Was tun ? Psychisch krank im Job - PSZ GmbH
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Praxishilfe Psychisch Psychischkrank krank im im Job. Job. Wastun Was tun? ? gefördert von: Service
2 Impressum Österreich Herausgeber: Psychosoziale Zentren GmbH Austraße 9 A-2000 Stockerau www.psz.co.at Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, vorbehalten Redaktion: PSZ-AASS: Dr. Margit Burger, Dr. Karin Rossi, Mag. Irene Wladar Gestaltung: Typografischer Betrieb Lehmann GmbH, Essen Grafik und Druck: www.hiasl.at Stand: April 2015 Impressum Deutschland Herausgeber: BKK Bundesverband GbR und Familien-Selbsthilfe Psychiatrie (BApK e.V.) www.bkk.de, www.bapk.de Stand: 2011 Herzlichen Dank den deutschen Herausgebern der Broschüre „Psychisch krank im Job“ für die Erlaubnis. die Broschüre – unter Verwendung von Text und Layout – für Österreich zu adaptieren.
3 Inhaltsverzeichnis Vorwort 5 Einleitung ■ Die Fakten 6 ■ Die Praxishilfe 8 ■ „Normal“ und psychisch krank – zwei Seiten einer Medaille 10 Vorbeugen ■ Ursachen für psychische Erkrankungen 13 ■ Belastungsfaktoren als Auslöser für eine psychische Erkrankung 13 Stress Burnout Mobbing ■ Belastungsfaktoren am Arbeitsplatz 14 Arbeitsorganisation Interpersonale Kontakte Rahmenbedingungen ■ Das Modell beruflicher Gratifikationskrisen 15 ■ Betriebliche Gesundheitsförderung 16 Maßnahmen zur Reduktion von psychischen Belastungen am Arbeitsplatz Verhältnisbezogene Maßnahmen (betriebliche Ebene) Verhaltensbezogene Maßnahmen (Mitarbeiter-Ebene) Erkennen ■ Krankheitsbilder und Auswirkungen psychischer Erkrankungen im Arbeitsleben 17 Depressionen Bipolare Störungen (manisch-depressive Erkrankungen) Angststörungen Schizophrenie Persönlichkeitsstörungen ■ Psychische Erkrankung und Suchterkrankungen 26 ■ Gemeinsamkeiten von psychischen Erkrankungen 27 ■ Erkennen einer psychischen Erkrankung im Arbeitsumfeld 28 Bewältigung ■ Was tun? – Das „H-I-L-F-E Konzept“ für Unternehmen 31 ■ Handlungshilfen 36 Handlungsmöglichkeiten in akuten Krisen Unterstützung während einer ambulanten Behandlung Handlungsempfehlung beim stationären Aufenthalt Die Rückkehr in das Unternehmen Prävention – Pflichtaufgabe im betrieblichen Umfeld Zusammenfassung Anhang ■ Literaturtipps 42 ■ Hilfreiche Ansprechpartner und Adressen 44
4 Quelle: Postkarte der Initiative HOPES. Hilfe und Orientierung für psychisch erkrankte Studierende und Irre menschlich e. V., Hamburg
55 Vorwort Vorwort Ist es ein Thema? Oder immer noch ein Un-Thema? Was also tun? Fakt ist, dass eine viel größere Zahl an Menschen Hier setzt die Ihnen vorliegende Praxishilfe an. Mit Ist es ein Thema? Oder immer noch ein Un-Thema? Was also tun? psychisch krank waren und sind, als viele meinen. den Kompetenzen der Familien-Selbsthilfe Psychi- Fakt ist, dass eine viel größere Zahl an Menschen Hier setzt die Ihnen vorliegende Praxishilfe an. Ein Blick in die Geschichte zeigt, dass viele bedeu- atrie, die mit den Beispielen aus dem Leben vieler psychisch krank waren und sind, als viele meinen. Mit den Kompetenzen der Familien-Selbsthilfe tende Persönlichkeiten, die unsere Kultur geprägt Menschen vertraut ist, und des BKK Bundesver- Ein Blick in die Geschichte zeigt, dass viele bedeu- Psychiatrie, die mit den Beispielen aus dem Leben haben, an psychischen Erkrankungen litten. Nehmen bandes, der die Erfahrungen aus der betrieblichen tende Persönlichkeiten, die unsere Kultur geprägt vieler Menschen vertraut ist, und des BKK Bundes- wir nur Gesundheitsförderung einbringt, wurde ein Rat- haben, an psychischen Krankheiten litten. Nehmen verbandes, der die Erfahrungen aus der betriebli- geber für die betriebliche Praxis entwickelt. wir nur chen Gesundheitsförderung einbringt, wurde in Frédéric Chopin Deutschland ein Ratgeber für die betriebliche Praxis Rainer Maria Rilke ■ Frederic Chopin entwickelt. Winston Churchill ■ Rainer Maria Rilke Dieser Ratgeber wurde 2013 von der Arbeitsassis- Charles Darwin ■ Winston Churchill tenz der Psychosozialen Zentren GmbH für Öster- Vincent van Gogh ■ Charles Darwin reich adaptiert und 2015 aktualisiert. Mehr als 20 ■ Vincent van Gogh Jahre Erfahrung der Arbeitsassistenz für Menschen Die Beispiele zeigen, dass psychisch kranke Men- mit psychischen Erkrankungen in der beruflichen schen nicht einfach aus der Gesellschaft bzw. aus Die Beispiele zeigen, dass psychisch kranke Men- Integration belegen den Unterstützungsbedarf von dem Arbeitsleben ausgeschlossen werden dürfen. schen nicht einfach aus der Gesellschaft bzw. aus Unternehmen. Vielmehr ist es wichtig, die Ressourcen zu nutzen, dem Arbeitsleben ausgeschlossen werden dürfen. die jeder Mensch hat. Vielmehr ist es wichtig, die Ressourcen zu nutzen, die jeder Mensch hat. In den meisten Betrieben gibt es Mitarbeiter, die psy- chisch krank sind oder in einer schweren seelischen In den meisten Betrieben gibt es Mitarbeiter, die Krise mit Krankheitscharakter stecken. Kollegen psychisch krank sind oder in einer schweren see- sowie Vorgesetzte sind betroffen, keine Hierarchie- lischen Krise mit Krankheitscharakter stecken. Kol- ebene ist ausgenommen. Unsicherheit macht sich legen sowie Vorgesetzte sind betroffen, keine Hier- breit und als Folge kann das Betriebsklima beein- archieebene ist ausgenommen. Unsicherheit macht trächtigt werden. sich breit und als Folge kann das Betriebsklima be- einträchtigt werden. Aus Gründen der Vereinfachung und besseren Les- barkeit ist im Text nur die männliche Form bei Per- Aus Gründen der Vereinfachung und besseren sonen- und Funktionsbezeichnungen angegeben. Lesbarkeit ist im Text nur die männliche Form bei Gemeint ist immer auch die weibliche Form. Personen- und Funktionsbezeichnungen angegeben. Gemeint ist immer auch die weibliche Form.
6 Einleitung Die Fakten Psychische Störungen nehmen dramatisch zu und Die Ursachen für diese Erkrankungen sind dabei haben seit einigen Jahren auch den beruflichen All vielfältig und komplexer Natur. Zu ihrer Entwick- tag der Beschäftigten erreicht. Depressionen und lung tragen gesellschaftliche Faktoren, z. B. Angst Angsterkrankungen drohen zu Volkskrankheiten am vor Arbeitsplatzverlust oder Stress und Überbelas- Arbeitsplatz zu werden. Der Anteil an den Krankheits tung in der Arbeitswelt ebenso bei wie individuelle tagen durch psychische Störungen hat sich seit Dispositionen. Beginn der neunziger Jahre mehr als verdoppelt. Die Zunahme der Erkrankungen, der Anstieg der Der BKK Gesundheitsreport 2009 zeigt auf, dass Fehltage und der damit verbunden Kosten sowie mittlerweile 10% der Ausfalltage direkt mit einer die Sorge um die Gesundheit der Mitarbeiter rücken psychischen Erkrankung verbunden sind. Darüber zunehmend in den Blickpunkt betrieblicher Gesund- hinaus führen psychische Erkrankungen überpro- heitspolitik und werden für viele Unternehmen zu portional häufig zu Frühpensionierungen und haben einem Thema mit größer werdender Dringlichkeit. den Verlust des Arbeitsplatzes zur Folge. Personalverantwortliche, Kollegen und betriebliche Helfer sind heute häufig mit psychischen Krank- In Österreich ist die Situation vergleichbar. Laut heitsbildern konfrontiert, im Umgang mit betrof- WIFO (österreichisches Institut für Wirtschafts- fenen Mitarbeitern jedoch verunsichert: Ist der forschung) Fehlzeitenreport erfolgte 2011 jeder Mitarbeiter überhaupt in einer Krise, kann er an- dritte Neuzugang in die Pension im Rahmen einer gesprochen werden, oder führt dies zu einer Ver- Invaliditätspension, 32% aller Neuzugänge der schlimmerung der Problemlage? Wie sollte ein sen- krankheitsbedingten Frühpensionen erfolgten aus sibler und verantwortungsvoller Umgang mit der psychischen Gründen. Laut Pensionsversicherungs- Erkrankung aussehen? anstalt machten 2010 44,5% der für arbeitsunfähig Dies sind u. a. Fragen, mit denen Verantwortliche erklärten Angestellten psychische Erkrankungen im Unternehmen konfrontiert sind. geltend. Seit den 90er Jahren hat sich die Anzahl der Neuzugänge in Invaliditätspensionen aufgrund psychischer Erkrankungen fast verdreifacht. Psychische Probleme gehören in den privaten Be- Eine Studie der OECD zeigt, dass das Risiko, von Ar- reich, über sie sollte am Arbeitsplatz nicht gespro- beitslosigkeit betroffen zu sein, bei Menschen mit chen werden, befinden auch heute noch viele Bür- psychischen Erkrankungen doppelt so hoch ist wie ger trotz größer werdender Offenheit. Betroffene bei gesunden Menschen.1 Menschen verschweigen deshalb häufig ihre psy- 1) OECD (2012), Sick on the Job? Myths and Realities about Mental Health and Work, Mental Health and Work, OECD Publishing.
Die Fakten 77 chischen Krisen und ihre Krankheit aus Scham und (siehe Linkliste im Anhang) ins Leben gerufen. Die Angst um ihren Arbeitsplatz. Erschwerend kommt Maßnahme ist im Arbeit-und-Gesundheit-Gesetz für die Betroffenen hinzu, dass Personalverantwort- verankert und sowohl für Mitarbeiter als auch für liche häufig signalisieren, psychisch beeinträch- Betriebe ein kostenfreies Informations-, Beratungs- tigte Menschen seien aufgrund häufigerer Krank- und Unterstützungsangebot. schreibungen ökonomische „Risikofaktoren“ für das Unternehmen und bedenken dabei nicht, dass Ein Mehr an Wissen und Information über diese Er- dies ebenfalls für Extremsportler, für rasante Fahrer krankungen bietet die Möglichkeit, durch rechtzeiti- oder Raucher zutreffen kann. ges Eingreifen und Handeln größeren Krisen vorzu- beugen und dem betroffenen Mitarbeiter frühzeitig Psychische Leiden sind nach wie vor tabuisiert und Unterstützung zu geben. So können möglicherwei- haben Ausgrenzungen und Stigmatisierung zur Fol- se Fehlzeiten verringert, die Chronifizierung der ge. Sie führen zu erheblichen Beeinträchtigungen Krankheiten verhindert, der Arbeitsplatz erhalten der Lebensqualität der Betroffenen, der Angehöri- und das Know-how des Mitarbeiters im Betrieb be- gen und im sozialen Umfeld. lassen werden. In Österreich bietet das Netzwerk der beruflichen Assistenz NEBA (siehe Link im Anhang) die Mög- lichkeit, für Menschen mit psychischen Erkrankun- gen präventiv tätig zu sein und gleichzeitig den Unternehmen Hilfestellung für erkrankte Mitarbei- ter anzubieten. Auf Initiative der österreichischen Bundesregierung wurde 2012 das Angebot fit2work
8 Die Praxishilfe Die vorliegende Praxishilfe wendet sich an Füh- Die Praxishilfe wird als ein Baustein in der Beratung rungskräfte und Personalverantwortliche nur in der PSZ Arbeitsassistenz empfohlen. großen Unternehmen. Sie soll sowohl Vorgesetzte wie Kollegen ermutigen, Mitarbeiter, die Probleme Ebenso verwendet die PSZ Arbeitsassistenz das durch ihr Verhalten oder durch Leistungsveränder „H-I-L-F-E Konzept“ als Unterstützungsangebot für ungen signalisieren, frühzeitig anzusprechen, ihnen Vorgesetzte und Personalverantwortliche. Unter- Unterstützung anzubieten und eine Betriebskultur nehmen können in Österreich auch von den Ange- zu etablieren, die psychischer Gesundheit ebenso boten des „Bündnis gegen Depression“ (siehe Link viel Bedeutung beimisst wie körperlicher Gesund- im Anhang) profitieren. Dieses bietet in Kooperati- heit. Die Praxishilfe ist zwar kein „Rezeptbuch“ oder on mit Betroffenen und Selbsthilfegruppen kosten- eine „Checkliste“ zum Umgang mit psychisch kran- freie Schulungen und Vorträge an. Zur beruflichen ken Mitarbeitern, beinhaltet aber Basisinformatio- Integration psychisch erkrankter Menschen bietet nen über Auswirkungen psychischer Erkrankungen auch die österreichische Angehörigen Organisation und kann für Vorgesetzte, Kollegen und betriebliche HPE (Hilfe für Angehörige und Freunde psychisch Helfer eine Unterstützung sein. Erkrankter, siehe Link im Anhang) Ratgeber und Vorträge an. Angehörige und betroffene Menschen geben ihr Wissen, ihre gelebten Erfahrungen und ihre jahrelang erworbene Kompetenz hinsichtlich dieser Erkrankungen an interessierte Unterneh- men weiter. Fragen zu Krankheitsbildern und zu den Auswirkungen psychischer Erkrankungen auf die Arbeitssituation werden ebenso beantwortet wie Fragen zum Umgang mit psychisch erkrankten Kollegen oder Mitarbeitern.
Die Praxishilfe 99 Die Praxishilfe bietet auch Unterstützung für be- triebliche Helfer, z. B. für Betriebs- und Personal- räte, Integrationsteams und betriebliche Arbeits- kreise. So enthält der erste Teil des Leitfadens Basisinformationen über psychische Erkrankungen, Krankheitsbilder und das Erkennen psychischer Erkrankungen im Arbeitsumfeld. Im zweiten Teil wird das „H-I-L-F-E Konzept“ vorgestellt, das den verantwortlichen Vorgesetzten als Handlungshilfe für Maßnahmen dienen kann, die im Umgang mit den Betroffenen notwendig werden. Angelehnt an den gestuften Interventionsplan zum Umgang mit Suchterkrankten ist das „H-I-L-F-E Konzept“ Grund- lage für die Gespräche mit Mitarbeitern, die unter einer psychischen Störung leiden.
10 10 „Normal“ und psychisch krank – zwei Seiten einer Medaille Sabine Blocher: Klaus Kraft: Eine 34- jährige Juristin arbeitet halbtags zusammen Herr Kraft ist 54 Jahre alt. Er hat in einem Geldins- mit Frau H. und Herrn W. in der Rechtsabteilung ei- titut von der Pike auf gelernt und sich in 35 Jahren ner großen Versicherung. Das Verhältnis zu ihren zum Leiter der Kreditabteilung hochgearbeitet. Die Arbeitskollegen ist freundlich und sachlich. Ab und Fusion mit einem anderen namhaften Geldinstitut zu trinken sie zusammen einen Kaffee in der Mit- ist geplant. Herr Kraft sieht für sich eine Chance, be- tagspause. Anfang des Jahres ärgern sich die Kol- ruflich weiter aufzusteigen. Er ist bereit, diese neue legen allerdings mehrfach über Frau Blocher. Diese Herausforderung anzunehmen. Die an ihn gestellten hat Arbeitsaufträge vergessen oder unvollständig Erwartungen seiner Vorgesetzten, diese Neuorien- erledigt. Auf diesbezügliches Nachfragen reagiert tierung zu meistern, sind hoch. sie nicht. Ein sehr ungewöhnliches Verhalten, das die Kollegen von Frau Blocher bisher nicht kennen. Seine Frau hatte sich zudem erhofft, er werde häufi- Überhaupt wirkt die Sachbearbeiterin sehr „verän- ger zu Hause anwesend sein, zumal die beiden halb- dert“. In den nächsten Wochen kommt sie verspätet wüchsigen Kinder mehr Probleme machen. zur Arbeit, wirkt müde, kraftlos und erschöpft. Die Eine familiäre Krise droht. Kollegen erledigen Frau Blochers Aufträge zunächst mit. Herr Kraft schläft seit Wochen schlecht, wacht schweißgebadet auf und kann nicht wieder ein- Die Kollegen reden beim gemeinsamen Mittages- schlafen. Er ist zunehmend beunruhigt darüber, sen über die Situation. Herr W. plädiert dafür, alles zumal sich tagsüber auch Herzrasen und Atemnot auf sich beruhen zu lassen und abzuwarten. Wahr- einstellen. Kollegen haben ihn schon auf seine sicht- scheinlich habe Frau Blocher persönliche Probleme, bare Unruhe angesprochen. Eine Sitzung muss er sei krank oder irgendetwas Ähnliches, und das gehe fluchtartig verlassen, sehr zur Verwunderung des keinen etwas an. Vorstandes. Herr Kraft ist sich sicher, die Vorboten eines Herzinfarkts zu erleben. Er hat Angst. Sein Va- Sollen die Mitarbeiter Frau Blocher einfach anspre- ter ist an einem Herzinfarkt gestorben. Körperliche chen? Oder sollen sie lieber so tun, als sei alles Untersuchungen bleiben allerdings ohne Befund. „normal“? Seine Beschwerden am Arbeitsplatz nehmen zu, er zieht sich mehr und mehr von den Kollegen zurück, bleibt einfach zu Hause. Sein beruflicher Aufstieg ist gefährdet. Es ist offensichtlich: Irgendetwas stimmt nicht mit Herrn Kraft. Aber was? Und vor allem: Was ist zu tun?
„Normal“ und psychisch krank – zwei Seiten einer Medaille 01 11 Beide Mitarbeiter haben sich in ihrem Sozial- und sie ausgegrenzt, sondern weil sie sich nicht anders Leistungsverhalten verändert und wirken aus dem verhalten können. Die meisten Menschen haben Blickwinkel der anderen Beschäftigten nicht mehr schon Extremsituationen erlebt, in denen ihr Ver- „normal“. Was die Veränderung ausgelöst hat, ist halten und Erleben nicht der Norm entsprach. Sie für Kollegen und Vorgesetzte nicht nachvollziehbar. hatten das Gefühl „neben sich“ zu stehen, sich im Sie sind unsicher, wie sie sich verhalten sollen und Spannungsfeld zwischen „normal“ und „unnor- wie der „richtige“ Umgang mit dem Mitarbeiter mal“ zu bewegen und dabei die Erfahrung zu ma- oder Kollegen aussehen kann. Die Mitarbeiter in chen, dass der Übergang von einem psychischen beiden Beispielen könnten in jedem Unternehmen Zustand in den anderen fließend ist. arbeiten, im Dienstleistungs- oder im produzie- renden Bereich, in Unternehmen verschiedenster Häufige, intensive und lang andauernde Normab- Branchen, in Verwaltungen und Organisationen. So weichungen des Erlebens und Verhaltens führen zu erkrankt jeder dritte Mensch einmal im Leben so der Vermutung, dass bei dem betroffenen Menschen schwer an einem psychischen Leiden, dass er einer eine psychische Erkrankung vorliegen könnte. psychiatrischen Behandlung bedarf. Diese Erkrankungen werden als „Störungen des Innere Erlebnis- und Verarbeitungsweisen eines Erlebens, Befindens und Verhaltens“2 beschrieben. Menschen sind zunächst für Außenstehende un- Die Symptome der betroffenen Personen können sichtbar und individuell sehr unterschiedlich. Was dabei zahlreich und wechselhaft sein, sie hängen für den einen Menschen eine Herausforderung ist, vom Krankheitsbild und der speziellen Diagnose ab. kann für den anderen bedrückend sein und eine Oft gehen einzelne Krankheitsbilder ineinander über Krise auslösen. Wenn aus den Erlebnis- und Verar- und sind vom Symptombild her nicht klar voneinan- beitungsweisen ein Verhalten hervorgeht, das be- der abgrenzbar, die Diagnosen selbst für Fachleute stehende Normen „ver-rückt“ und deshalb auf die schwer zu stellen. Psychische Erkrankungen haben Umwelt unerklärlich, sonderbar oder gar bedrohlich einen dynamischen Verlauf, d. h. relativ gesunde Ab- wirkt, neigt man dazu, den Menschen als „nicht nor- schnitte können mit Krankheitsphasen abwechseln. mal“ zu bezeichnen. Häufig wird dabei übersehen, dass gerade Personen, die von fest gefügten Denk- Bei länger andauerndem Krankheitszustand bedeu- weisen abweichen, als „Querdenker“ sehr kreative ten vor allem die sozialen Beeinträchtigungen in Menschen mit innovativen Fähigkeiten sind. den Bereichen Wohnen, Arbeit und Freizeit eine Ein- schränkung der Lebensqualität für die Betroffenen. Ob ein Mensch als „psychisch krank“ gilt, ist aller- Wie bei körperlichen Krankheiten gibt es auch bei dings abhängig von der Intensität, der Dauer und psychischen Erkrankungen unterschiedliche Schwe- der Häufigkeit des „ver-rückten“ Verhaltens. Die regrade. Sie können ausheilen oder auch chronisch meisten psychisch kranken Menschen leiden unter werden, ebenso wie dies z. B. bei Herzerkrankungen ihrem stark abweichenden Verhalten, nicht nur weil oder Bluthochdruck geschehen kann. Psychische 2) International Classification of Diseases, ICD 10
12 12 „Normal“ und psychisch krank – zwei Seiten einer Medaille Leiden sind heute gut behandelbar, z. B. mit Medi- ben bedeutend mehr Verständnis als psychische. kamenten und Psychotherapien, genauso wie kör- „Du warst in der Klapse? Du bist verrückt!“ Dies perliche Erkrankungen mit geeigneten Therapien sind Aussagen, mit denen Menschen mit einer psy- behandelt werden können. chischen Störung immer noch konfrontiert werden. Deshalb gehen Betroffene vielfach gar nicht oder zu Wie jeder körperlich erkranken kann, so kann auch spät zum Arzt, sie verschweigen ihre Krankheit aus jeder von einer psychischen Erkrankung betroffen Angst vor den unangenehmen Folgen einer psychi- werden. Es können junge wie alte Menschen erkran- atrischen Diagnose. ken, Männer wie Frauen, intelligente wie weniger intelligente, prominente wie nicht-prominente Per- Wie das Beispiel von Klaus Kraft zeigt, kann auch sonen. bei anhaltender körperlicher Symptomatik ein see- lisches Leiden zu Grunde liegen. Wichtig ist sowohl Menschen, die psychisch erkranken, haben al- für Betroffene wie für Arbeitgeber die Erkenntnis, lerdings mit wesentlich mehr Schwierigkeiten zu dass psychische Erkrankungen, die nicht rechtzeitig kämpfen als Menschen, die körperlich krank wer- behandelt werden, sich verschlimmern und langfris- den. Körperliche Krankheiten finden im Arbeitsle- tig chronisch verlaufen können.
13 Vorbeugen Ursachen für psychische Erkrankungen Psychische Erkrankungen können vielfältige biolo- am Arbeitsplatz können dabei Verstärker oder auch gische, psychologische und soziale Ursachen ha- Auslöser einer psychischen Störung sein. Diese Be- ben. Aktuelle Theorien gehen davon aus, dass psy- lastungen können zwar nicht grundsätzlich vermie- chische Erkrankungen aus einem Zusammenspiel den werden, sie können aber positiv ausgeglichen verschiedener Faktoren entstehen. Belastungen und in ihren Folgen gemildert werden. Belastungsfaktoren als Auslöser für eine psychische Erkrankung Viele Menschen verbinden mit dem Gedanken spielen ebenso eine Rolle wie die inneren und äu- an psychische Erkrankungen Begriffe wie Stress, ßeren Ressourcen und Bewältigungsstrategien, die Burnout oder Mobbing. Dies sind aber keine psy- dem Beschäftigten zur Verfügung stehen. chischen Erkrankungen im medizinischen Sinne. Es sind jedoch Risikofaktoren, die die Seele belasten ■ Burnout und das Entstehen einer ernstzunehmenden psy- chischen Krankheit begünstigen. Der Körper re- Als Burnout bezeichnet man einen Erschöpfungszu- agiert auf kontinuierliche psychische Belastungen stand, ein seelisches Ausgebranntsein, bis hin zur mit Stress- oder Burnout Symptomen, die zu einer völligen Kraftlosigkeit. Dies sind Symptome, die vor diagnostizierbaren psychischen Erkrankung her- allem im Arbeitskontext auftreten und Menschen anwachsen können, wenn keine Präventionsmaß- treffen, die sich über die Maßen in ihrem Arbeitsle- nahmen ergriffen werden. Häufig gehen diese Er- ben engagiert haben. Zahlreiche Symptome eines scheinungsbilder mit körperlichen Symptomen wie Burnout-Syndroms sind mit denen einer Depressi- Schlaflosigkeit, Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder on identisch. Nicht wenige Fachleute bezeichnen Leistungsabfall einher. mittlerweile das Erscheinungsbild eines Burnout als bislang nicht diagnostizierte Depression. Im Ge- ■ Stress gensatz zu einer Depression ist Burnout mit einer besonders hohen Leistungsfähigkeit assoziiert und Unter arbeitsbedingtem Stress werden körperliche entgeht damit dem Stigma „Depression“. und emotionale Reaktionen auf schädliche oder un- günstige Aspekte der Arbeit, des Arbeitsumfeldes ■ Mobbing oder der Arbeitsorganisation verstanden. Stresszu- stände entstehen häufig durch Mehrfachbelastun- Unter Mobbing wird verstanden, dass ein im Ar- gen und sind in der Regel mit dem Gefühl verbun- beitsumfeld Unterlegener über längere Zeit Angrif- den, die Situation nicht mehr bewältigen zu können fen durch Kollegen oder Vorgesetzte ausgesetzt ist. und überfordert zu sein. Der Betroffene sieht keine Möglichkeit, sich gegen die Diskriminierung oder den Ausschluss aus der Ob eine Person in einer bestimmten Arbeitssituati- beruflichen Gemeinschaft zu wehren. Mobbing on Stress empfindet, ist individuell unterschiedlich kann verschiedene Ausdrucksformen haben: durch und u. a. von der Übereinstimmung der vorhande- Schädigung der sozialen Beziehungen oder des An- nen Qualifikationen mit den verlangten Anforderun- sehens des Betroffenen, indem Gerüchte verbreitet gen abhängig. Wahrnehmung, Interpretation und werden oder die Kompetenz in Frage gestellt und Bewertung von bestimmten Arbeitssituationen der Mitarbeiter ignoriert wird.
14 14 Belastungsfaktoren am Arbeitsplatz Belastungsfaktoren am Arbeitsplatz können in der Eine kontinuierliche Über-, aber auch Unterforde- Art der Arbeitsorganisation, in der Qualität der In- rung, unzureichende Anweisungen oder wider- terpersonalen Kontakte oder in den Rahmenbedin- sprüchliche Aufträge zählen zu den Belastungsfak- gungen der Arbeit begründet sein. toren, die ebenfalls mit der Arbeitsorganisation in Zusammenhang stehen. ■ Arbeitsorganisation ■ Interpersonale Kontakte Eine hohe Intensität der Arbeit kann auf Dauer eine psychische Belastung für die Mitarbeiter darstellen. Die Kooperation und die Kommunikation zwischen Sie ist z. B. durch hohen Zeitdruck oder eine hohe Vorgesetzten und Mitarbeitern sowie unter den Mit- Komplexität der Arbeit gegeben. Auch der Wettbe- arbeitern bergen viele Risiken für Belastungsfakto- werb zwischen verschiedenen Aufgabenstellungen ren. und das damit verbundene „Task Switching“, d. h. Hierunter fallen z. B. eine geringe Rücksichtnahme der Wechsel zwischen diesen verschiedenen Aufga- auf persönliche Belange oder eine fehlende Kom- ben, zählen zu einer hohen Arbeitsintensität. munikation über Meinungen und Fragen. Ein weiterer Belastungsfaktor kann ein dauerhaft Ein weiterer Belastungsfaktor ist ein gering mitar- eingeschränkter Handlungsspielraum sein, z. B. ge- beiterorientierter Führungsstil, der sich z. B. in feh- ringe Autonomie bei der Planung der Arbeitsschritte lender Kommunikation oder Information, übermä- oder der Gestaltung des Arbeitsplatzes, kaum Mög- ßiger Kontrolle, fehlender Anerkennung der Arbeit lichkeiten, Ideen und Vorschläge einzubringen oder oder einem unangemessenen Umgangston äußern die fehlende Überprüfbarkeit der eigenen Arbeitser- kann. gebnisse. Kommt zu einem geringen Entscheidungs Eine schwierige Atmosphäre unter den Kollegen spielraum noch eine hohe Verantwortung der Mitar- kann die psychische Gesundheit ebenfalls belasten. beiter hinzu, erhöht sich die Belastung. Diese ist bei fehlender Teamarbeit oder Kontrolle durch Kollegen gegeben. ■ Rahmenbedingungen Rahmenbedingungen, die psychische Belastungen hervorrufen können, sind u. a.: ■ Angst vor Arbeitsplatzverlust ■ Umstrukturierung im Unternehmen ■ „flexible“, nicht planbare Arbeitszeiten ■ Arbeitsverhältnisse wie Leiharbeit und befristete Arbeitsverträge
15 Das Modell beruflicher Gratifikationskrisen (Effort – Reward – Modell) nach Siegrist (2002) Es gibt verschiedene wissenschaftliche Modelle, die zwischen entlastenden und belastenden Faktoren das Zusammenspiel von Belastungsfaktoren am Ar- herzustellen und aufrecht zu erhalten. Nach diesem beitsplatz und psychischen Erkrankungen erklären. Modell entsteht eine Gratifikationskrise dann, wenn Ein Ansatz ist das Modell beruflicher Gratifikations- ein Ungleichgewicht zwischen beruflicher Veraus-- Krisen des Soziologen Johannes Siegrist. Er geht da- gabung und Belohnung entsteht. Eine Gratifikati-- von aus, dass hoher Arbeitseinsatz allein nicht das onskrise ist eine starke psychische Belastung, die zu Problem ist. Wichtig ist vor allem, ein Gleichgewicht einer psychischen Erkrankung führen kann. Entlastende Faktoren Erlebte Gratifikation/Belohnung: ■ Anerkennung ■ Wertschätzung ■ soziale Unterstützung ■ Entwicklungsperspektiven Belastende Faktoren ■ Arbeitsplatzsicherheit Erlebte berufliche Verausgabung: ■ Gehalt ■ körperlich ■ psychisch Siegrist, J. (1996). Soziale Krisen und Gesundheit. Göttingen: Hogrefe.
16 Betriebliche Gesundheitsförderung ■ Maßnahmen zur Reduktion von Ebene der Führungskräfte psychischen Belastungen am Arbeitsplatz ■ Seminare zur gesunden Mitarbeiterführung Maßnahmen zur Reduktion psychischer Belastun- ■ Gesprächstraining gen setzen auf verschiedenen Ebenen an. Es wird ■ Vermeidung psychischer Fehlbelastungen als unterschieden zwischen verhältnisbezogenen Maß- Führungsaufgabe nahmen auf betrieblicher Ebene und verhaltensbe- ■ Adäquate Einarbeitung neuer Mitarbeiter in neue zogenen Maßnahmen auf der Ebene der Mitarbeiter. Arbeitsbereiche Um psychische Belastungen effektiv zu reduzieren, ■ Handlungs- und Entscheidungsspielräume sollten Maßnahmen auf beiden Ebenen umgesetzt vergrößern werden. Es ist empfehlenswert, vor der Umsetzung ■ Akuten Termindruck vermeiden von Maßnahmen zur Reduktion psychischer Belas- ■ Individuelle Leistungsrückmeldung geben tungen zunächst eine Analyse der Belastungsfakto- (positiv & negativ) ren durchzuführen. ■ Engagement würdigen ■ Kommunikationsstrukturen aufbauen/Pflege ■ Verhältnisbezogene Maßnahmen einer positiven Kommunikationsstruktur (betriebliche Ebene) ■ Klare Vorgaben von Anforderungen, Zielen und Verhältnisbezogene Maßnahmen können auf struk- Erwartungen (z. B. im Hinblick auf Prioritäten) tureller Ebene oder auf der Ebene der Führungs- ■ Klare Zuständigkeiten kräfte ansetzen. ■ Unterstützung, Förderung und Qualifizierung der Mitarbeiter Strukturelle Ebene ■ Interesse an der Person und ihrer beruflichen Entwicklung ■ Arbeitszeitgestaltung flexibilisieren ■ Beteiligung an Veränderungsprozessen (frühzei- ■ Übereinstimmung zwischen Arbeitsaufgaben tige Kommunikation) und Qualifikationen herstellen ■ Eigenes Vorbild (eigene Lifedomain-Balance) ■ Psychische Erkrankungen durch Aufklärung enttabuisieren ■ Verhaltensbezogene Maßnahmen ■ Kommunikationsstrukturen aufbauen (Mitarbeiter-Ebene) ■ Sport- und Entspannungsangebote einrichten ■ Gesundheitsversorgung innerhalb des Unterneh- ■ Stressmanagement-/Stresspräventionsseminare mens aus- bzw. aufbauen ■ Kommunikative Kompetenzen erweitern ■ Arbeitskreis (psychische) Gesundheit einrichten (Netzwerkbildung, Grenzsetzung) ■ Stärkung der Kompetenz der Betriebsärzte bzgl. ■ Qualifikation Diagnostik und Motivierung zu adäquater ■ Gesundheitskompetenz der Mitarbeiter schulen Behandlung ■ Niederschwelliges Versorgungsangebot für Mit- arbeiter (z. B. psychologische Sprechstunde oder Vertrauensperson) einrichten
17 Erkennen Krankheitsbilder und Auswirkungen psychi- scher Erkrankungen im Arbeitsleben Der Anteil an den Krankheitstagen durch psychische Symptome bei Depressionen Störungen hat seit Beginn der neunziger Jahre mehr Depressionen äußern sich häufig in körperlichen als verdoppelt. Die Gründe für diese Entwicklung lie- Symptomen. Eines der auffälligsten Symptome bei gen vermutlich in den Herausforderungen der sich Depressionen sind Schlafstörungen. Der Rhythmus verändernden Lebens- und Arbeitsbedingungen des Schlafes kann völlig verändert sein und variie- (Beschleunigung, Informationsflut, Globalisierung, ren. Manche Betroffene verlieren den Appetit, essen unsichere Arbeitsplatzsituationen). Aber auch die kaum noch etwas und nehmen stark an Gewicht verbesserte Diagnosefähigkeit von Hausärzten und ab. Es gibt eine verwirrende Vielzahl an körperli- die wachsende Offenheit von Patienten, über psy- chen Beschwerden wie z. B. Schwindel, Übelkeit, chische Erkrankungen zu reden, spielen eine Rolle. Schweißausbrüche, Herzklopfen, häufig auch Rü- Dazu kommt eine Überalterung der Gesellschaft, die ckenschmerzen, rasche Erschöpfung und Kraftlosig- dazu führt, dass sich zu psychische Störungen häu- keit. Depressive Menschen fühlen sich in allen Le- fig körperlichen Leiden addieren. bensäußerungen gehemmt und bezeichnen diesen Zustand häufig als „innere Lähmung.“ Im Arbeitsleben kommen vor allem Depressionen und Angsterkrankungen zunehmend häufiger vor, Depressionen im Arbeitsbereich gelegentlich auch schizophrene Psychosen. Vorher aktive und integrierte Persönlichkeiten neh- men an Veranstaltungen mit Kollegen nicht mehr ■ Depressionen teil, wirken unsicher und tieftraurig. Kritik an der Leistung oder dem Verhalten kann zu starken Selbst- Depressionen gehören zu den affektiven Störun- zweifeln führen. gen, d.h. Störungen von Gefühl und Stimmung, die häufig mit Angst einhergehen und sich auf die Ge- Am Arbeitsplatz werden vor allem Aufmerksam- samtpersönlichkeit eines Menschen auswirken. Ca. keits- und Antriebsstörungen auffällig. Flüchtig- 5 Prozent der Bevölkerung leiden zurzeit an einer keitsfehler treten vermehrt auf, Arbeitsabläufe Depression. Die Menschen beschreiben ihre Emp- werden häufiger kontrolliert und unterbrochen. Der findungen so, dass sie dem Leben kaum noch etwas Beschäftigte ist unkonzentriert, vergesslich, häufig Positives abgewinnen können. Anders als Befind- zerfahren. Unpünktlichkeit und vermehrte Pausen lichkeitsstörungen, denen jeder Mensch unterliegt treten auf. Aufträge können nicht mehr vollständig und die vorübergehender Natur sind, ist die Depres- erledigt werden, weil dem Betroffenen die Kraft sion eine behandlungsbedürftige Erkrankung, die fehlt. In der Umgebung stoßen solche Verhaltens- in schweren Fällen zum Suizid führen kann. Eine weisen häufig auf Unverständnis und die Erkrankten Depression beginnt selten plötzlich, sondern fast gelten als Simulanten oder Drückeberger. Bei den immer schleichend und tritt meist als sog. Episode Betroffenen tritt in Folge der Krankheit häufig Panik oder in Phasen auf. In allen westlichen Industrie- auf, die Arbeit nicht mehr bewältigen zu können und ländern ist eine starke Zunahme der Krankheit zu als Konsequenz den Arbeitsplatz zu verlieren. verzeichnen. Neben den Angststörungen ist die De- pression die häufigste psychische Erkrankung.
18 Krankheitsbilder und Auswirkungen im Arbeitsleben 18 Es setzt ein Kreislauf von Schuld, Versagen, dem sive Erkrankung können auch im Verlust eines Part- Ausdrücken von Wert-, Entschluss- und Hoffnungslo- ners, im Verlust des Arbeitsplatzes, aber auch schon sigkeit ein („Ich bin nichts wert, ich bin unzumutbar, in einem Umgebungswechsel liegen. Eine weitere keiner kann mir helfen“). Sehr häufig haben die Be- Ursache wird in einer genetischen Disposition gese- troffenen keine Krankheitseinsicht, sondern sie inter- hen, d. h. in Familien, in denen eine Depression auf- pretieren ihren Zustand als persönliches Versagen. tritt, wird für die Nachkommen die Wahrscheinlich- keit größer, an einem solchen Leiden zu erkranken. Depressiv Erkrankte haben häufig Suizidgedanken Eine direkte Erbkrankheit ist die Depression jedoch und sehen oft keinen Ausweg mehr aus dem nicht. Organisch betrachtet gehen Depressionen mit Negativkreislauf. Suizidäußerungen sind auf jeden Störungen des Hirnstoffwechsels einher, bei denen Fall ernst zu nehmen. Bei drohender Suizidgefahr hauptsächlich die Botenstoffe Serotonin und Norad- sollte schnellstmöglich eine stationäre Aufnahme renalin aus der Balance geraten sind. Durch diese erfolgen. Stoffwechselstörungen sinkt die Fähigkeit, positive Gefühle zu empfinden. Diese Stoffwechselstörun- Ursachen gen können auch durch einschneidende Lebens- Das Entstehen einer Depression ist von vielen Fakto- ereignisse verursacht werden. ren abhängig. Es gibt meist keine einzelne Ursache, erst das Zusammenwirken unterschiedlicher innerer Behandlung und Prognose und äußerer Faktoren lässt eine Depression entste- Depressionen sind heute in den meisten Fällen gut hen. Dazu zählen eine besondere anlagebedingte behandelbar. Sie werden i. d. R. mit einer Kombi- Verletzlichkeit und eine ausgeprägte Feinfühligkeit, nation aus Medikamenten (Antidepressiva) und d.h. sensible, dünnhäutige Menschen laufen eher psychotherapeutischen Verfahren behandelt. Wei- Gefahr, psychisch zu erkranken, da sie sich durch tere unterstützende Methoden sind Entspannungs-, Faktoren wie z. B. Stress oder negative Lebens- Ergo- oder Bewegungstherapie. Eine wichtige Rolle ereignisse stärker belastet fühlen und fortgesetzte bei der Behandlung spielt die Psychoedukation. Dar- Belastungen ihr Bewältigungsvermögen auf Dauer unter werden Interventionen zusammengefasst, die überfordern. darauf abzielen, Patienten und Angehörige über die Erkrankung zu informieren und den selbstverant- Diese Erklärung wird unter Fachleuten auch als das wortlichen Umgang des Betroffenen mit der Krank- „Vulnerabilitäts-Stress-Modell“ bezeichnet, d.h. auf- heit zu fördern. grund einer besonderen Verletzlichkeit besteht eine erhöhte Stressanfälligkeit. Auslöser für eine depres- 60 bis 80 Prozent der Betroffenen kann geholfen werden, wenn eine Behandlung nach geltenden Richtlinien erfolgt. Wichtig ist dabei, dass der an Depression Erkrankte die Behandlung mitträgt und nicht zu früh abbricht.
Krankheitsbilder und Auswirkungen im Arbeitsleben 19 ■ Bipolare Störungen (manisch-depressive Erkrankungen) Eine besondere Form der affektiven Störungen im Arbeitsumfeld voller Tatendrang und Euphorie. sind die sogenannten bipolaren affektiven Störun- Sie schlafen wenig, sind voller Energie, heiter, arbei- gen, die früher manisch-depressive Erkrankungen ten exzessiv mit hektischer Aktivität, jedoch häufig hießen. In Deutschland leben ca. zwei Millionen mit fehlender Kontinuität. Das Denken ist beschleu- Menschen, die von der Störung betroffen sind. Die nigt, der Rededrang gesteigert, das Selbstwert- Erkrankten schwanken zwischen Trübsinn und Eu- gefühl gehoben bis übersteigert. Die Betroffenen phorie, d.h. neben depressiven Phasen treten Episo- erleben eine Steigerung des Lebensgefühls, am den besonderer Aktivität und gehobener Stimmung Arbeitsplatz wirken sie auf Kollegen wie der „Hans auf. An bipolaren Störungen erkrankte Personen Dampf“ voller Kraft und Überzeugung und sie gel- haben ein 30fach erhöhtes Suizidrisiko gegenüber ten als engagierte Mitarbeiter. Je nach Ausprägung der Normalbevölkerung. Bei vielen Betroffenen be- des Krankheitsbildes kann auch die gereizte Stim- stehen die Episoden in sich lang hinziehenden De- mungslage im Vordergrund stehen und es kommt pressionen und vergleichsweise kurzen und hefti- vermehrt zu Konflikten mit Kollegen. Problematisch gen manischen (euphorischen) Phasen oder in einer im privaten Umfeld wie im Arbeitsbereich sind die ständigen Unausgeglichenheit der Stimmungslage. unüberschaubaren finanziellen Aktionen und Unter- Die Episoden lassen sich nicht immer klar vonein- nehmungen, zu denen es in der manischen Phase ander abgrenzen. Die Dynamik der depressiven und kommen kann und die häufig für alle Beteiligten manischen Denkmuster bewegt sich dabei zwischen gravierende Folgen haben. Selbstentwertung und Selbstüberschätzung, im Volksmund mit „Himmel hoch jauchzend, zu Tode Ursachen betrübt“ bezeichnet. Wie bei den Depressionen und anderen psychi- schen Erkrankungen sind die Ursachen von vielen Symptome Faktoren abhängig und liegen in einer vermuteten Die häufigsten Symptome einer bipolaren Erkran- anlagebedingten Verletzlichkeit, einer biologisch- kung sind wie bei der depressiven Erkrankung u. a. genetischen Empfänglichkeit und Störungen des Schlafstörungen, Ängste, Unruhe, Antriebsarmut Hirnstoffwechsels, wie sie auch bei den Auslösern und Gefühlshemmungen, Interesselosigkeit und für eine depressive Erkrankung vermutet werden. Selbstwertprobleme. In der manischen Phase treten u. a. euphorische Emotionen, übersteigerte Aktivi- Behandlung und Prognose tät, plötzlich gereizte, gelegentlich auch aggressive Eine bipolare affektive Störung ist eine behand- Stimmungslage auf. Das Schlafbedürfnis ist gemin- lungsbedürftige Erkrankung und kann mit medi- dert, im motorischen Bereich weisen die Betroffe- kamentöser Therapie, mit Psychotherapie (häufig nen eine große Unruhe mit Sprunghaftigkeit im Verhaltenstherapie) und Psychoedukation meistens Handeln auf. effektiv behandelt werden, sodass sich die Sym- ptome zurückbilden. Dennoch kann es vor allem Die Symptome variieren je nach Ausprägung des bei schwereren Erkrankungen häufig zu Rückfällen Krankheitsbildes und können sich je nach Persön- kommen. Wichtig sind dabei ein frühzeitiges Erken- lichkeit des Betroffenen unterschiedlich darstellen. nen der Erkrankung und ein intensives Mitarbeiten der Betroffenen auch über die akute Krankheitspha- Manie im Arbeitsbereich se hinaus. In der Stabilisierungsphase sollte die Be- In der manischen Phase sind die betroffenen Men- handlung fortgeführt werden, um Rückfälle soweit schen nicht nur im privaten Bereich sondern auch möglich zu vermeiden.
20 Krankheitsbilder und Auswirkungen im Arbeitsleben ■ Angststörungen Angst ist Teil des menschlichen Lebens, ein hilfrei- störung) und die Phobien. Phobien sind starke und ches, oft lebenswichtiges Signal des Körpers und unangemessene Ängste, die sich auf bestimmte eine biologisch sinnvolle Reaktion, die den gesam- Objekte oder Situationen beziehen, z. B. Klaustro- ten Organismus auf ein schnelles Reagieren in einer phobie (Furcht vor beengten Räumen). Eine Unter- Gefahrensituation vorbereitet. scheidung zwischen den Angststörungen kann nicht immer scharf getroffen werden. Von Angststörungen spricht man dann, wenn sehr heftigen Angstreaktionen keine entsprechenden Ge- Symptome fahren oder realen Bedrohungen zugrunde liegen. Symptome der Angst und Panik, oft nur schwer von- Der Übergang von der normalen Angst zur behand- einander abzugrenzen, sind häufig Störungen, die lungsbedürftigen Krankheit ist fließend. Bis eine am ganzen Körper auftreten und von Person zu Per- Angststörung diagnostiziert wird, vergehen in der son sehr unterschiedlich sein können. Beispielhaft Regel mehrere Jahre. Anhaltspunkt für eine krank- seien hier genannt: Schlafstörungen, Schwindel, hafte Störung kann sein, dass Angstgefühle über Herzrasen, Zittern, Erröten, Störungen im Magen- eine längere Dauer, zu oft und zu stark auftreten und Darm-Bereich und Störungen im Bereich geistiger ohne fremde Hilfe nicht mehr bewältigt werden kön- Funktionen wie Gedächtnisstörungen. Auch Ent- nen. Die Angst davor, dass die Symptome auftreten fremdungssymptome oder Unruhe können Sympto- könnten, die „Angst vor der Angst“, ist stark ausge- me einer Angsterkrankung sein. Die Diagnose wird prägt und der betroffene Mensch zieht sich zuneh- häufig sehr spät gestellt, da die körperlichen Sym- mend aus seinem sozialen Umfeld zurück. Angst- ptome im Vordergrund stehen. Fast alle Menschen auslösende Situationen werden vermieden und kennen Symptome der Angst aus eigenem Erleben, häufig beginnen Versuche der Selbstbehandlung ohne jedoch an einer Angststörung zu leiden. mit Alkohol und Drogen. Angststörungen haben in den westlichen Industrieländern auch aufgrund von Angststörungen im Arbeitsbereich Arbeitsdruck und damit verbundener Zeitknappheit Angststörungen können eine beträchtliche Auswir- stark zugenommen. Etwa 14,5 Prozent der Bevölke- kung auf die Lebensqualität der betroffenen Men- rung erleben mittlerweile innerhalb eines Jahres- schen haben. Sie sind abhängig von der Art und zeitraums Angststörungen. Frauen sind häufiger Schwere der Erkrankung. Eine Störung – wie an den betroffen als Männer. Panikattacken von Klaus Kraft dargestellt – führt z. B. dazu, dass die Erkrankten mehr und mehr versu- Es gibt verschiedene Angststörungen, u. a. die soge- chen, Angst auslösende Situationen zu vermeiden, nannte generalisierte Angststörung, d. h. die Betrof- sich aus ihrem sozialen Bezugsfeld zurückzuziehen fenen leiden unter unaufhörlichen Sorgen und einer und sich zu isolieren. Wird eine Angsterkrankung zu Dauerangst, die Panikstörungen mit Panikattacken spät als solche erkannt, kann dies im Extremfall zum aus heiterem Himmel, die Belastungsstörungen Verlust des Arbeitsplatzes und damit verbunden nach einem Trauma (posttraumatische Belastungs zum sozialen Abstieg des Betroffenen führen.
Krankheitsbilder und Auswirkungen im Arbeitsleben 21 Wie bei den depressiven Erkrankungen können die Behandlung und Prognose betroffenen Menschen im Kollegenkreis häufig auf Behandelnde Ärzte und Therapeuten machen im- Unverständnis stoßen und das „Nichtkönnen“ der mer wieder die Erfahrung, dass weniger die Ursa- Angsterkrankten wird als ein „Nichtwollen“ inter- chen als die aktuellen Lebensbedingungen und die pretiert, der Betroffene als Simulant und Drücke- Vorbehandlung einen großen Einfluss darauf haben, berger angesehen. Bei der häufigsten Störung aus wie der Betroffene seine Krankheit lebt und erlebt. diesem Bereich, der Sozialphobie, haben die Betrof- fenen Angst, in der Öffentlichkeit zu versagen, z. B. Die hauptsächlich eingesetzte Therapie bei Angst- vor den Kollegen, dem Vorgesetzten zu stottern, zu störungen ist die Verhaltenstherapie. Der Betroffene stolpern oder sich lächerlich zu machen. Häufig tre- erlernt in Angst besetzten Situationen durch sorg- ten mehrere Angststörungen in Kombination mitei- fältig geplante Therapieschritte ein neues Verhalten. nander auf. Andere psychotherapeutische Methoden kommen ebenfalls zum Einsatz, so z. B. gesprächstherapeu- Ursachen tisch orientierte Methoden sowie Entspannungs- Die Ursachen für Angst- und Panikstörungen oder verfahren. In der Behandlung mit Medikamenten Phobien sind nicht eindeutig geklärt, es gibt nicht spielen heute vor allem zwei Gruppen von Psycho- eine Ursache, sondern so viele Ursachen, wie es pharmaka (Medikamente, die auf die Psyche wirken) verschiedene Menschen gibt. Diskutiert werden ver- eine Rolle: die Antidepressiva, die ursprünglich zur schiedene Hypothesen: Behandlung von Depressionen entwickelt wurden und die Tranquilizer. Die Tranquilizer werden zur Ein Ansatz besagt, dass die Angst eine erlernte Ver- Akutbehandlung und nur zur Überbrückung emp- haltensweise ist, z. B. wenn ein Kind die Angst vor fohlen, solange bis die Wirkung des Antidepres- einem Gewitter über das „Modell“ der Mutter „er- sivums einsetzt, da die meisten Tranquilizer eine lernt“. Eine zweite Hypothese besagt, dass es mög- Sucht auslösende Wirkung zeigen. licherweise eine ererbte Neigung gibt, eine Angst- störung zu entwickeln. Eine weitere Hypothese sieht Bei einer Angststörung steht häufig die körperliche in übermäßigem Stress, lang anhaltenden Belastun- Symptomatik im Vordergrund und die hinter den gen oder Überarbeitung Risikofaktoren für den Aus- körperlichen Beschwerden liegende Angsterkran- bruch einer Angsterkrankung. kung wird oft zu spät diagnostiziert. So besteht die Gefahr, dass die Erkrankung chronisch wird. Je frü- her die Diagnose und der Beginn der Behandlung erfolgten, umso günstiger ist die Prognose.
22 Krankheitsbilder und Auswirkungen im Arbeitsleben ■ Schizophrenie Die Schizophrenie gilt als die bekannteste psychi- religiöse oder politische Berufung, Verfolgungs- sche Erkrankung und zählt zum Krankheitsbild der ängste und Denkstörungen, verbunden mit dem Ge- Psychosen. Der Begriff Schizophrenie lässt sich fühl, andere könnten die eigenen Gedanken mitden- mit „gespaltene Seele“ übersetzen, bedeutet aber ken. Optische und akustische Halluzinationen und nicht „Persönlichkeitsspaltung“, wie früher oft be- Illusionen können auftreten, häufig verbunden mit hauptet wurde. Beschrieben wird mit dem Begriff körperlichen Symptomatiken wie Schlafstörungen, „schizophren“ das Vorhandensein von zwei für den Herzklopfen oder Zittern. Betroffenen nebeneinander existierenden Wahr- nehmungswelten. Schizophrenie ist eine kulturun- Die Symptome einer Schizophrenie wirken auf die abhängige Erkrankung, d. h. sie ist auf der ganzen Umgebung sehr absonderlich und beängstigend. Welt bei ca. einem Prozent der Bevölkerung zu fin- Vor allem das Erleben, dass für den Betroffenen ne- den. Die Schizophrenie kann leicht oder schwer, ben der von der Mehrheit wahrgenommenen Wirk- akut oder schleichend sein. Sie kann ausheilen, in lichkeit zusätzlich eine andere Realität existiert, ver- einer einmaligen Episode verlaufen oder chronisch unsichert Angehörige, Freunde und Kollegen sehr werden. Der Beginn einer Schizophrenieerkrankung stark. Für den Umgang mit Betroffenen ist es wich- liegt häufig zwischen der Pubertät und dem 30. Le- tig zu wissen, dass diese aufgrund ihrer veränder- bensjahr. Oft sind junge Menschen in sich verän- ten Wahrnehmung oft von starken Ängsten geplagt dernden Lebenssituationen betroffen, z. B. am Be- sind. Die Ängste können sich auf alle Lebensbe- ginn einer Ausbildung, am Ende des Studiums oder reiche beziehen. Es kann sich Angst vor Personen, in der Wehrdienstzeit. Gegenständen, Stimmen, Geräuschen oder Angst vor Verfolgung entwickeln. Die Intelligenz ist bei der Symptome Schizophrenie nicht beeinträchtigt, allerdings kann Psychosen beginnen in der Regel schleichend. Die die Fähigkeit, das intellektuelle Potential zu aktivie- ersten Anzeichen treten oft über Jahre auf und ren, gemindert sein. werden häufig nicht als Symptome einer Erkran- kung erkannt. In einer akuten Phase unterscheidet Die Schizophrenie im Arbeitsbereich man Negativ- und Positivsymptome. Bei den Ne- Bei einsetzender Positivsymptomatik wird im Ar- gativsymptomen kommt es zu Aktivitätsverlust in beitsbereich wie im privaten Umfeld meist schnell bestimmten Bereichen, z. B. Antriebsarmut und offensichtlich, dass mit dem Betroffenen etwas nicht Gefühlsveränderungen wie Gereiztheit, Niederge- in Ordnung ist. Da psychotische Erkrankungen sich schlagenheit oder Abschwächung aller Gefühls- bei verschiedenen Menschen sehr unterschiedlich empfindungen. Im sozialen Bereich erschwert die darstellen, können die Betroffenen auch mit sehr Beeinträchtigung des Denkens den Kontakt mit unterschiedlichen Frühwarnzeichen reagieren. Als anderen. Der Erkrankte wird – auch aufgrund des „Frühwarnzeichen“ werden individuelle Anzeichen Nichtverstehens des Verhaltens – häufig von seiner einer drohenden Überforderung bzw. eines Rück- Umwelt isoliert oder er zieht sich selbst zurück. falls bezeichnet. Für die Betroffenen und das Umfeld ist es wichtig, diese frühzeitig zu erkennen und da- Positivsymptome werden so genannt, weil ein Mehr rauf rechtzeitig und angemessen zu reagieren. Ne- an Merkmalen hinzukommt. Dies können z. B. sein: ben körperlicher Symptomatik wie Schlafstörungen, Wahnwahrnehmungen und Wahnvorstellungen wie Kopfschmerzen, Herzproblemen, die der Betroffene
Krankheitsbilder und Auswirkungen im Arbeitsleben 23 bei sich wahrnehmen kann, können im Arbeitsum- man vermutet eine Stoffwechselstörung im Gehirn. feld folgende sichtbare Veränderungen auftreten: Beim Ungleichgewicht bestimmter informations- vermehrtes Fehlen und häufigere Pausen, der Über- leitender Botenstoffe (wie z. B. Dopamin, Serotonin, blick über die Arbeitsbereiche geht verloren, der Glutamat) kann eine Schizophrenie auftreten. Auch Betroffene wirkt bei seiner Tätigkeit teilnahmslos, psychosoziale Faktoren wie Familienerfahrung, unkonzentriert und unstrukturiert. Häufig werden Schule, Ausbildung und Beruf können den Verlauf strenge Arbeitsrituale eingeführt. Bei Abweichung der Erkrankung beeinflussen. Organische Verände- wird der Betroffene in starke Unruhe versetzt. rungen oder Veränderungen durch Unfälle können ebenfalls das Auslösen einer Schizophrenie begüns- Bei steigendem psychischem Druck kann der Kon- tigen. Bei der Stabilisierung nach Eintritt der Erkran- sum von Alkohol und Drogen zunehmen. Regeln kung spielt ein positives soziales Umfeld eine wich- und Vorschriften, auch Sicherheitsvorschriften, kön- tige Rolle. Als gesichert gilt, dass der Gebrauch von nen missachtet werden. Kollegen und Mitarbeiter Drogen, auch von weichen Drogen und auch von nehmen bei dem Betroffenen mitunter ein unerklär- geringen Mengen, das Auftreten einer Schizophre- liches, plötzlich auftretendes Misstrauen bzw. eine nie begünstigen oder auslösen kann. Feindseligkeit wahr, die nicht durch Vorkommnisse am Arbeitsplatz erklärt werden kann. Der betroffe- Behandlung und Prognose ne Mitarbeiter scheint wie ausgewechselt, vermutet Bei der Schizophrenie steht die medikamentöse Be- hinter jedem Kollegengespräch eine Verschwörung. handlung mit Neuroleptika im Vordergrund der The- Gelegentlich führt dies auch zu nicht erklärbarem, rapie. Die Medikamente lindern die Symptome und aggressivem Verhalten des Betroffenen. Menschen erleichtern die weitere Begleitung und Behandlung mit depressiver Struktur ziehen sich eher aus sozi- der Erkrankung. alen Kontakten zurück. Insgesamt fällt der Betrof- fene mehr und mehr durch das Nachlassen seiner Eine psychotherapeutische Behandlung als unter- Arbeitsleistungen und durch Veränderung seines stützende Therapie versucht das Selbstbewusstsein Verhaltens auf, das krankheitsbedingt seiner willkür- des Betroffenen zu stabilisieren und die Persönlich- lichen Steuerung entzogen ist. keit zu stärken. Bei einem frühzeitigen Erkennen von Frühwarnsig- Eine Schizophrenie verläuft häufig in mehreren Epi- nalen kann eine Verschlimmerung verhindert bzw. soden, wobei sie bei einem Drittel der Erkrankten einem Rückfall vorgebeugt werden. nur einmalig auftritt. Bei zwei Dritteln der Betroffe- nen treten mehrmalige Episoden mit bleibenden Be- Ursachen einträchtigungen auf. Die Krankheit kann aber auf- Die Ursachen der Schizophrenie sind bis heute un- grund des therapeutischen Fortschrittes der letzten geklärt. Wie bei anderen psychischen Erkrankun- Jahrzehnte heute vielfach gut behandelt werden. gen kommt zu einer vermuteten angeborenen Ver- letzlichkeit und einer besonderen Sensibilität eine genetische Disposition hinzu. Es ist bekannt, dass Schizophrenie familiär gehäuft auftreten kann. Wei- terhin spielen biochemische Einflüsse eine Rolle,
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