellung fraglich.

Die mittlerweile traditionellen elektronischen Medien haben
gemeinsam, dass sie zum „normalen“ Familienhaushalt

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Karla Misek-Schneider, Winfred Kaminski, Lena M. Freund:
„Fernsehen ist Familiensache“

dazugehören. Wir haben nämlich in Deutschland eine beinahe
100% Deckung mit TV-Geräten in den Familien. Der Hinweis
auf eine früher einmal geführte erregte Fernsehdebatte: Schadet
es, nützt es, belehrt es oder verdirbt es, wirkt von heute aus –
für die Experten − merkwürdig obsolet und unwirklich.
Gleichwohl flammt diese Diskussion immer wieder auf. Dabei
sehen sich heutige Eltern und ältere Erwachsene bezogen auf
ihre Medien selbst als kompetent an und das bedeutet: Sie
können auswählen, haben Vorlieben, kennen Sender und
Sendeplätze. Mit einem Wort: sie wissen, was sie erwartet.

Wir möchten sogar soweit gehen zu sagen, dass sie auch über
einzelne Mediengenres und -gattungen wohlinformiert sind und
deren Vor- und Nachteile abwägen und bewerten können. Auch
wenn diese Medien passiv rezipiert werden, so wählen die
Nutzer doch bewusst aus und entscheiden sich für oder gegen
etwas. Es ist eben nicht so, dass die Medien etwas mit ihrem
Publikum machen, es macht vielmehr für sich etwas aus den
Medien.

Ihre Fähigkeiten und ihr Wissen haben die Erwachsenen auch
an ihre Kinder weitergegeben. Nun ereignete sich in den gerade
zurückliegenden Jahren eine technische Revolution durch die
unglaubliche, zahlenmäßige Ausdehnung der TV-Sender und --
sendungen; in den Normalhaushalten sind häufig mehr als 500
Sender zu empfangen, und es gab die digitale Revolution.
Beides    stellt   die   Medienkompetenz     vor    völlig   neue
Herausforderungen. Denn was bis dahin gültiges Medienwissen
und -können war, wurde radikal entwertet. Wer mit der Haltung
eines konventionellen Nutzers an die Möglichkeiten der
aktuellen Fernsehwelten herangeht, verfehlt deren Dimension.

Das Eindringen des PCs seit den 80er Jahren und des Internets
seit 1993 in die Familien hat eine neuartige Kluft geschaffen,
den sog. digital divide. Diese Kluft existiert nicht allen
zwischen Besitzenden und Nichtbesitzenden, digital natives

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Karla Misek-Schneider, Winfred Kaminski, Lena M. Freund:
„Fernsehen ist Familiensache“

und -non natives, sondern auch zwischen Älteren und Jungen,
zwischen Eltern und Kindern. Denn schon Jüngste surfen
heutzutage versiert in den Weiten des worldwideweb. Ihr
aktiver Zugriff auf die Möglichkeiten der digitalen Medien
unterscheidet sich gravierend von dem des Fernsehzuschauers,
der sitzt und schaut, sie sitzen und (inter-) agieren. Was die
Jüngeren an Können den Älteren im Feld der digitalen Medien
voraushaben, beeindruckt. Sie sind plötzlich die Spezialisten
und geben den Ton an. Sie scheinen medienkompetent und
offenbaren Zugangs- und Verfügungswissen.

Die heute öffentlich immer noch vorherrschende Diskussion
nährt sich aber aus einer Einstellung, die die Bildschirmmedien
als unwillkommene Eindringlinge einschätzt und ablehnt. Diese
Seite der überlieferten Mediengewohnheiten, wie sie lange in
den Familien bestimmend war, steht aber nicht allein. Heutige
Familien   mit    Kindern   sind   zudem    mit      der    Tatsache
konfrontiert,    dass   unsere     Medien    nicht     nur       neue
Handlungsformen erzwingen, sondern auch ihre inhaltlichen
Eigenschaften einen völlig anderen Zugang erheischen. Lange
konnte ich mich etwa auf die Fernsehzeitung verlassen und dort
alles über Sendungen, Produktionen, Stars und Sternchen
erfahren. Dies alles läuft nun bezogen auf das aktuelle
Medienangebot ganz woanders ab und tritt auch ganz anders
auf. Dadurch wird das bisherige Herrschaftswissen irrelevant.
Söhne und Töchter verfügen plötzlich über die Expertise und
die Eltern entwickeln sich zurück, sie werden zu eher
unwilligen Lehrlingen. Titel, angesagte Themen, die wichtigen
Serien, die Namen der Stars, das alles tritt den meisten
Erwachsenen als „böhmische Dörfer“ entgegen, fremd und
unzugänglich;    vor    allem aber    inkompatibel         mit   ihren
Mediengewohnheiten.

Die wohl häufigste Frage in Verbindung mit Medienkompetenz
lautet: Was denn zu tun wäre? Die einen kommen mit dem

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Karla Misek-Schneider, Winfred Kaminski, Lena M. Freund:
„Fernsehen ist Familiensache“

Verbotsschild, sie wollen „Schlimmeres“ verhindern. Aber ist
das eine erfolgversprechende Strategie? Uns scheint es
sinnvoller zu fragen, wie wir Geschmack und Präferenzen der
Kinder entwickeln können, so dass sie sich nicht einseitig
festlegen (v. Salisch 2007: 179). Dies muss natürlich – und so
kommt die Familie wieder ins Spiel – einhergehen mit der
Stärkung der Persönlichkeit der Heranwachsenden. Dann
werden sie aus der Vielzahl der Sendungen so sicher wählen
können, wie es längst bei Spielzeug und Büchern üblich ist.
Bekanntlich sind 8 bis 12-Jährige in ihren Vorlieben für
bestimmte Bildschirmspiele         noch nicht       festgelegt.   Ihre
Orientierung auf einzelne Genres ist nur moderat stabil.

Wir sollten also – auch aus medienpädagogischen Gründen –
die Selektionseffekte (anstelle der vermuteten Wirkungen) in
den      Vordergrund   rücken.    In   der   frühen      Phase     der
Medienkarriere eines Kindes finden die Weichenstellungen für
Genres und für die Sehmotive statt. Weil nun aber Jugendliche,
also über 12-Jährige, sich nicht mehr gern von Erwachsenen in
ihre Vorlieben hineinreden lassen wollen – und auch längst die
Gleichaltrigen sowie die angesagten Medien neben und gegen
die Familie antreten – müssen wir – so von Salisch et al. −
wegen der notwendigen Ablösungsvorgänge früh mit den
medienpädagogischen            Eingriffen        beginnen.        Aus
entwicklungspsychologischer Sicht können wir uns einiges
davon erwarten, Interventionen in der Übergangsperiode vom
Kind zum Jugendlichen anzusetzen. Aber in dieser Phase muss
zudem der Wechsel vom zu erziehenden Kind zum allenfalls
noch zu begleitenden Jugendlichen vollzogen werden.

Allein     durch   Schützen      und    Bewahren        kann      sich
Medienkompetenz        nicht     herausbilden,     vielmehr       muss
aufgeklärt werden und die Wahrnehmung geschult werden, um
zu    eigenständigem     Medienverhalten         hinzuführen.     Eine
„Zeigefingerpädagogik“ steht einer solchen Orientierung, die

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Karla Misek-Schneider, Winfred Kaminski, Lena M. Freund:
„Fernsehen ist Familiensache“

auf Selbstartikulation und Partizipation aus ist, entgegen; sie
lässt die Kinder hilflos in der Medienwelt und verstellt ihnen
Perspektiven.

Alles in allem ist nachvollziehbar: Familien sind keine
bildschirmspielfreien Zonen! Und Fernsehen zählt zugleich zu
dem Freizeitvergnügen der Kinder, das am stärksten und
strengsten reglementiert wird. Die Eltern greifen besonders
mittels strikter zeitlicher Beschränkung in das Spielvergnügen
ein. Wobei zu bemerken ist, dass Eltern dem Fernsehen kaum
einmal     eigenen     Erlebniswert      zuschreiben.      Andere
Freizeittätigkeiten   werden     durchweg     als   pädagogisch
wertvoller erachtet. Und natürlich fürchtet eine große Gruppe
den Medienkonsum als Konkurrenz zum schulischen Lernen.

Näheres Nachfragen offenbart, dass Eltern ihre Annahmen über
die Fernsehnutzung ihrer Kinder gar nicht so häufig auf eigene
Anschauung oder Beobachtung des eigenen Kindes aufbauten,
als vielmehr auf die skandalisierenden Berichterstattungen in
den Traditionsmedien. – Damit aber deutet sich einmal mehr
an, dass Medienpädagogik in der Familie ansetzen muss. Denn
wir haben es hier mit einem Spannungsfeld zu tun.

Vor einigen Jahren gab es ein Interview mit einem Topmanager
des Lego-Konzerns (Engehausen 2007: 80ff). Er wurde gefragt,
ob nicht die technischen Medien seinem Geschäft zu schaffen
machten. Die Antwort lautete nicht etwa, dass er die anderen
Hersteller von Spielen und Spielzeug als die besonderen
Herausforderer betrachtet, sondern er lenkte den Blick auf das
gesamte kindliche Freizeitverhalten. Seine entscheidende
Aussage war: „Die größte Konkurrenz, die wir erleben, rührt
allerdings daher, dass die Zeit der Kinder immer mehr verplant
wird. Nach der Schule gehen sie ins Ballett, haben
Klavierunterricht, Sport und anderes. Am Ende bleibt immer
weniger Zeit, in der Kinder frei spielen können.“ Somit, wäre
zu vermuten, sind die konkurrierenden Medien nur ein Teil des

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Karla Misek-Schneider, Winfred Kaminski, Lena M. Freund:
„Fernsehen ist Familiensache“

Problems. Wir müssten als Privatpersonen wie als politisch
Handelnde weit mehr ansprechen, wenn wir Kinder erziehen
wollen, die selbstbewusst ihre Zukunft meistern.

Die verplante Lebenszeit der Kinder und ihre sozialräumliche
Isolation, man spricht auch von Verinselung ihrer Lebenswelt,
verursachen weit mehr Folgeprobleme als die Medien. Der
Medienkonsum, seine Art und Weise sowie sein Umfang sind
schon reaktiv – sind Symptom, aber nicht Ursache – auf
veränderte Lebensbedingungen. Wenn ein Kind nicht selbst in
die reale Welt aufbrechen kann, dann doch zumindest mit
Spongebob oder Prinzessin Lilifee in spielerisch phantastische
Welten.

Bild und Selbstbild moderner Familien

Nachfolgend präsentieren wir jüngst erschienene Studien zu
Bild und Selbstbild moderner Familien, die optimistisch
stimmen. Darin wird über Wichtigkeit und Bedeutung der
Familie debattiert (Vorwerk-Familienstudie, 2010, S.38), um
danach detailliert auf den TV-Konsum in seinen Varianten
einzugehen.

Sieht man sich einmal an, wie privat oder öffentlich über
Familie debattiert wird, wird leicht erkennbar, dass heutzutage
das, was als Familie verstanden wird, weit über die klassische
Kernfamilie hinausreicht. Die Veränderungen, die sich in den
zurückliegenden Jahren vollzogen haben, durch die eheähnliche
Partnerschaften überall schon zum selbstverständlichen Muster
zählen, haben hierbei mitgewirkt. Die so genannten Patchwork-
Familien umfassen eben längst meist auch Kinder aus früheren
Beziehungen der jeweiligen Partner oder Partnerinnen.

Wir dürfen auch nicht übersehen, dass die enorm gewachsene
Mobilität erleichtert, Kontakt auch zu weit entfernt lebenden

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Karla Misek-Schneider, Winfred Kaminski, Lena M. Freund:
„Fernsehen ist Familiensache“

(leiblichen) Müttern oder Vätern zu halten. Außerdem darf
nicht   unterschätzt   werden,   dass durch die       gesteigerte
Lebenserwartung viel mehr Menschen noch als früher ihre
Großeltern oder Urgroßeltern erleben.

Der sechsten Vorwerk-Familien-Studie (2010) können wir im
Blick auf den veränderten und d.h. erweiterten Familienbegriff
entnehmen: „97 Prozent der Befragten zählen ihre engsten
Verwandten, wie Eltern, Kinder und Geschwister, 95 Prozent
den Ehemann, die Ehefrau bzw. den Partner, die Partnerin
dazu. Bei der mehr rationalen Abfrage anhand einer Liste mit
Antwortvorgaben zählen 16 Prozent auch enge Freunde bzw.
Freundinnen zu ihrer Familie, fünf Prozent Nachbarn, vier
Prozent Arbeitskollegen/Arbeitskolleginnen und ein Prozent
auch Mitglieder ihrer Wohngemeinschaft“ (Familienstudie,
2010: 40).

Wenn also die Reichweite dessen, was als Familie gelebt wird,
ausgedehnt worden zu sein scheint, so deutet die hier
diskutierte Familien-Studie an, dass in den zurückliegenden gut
15 Jahren trotz der räumlichen „Entfernungen“ die emotionale
Nähe in den Familien nicht geringer geworden, sondern eher
gewachsen ist. Gesteigerte Lebenserwartung führt zusätzlich zu
einem „mehr“ an Familie. Selbst die hohen Scheidungsraten
mit dem Effekt, dass weniger Menschen eigene Kinder zu ihrer
Familie zählen, ermöglichen – paradoxerweise − „intensivere
Beziehungen zu den Geschwistern oder auch zu Neffen und
Nichten“ (Familienstudie, 2010: 41).

Jüngere Familienstudien haben herausgearbeitet, wie sich aus
der Wandlung der“ formellen Verwandtschaftsbande“ eine, wie
gesagt worden ist, „informelle Familie“ entwickeln konnte. Zu
dieser informellen Familie zahlen all jene, denen jemand sich
besonders nahe fühlt. Wobei zu dieser Gruppe nicht notwendig
nur nahe Verwandte gerechnet werden, sondern es können auch
beste Freundinnen und beste Freunde sein oder andere

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Karla Misek-Schneider, Winfred Kaminski, Lena M. Freund:
„Fernsehen ist Familiensache“

Personen, mit denen jemand sein Leben teilt. In der Vorwerk-
Familienstudie kulminiert diese Einschätzung in der Aussage,
dass man in der Gegenwart „sich seine Familie gleichsam
selbst   zusammenstellt“ (Familienstudie, 2010: 57). Ein
nachvollziehbarer Effekt dieses Vorgangs ist die „Aufwertung
der Familie“ und damit verbundener Erwartungen und
Bedingungen.

Für den Binnenraum der „neuen“ Familien gilt aber weiterhin
eine vergleichsweise traditionelle Arbeitsteilung, die zum
Ergebnis hat, dass die „meisten Väter noch immer einen großen
Bogen um viele Erziehungsaufgaben (machen), zum Beispiel
die Betreuung der Kinder bei den Schularbeiten. Mehr Spaß
macht es ihnen offensichtlich, sich bei der Freizeitgestaltung
der Kinder einzubringen, vor allem dann, wenn sie damit
eigene Outdoor-Interessen verbinden können, zum Beispiel
Sport oder Radfahren“ (Familienstudie, 2010: 55).

Richten wir den Blick auf die Zeiten die Väter und Mütter mit
ihren Kindern gemeinsam verbringen, ergibt sich eine Kluft
unter den Geschlechtern und die gerade entdeckte „neue“
Familie entpuppt sich in der Arbeitsteilung als die „alte“. Dies
kann mit Zahlen belegt werden. Eine 2011 veröffentlichte
familiensoziologische Befragung, die vom Allensbacher Institut
für Demoskopie durchgeführt worden ist, fand folgende
Aufteilung:    Unter    50-jährige    Eltern    verbringen   an
Wochentagen durchschnittlich 4,3 Stunden mit ihren Kindern.
Dabei veranschlagen die Väter ihre Zeit für Kinder auf 2,4
Stunden und die Mütter verbringen mehr als sechs Stunden mit
ihnen (BILD-Familienstudie 2011:24). Allerdings ist es nicht
angebracht, dies den Vätern im Sinne eines persönlichen
Vorwurfs vorzuhalten. Die Zeitdifferenz resultiert aus der
beruflichen    Beanspruchung,     wobei    es   um    ungünstige
Arbeitszeiten generell geht (43%), aber auch speziell um wenig
flexible Arbeitszeiten (36%), sowie um beruflich erforderliche

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Karla Misek-Schneider, Winfred Kaminski, Lena M. Freund:
„Fernsehen ist Familiensache“

Mobilität (im zweifachen Sinne von Reisetätigkeiten und von
langen Anfahrtswegen zur Arbeit).

(Tabelle aus: BILD-Familienstudie 2011)

Die befragten Väter geben an, dass sie insbesondere am
Sonntag und anderen arbeitsfreien Tagen mehr Aufgaben im
Haushalt oder bei der Erziehung ihrer Kinder übernehmen.
Jedoch ändert sich dadurch für den Zeitaufwand der Mütter
beinahe nichts. 63 Prozent der befragten Mütter antworteten,
dass für sie Wochentage und Feiertage keinen Unterschied
ausmachen. Immerhin teilen 43 Prozent der Väter mit, dass sie
am Wochenende sich mehr mit ihren Kindern beschäftigten und
immerhin    noch     38   Prozent    geben    an,   dann   auch
Haushaltstätigkeiten anderer Art übernehmen zu wollen.
(BILD-Familienstudie, 2011: 41).

Dieses eher wieder an die Tradition gemahnende Bild muss
aber in anderer Hinsicht relativiert werden. Denn mit Bezug auf
die familiäre Binnenstruktur erkennen wir eine Haltung, die
eine familienübergreifende Verabredungskultur andeutet, wenn
etwa über Aktivitäten am Wochenende gemeinsam entschieden
wird. Das gilt beinahe für jede zweite Familie (45%) und nur

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Karla Misek-Schneider, Winfred Kaminski, Lena M. Freund:
„Fernsehen ist Familiensache“

knapp 30 Prozent der Eltern mit Kindern unter 16 Jahren
bestimmen allein über die Unternehmungen am Wochenende.
Für die große Zahl der Familien gilt zugleich, dass die älteren
Kinder verstärkt allein über ihre Vorhaben entscheiden dürfen
(BILD-Familienstudie, ebenda).

Familien mit besonderem Unterstützungsbedarf

Wenn wir aber unseren Blick auf Hartz IV-Familien richten,
die gesellschaftlich und d.h. vor allem auch ökonomisch
Benachteiligungen erfahren, sind wir gefordert, auch die
problematischen Seiten und spezifischen Herausforderungen
dieser Gruppe mit Blick auf das Eltern-Kind-Verhältnis
offenzulegen.

Der im Auftrag des Bundesfamilienministeriums entstandene
Monitor Familienleben 2010 zeigt auf, dass diese soziale
Gruppe       es   weitaus   schwerer   hat   als   andere,   die
Grundbedürfnisse ihrer Kinder zu befriedigen. In den
Bereichen Bildung, Ernährung und Freizeit wird dies besonders
erkennbar.

          (Tabelle aus: Monitor Familienleben 2010)

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Karla Misek-Schneider, Winfred Kaminski, Lena M. Freund:
„Fernsehen ist Familiensache“

Unterstellt man, dass zum Freizeitbereich „Hobbys“ eben auch
die Medien, TV etc. gehören, offenbart sich hier ein deutlicher
Bedarf. Denn es bleibt durchweg schwierig, das in der
Befragung mitgeteilte Interesse dieser Gruppe auch in
praktische Medienarbeit umzusetzen; diese Eltern kommen
nicht zu „Kursen“, weil sie sich nicht trauen. Sie haben Angst
als Hartz IV-Empfänger         erkannt   zu   werden (Monitor
Familienleben, 2010: 53).

Der vom Bundesfamilienministerium initiierte Familienreport
2011 spricht diese Aspekte klar an und macht verschiedene
Bereiche durchsichtig, um die es gehen muss, wenn auf die
unterschiedlich zu gewichtenden familiären Problemlagen und
deren Gründe eingegangen werden soll. Im aktuellen Report
kommt zum Ausdruck, dass durchweg alle Familien faire
Chancen und Teilhabe in der Gesellschaft für ihre Kinder
wünschen.      Jedoch       sehen     Freizeitgestaltung       und
Bildungsförderung nicht überall gleich aus, sowohl qualitativ,
als auch quantitativ. Zum Beispiel heißt dies, dass die Kinder
aus Familien mit kleinen Einkommen oder mit SGBII Bezug
nur begrenzte Möglichkeiten zur Pflege sozialer Kontakte und
zur Talentförderung finden. Dies äußert sich etwa darin, dass
sie in Förderkursen und Sportvereinen unterrepräsentiert sind,
vor allem dann, wenn neben den eingeschränkten finanziellen
Mitteln auch die notwendigen Kenntnisse über die Angebote
fehlen (Familienreport, 2011, S. 106).

Bildungsferne und sozioökonomisch benachteiligte Eltern
sowie Eltern mit Migrationshintergrund fühlen sich oft nicht
befähigt genug, angemessene Entscheidungen hinsichtlich des
Freizeit- und Bildungsverhaltens ihrer Kinder zu treffen. Für
diese Gruppen bedarf es unbedingt             direkten     Kontakt,
„niederschwellige Angebote und kontinuierliche Begleitung“
(Familienreport, 2011:120). Dann könnten Ansätze zur
systematischen Stärkung der elterlichen Erziehungskompetenz

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