FORUM PAPIERTHEATER NR. 1 / 2021 - PREETZER PAPIERTHEATER-Papiertheater.eu
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FORUM PAPIERTHEATER ONLINE MAGAZIN NR. 1 / 2021 Tradition und Moderne: Blick hinter die Bühne des ThéÂtre Mont d’Hiver mit seiner LED-Lichttechnik Rückschau, Berichte, Kritiken 34. PREETZER PAPIERTHEATER- TREFFEN
Hanauer Papiertheater Schloss Philippsruhe e.V. Oktober 2021 EDITORIAL INHALT Liebe Papiertheater-Freundinnen & Einleitung: Ein großer Jahrgang -freunde, mit ein bisschen Wehmut . .. . .. . .. .. . .. .. . .. . .. . .. . .. . . . ... .. ... .. .. 3 in diesem Heft berichten wir über das The Croquet Player 34. Preetzer Papiertheatertreffen. Da die Papirteatret Meklenborg . .. . .. .. . .. . .. . .. .. . .. .. . . . .. . .. . .. .. ... ... .. 4 nächste Ausgabe unserer Zeitschrift PapierTheater erst im Dezember Fisherman’s dream erscheinen wird, haben wir uns Microscope Toy Theater . .. . .. .. . .. . .. . .. .. . .. .. . . . .. . .. . .. .. ... ... .. 5 entschlossen, mit diesem ONLINE Die 7 Raben MAGAZIN die Wartezeit zu verkürzen. Frey & Bühler 6 . .. . .. .. . .. . .. . .. .. . .. .. . . . .. . .. . . . .. . .. . . . .. . .... ... ..... ... Es ist zum Lesen am Bildschirm gedacht, Der Kleine Prinz doch es kann auch ausgedruckt werden. La Boîte à Trucs . .. . .. .. . .. . .. . .. .. . .. .. . . . .. . .. . . . .. . .. . . . .. . ... ..... ... . 7 Ein großer Bildteil ist im zweiten Teil des Heftes zu sehen, und es empfiehlt sich St. Nikolaus in Not dabei ein Kompromiss: den Ausdruck auf Massimos Papiertheater . .. . .. .. . .. . .. . .. .. . .. .. . . . .. . .. . .. .. ... ... ... 8 den ersten Teil zu beschränken und die Bildstrecke am Schirm zu betrachten. Ein Herz aus Papier Haases Papiertheater . .. . .. . .. .. . .. .. . .. . .. . .. . .. . . . .. . .. . .. .. ... ... ... 9 Uwe Warrach und Jens Schröder, beide erfahrene Spieler, haben im Team mit Eine Einladung Sabine Herder die Theaterkritiken Colosseum Cartae . .. . .. . .. .. . .. .. . .. . .. . .. . .. . . . .. . .. . . . .. . .. ... ..... . 10 geschrieben. Pangu Narathi Außerdem würdigt Uwe Warrach in Papier & Theater . .. . .. . .. .. . .. .. . .. . .. . .. . .. . . . .. . .. . . . .. . .. . .. ..... ... 11 seinem „Nachruf zu Lebzeiten“ Willibald – Der Absturz Dirk Reimers als Gründer und Théâtre de table . .. . .. . .. .. . .. .. . .. . .. . .. . .. . . . .. . .. . . . .. . .. . ... ... ..... . 12 (Mit-)Organisator des Preetzer Treffens. RAINER SENNEWALD Ghost Side Story ThéÂtre Mont d’Hiver . .. . .. . .. .. . .. .. . .. . .. . .. . .. . . . .. . .. ... ... .. . 13 Aus der Edda – Die Götter der Wikinger IMPRESSUM Hellriegels Junior . .. . .. .. . .. . .. . .. .. . .. .. . . . .. . .. . . . .. . .. . . . .. ..... ... . 14 Organisation und Redaktion: Nachruf zu Lebzeiten: Sabine Herder Abschied vom Organisator Dirk Reimers . .. . .. .. ... .... . 15 Heftgestaltung und -produktion: Großer Bildteil: Was vom Treffen übrigblieb . ... ... ... . 17 Rainer Sennewald Die Fotos stammen von der Website papiertheatertreffen-preetz.de oder von den entsprechenden Bühnen. FORUM ONLINE MAGAZIN NR. 1 / 2021 2
Alle Spieler des 34. Treffens D as Wiedersehen war die Hauptsache. Nein, stalter verkauft. (Zur Erinnerung: 2019 waren es das „Wieder-Spielen-Können“. Nein, die Tat- 1.300!) Bei geringeren Besucherzahlen und den schon sache, dass trotz aller Corona-Bedingungen 2019 sehr gelobten großen Klassenräumen wirkte das alles so hervorragend gut geklappt hat, von der Anmel- diesjährige Festival im Vergleich zu früheren Jahren äu- dung bis zum Sitzplatz. Nun zeigte sich, welch gute ßerst entspannt. Fügung des Schicksals uns vor zwei Jahren ein anderes, Inga Feldmann teilte uns noch mit: „Neu war das On- freizügigeres Theatergebäude beschert hat. Alles wieder line Buchungssystem, das wir auch im nächsten Jahr gut? wieder einsetzen werden. Für die Personen, die dies Aber nein! Der bedeutendste Schwerpunkt lag diesmal nicht möchten, besteht weiterhin die Möglichkeit, Ti- in der Eröffnung: Dirk Reimers’ Verabschiedung von ckets telefonisch oder per Email zu bestellen. Das Sys- seiner Rolle als Gründervater des tem gibt uns einen besseren Über- Preetzer Papiertheatertreffens im 34. blick über die Buchungen der Jahr, anders gesagt: nach über vierzig EIN GROSSER Aufführungen, bei Änderungen kön- Prozent seiner bisherigen Lebenszeit. nen die Gäste per Email sofort infor- Inga Feldmann und Helga Klatt JAHRGANG miert werden. mussten eine gewaltige Logistik in- Die Spieler*innen fanden es gut, dass stallieren, um das diesjährige Festival MIT EIN die Kontrolle der Gäste von externen pandemiesicher und dabei reibungs- Personen übernommen wurde, so los zu organisieren. Dank zahlloser BISSCHEN dass sie sich voll auf das Spiel konzen- ehrenamtlicher Helfer (noch weit trieren konnten. Die Anzahl von 14 mehr als sonst üblich) lief der Festi- WEHMUT Personen pro Aufführung wurde valbetrieb, wie von unsichtbarer ebenfalls als „eigentlich optimale Be- Hand gelenkt. Grüne Laufordner mit abzuhakender sucher*innenzahl“ für das Genre Papiertheater bewer- Gästeliste und irreversible Handgelenks-Bändchen, mit tet.“ denen jeder Besucher ausgestattet wurde, der nachwei- In dieser Atmosphäre verabschiedete sich Dirk Reimers sen konnte, geimpft, genesen oder getestet zu sein, wer- in diesem Jahr aus der aktiven Organisation des Festi- den für den Jahrgang 2021 in Erinnerung bleiben. vals, versicherte aber, dem vhs-Team auch künftig als Bei insgesamt weniger Besuchern und einer reduzierten Ratgeber zur Seite stehen zu wollen. Ein bisschen Spielerschar wurden zwar Einige schmerzlich vermisst, Wehmut war dabei, vor allem, weil er kaum öffentlich doch es trat auch zutage, dass das Preetzer Papierthea- in Erscheinung trat und, anders als ursprünglich ge- tertreffen längst keine Veranstaltung „nur für Einge- plant, auch kein neues Stück präsentierte. weihte“ mehr ist. Wer es bisher nicht wahrgenommen Die von der Pandemie aufgezwungene „kreative Pause“ hatte, dem wurde spätestens in diesem Jahr klar, dass scheint der Papiertheaterwelt jedenfalls nicht geschadet die Preetzer Bürgerschaft, ebenso wie Touristen aus der zu haben. Man hatte sogar den Eindruck, dass die Zeit Umgebung „unser“ Festival längst angenommen haben. von den meisten gut genutzt worden ist, um angefange- Und so waren die insgesamt 658 Eintrittskarten auch nen Produktionen noch den letzten Schliff zu verlei- zu 89% und damit zu großer Zufriedenheit der Veran- hen. UWE WARRACH, SABINE HERDER FORUM ONLINE MAGAZIN NR. 1 / 2021 3
geben, Zivilisation, Fortschritt, all das sei eine Täu- SPÖKENKIEKER schung. Dies wird in sehr langen Dialogen und Monologen (Englisch) vorgetragen, begleitet von schönen Land- The Croquet Player schaftsbühnenbildern aus der Normandie, dem natura- Papirteatret Meklenborg listischen Innenraum eines alten Pfarrhauses, einem klassizistischen Museum, dazu glaubhaft gestalteten Søren Mortensen, Marie Thodberg, Per Brink Figurinen und sorgsam ausgesuchter Musik sowie einer Abrahamsen, Dänemark hervorragenden Figurinenführung. Hier wird nicht zu den gesprochenen Worten hin- und D er Crocketspieler George begegnet bei einem her gezappelt, die Bewegungen sind sparsam und gera- Besuch in der Normandie dem Arzt Dr. Fin- de deshalb wirkungsvoll, weil natürlich. Die Personen chatton, der ihm von unheimlichen Vorgängen erscheinen teilweise in Großaufnahme, was das Natür- in seiner Gemeinde erzählt. liche etwas mindert, dafür aber Abwechslung fürs Auge Ein alter Pfarrer habe ihm berichtet, dass Böses am bietet. Licht- und Tontechnik sind perfekt, man er- Werke sei; der Pfarrer führe dies auf einen Stamm von kennt den versierten Techniker Søren Mortensen. Höhlenmenschen zurück, deren Gräber von lokalen Zugrunde liegt eine Erzählung von H.G.Wells. Das Archäologen und Naturforschern zerstört worden sei- scheint mir ein Problem dieser Inszenierung zu sein: Es en. Hinweise eines örtlichen Museumskurators deute- wird erzählt. Bildnerisch und „tönend“ ist alles gelun- ten auf Neandertaler- gen, aber es mangelt knochen hin, deren etwas an Dramatik. noch vorhandene ma- Eine Erzählung ist gische Kräfte grausi- eben kein Drama, der gen Geistern Gestalt Autor hätte sonst verliehen. wohl ein Schauspiel Die Menschen seien geschrieben. So fehlt „infiziert“ mit Angst mir bei aller gelunge- vor Ahnengeistern, nen Ausstattung die oder besser gesagt, der innere, aus der Idee Angst vor dem Ein- stammende Span- fluss des Höhlenmen- nung. Das Unheimli- schen in uns, der nie che versinkt in einer gestorben sei; es habe Art „Schichtkieken“ keine wirkliche Ver- norddeutscher Spö- änderung, kein wirkli- kenkiekerei. ches Entkommen ge- Figuren und Kulissen sind gezeichnet von Simon Gorm Eskildsen UWE WARRACH FORUM ONLINE MAGAZIN NR. 1 / 2021 4
DIE EWIGE ILSEBILL Fisherman’s dream Microscope Toy Theater Yulya Dukhovny, USA W ir kennen die Geschichte des Malers Phi- renden Dialogs (er kommt nach Haus, sie schickt ihn lipp Otto Runge „Vom Fischer und seiner wieder los, er bittet den Butt, geht wieder nach Frau“, in der ein armer Fischer einem gefan- Haus …) nicht stört, im Gegenteil, sie hat etwas von genen und, vor allem, sprechenden großen Butt die der ewigen Brandung im Hintergrund. Sehr gefällig, Freiheit lässt und als Gegenleistung im Auftrag seiner originell auch das Beiwerk in Form diverser Samm- Frau, die den Hals nicht voll kriegen kann, dem Fisch lungsstücke von der Meeresküste, einschließlich Fotos immer neue Forderungen zur Steigerung ihres Lebens- ihrer Bewohner. UWE WARRACH standards antragen soll, bis sie am Ende Gott selber sein will und für diese Lästerung wie- der zurück muss in ihre prekä- re Behausung, einen „Pisspott“. „Fischerman’s dream“ liegt Alexander Puschkins Gedicht „Märchen vom Fischer und dem Fische“ zugrunde, das dem deutschen Märchen sehr ähnelt. Der Fischer sitzt am Meer, lauscht dem Rauschen der Brandung, schläft ein und träumt dann die ganze Ge- schichte. Obwohl man sie kennt, oder vielleicht gerade deshalb, folgt man ihr wie auf einem vertrauten Weg, von dem man doch nicht ganz si- cher ist, wie er endet (zumal man als Mann ja die Ilsebills kennt: „Wat will se denn nu allwedder?“) Das Besondere ist hier die Ge- staltung: Keine eigentliche Bühne, nur ein Tisch (leider sehr niedrig), großformatige Papp-Quadrate, die auf und ab geklappt werden, einige als Scherenschnitte, Vorlagen für eine Projektion an die Wand durch einen Beleuchter (der auch einigen im Publikum die Sicht nimmt – die Sicht, die Sicht, das alte Leiden). Die Geschichte selbst wird vorge- tragen, aber so eingepasst in die häufig wechselnden Bilder, dass selbst die Schleife des im- mer und immer wiederkeh- FORUM ONLINE MAGAZIN NR. 1 / 2021 5
WINZIG UND WUNDERSCHÖN Die 7 Raben bei so viel Willen zur Kunst wundert es nicht, dass ihre Aufgabe schließlich nicht im Weben härener Hemden Denise und Konstantin Frey, Jenny Bühler, Schweiz besteht, sondern darin, das Erlebte, die ganze von ihr durchmessene Welt, malerisch wiederzugeben. Und so E ine Neuentdeckung aus der Schweiz! Auf der gelingt es ihr, wie zuvor geträumt, mit ihren Brüdern in Basis des bekannten Grimmschen Märchens er- die Erlösung zu tanzen. Am Ende steht sie im goldenen sann Denise Frey ihre Version der Geschichte Taufwasserregen – wie mag sie nun wohl heißen? und sorgte auf dem Klavier für die musikalische Beglei- Professionell gespielt, anrührend, winzig und doch tung. Konstantin Frey setzte die Erzählung in eine wunderschön – Wir hoffen sehr, Familie Frey und Jen- wunderschön bebilderte Bühne um. Tochter Rebekka ny Bühler in Zukunft wiederzusehen! zeichnete für die Technik verantwortlich und hinter ei- SABINE HERDER ner ungewöhnlichen, schwarzen Bühne, die an eine Bar erinnerte, agierte die Schauspielerin Jenny Bühler als Spielerin. In dieser Version wünscht sich ein Elternpaar, das be- reits sieben Söhne hat, ein Töchterchen und bekommt es. Als Taufwasser geholt werden soll, zerbrechen die rangelnden Jungen den Krug und werden in einer Zor- nesaufwallung vom Vater verflucht. Einsam und traurig wächst das ungetaufte Mädchen zur Schönheit heran. Als sie, fast erwachsen, vom Schicksal ihrer Brüder er- fährt, ist klar: Sie muss etwas unternehmen! Sonne und Mond bleiben ihr eine Antwort schuldig, doch die klu- gen Sterne (eine Lichterkette um den Hals der Spiele- rin!) wissen Rat: Die Brüder befinden sich im Him- melspalast und um dorthin zu gelangen, gilt es natürlich einige Regeln, darunter ein strenges Schwei- gegelübde, zu beachten. Nun wird die schwarze Wolke, die den Hintergrund der Bühne bildete, gelüftet und enthüllt den mit 17 Me- tern wohl längsten (und mit wenig mehr als 10 cm Höhe wohl den niedrigsten) Wandelprospekt, den das Papiertheater je gesehen hat. Traumsequenzen lösen sich in Flecken, Punkte, Striche, Kreuze auf, aus denen wiederum eine Landschaft, die Wüste oder eine Auto- bahn entsteht. Abstraktion und Naturalismus fließen ineinander und FORUM ONLINE MAGAZIN NR. 1 / 2021 6
EIN MAGISCHER MOMENT Der Kleine Prinz mierten Illustrationen die verschiedenen Versuche des La Boîte à Trucs kleinen Prinzen zeigte, auf fremdem Asteroiden Freun- de zu finden. Dann wurde der Koffer geöffnet – Preetz- Olivier Gorichon, Christophe Carmelino, Frankreich erfahrende Zuschauer konnten der Eindruck gewin- nen, der diesmal nicht anwesende Robert Poulter hätte B eim Betreten des Raumes für diese mit Überlän- ihn geschickt, enthielt er doch zwei Papprollen mit ei- ge angekündigte Vorstellung sah man auf eine nem Wandelprospekt, wie man ihn von Poulter kennt. vollausgestattete Bühne mit schwarzem Hinter- Hier wurden die Achsen der Rollen auf den Tisch ge- grundaushang, Bodentuch und professionell ausge- steckt und dienten als Hintergrund für die Wanderung leuchteten Requisiten: ein Tisch mit Stuhl im Zen- des kleinen Prinzen nach seiner Ankunft auf der Erde, trum, eine Staffelei vorne und ein Arrangement aus bei der er unter anderem auf eine Giftschlange trifft. einem Koffer und zwei großen Bildermappen hinten in Die zweite Bildermappe wurde flach auf den Tisch ge- der Ecke. Olivier Gorichon nahm am Tisch Platz und legt und es entfalteten sich beim Umblättern dreidi- verkörperte den Schriftsteller, den Gegenpol des allen mensionale Szenerien, wie zum Beispiel der Brunnen in bekannten, von Antoine de Saint-Exupéry erdachten der Wüste. Hier erfuhren wir, dass der kleine Prinz nur kleinen Prinzen. auf seinen Heimatplaneten zurückkehren kann, indem Sein Partner Christophe platzierte sich am Rand der er stirbt. Dabei soll ihm die Schlange helfen, die er zu- Spielfläche, und ich erwartete von ihm Übersetzungen vor in der Wüste kennengelernt hat. einer Aufführung in Originalsprache – aber es war ge- Auch wenn das Flugzeug des Schriftstellers nicht flug- nau umgekehrt! Olivier Gorichon bewältigte die kom- tauglich war, verging die Zeit dieser mehr als einstündi- plette Vorstellung in gut verständlichem Deutsch. gen Aufführung wie im Fluge. Eine großartige darstel- Die Geschichte begann mit der Erzählung des Schrift- lerische Leistung, die zu Recht mit großem Applaus stellers über seine von der Welt unverstandenen Versu- honoriert wurde. JENS SCHRÖDER che als Zeichner – der Hut, der ei- gentlich eine Boa darstellen sollte, die einen Elefanten verschlungen hat –, dann folgte die Schilderung der Not- landung in der Wüste mit der zum Flugzeugmotor umfunktionierten Schreibmaschine und der ersten Be- gegnung mit dem kleinen Prinzen. Diesen sah man zuerst als Bild auf der schon erwähnten Staffelei. Dann aber fiel der Prinz im wahrsten Sinne des Worts aus dem Bild und landete als Papiertheaterfigur in den Armen sei- nes menschlichen Mitspielers. Von diesem wirklich magischen Mo- ment an nahm der Papiertheater-An- teil der Vorstellung permanent zu und dominierte schließlich das Gesche- hen: Auf der ausgezogenen Schreibtisch- schublade erzählte der kleine Prinz von der Freundschaft zu seiner Blume. Die erste der beiden Bildermappen entpuppte sich als Pop-up-Buch, das Seite um Seite in phantasievoll ani- Mit 65 Minuten Spieldauer für Preetzer Verhältnisse ungewöhnlich lang: „Schauspiel mit Papier“ nennt Olivier Gorichon seine Inszenierung. FORUM ONLINE MAGAZIN NR. 1 / 2021 7
VIRTUOS UND IN NEUEM GEWAND St. Nikolaus in Not Massimos Papiertheater Peter und Massimo Schauerte-Lüke, Wipperfürth W ie Dirk Reimers bei der Vorstellung der Spieler formulierte: Man weiß gar nicht, wie viele Namen Peter Schauerte-Lüke sei- ner Bühne seit den Anfangszeiten in Lübeck schon ge- geben hat. Seit 2018, als sein Sohn Massimo mit „Der Selbstsüchtige Riese“, seiner Jahresarbeit an der Wal- dorfschule, nach Preetz eingeladen war, heißt es„Massi- im Hintergrund sichtbar blieb. Die Handlung spielte mos Papiertheater“. Nun also „St. Nikolaus in Not“ sich in wechselnden Räumen ab, die von links und nach der bekannten Erzählung von Felix Timmer- rechts in die Bühne geschoben wurden und so einen manns, ein lange Zeit bewährtes Stück aus dem Spiel- schnellen Szenenwechsel bei offener Bühne ermöglich- plan des „Burgtheaters“, in einer Neuinszenierung. ten. Das Spiel war – wie könnte es anders sein? – live, Sehr stimmungsvoll war der Schauplatz, der dem wobei Peter virtuos alle Rollen sprach und Massimo Marktplatz in Lier, der Heimatstadt des Dichters, Umbau und Figurenführung übernahm. nachgebildet war und während des gesamten Stückes SABINE HERDER Das Theater und der Theaterhund (Bild oben) FORUM ONLINE MAGAZIN NR. 1 / 2021 8
Alles Fotografie: Die Fotos für Figuren und Kulissen hat Martin Haase eigens produziert. einschließlich der Kulissenmaschinerie. Alle Bühnen- LIEBESGLÜCK IN ÖL bilder sind perfekt gestaltet und beleuchtet, der Roko- ko-Akt am Beginn ebenso wie das Schauspielhaus von Ein Herz aus Papier draußen (einmal am Tage, einmal nachts) und das Ate- Haases Papiertheater lier jenes Malers, der dem glücklosen Verliebten Ersatz in Gestalt einer gemalten Puppe anbietet und ver- Martin und Sieglinde Haase, Remscheid schafft. Der geht also mit einer Art zweidimensionaler Schau- D a sie nicht zu sehen ist und nicht mal erwähnt fensterpuppe nach Hause beziehungsweise zu den Kol- und nur beiläufig den Kiebitzen nach der legen, erntet gleichwohl Zweifel an der Echtheit des Aufführung präsentiert wird, sei sie hier her- Objekts. Das wirkt im Rahmen der realistischen Ge- vorgehoben: eine Drehbühne stalten und ihrer Umwelt doch besonderer Art, aufgeteilt wie etwas zu spleenig, um einen eine Torte in drei Drittel, dient „mitbangenden Effekt“ beim sie vor allem dem schnelleren Publikum auszulösen. Umbau, eine bemerkenswerte Immerhin kriegen sich am Idee an sich. Aber das nur ne- Ende die Verliebten, wo es erst benbei, wie gesagt. nur auf einer Seite gefunkt hat- Das Stück spielt gleichwohl auf te. Trotz des skurrilen Plots einer Bühne auf der Bühne: wird die Sache nie langweilig, eine Liebesgeschichte in einem es passiert immer Neues wie Casanova-Stück zum einen zum Beispiel die Szene auf der und zwischen dem Schauspie- Bühne – wir blicken ins Publi- lerpaar, das die Liebesgeschich- kum –, als das Paar statt des te „gibt“, zum anderen. (Am Textes seine wirkliche Liebe Anfang will „sie“ „ihn“ aber „gibt“, begleitet vom Textbuch- noch nicht.) Geraschel und Schimpfen sei- Erste Überraschung: Man tens der irritierten, verzwei- glaubt, eine Art von Mozart- felnden Souffleuse und, als be- stück zu sehen, dann fällt (und sonderer Gag, dem endlosen steigt) der Vorhang, und wir Gehuste einer Zuschauerin. sind auf der „nackten“ Bühne, UWE WARRACH FORUM ONLINE MAGAZIN NR. 1 / 2021 9
AUS DEM LEBEN GEGRIFFEN Eine Einladung kultiviert zu feiern, beglückt ihn der Gedanke an das Colosseum Cartae nahe dem Restaurant gelegene Meer. Nach längerer Autofahrt müssen sie nur noch am Strand vorbeigehen, Christin Karbaum, Westensee wo Waldemar plötzlich kein Halten mehr kennt: Schnell steht er bis zum Bauch im Wasser und lockt sie, C olosseum Cartae – wer hier eine Adeptin des aber das schicke Kleid, der Hut, die für das Fest sorgfäl- süddeutschen Lateiners Benno Mitschka ver- tig gelegten Haare sollen doch nicht ruiniert werden! mutet, irrt. Christin Karbaum, ihres Zeichens Als ein Ball sie trifft und zu Boden wirft, hat sie genug. studierte Kostüm„skulpteurin“ und Grafikkünstlerin Das letzte Bild zeigt sie im Vordergrund, leicht deran- erhielt ihre Papiertheater-Initiation in Kiel, wo sie von giert, mit einem Glas Sekt in der Hand – im Hinter- den Darbietungen Heinz Hollands so beeindruckt war, grund plantscht ihr Mann glücklich in den Wellen. dass sie beschloss, die kleine Bühne als dritte Kunst in Mit schönen Dekorationen illustrierte Christin Kar- ihr Leben zu integrieren. Seit sieben Jahren empfängt baum ihre Geschichte. Dass die Erzählung vom Band sie regelmäßig Gäste in ihrem mit 12 Plätzen bestück- kam, überraschte, denn der Ton klang live. Mit sehr viel ten „Theaterzimmer“ im preetznahen Westensee. Charme und einem guten Sprachrhythmus trieb sie die Wie auch in ihrer freien Kunst lässt sie sich von Alltag- Geschichte voran. Schade nur, dass sie als Debütantin seindrücken zu neuen Stücken inspirieren. Und so er- in einem so professionellen Umfeld wie dem 34. Preet- zählt auch Eine Einladung eine Episode aus ihrem Le- zer Papiertheatertreffen (noch?) mit nervös zuckenden ben: Ein älteres Ehepaar, in Gewohnheiten erstarrt, Figuren und einer Differenz zwischen Gesprochenen erhält unerwartet eine Einladung zu einem Fest. Wäh- und Gezeigtem auffiel. rend Elfriede sich darauf freut, in elegantem Outfit SABINE HERDER FORUM ONLINE MAGAZIN NR. 1 / 2021 10
VOM FOTOGRAFEN ZUM GIPFELSTÜRMER Pangu Narathi Das Stück beginnt mit dem Ende, der Verbrennung Papier & Theater Matteos in einem Kloster am Fuße des Pangu Narathi in Anwesenheit seiner sich seiner erinnernden Freunde Marlis und Rainer Sennewald, Halle aus dem heimatlichen Gauschwandtal. Ein Zeitsprung führt uns zurück an den Beginn der Geschichte in die- D ass Rainer Sennewald der Mann mit dem ses malerische Tal. Eine geschickt gestaltete Geräusch- wohl größten Foto-Archiv von Papiertheater- untermalung unterstützt den visuellen Eindruck und aufführungen der letzten 17 Jahre ist, wusste zieht uns hinein in das Geschehen auf der kleinen ich – dass er aber auch über ein großes Archiv von Lite- Bühne. ratur zum Thema Bergsteigen verfügt, sagte er mir nach Wir verfolgen erste Bergsteig-Versuche von Anderl und seinem Papiertheater-Debüt mit einem Stück zu eben Matteo am Löwenkopf – unter Benutzung des am dieser Thematik. Seine Frau Marlis hat, wie wir wissen, nächsten Tag auf Grund eines Todesfalls im Dorf ver- schon vor Jahren den Schritt von der begeisterten Pa- missten Glockenseils aus dem Kirchturm – und am piertheater-Organisatorin und Zuschauerin zur akti- Drachenkogl. Dann werden wir werden Zeugen, wie ven Spielerin vollzogen – nun folgt ihr Mann „auf die die beiden Protagonisten als junge Männer zu einer andere Seite des Vorhangs“. vom British Mountaineering Club zu London finan- Das ist durchaus bildlich zu verstehen – eine Papier- zierten Expedition zum Gipfel des Pangu Narathi auf- theaterbühne mit einem die Spieler verdeckenden Vor- brechen. In wunderbaren Bildern begleiten wir dieses hang bot den Rahmen für die Geschichte über die bei- abenteuerliche Unterfangen, das für Matteo letztlich den Freunde Anderl und Matteo, die dem Ruf der tödlich endet. Berge folgen. Der Bühnenausschnitt war angenehm Es ist den Spielern gelungen, in Ihrem überzeugend live groß gewählt, und die vielen verschiedenen Hinter- gesprochenen Stück die großen Emotionen von der gründe – Übermalungen von Abbildungen aus Rainers Sehnsucht nach den Gipfeln bis zur Verzweiflung des eingangs erwähnten Bergsteiger-Büchern – waren so halluzinierenden Matteos auf das Publikum zu über- groß gestaltet, dass keine Seitenkulissen zu Verhinde- tragen. Das hat mich wirklich „gepackt“. rung seitlicher Durchblicke erforderlich waren. Dies Wenn mit dem ersten Stück schon der Gipfel erreicht verminderte die Zeit für die offenen Umbauten zwi- wird, liegt die Messlatte für zukünftige Aufführungen schen den 14 Szenen beträchtlich und sorgte dafür, hoch – das ist aber hoffentlich, so wünsche ich es mir, dass der spürbar vorhandene Spannungsbogen nie ab- keine Abschreckung, sondern eher Motivation und An- riss. sporn zum weiteren Gipfelstürmen! JENS SCHRÖDER FORUM ONLINE MAGAZIN NR. 1 / 2021 11
DER LETZTE TEIL DER TRILOGIE, DOCH HOFFENTLICH NICHT DAS ENDE war im Zeichen der realen Hochwasserkatastrophe im Willibald – Der Absturz Ahrtal angebracht. Mäusechef Willibald leugnet die Théâtre de table Bedrohung und will die Situation aussitzen. Doch, auch wenn Willibald dagegen ist, das Wasser kommt Marlis Sennewald und Eric Poirier, Frankreich trotzdem! – Ich muss zugeben, dass ich die papierenen Wellen, die nach und nach die Spielfläche fluteten, zu- D ie erste Überraschung gab es schon beim Ein- erst gar nicht als solche erkannt habe, was daran lag, lass: Für den dritten Teil der Trilogie über den dass sie grün und nicht blau waren, aber schließlich kleinen Mäusediktator war nicht die aus den habe auch ich den Ernst der Lage erkannt. Das wegge- Teilen eins und zwei bekannte Bühne mit mehreren ne- schwemmte Mäusevolk landet auf dem Land und muss ben- und übereinanderliegenden Spielorten aufgebaut Hunger leiden. Willibald verspricht ihnen das Blaue worden, sondern für „den Absturz“ war ein typischer vom Himmel in Form von Käse, kann diesen aber we- Poirier-Spieltisch als Ort des Geschehens vorgesehen. der stehlen noch herstellen. Das Stück begann mit einem Disput der Spieler: Der Nachdem das lebhafte Stück nach Aufstand und resul- Titel „Der Absturz“ sagt ja schon alles, eigentlich kann tierendem Tribunal, welches zur Absetzung von Willi- man sich doch alles Weitere sparen, meint Eric. Nein, bald und seinen Mittätern Josef und Hermann führt, entgegnet Mitspielerin Marlis, die Anwesenden wür- zum Ende gekommen ist, lohnt es sich wie immer, die den sich doch dafür interessieren, wie es zum Unter- zahlreichen Figuren – Mäuse und anders Getier – aus gang des Tyrannen kommt – Recht hat sie, welches der Nähe zu betrachten, um die Details gebührend Spektakel wäre uns sonst entgangen … wahrzunehmen. Diesmal ist das Mäusevolk auf der Flucht, weil ein Dieses war der letzte Teil der Trilogie, aber hoffentlich Hochwasser droht – der Hinweis der Spieler vor nicht die letzte Produktion des Duos Sennewald und Aufführung, dass das Stück schon 2020 entstanden ist, Poirier! JENS SCHRÖDER FORUM ONLINE MAGAZIN NR. 1 / 2021 12
DEBÜT MIT SCHWARZLICHT Ghost Side Story stalt, muss – klassische Dramaturgie – vor der Lösung ThéÂtre Mont d’Hiver noch ein Problem überwunden werden; in diesem Fall in Gestalt des Geisterjägers John Sinclair. Nach mehre- Birthe und Sascha Thiel, Schleswig ren Ohnmachten des vom Schrecken übermannten Liebhabers, einer Verfolgungsjagd, wie man sie so noch A us dem Dunkel schälen sich die Lichtkegel von nie auf dem Papiertheater sah, den gewohnt gut getak- zwei Taschenlampen, eine leises Brummen teten Screwball-Dialogen und einem Musikeinsatz, der schwillt zum Getöse an, ein Flugzeug wirft ei- zugleich Umbaupausen überbrückt und das Geschehen nen riesigen Schatten und plötzlich befinden wir uns ironisch kommentiert, ist das Stück ein Effektfeuer- werk, das nach einigem viktorianisch anmuten- den Grusel in ein Happy End mündet. Ghost Side Story ist das erste Papiertheaterstück aus der Feder und unter der Regie von Sascha Thiel. Er setzt auf schwarzweiße Dekorati- onen, die im Schwarz- licht ungesund schillern. Ein einfacher Lichtwech- sel ermöglicht, den Spuk schnell wieder zu been- den und ganz nebenbei lernen wir noch, dass LED-Schwarzlicht schwächer ist als solches aus Glühbirnen, sich leicht überblenden lässt und nur mit grüner Schwarzlichtfarbe re- agiert – Toll! SABINE HERDER mitten in einem Luftangriff. Fast unbe- merkt hat sich inzwischen der Vorhang geöffnet und zeigt schwebend eine Rui- ne – dann Dunkel. Bei schönstem blauem Himmel möchte Antoine eine alte englische Villa kaufen. Die Maklerin warnt vor einem unheim- lichen „Mitbewohner“ und erlaubt ihm, zur Probe eine Nacht im Haus zu ver- bringen. Tatsächlich taucht ein Geist auf, Stella, die hier einst bei einem Bom- benabgriff umgekommen war. Antoine kauft das Haus und Geistin und Mann verlieben sich. Was tun? Nach einer mitternächtlichen Paarberatung bei Anne Boleyn, einer kopflosen Spukge- FORUM ONLINE MAGAZIN NR. 1 / 2021 13
URGERMANISCHER MYTHOS STATT POPKULTUR scher Sprache, von Gerlinde Holland erfahren, wäh- Aus der Edda – Die Götter der Wikinger rend sich die Bühne öffnet. Aus den Strömen entsteht Hellriegels Junior der Riese Ymir, das Urwesen, aus dessen Leichnam die Asen später die Welt formen werden: Sonne und Willem, Friedrikke und Jule Klemmer, Mond, Asgard als Asen- und Midgard als Menschen- Gerlinde Holland, Kiel reich, Helheim für die Toten, Nidavellir für die Zwerge und Jötunheim für die Riesen; sie alle finden ihren E inen harten Brocken stemmten Willem Klem- Platz auf den Ästen der Weltenesche Yggdrasil, wäh- mer und seine Familie in diesem Jahr. Nach rend im Untergrund die Nornen am Schicksal weben. mehreren Märchen und einer norddeutschen Friederikke Klemmer findet Formen für die fremden Legende 2019 wagten sie sich diesmal an die „Weissa- Wesen, die nicht menschlich und doch menschlich ge- gung der Seherin“, das erste Lied der Edda. Der urger- nug sind, um von ihren Schicksalen berührt zu werden, manische Mythos vom Ursprung der Welt kommt uns das spröde Versepos fasziniert – hervorragend rezitiert christlich geprägten Menschen Mitteleuropas heute – durch seine Musikalität. fremd, ja beinahe exotisch vor. Dass die kreative Familie die üppig ausgestattete Bühne Hellriegels Junior liefert denn auch kein leicht verdauli- wuppt, alle Texte live spricht, musiziert ( Jule Klemmer) ches Helden- und Götter-Epos á la Marvel-Verfil- und dann auch noch mehrstimmig singt, dazu Einfälle mung: Bei noch dunkler Bühne rezitiert Willem live wie die einander im Proszenium begegnenden Ströme den Originaltext in Altisländisch. Dazu fließt langsam und der senkrecht laufende Wandelprospekt, der die ein leuchtendroter Lavastrom über das schwarze Pro- Organisation Yggdrasils mit all seinen Tierwesen ver- szenium, ihm entgegen, ein blauer Fluss. anschaulicht, machen Aus der Edda absolut sehens- Der Fluss aus Nievelheim, wie wir, nunmehr in deut- wert! SABINE HERDER FORUM ONLINE MAGAZIN NR. 1 / 2021 14
Eröffnungsveranstaltung: Inga Feldmann überreicht Dirk und Barbara Reimers einen Koffer, der später mit Erinnerungen und Abschiedswünschen von Spielern und treuen Besuchern aus aller Welt gefüllt wird. NACHRUF ZU LEBZEITEN „UND DANN KAM PREETZ! Ach, wie haben wir erlich diese seine Zeit, mit offiziellen Dankesgrüßen, das heute größte Internationale Papiertheatertreffen der vielerlei Abschiedsgeschenken und spürbarer Wehmut Welt in seinen Anfängen unterschätzt! Danke, Dirk bei den Geehrten, Dirk und Frau Barbara, sowie bei Reimers, dass du deinen norddeutschen Dickschädel Spielern und Publikum. durchgesetzt hast. Ohne das Preetzer Treffen wäre die Nachrufe sind immer heikel, aber ich muß ja nicht alles Papiertheater-Renaissance wohl doch ein kurzes selber schreiben, ich greife erst mal zurück auf einen Feuerwerk geblieben…“ Kollegen, der Dirk in seiner Preetzer Rolle fast von An- Norbert Neumann in fang an erlebte, das heißt viele Jahre früher als ich. In Das PapierTheater Nr. 31 / März 2013 seinem Artikel über das 20. Preetzer Papiertheater- treffen im September 2007 hatte sich Norbert Neu- mann erinnert: E röffnungsveranstaltung zum 34. Preetzer Pa- piertheatertreffen: Inga Feldmann überreicht „Ich weiß noch genau, wie ich – sozusagen mit spitzen Dirk und Barbara Reimers einen Koffer, der spä- Fingern – zum ersten Mal das vhs/Schulgebäude betreten ter mit Erinnerungen und Abschiedswünschen von habe. Ganze fünf Bühnen auf dem Programm, alles Spielern und treuen Besuchern aus aller Welt gefüllt Deutsche aus der näheren Umgebung. Die meisten kannte wird. man ja schon von den Kieler Papiertheater-Veran- Die Eröffnung des ersten Nach-Corona-Papiertheater- staltungen der letzten Jahre: Papier-Puppen-Theater Dirk treffens am zweiten September- Wochenende 2021 Reimers. Der rannte damals und noch etliche Jahre war ganz anders als sonst, nicht nur wegen des kleine- aufgeregt mit Hemdschlapp aus der Büx hängend rum; ren Besucherkreises Sie hatte einen gewichtigen Hüter der reinen Papiertheaterlehre und zumindest einer Schwerpunkt, der wohl uns allen nahe ging: Dirk Rei- der Väter der Mutter aller Papiertheater-Schlachten mers’ Verabschiedung als Gründervater des Preetzer (sprich Treffen).“ Papiertheatertreffens, nach 34 Jahren. Sie besiegelte fei- Das PapierTheater Nr. 3 / September 2007 FORUM ONLINE MAGAZIN NR. 1 / 2021 15
Ein letztes Mal? Dirk Reimers stellt die Spieler vor, assistiert von Inga Feldmann. Ich habe Dirk erst Anfang der 2000er Jahre kennenge- Was daraus wurde, war auch Gegenstand der Verab- lernt, als einen jener Art, die an sie heran getragenen schiedung am 11. September 2021. Die fatale Auswir- Fragen oder Bitten manchmal knurrend bis scheinbar kung von Corona auf Preetz 2020 hatte Dirk spürbar abweisend begegnen aber, ehe man sich versieht, einem zugesetzt. Der Macher des Preetzer Papiertheater- schon weiter geholfen haben. Als ich ihn ansprach, treffens war danach nicht mehr ganz derselbe. Zwar selbst mal in Preetz spielen zu wollen, mich aber scheu- gab es 2020 die gelungene Internet-Retrospektive, aber te, weil Norbert immer viel an meinen Inszenierungen das war ja nun eigentlich„kein Papiertheater mehr“. Die auszusetzen pflegte, erwiderte er knapp: „Ob du in Hoffnung setzte Dirk auf 2021, aber lange blieb auch Preetz spielst, das entscheidet nicht Norbert, das ent- das ungewiß. Ein bißchen trotzig antwortete er auf mei- scheiden wir beide.“ So begann es mit mir und dem nen Artikel über das „Herzeleid“ der frustrierten Inten- Spiel in Preetz. Solche Sätze schaffen Grundvertrauen, dantinnen und Intendanten: „Das Herz hat einen und das behielt ich bis heute. Schrittmacher!“ 2010 machte ich mit Dirk ein Interview (Das Papier- Ein krönendes Abschlußtreffen mit der Übergabe an Theater Nr. 17 / September 2010); dabei tat er einen eine Nachfolge im eigentlichen Sinne fiel „höherer Ge- Blick zurück: walt“ zum Opfer, der Pandemie, aber vielleicht hätte Dirk das auch gar nicht so wichtig gefunden, mir Begonnen hat es mit einem Besuch in Priors Dukketeater scheint, er hat sich selbst sowieso nie so sehr wichtig ge- Museum in Kopenhagen vor fast 30 Jahren. Die nommen. (Das taten andere.) So fiel zwar nun ein Vor- gemeinsame Neugierde von meiner Frau und mir haben hang, aber nicht alle offenen Fragen können heute dort das Interesse geweckt; einige Jahre später ein Besuch beantwortet werden, und selbst Dirk wird ihn gewiß des Papiertheaterfestivals in Kiel und die Mitgliedschaft noch mal lüpfen, denn Pollidor will weiter spielen. im dänischen Papiertheaterverein haben uns dann den In günstigen Fällen hängt ein Amt, eine Funktion fest „Rest“ gegeben. an der bestimmten Person, die es gestaltet hat, so wie hier. Und an die wird man sich immer erinnern, gleich, Und wie und wann wurde daraus die Institution des was danach kommt. Zum Abschluß noch ein Zitat aus Preetzer Papiertheatertreffens? dem Interview mit Dirk: Das begann mit einer vorlauten Bemerkung nach eine „Nach dem, ich glaube 2.Treffen, hat man zu mir gesagt: Papiertheatervorstellung in Preetz. Das Papiertheater „Sie werden keine neuen Bühnen finden und schon gar Krope aus Kiel zeigte „Die Kluge“ im Rahmen einer nicht neue Stücke.“ Die Feststellung hat mich gereizt und Veranstaltung der Volkshochschule. Der Ausspruch: „So nun die Antwort: Das 23. Treffen im Jahr 2010.“ etwas müssten wir öfters in Preetz haben“ reizte mich zu der Antwort: „Ich kenn da einige“, und schon ging es nach Oder heute: Das 34. und das im Corona-Jahr 2021. dem Motto „Na, dann mache Sie mal!“ Und das 35. in 2022 … UWE WARRACH FORUM ONLINE MAGAZIN NR. 1 / 2021 16
WAS VOM TREFFEN ÜBRIGBLIEB … Yulya Dukhovny’s Sand, mitgebracht aus Kalifornien, und ein paar Bilder für das Erinnerungsalbum an ein deutlich bescheideneres, aber nicht weniger herzliches Treffen in der „Welthaupstadt des Papiertheaters“ Preetz in Schleswig Holstein. FORUM ONLINE MAGAZIN NR. 1 / 2021 17
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VOM PAZIFIK AN DIE OSTSEE Die Papiertheaterkünstlerin Yulya Dukhovny war dieses Jahr mit ihrem Partner Valery Spolyansky in Preetz zu Gast mit „Fishermen’s dream“. Das Gepäck der beiden Kalifornier: ein Koffer, eine Gra- fikmappe und zwei Umhängetaschen – das komplette Theater auf Reisen. Hinter dem Eingang zu ihrem Bühnenraum erwartete den Besucher kleine, geheimnisvolle Installation, die Papierob- jekte aufgebaut in drei Kilogramm kalifornischem Sand, auch dieser mitgeführt im Reisegepäck, später als Anden- ken in Deutschland hinterlassen. Für ihre Aufführung war auf der Fläche mehrerer zusam- mengestellter Schultische eine kleine Strandlandschaft auf- gebaut: Vorne rechts die Schlafstätte des alten Fischers, ein paar Muscheln, ein Stein, später tauchten Figuren und Bil- der an dieser imaginären Küste auf. Hinten dann die große Mappe, deren Seiten nach und nach aufgeschlagen wurden, Blicke öffneten in eine kleine Fischerstube, auf das weite Meer, in prächtige Schlosssäle … Und die Bühnentechnik? Bestand aus zwei Taschenlam- pen, geführt vom geduckt in der ersten Reihe sitzenden Va- lery, ein breiter Lichtkegel und ein Punktstrahler. Auf dem weißen Seidentuch, über die Tafel an der Hinterwand ge- hängt, verstärkten magische Schattenbilder die Wirkung des feinen Figurenspiels. Der Ton kam von einer Anlage der Volkshochschule Peetz. RS FORUM ONLINE MAGAZIN NR. 1 / 2021 29
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