FORUM Arztpraxis 1/2020 Oberösterreich - ÖGK

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FORUM Arztpraxis 1/2020 Oberösterreich - ÖGK
FORUM
                 Arztpraxis
                 Informationen aus Forschung, Praxis und Ökonomie
1/2020
Oberösterreich

Migräne_4               Tipps für Patienten:      Osteoporose _13
                        Diabetes_11

                                                       www.gesundheitskasse.at
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2   FORUM Arztpraxis 01_2020

Neue
E-Learnings
                               Ab sofort stehen Ihnen folgende von Ärztekammer OÖ, ÖGK
                               Oberösterreich bzw. Oberösterreichische Gesundheitsholding
                               gemeinsam erstellte E-Learnings kostenlos zur Verfügung:

                               Psoriasis: Krankheit und Therapie (Schwerpunkt Biologika)
                               Inhalte/Lernziele
AKTUELLES                      ● Verstehen des Krankheitsbildes der Psoriasis vulgaris

                               ● Erlernen der Therapieoptionen (mit Fokus auf neue Therapieoptionen)

                               ● Beachten von Nebenwirkungen und Kontraindikationen der Psoriasistherapie

                               Antipsychotika im Überblick

                               Inhalte/Lernziele
                               ● Überblick und Wirkweise von Antipsychotika

                               ● Indikationen, off-label use und Auswahlkriterien von Antipsychotika

                               ● Nebenwirkungen von Antipsychotika erkennen und zuordnen können

                               ● Besonderheiten beim geriatrischen Patienten

                               Diese beiden E-Learnings stehen Ihnen auf meindfp.at und auf der Plattform
                               vielgesundheit.at zur Verfügung.

                               Kommunikation für Ärztinnen, Ärzte und
                               Pflege bei der Diabeteserkrankung
                               Inhalte/Lernziele
                               ● Umgang mit dem Patienten nach Erstdiagnose von Diabetes mellitus

                               ● Aufklärung des Patienten, die Beantwortung seiner Fragen und das weitere
                                  Vorgehen nach dem Erstgespräch werden praxisnah dargestellt

                               Das E-Learning steht Ihnen auf meindfp.at zur Verfügung.

                               Für die positive Absolvierung der E-Learnings erhalten Sie automatisch DFP-
                               Punkte auf Ihr Punktekonto bei der Akademie der Ärzte gutgeschrieben.
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01_2020 FORUM Arztpraxis      3

Inhalt                                                            Editorial
    Aktuelles : neue E-Learnings                            2    Sehr geehrte Ärztinnen und
                                                                  Ärzte, liebe Vertragspartnerinnen
    Editorial                                               3
                                                                  und Vertragspartner,
    Migräne – eine große Herausforderung                    4
                                                                  2020 ist ein Jahr, das uns alle vor riesige Herausforderungen
    Praxis aktuell – Tipps für Ihre Patienten
                                                                  stellt. Selten waren die Gesundheitssysteme weltweit so ge-
    Diabetes: Wissen schützt                                11
                                                                  fordert wie zu dieser Zeit. Wir freuen uns sehr, Sie auch in
                                                                  diesen Zeiten als Vertragspartner in der Versorgung unserer
    Medizin aktuell –
                                                                  Versicherten an unserer Seite zu wissen. Unser gemeinsames
    Arzneimittel-Wechselwirkungen: Statine                 12
                                                                  oberstes Ziel, nämlich die bestmögliche Sachleistungsver-
                                                                  sorgung für unsere Versicherten auch in schwierigen Zeiten,
    Osteoporose –
                                                                  kann nur dank Ihrem Engagement und der gemeinsamen
    wenn Knochen brüchig werden                            13
                                                                  Kreativität im Umgang mit dieser Krise gelingen.
                                                                  Für diese große Leistung der letzten Wochen, möchten wir
    Medizin aktuell – Neu am Markt:
                                                                  uns sehr herzlich bei Ihnen bedanken!
    Movymia®und Terrosa®                                   16
                                                                  Covid-19 fällt zugleich in eine intensive Phase der Reform zur
                                                                  Österreichischen Gesundheitskasse. Es ist uns insbesondere
    Praxis aktuell –Borreliose                             17
                                                                  in dieser Phase wichtig, Ihnen mitzuteilen, dass sich an Ihren
                                                                  vertraglichen Beziehungen zur Krankenversicherung nichts
                                                                  geändert hat und alle bisherigen Rechte und Pflichten gelten
                                                                  weiterhin. Wie Sie es von der Gebietskrankenkasse gewohnt
                                                                  sind, ist auch die ÖGK eine verlässliche Partnerin, die Wert
                                                                  auf Stabilität, Nachhaltigkeit und die beste Versorgung im
                                                                  Sinne der Versicherten legt. Wir haben versucht, den Über-
                                                                  gang von den Gebietskrankenkassen auf die ÖGK für Sie so
                                                                  reibungslos und einfach wie möglich zu gestalten. Sollte es
                                                                  dennoch zu Schwierigkeiten kommen, bitten wir Sie um Ihr
                                                                  Feedback.
                                                                  Wir sind überzeugt: Gemeinsam werden wir diese herausfor-
                                                                  dernde Zeit meistern und den Wert und die Verlässlichkeit
                                                                  unseres Gesundheitssystems für unsere Versicherten einmal
                                                                  mehr unter Beweis stellen.

    Praxis aktuell – Für Sie gelesen: ISAR REACT 5 18

    EKO-Aktuell:
    Amlodipin/Valsartan/HCT-Präparate                      19

    Professionelles Wundmanagement                        20

Impressum
Medieninhaber & Herausgeber: Österreichische Gesundheitskasse,
Haidingergasse 1, 1030 Wien, www.gesundheitskasse.at/impressum
Redaktion: ÖGK Landesstelle Linz, Gruberstraße 77, 4020 Linz,
Dr. Thomas Weichselbaumer • Fotos/Bilder (wenn nicht in den
Fotocredits anders angegeben): Shutterstock • Hersteller: BTS,
Engerwitzdorf • Nr. 1/2020.
                                                                  Dr. Thomas Rainer     Mag. Franz Kiesl
                                                                  Generaldirektor-      Fachbereichsleiter
                                                                  Stellvertreter        Versorgungsmanagement 1
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4   FORUM Arztpraxis 01_2020

Migräne – eine große
Herausforderung
In Österreich leiden circa elf Prozent der erwachsenen Bevölkerung an
episodischer Migräne. Die höchste Prävalenz findet sich bei Erwachse-
nen zwischen 20 und 50 Jahren, wobei Frauen dreimal häufiger betrof-
fen sind als Männer.1 Der anfallsartige Kopfschmerz tritt individuell in
monatlichen bis täglichen, unregelmäßig wiederkehrenden Intervallen
auf. Durch die unterschiedliche Krankheitsausprägung und die individu-
ellen Auslöser ist eine wirksame Therapie bislang eine große Herausfor-
derung für Patienten und die behandelnden Ärzte.

Diagnostik                                   dikation sowie deren Ansprechen genau
                                             dokumentieren. Unterschieden werden
Die Diagnose wird auf Basis einer aus-       zahlreiche Formen von Migräne, wobei
führlichen Anamnese und der klinisch-        die Migräne ohne Aura und jene mit
neurologischen Untersuchung gestellt.        Aura die häufigsten Formen darstellen.
Eine routinemäßige Bildgebung ist nicht
notwendig, sie wird aber zum Ausschluss      An der Migräne ohne Aura leiden circa
von Differenzialdiagnosen (z. B. Sub-        85 Prozent der Migräne-Patienten.3 Das       Typisch für die Migräne mit Aura sind
arachnoidalblutung, transiente ischä-        charakteristische Merkmal ist der auf        vollständig reversible fokale neurologi-
mische Attacke) bei manchen Patienten        eine Kopfhälfte beschränkte, pochende        sche Symptome, die fünf bis 60 Minuten
erforderlich.2                               oder pulsierende Schmerz von mäßig           andauern. Gleichzeitig oder bis zu 60
                                             bis starker Intensität, der durch körper-    Minuten nach Ende der Aura treten die
Ein Kopfschmerz-Tagebuch kann die            liche (Routine-)Aktivitäten verstärkt        typischen Kopfschmerzen und Begleit-
Abgrenzung zu anderen häufigen Kopf-         wird. Begleitet wird der Schmerz von         symptome auf. Es kommt in 90 Prozent
schmerzen unterstützen.          Patienten   zumindest Übelkeit oder Erbrechen,           zu visuellen Auren (Lichtblitze, Schleier-
sollten Zeitpunkt, Art, Stärke, Dauer, Be-   Licht– oder Lärmempfindlichkeit. Die         sehen oder Flimmerskotome, die über
gleiterscheinungen, mögliche Auslöser        Migräne-Anfälle dauern mind. vier bis        das Gesichtsfeld wandern können), sel-
der Kopfschmerzen und eventuelle Me-         maximal 72 Stunden.                          tener zusätzlich auch zu Sensibilitäts-

                                                                              Kopfschmerz durch übermäßigen
           Kopfschmerz vom Spannungstyp                                          Medikamentengebrauch

≥ 2 der folgenden Kriterien:                                            ●   Kopfschmerz an ≥ 15 Tagen pro Monat
● Schmerzqualität drückend-ziehend                                      ●   Regelmäßige Einnahme über > 3 Monate an
● Schmerzintensität leicht bis mäßig                                        ≥ 15 Tagen/Monat: Nichtopioid-Analgetika
● Lokalisation: beidseitig                                                  (Monopräparate) oder an ≥ 10 Tagen/Monat:
● keine Verstärkung durch körperliche Aktivität                             Mischanalgetika, Ergotamine, Triptane, Opioide
                                                                            oder eine Kombination dieser Wirkstoffe

Episodisch (frequent)           Chronisch
● ≥ 10 Episoden an bis zu       ● ≥ 15 Episoden/Monat über > 3 Monate
  14 Tagen über > 3 Monate      ● Stunden bis Tage, oder anhaltend
● 30 Minuten bis 7 Tage         ● kein Erbrechen oder mittelschwere
● kein Erbrechen oder             Übelkeit
  Übelkeit                      ● nur Photophobie oder nur
● nur Photophobie                 Phonophobie oder nur leichte
  oder nur Phonophobie            Übelkeit
                                                                        Abb. 1: Wichtige Differenzialdiagnosen zu Migräne4
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01_2020 FORUM Arztpraxis       5

oder Sprachstörungen. Es können auch        Migränekranken fühlen sich unruhig bis      schläge auf Stirn bzw. Nacken und im
multiple Aurasymptome aufeinander           antriebslos, sind müde, haben Konzen-       Einzelfall Kaffee oder Tee Hilfe leisten.6
folgen. Zudem können sogenannte iso-        trationsstörungen, Heißhunger oder
lierte Auren ohne nachfolgende Migrä-       muskuläre Verspannungen.6                   Medikamentöse Akuttherapie
nekopfschmerzen auftreten.1
                                            Wichtige Differenzialdiagnosen sind         Die Akuttherapie sollte möglichst früh
Von chronischer Migräne spricht man,        Kopfschmerz vom Spannungstyp und            in adäquater Dosierung erfolgen, dies
wenn über mindestens drei Monate an         Kopfschmerz durch Übergebrauch von          erhöht die Wirksamkeit. Acetylsali-
15 oder mehr Tagen pro Monat Kopf-          Medikamenten. Sehr oft ist Migräne          cylsäure (ASS) und nicht steroidale
schmerzen auftreten, welche an acht         bzw. die damit verbundene Medika-           Antirheumatika (NSAR) sind bei der
oder mehr Tagen pro Monat migräne-          menteneinnahme (Analgetika bzw.             Behandlung der Migräne wirksam, am
artig sind.4 Weniger als zwei Prozent der   Migränemittel) für den Kopfschmerz          besten belegt ist die Wirkung von ASS
Patienten mit Migräne leiden an einer       durch Übergebrauch von Medikamen-           und Ibuprofen. Leichtere und mittelstar-
chronischen Form.5                          ten verantwortlich.7                        ke Migräneattacken sollten zunächst
                                                                                        mit diesen Substanzen behandelt wer-
Triggerfaktoren, also auslösende oder       Therapieoptionen                            den, sie wirken aber auch teilweise bei
begünstigende Umstände, sind z. B. zu                                                   Patienten mit schweren Attacken.
wenig oder schlechter Schlaf, unregel-      In der Migränetherapie unterschei-
mäßige bzw. fehlende Mahlzeiten oder        det man grundsätzlich zwischen der          Triptane sind die Substanzen mit der
bestimmte Genussmittel (z. B. Alkohol),     Therapie der akuten Attacke und der         besten Wirksamkeit bei akuten Migräne-
Stress bzw. Stressabfall, Wetterverän-      Prophylaxe. Bei beiden stehen sowohl        attacken und sollten bei Nicht-Anspre-
derungen oder Bewegungsmangel. Bei          medikamentöse als auch nicht-medika-        chen auf Analgetika eingesetzt werden.
Frauen können auch hormonelle Ver-          mentöse Maßnahmen zur Verfügung. In
änderungen (Monatszyklus) eine Rolle        der Akuttherapie ist es Ziel, die Attacke   Sumatriptan subkutan ist die wirksams-
spielen.5                                   zu beenden bzw. soweit zu begrenzen,        te Therapie akuter Migräneattacken. Es
                                            dass binnen zwei Stunden wieder die         kommt bei 15 bis 40 Prozent der Pa-
Prodromalsymptome hingegen sind             normalen Aktivitäten durchgeführt wer-      tienten nach oraler Gabe von Triptanen
als Vorboten einer Attacke zu sehen         den können. Begleitend können nicht         zu einer Recurrence, wobei dann eine
und treten Stunden bis zwei Tage davor      medikamentöse Maßnahmen wie Reiz-           zweite Gabe der Substanz wieder wirk-
in sehr unterschiedlicher Form bei 60       abschirmung (stilles, dunkles Zimmer),      sam ist. Bei unzureichender Wirkung
Prozent der Migräne-Patienten auf. Die      schlafen (sofern möglich), kalte Um-        eines Triptans kann dieses mit einem
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6    FORUM Arztpraxis 01_2020

                     AKUTMEDIKATION ZUR BEHANDLUNG VON MIGRÄNEATTACKEN

           THERAPIE VON                 Analgetika-Therapie:
        ÜBELKEIT/ERBRECHEN              ● ASS 1000 mg p.o.

                                        ● Ibuprofen 200 mg – 600 mg p.o.

                                        ● Metamizol 1000 mg p.o.                                    Bei Kontraindikation
                                        ● Diclofenac-Kalium 50 mg –100 mg p.o.                      gegen NSAR:
                                        ● fixe Kombination: ASS + Paracetamol                       Paracetamol
                                          + Koffein *                                               1000 mg oder
                                                                                                    Metamizol
                                        *nicht rezeptpflichtig und nicht im EKO                     1000 mg p.o.

                                            BEI (MITTEL-)SCHWEREN MIGRÄNEATTACKEN UND BEI
                                          (BEKANNTEM) FEHLENDEM ANSPRECHEN AUF ANALGETIKA

                                        Triptan-Therapie1:
    Metoclopramid                       schneller Wirkeintritt:
    10 mg p.o./ggf. Supp3.              ● Sumatriptan 6 mg s.c.2

                                        ● Eletriptan 20 mg – 80 mg p.o.
    oder                                ● Zolmitriptan 5 mg nasal

    Domperidon                          mittelschneller Wirkeintritt
    10 mg p.o.                          mit länger anhaltende Wirkung:
                                        ● Sumatriptan 50 mg/100 mg p.o.

                                        ● Zolmitriptan 2,5 mg/ 5 mg p.o.

                                        langsamer Wirkeintritt                                      falls Monotherapie
                                        mit lang anhaltender Wirkdauer:                             unzureichend:
                                        ● Frovatriptan 2,5 mg p.o.                                  Triptan + NSAR

                                        Bei Wiederkehr-Kopfschmerz:
                                        erneute Einnahme eines Triptans nach frühestens 2 h oder
                                        initiale Kombinationstherapie Triptan + langwirksame NSAR
                                        (z. B. Naproxen)

                            NOTFALL-AKUTMEDIKATION BEI MIGRÄNEATTACKEN

    Metoclopramid                       Lysin-Acetylsalicylat (ASS)                       Sumatriptan 6 mg s.c.
                                                                             oder
    10 mg i.v.                          1000 mg i.v.3
1
    Migräne nach Erstverordnung durch einen Neurologen/eine Neurologin
2
    wenn mit Therapiealternativen aus dem Grünen Bereich nicht das Auslangen gefunden werden kann
3
    nicht in Österreich bzw. nicht in EKO verfügbar

Abb. 2: Akutmedikation8 (im Erstattungskodex gelistete Wirkstoffe, modifiziert ÖGK)

rasch wirksamen NSAR kombiniert wer-                Antiemetika (Metoclopramid oder                     oder NSAR (z. B. Diclofenac) und additiv
den. Triptane sollten bei kardiovasku-              Domperidon) sollten nur zur gezielten               einmalig ein Kortikosteroid verabreicht
lären Krankheiten wie Angina pectoris,              Behandlung von starker Übelkeit oder                werden und gegebenenfalls mit einem
KHK, nach Myokardinfarkt, Schlaganfall              Erbrechen eingesetzt werden, also nicht             Antiemetikum kombiniert werden.6
(TIA) oder fortgeschrittener arterieller            generell mit NSAR oder Triptanen kom-
Verschlusskrankheit (pAVK) nicht einge-             biniert werden.8 Ein Status migraenosus             Nicht-medikamentöse
setzt werden. Ergotamin ist in der Akut-            (Migräneattacke länger als 72 Stunden)              Prophylaxe
therapie der Migräne wirksam, allerdings            und prolongierte Attacken können eine
ist die Wirksamkeit schlecht belegt und             parenterale Gabe erforderlich machen.               Nicht-medikamentöse      Maßnahmen
das Nebenwirkungsrisiko erhöht (nur als             Hier können 6 mg Sumatriptan subkutan,              können prinzipiell immer mit prophy-
Reservepräparat zu sehen).                          1 g Acetylsalicylsäure, 1-2,5 g Metamizol           laktischen Medikamenten kombiniert
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 WIRKSTOFF (INITIAL-ZIELDOSIS)            KONTRAINDIKATION (KI)

Betablocker:
Propranolol (40 – 240 mg)                 AV-Block, Bradykardie, Herzinsuffizienz, Sick-Sinus-Syndrom, Asthma bronchiale
Metoprolol (50 – 200 mg)                  Relative KI: Diabetes mellitus, orthostatische Dysregulation, Depression
Flunarizin (5 – 10 mg)                    fokale Dystonie, Schwangerschaft, Stillzeit, Depression
                                          Relative KI: M. Parkinson in der Familie
Valproinsäure (500 – 1000 mg)             Leberfunktionsstörungen, Schwangerschaft, gebärfähige Frauen, Alkoholmissbrauch
Topiramat (25 – 100 mg)                   Niereninsuffizienz, Nierensteine, Engwinkelglaukom
                                          Relative KI: Depression, Angststörung, geringes Körpergewicht, Anorexie
Amitriptylin (50 – 75 mg)                 Herzinsuffizienz, Glaukom, Prostatahypertrophie, -adenom
Onabotulinumtoxin A                       Myasthenia gravis
(155 –195 U i.m.)                         Relative KI: Antikoagulation
nur bei chronischer Migräne,
durch erfahrenen Neurologen

Abb. 3: Medikamente mit guter Evidenzlage8

werden. Dazu gehören im Wesentlichen        die Akutmedikation nicht ansprechen         eingesetzt werden können, aber für die
neben dem Vermeiden von Trigger-            oder wenn diese nicht toleriert wird. Die   die Evidenz geringer ist, sind Opipramol
faktoren, kognitive Verhaltenstherapie      meisten Medikamente zur vorbeugen-          (50 –150 mg), ASS (300 mg), Magnesi-
oder Biofeedback und Entspannungs-          den Behandlung von Migräne wurden           um (2 x 300 mg) und Magnesium-Vita-
training, regelmäßiger Ausdauersport        für andere Erkrankungen entwickelt          min B2 + Coenzym Q10-Kombinationen.
sowie Akupunktur.8                          und eingesetzt. Jedoch hat sich ihr Ein-    Weiters werden auch ACE-Hemmer
                                            satz auch in der Migräne-Prophylaxe         (Captopril, Enalapril, Lisinopril), Sartane
Therapieverfahren, die wegen fehlender      etabliert und ist durch Studien belegt.8    (Candesartan, Telmisartan) und Anti-
Wirksamkeit nicht empfohlen werden,                                                     konvulsiva (Lamotrigin – nur bei Aura-
sind:                                       Bei der Auswahl sollten Begleiterkran-      symtomatik, Levetiractam) off label an-
Alimentäre Diäten, Augen-Laser-Aku-         kungen berücksichtigt werden und die        gewendet. Es gilt auch hier die Kontra-
punktur, chiropraktische Therapie, Cor-     Erfolgserwartungen mit dem Patienten        indikationen zu beachten.
rugator-Chirurgie, Kolonhydrotherapie,      abgesprochen werden. Die oralen Me-
Entfernung von Amalgamfüllungen,            dikamente sollten langsam eingeschli-       Das Therapieziel ist die Reduktion der
Frischzell-Therapie,    Fußzonenreflex-     chen werden um das Nebenwirkungs-           Migräneanfälle, Schwere und Dauer.
massage, Gebisskorrektur, Hyperbare         risiko zu minimieren. Das Ansprechen        Von einer wirksamen Prophylaxe spricht
Sauerstofftherapie, Hysterektomie, Ma-      kann einige Wochen dauern, somit kann       man, wenn die Häufigkeit der Anfälle
gnetfeldbehandlung, Neuraltherapie,         eine Beurteilung der Wirksamkeit mög-       um mindestens 50 Prozent zurückgeht.
Ozontherapie, Piercings, Psychoanaly-       licherweise erst nach circa zwei Mona-      Zur Feststellung der Wirksamkeit ist das
se, Psychophonie, Sanierung vermeint-       ten erfolgen. Tritt nach zwei Monaten       Führen eines Kopfschmerz-Tagesbuchs
licher Pilzinfektionen des Darmes oder      trotz Auftitrierung keine befriedigende     (neben Vordrucken der DMKG sind
Tonsillektomie.8                            Verbesserung ein, sollte die Prophylaxe     auch viele Apps für Smartphones ver-
                                            umgestellt werden. Bei einer wirksamen      fügbar) unumgänglich.
Medikamentöse Prophylaxe                    Migräneprophylaxe sollte nach sechs         Diese 50-prozentige Reduktion wird in
                                            bis zwölf Monaten die Notwendigkeit         den Studien als Vergleichsbasis unter-
Die medikamentöse Prophylaxe bei            der Dauerprophylaxe überprüft werden,       schiedlicher Medikamente herange-
Migräne ist laut der deutschen Gesell-      wobei die Dosis bis zum Absetzen all-       zogen. Über die Responderraten (der
schaft für Neurologie (DGN) und der         mählich reduziert wird. Die Wirkung der     Anteil an Patienten, die diese 50-Pro-
deutschen Migräne- und Kopfschmerz-         Betablocker Metoprolol und Proprano-        zent-Reduktion schaffen), wird die
gesellschaft (DMKG) indiziert, wenn         lol, des Kalziumantagonisten Flunarizin     Wirksamkeit beurteilt. Generell ist aber
ein besonderer Leidensdruck, eine Ein-      und der Antikonvulsiva Topiramat und        zu sagen, dass die Responderraten quer
schränkung der Lebensqualität und das       Valproinsäure (bei Frauen im gebär-         durch alle Therapien eher ernüchternd
Risiko eines Medikamentenüberge-            fähigen Alter wegen der Teratogenität       sind. Sie liegen bei den etablierten Me-
brauchs vorliegen.                          kontraindiziert) sowie des trizyklischen    dikamenten bei 35 bis 50 Prozent.10
                                            Antidepressivums Amitriptylin ist in der
Merkmale hierfür sind beispielsweise        Migräneprophylaxe am besten durch           Weiterführende Informationen zu be-
drei oder mehr belastende Migräne-          randomisierte Studien belegt.8              sonderen Situationen und Komorbidi-
attacken pro Monat, Attacken, die auf       Wirkstoffe, die ebenfalls zur Prophylaxe    täten sowie zu interventionellen und
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8    FORUM Arztpraxis 01_2020

neuromodulierenden Verfahren finden          Der CGRP-Spiegel steigt während eines        lungsdauer (zwölf Wochen bis zu sechs
sich in der Leitlinie: Therapie der Migrä-   Migräneanfalls an und normalisiert sich      Monate), der Ausgangssituation (z. B.
neattacke und Prophylaxe der Migräne         beim Abklingen der Kopfschmerzen             Migränetage vor Studienstart) und bei
2018 der DGN und DMKG.                       wieder.9                                     den Ein- bzw. Ausschlusskriterien. Ein
                                                                                          direkter Vergleich der monoklonalen
Neues Wirkprinzip                            Alle drei zugelassenen und verfügbaren       Antikörper bezüglich ihrer Wirksam-
                                             Antikörper müssen subkutan alle vier         keit ist somit nicht möglich. Dasselbe
Seit Ende 2018 sind zur subkutanen An-       Wochen bzw. monatlich verabreicht            gilt auch für die bisher verfügbaren
wendung drei Wirkstoffe einer neuen          werden, für Fremanezumab ist auch ein        Medikamente zur Migräneprophylaxe.
Medikamentenklasse zugelassen, die           dreimonatiges Intervall zugelassen.          Teilweise wurden Patienten mit Vor-
das Spektrum an Möglichkeiten in der                                                      therapien ausgeschlossen bzw. in un-
Migräneprophylaxe erweitern.                 In Österreich befinden sich diese Präpa-     terschiedlichen Subgruppenanalysen
Der Botenstoff Calcitonin Gene-Rela-         rate mit Indikationstext (siehe Kasten) in   untersucht.
ted Peptide (CGRP) wird mit der Ent-         der grünen Box des Erstattungskodex.
stehung von Migräneattacken in Ver-          Sie können auf Kosten der Sozialversi-       Bei allen Zulassungsstudien wurde ein
bindung gebracht. Die monoklonalen           cherung verordnet werden, wenn die In-       dreiarmiges Model gewählt. Alle Patien-
Antikörper Erenumab (Aimovig®), Gal-         dikationsstellung, Erstverordnung und        ten waren Erwachsene unter 65 bzw.
canezumab (Emgality®) und Fremane-           regelmäßige Kontrollen des Anspre-           70 Jahre (Fremanezumab). Der über-
zumab (Ajovy®) hemmen die Wirkung            chens durch einen Facharzt für Neuro-        wiegende Teil der Teilnehmer waren
von CGRP. Sie richten sich entweder          logie erfolgen und die Kriterien des In-     Frauen. Patienten mit kardiovaskulären
gegen den Rezeptor (Erenumab) oder           dikationstextes eingehalten werden.          Ereignissen bzw. Risiken waren weitge-
gegen CGRP selbst (Fremanezumab                                                           hend ausgeschlossen.
und Galcanezumab).                           Studienlage
                                                                                          Episodische Migräne
CGRP reguliert die nozizeptive Signal-       Die Zulassungsstudien variieren im           (mindestens vier Migränetage
übertragung und wirkt als Vasodilatator.     primären Endpunkt bei der Behand-            pro Monat)

                                                                                          Aus den Zulassungsstudien geht eine
                                                                                          Number Needed To Treat (NNT) zwi-
     Indikationstext CGRP- bzw. CGRP-Rezeptor-Antikörper
                                                                                          schen 4,3 – 6,1 hervor. Das heißt, dass
     Als Migräneprophylaxeversuch bei Erwachsenen, wenn zuvor zumindest                   circa vier bis sechs Patienten mit einem
     drei medikamentöse Migräneprophylaxeversuche von ausreichender Dauer                 Antikörper behandelt werden müssen,
     zu keinem klinisch relevanten Ansprechen geführt haben oder wegen thera-             damit es bei einem Patienten zu einer
     piebegrenzender Nebenwirkungen abgebrochen wurden oder wegen Kon-                    mindestens 50-prozentigen Reduktion
     traindikationen nicht verwendet werden können.                                       der Migränetage kommt.
     Die Migräneprophylaxe ist nach drei Monaten und im weiteren Verlauf re-
     gelmäßig zu kontrollieren und nur bei ausreichendem Ansprechen (Reduk-               Die neuen Antikörper zeigten in den
     tion der Migränetage um zumindest 50 Prozent im Vergleich zu den drei                Zulassungsstudien (bei episodischer
     Monaten vor Beginn der Prophylaxe) fortzuführen.                                     Migräne) nach drei bis sechs Monaten
                                                                                          Responderraten zwischen 30 und 62
     Das Nichtansprechen auf die vorherigen Migräneprophylaxeversuche ist                 Prozent, wobei die Placebo-Respon-
     mit einem Kopfschmerztagebuch zu dokumentieren, ebenso wie die drei                  derrate in diesen Studien zwischen 17
     Monate vor Beginn und die ersten drei Monate der Migräneprophylaxe so-               und 38 Prozent lag. Bei den etablierten
     wie die drei Monate vor jeder weiteren Kontrolle.                                    Medikamenten liegt sie bei 35 bis 50
                                                                                          Prozent.10
     Indikationsstellung, Erstverordnung und regelmäßige Kontrollen des An-
     sprechens und der Indikationsstellung durch einen Facharzt/eine Fach-                Nebenwirkungen
     ärztin für Neurologie oder Neurologie und Psychiatrie oder Psychiatrie und           und Hinweise
     Neurologie.
                                                                                          Bislang sind nur wenige behandlungs-
                                                                                          bedürftige Nebenwirkungen aufgetre-
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                                            Migränetage/Monat   Rückgang          Rückgang          Differenz der
                                            bei Studienbeginn   Migränetage       Migränetage       Migränetage/Monat
                                            (STUDIENNAME)       mit Medikament    mit Placebo       zu Placebo

                     Erenumab           ca. 8 (STRIVE)           3,2 – 3,7               1,8               1,4 – 1,9
                     (Aimovig®)         (ARISE)                        2,9               1,8                      1,1
                     Galcanezumab       ca. 9 (EVOLVE1)          4,2 – 4,3               2,3                 1,9 – 2
                     (Emgality®)        (EVOLVE2)                4,6 – 4,7               2,8               1,8 – 1,9
                     Fremanezumab ca. 9 (HALO-EM) 3,4 – 3,7 2,2                                            1,2 – 1,5
                     (Ajovy®)

                     Abb. 4: Abnahme monatlicher Migränetage bei episodischer Migräne10

                                            Migränetage/Monat   Rückgang          Rückgang          Differenz der
                                            bei Studienbeginn   Migränetage       Migränetage       Migränetage/Monat
                                            (STUDIENNAME)       mit Medikament    mit Placebo       zu Placebo

                     Erenumab           ca. 18         6,6 4,2                                                  2,4
                     (Aimovig®)         (Phase2Studie)
                     Galcanezumab       ca. 19 (REGAIN)          4,6 – 4,8               2,7               1,9 – 2,1
                     (Emgality®)
                     Fremanezumab       ca. 16 (HALO-CM)         4,3 – 4,6               2,5               1,8 – 2,1
                     (Ajovy®)

                     Abb. 5: Abnahme monatlicher Migränetage bei chronischer Migräne10

ten. Die Intensität der Nebenwirkungen
wurde als mild eingestuft, wobei es auch
hier besonders zu beachten gilt, dass
Patienten mit Vorerkrankungen weitge-
hend ausgeschlossen wurden. Es kam
unter anderem bei Erenumab (Aimo-
vig®) zu Infekten der oberen Atemwe-
ge, Nasopharyngitis, Muskelspasmen,
Juckreiz oder Obstipation, bei Galca-
nezumab (Emgality®) zu Obstipation
und Schwindel und bei Fremanezumab
(Ajovy®) zu Blasenentzündungen. Die
langfristigen Risiken sind wie bei den
meisten neuen Medikamenten nicht
vollständig erfasst. Von Vorteil ist die
frühe Beurteilbarkeit des Therapieerfol-
ges durch normalerweise frühes Ein-
setzen der Wirkung ohne notwendiger
Auftitrierung. 10

Die Antikörper sollen nicht bei Schwan-
geren bzw. Stillenden eingesetzt werden.
Bei gebärfähigen Frauen ist eine sichere
Kontrazeption zu betreiben. Sie sollten
auch nicht bei Patienten mit koronarer
Herzerkrankung, ischämischem Insult,
Subarachnoidalblutung oder periphe-
rer arterieller Verschlusskrankheit, ent-
FORUM Arztpraxis 1/2020 Oberösterreich - ÖGK
10    FORUM Arztpraxis 01_2020

                                                                                   Quellen

                                                                                   1 ÖSG; Patienteninformation, URL:
                                                                                     https://www.oesg.at/patienteninformationen
                                                                                     migraene/; Abruf am 04.06.2020
                                                                                   2 DNG; S1-Leitlinie: Diagnostik und apparative
                                                                                     Zusatzuntersuchungen bei Kopfschmerzen
zündlichen Darmerkrankungen, COPD,         plantationsempfängern eingesetzt wer-   3 www.neurologen-und-psychiater-im-netz.org;
                                                                                     Abruf am 04.06.2020
pulmonaler Hypertension, M. Raynaud,       den. Für Kinder und Jugendliche liegt
                                                                                   4 IHS; The International Classification of Head-
Wundheilungsstörungen oder bei Trans-      keine Zulassung vor.11                   ache Disorders, 3rd Edition, Cephalalgia 2018,
                                                                                     38 (1): 1-211
                                                                                   5 IQWiG; URL: https://www.gesundheitsinfor-
                                                                                     mation.de/migraene.2228.de.html; Abruf am
                                                                                     03.06.2020
                                                                                   6 Ch.Wöber; Migräne, J Neurol
                Fazit                                                                Neurochir Psychiatrie 2020; 21 (1): 6-12
                                                                                   7 Uwe Reuter; GBD 2016: still no improvement
                                                                                     in the burden of migraine, The lancet Neuro-
                                                                                     logy 2018, 17 (11): 929-930
     Migräne schränkt die Lebensqualität meist erheblich ein und führt auch zu
                                                                                   8 DGN und DMKG; S1-Leitlinie: Therapie der
     ökonomischen Belastungen, da sich viele Patienten im erwerbstätigen Al-         Migräneattacke und Prophylaxe der Migräne
     ter befinden. Durch die heterogenen Verlaufsformen und schwere Abgren-          2018
     zung zu anderen Kopfschmerzarten wird die Diagnose und Behandlung oft         9 Arzneiverordnung in der Praxis; Monoklonale
                                                                                     Antikörper zur Prophylaxe von Migräne, URL:
     erschwert. Deshalb ist das genaue Führen eines Schmerztagebuches un-            https://www.akdae.de/Arzneimitteltherapie
     erlässlich. Triggerfaktoren sollten vermieden werden und Prodromalsymp-         AVP/vorab/20191217-Migraeneprophylaxe.pdf ;
                                                                                     Abruf am 04.06.2020
     tome sollten wahrgenommen werden um das Verhalten anzupassen.
                                                                                   10 DGN und DMKG; Prophylaxe der Migräne mit
                                                                                      monoklonalen Antikörpern gegen CGRP oder
     Zur Akutbehandlung stehen im Wesentlichen NSAR, Triptane und Anti-               den CGRP-Rezeptor; Dezember 2019; Ergän-
     emetika zur Verfügung. Wobei der optimale Zeitpunkt der Einnahme und             zung zu S1 Leitlinie: Therapie der
                                                                                      Migräneattacke und Prophylaxe der Migräne,
     das individuelle Ansprechen auf die Wirkstoffe wichtig sind, um eine wirk-
                                                                                   11 Fachinformationen, Stand Mai 2020
     same Therapie zu ermöglichen. Zu beachten gilt es die Nebenwirkungspro-
     file und das Risiko des Übergebrauches. Der Erfolg der medikamentösen
     Prophylaxe ist ernüchternd, weder etablierte noch neue Wirkstoffe führen
                                                                                   Lecture Board:
     bei der Mehrheit der Patienten zu einer weitgehenden Attackenfreiheit.
     Vielmehr ist es Ziel die Attacken zu reduzieren, und zwar um mindestens
                                                                                   Univ. Prof. Dr. Reinhold Schmidt
     50 Prozent. Oft ist es notwendig, dass ein Facharzt für Neurologie konse-     Universitätsklinik für Neurologie;
     quent mehrere Therapien versuchen muss, um ein adequates Ansprechen           LKH-Univ. Klinikum Graz
     sicherzustellen. Ein wichtiges Instrument dabei ist das Schmerztagebuch.
     Etablierte Migräneprophylaktika sind unter Beachtung der Komorbiditäten       OA. Dr. Gerhard Traxler
                                                                                   Klinik für Neurologie 2;
     und Kontraindikationen bei vielen Patienten zwar gut wirksam, aber durch
                                                                                   Kepler Universitätsklinikum Linz
     unerwünschte Arzneimittelwirkungen nur begrenzt einsetzbar.

     Die neuen CGRP- bzw. CGRP-Rezeptor– Antikörper verringern die Anzahl
     der Migränetage im Mittel um wenige Tage pro Monat. Es ist bisher unklar,
     ob sie besser wirken als bisherige Migränemedikamente zur Prophylaxe, da
     keine direkten Vergleichsdaten vorliegen. Sie sind als weitere therapeu-
     tische Optionen zu sehen. Zudem sind Risiken und Langzeiteffekte nicht
     endgültig bewertet.                                                           Dieser Artikel bietet Ihnen die Möglich-
     Aus ökonomischer Sicht sind sie beim derzeit bekannten Nutzen und den         keit zum Erwerb von Punkten für das
     hohen Preisen im Vergleich zu etablierten Prophylaktika um ein vielfaches     Diplom-Fortbildungs-Programm der
     teurer und nur in gut begründeten Fällen einzusetzen. Die Kriterien für den   Österreichischen Ärztekammer.
     Einsatz auf Kosten der Sozialversicherung finden sich im Indikationstext      Sie haben auf www.meindfp.at die
     wieder.                                                                       Möglichkeit, den Artikel zu lesen und
                                                                                   die zugehörigen Testfragen online zu
                                                                                   beantworten. Bei richtiger Beantwor-
                                                                                   tung wird Ihnen der DFP-Punkt auto-
                                                                                   matisch auf Ihr ÖÄK-Online-Fortbil-
                                                                                   dungskonto gutgeschrieben.
01_2020 FORUM Arztpraxis     11

Diabetes: Wissen schützt
Eine erfolgreiche Diabetestherapie setzt eine intensive
Auseinandersetzung mit der Krankheit sowie das Wissen um
Ursachen und Zusammenhänge voraus.

Bewegung                                    Sport oder Bewegung in der Natur, ein
                                            gutes Buch oder ein Konzertbesuch sind
Besonders Personen mit Diabetes mel-        ebenfalls bewährte Mittel, um stressaus-
litus profitieren von regelmäßiger kör-     lösende Gedanken auszuschalten.
perlicher Bewegung und Sport.
Für den Typ-2-Diabetiker ist die Umset-     Ernährung                                                         PRAXIS
zung allgemeiner Tipps sehr wertvoll:
                                            Durch dauerhaft erhöhte Blutzucker-                             AKTUELL:
●   Einfache Dinge wie Treppensteigen       spiegel werden Blutgefäße geschädigt
    anstatt den Aufzug zu nehmen oder       und es kann zu schweren Spätschäden
    eine Haltestelle früher aussteigen      wie Retinopathie, Nephropathie und                                    Tipp
    sind ohne Aufwand zu bewerkstelli-      Neuropathie kommen.
    gen.                                                                                                       für Ihre
    Moderates Ausdauertraining (schnel-     Durch Einhaltung der folgenden Tipps
                                                                                                             Patienten
●
    les Gehen, Walken, Radfahren,           kann das Risiko gesenkt werden und die
    Schwimmen) und Kräftigungstraining      Diabetes-Therapie unterstützt werden:
    haben günstige Effekte. Die Österrei-
    chische Diabetes Gesellschaft emp-      ●   Bauen Sie Übergewicht ab.
    fiehlt 150 Minuten moderate Bewe-       ●   Essen Sie vielseitig und nicht ener-
    gung pro Woche, das entspricht drei         giedicht. (Fett und Alkohol sind vor     starken Risikoreduktion durch einen
    bis vier Mal pro Woche 30 bis 40 Mi-        allem hohe Energieträger)                Rauch-Stopp sollte jeder Betroffene mit
    nuten Bewegung.                         ●   Essen Sie geeignete Eiweiße, wie         Diabetes mindestens einmal jährlich
●   Zu intensives Training kann bei man-        Fisch und Geflügel statt rotem           nach einem eventuellen Tabakkonsum
    chen Diabetikern zur Senkung der            Fleisch und Eiern. Tipp: Viele Pflan-    befragt und über das erhöhte Risiko
    Blutzuckerwerte führen. Wenn dies           zen, wie beispielsweise Soja, Bohnen,    aufgeklärt werden. Bei chronischem
    beobachtet wird, ist eine Rückspra-         Linsen und Erbsen enthalten eben-        Tabakrauchen ist ein Rauchstopp drin-
    che mit dem behandelnden Arzt er-           falls hochwertiges Eiweiß.               gendst empfohlen!
    forderlich.                             ●   Verwenden Sie geeignete Fette wie
●   Viele Fitnessstudios und Trainer sind       „ungesättigte“ Fette (kaltgepresstes
    auf Typ-2-Diabetiker spezialisiert.         Oliven-, Leinöl, vorwiegend pflanzli-
●   Bei Diabetikern unter Insulintherapie       che Fette). Butter kann durch hoch-
    sollten unbedingt vor, während und          wertige Margarine ersetzt werden.                           Ernährungstipps
    nach dem Bewegungsprogramm              ●   Ein hoher Ballaststoffanteil ist wich-                      finden Sie auch in
    Blutzuckermessungen durchgeführt            tig, verzehren Sie geeignete Kohlen-                        dieser Broschüre,
    werden. Anpassungen der Insulin-            hydrate wie Gemüse, Obst, Vollkorn-                         die Sie im Inter-
    dosis und Zusatz-Kohlenhydratein-           produkte und Hülsenfrüchte.                                 net downloaden
    heiten sollen berücksichtigt werden.                                                                    können:
                                            Rauchen                                        https://www.gesundheitskasse.at/
Stress                                                                                     – Oberösterreich – Versicherte –
                                            Wegen der enormen Bedeutung des                Broschüren-Download
Schlafen Sie ausreichend und sorgen         Rauchens für Genese und Prognose
Sie für mehr Ruhe und Gelassenheit          des Diabetes und der nachgewiesenen
durch Entspannung.

Entspannungstechniken wie z. B. auto-           Weitere Informationen finden Sie auf der Homepage der
genes Training, Yoga oder Atemübungen           österreichischen und der deutschen Diabetes Gesellschaft:
                                                ● https://www.deutschediabetesgesellschaft.de
lassen sich erlernen und sind ein guter
                                                ● https://www.oedg.at
Weg mit Stresssituationen umzugehen.
12   FORUM Arztpraxis 01_2020

Statine
Wechselwirkungen meist vermeidbar
                                Statine werden nicht nur zur Senkung des Gesamt-Choles-
                                terinspiegels sondern auch zur Vorbeugung kardiovaskulärer
                                Ereignisse eingesetzt. Es handelt sich um an sich sehr gut
                                verträgliche Substanzen.

                                Alle Statine, außer Pravastatin und Ro-    tatin, Fluvastatin oder Pravastatin als
                                suvastatin, sind Substrate des Cyto-       geeignete Kombinationspartner erwie-
                                chrom-P450-Systems.        Arzneimittel,   sen. Die gleichzeitige Gabe von Amio-
                                die über dieses System den Statin-Ab-      daron mit Lovastatin oder Simvastatin
MEDIZIN                         bau hemmen, führen zu erhöhten Sta-        kann unter Beachtung der Maximal-
                                tin-Serum-Spiegeln und erhöhen damit       dosis von 40 mg bzw. 20 mg pro Tag in
AKTUELL:                        das Myopathierisiko.1                      Betracht gezogen werden, bei höheren
                                Auch die Azol-Antimykotika Itraco-         Dosierungen ist ein engmaschiges Mo-
                                nazol, Ketoconazol und Posaconazol         nitoring erforderlich.2
Arzneimittel-                   hemmen den CYP3A4-abhängigen
                                Metabolismus von Arzneistoffen und         Die gemeinsame Gabe von Atorvastatin
Wechsel-                        können eine vielfach erhöhte Exposi-       und Diltiazem führt zu einer geringfü-
                                tion mit Statinen verursachen. Die         gigen Erhöhung der Statin Exposition,
wirkungen                       gleichzeitige Anwendung dieser Wirk-       daher ist eine Kombination angemes-
                                stoffe mit Simvastatin, Lovastatin oder    sen. Zu bevorzugen sind Pravastatin
                                Atorvastatin ist deshalb kontraindiziert   und Rosuvastatin bei gleichzeitig vor-
                                beziehungsweise sollte vermieden wer-      liegender Indikation für Diltiazem oder
                                den.                                       Verapamil.1,2,3

                                Eine wichtige Wechselwirkung dieser        Inhibitoren des Cytochrom-P450- Sys-
                                Art betrifft Fibrate. Wenn das Statin      tems sind auch die Makrolide (Clari-
                                so niedrig wie möglich dosiert wird, ist   thromycin, Erythromycin) und Protea-
                                Fenofibrat bei gegebener Indikation        seinhibitoren (HIV – Virostatika).4
                                generell der geeignete Kombinations-       Grapefruitsaft kann ebenfalls über die
                                partner. Bei Komedikation mit Amioda-      Hemmung der Leberenzyme Wechsel-
                                ron haben sich Rosuvastatin, Atorvas-      wirkungen auslösen, aber klinisch re-
                                                                           levant erst, wenn über 250 ml Saft pro
                                                                           Tag getrunken werden.3

                                                                           Bei Beachtung entsprechender Vor-
                                                                           sichtsmaßnahmen und sorgfältiger Nut-
                                                                           zen-Risiko-Bewertung sind diese Wech-
                                                                           selwirkungen meist vermeidbar.

                                                                           Quellen:
                                                                           1 https://www.gelbe-liste.de/wirkstoffgruppen
                                                                             statine
                                                                           2 Damaris Mertens-Keller; Statine in Interaktion,
                                                                             Deutsche Apotheker Zeitung 2017, Nr. 4, S. 34
                                                                           3 Pharmainformation; Arzneimittelwechsel-
                                                                             wirkungen, Jahrgang 23, Nr. 2; Juni 2008
                                                                           4 Helga Blasius; Von kleinen Unterschieden -
                                                                             Statine sind nicht alle gleich, Deutsche
                                                                             Apotheker Zeitung 2015, Nr. 12, S. 26
01_2020 FORUM Arztpraxis    13

Osteoporose – wenn
Knochen brüchig werden
Laut WHO zählt die Osteoporose weltweit zu den zehn häufigsten
Erkrankungen. Das Risiko, an Osteoporose zu erkranken, nimmt mit dem
Alter, aber auch mit der Anzahl der Begleiterkrankungen zu.

Die häufigste Form ist die primäre Os-      teren klinischen Kontext gestellt wer-            onseinschränkungen, der Erfassung
teoporose, sie betrifft circa 80 Prozent    den. Unabhängig vom Frakturrisiko gilt            von allgemeinen und speziellen Risi-
der postmenopausalen Frauen. Cir-           ein Alter ab 70 Jahren bei Frauen und             kofaktoren (nächste Seite), der Me-
ca 30 Prozent aller Frauen müssen im        ab 80 Jahren bei Männern sowie ein                dikamenten- und Sturzanamnese
Laufe ihres Lebens mit der Entwicklung      T-Score kleiner als -2,5 als Indikation für   ●   Klinischem Befund (Erhebung eines
einer klinisch relevanten Osteoporo-        eine spezifische Therapie.                        signifikanten Größenverlustes, Ske-
se rechnen. Sekundäre Osteoporosen          Als Diagnoseschwelle wird in der Leit-            lettdeformitäten, Tannenbaumphä-
oder Erkrankungen, die mit Osteoporo-       linie des Dachverbands der deutsch-               nomen)
se assoziiert sein können, sind seltener,   sprachigen wissenschaftlichen osteo-          ●   Knochendichtemessung mittels DXA
sollten aber ebenso stets berücksich-       logischen Gesellschaften (DVO) eine           ●   Basislabor
tigt werden. Ab einem Alter über 70         Wahrscheinlichkeit für osteoporotische        ●   Bildgebender Diagnostik bei klini-
Jahre nimmt die senile Osteoporose          Frakturen von 20 und mehr Prozent in-             schen Hinweisen auf osteoporoti-
bei beiden Geschlechtern kontinuier-        nerhalb von zehn Jahren angegeben.                sche Wirbelkörperfrakturen.
lich zu. Osteoporose-assoziierte Frak-
turen können zu einer deutlichen Ein-       Eine Basisdiagnostik wird bei allen           Das von der Leitliniengruppe emp-
schränkung der Lebensqualität führen        Fragilitätsfrakturen sowie bei Auftre-        fohlene Standardverfahren zur Kno-
und sind mit einer erhöhten Mortalität      ten verschiedenster Risikofaktoren ab         chendichtemessung ist die Osteo-
(innerhalb des ersten Jahres nach Frak-     einem Alter von 50 Jahren empfohlen.          densitometrie mittels DXA an der
tur am höchsten) verbunden.                 Sie besteht aus:                              Lendenwirbelsäule und am proximalen
                                            ● Anamnese,        inklusive Erhebung         Femur. Da das individuelle Frakturrisiko
Definition und Diagnose                        niedrigtraumatischer Frakturen, os-        von vielen weiteren Variablen abhän-
                                               teoporotischer Schmerzen/Funkti-           gig ist, sind für dessen Abschätzung
Definiert wird Osteoporose als eine
systemische Skeletterkrankung. Sie
ist durch eine verminderte Knochen-
masse sowie eine mikroarchitektoni-
sche Störung des Knochengewebes
charakterisiert und geht mit einem
nachfolgend erhöhten Frakturrisiko
einher. Sind bereits Frakturen als Fol-
ge der Osteoporose aufgetreten, liegt
eine manifeste Osteoporose vor. Die
WHO-Definition basiert auf der Mes-
sung der Knochenmineraldichte mit-
tels Dual Energy X-ray Absorptiometry
(DXA) und legt einen T-Score kleiner
-2,5 als Diagnosekriterium fest. Der T-
Score ist die Standardabweichung vom
Mittelwert des Knochenmineraldich-
te-Wertes gesunder junger Erwachse-
ner im Alter von 30 Jahren. Nachdem
osteoporotische Frakturen aber auch
bei einem T-Score größer als -2,5 auf-
treten, kann die Diagnose nie alleine
aus dem T-Score, sondern nur im wei-
14    FORUM Arztpraxis 01_2020

WIRKSTOFF                   VERTEBRALE FRAKTUR                       NICHTVERTEBRALE FRAKTUR                        PROXIMALE FEMURFRAKTUR

Alendronat                                 A                                        A 		A
Ibandronat                                 A                                        A (§) 		(x)
Risedronat                                 A                                        A 		A
Zoledronat                                 A                                        A		A
Denosumab                                  A                                        A 		A
Teriparatid                                A                                        A 		(x)
Raloxifen                                  A                                        (x) 		(x)
A: Evidencelevels Ia und Ib, (§) nur in Untergruppen signifikant (Post-hoc-Analyse), (x) fraktursenkender Effekt nicht adäquat belegt

Abb. 1: Fraktursenkender Effekt verschiedener Medikamente zur Behandlung der postmenopausalen Osteoporose im EKO
(Arznei und Vernunft; modifiziert ÖGK)

Vorhersagemodelle wie z. B. der FRAX                   Wirbelkörperfrakturen stellt entspre-                  ten Osteoporose sind Alendronsäure,
(http://www.shef.ac.uk/FRAX) oder das                  chend den Leitlinien eine Indikation für               Risedronsäure (nur bei Frauen), Zole-
DVO-Risikomodell entwickelt worden.                    eine spezifisch-pharmakologische Os-                   dronsäure und Teriparatid zugelassen.
                                                       teoporosetherapie dar. Für Hochrisikopa-
Risiken                                                tienten ist der stärkste Wirkungseffekt zu             Für die individuelle Auswahl der Medi-
                                                       erwarten. Auch bei niedrigtraumatischen                kamente sollten neben der zugelasse-
Wesentlich ist die Erfassung von Risiko-               osteoporose-typischen Frakturen ist eine               nen Indikation und der Effektivität, die
faktoren für Frakturen.                                spezifische Osteoporosetherapie indi-                   möglichen Neben- und Zusatzwirkun-
Zu den allgemeinen Risikofaktoren zäh-                 ziert und kann in diesen Fällen auch ohne              gen, die Applikationsform, die nachge-
len beispielsweise das Lebensalter (nach               Messung der Knochenmineraldichte be-                   wiesene Wirkungsdauer auch nach Ab-
dem 50. Lebensjahr verdoppelt sich das                 gonnen werden.                                         setzen des Präparates und die Kosten in
Frakturrisiko mit jeder Dekade), das Ge-                                                                      die Überlegungen einbezogen werden.
schlecht (bei Männern über 60 Jahren ist               a) Basis-Therapie
das Risiko nur halb so hoch wie bei Frau-              Die beeinflussbaren Risikofaktoren soll-               c) Präparate
en gleichen Alters), vertebrale Frakturen,             ten nach Möglichkeit minimiert werden.                 Bisphosphonate sind nach wie vor
nicht-vertebrale Frakturen nach dem 50.                                                                       die Therapie der ersten Wahl. Sie sind
Lebensjahr, proximale Femurfraktur der                 Eine Basistherapie mit 1.000 mg Kal-                   potente Inhibitoren der Knochenre-
Eltern, multiple Stürze, Immobilität oder              zium und 800 IE Vitamin D täglich ist                  sorption und werden im Knochen ab-
Rauchen.                                               eine unbedingt notwendige Voraus-                      gelagert. Für Bisphosphonate wurde
Risiken durch spezielle Grunderkran-                   setzung für eine wirksame Behandlung                   eine fraktursenkende Wirkung über
kungen (sekundäre Osteoporosen sowie                   mit oder ohne knochenspezifischer                       einen Zeitraum von zumindest drei bis
Erkrankungen, die mit Osteoporose as-                  Medikation und senkt nachweislich das                  fünf Jahren nachgewiesen. Weil orale
soziiert sein können) sind unter anderem               Frakturrisiko.                                         Präparate Irritationen der Ösophagus-
endokrinologische Erkrankungen wie                                                                            schleimhaut verursachen können, ist
Hyperkortisolismus, prim. Hyperparat-                  b) Spezifisch-medikamentöse Therapie                   es wichtig, den Patienten die korrekte
hyreoidismus oder Diabetes mellitus und                Vor Beginn einer spezifischen Osteo-                   Einnahme mitzuteilen. Sie sollten nüch-
rheumatologische bzw. gastroenterolo-                  porosetherapie mit Bisphosphonaten                     tern in ausreichendem Abstand zum Es-
gische Erkrankungen (z. B. Zöliakie).                  oder Denosumab muss der Kalzium-                       sen (mindestens eine halbe Stunde), in
Das Frakturrisiko kann auch durch me-                  spiegel ausgeglichen sein (cave: Hypo-                 aufrechter Körperhaltung (mindestens
dikamentöse Therapien wie durch ora-                   kalzämien!).                                           30 Minuten, danach nicht wieder hin-
le Glukokortikoide stark (abhängig von                 Die laut NOGG (National Osteoporo-                     legen) mit mindestens 200 ml Wasser
Dosis und Dauer) oder beispielsweise                   sis Guideline Group) am besten beleg-                  (keine Mineralwasser oder andere Ge-
mäßig durch hormonablative Thera-                      ten, medikamentösen Therapieoptio-                     tränke) und nicht gleichzeitig mit dem
pien, Aromatasehemmer, Antidepres-                     nen in Bezug auf eine Frakturreduktion                 Kalzium/Vitamin-D-Präparat       einge-
siva, Protonenpumpenhemmer (bei                        bei der postmenopausalen Frau sind in                  nommen werden. Bei allen Bisphospho-
Langzeiteinnahme) oder Sedativa und                    Abbildung 1 oben zusammengefasst.                      naten stellen Hypokalzämie, erhebliche
Neuroleptika (Sturzrisiko) erhöht sein.                                                                       Nierenfunktionseinschränkung        und
                                                       Für den Mann sind Risedronat, Zole-                    Gravidität Kontraindikationen dar. Das
Therapie                                               dronat, Denosumab und Teriparatid zur                  Auftreten von atypischen Femurfrak-
                                                       Therapie der Osteoporose zugelassen                    turen und Kieferosteonekrosen wird als
Ein Zehn-Jahres-Frakturrisiko von 30                   und in Österreich verfügbar. Für die Be-               selten beschrieben. Die Bisphosphona-
Prozent und mehr für Schenkelhals- und                 handlung der Glukokortikoid-induzier-                  te Risedronsäure, Alendronsäure und
01_2020 FORUM Arztpraxis    15

Ibandronsäure sind für die Osteoporose      tor (SERM) – zu nennen. Es muss ein-         liche Risikofaktoren für Kieferosteonek-
zugelassen, im österreichischen Erstat-     mal täglich eingenommen werden und           rosen evaluieren und die Patienten an-
tungskodex in der grünen Box generisch      reduziert das Frakturrisiko nur für verte-   halten, während der Behandlung eine
mehrfach verfügbar (Ausnahme Zole-          brale Frakturen (siehe Abbildung 1). Das     gute Mundhygiene einzuhalten und
dronsäure 5 mg) und im Infotool zum         Risiko für thromboembolische Ereignis-       zahnärztliche Routineuntersuchungen
Erstattungskodex ökonomisch gereiht.        se sollte bei der Therapieentscheidung       durchführen zu lassen. Eine bereits be-
                                            jedenfalls berücksichtigt werden.            stehende Hypokalzämie muss ebenfalls
Wenn eine Bisphosphonattherapie nicht                                                    vor Therapiebeginn korrigiert werden
möglich ist, stehen im EKO weitere Alter-   Im gelben Bereich (RE1) des EKO ist          (cave: fatale Hypokalzämien). Nach Ab-
nativen zur Verfügung, die allesamt eine    Denosumab 60 mg (Prolia®), ein os-           setzen scheint es im Gegensatz zu den
rasch-reversible Wirkung im Vergleich zu    teoklastenhemmender monoklonaler             Bisphosphonaten zu einer raschen Ab-
Bisphosphonaten aufweisen.                  Antikörper, der alle sechs Monate sub-       nahme der Knochenmineraldichte und
                                            kutan verabreicht wird, angeführt. Die       einhergehenden Frakturen zu kommen.
Als weitere antiresorptive Substanz, die    Behandlungsdauer ist unklar. Atypische       Derzeit ist unklar, ob es sogar zu einer
im grünen Bereich des EKO (mit IND)         Frakturen und Kiefernekrosen stellen         Art Rebound-Effekt mit überschießend
für postmenopausale Frauen gelistet ist,    seltene Nebenwirkungen dar. Ärzte soll-      vermehrtem Knochenabbau kommt.
ist Raloxifen 60 mg FT (Evista®) – ein      ten vor Behandlungsbeginn, wie auch          Bei der Entscheidung für eine Denosu-
selektiver Östrogenrezeptor-Modula-         bei einer Bisphosphonattherapie, mög-        mabbehandlung sollte nach Ansicht der
                                                                                         Arzneimittelkommission der deutschen
                                                                                         Ärzteschaft die derzeit unklare Situa-
                                                                                         tion hinsichtlich des Vorgehens bei Ab-
                                                                                         setzen berücksichtigt und die Patienten
       Therapie-Tipps für die Praxis                                                     entsprechend aufgeklärt werden. Nach
                                                                                         dem Absetzen müssen Maßnahmen
   ●   Eine Basistherapie mit Kalzium und Vitamin D ist jedenfalls sicherzustel-         zum Erhalt der Knochendichte einge-
       len.                                                                              setzt werden.
   ●   Bisphosphonate stellen die spezifische-medikantöse Therapie der ers-
       ten Wahl dar. Genaue Einnahmemodalitäten bei oralen Formen sollten                Als osteoanabole Therapie steht eben-
       dem Patienten unbedingt mitgeteilt werden, da hierdurch die Verträg-              falls im gelben Bereich Teriparatid
       lichkeit und somit Compliance bzw. Adhärenz gesteigert werden kann.               20 µg (Forsteo®, Movymia®, Terrosa®)
   ●   Aufgrund des Hypokalziämierisikos wird bei Bisphophonat-, Denosu-                 einmal täglich subkutan mit einer maxi-
       mab- oder Romosozumabtherapie empfohlen vor und während einer                     malen Therapiedauer von 24 Monaten
       Behandlung das Blutserum-Kalzium zu überprüfen und gegebenenfalls                 zur Verfügung. Tierstudien haben bei
       zu korrigieren. Wegen seltener aber potenziell gefährlicher Kieferosteo-          längerer Anwendung auf eine erhöhte
       nekrosen ist auch auf gute Mundhygiene zu achten.                                 Osteosarkome-Inzidenz hingewiesen.
   ●   Nach Beendigung einer Denosumab-, Teriparatid- oder Romosozumab-                  Als Kontraindikationen werden unter
       therapie muss eine Anschlussbehandlung erfolgen.                                  anderem Hyperkalzämien, schwere
   ●   Bei Teriparatid stehen nun Biosimilars mit größeren Kostenvorteilen zur           Niereninsuffizienz und metabolische
       Verfügung.                                                                        Knochenkrankheiten angeführt. Seine
   ●   Generell ist auf präventive Maßnahmen hinzuweisen und auf die Thera-              osteoanabole Wirkung beruht unter
       piecompliance bzw. Adhärenz zu achten.                                            anderem auf einer Stimulierung der
                                                                                         Osteoblasten.
16   FORUM Arztpraxis 01_2020

Auch nach dieser Therapieoption ist         Kontraindikationen werden Hypokalzä-       oder beispielsweise bei Glukokortiko-
jedenfalls eine antiresorptive Anschluss-   mie und Myokardinfarkt bzw. Schlagan-      id-Dauertherapie ungünstig erscheinen
behandlung (z. B. mit Bisphosphonaten)      fall in der Historie genannt.              lassen.
erforderlich.
                                            Zu den Nebenwirkungen zählen unter         Quellen:
Romosozumab (Evenity®) ist eine             anderem neben kardiovaskulären Er-         DVO-Leitlinie 2017 zur Prophylaxe, Diagnostik und
                                                                                       Therapie der Osteoporose bei postmenopausalen
neue Wirksubstanz, die nicht im EKO         krankungen auch atypischen Frakturen,
                                                                                       Frauen und bei Männern
angeführt und für die Behandlung bei        Hypokalzämien und Kieferosteonekro-
                                                                                       Arznei & Vernunft Osteoporose; Stand Juli 2017
postmenopausalen Frauen zugelassen          sen. Hinsichtlich der Langzeitsicherheit
                                                                                       AVP Arzneiverordnung in der Praxis: Zweckmäßige
ist. Der monoklonale Antikörper verfügt     liegen noch nicht ausreichend Daten        Diagnostik und medikamentöse Therapie der
über eine duale Wirkung, der einerseits     vor. Zudem gibt es Beobachtungen, die      Osteoporose; Februar 2020

den Knochenaufbau stärkt und ande-          eine Anwendung dieser Substanz bei
rerseits den Knochenabbau hemmt. Als        TNF-alpha-vermittelten Erkrankungen

Movymia® und Terrosa®
Erste Biosimilars zu Forsteo® (Teriparatid)
                                            Seit März 2020 sind die Biosimilars Terrosa® und Movymia®
                                            im EKO verfügbar und haben Zulassungen bei allen Osteo-
                                            porose-Indikationen des Referenzbiologikums Forsteo®.

MEDIZIN                                     Laut Regeltext können diese Medika-        werden. Eine antiresorptive Anschluss-
                                            mente verordnet werden, wenn bei           behandlung ist notwendig.
AKTUELL:                                    Patienten mit progredienter Knochen-
                                            bruchkrankheit (postmenopausale Os-        Zu den häufigsten möglichen uner-
                                            teoporose, Osteoporose bei Männern,        wünschten Wirkungen gehören Übel-
Neu am                                      glucocorticoid-induzierte Osteoporo-       keit, Gliederschmerzen, Kopfschmer-
                                            se) trotz adäquat geführter, mehr als      zen, Schwindel und Reaktionen an der
Markt                                       zwei Jahre währender, antiresorptiver      Injektionsstelle.
                                            Therapie Wirbelkörperfrakturen auf-
                                            treten. Die Erstverordnung muss durch      Der Preisunterschied der Biosimi-
                                            eine Osteoporose-Ambulanz durchge-         lars zum Referenzbiologikum beträgt
                                            führt werden.                              67,05 Euro pro Packung (Stand Juni
                                                                                       2020). Im Jahr 2019 wurden knapp
                                            Es werden mit einem Pen täglich 20µg       über 2.000 Teriparatid-Therapien ver-
                                            Teriparatid vom Patient subkutan in den    ordnet. Das würde in Oberösterreich
                                            Oberschenkel oder die Bauchhaut inji-      pro Jahr ein Einsparpotenzial von rund
                                            ziert. Die maximale Teriparatid-Thera-     135.000 Euro ergeben.
                                            pie beträgt insgesamt 24 Monate. Die-
                                            se 24-monatige Therapie sollte beim        Quellen:
                                            gleichen Patienten nicht wiederholt        Austria Codex, BIG und EKO
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Borreliose
Vom Hautfleck zur „endlosen Erkrankung“
Mit geschätzten 25.000 bis 70.000 Neuerkrankungen                                                                  PRAXIS
jährlich ist Borreliose die häufigste durch Zecken übertragene
Krankheit Österreichs.                                                                                            AKTUELL

1976 erkrankten im U.S. Städtchen Lyme       bilitäts-, Gang- und Harnblasenfunkti-
zahlreiche Jugendliche an Gelenks-           onsstörungen, auch gemeinsam mit ei-
entzündungen nach Zeckenstich, 1981          ner umschriebenen Hautdegeneration
wurde „Borrelia Burgdorferi“ als Verur-      (Acrodermatitis atrophicans), die trotz
sacher der Lyme-Borreliose entdeckt.         Behandlung als irreversible Schädigung      len in den Medien sorgt das Chronic
Borrelien sind Bakterien, die sich im        persistieren kann.                          Lyme, eine rein hypothetische Krank-
Darm der Zecke vermehren und beim                                                        heit ohne gesicherten Borrelienbezug
Blutsaugen auf das Opfer übertragen          Die Diagnose wird in der Regel durch        mit diffusen unklaren Beschwerden und
werden, weshalb jede Zecke sofort zu         das Zusammentreffen von Zeckenstich         entsprechend mannigfaltigen, Evidenz
entfernen ist, da das Erkrankungsrisiko      und Erythema migrans gestellt und           entbehrenden Therapieansätzen, die
mit zunehmender Saugdauer wächst.            eine Antibiotika-Therapie wird ohne La-     überaus häufig zum „endlosen unheil-
Die Lyme-Borreliose tritt weltweit zwi-      bor-Serologie begonnen.                     baren Leiden“ wird.
schen dem 40. und 60. nördlichen Brei-       Mittel der Wahl sind Amoxicillin und
tengrad auf, in Österreich gelten 30 bis     Doxycyclin (p.o. oder i.v. in Standard-                Dr. med. Hartwig Bailer, MBA
                                                                                                      Facharzt für Innere Medizin, SVS
40 Prozent aller Zecken als infiziert.       dosierung) – bei solitärer Hautmanifes-
                                             tation 10 bis 14 Tage, bei kutaner Disse-
Die Borreliose ist eine Multisystem-         minierung oder Allgemeinsymptomatik
erkrankung, die Haut, Gelenke, Ner-          (z. B. Fieber) drei Wochen. Damit               Die Borreliose ist eine sehr häu-
vensystem, Herz und Augen befallen           werden Heilungsraten von mehr als               fige Erkrankung mit primärem
kann. Bei über 80 Prozent aller Betroffe-    95 Prozent erzielt. Nicht abheilende            Antibiotikabedarf. Ein diagnos-
nen tritt als Erstmanifestation circa drei   Hautveränderungen sind differen-                tisches Dilemma besteht oft
bis 30 Tage nach dem Zeckenstich an          zialdiagnostisch weiter abzuklären. Bei         bei Nichtauftreten, Ignorieren,
der Stichstelle das Erythema migrans         nachgewiesener Neuroborreliose sind             aber auch erfolgreicher Selbst-
(Wanderröte) auf. Das ist eine rundliche     liquorgängige Antibiotika (z. B. Penicil-       behandlung eines Erythema
über fünf Zentimeter messende Haut-          lin G, Ceftriaxon) einzusetzen. Schwie-         migrans, wenn Betroffene ohne
rötung mit abgesetztem äußeren Rand.         rig ist die Interpretation der Borrelien-       diese Anamnese wegen erst viel
Erythema migrans heilt auch ohne             Antikörperspiegel insbesondere bei              später auftretender Gelenks-
Antibiotika-Behandlung nach wenigen          behandelten Erkrankten mit System-              und neurologischer Symptome
Wochen ab. In weiterer Folge kann es         manifestation, da die Erkrankung keine          ärztliche Hilfe in Anspruch neh-
völlig unabsehbar zum Auftreten von          bleibende Immunität hinterlässt (und            men, deshalb eine komplizierte
Entzündungen eines oder mehrerer             es auch keine Schutzimpfung gibt), die          Differenzialdiagnose abläuft und
Gelenke kommen (85 Prozent Kniege-           Serumspiegel individuell schwanken              allenfalls „Ex-iuvantibus“-Thera-
lenk, seltener Ellenbogen- und Sprung-       und auch wiederholte Infektionen auf-           pien nicht helfen. Hautrötungen
gelenk), sowie vier bis sechs Wochen         treten können.                                  ohne wahrgenommenen Ze-
nach Zeckenstich bei 60 bis 70 Prozent                                                       ckenbiss sind stets ärztlich, un-
der Infizierten zur frühen Neuroborre-       Das      Post-Lyme-Disease-Syndrom              klare Beschwerden nach Jahren
liose. Diese äußert sich mit nächtlichen     (PLDS) tritt bei bis zu zehn Prozent der        sehr kritisch hinsichtlich chroni-
stechenden Schmerzen in der vom Ze-          Erkrankten auf und äußert sich als chro-        scher Borreliose zu beurteilen.
ckenstich befallenen Gliedmaße, aber         nische Müdigkeit, Konzentrations- und
auch mit Lähmungen an Armen und              Befindlichkeitsstörungen, diffuse Ge-
Beinen sowie einzelner Hirnnerven            lenksbeschwerden, die aber auch ohne        Literatur:
(besonders Facialis, Augenmuskeln).          Borrelien-Infektion auftreten können,       Kutane Lyme Borreliose. AWMF Leitlinie,
Nach Monaten bis Jahren kann bei zwei        weshalb wiederholte, langdauernde           Reg. Nr. 013/044, 2016.

Prozent der Patienten noch die späte         Antibiotikatherapien oft wirkungslos        Neuroborreliose. AWMF Leitlinie,
                                                                                         Reg. Nr. 030/071, 2018.
Neuroborreliose auftreten mit Sensi-         bleiben. Für wiederholte Schlagzei-
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