HANDELN - WASSER FÜR ALLE DAS HARTE LEBEN IN SIMBABWE MENSCHENRECHTE - HEKS

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HANDELN - WASSER FÜR ALLE DAS HARTE LEBEN IN SIMBABWE MENSCHENRECHTE - HEKS
AUGUST 2018

HANDELN
DAS MAGAZIN DES HILFSWERKS DER EVANGELISCHEN KIRCHEN SCHWEIZ

WASSER FÜR ALLE                               MENSCHENRECHTE
                                              Warum überstaatliche Gerichte
                                              wichtig sind
DAS HARTE LEBEN
                                              CHANCENGLEICHHEIT
IN SIMBABWE                                   Das Potenzial von MigrantInnen nutzen
HANDELN - WASSER FÜR ALLE DAS HARTE LEBEN IN SIMBABWE MENSCHENRECHTE - HEKS
INHALT

                                                                                                    IMPRESSUM
                                                                                                    NR. 341 / AUGUST 2018
                                                                                                    HANDELN
                                                                                                    Das Magazin des Hilfswerks
                                                                                                    der Evangelischen Kirchen
                                                                                                    Schweiz
                                                                                                    Erscheint 4-mal jährlich

                                                                                                    AUFLAGE
                                                                                                    52 000

                                                                                                    REDAKTIONSLEITUNG
                                                                                                    Dieter Wüthrich (dw)

                                                                                                    REDAKTION
                                                                                                    Bettina Filacanavo (fb)

                                                                                                    BILDREDAKTION
                                                                                                    Sabine Buri

                                                                                                    TITELBILD
Die Kämpfe in Ost-Ghouta in Syrien haben über fünfzigtausend Menschen in die Flucht getrieben.      Annette Boutellier
Ihr Gesundheitszustand ist prekär. HEKS verteilt gemeinsam mit seiner lokalen Partnerorganisation
GOPA Lebensmittel und Hygieneartikel an 21 700 Menschen. Foto: Havard Bjelland                      KORREKTORAT
                                                                                                    korr.ch

                                                                                                    GESTALTUNG
                                                                                                    Joseph Haas und
                    THEMA                                                                           Corinne Kaufmann-Falk,
                                                                                                    Zürich
                          Reportage
                                                                                                    DRUCK
                          In Simbabwe brauchen die Menschen dringend Zugang                         Druckerei Kyburz AG,
                          zu Land, Wasser und Bildung                                               Dielsdorf

                                                                                                    PAPIER
                     IN DIESER NUMMER                                                               Refutura / Recycled / FSC

                                                                                                    ABONNEMENT
                     3    Editorial                                                                 Fr. 10.– / Jahr
                                                                                                    wird jährlich einmal von
                     4    Reportage
                                                                                                    Ihrer Spende abgezogen
                          Simbabwe: Wie HEKS ländliche Gemeinschaften unterstützt
                                                                                                    ADRESSE
                     9    Petition                                                                  HEKS
                          38 000 Unterschriften dem Bundesrat übergeben                             Seminarstrasse 28
                                                                                                    Postfach
                    10    Menschenrechte                                                            8042 Zürich
                          Warum Völkerrecht über Landesrecht steht                                  Telefon 044 360 88 00
                                                                                                    Fax 044 360 88 01
                    14    Schweiz                                                                   E-Mail info@heks.ch
                          Nein zur Selbstbestimmungsinitiative                                      www.heks.ch
                                                                                                    www.eper.ch
                    18    Soziale Integration
                          MigrantInnen auf dem Arbeitsmarkt eine Chance geben                       HEKS-SPENDENKONTO:
                                                                                                    Hilfswerk der Evangelischen
                     22 Patenschaft                                                                 Kirchen Schweiz
                        Zugang zu Land für Familien                                                 PC 80-1115-1

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HANDELN - WASSER FÜR ALLE DAS HARTE LEBEN IN SIMBABWE MENSCHENRECHTE - HEKS
EDITORIAL

               LIEBE LESERIN
               LIEBER LESER

Stellen Sie sich vor, sie trügen in Ihrem Por­-   Während die Menschen in Simbabwe und
temonnaie ein «Nötli» von 100 Billionen           in vielen anderen Ländern rund um den
Franken, eine Zahl mit sage und schreibe          Globus oft in ihren elementarsten Rech-
14 Nullen. Und Sie könnten mit dieser hor-        ten eingeschränkt oder verletzt werden,
renden Summe nicht einmal ein Trambil-            scheint die Schweiz in Bezug auf die Ach-
let kaufen, weil das «Nötli» einem realen         tung und Durchsetzung der Menschen-
Gegenwert von gerade mal 40 Rappen                rechte ein geradezu leuchtendes Vorbild.
 entspricht. Genau dies passierte 2009            Doch wie so oft trügt bei genauerem
den Menschen in Simbabwe im Zuge                  Hinsehen auch hier der Schein. Sicher, wir
­einer Hyperinflation, bei der die Preise für     leben in einem demokratischen Rechts-
Konsumgüter zeitweise um astronomi-               staat. Und niemand muss heute seiner
sche 500 Mia. Prozent (!)                                         politischen Gesinnung,
stiegen und die 2015                                              seiner Religionszugehö-
schliesslich zur Abschaf-       «HEKS bekennt                     rigkeit oder auch seiner
fung des Simbabwe-Dol-                                            sexuellen Orientie­r ung
lars als landeseigene            sich uneinge-                    wegen staatliche Re ­
Währung führte. Diese
ultimative Massnahme
                                  schränkt zu                     pressionen befürchten.
                                                                  Noch nicht, bin ich ge-
stand am Ende einer             den universellen                  neigt einzuschränken.
Entwicklung, die dieses                                           Denn selbstverständlich
fruchtbare und an Boden-          Menschen­                       und unbestritten ist die
schätzen reiche Land im
Süden des afrikanischen
                                    rechten.»                     heutige Situation leider
                                                                  nicht. So stellt die im
Kontinents durch Korrup-                                          kommenden November
tion und Misswirtschaft der herrschen-            zur Abstimmung gelangende «Selbstbe-
den Elite zu einem «Fürsorgefall» der             stimmungsinitiative» scheinbar Selbst-
internationalen Staaten­gemeinschaft hat          verständliches wie die europäische Men-
werden lassen. Nach dem Machtwechsel              schenrechtskonvention zur Disposi­tion.
im November 2017 keimte zwar in der               Als evangelisches Hilfswerk bekennt sich
Bevölkerung da und dort die Hoffnung              HEKS uneingeschränkt zu den univer­
auf eine grundlegende Verbesserung der            sellen Menschenrechten. Daraus ergibt
desolaten Verhältnisse, doch die Lebens-          sich auch unsere Pflicht und unsere Ver-
bedingungen der meisten Menschen sind             antwortung, jeglichem Versuch, die Ein-
nach wie vor prekär.                              klagbarkeit elementarer Grundrechte ei-
                                                  nes jeden Menschen in Frage zu stellen,
HEKS engagiert sich seit den ersten Tagen         entschieden entgegenzutreten. Lesen Sie
der Unabhängigkeit Simbabwes in den               mehr dazu ab Seite 10.
1980er-Jahren für eine Verbesserung der
Lebenssituation von ländlichen Gemein-            Dafür, dass Sie uns in unserem Engage-
schaften. Den Fokus legen wir dabei ins-          ment für die Menschenrechte und damit
besondere auf die Stärkung der Ernäh-             auch die Rechte der Schwächsten unter-
rungssicherheit und einen verbesserten            stützen, danke ich Ihnen von Herzen.
Zugang zu natürlichen Ressourcen wie
Wasser, auf Projekte zur Bekämpfung der                                 Peter Merz
hohen Arbeitslosigkeit und auf friedens-                                Direktor
fördernde Massnahmen zur Beilegung der
zahlreichen politisch, ethnisch und sozial
motivierten Konflikte. Wie wir unseren
Leitspruch «Im Kleinen Grosses bewirken»
in Simbabwe in die Praxis umsetzen, er-
fahren Sie in unserer Reportage ab Seite 4.

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HANDELN - WASSER FÜR ALLE DAS HARTE LEBEN IN SIMBABWE MENSCHENRECHTE - HEKS
REPORTAGE

            Oben: Der Brunnen von Mitsuli versorgt
            78 Haushalte mit sauberem Trinkwasser.
            Diese liegen verstreut in einem Umkreis
            von fünf Kilometern.

            Links: Lucia Ndebele stellt ihr Brunnen­
            komitee vor, welches aus lauter Frauen
            besteht.

            Unten links: Thembekile Nyhati hat mit
            fachlicher Unterstützung vor ihrem Gehöft
            eine Latrine gebaut.

            Unten rechts: Kein Tropfen geht verloren!
            Kaum plätschert es, kommen die Tiere und
            trinken das Restwasser vom Brunnen.

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HANDELN - WASSER FÜR ALLE DAS HARTE LEBEN IN SIMBABWE MENSCHENRECHTE - HEKS
ÜBERLEBEN IM
NIEMANDSLAND
In Simbabwe konzentriert HEKS sein Engagement auf den Distrikt Matobo in der
Provinz Matabeleland-Süd. Die Region liegt im äussersten Südwesten an der Grenze
zu Botswana und ist die am dünnsten besiedelte des Landes. Entsprechend ver­
nachlässigt ist die Infrastruktur. Die HEKS-Projekte ermöglichen den Menschen den
Zugang zu Wasser, Nahrung und Bildung.
Text Monika Zwimpfer
Foto Annette Boutellier

Von Bulawayo, der zweitgrössten Stadt
Simbabwes, fährt man etwa drei Stunden
über Sandpisten bis nach Mitsuli, einem
Weiler aus weit verstreuten Höfen nahe
der Grenze zu Botswana. Die Menschen
pflanzen zur Selbstversorgung Mais und
Gemüse an. Einige halten ein paar Kühe
oder Ziegen. Dieses Jahr setzte der Regen
zwei Monate später als sonst ein. Nicht
alle hatten genug Saatgut, um ein zwei-
tes Mal auszusäen.

Raupen als Nahrung
Auf dem kargen Boden wachsen kaum
grosse Bäume und nur wenig Gras. Weite
Flächen sind von etwa vier Meter hohen      hen. Immer wieder gibt es Fälle von Cho-     Säcke Zement; zwei bis drei weitere müs-
Mopane-Sträuchern überwachsen. Von          lera. Deshalb werden an den Schulen die      sen sie selber beisteuern. Fachleute be-
deren Blättern ernähren sich die Mopa-      wichtigsten Hygieneregeln gelehrt und        gleiten sie bei den Bauarbeiten. Während
ne-Raupen, welche der Landbevölkerung       praktiziert. Gut funktionierende Latrinen    der letzten drei Jahre sind in Schulen und
als Eiweisslieferanten dienen. Die etwa     und Einrichtungen zum Händewaschen           Höfen insgesamt 452 Latrinen gebaut
zeigefingergrossen Tiere werden im April    sind unabdingbar. Die HEKS-Partnerorga-      worden.
und Dezember abgelesen, gekocht, ge-        nisation «Moriti oa Sechaba» hat in zwölf    Thembekile Nyhati lebt schon 20 Jahre
trocknet und als Vorrat konserviert oder    Schulen Lehrpersonen zum Thema ausge-        auf ihrem abgelegenen Gehöft, bis 2016
auf dem Markt verkauft.                     bildet und teilweise neue Latrinen gebaut.   ohne Toilette: «Ich musste immer warten,
Dennoch ist der Hunger in dieser abgele-    In 28 Dörfern sind Hygiene-Clubs ge-         bis es dunkel war, um in die Büsche zu
genen Region allgegenwärtig. Viele          gründet worden: Frauen lernen, wie nach      verschwinden», sagt sie. Nun hat sie mit
Schulkinder kommen mit leerem Magen         den Regeln der Hygiene ein Hof angelegt      Unterstützung von «Moriti oa Sechaba»
zur Schule und schlafen dann im Unter-      sein sollte, wie und wo die Tiere gehalten   eine Latrine mit Händewasch-Vorrichtung
richt ein. Sie erhalten deshalb nach Mög-   werden, wo die Latrine hinkommt, wie         gebaut. Ihr Mann hat sie vor zwei Jahren
lichkeit in der Schule eine Portion Mais-   Küche und Feuerstelle eingerichtet wer-      verlassen und in Südafrika wieder gehei-
brei zur Stärkung.                          den und welche Abfälle man trennt            ratet. Sie hat zwei Kinder und verdient
                                            (Asche, Büchsen, Kompost, Rest). Ihr er-     ihren Lebensunterhalt damit, dass sie für
Hygiene ist wichtig                         worbenes Wissen geben sie anderen            andere betet.
Die Regenzeit dauert normalerweise von      Dorfbewohnerinnen weiter.
November bis März. Dann kann es auch                                                     Der Brunnen von Mitsuli
zu Überschwemmungen kommen. In der          Zement und Knowhow                           Am trockenen Flussbett unter stattlichen
Trockenzeit wird das Wasser rar, und die    Private bauen ihre Toiletten selber. Dazu    Bäumen haben sich rund 30 Frauen mit
Menschen müssen sparsam damit umge-         erhalten sie von «Moriti oa Sechaba» zwei    Kindern und eine Handvoll Männer ver-

                                                                                                                                 5
HANDELN - WASSER FÜR ALLE DAS HARTE LEBEN IN SIMBABWE MENSCHENRECHTE - HEKS
REPORTAGE

sammelt. Vor Kurzem ist ihr Brunnen re-       ständig, die von «Moriti oa Sechaba»         gebaut. 66 Brunnenkomitees und gleich
noviert und mit einer neuen Pumpe ver-        ausgebildet und mit Werkzeug ausgestat-      viele Pumpenwarte sind ausgebildet und
sehen worden. «Die alte Pumpe stammte         tet wurden.                                  mit dem nötigen Werkzeug ausgestattet
von 1992 und war immer wieder kaputt»,        Das Brunnenkomitee besteht aus sieben        worden.
erklärt Sikhanyisiwe Dube, die Projektver-    Frauen, jede hat ihre spezifischen Aufga-
antwortliche für ländliche Entwicklung        ben. «Der Brunnen versorgt 690 Perso-        Ein Garten für 20 Familien
vom HEKS-Büro Simbabwe. «Mit dem              nen mit sauberem Trinkwasser», sagt die      Im Bezirk Bazha, etwas näher bei Bula-
neuen Pumpentyp sind bisher noch nir-         Chefin, Lucia Ndebele, «460 sind Frauen      wayo gelegen, hat die HEKS-Partnerorga-
gends Probleme aufgetaucht.»                  und Mädchen, 230 Männer und Jungen.»         nisation «Fambidzanai» gemeinsam mit
Das Wasser kommt aus acht Metern Tiefe        Das Pumpen ist allerdings für die älteren    interessierten Familien den 1,2 Hektar
und ist für den Haushalt bestimmt. Kaum       Frauen sehr anstrengend. Sie wünschen        grossen Asiphaphameni-Garten angelegt.
plätschert Wasser aus dem Rohr, nähern        sich eine solarbetriebene Pumpe, die das     Auf mehr als tausend Beeten wachsen
sich die weidenden Esel, Ziegen und Kühe      Wasser in einen Wassertank füllt. Auch       Mais, Zwiebeln, Tomalia (verschiedene
und trinken das Restwasser aus einem          der Weg zum Brunnen ist für einige noch      Spinat­sorten), diverse Bohnen, Okra, Ran-
Trog, der sich ausserhalb des kunstvoll       immer zu lang und kann bis zu fünf Kilo-     den, Süsskartoffeln, Erdnüsse, Chillies,
angelegten Holzzauns befindet.                meter betragen. «Unser Ziel ist, dass je-    Melonen, Kürbisse und vieles mehr.
                                              des Gehöft in einer Distanz von weniger
Wasser für 690 Menschen                       als 500 Metern einen Brunnen zur Verfü-      20 Familien haben sich mit einer Ein-
78 Familien profitieren vom Brunnen.          gung hat», erklärt Sikhanyisiwe Dube.        schreibgebühr von 20 Dollar beteiligt.
Jede hat 1.60 Dollar für den Grundstock       Dafür gibt es in dieser weitläufigen, dünn   Jede hat drei Reihen mit 17 Beeten zur
in eine Kasse einbezahlt und steuert mo-      besiedelten Gegend noch viel zu tun.         Verfügung. Sie pflanzen hier an, was sie
natlich 50 Cents für den Unterhalt bei.       In den vergangenen drei Jahren hat HEKS      fürs Leben brauchen und auf dem Markt
Für das reibungslose Funktionieren des        in Simbabwe 30 Brunnen mit neuen Pum-        verkaufen können. In der Mitte des Gar-
Brunnens sind zwei Brunnenwarte zu-           pen ausgestattet sowie 24 neue Brunnen       tens befindet sich ein Unterstand. Von
                                                                                           dort aus bewachen sie abwechslungswei-
                                                                                           se das Gelände, um die Vögel und «Ba-
                                                                                           boons» (Affen) fernzuhalten, die sich sonst
    SIMBABWE VOR DEN WAHLEN                                                                über das Gemüse hermachen würden.

                                                                                           Solarpumpe am Fluss
    Am 15. November 2017 hat ein Staatsstreich Robert Mugabes 37-jährige Herr-             Unten am Fluss, etwa eine Viertelstunde
     schaft über Simbabwe beendet. Seither amtet Emmerson Mnangagwa, der                   entfernt, ist eine Pumpe mit einem Solar-
    Vorsitzende der Regierungspartei «Zanu-PF» (Zimbabwe African National                  panel installiert. Sie fasst das Wasser un-
    ­Union – Patriotic Front) als Interimspräsident. Für den 30. Juli 2018 sind Wahlen     terhalb des Flussbetts und pumpt es mit
      angesetzt. Dabei zeichnet sich erneut ein ungleicher Kampf zwischen der              Sonnenenergie hinauf in einen grossen
     ­Regierungspartei und dem «MDC» (Movement for Democratic Change) ab.                  Tank am Gartenrand. «Seit September
      Nach den Erfahrungen der Simbabwer gehören Einschüchterungen und Gewalt,             2016 ist der Garten in Betrieb», erzählt
     schon Monate vor den Wahlen, zum Alltag ihrer «Demokratie». Dabei ist ins-            der stellvertretende Leiter des Gartens,
      besondere an die blutigen Auseinandersetzungen vor und während der Wahlen            Khumbulani Moyo. «Was noch fehlt, sind
      im Jahr 2008 zu erinnern.                                                            eine Toilette und ein Kompost. Die Erde
      Diesmal ist die direkte Gewalt vor den Wahlen, zum Erstaunen vieler, so gut          hier ist nicht sehr fruchtbar. Mit Kompost­
      wie nicht spürbar. Die Einschüchterungen bestehen aber fort. Das Militär hat         erde können wir unsere Erträge noch
     seine Äusserung von 2008 «Wir akzeptieren keinen Wahlgewinner, der nicht              steigern.»
     selber im Chimurenga (Revolutionskampf) dabei war» nicht zurückgenommen.
      Damit schüren sie die Furcht vor Destabilisierung und Bürgerkrieg bei einer          Die Jungen gehen weg
      Niederlage.                                                                          HEKS unterstützt in Simbabwe die Arbeit
    Schwer wiegt auch die Beeinflussung durch den Stimmenkauf. Dieser geht von             von sieben Partnerorganisationen. Vier
      Nahrungsmittelgeschenken für Parteianhänger über landwirtschaftliche Pro-            sind im Be­reich Konfliktbearbeitung und
      duktionsmittel wie Geräte oder Saatgut bis zu Krediten für Häuser. Neben der         Friedensförderung tätig (CSL, Habakkuk,
      Dokumentation dieser lokalen Geschehnisse motivieren die HEKS-Partnerorg-            Masakhaneni und YETT). Drei kümmern
      nisationen die vor allem ländliche Bevölkerung dazu, selbstbestimmt und un-          sich um den Zugang zu Wasser und Hygi-
      abhängig zu wählen, und helfen den WählerInnen bei der Wahlregistrierung.            ene sowie Nahrung und Bildung für die
                                                                                           länd­liche Bevölkerung (Moriti oa Sechaba,
    So unterstützt HEKS die BürgerInnen vor den Wahlen: www.heks.ch/wahlen-simbabwe        Fambidzanai Permaculture Center, Silveira
                                                                                           House).

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HANDELN - WASSER FÜR ALLE DAS HARTE LEBEN IN SIMBABWE MENSCHENRECHTE - HEKS
Im Gemeinschaftsgarten gibt es immer
                                                                  etwas zu ernten. Eine mit Sonnen­
                                                                  energie betriebene Pumpe befördert
                                                                  das Grundwasser am Fluss im Tal hin-
                                                                  auf in einen grossen Wassertank.
                                                                  Alle beteiligten Familien verkaufen
                                                                  ihr Gemüse und erwirtschaften damit
                                                                  ein Einkommen.

                                                                                                    SIMBABWE
                                                                                                   HEKS WIRKT IN SIMBABWE

                                                                                                 SAMBIA

                                                                                                                     SIMBABWE

                                                                                                                MATOBO

                                                                                                                                      MOSAMBIK
                                                                                                BOTSUANA

                                                                                                                   SÜDAFRIKA

                                                                                                Letztes Jahr leistete HEKS Soforthilfe für

                                                                                                 7500 Menschen
                                                                                                     Sauberes Trinkwasser erhielten

                                                                                                            10 000
                                                                                                   Die Lebensbedingungen in
                                                                                                     Simbabwe sind prekär:
Wegen der schlechten Wirtschaftslage         Glück vorbei. Doch niemand weiss, wie es            Die Arbeitslosenquote ist hoch,
haben in den letzten Jahren drei bis vier    nach den bevorstehenden Wahlen wei-                  Nahrungsmittel sind vor allem
Millionen der insgesamt 16 Millionen         tergeht.                                          in den ländlichen Gebieten knapp.
Sim­babwerInnen das Land verlassen. Es                                                         HEKS unterstützt die Bevölkerung
sind hauptsächlich junge Leute, die im       Hohe Bildungsrate                                  dabei, ihre Lebensgrundlagen zu
Ausland einen Job suchen. Männer fin-        Simbabwe hat viele gut ausgebildete               verbessern. Um der herrschenden
den Arbeit in den Minen Südafrikas, Frau-    ­junge Leute, wie zum Beispiel Cornelios             Gewalt und Ungerechtigkeit
en als Haushaltshilfen oder im Gastge-       aus dem Dorf Mayezane. Der 32-Jährige               entgegenzutreten, ist HEKS seit
werbe. Manche kommen mit einem Baby           hat 17 Schuljahre und ein Semester Com-           dem Jahr 2015 zudem im Bereich
zurück und lassen es bei den Grosseltern      puterstudium hinter sich. «Ich habe fünf          der Konflikttransformation aktiv.
zurück, um weiter arbeiten zu können.        Jahre lang in Bulawayo einen Job gesucht.
Manche bringen zu Weihnachten etwas          Doch ich habe die ganze Zeit nur Süssig-
Geld nach Hause. Allerdings knöpften          keiten und Zigaretten verkauft», erzählt
ihnen noch vor Jahresfrist simbabwische       er. Heute ist er zurück in seinem Dorf und   re an und reparieren auch alles, zum Bei-
PolizistInnen an zahlreichen Strassensper-    bildet Lehrlinge zu Metallarbeitern aus.     spiel Eselskarren», meint er. Cornelios hat
ren das Geld ab, sodass sie mit leeren       Die HEKS-Partnerorganisation «Silveira        endlich eine Perspektive. Er träumt von
Händen zuhause ankamen. Das ist jetzt,       House» hat ihm dies ermöglicht. «Wir          einer Frau, Kindern und einem Haus mit
nach dem Ende der Ära Mugabe, zum            fertigen Garetten, Rechen oder Gartento-      Tieren drum herum.

                                                                                                                                                 7
HANDELN - WASSER FÜR ALLE DAS HARTE LEBEN IN SIMBABWE MENSCHENRECHTE - HEKS
PERSÖNLICH

INTERVIEW MIT IVY
MUTAMBANENGWE MATANGA
Ivy Mutambanengwe Matanga (35) arbeitet seit 2007 im HEKS-Büro Simbabwe.
Sie lebt mit ihrem Mann und zwei kleinen Töchtern in Bulawayo.
Text Monika Zwimpfer
Foto Annette Boutellier

Ivy, was ist Deine Aufgabe bei HEKS?
Ich leite die Finanzen und die Administra-
tion des Landesbüros.

Wie sieht Dein Tagesablauf aus?
Ich wohne nicht weit vom Büro entfernt.
Meine Arbeit beginnt jeweils um 7.30 Uhr.
Das Gesetz gesteht mir eine Stunde Still-
zeit zu, bis meine Tochter ein Jahr alt ist.
Um 17 Uhr gehe ich nach Hause. Letztes
Jahr hatte ich 98 Tage Mutterschaftsur-
laub, das waren drei Monate und eine
Woche.

Was gefällt Dir besonders gut an Dei-
ner Arbeit?                                    biet hatten wir bisher sechs Strassensper-    schlecht geht. Heute muss man tagelang
Ich kann unseren Partnerorganisationen         ren zu passieren. Die Polizisten verlangten   anstehen, um 50 Dollar Cash zu erhalten.
bei der Umsetzung ihrer Projekte helfen,       Schmiergeld, damit sie uns durchliessen.      Es gibt Hunger, Arbeitslosigkeit und aus-
indem ich sie in Finanzmanagement wei-         Doch bei HEKS herrscht diesbezüglich          einandergerissene Familien, weil viele
terbilde. Wenn ich Begünstigte treffe, de-     Null Toleranz. Also mussten wir jeweils       junge Leute ihr Glück im Ausland suchen.
nen es zum Beispiel dank unserer Nothilfe      lange warten, bis sie uns fahren liessen.     Dabei hat Simbabwe nach Südafrika die
besser geht, macht mich das glücklich.         Dass letzte Woche wegen des Regie-            höchste Ausbildungsquote Afrikas.
Ich finde es auch toll, dass wir junge Leu-    rungswechsels auch die letzte Sperre ver-
te in verschiedenen Berufen ausbilden.         schwunden ist, macht mich vorsichtig          Was wünschst Du Dir für die Zukunft?
Sie sind voller Zuversicht, dass sie dank      optimistisch.                                  Ich träume davon, einen Punkt zu errei-
dem, was sie lernen, ihre Lebensumstän-                                                       chen, wo ich mir nicht mehr so viele Sor-
de verbessern können. Es ist auch schön        Was macht Dich glücklich?                      gen um die Zukunft machen muss, finan-
zu sehen, wenn die Menschen die neu            Meine Kinder und mein Mann, der mich          ziell abgesichert bin und meinen Kindern
gebauten Brunnen oder Toiletten nutzen         sehr unterstützt. Auch die Gemeinschaft        eine gute Ausbildung bieten kann. In
können.                                        meiner Kirche. Ich reise auch gern, in         meinem Beruf möchte ich das höchste
                                               Simbabwe am liebsten in die Eastern           Level erreichen und jemand sein, den
Wer sind die Menschen, die Hilfe von           Highlands. Zudem lade ich gerne Leute          man um Rat fragt wie einen «Guru». Ich
HEKS erhalten?                                 ein, zum Beispiel zu einer «Games Night».     stelle mir vor, dass ich noch etwa 15 ­Jahre
Es sind hauptsächlich Kleinbauernfamilien      Zuerst essen wir etwas Feines und dann        so weiterarbeite und dann als selbststän-
in der Provinz Matabeleland-Süd. Sie le-       spielen wir Scrabble, Brett- oder Karten-      dige Beraterin internationalen Organisati-
ben in dünn besiedelten ländlichen Ge-         spiele.                                        onen, Unternehmen oder staatlichen Ins-
genden und haben ohne Unterstützung                                                          titutionen zur Verfügung stehe. Ich liebe
kaum Chancen auf ein besseres Leben.           Was macht Dich traurig?                        es, bei HEKS zu arbeiten. HEKS ist eine
                                               Dass ich so weit weg bin von meinen El-        gute Organisation. Ich habe viel gelernt
Gibt es auch Schwierigkeiten in Dei-           tern und Geschwistern, die in Harare le-      und bin heute nicht mehr dieselbe wie
nem Job?                                       ben.                                           damals, als ich hier angefangen habe. Ich
Die politische und wirtschaftliche Situati-    Dass wir es als Land seit der Unabhängig-     habe während der Zeit bei HEKS eine
on in unserem Land ist noch immer              keit 1980 mit dem ganzen Potenzial, das       ­Familie gegründet und bin hier gross ge-
schwierig. Zum Beispiel die Strassensper-      wir haben, nicht weitergebracht haben          worden.
ren: Bis nach Maphisa in unser Projektge-      und dass es noch immer so vielen Leuten

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HANDELN - WASSER FÜR ALLE DAS HARTE LEBEN IN SIMBABWE MENSCHENRECHTE - HEKS
PETITION

DER BUNDESRAT MUSS
JETZT HANDELN!
HEKS und die Schweizerische Flüchtlingshilfe (SFH) haben am                                 ren Tradition kann und muss bei der Be-
                                                                                            wältigung der weltweiten Flüchtlingskrise
28. Juni 2018 ihre gemeinsame Petition «Für sichere und legale                              eine Vorbildfunktion übernehmen. Wir
Fluchtwege in die Schweiz» mit über 38 000 Unterschriften dem                               dürfen hier nicht einfach wegschauen
                                                                                            und die Verantwortung an die Länder an
Bundesrat übergeben.                                                                        der EU-Aussengrenze delegieren», ist
                                                                                            HEKS-Direktor Peter Merz überzeugt.
Text Dieter Wüthrich
Foto Daniel Rihs
                                                                                            Und: «Wir fordern den Bundesrat deshalb
                                                                                            mit Nachdruck zu entsprechenden Mass-
                                                                                            nahmen auf. Dazu gehört etwa auch die
                                                                                            erleichterte Erteilung von humanitären
                                                                                            Visa.» Die 38 000 Unterschriften seien ein
Mehr als 38 000 Personen haben innert         Aufnahme und menschenwürdigen Unter­          Beweis für die Bereitschaft der Bevölke-
nur dreier Monate die Petition «Für sichere   bringung von besonders verletzlichen          rung, sich für Menschen auf der Flucht
und legale Fluchtwege in die Schweiz»         Flüchtlingen deutlich verstärken. «Grund-     einzusetzen, so Behrens. «Der Bund sollte
von HEKS und SFH unterzeichnet. Diese         lage dafür ist eine griffige und rasch um-    dieses Engagement mit entsprechenden
Unterstützung breiter Bevölkerungskreise      setzbare Resettlement-Strategie», betont      Rahmenbedingungen ermöglichen und
ist nicht nur ein grossartiges Zeichen der    Miriam Behrens, Direktorin der SFH, an-       fördern.»
Solidarität mit Menschen auf der Flucht,      lässlich der Übergabe der Petition.
sondern vor allem auch eine deutliche
und nachdrückliche Aufforderung an den        In den weltweiten Krisenregionen tragen
Bundesrat, nun rasch und speditiv die Er-     die Nachbarstaaten der betroffenen Län-
höhung des Flüchtlingskontingents auf         der bis anhin die weitaus grösste Last des
jährlich mindestens 10 000 Personen zu        Flüchtlingselends. Sie sind jedoch mit die-
beschliessen und umzusetzen. Angesichts       ser Aufgabe ökonomisch und sozial völlig
des dramatischen Flüchtlingselends for-       überfordert und brauchen deshalb drin-                   Die Petition wird von zahlreichen weiteren
                                                                                                           zivilgesellschaftlichen Organisationen
dern HEKS und SFH von Bund und Kan-           gend die Unterstützung auch der Schweiz.
                                                                                                          unterstützt. Die Unterschriften wurden
tonen, dass sie ihre Anstrengungen zur        «Unser Land mit seiner langen humanitä-                  durch einen symbolischen Fluchtweg zum
                                                                                                               Bundeshaus geleitet und dort dem
                                                                                                                            Bundesrat übergeben.

                                                                                                                                       9
HANDELN - WASSER FÜR ALLE DAS HARTE LEBEN IN SIMBABWE MENSCHENRECHTE - HEKS
MENSCHENRECHTE

MENSCHENRECHTE VOR GERICHT
Text Corina Bosshard
Foto Lunaé Parracho

Die «Selbstbestimmungsinitiative» der SVP, über die wir bald abstimmen, rich-             letzt, müssen sie immer zuerst auf natio-
tet sich insbesondere gegen die Europäische Menschenrechtskonvention und                  naler Ebene eingefordert werden. Dies
die «fremden Richter» am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Doch                bedingt aber einen Staat, der fähig und
wie kam es überhaupt zu solch überstaatlichen Menschenrechts-Gerichtshöfen                willens ist, die Verantwortung für Men-
in Europa, Amerika und Afrika? Warum sind sie wichtig? Und was steht für die              schenrechtsverletzungen zu übernehmen.
Schweiz bei einer Annahme der Initiative auf dem Spiel?                                   Was aber, wenn alle staatlichen Instanzen
                                                                                          durchlaufen sind und eine Person sich
                                                                                          noch immer in ihren Grundrechten ver-
Nach den Schrecken des Zweiten Welt-         Recht auf Leben, das Verbot der Folter,      letzt sieht?
kriegs wurde deutlich, dass Nationalsozi-    das Recht auf ein faires Verfahren oder
alismus und Faschismus nur möglich wa-       das Recht auf Meinungs-, Gedanken- und       Überstaatliche Gerichte
ren, weil Staaten ihre Interessen höher      Religionsfreiheit.                           1959 konstituierte sich der Europä-
gewichtet hatten als die Grundrechte ei-                                                  ische Gerichtshof für Menschen-
nes jeden Einzelnen. Der Ruf nach einem      Jeder Unterzeichnerstaat der EMRK ist        rechte (EGMR) in Strassburg,
Mindeststandard an Menschenrechten           verpflichtet, diese Rechte im eigenen Lan-   ein gemeinsames Gericht der
wurde laut – 1948 wurde die «Allgemei-       desrecht umzusetzen. Seit 1974 auch die      Mitgliedstaaten des Europa­-
ne Erklärung der Menschenrechte» und         Schweiz. Werden Menschenrechte ver-          rates, dem auch die Schweiz ange-
fünf Jahre darauf die auf ihr beruhende                                                   hört. Erstmals in der Geschichte entstand
«Europäische Menschenrechtskonvention»                                                    die Möglichkeit, dass Einzelpersonen, die
(EMRK) verabschiedet. Darin sind Zivilisa-                                                sich durch Behörden oder den Staat in
tionswerte erster Ordnung verbrieft: Das                                                  ihren Menschenrechten beeinträchtigt
                                                                                          fühlen, vor einem überstaatlichen Gericht
                                                                                          Beschwerde erheben können. Die Urteile
                                                                                          des EGMR können Lücken in den Geset-

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zen oder Fehler in der Rechtsprechung      HEKS geht vor Gericht
aufdecken und den Menschenrechts-          Auch HEKS hat sich schon an solche über-
schutz in den einzelnen Ländern damit      staatlichen Menschenrechtsinstanzen
verbessern und weiterentwickeln. So wur-   ge­wandt, um auf die Umsetzung von
de etwa das Frauenstimmrecht letztlich     Menschenrechten hinzuwirken. So un­ter­
dank der EMRK in der Schweiz eingeführt.   stützte HEKS etwa vier Gemeinschaften
                                           des indigenen Volkes der Guarani-Kaiowá
Analog zum europäischen System bilde-      bei der Aufarbeitung und Einreichung
ten sich auch auf dem amerikanischen       einer Klage vor der Inter-Amerikanischen
und dem afrikanischen Kontinent regio-     Kommission für Menschenrechte wegen
nale Systeme des Menschenrechtsschut-      Verletzung ihres Menschenrechts auf
zes heraus: 1969 wurde die «Amerikani-     Nahrung.
sche Menschenrechtskonvention» verab-­­
schiedet, über deren Verwirklichung sdie   Denn obwohl der brasilianische Staat ge-
Inter-Amerikanische Kommission und der     mäss Verfassung in der Pflicht steht, die
Inter­-Ame­rikanische Gerichtshof für Men- indigenen Ländereien der Guarani zu
schenrechte wachen. In Afrika ist seit     schützen, wird auf diesen heute Soja und
1986 die «Afrikanische Charta der Rechte   Zuckerrohr in Monokultur angebaut. Die
der Menschen und der Völker» in Kraft. Guarani leben in ärmlichen Plastikpla-
Auch hier gibt es eine Kommission und      nen-Siedlungen, können sich ohne Land
einen seit 2006 tätigen Gerichtshof, wo    nicht mehr selbst ernähren und sind auf
teilweise auch Einzelpersonen und NGO      staatliche Lebensmittelhilfe angewiesen.
Beschwerden einreichen können (mehr Sie leiden an Hunger, Unterernährung
dazu auf Seite 12/13).                     und dadurch bedingten Krankheiten.

                                           Die Kommission hat nun rund vier Jahre
                                           Zeit, die im Dezember 2016 eingereichte
                                           Klage zu bearbeiten. Ein positiver Ent-
                                           scheid würde den brasilianischen Staat
                                           zur Landübergabe sowie zum Schutz der
                                           bedrohten indigenen Gemeinschaften
                                           anhalten und wäre ein wichtiger Präze-
                                           denzfall, um ähnliche Menschenrechts-
                                           verletzungen im südamerikanischen
                                           Raum anzuklagen.

                                                                                 11
MENSCHENRECHTE

AFRIKA:
EIN GERICHTSHOF IM AUFBAU
Sonja Leguizamón hat in Wien Internationale Entwicklung studiert und arbeitete im Auftrag der
Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) von 2014 bis 2016 am Afrikanischen
Gerichtshof für Menschenrechte in Tansania. In diesem Interview berichtet sie von ihren Erfahrungen
und Eindrücken aus dem Gerichtsalltag. Das Interview führte Gastautorin Anna Trechsel. Sie arbeitet
für die Kampagne «Schutzfaktor M».

                                 Sonja Leguizamón, Sie waren am Afri-          Ein Gericht ist letztlich wirkungslos,
                                 kanischen Gerichtshof für Menschen-           wenn man es nicht kennt.
                                 rechte für Outreach zuständig – was           Seine Wirksamkeit hängt tatsächlich da-
                                 muss man sich darunter vorstellen?            von ab, ob überhaupt Fälle übermittelt
                                 Der Gerichtshof ist in Afrika noch immer      und ob Urteile umgesetzt werden. Ein
                                 ziemlich unbekannt, sowohl bei der Be-        eindrückliches Beispiel, wie wichtig Kom-
                                 völkerung als auch bei JuristInnen und        munikation ist: Einer der ersten Kläger
                                 sogar Regierungen. Unsere Kernaktivität       gegen Tansania war Peter Joseph Chacha,
                                 war deshalb der Aufbau eines afrikani-        ein Gefängnisinsasse in Arusha. Im Ge-
                                 schen JournalistInnen-Netzwerks, um           fängnisbus wurde er jeden Tag zur Arbeit
                                 den Gerichtshof via die Medien in den         auf ein Feld gefahren. Der Weg führte am
                                 einzelnen Ländern bekannter zu machen.        Gerichtshof vorbei, jeden Tag las er das
                                 Weiter unterstützten wir Sensibilisierungs-   Schild und fragte sich: Was ist das? In der
                                 besuche in Ländern, die dem Gerichtshof       Gefängnisbibliothek recherchierte er –
                                 noch nicht beigetreten sind. Tschad bei-      und reichte dann handschriftlich seine
                                 spielsweise hat nach einem solchen Be-        Klage wegen unfairen Verfahrens ein.
                                 such das Beitrittsprotokoll ratifiziert.
                                                                               Welche Art von Fällen gelangen ans
Sonja Leguizamón war zwei                                                      Gericht?
Jahre am Afrikanischen
Gerichtshof tätig. Foto: ZVG
                                                                               Grundsätzlich sind es Verletzungen der
                                                                               «Afrikanischen Charta für Menschenrech-
                                                                               te und Rechte der Völker». Aufschlussreich
                                                                               ist der Blick auf die Urteile, die bereits
                                                                               gesprochen wurden. Besonders wichtig
                                                                               war ein Entscheid zugunsten eines indi-
                                                                               genen Volkes in Kenia: Die Ogiek sind seit
                                                                               Urzeiten in den Mau-Wäldern ansässig,
                                                                               einem Naturschutzgebiet. In den vergan-
                                                                               genen 20 Jahren wurden sie mehrfach
                                                                               gewaltsam von ihrem Land vertrieben,
                                                                               ohne Konsultationen, ohne Kompensa­
                                                                               tionen. Jahrelang kämpften die Ogiek vor
                                                                               Gerichten in Kenia, ihre Verfahren wur-
                                                                               den verschleppt, ihre Klagen abgewiesen.
                                                                               Im vergangenen Jahr hat der Afrikanische
                                                                               Gerichtshof in Arusha geurteilt, dass der
                                                                               kenianische Staat die Rechte der Ogiek
                                                                               auf ihr Land verletzt hat, sie diskriminiert
                                                                               wurden und ihre Vertreibung nichts zum
                                                                               Schutz der Wälder beigetragen hatte. Ein
                                                                               wegweisendes Urteil.

12
Fünf Frauen sitzen im 11-köpfigen
         Team des Afrikanischen Gerichtshofes
              für Menschenrechte in Tansania.
                           Foto: African Court

Ein Präzedenzfall für verfolgte und
vertriebene Völker in ganz Afrika?
Ja, aber es dauert vermutlich lange, bis
das Urteil zugunsten der Ogiek einen Ef-
fekt auf andere Völker und andere Länder
hat. Man kann ja nicht direkt an den Ge-
richtshof gelangen, sondern muss zuerst
die nationalen Rechtsmittel ausschöpfen.
Das ist eine hohe Hürde. Trotzdem haben
potenzielle KlägerInnen nun einen Präze-
denzfall, den sie auch in nationalen Ge-
richtsverfahren zur Argumentation nut-
zen können.

 Gibt es ein weiteres wichtiges Urteil,
 das Ihnen in Erinnerung geblieben ist?
 Lohé Issa Konaté gegen Burkina Faso:
­Konaté ist ein regierungskritischer Jour-       Trägt der Gerichtshof in Arusha letzt-      Das Menschenrechtssystem in Afrika
 nalist, der wegen Verleumdung ins Ge-            lich dazu bei, dass auf dem afrikani-      ist noch im Aufbau. In Europa hin­
fängnis gesteckt wurde. Er hatte in seinen        schen Kontinent die Kultur der Men-        gegen sehen wir Abbau-Tendenzen.
Artikeln einen Staatsanwalt der Korrup­           schenrechte, der Rechtsstaatlichkeit       In der Schweiz etwa gefährdet die
tion beschuldigt. Der Afrikanische Ge-            und der Verantwortlichkeit gestärkt        «Selbstbestimmungsinitiative» der
 richtshof für Menschenrechte kam zum            wird?                                       SVP den Schutz der Menschenrechte.
Schluss, dass Burkina Faso unter anderem         Ja, in hohem Masse sogar. Die Prozesse      Aus afrikanischer Perspektive muss
 das Recht auf freie Meinungsäusserung            schaffen Öffentlichkeit und erzeugen       das seltsam anmuten.
 verletzt habe. Burkina Faso musste in der        Druck. Sie setzen afrikanische Standards   Ja, dort versuchen sie, Staaten für den
 Folge sein Pressegesetz ändern und Kona­        für Menschenrechte. Das ist so wichtig,     Gerichtshof zu gewinnen, und hier in Eu-
té hat Schadenersatz erhalten. Auch das           weil afrikanische Machthaber gerne         ropa denken gewisse Länder über einen
 ist ein wegweisendes Urteil: Nie zuvor          ­sagen, Menschenrechte seien ein west­      Rückzug aus dem Europäischen Gerichts-
 wurde in Afrika ein so starkes Zeichen für       liches Konstrukt und passten nicht zu      hof für Menschenrechte (EGMR) nach.
 die freie Meinungsäusserung gesetzt.            Afrika.                                     Das ist sehr bedenklich. Die «Selbstbe-
                                                                                             stimmungsinitiative» hat viel mit Selbst-
                                                                                             gefälligkeit zu tun. Wir haben das Gefühl,
                                                                                             hier in der Schweiz laufe alles gut – wir
                                                                                             seien ja schon entwickelt. Aber Entwick-
                                                                                             lung ist etwas sehr Dynamisches. Die Ge-
                                                                                             sellschaft verändert sich, neue Technolo-
                                                                                             gien kommen auf. Da stellen sich Fragen,
                                                                                             wie Menschenrechte in diesen neuen
                                                                                             Kontexten interpretiert werden sollen.
                                                                                             Deshalb braucht es solche Absicherungs-
                                                                                             mechanismen wie den EGMR und die
                                                                                             Europäische Menschenrechtskonvention.

                                                                                             Mitglieder des kleinen Stammes der
                                                                                             Ogiek, hier in traditionellen Umhängen.
                                                                                             Die Ogiek sind Jäger und Honig-
                                                                                             sammler in West-Zentral-Kenia.
                                                                                             Foto: Keystone/AP Photo/Sayyid Azim

                                                                                                                                       13
SELBSTBESTIMMUNGSINITIATIVE

LIEBE SCHWEIZ, WIE HÄLTST DU’S
MIT DEN MENSCHENRECHTEN?

                      Am 25. November stimmen wir über die sogenannte «Selbstbestimmungsinitiative»
                      ab. Bundesrat und Parlament empfehlen dem Stimmvolk die Ablehnung der Initia-
                      tive. Auch HEKS sagt NEIN und engagiert sich mit der «Allianz der Zivilgesellschaft»
                      im Abstimmungskampf. Denn die Initiative hätte eine massive Schwächung des
                      Menschenrechtsschutzes in der Schweiz zur Folge.
                      Text Andrea Oertli
                      Foto Fabian Biasio

Die Menschenrechte stehen uns allen                                                        Aber Achtung: Eine Mehrheit an der Ur­­-
zu, alleine deshalb, weil wir Menschen                                                     ne – also eine Anzahl Leute, die meist
sind. Man muss sie sich nicht verdienen                                                    weit kleiner ist als die Mehrheit aller
und man kann sie nie verlieren. Sie gelten                                                 Stimm­berechtigten – kann die Verfassung
für jeden – egal ob alt oder jung, krank                                                   ändern. Auf diese Weise können die in
oder gesund, Schweizer oder Ausländerin,                                                   der Verfassung garantierten Grundrechte,
reich oder arm. Menschenrechte schüt-                                                      zum Beispiel aufgrund einer Volksinitiati-
zen uns vor staatlicher Willkür und sorgen                                                 ve, geändert und sogar abgeschafft wer-
dafür, dass wir in Frieden und Würde le-                                                   den. Verfassung und Gesetzgebung wür-
ben können. Sie sind die Basis für unsere                                                  den insgesamt viel stärker vom aktuellen
Demokratie und eine lebenswichtige                                                         politischen Klima geprägt. Auch kann das
Rückversicherung für uns alle – in der                                                     Parlament Gesetze erlassen, welche die
Schweiz und anderswo. Dies galt bisher.                                                    von der Verfassung garantierten Grund-
Mit der «Selbstbestimmungsinitiative»        richt darf die Konvention bei Widersprü-      rechte verletzen. Dies, weil die Schweiz
drohen wir diesen Schutz unserer Grund-      chen mit nationalen Recht nicht mehr          nicht ein sogenanntes Verfassungsgericht
rechte zu verlieren.                         anwenden. Auch erfolgreiche Klagen am         kennt, das prüfen kann, ob erlassene Ge-
                                             Europäischen Gerichtshof für Menschen-        setze mit der Verfassung vereinbar sind.
«Selbstbestimmung» als Vorwand               rechte blieben für uns BürgerInnen in der
Die Initiative greift die Menschenrechte     Schweiz wirkungslos. Doch brauchen wir        Unrecht und Willkür können jeden
zwar nicht offen an, doch mit ihrer Ab-      denn die EMRK in der Schweiz überhaupt,       treffen
sicht, das Schweizer Verfassungsrecht        wenn wir bereits unsere Schweizer Grund­      Was also, wenn eine Mehrheit der Stimm-
über das Völkerrecht zu stellen, schafft     rechte haben?                                 berechtigten entscheiden würde, dass
sie die Möglichkeit zur Kündigung der Eu-                                                  So­zialhilfeempfängerinnen zwangssteri­li­
ropäischen Menschenrechtskonvention          Unsere Grundrechte sind nicht                 siert werden sollen? Oder wenn das Parla-­
(EMRK) durch die Hintertür: Wenn mit der     in Stein gemeisselt
Annahme einer Volksinitiative ein Grund-     In der Schweizer Bundesverfassung sind
recht und somit auch die EMRK verletzt       die Menschenrechte als Grundrechte in          Jeder von uns gehört
würde, könnte Letztere nämlich nicht neu     den Artikeln 7 bis 36 festgehalten. Sie ga­
verhandelt werden, wie es der Initiativ-     rantieren zum Beispiel, dass alle Men-
                                                                                            je nach Fragestellung
text suggeriert, sondern müsste gekün-
digt werden.
                                             schen vor dem Gesetz gleich sind, dass die
                                             Todesstrafe oder unmenschliche Behand-
                                                                                             einer Minderheit an.
                                             lung verboten sind, dass Kinder beson-
Aber auch ohne Kündigung verlieren wir       ders geschützt werden, unser Recht auf        ment ein Gesetz erlassen würde, welches
bei Annahme der Initiative per sofort den    Eigentum, auf Glaubensfreiheit oder dass      JournalistInnen verbietet, über gewisse
Schutz der EMRK. Denn das Bundesge-          wir unsere Meinung frei äussern dürfen.       Themen zu berichten? Obwohl dies ge-

14
MENSCHENRECHTE SIND NICHT
                                              SELBSTVERSTÄNDLICH –
                                              AUCH NICHT IN DER SCHWEIZ

gen die Grundrechte unserer Verfassung
verstossen würde, könnte eine solche
Zwangsmassnahme oder ein solches Ge-
setz theoretisch eingeführt werden.
Natürlich wäre immer nur eine Minder-
heit betroffen. Doch genau diese gilt es
zu schützen. Denn jeder von uns gehört
je nach Fragestellung einer Minderheit an.

Die EMRK schützt unsere Rechte                «Liederliche Lebensweise»               Späte Gerechtigkeit für Asbest-
Die Schweiz hat sich im Jahr 1974 der Eu-     als Straftat                            Opfer
ropäische Menschenrechtskonvention            Ursula Biondi wurde 1966 als 17-Jäh-    Renate Howald Moors Ehemann starb
                                              rige ins Frauengefängnis Hindelbank     2005 im Alter von 58 Jahren qualvoll
                                              gesperrt – ohne Gerichtsurteil und      an den Folgen der jahrelangen Arbeit
  Brauchen wir denn                           ohne eine Straftat begangen zu ha-      mit Asbest. Die Klagen des Ehepaars
                                              ben. Die Vormundschaftsbehörde          um Schadenersatzforderungen wur-
    die EMRK in der                           hatte zu dieser «erzieherischen Mass-   den abgelehnt, weil gemäss gelten-
  Schweiz überhaupt,                          nahme» gegriffen, weil Biondi sich in
                                              einen geschiedenen, sieben Jahre äl-
                                                                                      dem Schweizer Recht die Forderungen
                                                                                      zehn Jahre nach dem letzten Kontakt
   wenn wir bereits                           teren Mann verliebt hatte und min-      mit Asbest verjährt sind. Dies, obwohl
                                              derjährig schwanger wurde. Tausen-      medizinische Studien belegen, dass
   unsere Schweizer                           de von Jugendlichen und Erwachs­-       asbestbedingter Krebs erst 20 bis 40
  Grundrechte haben?                          enen wurden in der Schweiz bis 1981
                                              eingesperrt, ohne Gerichtsverhand-
                                                                                      Jahre später auftritt. Nach dem Tod
                                                                                      ihres Mannes zog Renate Howald
                                              lung. Man warf ihnen «liederlichen      Moor den Fall an den Europäischen
                                              Lebenswandel», «Vaganterei» oder        Gerichtshof für Menschenrechte wei-
verpflichtet, welche die grundlegenden
                                              «Arbeitsscheue» vor. Dank dem Druck     ter – und erhielt Recht: 2013 ent-
Menschenrechte definiert. Alle Gerichte
                                              der Europäischen Menschenrechts-        schied der EGMR, dass mit der beste-
und staatlichen Behörden in der Schweiz
                                              konvention passte die Schweiz 1981      henden Verjährungsfrist das Recht
müssen die EMRK einhalten. Über die Ein-
                                              endlich das Zivilgesetzbuch entspre-    auf ein faires Verfahren verletzt wur-
haltung der Konvention wacht der Euro-
                                              chend an. Die administrative Verwah-    de. Dank dem Urteil aus Strassburg
päische Gerichtshof für Menschenrechte
                                              rung gibt es seither nicht mehr.        werden die Verjährungsfristen in der
(EGMR), mit Richterinnen und Richtern
                                                                                      Schweiz nun endlich angepasst. Dies
aus allen Mitgliedstaaten.
                                                                                      gibt Tausenden von Asbestopfern und
                                                                                      ihren Familien Hoffnung, dass die
Darum kann in der Schweiz jede Person,
                                                                                      ver­antwortlichen Firmen zur Rechen-
die der Ansicht ist, ihre Menschenrechte
                                                                                      schaft gezogen werden.
seien durch ein Urteil des Bundesgerichts
oder des Bundesverwaltungsgerichts ver-
letzt worden, beim EGMR in Strassburg
eine Beschwerde einreichen. Stellt dieser
fest, dass ein Urteil die in der EMRK defi-
nierten Menschenrechte verletzt, muss
dieses im jeweiligen Land angepasst wer-
                                              Die Allianz der Zivilgesellschaft ist ein Zusammenschluss von 115 Organisatio-
den. Das passiert lediglich in 3 von 200
                                              nen und rund 11 000 Einzelpersonen, die sich politisch und gesellschaftlich für
Fällen. Die Schweiz ist gut auf Kurs in
                                              den Erhalt des Menschenrechtsschutzes in der Schweiz engagieren. Mehr Infor­
Sachen Menschenrechte, aber nicht per-
                                              mationen unter: www.sbi-nein.ch
fekt.

                                                                                                                                15
Begum ist eine Rohingya-Frau und lebt in einem Flüchtlingscamp in Bangladesch. Im bengalischen
Distrikt Cox’s Bazar leben derzeit rund 700 000 Rohingyas in Camps. Dort berichten zahlreiche
Überlebende von Vergewaltigungen und Massenvergewaltigungen in Myanmar. Auch Begum
gehört zu den vielen Vergewaltigungsopfern. HEKS leistet Nothilfe für die Flüchtlinge im Camp
«Jamtoli» in Cox’s Bazar: www.heks.ch/rohingya. Foto: REUTERS/ Mohammad Ponir Hossain
SOZIALE INTEGRATION

          AUSLÄNDISCHEN
          FACHKRÄFTEN
          EINE CHANCE GEBEN
          Obwohl gut gebildete MigrantInnen in ihrem Herkunftsland eine Hochschul- oder Be-
          rufsausbildung abgeschlossen haben, sind hier viele von ihnen erwerbslos oder für
          ihren Job überqualifiziert. Ihre Diplome sind in der Schweiz leider oft nicht viel wert.
          Die Fachstelle «HEKS MosaiQ» berät und begleitet qualifizierte MigrantInnen, damit
          sie ihr berufliches Potenzial in den Schweizer Arbeitsmarkt einbringen können. Die
          Fachstellen, die grossen Zulauf haben, gibt es in den Regionen Aargau, Basel, Bern,
          Ostschweiz und Zürich. Hier stellen wir zwei Migrantinnen und einen Migranten vor,
          die dank «HEKS MosaiQ» wieder eine Zukunftsperspektive auf dem Schweizer Arbeits-
          markt haben.

                                               OUMOU KALTOUM FALL,
                                               PRIMARLEHREREIN AUS SENEGAL

                                               Text Stefan Schär
                                               Foto Sabine Buri

                                               Vor elf Jahren zog ihr Mann in die Schweiz. Sechs Jahre später
                                               folgte ihm Oumou Kaltoum Fall. Ein schwieriger Entscheid: Sie
                                               hatte in Senegal Philosophie und Primarlehrerin studiert und
                                               acht Jahre Berufserfahrung gesammelt. In der Schweiz musste
                                               sie sich mit dem Gedanken anfreunden, selbst wieder zur Schu-
                                               le zu gehen und unter ihrem Bildungsniveau zu arbeiten. Beides
                                               tut sie: Sie lernt intensiv Deutsch und bildet sich laufend weiter.
                                               Sie arbeitet als Dolmetscherin beim Staatssekretariat für Migra-
                                               tion und als interkulturelle Dolmetscherin bei der Asylorganisa-
                                               tion Zürich. Vor drei Jahren wurde Oumou Kaltoum Fall Mutter.
                                               Trotz derzeit grosser Belastung wünscht sich die 37-Jährige eine
                                               Festanstellung, die ihrem Ausbildungsniveau entspricht. Seit
                                               Herbst 2017 wird sie durch «MosaiQ» begleitet: «Die HEKS-Mit-
                                               arbeiterin empfiehlt mir, die Ausbildung zur Sozialpädagogin zu
                                               machen. Da sind meine Chancen am besten.» Jetzt gehe es da-
                                               rum, ihre Zertifikate zu validieren und ein Stipendium zu erhal-
                                               ten. «Ohne ‹MosaiQ› würde ich das nie schaffen», sagt Oumou
                                               Kaltoum Fall. Nach der Ausbildung möchte sie mit MigrantInnen
                                               arbeiten: «Ich würde ihnen gerne helfen, sich in der Schweiz
                                               zurechtzufinden.» Die Senegalesin weiss, wie wichtig diese Un-
                                               terstützung ist.

18
FERHAD MOUSSA,
MEDIZININGENIEUR AUS SYRIEN

Text Jelena Milosevic
Foto Daniel Rihs/13 Photo

Letztes Jahr im August wurde Ferhad Moussa an dieser Stelle
bereits einmal porträtiert. Damals absolvierte der aus Syrien
Geflüchtete ein erstes Praktikum bei der Firma «ARTORG» an
der Universität Bern. Anschliessend erhielt er ein Angebot von
einer Firma im St. Galler Rheintal. «Die Arbeit bei dieser Firma
                                                                      OLGA KÜMMERLI,
hat mich stark unterfordert. Ich habe meine MosaiQ-Beraterin          MARKETINGANALYTIKERIN AUS
um Rat gefragt; sie hat sich sofort um mein Anliegen geküm-           RUSSLAND
mert und wir haben ein Praktikum in meinem Fachgebiet gefun-
den.» Während des halbjährigen Praktikums bei «Nouvag AG»,
                                                                      Text Güvengül Köz Brown (erstmals veröffentlicht in «MIX - Magazin für Vielfalt»)
einer Dental- und Medizintechnik-Firma, konnte Ferhad seine           Foto Donata Ettlin
Kompetenzen erweitern. «Fünf Monate nach dem Praktikums-
start erhielt ich ein Stellenangebot als Ingenieur. Es wird vermut-
                                                                      «Als ich vor fünf Jahren mit meinen zwei Töchtern in die Schweiz
lich einen Moment dauern, bis ich mich in diesem neuen Gebiet
                                                                      kam, hätte ich nie gedacht, dass es trotz meinen Qualifikationen
eingearbeitet habe, aber ich kenne die Firma und die Mitarbeiter
                                                                      so schwierig sein würde, eine Anstellung zu finden. Weder mein
bereits und freue mich sehr auf diese neue Herausforderung.»
                                                                      Uni-Abschluss noch meine langjährige Erfahrung als Marke­­-
Die Begleitung durch «HEKS MosaiQ» hat etwas mehr als ein
                                                                      t­inganalytikerin haben mir geholfen. Sie waren nichts wert, und
Jahr gedauert und kann, sobald die Arbeitsbewilligung einge-
                                                                      mir wurde unweigerlich klar, dass ich wieder bei null anfangen
troffen ist, erfolgreich abgeschlossen werden.
                                                                      musste. Da mir meine finanzielle Unabhängigkeit sehr wichtig
                                                                      ist und ich unbedingt arbeiten möchte, wollte ich vorwärts-
                                                                      schauen und das Beste aus der Situation machen. Durch Ver-
                                                                      mittlung von Bekannten meines Mannes habe ich angefangen,
                                                                      eine behinderte Frau zu pflegen. In diesem Bereich möchte ich
                                                                      mich nun beruflich weiterbilden und irgendwann als Pflegefach-
                                                                      frau arbeiten. Meine MosaiQ-Beraterin ist dabei eine immense
                                                                      Hilfe. Deshalb bin ich zuversichtlich, dass alles gut kommt. Denn
                                                                      es mag zwar sein, dass ich viel verloren habe, aber ich habe auch
                                                                      viele neue Erfahrungen dazugewonnen.»

                                                                      Weitere Informationen zu «HEKS MosaiQ» finden sie unter:
                                                                      www.heks.ch/mosaiq

                                                                                                                                                    19
FARBE BEKENNEN

     Am 10. Juni stand der Zürcher Hauptbahnhof ganz im Zeichen der interkulturellen Begegnung
     und der Solidarität mit Menschen auf der Flucht. Im Rahmen der Kampagne «Farbe bekennen
     für eine menschliche Schweiz» stieg in der Halle des Zürcher Hauptbahnhofes eine grosse
     Volkstanz-Chilbi mit SchweizerInnen, Flüchtlingen und zahlreichen Prominenten aus Kultur,
     Sport und Politik. Volkstanzgruppen aus den Regionen Basel, Bern und Zürich hatten im Vorfeld
     des Events Flüchtlinge eingeladen, in mehreren Workshops gemeinsam Schweizer Volkstänze
     einzustudieren. www.farbe-bekennen.jetzt
     Fotos: Annette Boutellier, Sabine Buri, Corina Flühmann

20
21
PATENSCHAFT

Im Jahr 2017 erhielten in Andhra Pradesh 1136 Kleinbauernfamilien individuelle Titel für Land mit einer Fläche von insgesamt 1290 Hektaren.

ZUGANG ZU LAND FÜR FAMILIEN
Für Kleinbauernfamilien, nomadisierende Viehzüchter und indigene Gemeinschaften in den ländlichen
Projektgebieten von HEKS ist der Zugang zu einem Stück Ackerland, aber auch zu Weiden und Wäl-
dern eine entscheidende Voraussetzung für ein selbstbestimmtes Leben ohne Hunger und Armut.
HEKS legt den Hauptfokus deshalb auf die Unterstützung ländlicher Gemeinschaften bei der Einfor-
derung ihrer Besitz- und Nutzungsrechte für das Land, auf dem sie leben und das sie bewirtschaften.
Text Bettina Filacanavo
Foto Christian Bobst

In Indien werden kastenlose Menschen              Anbautechniken wie beispielweise Mul-              Familie, den anderen Teil verkaufe ich auf
wie die Dalits und indigene Bevölkerungs-         chen, Düngen mit eigenem Kompost                   dem lokalen Markt. Ich habe dafür 6000
gruppen wie die Adivasi von der Gesell-           oder Schädlingsbekämpfung mit natürli-             Rupien (88 Franken) erhalten. Zum ersten
schaft systematisch ausgeschlossen. Sie           chen Methoden und werden beraten,                  Mal habe ich so viel Geld verdient. Unse-
haben nur geringe Chancen, aus eigener            was sie in ihrer Situation am sinnvollsten         re Familie ist nun bei der lokalen Behörde
Kraft der Armut zu entfliehen. Um zu über-        anbauen.                                           anerkannt und wir haben somit auch ein
leben, müssen sie sich als TagelöhnerIn-          Die Familie von Chilakala Ramayamma,               Mitspracherecht.»
nen verdingen und niedrigste Arbeiten             die im Dorf Bolagonda in Andhra Pradesh
verrichten. Sie sind besitz- und landlos,         lebt, hat heute dank der Unterstützung
obwohl laut indischem Gesetz auch ih-             von HEKS eigenes Land. «Zusammen mit
nen ein eigenes Stück Land zusteht. 2002          anderen Familien aus unserem Dorf ha­ben               WERDEN SIE PATIN
wurde das Landrechtsforum «APFLR» mit             wir uns als Mitglieder des Landforums
Unterstützung von HEKS gegründet; die-            ‹APFLR› eingeschrieben und begonnen,                   ODER PATE!
ses setzt sich seither für die Landrechte         uns für die Landtitel, für das Land, das wir
der Dalits und Adivasi ein.                       seit Generationen bebauen, bei den Be-                  Mit einer Patenschaft «Zugang zu
                                                  zirksbehörden einzusetzen», erzählt die                 Land für Familien» für 360 Franken
Ein Landtitel allein reicht den Kleinbau-         40-jährige Frau. Es dauerte fast fünf Jah-              im Jahr unterstützen Sie bedrohte
ernfamilien jedoch nicht zum Überleben,           re, bis die unermüdliche Arbeit der Fami-               Familien dabei, Landtitel oder Nut-
sondern ist erst eine wichtige Grundlage          lie erfolgreich war, aber sie besitzt nun               zungsrechte für Land zu erhalten.
für mehr Einkommen. Um den nachhalti-             offiziell eine Hektare Land. «APFLR» hat                Weitere Informationen zur Paten-
gen Anbau und eine ertragreiche Ernte             ihnen zudem gezeigt, wie sie das Land                   schaft sowie einen Einzahlungs-
zu fördern, erhalten die Begünstigten bei-        ideal nutzen können. «Wir pflanzen nun                  schein finden Sie in der Beilage.
spielsweise Zugang zu traditionellem              verschiedene Hülsenfrüchte wie Linsen,                  Kontakt: Sara Baumann,
Saatgut, das dem Klima optimal ange-              Erbsen sowie Mungbohnen und Hirse an.                   Tel. direkt 044 360 88 09, paten-
passt ist. Die Familien lernen ökologische        Einen Teil der Ernte behalte ich für unsere             schaften@heks.ch.

22
AKTUELL                                                                           AGENDA
                                                                                                         Foto: Christian Bobst

Hilfe für intern Vertriebene                                                      HEKS Lunchkino
in Ost-Ghouta
                                                                                  GLORIA – FRAUEN FÜR DEN FRIEDEN
Die vierjährige Belagerung von Ost-     In sechs Regionen von Ost-Ghouta          IN KOLUMBIEN
                                                                                  Ein Film von Barbara Miller
Ghouta und der eingeschränkte Zu-       wurden Nahrungsmittel und Hygiene-
gang zu Nahrung und medizinischer       pakete verteilt. Die Nahrungsmittel­      Krieg und Gewalt haben den Alltag
Versorgung haben bei den Menschen       pakete enthalten 1 kg Mehl, 5 kg Reis,    in Kolumbien jahrzehntelang geprägt.
Spuren hinterlassen. Rund 400 000       1 kg Pasta, 1 kg Hummus, 3 kg Boh-        Hunderttausende Menschen sind
Menschen haben kaum Zugang zu           nen, 3 kg Burghul, 2 kg Linsen, 3 l Öl,   verschwunden, vertrieben oder getötet
Nahrung, Trinkwasser und medizi­        Salz, Thunfisch, Sardinen, Tee, Käse      worden. Insbesondere Frauen und Kinder
nischer Versorgung. Im Februar 2018     und Dosenfleisch. Es finden bereits       litten unter dem grausamen Bürgerkrieg.
eskalierten die militärischen Ausein-   Abklärungen statt, wie man die Men-       Viele haben nicht nur Angehörige ver­
                                                                                  loren, sondern auch Rechte und Besitz.
andersetzungen in der Region. Nach      schen, die jetzt nach Ost-Ghouta zu-
                                                                                  Für diese Menschen setzt sich Gloria
einer Serie von Angriffen durch die     rückkehren, weiter unterstützen kann,     Suárez mit der Frauenorganisation OFP,
Rebellen startete die syrische Armee    zum Beispiel mit der Instandsetzung       der Partnerorganisation von HEKS, ein.
eine Offensive auf Ost-Ghouta. Über     von Unterkünften.                         Sie berät und vertritt Frauen, verhilft
1600 Zivilisten verloren ihr Leben,                                               ihnen zu einer Unterkunft, einem Stück
Tausende wurden verletzt. Die öffent-   HEKS ist seit 2016 in Syrien tätig. Die   Land oder einem Einkommen. Der
liche Infrastruktur wurde komplett      lokale Partnerorganisation GOPA           Kampf um ihre Rechte ist für viele Frauen
zerstört.                               («Greek Orthodox Patriarchate of An-      und ihre Familien auch ein Kampf um
                                        tioch and All the East») leistet seit     ihre Würde. Barbara Miller begleitet
                                                                                  kolumbianische Frauen, die mutig und
Ihr Gesundheitszustand ist äusserst     Ausbruch des Krieges humanitäre Hil-
                                                                                  oft unter Einsatz ihres Lebens in einer
prekär. Viele der Vertriebenen leiden   fe in Syrien. GOPA ist eine kirchliche    traumatisierten Gesellschaft eine neue
unter Mangelernährung, vor allem        Organisation, verfügt über ein breites    Perspektive für ein Leben in Frieden und
Frauen und Kinder. HEKS leistet dar-    Netzwerk und arbeitet unabhängig          eine sichere Existenz erkämpfen.
um gemeinsam mit seiner lokalen         von der syrischen Regierung.
Partnerorganisation GOPA Überle-        https://spenden.heks.ch/syrien/           Anmeldung bis spätestens eine Woche
benshilfe und unterstützt 4000 be-                                                vor der Veranstaltung online unter
sonders bedürftige Familien sowie                                                 www.heks.ch/lunchkino oder telefonisch
                                                                                  unter 044 360 88 10.
1700 Kinder mit Lebensmittelpaketen
und Hygieneartikeln im Umfang von                                                 ZÜRICH, MONTAG, 27. AUGUST
500 000 Franken. Insgesamt profitie-                                              KINO ARTHOUSE LE PARIS
ren von der Verteilung 21 700 Men-                                                Stadelhoferplatz
schen.
                                                                                  AARAU, DONNERSTAG, 6. SEPTEMBER
                                                                                  KINO IDEAL
                                                                                  Kasinostrasse 13

                                                                                  BASEL, FREITAG, 7. SEPTEMBER
                                                                                  STADTKINO
                                                                                  Klostergasse 5

                                                                                  BERN, DONNERSTAG, 13. SEPTEMBER
                                                                                  KINO REX
                                                                                  Schwanengasse 9

                                                                                  ST. GALLEN, FREITAG, 14. SEPTEMBER
                                                                                  KINO K
                                                                                  Grünbergstrasse 7

                                                                                  SCHAFFHAUSEN, MITTWOCH,
                                                                                  19. SEPTEMBER
                                                                                  ZWINGLIKIRCHE
                                                                                  Hochstrasse 202

                                                                                  BEGINN: JEWEILS 12.00 UHR

                                                               Foto: GOPA-DERD

                                                                                                                          23
Nein        zur
                                                                    Selbstbeschneidungs-
                                                                    Initiative

Die sogenannte Selbstbestimmungs-                       Sie gefährdet unsere Sicherheit.
initiative ist ein gefährlicher Etiketten-              Gerichtsurteile wären vom politischen Klima geprägt und
                                                        willkürlichen Verfassungsänderungen stünden Tür und
schwindel:                                              Tor offen. Vor allem Minderheiten wären vor Diskriminierung
                                                        nicht mehr geschützt.
Sie beschneidet unsere Grundrechte.
Urteile des Europäischen Gerichtshofes für Menschen-    Weitere Infos unter: sbi-nein.ch
rechte gegen Verletzungen der Grundrechte in der
Schweiz wären ab sofort wirkungslos.                    Allianz der Zivilgesellschaft / Schutzfaktor M

Sie entmachtet das Bundesgericht.
Das Bundesgericht dürfte die Europäische Menschen-
rechtskonvention nicht mehr anwenden, um unsere
Grundrechte zu schützen, falls diese durch ein Gesetz
verletzt werden.
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