Forschung für gesellschaftliche Innovationen an Fachhochschulen (FHs) - Potenziale, Rahmenbedingungen, Handlungsfelder

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Vol. 15, No. 12, 2020

                         akademien-schweiz.ch

Forschung für gesellschaftliche
              Innovationen an
       Fachhochschulen (FHs)
               Potenziale, Rahmenbedingungen,
                               Handlungsfelder
IMPRESSUM

HERAUSGEBERIN
Akademien der Wissenschaften Schweiz (a+) • Netzwerk für transdisziplinäre Forschung (td-net)
Haus der Akademien • Laupenstrasse 7 • Postfach • 3001 Bern • Schweiz
+41 31 306 93 60 • td-net@scnat.ch • transdisciplinarity.ch

ZITIERVORSCHLAG
Akademien der Wissenschaften Schweiz (2020) Forschung für gesellschaftliche Innovationen an Fachhoch­schulen
(FHs) – Potenziale, Rahmenbedingungen, Handlungsfelder. Swiss Academies Communication 15 (12)

AUTORINNEN · AUTOREN
Dr. Anke Kaschlik, Dozentin Community Development, Institut für Vielfalt und gesellschaftliche Teilhabe, Züricher
Hochschule der Angewandten Wissenschaften • Prof. Dr. Christoph Küffer, Professur für Siedlungsökologie, Institut
für Landschaft und Freiraum, Hochschule für Technik Rapperswil (ab 1.9.2020 Ostschweizer Fachhochschule) •
Prof. Dr. Sibylle Olbert-Bock, Institut für Qualitätsmanagement und Angewandte Betriebswirtschaft, ­Leitung Kom-
 petenzzentrum Leadership und Personalmanagement, Fachhochschule St. Gallen (ab 1.9.2020 Ostschweizer
­Fachhochschule) • Theres Paulsen, Leiterin Netzwerk für transdisziplinäre Forschung (td-net) • Dr. Sibylle Studer,
Projektleiterin Netzwerk für transdisziplinäre Forschung (td-net) • Prof. Dr. Ulrike Sturm, Leiterin Institut für Sozio-
kulturelle Ent­wicklung und Co-Leiterin Interdisziplinärer Themencluster Raum & Gesellschaft, Hochschule Luzern

BEITRAGENDE
Dieses Positionspapier wurde auf der Basis eines Werkstattgesprächs im Rahmen des Projektes td-net Toolbox
für die Koproduktion von Wissen erarbeitet, das am 21. Oktober 2019 im Haus der Akademien in Bern stattfand.
13 Personen aus den Fachhochschulen BFH, FHS, HSLU, HSR, ZHAW und weitere Vertreterinnen und Vertreter aus
der Wissenschaft sowie dem Schweizerischen Nationalfonds (SNF) waren daran beteiligt. Jedoch tragen die Auto-
rinnen und der Autor die alleinige Verantwortung für den Inhalt des Positionspapiers.

TITELBILD UND GRAFIK
Fabienne Paul
Im Auftrag des Interdisziplinären Themenclusters Raum & Gesellschaft, Hochschule Luzern

LAYOUT UND DRUCK
Ackermanndruck AG, Köniz

1. Auflage, 2020

CREATIVE COMMONS
http://creativecommons.org/licenses/by/4.0

ISSN (print) 2297-1793
ISSN (online) 2297-1807

DOI: doi.org/10.5281/zenodo.4090403                                                        SC2020102002
Forschung für gesellschaftliche
              Innovationen an
        Fachhochschulen (FHs)
               Potenziale, Rahmenbedingungen,
                               Handlungsfelder
Vorwort

Wir stehen vor der wichtigen aber auch schönen Her-           mation lancierte, appelliert sie in dem Bericht 2020 nun
ausforderung, nicht nur Wissen zu schaffen, sondern Er-       erneut zu mehr Transdisziplinarität in der Forschung. Die
kenntnisse in und mit der Gesellschaft und zu Gunsten der     gewählte, internationale Autorenschaft des Berichts be-
Gesellschaft umzusetzen. Diese innovativen wie transfor-      zog sich hierfür auf mehrere Schweizer Fallbeispiele aus
mativen Prozesse verlangen eine sehr enge Zusammenar-         dem ganzen Wissenschaftsbereich, vor allem auch aus
beit zwischen Wissenschaft und Gesellschaft, die neben        den Fachhochschulen (FH). Das spornt uns alle an, kon-
den technisch-wissenschaftlichen, auch die sozialen und       sequent den Pfad weiter zu gehen und damit die transdis-
politischen Ebenen erfasst. In der Hochschulforschung         ziplinäre Forschung auch fest in unseren Strukturen zu
werden Ansätze und Methoden entwickelt, um diese He-          verankern.
rausforderungen anzugehen. Wissen wird nicht im Elfen-
beinturm produziert, sondern mit Einbezug aller nötigen       Die Akademien der Wissenschaften Schweiz positionie-
disziplinären wie gesellschaftlichen Perspektiven. Es ent-    ren den Wissens- und Innovationsstandort Schweiz in
stehen systematische Verfahren, welche auch Prozesse
­                                                             der nationalen und internationalen Wissenschaftspolitik
des Aushandelns und Findens von Problemlösungen               und setzen sich gezielt für einen engagierten Dialog zwi-
umfassen. Forschende engagieren sich, um im Dialog mit        schen Wissenschaft und Gesellschaft ein. Wir vertreten
relevanten Akteurinnen und Akteuren ein Verständnis           die Wissenschaften institutionen- und fachübergreifend
für unterschiedliche Wissensbestände zu fördern, die Of-      und appellieren an ein gutes Zusammen-Wirken aller Ar-
fenheit für kulturelle und wertebasierte Vielfalt zu kul-     ten von Forschung an den unterschiedlichen öffentlichen
tivieren und dementsprechend Zukunftsvisionen sowie           Forschungs- und Hochschulinstitutionen. Diese Vielfalt
am Gemeinwohl orientiertes Transformationswissen zu           im System ist wichtig, denn nur durch sie entsteht eine
schaffen. Damit wandelt sich die Wissenschaftskultur          diverse Forschungslandschaft, die unsere Gesellschaft
und durch die gelebte Interdisziplinarität entstehen trans-   durch komplementäre Wirkungen zukunftsfähig macht.
disziplinäre Arbeitsformen: Durch methodologische Öff-        Mit dem vorliegenden Positionspapier fokussieren wir
nung werden Möglichkeiten und Grundlagen geschaffen           auf die Fachhochschulen und möchten sie dazu stimulie-
um pluralistische, vielfältige, dekoloniale und auf soziale   ren, ihre Rolle in der Forschung noch klarer zu definieren
Gerechtigkeit ausgerichtete Forschung voranzubringen.         und sich im weiten Spektrum wissenschaftlicher Ansätze
                                                              zu diversifizieren. Ausgangspunkt ist die Beobachtung,
Transdisziplinäre Forschung ist dann besonders wichtig,       dass das Potenzial von Fachhochschulen – mit ihrer sehr
wenn Antworten auf komplexe, sich schnell wandelnde           breiten Verankerung bei Fachleuten und in verschiedenen
gesellschaftliche Herausforderungen gesucht werden, die       Gesellschaftsschichten – im Hinblick auf die Weiterent-
verschiedenste Akteurinnen und Akteure mit zum Teil           wicklung von inter- und transdisziplinären Praktiken erst
gegensätzlichen Interessen betreffen. Gerade die aktuelle     nur begrenzt wahrgenommen und freigelegt wird. Hierfür
Sars-CoV-2/COVID-19 Situation zeigt solche gesellschaft-      sind auch die bestehenden Rahmenbedingungen und An-
lichen Zielkonflikte schonungslos und in einer für alle       reize in Frage zu stellen.
Gesellschaftsschichten erfahrbaren Weise auf. Fragmen-
tierte wissenschaftliche (Politik-)beratung hilft in diesen   Die Fachhochschulen sollten gemäss Forschungsgesetz
Situationen nie und kann die Abwägungsprobleme nur            «gleichwertige, aber andersartige» Forschung betreiben.
sehr bedingt entschärfen. Transdisziplinäre Ansätze kön-      Im Bereich der technischen Innovationen tun sie das be-
nen hier wirksam einen Beitrag leisten, zum Beispiel in-      reits sehr erfolgreich, wie auch im Wettbewerb um öffent-
dem sie relevante ausserakademische Akteurinnen und           liche Forschungsmittel deutlich wird. Im Bereich der so-
Akteure bereits bei der Problemstrukturierung einbinden       zialen Innovationen und gesellschaftlichen Lernprozesse
und in einem iterativen Prozess vorgeschlagene Lösungen       sind Fachhochschulen ebenfalls engagiert, jedoch zeigt
«in und mit der Praxis» validieren.                           vorliegender Bericht auf, dass noch reicher und berei-
                                                              chernder Handlungsbedarf besteht, damit sie zu noch be-
Die Schweizer Forschungslandschaft prägt seit einem hal-      deutenderen Partnern werden, die eine komplementäre
ben Jahrhundert die transdisziplinäre Forschung. Auch         Rolle in der kompetitiven Forschungslandschaft spielen
im kürzlich veröffentlichen Bericht der OECD zu Trans-        vermögen. Für die hierzu zu stärkende transdisziplinäre
disziplinarität hat sich die Schweiz prominent platziert.     Ausrichtung der Forschung an FHs können Handlungs-
Nachdem die OECD bereits in den 70er Jahren die Diskus-       felder benannt werden. Daher mögen Forschende, Hoch-
sion um den wissenschaftlichen Beitrag zu gesellschaftli-     schulleitende, und Verantwortliche der nationalen For-
chen Innovationen und einer zukunftsfähigen Transfor-         schungspolitik ihre Gestaltungsoptionen noch aktiver
Swiss Academies Communications, Vol. 15, Nr. 12, 2020   5

wahrnehmen, was entscheidend helfen wird, die Schweiz
weiterhin innovationskräftig und vor allem auch nachhal-
tig zu gestalten!

Die Akademien verstehen sich als Dialogplattform und
möchten den Diskurs über die Verbesserungen bestehen-
der Praktiken in der Schweizer Forschungslandschaft
begleiten und anregen. Auch wenn sich gesunder Wett-
bewerb zwischen Forschenden und Forschungsinstitu-
tionen als wesentlicher Motor wissenschaftlicher Qua-
lität und vitaler Innovationskraft bewährt hat, treten die
Akademien für eine kooperative Weiterentwicklung des
Forschungsplatzes Schweiz und das Schaffen von gleich
langen Spiessen für alle Beteiligten ein. Den vorliegen-
den Bericht verstehen wir als Ausgangspunkt für nächste
Schritte. Die Akademien loten in diesem Zusammenhang
bereits ihren Handlungsspielraum in Bezug auf die Beset-
zung ihrer Milizgremien aus.

Wir wünschen uns, dass Sie den vorliegenden Bericht als
einen Beitrag für das gemeinsame Wirken aufnehmen und
wir freuen uns, den noch vor uns liegenden Pfad mit Ihnen­
zu gehen.

Theres Paulsen, Leiterin td-net

Marcel Tanner, Präsident der Akademien
der Wissenschaften Schweiz
Swiss Academies Communications, Vol. 15, Nr. 12, 2020   7

Inhaltsverzeichnis

Executive Summary����������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������8

1         Einleitung������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������10

2         Forschung für gesellschaftliche Innovationen und Transformationsprozesse –
          Ansätze aus der TD-Forschung������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������ 12
2.1       Definition von transdisziplinärer Forschung ������������������������������������������������������������������������������������������������������������ 12
2.2       Transdisziplinäre Forschung für gesellschaftliche Innovationen������������������������������������������������������������������ 14

3         Potenzial der FHs für TD-Forschung und den Forschungsplatz Schweiz������������������������������������������������ 15
3.1       Potenziale der Forschung an FHs für TD-Forschung������������������������������������������������������������������������������������������� 15
3.2       Nutzungs- und Nutzenbeispiele der Forschung an FHs�������������������������������������������������������������������������������������16
3.3       Gemeinsame Lernprozesse führen zu fundiertem und breit akzeptiertem Handlungswissen����� 17

4         Bestehende Rahmenbedingungen����������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 17
4.1       Anerkennung der TD-Forschung in der Schweiz����������������������������������������������������������������������������������������������������� 17
4.2       Möglichkeiten zur wissenschaftlichen Vernetzung und Zusammenarbeit���������������������������������������������18
4.3       Verfügbare Ressourcen�����������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������18

5         Identifizierte Handlungsfelder��������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������19
5.1       Vom Potenzial zur theorie- und methodengeleiteten TD-Forschung an FHs��������������������������������������19
5.2       Handlungsfelder, um das Potenzial der FHs für TD-Forschung in der Schweizer
          Forschungslandschaft freizulegen�����������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������19
          5.2.1 Gesellschaftspolitischer Diskurs über neue Formen von Forschung zur Stärkung
                der Wertschätzung von TD-Forschung�������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 20
          5.2.2 Strategische Verankerung von TD-Forschung������������������������������������������������������������������������������������������������ 21
          5.2.3 Kapazitäten für auftragsübergreifende Forschung schaffen������������������������������������������������������������������ 21
          5.2.4 Diversifizierung der Anreizstrukturen������������������������������������������������������������������������������������������������������������������22
          5.2.5 Anpassungen bestehender Förderinstrumente���������������������������������������������������������������������������������������������23
          5.2.6 Neue komplementäre Förderinstrumente���������������������������������������������������������������������������������������������������������24

6         Ausblick��������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 25

7         Referenzen�������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 26
8      Forschung für gesellschaftliche Innovationen an FHs. Potenziale, Rahmenbedingungen, Handlungsfelder

Executive Summary

Will die Gesellschaft sozial-robuste gesellschaftliche,                                  interdisziplinäre Integration, eine kritische und fallüber-
langfristig am Gemeinwohl orientierte Innovationen ent-                                  greifende Prüfung von Wissen auf Übertragbarkeit, die
wickeln und gesellschaftliche Transformationsprozesse                                    Entwicklung von Grundlagen zu Problemlösungen, Me-
entlang der internationalen Nachhaltigkeitsziele (SDGs)                                  thodenentwicklung etc. TD-Forschung ist auch in beson-
fördern, muss sie sich mit den aktuellen komplexen Her-                                  derem Mass auf Unabhängigkeit von der Finanzierung
ausforderungen in ihrem jeweiligen Kontext beschäftigen.                                 durch einzelne interessensgeleitete Auftraggeber ange-
Hierfür braucht es eine Forschungslandschaft, in welcher                                 wiesen.
verschiedene akademische und nichtakademische Insti-
tutionen sowie Akteurinnen und Akteure gleichberechtigt                                  FHs haben den gesetzlichen Auftrag, in der Schweizer
und gemeinsam zur Produktion, Validierung, Innovation                                    Forschungslandschaft eine komplementäre Position zu
und Anwendung von Wissen beitragen (die sogenannte                                       den Universitäten einzunehmen. Diese gleichwertige ge-
Mode 2 Wissensproduktion1). Die Realitäten der Wissens-                                  genseitige Ergänzung ist für die TD-Forschung wertvoll.
gesellschaft und ihre Erwartungen an Forschende verlan-                                  Die spezifischen Kompetenzen und Stärken der For-
gen auch ein gewandeltes Verständnis der Rolle der For-                                  schung an FHs liegen im Wesentlichen darin, dass:
schung an Fachhochschulen (FH). Darauf fokussiert das                                    – Forschung und Lehre eng mit der Praxis verzahnt und
vorliegende Positionspapier.                                                               von interdisziplinärer Zusammenarbeit geprägt sind;
                                                                                         – FHs mit Akteurinnen und Akteuren von hoher sozio­
Für die Bearbeitung gesellschaftlicher Herausforde-                                        ökonomischer Diversität (u.a. verschiedenen Berufs-
rungen ist transdisziplinäre Forschung (im Folgenden                                       gruppen) stark vernetzt sind und so die Akzeptanz von
TD-Forschung) ein erfolgversprechender Ansatz. Dieser                                      Forschungsergebnissen und Methodenkompetenz breit
unterstützt den wechselseitigen Wissensaustausch und                                       in der Schweizer Gesellschaft verankern;
eine kontinuierliche Ko-Produktion von Wissen an den                                     – FHs aufgrund langjähriger gemeinsamer Forschungs-
verschiedenen Schnittstellen zwischen Wissenschaft                                         und Lehrerfahrungen von Vertretenden verschiedener
und Gesellschaft und ermöglicht gleichzeitig eine kriti-                                   Disziplinen über das notwendige gegenseitige Verständ-
sche, theoriebasierte und interdisziplinäre Wissenssyste-                                  nis disziplinärer Sicht- und Handlungsweisen verfü-
matisierung und -validierung sowie einen ergebnisoffe­                                     gen;
nen,­suchenden Forschungsprozess. Obwohl eine Mode 2                                     – FHs langjährige Erfahrung in begleitender Interventi-
Wissensproduktion im Schweizer Bundesgesetz über die                                       onsforschung, experimenteller Entwicklung und parti-
Förderung der Forschung und der Innovation (FIFG) vorge-                                   zipativer, kooperativer Forschung haben, die oft an den
sehen ist, und TD-Forschung inzwischen von internatio-                                     spezifischen Bedürfnissen von konkreten Wissensnut-
nalen Gemeinschaften und Förderinstitutionen vermehrt                                      zenden orientiert ist (anwendungsorientierte For-
gewürdigt wird, ist diese Art von Forschung noch immer                                     schung);
weit weniger anerkannt als klassische Forschungsansätze,                                 – FHs sich an Schnittstellen zwischen Grundlagenfor-
die oft disziplinär sind und auf einem linearen Wissens-                                   schung und Praxis positionieren: Sie bringen in ihrer
und Technologietransfer von der Grundlagenforschung                                        Wissensproduktion spezifisches Fachwissen mit einem
via angewandter Forschung zur Praxis beruhen. Die be-                                      breiten Verständnis der Zusammenhänge in der Praxis
stehenden Finanzierungs- und Anreizsysteme unterstüt-                                      zusammen.
zen zentrale Arbeitsprozesse der TD-Forschung nicht
ausreichend. Dies betrifft insbesondere die mit mehre-                                   Aus den oben genannten Kompetenzen und Stärken wer-
ren Anspruchsgruppen gemeinsame Formulierung von                                         den die Potenziale der FHs für TD-Forschung ersicht-
Forschungsfragen, partizipative und rekursive Prozesse,                                  lich. Die Position der FHs befähigt sie zu einem «selbst-
                                                                                         verständlichen» transdisziplinären Dialog sowie zum
                                                                                         Theo­rie-Praxis-Dialog (insbesondere in Bezug auf gesell-
1   Die Mode 2 Wissensproduktion, d.h. «The New Production of Knowledge»,
    so der Titel der Monographie von Gibbons, M. et al. (1994), ist vom traditio­–
                                                                                         schaftliche Innovationen und Transformationsprozesse
    nellen Modus der Wissensproduktion (Mode 1) grundlegend verschieden:                 im Bereich der SDGs wie z.B. Landschaftsentwicklung).
    Universitäten verlieren ihre Monopolstellung als zentraler Ort der gesell–
    schaftlichen Wissensproduktion; gesellschaftliche Nützlichkeitskriterien
                                                                                         Allerdings wird dieses Potenzial noch zu wenig genutzt,
    treten an die Stelle der zweckfreien Naturerkenntnis; die Bedeutung                  was wohl zum grossen Teil an den bestehenden Rahmen-
    wissenschaftlicher Disziplinen schwindet zugunsten transdisziplinärer
    Forschungszusammenhänge; wissenschaftsinterne Kriterien und Verfahren
                                                                                         bedingungen liegt.
    der Qualitätssicherung werden durch die Orientierung an politischen,
    wirtschaftlichen und sozialen Bewertungen aufgeweicht; ebenso nimmt
    die soziale Verantwortlichkeit und Reflexivität der am Forschungsprozess
    Beteiligten zu.
Swiss Academies Communications, Vol. 15, Nr. 12, 2020   9

Handlungsfelder und Zielsetzung                                VI. Neue komplementäre Fördergefässe: Eine eigene Linie
                                                                   entwickeln
Um die Stärken der FHs für gesellschaftliche Innovatio-           Es gibt Fördergefässe, die TD-Forschung direkt an-
nen mittels TD-Forschung zu katalysieren und diese im             sprechen, neben den Ressourcen für die Problemana-
Schweizer Forschungsplatz zu verankern, formuliert die            lyse verstärkt Ressourcen für das gemeinsame Prob-
ad hoc Arbeitsgruppe Ziele in sechs Handlungsfeldern:             lemframing sowie die Methodenentwicklung und die
                                                                  Theoriebildung an FHs bereitstellen und die Vernet-
I.   Gesellschaftspolitischer Diskurs: Raus aus der Nische –      zung von FHs in der wissenschaftlichen TD Commu-
     rein in den Mainstream                                       nity stärken.
     Die Notwendigkeit und der Mehrwert von neuen For-
     men von Forschung (Mode 2) und die Wertschätzung
     von TD-Forschung für gesellschaftliche, langfristig       Prozessdynamik sowie Akteurinnen und Akteure
     am Gemeinwohl orientierte Innovationen finden ver-
     mehrt Eingang in gesellschafts- und wissenschaftspo-      Die genannten Handlungsfelder basieren auf einer Diskus-
     litische Diskurse.                                        sion der Herausforderungen der Forschung an Fachhoch-
                                                               schulen und insbesondere deren Beitrag an TD-Forschung
II. Strategische Verankerung: Expertise-übergreifende          an einem Workshop des Netzwerks für Transdisziplinäre
    Wirkung ermöglichen                                        Forschung (td-net) der Akademien der Wissenschaften
     Die Relevanz von «Grundlagenforschung zu Praxis-          Schweiz mit Vertreterinnen und Vertretern von Schwei-
     problemen» und TD-Forschung, die eine Zusammen-           zer FHs. An diesem Werkstattgespräch wurden zudem
     arbeit über bestehende Organisationseinheiten hinweg      Gestaltungsoptionen gesammelt und diskutiert, bei wel-
     bedingt, sowie das dazugehörige Qualitätsverständnis      chen Akteurinnen und Akteure besonderen Handlungs-
     sind geklärt und explizit strategisch verankert.          spielraum haben.

III. Kapazitäten für auftragsübergreifende Forschung:          Mit diesem Positionspapier möchten wir nicht zuletzt
     Ressourcengestärkt in die Zukunft                         weitere Akteurinnen und Akteure wie Non-Profit-Orga-
     FHs verfügen über Kapazitäten, um auf projekt- bzw.       nisationen, aber auch Vertretende von Verwaltung und
     auftragsspezifischen Forschungsergebnissen aufzu-         Sozial­unternehmen dazu animieren, sich künftig noch
     bauen und die Koppelung von angewandter Forschung         stärker in Koproduktionsprozesse mit TD-Forschenden
     & Entwicklung mit angewandter Grundlagenfor-              an FHs einzubringen.
     schung und somit einen Beitrag zum Allgemeinwohl
     zu gewährleisten.                                         Die so vorgeschlagene erste Auslegeordnung von Gestal-
                                                               tungsoptionen soll als Einladung an Akteurinnen und
IV. Diversifizierung der Anreizstrukturen: Profilbildung und   Akteure des Schweizer Forschungsplatz verstanden wer-
    Einfluss                                                   den, den Dialog über die Stärkung der transdisziplinären
     TD-Forschung trägt zu karriererelevanter Profilbil-       Forschung für gesellschaftliche Innovationen und das zu-
     dung an der Schnittstelle von Forschung und Gesell-       künftige Zusammenwirken mit FHs aktiv fortzusetzen.
     schaft bei. Dies wird möglich durch Anpassen der
     Anreizstrukturen und Repräsentanz in akademischen         In einem nächsten Schritt werden weitere Personen aus
     Milizgremien, die den zeitlichen Aufwand für Aus-         Hochschulen, dem ETH-Bereich (u.a. WSL, EAWAG), bei
     handlungsprozesse um Gesellschaftsrelevanz würdi-         swissuniversities, SNF, Innosuisse und den Akademien
     gen.                                                      eingeladen, diese erste Auslegeordnung von Gestaltungs-
                                                               optionen auf nationaler Ebene weiter zu entwickeln.
V. Anpassungen bestehender Förderinstrumente: Gesell-
   schaftliche Relevanz – vom Add-On zum Add-In
     Förderkriterien bestehender Förderinstrumente ori-
     entieren sich auch an der gesellschaftlichen Relevanz
     sowie der Ressourcenausstattung der Beteiligten und
     ermöglichen ergebnisoffene und am Gemeinwohl ori-
     entierte TD-Forschung an FHs.
10     Forschung für gesellschaftliche Innovationen an FHs. Potenziale, Rahmenbedingungen, Handlungsfelder

1        Einleitung

In modernen Wissensgesellschaften ist die Produktion,                                    Forschungswelt hält sich allerdings hartnäckig ein tra-
Validierung und Anwendung von Wissen auf verschie-                                       ditionelles, vorwiegend lineares Forschungsverständnis,
dene Institutionen und Akteurinnen und Akteure in der                                    das Grundlagenforschung ausschliesslich den universi-
Gesellschaft verteilt, u.a. auf Hochschulen und öffentlich                               tären Hochschulen zugesteht und den Fachhochschulen
finanzierte Forschungsanstalten, Forschung und Entwick-                                  ausschliesslich eine Rolle in angewandter Forschung zu-
lung in der Privatwirtschaft (von Industrie bis Beratungs-                               schreibt. Dies obwohl die neuen Realitäten der Mode 2
firmen) und die Zivilgesellschaft. Diese Form der verteil-                               Wissensproduktion immer deutlicher werden, zum Bei-
ten Wissensproduktion wurde 1970 mit der OECD-Tagung                                     spiel durch einen wachsenden Klärungsbedarf von kom-
«Towards Interdisciplinarity and Transdisciplinarity in                                  plexen Grundlagenfragen, die in der alltäglichen Realität
Education and Innovation» auf die wissenschaftspoliti-                                   der Praxis und Gesellschaft verankert sind, oder durch
sche Agenda gesetzt. Seit den 1990er-Jahren haben sich                                   eine Annäherung der Grundlagenforschung an die Pri-
eine Forschungsgemeinschaft und Fachkompetenzen zu                                       vatwirtschaft (z.B. Technologietransfer, Spin-Off Firmen)
Forschung in komplexen gesellschaftlichen Kontexten                                      oder gesellschaftliche und politische Diskurse (z.B. Coro-
entwickelt. Wichtige konzeptionelle Grundlagen wurden                                    na-Pandemie) (Küffer et al. 2017).
erarbeitet. Begriffe wie Inter- und Transdisziplinarität
(Jantsch 1970; Mittelstrass 1992; ProClim & Schweizeri-                                  Die Akademien der Wissenschaften Schweiz unterstützen
sche Akademie der Naturwissenschaften 1997, Bergmann                                     die Weiterentwicklung des Forschungsplatzes Schweiz.
et al. 2005), problemorientierte Forschung (Stärk 2007),                                 Sie setzen sich seit 2003 explizit für mehr Transdiszip-
Mode 2 Forschungskontexte (Gibbons et al. 1994) haben                                    linarität in den Wissenschaften ein. Im Oktober 2019 lud
sich seither breit etabliert. Neue Ansätze wie transdiszi-                               ihr Netzwerk für Transdisziplinäre Forschung, td-net,
plinäre Forschung oder Reallabor-Forschung haben dafür                                   zum offenen «Werkstatt-Gespräch Transdisziplinarität
neue Prozesse entwickelt, bei welchen                                                    (TD): Potenzial und Grenzen der Fachhochschul-For-
– die Theoriebildung und konzeptionelle Strukturierung                                   schung und ihre Vernetzung in der TD-Community».
   von Forschungsproblemen,                                                              Vertreterinnen und Vertreter der Fachhochschulen (FH)
– die Systematisierung und Validierung von Wissen,                                       aus Bern, Luzern, Rapperswil, St. Gallen und Wintert-
– die normative und kritische Begleitung von Innova­                                     hur/Zürich konnten sich an der Diskussion beteiligen.
   tionsprozessen in der Praxis und                                                      Am Werkstattgespräch wurden Handlungsfelder zur Ver-
– die Anwendung von Wissen                                                               besserung des FH-Engagements in der transdisziplinären
in einem kontinuierlichen und wechselseitigen Prozess                                    Forschung (TD-Forschung) identifiziert, die dafür nötigen
zwischen Forschung, praxisnaher Wissensproduktion,                                       Rahmenbedingungen beleuchtet, sowie Gestaltungsopti-
Praxis und Gesellschaft stattfinden.                                                     onen in Bezug auf TD-Forschung an FHs abgeleitet und
                                                                                         an verschiedene Akteurinnen und Akteuren adressiert.
Hierbei wird die Vorstellung eines linearen Innovations-                                 Basierend auf dem Werkstattgespräch erarbeitete eine ad
prozesses von der Grundlagenforschung an universitären                                   hoc Arbeitsgruppe das vorliegende Positionspapier. Die
Forschungsinstitutionen über die anwendungsorientierte                                   Mehrheit der im Positionspapier festgehaltenen Argu-
Forschung zur Praxis überwunden und durch einen Wis-                                     mente gelten analog für TD-Forschung an Universitäten,
sensaustausch und eine kontinuierliche Ko-Produktion                                     der ETH sowie weiteren Forschungsinstitutionen (z.B.
von Wissen an den verschiedenen Schnittstellen ersetzt                                   WSL, EAWAG), und sie zeigen allgemeine Schwierigkei-
(Pohl/Hirsch Hadorn 2006).                                                               ten bezogen auf die Etablierung und Durchführung von
                                                                                         TD-Forschung auf (Darbellay/Sedooka/Paulsen 2016).
In den 1990er-Jahren wurde mit der Institutionalisierung                                 Entscheidende Unterschiede zwischen Universitäten und
der Fachhochschulen in der Schweiz der Grundstein ge-                                    ETHs auf der einen Seite und FHs auf der anderen, liegen
legt für eine Neustrukturierung einer Forschungsland-                                    im Bedarf an Kapazitätsaufbau, Anpassung von Förderin-
schaft, die diesen Anforderungen Rechnung trägt. Im                                      strumenten sowie der generellen strategischen Veranke-
FH-Gesetz2 wurden entsprechend der Netzwerkcharakter                                     rung von Forschung an FHs. Anregen liess sich die ad hoc
der Wissensproduktion und die Komplementarität der                                       Arbeitsgruppe von der Diskussion der Fachhochschulfor-
verschiedenen Hochschultypen verankert. In der realen                                    schung in der Schweiz, Österreich und Deutschland in
                                                                                         der Zeitschrift GAIA (Küffer et al. 2017, Sedlačko et al.
                                                                                         2018, Ringel et al. 2018 und Imboden 2018).
2    Bundesgesetz über die Fachhochschulen und das Hochschulförderungs-
     und Koordinationsgesetz (in Kraft seit 2015)
Swiss Academies Communications, Vol. 15, Nr. 12, 2020   11

Ausgangspunkt für dieses Positionspapier sind die trans-
disziplinäre Forschung in der Schweiz, die einen wichti-
gen Pfeiler zur Förderung gesellschaftlicher Innovationen
(Kapitel 2) darstellt, sowie die Beobachtung des Netz-
werks für transdisziplinäre Forschung (td-net), wonach
das Potenzial von FHs für diesen Forschungsansatz noch
nicht ausgeschöpft wird und Forschende aus FHs in der
TD-Forschungsgemeinschaft untervertreten sind. Dies
obwohl FHs bereits etablierte Strukturen zur Förderung
gesellschaftlicher Innovationen mittels TD-Forschung
aufweisen (Kapitel 3). Wir zeigen auf, dass heutige Rah-
menbedingungen TD-Forschung an FHs häufig hemmen
(Kapitel 4) und benennen Handlungsfelder und Gestal-
tungsmöglichkeiten verschiedener Akteurinnen und Ak-
teure um TD-Forschung an FHs zu fördern (Kapitel 5).
12     Forschung für gesellschaftliche Innovationen an FHs. Potenziale, Rahmenbedingungen, Handlungsfelder

2        Forschung für gesellschaftliche Innovationen und
         Transformationsprozesse – Ansätze aus der TD-Forschung

Mit zunehmender Komplexität von sozioökologischen                                        2002). Bereits im Jahr 1999 gründeten Forschende in der
und soziotechnischen gesellschaftlichen Herausforderun-                                  Schweiz ein Netzwerk für Transdisziplinäre Forschung
gen an den Schnittstellen von Gesellschaft, Wirtschaft,                                  im Umweltbereich, das 2003 als td-net thematisch brei-
Umwelt und Technologien greifen isolierte, für Teilaspek-                                ter aufgestellt von den Akademien der Wissenschaften
te erarbeitete Lösungen oftmals zu kurz. Damit sie sozial                                Schweiz übernommen wurde. Ziel war von Anfang an,
und wissenschaftlich robuste, aus verschiedenen Pers-                                    gesellschaftliche Herausforderungen ganzheitlicher anzu-
pektiven durchdachte Antworten auf die sich stellenden                                   gehen und insbesondere Natur-, Sozial- und Geisteswis-
Herausforderungen geben können, müssen die relevanten                                    senschaften in Innovationsprozesse und gesellschaftliche
Akteurinnen und Akteure aus Wissenschaft und Praxis                                      Lernprozesse gleichermassen einzubeziehen. Die Akade-
zusammengebracht, ihr Wissen kombiniert und in um-                                       mien haben das td-net inzwischen als international füh-
setzbare Anwendungen überführt werden.3                                                  rendes Kompetenzzentrum für transdisziplinäre Ansätze
                                                                                         etablieren können (Doucet/Janssens 2011; Bammer et al.
Im vorliegenden Positionspapier wird Forschung, die da-                                  2020). Es unterstützt Forschende bei der Entwicklung und
rauf abzielt, gesellschaftliche Transformationsprozesse                                  Anwendung transdisziplinärer Ansätze, u.a. durch die
in enger Verzahnung von Wissenschaft und Praxis mit-                                     Entwicklung von Prinzipien und Qualitätskriterien oder
zugestalten, zusammenfassend als «Forschung für gesell-                                  in der Gestaltung der Prozesse (td-net Webportal) sowie
schaftliche Innovation» bezeichnet. Ziel der Forschung                                   in der Aus- und Weiterbildung – und dies über verschie-
für gesellschaftliche Innovationen ist es, «neue gesell-                                 dene Institutionen, Fachbereiche und Sprachräume hin-
schaftliche Formen, also die institutionelle und materielle                              weg.
Organisation der künftigen Gesellschaft» zu denken und
bestehende, wie künftige Gesellschaftsformen kritisch zu
reflektieren (Sedlacko et al. 2018). Diese Forschung ist in                              2.1        Definition von transdisziplinärer Forschung
grossen Teilen transdisziplinär.
                                                                                         Es gibt eine Vielfalt von Definitionen von Transdiszip-
Der transdisziplinäre Forschungsansatz wurde wesent-                                     linarität und transdisziplinärer Forschung.4 Das Netz-
lich von Exponentinnen und Exponenten an Schweizer                                       werk für transdisziplinäre Forschung (td-net) definiert
Hochschulen mitgeprägt (u.a. ProClim & Schweizerische                                    TD-Forschung als einen erprobten Forschungsansatz, der
Akademie der Naturwissenschaften SANW 1997, Defila/                                      wissenschaftliche Wissensgenerierung mit dem gesell-
di Giulio/Scheuermann 2006; Pohl/Hirsch Hadorn 2006,                                     schaftlichen Problemlösungsprozess verbindet und so
Hirsch Hadorn et al 2008, Perrig-Chiello/Darbellay 2002,                                 praxisrelevantes Wissen und Problemlösungsstrategien
Burger/Zierhofer 2007, Zinsstag et al. 2005/2014; Küffer                                 für gesellschaftliche Herausforderungen entwickelt. Da-
et al. 2007, Lawrence 2004). Der Schweizerische National-                                bei werden verschiedene Disziplinen (wie in der interdis-
fonds erklärte in den 1990er-Jahren: «Charakteristische                                  ziplinären Forschung), aber auch Wissensbestände von
Merkmale der Programmforschung sind die im politi-                                       Akteurinnen und Akteuren aus der Praxis in den gesam-
schen Raum definierten Ziele und Themen der einzelnen                                    ten Forschungsprozess mit eingebunden (vgl. Infographik
Programme, die beschränkte Laufzeit, die interdisziplinä-                                Seite 13). Ziel von TD-Forschung ist es, zu einem öffentli-
re Ausrichtung und die Zusammenarbeit mit ausseraka-                                     chen Gut und damit dem Gemeinwohl – wie z.B. saubere
demischen Partnerinnen, die an den Resultaten direkt                                     Luft, Frieden und Sicherheit, Public Health – beizutragen.
oder indirekt interessiert sind» (zitiert in Hirsch Hadorn

3    Die ad hoc Arbeitsgruppe der Akademien der Wissenschaften Schweiz setzt
     den Fokus in diesem Positionspapier bewusst auf gesellschaftliche Inno­
     vationen und Transformationsprozesse, da für Technologieentwicklung und
     Ingenieurswissenschaften andere Rahmenbedingungen gelten (klassische
     Innovationsförderung, Private Public Partnerships, R&D) und die Fach­
     hochschulen in diesem Feld eine gefestigte Stellung auf dem Forschungs-             4     Nachzulesen unter
     platz haben.                                                                              http://www.transdisciplinarity.ch/td-net/Transdisziplinarit-t.html
Swiss Academies Communications, Vol. 15, Nr. 12, 2020   13

Transdisziplinäre Forschung in Bezug auf verwandte Ansätze

Disziplinär                                                                       Multidisziplinär

 Innerhalb einer akademischen Disziplin                                           Unterschiedliche Disziplinen
 Disziplinäre Zielformulierungen                                                  Unterschiedliche disziplinäre Zielformulie-
 Generierung von neuem disziplinärem                                               rungen innerhalb eines Themenfeld
  Wissen

Partizipativ                                                                      Interdisziplinär

 Akademische und extra-akademische Beteiligte                                     Überschreitung von disziplinären Grenzen
 Wissensaustausch ohne Integration                                                Generierung von integriertem Wissen

Transdisziplinär

                                                                                                                       Beteiligte
                                                                                                                       Anspruchsgruppen
                                                                                                                       Disziplin
                                                                                                                       Ziel
                                                                                                                       Akademische
                                                                                                                       Wissensbestände
                                                                                                                       Themenfeld
                                                                                                                       Ausserakademische
                                                                                                                       Wissensbestände

 Überschreitung von disziplinären und sektoralen Grenzen
 Gemeinsame Zielformulierungen
 Generierung von integriertem Wissen für Wissenschaft und Gesellschaft

Abbildung: übersetzt aus OECD 2020, S. 19.
(Original: Wright Morton/Eigenbrode/Martin 2015 mit Bezug auf Tess/Tess/Gary 2005.)
14      Forschung für gesellschaftliche Innovationen an FHs. Potenziale, Rahmenbedingungen, Handlungsfelder

Ausgehend von der begründeten Annahme, dass die Be-                                       Dementsprechend verwendet TD-Forschung Zeit da-
arbeitung komplexer Probleme (Rittel/Weber 1973) das                                      rauf, das Problem vorerst greifbar zu machen. Vor Be-
Spezialwissen und den methodischen Zugang aus ver-                                        ginn der Forschung kann der Prozess, wie Resultate er-
schiedenen Disziplinen und den Dialog auf Augenhöhe                                       arbeitet werden, basierend auf früheren Forschungen
erfordert, ist TD-Forschung insbesondere dann gefragt,                                    beschrieben werden, das Ergebnis ist jedoch offen. Das
wenn                                                                                      gesellschaftliche Ziel der Forschung muss oft erst er-
– das Wissen über ein gesellschaftlich relevantes Prob-                                   örtert werden. Die Reflexion zu gesellschaftlich wün-
   lemfeld unsicher ist (z.B. aufgrund schnellen Wandels),                                schenswerten Zielen ist Teil der Forschung. In einem
– es umstritten ist, worin die Probleme konkret bestehen                                  iterativen Forschungsprozess verbinden TD-Forschende
   (z.B. aufgrund vieler Interdependenzen und verschiede-                                 anwendungsspezifisches Wissen mit abstraktem Wis-
   ner Perspektiven auf ein komplexes Problem),                                           sen (Theorien, Erkenntnisse aus Grundlagenforschung).
– für die Involvierten viel auf dem Spiel steht (z.B. weil
   gegensätzliche Interessen aufeinander treffen) (Pohl/
   Hirsch Hadorn 2006, S. 16).

 Auf disziplinäre Exzellenz ausgerichtete Forschung                                      TD-Forschung

 Klar umrissene Forschungsfrage, eingebettet in disziplinäre                             Forschungsfrage hängt vom Wissensbedarf gesellschaftlicher
 Diskurse                                                                                Akteurinnen­und Akteure ab, wird mit diesen ausgehandelt
 Annahme, dass Problem in disziplinäre Teilprojekte aufgeteilt                           Annahme, dass Problem nur durch Zusammenarbeit der
 und so gelöst werden kann                                                               Disziplinen gelöst werden kann («das Ganze ist mehr als die
                                                                                         Summe der Teile»)
 Forschungsergebnisse sind für andere Situationen replizierbar                           Ergebnisse und Lösungen müssen dem jeweiligen, sich schnell
                                                                                         wandelnden Kontext angepasst werden
 Forschende generieren und kommunizieren Wissen, Praxis                                  Forschende und Praxis koproduzieren Wissen und stossen
 wendet Wissen an                                                                        Lernprozesse an für kontext-sensitive Handlungen
 Schwerpunkt der Forschungsarbeit liegt in der Problemanalyse                            Gleichwertige Fokussierung auf die Forschungsphasen Problem-
 und deren Verarbeitung in wissenschaftlichen Artikeln                                   framing, Problemanalyse, sowie In-Wertsetzung der Ergebnisse
                                                                                         bei der Umsetzung
 Forschung ist auf Fortschritt in der Forschungscommunity                                Forschung ist auf das Gemeinwohl ausgerichtet.
 und/oder Anwendende ausgerichtet.

Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Rittel/Weber 1973, Pohl/Hirsch Hadorn 2006.

2.2       Transdisziplinäre Forschung                                                     zieren von Wissen zwischen Akteurinnen und Akteuren
          für gesellschaftliche Innovationen                                              aus Wissenschaft und Praxis werden unterschiedlichste
                                                                                          Wissensbestände neu kombiniert und dem spezifischen
In Anbetracht komplexer realer, sich schnell wandelnder                                   Kontext der involvierten Akteurinnen und Akteure ange-
Probleme, bindet TD-Forschung bereits zu Beginn ver-                                      passt. Forschende sowie Praxisakteurinnen und -akteure
schiedene Akteurinnen und Akteure aus Wissenschaft                                        gestalten den Prozess bis hin zur Umsetzung gemeinsam.
und Praxis ein, um gemeinsam das Forschungsproblem                                        Dabei hat TD-Forschung den Anspruch, nicht den Nut-
(«framing») zu strukturieren und Fragestellungen so aus-                                  zen einer bestimmten Akteurin oder eines bestimmten
zugestalten, dass die Antworten darauf für möglichst                                      Akteurs (z.B. mittels eines marktfähigen Produktes) zu
viele Beteiligte relevant sind (co-design). Auch bei der                                  steigern, sondern Aushandlungsprozesse zwischen ver-
Interpretation von Fakten und der Erarbeitung von Lö-                                     schiedenen Akteurinnen und Akteuren zu untersuchen
sungsansätzen werden verschiedene Akteurinnen und                                         bzw. zu ermöglichen und dabei Platz für ergebnisoffene
Akteure miteinbezogen, der Aushandlungsprozess zwi-                                       Vorgehensweisen zu schaffen, die das Gemeinwohl ins
schen ihnen wird dokumentiert und ggf. in die Lösungs-                                    Zentrum stellen. Ein solcher Prozess birgt grosses Poten-
ansätze integriert. Durch den Dialog und das Koprodu-                                     zial für gesellschaftliche Innovationen.
Swiss Academies Communications, Vol. 15, Nr. 12, 2020   15

3      Potenzial der FHs für TD-Forschung
       und den Forschungsplatz Schweiz

Das td-net stellt in seiner Arbeit fest, dass sich bisher     spiel stammen an FHs aus einer deutlich breiteren Bevöl-
nur wenige Schnittstellen und Berührungspunkte zwi-           kerungsschicht als an Universitäten (Lebert et al. 2013).
schen der an universitären Hochschulen betriebenen und        Auch Dozierende kommen aus diversen Kontexten. Da
diskutierten Transdisziplinarität und der Forschung an        Studierende wie auch Dozierende oft gleichzeitig einem
Fachhochschulen entwickelt haben. Im Folgenden illus-         Beruf nachgehen, tragen sie Forschungsergebnisse und
trieren wir das vielversprechende Potenzial von FHs für       Methodenkompetenz in ihr Umfeld. Diese enge Verzah-
TD-Forschung (Abschnitt 3.1). Die Voraussetzungen für         nung schafft Anwendungskompetenz wissenschaftlicher
die verstärkte Einbindung der Schweizer FHs in transdis-      Ergebnisse, die als ergänzende Kraft zu klassischer Wis-
ziplinäre Forschung für gesellschaftliche Innovation sind     sensvermittlung oder Wissenstransfer wirkt. FHs leisten
gegeben, wie wir an Beispielen (Abschnitt 3.2) verdeut-       damit einen wichtigen Beitrag für eine breite Verankerung
lichen. Daraus leiten wir ab, dass es für den Forschungs-     und Akzeptanz von fachlicher Expertise in einer zuneh-
platz Schweiz unabdingbar ist, FHs ebenso wie universi-       mend sozioökonomisch gespaltenen Wissensgesellschaft
täre Hochschulen als Partnerinnen bei der Förderung von       und wirken einer zunehmenden Entfremdung akademi-
TD-Forschung einzubinden (Abschnitt 3.3). Das Potenzial       scher «Eliten» von Teilen der Bevölkerung entgegen.
wird aber aufgrund der Rahmenbedingungen (Kapitel 4)
nur unzureichend ausgeschöpft.                                Zusammenarbeit zwischen Disziplinen
                                                              Gerade gesellschaftliche Problemstellungen machen an
                                                              den Grenzen einzelner Disziplinen nicht halt. Es ist viel-
3.1    Potenziale der Forschung an FHs                        mehr erforderlich, die Fragestellungen aus den Perspek-
       für TD-Forschung                                       tiven verschiedener Disziplinen aufzugreifen und inter-
                                                              disziplinär weiter zu entwickeln. Das dafür notwendige
FHs beziehen sehr spezifisches Fachwissen aus einzel-         gegenseitige Verständnis disziplinärer Sicht- und Hand-
nen Fachdisziplinen in interdisziplinären Teams ein und       lungsweisen ist an FHs durch langjährige gemeinsame
sind gewohnt auch Praxispartnerinnen und Praxispartner        Forschungs- und Lehrerfahrungen von Vertretenden ver-
in Ko-Produktionsprozesse einzubinden. Aus der FH-For-        schiedener Disziplinen vorhanden.
schungskultur entstehen Forschungsprojekte mit der Am-
bition einer längerfristigen gesellschaftlichen Wirkung.      Anwendungsorientierte Forschung
Zusammen mit ihrer (im Unterschied zu anderen Akteu-          Eine explizite Stärke der Forschung von FHs in Ab-
rinnen und Akteuren etwa aus öffentlichen Organisationen      grenzung zur privatwirtschaftlichen Forschung und
oder der Beratung) an Neutralität und Unabhängigkeit          Entwicklung (z.B. Beratungsfirmen) einerseits und der
ausgerichteten Haltung sind sie dazu prädestiniert, ge-       Grundlagenforschung an Universitäten andererseits liegt
sellschaftliche Transformationsprozesse z.B. entlang der      darüber hinaus im Bereich der anwendungsorientierten
SDGs der Agenda 2030 anzustossen bzw. zu unterhalten.         Forschung, also der begleitenden Interventionsforschung,
                                                              der experimentellen Entwicklung und der partizipativen,
Enge Verzahnung mit der Praxis                                kooperativen Forschung. Um wirksam zu sein, müssen In-
Forschung und Lehre an Fachhochschulen sind eng mit           terventionen und Umsetzungen im Feld kontinuierliches
der Praxis verzahnt. Wissen wird nicht nur für die Pra-       gemeinsames Lernen ermöglichen (vergleiche Literatur zu
xis, sondern mit der Praxis entwickelt. Der Praxisbezug       Reallaboren, zum Beispiel Wagner und Grunwald 2015:
ist für Forschung und Lehre gleichermassen von Bedeu-         Singer-Brodowski 2018). FHs können hier auf langjährige
tung. So bilden FHs Berufstätige aus, die sich kritisch mit   Forschungserfahrung zurückgreifen, die im Kontext der
der Bereitstellung gemeinwohlorientierter Lösungen für        Nachhaltigkeitsforschung von hoher aktueller Relevanz
komplexe, sich schnell wandelnde gesellschaftliche He-        ist. Zudem bringen FH-Forschende oft eigene Praxis- und
rausforderungen auseinandersetzen können sollen, und          Implementierungserfahrung mit.
sie testen in der Lehre die Anschlussfähigkeit neuer Kon-
zepte aus der Forschung.                                      Anwendungsorientierte Grundlagenforschung
                                                              Neben anwendungsorientierter Forschung ist die anwen-
Breite Verankerung in der Gesellschaft                        dungsorientierte Grundlagenforschung ein Betätigungs-
FHs sind sozioökonomisch breiter in der Bevölkerung           feld von FHs. Nicht immer ist das zur Anwendung erfor-
verankert als Universitäten – die Studierenden zum Bei-       derliche Wissen bereits vorhanden, da seine Bedeutung
16    Forschung für gesellschaftliche Innovationen an FHs. Potenziale, Rahmenbedingungen, Handlungsfelder

aus den unterschiedlichsten Gründen erstmals oder neu                                   bar auf sie verwenden können oder der Technikbedie-
strukturiert aus einer praktischen Perspektive heraus er-                               nung widmen. Es ist offensichtlich, welche Disziplinen
kennbar wird (dazu z.B. Fry et al. 2008; Kueffer et al. 2012;                           gleichermassen an den Tisch geholt werden müssen, um
Kläy et al. 2015). Um beides – sowohl anwendungsorien-                                  eine robuste Lösung zu entwickeln.
tierte Forschung als auch anwendungsorientierte Grund-
lagenforschung – leisten zu können, verfügen Fachhoch-                                  Damit nicht lediglich ein technischer «change» vollzo-
schulen über etablierte Netzwerke zwischen Forschenden                                  gen wird, sondern eine adaptive Transformation, ist eine
verschiedenster Disziplinen und stehen gleichzeitig im                                  spezifische Haltung erforderlich, die sich weniger im Ma-
Dialog mit unterschiedlichsten Anspruchsgruppen in der                                  nagement, sondern deutlicher im sozialen Diskurs wie-
(lokalen) Gesellschaft.                                                                 derfindet. Implementierungsprozesse sind keine einmali-
                                                                                        gen Ereignisse, sondern langfristige Entwicklungen, deren
Selbstverständlicher transdisziplinärer Dialog                                          Startpunkt lange vor einem Go-Live liegt und Partizipati-
Die enge, kontinuierliche und wechselseitige Beziehung                                  on und wiederholend Interventionen erfordert. Indem die
zwischen Forschung und Anwendung an FHs bildet und                                      verschiedenen Betroffenen die eigenen Interessen selbst
erhält gegenseitiges Vertrauen, entwickelt ein gemeinsa-                                einbringen und für ihre Berücksichtigung sorgen kön-
mes Verständnis von Problemen und befördert die Umset-                                  nen, entsteht eine Basis für die Umsetzungsbereitschaft
zung von neuen Forschungsergebnissen in der Praxis (Fry                                 der Beteiligten.
et al. 2008). Fachliche Grenzen sind an FHs oft weniger
streng als in der traditionellen disziplinären Struktur und                             Der praktische Hintergrund und bestehende Umsetzungs-
engen Spezialisierung an Universitäten. Tiefes Fachwis-                                 erfahrungen ermöglichen es den Fachhochschulen, Lern-
sen und breites Wissen, das sich aus dem Verständnis der                                prozesse in Organisationen zu begleiten. Das relevante
Zusammenhänge in der Praxisrealität erschliesst und in                                  Methodenwissen ist nichts spezifisch Neues, sondern in
die unterschiedlichen Disziplinen hineinreicht, befähigt                                sozialwissenschaftlichen (Teil-)Disziplinen vorhanden.
Fachhochschulen zu einem «selbstverständlichen» trans-                                  Seine Existenz muss allerdings bekannt sein, damit es ko-
disziplinären Dialog sowie zum Theorie-Praxis-Dialog.                                   operativ auf andere Fragestellungen angewendet werden
                                                                                        kann.

3.2     Nutzungs- und Nutzenbeispiele                                                   Nachhaltige Landschafts- und Siedlungsentwicklung
        der Forschung an FHs                                                            Eine der grossen Herausforderungen in der Schweiz, die
                                                                                        von der Bevölkerung auch als solche wahrgenommen
Wie transdisziplinäre Forschung in für Fachhochschulen                                  wird, ist die Entwicklung einer attraktiven und nachhal-
typischer Nutzungs- bzw. Nutzenbeispiele gesellschaftli-                                tig genutzten Landschaft von den Kernstädten über die
che Transformationsprozesse unterstützt, wird exempla-                                  Agglomerationen bis in die ländlichen Räume (z.B. ILF
risch illustriert:                                                                      2016). Sehr unterschiedliche Funktionen und Nutzungen
                                                                                        und damit wissenschaftliche Disziplinen und Akteurin-
Soziotechnische Implementierungen                                                       nen und Akteure müssen koordiniert werden: wirtschaft-
Strategische Entscheidungen über die Einführung neu-                                    liche und sozialräumliche Entwicklung, Infrastrukturen,
er Technologien in sozialen Organisationen oder dem                                     Landschaftsqualität und Erholungslandschaft, Biodiver­
Gesundheitsbereich werden oft im Top-Management be-                                     sität, Klimaanpassung und Landnutzungen wie Land-
schlossen. Dieses hat aber nur bedingt Einblick in die Auf-                             und Forstwirtschaft und Tourismus. Diese verschiedenen
gaben der einzelnen Funktionsbereiche. Die oftmals aus                                  Aspekte sind in der Verwaltung von der kommunalen über
technischen Bereichen stammende Projektleitung rückt                                    die kantonale bis hin zur Bundesebene auf viele Fachstel-
primär Fragestellungen einer technischen Umsetzbarkeit                                  len oder Ämter verteilt. Die verschiedenen Akteurinnen
in den Vordergrund und weniger jene der sozialen.                                       und Akteure haben nicht nur unterschiedliche Interessen,
                                                                                        sondern auch Wahrnehmungen, Vorstellungen, Werthal-
Zwar werden Erfordernisse der späteren Nutzenden for-                                   tungen und Erfahrungen dazu, was eine hohe Lebensqua-
muliert, die Fachpersonen für Nutzendenbedürfnisse                                      lität auszeichnet oder eine attraktive Landschaft und gute
aber allenfalls am Rande in die Entwicklung einbezogen.                                 Landnutzung ist. Landschafts- und Siedlungsentwick-
Später steht die Erwartung im Raum, dass die verschiede-                                lung heisst Denken in alternativen Zukunftsszenarien,
nen Fachmitarbeitenden das entwickelte Konzept sofort                                   die wiederum die Entwicklung und Kommunikation in-
verstehen und akzeptieren, selbst wenn sie die Art der                                  ter- und transdisziplinärer und insbesondere partizipa-
Aufgabenerfüllung, die sie fachlich als sinnstiftend erle-                              tiver Forschungsprozesse erfordern. Es braucht Ansätze,
ben, darin kaum mehr abgebildet sehen. Auch die Tech-                                   die mit hohen wissenschaftlichen Unsicherheiten (bis zu
nikakzeptanz der Patientinnen und Patienten ist davon                                   unknown unknowns, wir wissen nicht wie die Schwei-
abhängig, wie viele Zeitanteile die Pflegenden unmittel-                                zer Landschaft in 30 Jahren aussehen wird) und mit
Swiss Academies Communications, Vol. 15, Nr. 12, 2020   17

grossen Differenzen der Perspektiven verschiedener Be-     Wissenschaft, indem entstandenes Wissen auf eine Art
troffenengruppen und Expertinnen und Experten (z.B.        und Weise in die Praxis eingebracht wird, welche die
welche Städte wollen wir: verdichtet oder durchgrünt?      Integration in individuelle bzw. kollektive Handlun-
Sollen die ländlichen Regionen wirtschaftlich weiter ge-   gen vereinfacht. Diese Vernetzung ermöglicht neue Wis-
fördert oder die Entvölkerung akzeptiert werden?) um-      sensproduktionsformen und Forschungstypen, welche
gehen können. Eine weitere Herausforderung ist es, mit     die Dichotomie zwischen Grundlagen- und angewandter
verschiedenen räumlichen Skalen von der Gemeindeebe-       Forschung sowie zwischen Wissenschaft und Praxis über-
ne bis zum globalen Massstab (soll unsere Nahrung in       winden. Die Akteurinnen und Akteure der Praxis empfan-
Südamerika oder im Emmental produziert werden?) und        gen neues Wissen nicht nur, sie sind Beteiligte an dessen
zeitlichen Dynamiken (z.B. Zeitverzögerungen in trägen     Koproduktion. Die untersuchten Fragestellungen können
komplexen Systemen) umzugehen, die auch auf metho-         anhand der tatsächlichen Bedürfnisse mitbestimmt wer-
discher und konzeptioneller Ebene eine enge und konti-     den, ebenso wie die entwickelten Lösungsansätze.
nuierlicher Partnerschaft zwischen Grundlagenforschung
und Praxis erfordern; dabei bilden die Fachhochschulen     Dabei können und müssen sich die Praxisakteurinnen
eine wichtige Schnittstelle. Ähnliche Herausforderungen    und -akteure – im Unterschied zu Projekten der Auftrags-
stellen sich bei vielen anderen Umweltthemen wie zum       forschung – mit einer unabhängigen Interpretation des
Beispiel der Klimaanpassung, Landwirtschaftspolitik,       generierten Wissens durch die FHs auseinandersetzen.
Biodiversitätsförderung oder dem Boden- und Gewässer-      Basierend auf der Einbettung in bestehendes Grundla-
schutz.                                                    gen- und Handlungswissen können so weitreichendere
                                                           Erkenntnisse, z.B. zur Übertragbarkeit gefundener Lö-
                                                           sungen, generiert werden. FHs verfügen über den prakti-
3.3   Gemeinsame Lernprozesse führen                       schen Hintergrund, bestehende Umsetzungserfahrungen,
      zu fundiertem und breit akzeptiertem                 langjährige interdisziplinäre Zusammenarbeitsformen,
      Handlungswissen                                      kontinuierliche Partnerschaften zwischen Grundlagen-
                                                           forschung und Praxis sowie etablierte Netzwerke, um ge-
Transdisziplinäre Forschungsansätze erlauben es, Lern-     meinsame Lernprozesse für fundiertes und breit akzep-
prozesse zwischen regionalen Akteurinnen und Akteuren      tiertes Handlungswissen anzustossen und zu begleiten.
anzuregen und in lokalen Netzwerken zu institutionali-     Die Position der FHs befähigt sie zu einem «selbstver-
sieren (Paier 2012). Die Wichtigkeit solcher Lernprozes-   ständlichen» transdisziplinären Dialog sowie zu einem
se für gesellschaftliche Transformation wird in den Sus-   Theorie-Praxis-Dialog (insbesondere in Bezug auf gesell-
tainability studies betont (etwa bei Bouwen und Taillieu   schaftliche Innovationen und Transformationsprozesse
2004, Garmendia und Stagl 2010).                           im Bereich der SDGs wie z.B. Landschaftsentwicklung).
                                                           Aus unserer Sicht sind dies unabdingbare Wissensbe-
Es entsteht ein direkter Nutzen für die Praxis, indem      stände und Prozesserfahrungen für den Schweizer For-
fundierte Lösungen vorgeschlagen werden, und für die       schungsplatz.

4     Bestehende Rahmenbedingungen

FHs können und sollen als gleichwertige Partnerinnen –     in Bezug auf Raum für den Austausch zwischen Akteu-
so der Auftrag – gemeinsam mit und teilweise komple-       rinnen und Akteuren, der generellen Anerkennung von
mentär zu universitären Hochschulen die Forschung zu       TD-Forschung und von Förderinstrumenten. Im Folgen-
gesellschaftlichen Innovationen voranbringen. Unter den    den werden wesentliche Faktoren beschrieben.
gegebenen Rahmenbedingungen sind sie dazu jedoch
nur eingeschränkt in der Lage. Wichtig wären eine bes-
sere Anerkennung der Forschungsansätze, Möglichkeiten      4.1   Anerkennung der TD-Forschung in der
zur intensiveren Vernetzung und Zusammenarbeit sowie             Schweiz
mehr verfügbare Ressourcen. Eine Stärkung der Position
setzt auf verschiedenen Ebenen an, FH-intern (vgl. von     Trotz der internationalen Anerkennung der Schwei-
Potenzial zu FH-Forschung in Abschnitt 5.1), aber auch     zer TD-Forschenden (Bammer et al. 2020), ist die Aner-
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