Funktionelle und strukturelle Aspekte im Rahmen der Furkationstherapie

 
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Funktionelle und strukturelle Aspekte im Rahmen der Furkationstherapie
PARODONTOLOGIE

Funktionelle und strukturelle Aspekte
im Rahmen der Furkationstherapie
Ein neuer Ansatz
Stefan Neumeyer, Sabine Hopmann, Stefanie Neumeyer-Wühr,
Benjamin Hundeshagen, Ralf Smeets, Martin Gosau, Simon Burg

   Indizes
   Furkationsdefekte, Extrusion, Fibrotomie, Replantation, Regeneration, Prämolarisierung,
   Langzeiterfolg

   Zusammenfassung

   Der Behandlungserfolg von Furkationsdefekten ist häufig unbefriedigend. Die Gründe dafür sind
   zum einen die morphologischen und pathologischen Besonderheiten und zum anderen die
   umfangreichen Formveränderungen durch resektive Behandlungsmaßnahmen bei mehrwurzeligen
   Zähnen. Deshalb werden alternativ zur Verbesserung der Prognose auch augmentative Strategien
   vorgeschlagen. Mit zunehmendem Schweregrad der Erkrankung nimmt deren Erfolgsrate aber ab.
   Werden die erkrankten Wurzeln im Gegensatz dazu nach der Hemi- bzw. Trisektion nicht extrahiert,
   sondern extrudiert, so führt dies zu einer koronalen Verlagerung des Erkrankungsprozesses und
   einer deutlich verbesserten Hygienefähigkeit. Gleichzeitig wird die Einebnung der parodontalen
   Taschen von einer vertikalen und horizontalen Knochenapposition begleitet. Die Ergebnisse sind
   vorhersagbar und langzeitstabil. Die Patientenbelastung ist gering.

Einleitung                                               plexe analytische Prozesse erfordert. Dabei reicht die
                                                         Spanne von makro- bis hin zu mikro­skopischen Di­
Der Unterschied zwischen krank und gesund zeigt          mensionen. Eine intensive Ausein­andersetzung mit
sich auch deutlich in der Mundhöhle. Nur wer das         den Fakten führt zu einem grundlegenden Verständ­
orale Gewebe in seiner gesunden Form und Funk­           nis für die strukturellen und funktionellen Zusam­
tion bzw. deren krankhafte Veränderungen kennt,          menhänge des dentoalveolären Systems und bildet
kann erfolgreich heilen oder nach Heilungsmöglich­       die Basis für eine erfolgreiche Arbeit am Patienten13.
keiten suchen. Deshalb stellt die Kenntnis der oralen
Strukturbiologie auch (und gerade) in der Parodonto­     Furkationsdefekte
logie eine der wesentlichen Grundlagen erfolg­reichen
Handelns dar13. Die klinische Relevanz ergibt sich aus   Parodontale Erkrankungen von mehrwurzeligen
der Tatsache, dass das Verständnis des Aufbaus, der      Zäh­nen zeigen häufig die Involvierung der Furkation
Funktion und der Möglichkeiten pathologischer Ent­       in den pathologischen Prozess. Als Ursachen wer­
gleisung oraler Gewebe grundlegend für Diagnostik,       den die Makro- und Mikromorphologie dieser inter­
Prävention und klinisch praktisches Handeln ist15.       radiku­
                                                               lären Region, eine erschwerte Reinigungs­
Dies gilt ganz besonders vor dem Hintergrund, dass       möglichkeit im distalen Kieferkammbereich, hohe
die Lösung komplexer parodontaler Probleme kom­          Fehlbelastungs­kräfte, ein Einfluss von Stoffwechsel­

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Stefan Neumeyer et al.

noxen etc. diskutiert7,18. Schroeder und Scherle           zenden parodontalen und alveolären Region auch
sowie Lindhe sprechen von einem „Locus minoris             dadurch erreicht werden, dass die zur Amputation
resistentiae“ bzw. „einem Fehler der Natur“18. Die         vorgesehene Wurzel nicht sofort extrahiert, sondern
besondere Problematik dieser parodontalen Er­              zuerst extrudiert wird. Dies würde zu einer koro­
krankungsform und die Anwendung suffizienter               nalen Verschiebung der gingivalen Konturlinie und
thera­peutischer Strategien findet ihren Ausdruck in       einer nachfolgenden vertikalen und horizontalen
entsprechenden Hinweisen im Lehrwissen, dass die           Knochenapposition führen. Gleichzeitig würden der
Diagnostik so früh wie nur möglich stattfinden muss,       in die Tiefe abgeglittene entzündliche Prozess eli­
eine Amputation der erkrankten Wurzel überlegt             miniert und damit die Hygienemaßnahmen, die für
werden oder die Notwendigkeit des Erhalts dieses           einen langfristigen Erhalt des resezierten Zahnes
Zahnes prinzipiell überdacht werden sollte. Als ein        uner­lässlich sind, wesentlich vereinfacht werden.
zusätzliches Problem muss in diesem Zusammen­
hang die Tatsache gewertet werden, dass auch rege­         Therapeutische Strategien
nerative Maßnahmen, entsprechend dem Schwere­
grad der Erkrankung, nur bedingt von Erfolg gekrönt        Extrusion einer Zahnwurzel
sind7,18. Letztendlich mündet das Dilemma Furka­
tionsbefall in der Tatsache, dass man im Laufe des         Bewegt man einen Zahn aus seinem Zahnfach mit
Lebens durchschnittlich mehr Zähne aus der Gruppe          moderaten Kräften heraus, so induziert diese Be­
der mehrwurzeligen Zähne als aus der Gruppe der            wegung Zugspannungen, die über das parodontale
einwurzeligen Zähne verliert19.                            Ligament auf den Knochen übertragen werden. In­
    Aus den oben genannten Gründen wird es nach­           folgedessen kommt es zu Umbauvorgängen, die in
vollziehbar, einen neuen Ansatz für eine erfolgrei­        einer vertikalen Knochenapposition münden2,14,17.
chere Therapie zu suchen. Einen richtungsweisen­           Die Extrusionsbewegung bewirkt aber nicht nur eine
den Hinweis findet man in der Publikation von Park         Reaktion im Knochen, sondern führt auch zu einer
et al.11. Darin wird über den langfristigen Erhalt von     Koronalverlagerung der gingivalen Konturlinie3,14,16.
hemisezierten Zähnen in Abhängigkeit von ver­              Von der Dehnung stärker betroffen sind die supra­
schiedenen Parametern berichtet. Die wesentlichste         alveolären Faserbündel, die meist von apikal nach
Aussage ergibt sich aus dem Vergleich von par­             koronal verlaufen und letztendlich dafür sorgen,
odontal erkrankten Zähnen mit Zähnen, die aus              dass der Margo alveolaris dem Margo gingivalis zu
nichtparodontalen Gründen reseziert wurden. So             folgen scheint. Einen zementoalveolären Faserverlauf
hatten parodontal erkrankte Zähne eine höhere              findet man aber auch im sogenannten Col-Bereich
Überlebensrate als die Zähne der Vergleichsgrup­           von Bi- und Trifurkationen15. Deshalb könnte eine
pen. Patienten- und zahnbezogene Faktoren hatten           Ex­trusionsbewegung eine ähnlich starke Dehnung
keinen Einfluss auf die Überlebensrate. Nur die Höhe       dieser Fasern bewirken, wie sie im supraalveolären
der knöchernen Unterstützung zum Zeitpunkt des             Faserapparat beobachtet werden. Die dadurch initiier­
chirurgischen Eingriffs hatte einen signifikanten Ein­     ten großen Rückstellkräfte könnten helfen, den Ver­
fluss auf die Überlebensrate der Molaren mit par­          schluss initialer Furkationsdefekte, wie er in manchen
odontalen Problemen. Dabei war es offenbar wich­           Fällen beobachtet werden kann, durch die Extrusion
tig, dass die verbliebenen Wurzeln eine knöcherne          des erkrankten Zahnes zu erklären (Abb. 6a bis c).
Unterstützung aufwiesen, die mehr als 50 % betrug.             Mit großen Kräften erfolgt die Extrusionsbewegung
Dieses Ergebnis hilft nicht nur den Erfolg einer resek­    schneller. Der klinische Nutzen findet sich vor allem
tiven Maßnahme richtig einzuschätzen, sondern ist          in einer deutlich verkürzten Behandlungs­zeit bis zur
gleichzeitig auch die Grundlage für den Einsatz von        Fixation des Zahnes, einer schnelleren Reduktion
augmentativen Verfahren. Damit wäre aber auch der          von parodontalen Taschen und einer entsprechend
erste Schritt in Richtung einer neuen Behandlungs­         raschen koronalen Verschiebung der gingivalen Kon­
strategie bereits vorgegeben. So könnte die Gesun­         turlinie (Abb. 1a und b). Diese sogenannte schnelle
dung der verbleibenden Wurzeln und der angren­             Extrusion, die bei geringem Missempfinden in Tagen

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PARODONTOLOGIE

 a                                                            b

Abb. 1a und b Nivellierung der gingivalen Konturlinie durch Extrusion ohne Fibrotomie

 a                                                            b

Abb. 2a und b Suprakrestale Fibrotomie zur Ermöglichung des Ferrule-Prinzips durch Extrusion

abläuft, wird von den Patienten sehr gut angenom­             muss, sondern sich auch selektiv einsetzen lässt,
men. Es muss jedoch erwähnt werden, dass aufgrund             kann die Extrusion einer parodontal erkrankten Wur­
der starken Dehnung der parodontalen Fasern deren             zel gezielt zur Gestaltung eines harmonischen Ver­
Adaptationszeit – wie auch die Regenerationszeit des          laufes des marginalen Parodonts genutzt werden4.
alveolären Knochens – deutlich verlängert ist8,9,12,14.       So werden im Bereich von parodontalen Defekten
                                                              durch die koronale Gewebeapposition die Defekte
Suprakrestale Fibrotomie                                      eliminiert, während durch die Fibrotomie die mar­
Trennt man die supraalveolären Fasern im Rahmen               ginale gingivale Konturlinie bei der Extru­sion an der
einer suprakrestalen Fibrotomie vom Zahn ab und               ursprünglichen Stelle verbleibt (Abb. 3a und b).
extrudiert dann die Wurzel, so ist die marginale Kno­
chenapposition in vertikaler Richtung weniger stark           Replantation und Extrusion eines
                                                              Wurzelsegmentes
ausgeprägt1,5,6,12,14. Dies vermittelt das Gefühl, den Zahn
aus der Alveole herauszuziehen, bis aus dem dar­              Die Tatsache, dass die Extrusion eines Zahnes –
unterliegenden parodontalen Ligament und dem an­              mit oder ohne suprakrestaler Fibrotomie – zu
grenzenden Weichgewebe eine neue gingivale Man­               unterschied­lichen Nachfolgebewegungen des an­
schette entstanden ist (Abb. 2a und b). Aufgrund der          grenzenden alveo­   lären Weich- und Hartgewebes
Tatsache, dass die suprakrestale Fibrotomie nicht             führt, weist auf eine besondere Bedeutung der sup­
immer vollständig zirkulär durchgeführt werden                raalveolären Faser­struktur hin. Diese wird sofort er­

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Stefan Neumeyer et al.

Abb. 3a und b Regeneration eines
einwandigen parodontalen Defektes
durch Extrusion (Fibrotomie)            a                                     b

Abb. 4a und b Alveoläre Regene­
ration nach Replantation eines ortho-
graden (O) und eines horizontalen (H)
                                        a                                     b
Segmentes (nach 8 Wochen)

Abb. 5a bis c Replantation (a) und
Extrusion (b) eines Wurzelsegmentes
mit nachfolgender vertikaler Knochen­
apposition (c)                          a                            b                     c

kennbar, wenn ein umfangreich zerstörter Zahn              Knochenlamelle und initiiert die nahezu vollständige
nicht mehr zu erhalten ist. So kann als Alternative zu     Regeneration der Alveole mit orts­ständigem Kno­
einer chirurgischen Intervention im Rahmen eines           chen. Durch die Extrusion des Wurzel­     segmentes
Al­veolen­erhalts ein orthogrades oder horizontales        kann so eine vertikale Knochenapposition erreicht und
liga­
    mentbehaftetes Wurzelsegment in die Extrak­            auch die angewachsene Gingiva verbreitert werden. Es
tionsalveole replantiert werden.                           zeigte sich, dass sowohl das orthograde als auch das
    Diese Maßnahme verhindert über den dento­alve­         horizontale Segment über ein großes regeneratives
olären Informationsfluss die Resorption der bukkalen       Potenzial verfügen (Abb. 4a und b, 5a bis c und 8h)10.

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PARODONTOLOGIE

 a                                        b                                        c

Abb. 6a bis c Verschluss eines initialen Furkationsdefektes (F3) durch Extrusion

Klinischer Fall 1                                            fixiert. Anschließend erfolgte die prothetische Ver­
                                                             sorgung der Zähne 36 und 37 mit Vollkeramikkronen
Befund
                                                             mit supragingivalen Kronenrändern (Abb. 7a bis c).
Zahn 36; koronal frakturiert, Furkationsdefekt F3,
parodontale Taschen an der distalen Wurzel zirku-            Klinisches Ergebnis
lär 6 mm und an der distalen Fläche der mesialen             Das klinische Ergebnis ist durch eine gesunde
Wurzel im Bereich der Bifurkation bis zu 5 mm.               gin­givale Manschette, eine physiologische Zahn­
                                                             beweglichkeit und einen 1,5 bis 2 mm tiefen Sulkus
Therapie                                                     geprägt. Der Margo alveolaris weist einen aus­
Prämolarisierung von Zahn 36, Fibrotomie im Be­              reichenden Abstand zum Kronenrand auf und bildet
reich der mesialen Wurzel, mesial, bukkal und lin­           die Grundlage für eine natürliche biologische
gual, Extrusion der mesialen und distalen Wurzeln,           Breite. Die Patientin ist in einem 3-monatigen Recall
Fixation für 8 Wochen.                                       mit regelmäßiger professioneller Zahnreinigung
                                                             (Abb. 7d und e).
Praktisches Vorgehen
Der Zahn wurde mittels eines dünnen, spitzen ro­             Klinischer Fall 2
tierenden Diamanten prämolarisiert. Anschließend
erfolgte im mesialen Approximalbereich eine supra­           Befund
krestale Fibrotomie, um bei der nachfolgenden
Extrusion der Wurzeln eine koronale Verlagerung              Zahn 36; präparationsbedingter Furkationsdekt F3,
der gingivalen Gewebemanschette zu unterbinden.              parodontale Taschen im Bereich der Furkation: an
Die Extrusion der Wurzeln erfolgte nach dem Hosen­           der distalen, bukkalen und lingualen Fläche der
trägerprinzip über adhäsiv verankerte Faserstifte            mesia­len Wurzel 6 bis 7 mm und an der mesialen
und mittels elastischer Gummiringe mit großen                Fläche der distalen Wurzel 5 bis 6 mm.
Kräften. Der Taschenfundus wurde dabei soweit
nach koronal bewegt, dass sich nach der Fixation,            Therapie
der Adaptation der parodontalen Fasern und der               Hemisektion und Entfernung der mesialen Wurzel,
nachfolgenden vertikalen Knochenapposition eine              Bildung eines möglichst defektkongruenten, horizon­
physiologische biologische Breite entwickeln konn­           talen Wurzelsegmentes aus der mesialen Wurzel­
te. Der Extrusionszeitraum betrug 20 Tage. Danach            wand, Replantation in das blutgefüllte mesiale
wurden die extrudierten Wurzeln mit fließfähigen             Wurzel­fach, Einheilzeit von 10 Wochen.
Kompositen für 6 Wochen an den Extrusionsstegen

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 a                                                          b

 c                                                          d

Abb. 7a bis e Therapie eines Furkationsdefektes (F3)
durch Prämolarisierung, Fibrotomie und Extrusion: Physio-
logischer Taschenfundus an mesialer Wurzel und somit
Indikation für eine Fibrotomie (a), Extrusion nach dem
Hosenträger­prinzip (b), röntgenologische Kon­trolle (c),
vertikale Knochenapposition interradikulär und an der
mesialen und distalen Wurzel (d), klinisches Bild mit
gesunder Gingiva über dem zervikal gelagerten Bifurka-
tionsdefekt (e)                                             e

Praktisches Vorgehen                                        den) geglättet. Dann wurde das horizontale Wurzel­
                                                            segment entsprechend der zervikalen Form des
Mit einem dünnen rotierenden Diamanten erfolgte             Wurzelfaches präpariert und mit der Faserstruktur
die Hemisektion zur Extraktion der mesialen Wurzel.         nach unten in die mit frischem Blut gefüllte Alveole
Im Anschluss daran wurde die Präparationsstelle an          eingelegt. Anschließend erfolgte die Fixierung an
der mesialen Fläche der distalen Wurzel mit Eva-            der distalen Wurzel mit fließfähigen Kompositen.
Polierspitzen (gelb, Fa. Dentatus, Stockholm, Schwe­        Nach einer Einheilzeit von ca. 10 Wochen erfolgte

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d                                                             e

 f                                        g                                        h
Abb. 8a bis h Replantation eines Wurzelsegmentes zur alveolären Regeneration: Bifurkationsdefekt (F3, a), Replantation
eines horizontalen Wurzelsegmentes (b), Röntgenkontrolle nach Replantation (c), Röntgenkontrolle zur Dokumentation
der Knochenregeneration (nach 10 Wochen, d), klinisches Ergebnis mit physiologischer Breite der angewachsenen
Gingiva (e) und Röntgenkontrolle nach Eingliederung der Prothetik (f) sowie 8 Jahre danach (g), ein nahezu vollständiger
Erhalt des quadrangulären Unterkieferprofils im Bereich der extrahierten Wurzel (h)

die Kronenpräparation der Zähne 35 und 36. Zur               prothetischen Versorgung wurde das Segment ent­
Verbesserung des Pontic-Lagers wurde das Seg­                fernt (Abb. 8a bis d).
ment dünn ausgeschliffen. Vor dem Einsetzen der

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Klinisches Ergebnis
                                                             gelangte, in dem sehr einfach und ohne großen Auf­
Das klinische Ergebnis ist durch eine gesunde gin­           wand eine suffiziente Mundhygiene durchgeführt
givale Manschette und physiologische Sulkustiefen            werden kann. Dies ist im Hinblick auf die Gesund­
charakterisiert. Die prothetische Versorgung ist von         erhaltung der klinischen Situation bzw. die Vermei­
einem physiologisch breiten Band angewachsener               dung einer parodontalen Reinfektion von ganz be­
Gingiva umgeben. Die Distanz der Pontic-Lagers               sonderer Bedeutung. Zudem lassen sich durch die
zum Margo alveolaris entspricht der physiologischen          Geweberegeneration ästhetische Beeinträchtigungen
Dicke des suprakrestalen, bindegewebigen und epi­            in großem Umfang vermeiden, sodass prothetische
talen Attachments. Diese Distanz ist während einer           Maßnahmen zur Kaschierung von Restdefekten eine
Tragedauer von ca. 8 Jahren stabil (Abb. 8e bis g).          große Akzeptanz erfahren. In diesem Zusammen­
Durch die Replantation eines horizontalen Wurzel­            hang spielt vor allem die Langzeitstabilität der rege­
seg­mentes konnte sowohl das alveoläre Volumen               nerierten Gewebestrukturen eine außerordentliche
als auch das physiologische, quadranguläre Profil            Rolle, weil damit Restaurationen eingegliedert wer­
des Alveolarkammes erhalten werden (Abb. 8h). Die            den können, die durch einen langfristigen Erfolg
Patientin ist in einem 3-monatigen Prophylaxe-Recall         charakterisiert sind.
mit regelmäßiger professioneller Zahnreinigung.                 Im Vergleich zu resektiven Maßnahmen kann
                                                             deshalb von einer nachhaltigen therapeutischen
Diskussion                                                   Strategie gesprochen werden, wenn die resezierte
                                                             Wurzel nicht sofort extrahiert, sondern zuerst ex­
Vergleicht man die klinischen und röntgenologi­              trudiert wird.
schen Ausgangssituationen der vorgestellten klini­
schen Fälle mit den klinischen Ergebnissen nach der          Schlussfolgerungen
Furkationstherapie, so sind beide klinischen Fälle
durch gesunde gingivale Verhältnisse, physiologi­            1. Die Behandlung von Furkationsdefekten (F2 und
sche Dimension der biologischen Breite und der be­              F3) durch die Extrusion und Replantation von Wur­
festigten Gingiva sowie durch eine umfangreiche                 zeln und Wurzelsegmenten führt zu einer deutli­
vertikale Gingiva- und Knochenapposition charakte­              chen Verbesserung der klinischen Situation. Dies
risiert. Die Ursache der reparativen und regenerati­            ist im Hinblick auf einen langfristigen Erhalt des
ven Prozesse war im ersten Fall die Extrusion der               therapierten Zahnes von sehr großem Interesse.
parodontal erkrankten Wurzeln. Im zweiten Fall war           2. Die prothetische Versorgung wird beträchtlich er­
es die Replantation eines ligamentbehafteten hori­              leichtert und ist in sehr vielen Fällen durch ein na­
zontalen Wurzelsegmentes in die bestehende supra­               türliches und ästhetisches Erscheinungsbild ge­
alveoläre Faserstruktur. Dies hat dazu geführt, dass            prägt.
der Erkrankungsprozess ausreichend weit nach ko­             3. Die prophylaktischen Maßnahmen werden deut­
ronal verlagert wurde und damit in einen Bereich                lich vereinfacht.

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QUINTESSENZ ZAHNMEDIZIN | Jahrgang 71 • Ausgabe 9 • September 2020                                               1031
Funktionelle und strukturelle Aspekte im Rahmen der Furkationstherapie
PARODONTOLOGIE

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    Klinische Parodontologie                 32-40.                                          gelenks. Stuttgart: Thieme,
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                            Stefan Neumeyer                                    Benjamin Hundeshagen
                            Dr. med. dent.                                     Dr. med. dent.
                                                                               Zahnartpraxis Dessau
                            E-Mail: praxis@dres-neumeyer.de
                                                                               Carl-Maria-von-Weber-Straße 23
                            Gemeinschaftspraxis                                06844 Dessau-Roßlau
                            Dr. Neumeyer & Partner
                                                                               Ralf Smeets
                            Leminger Straße 10
                            93458 Eschlkam                                     Univ.-Prof. Dr. med., Dr. med. dent.
                                                                               Klinik und Poliklinik für
                            Sabine Hopmann                                     Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie
                            Dr. med. dent.                                     Sektion Regenerative orofaziale
                            Zahnarztpraxis                                     Medizin
                            Dr. Hopmann, Dr. Maak
                                                                               Martin Gosau
                            Untere Bergstraße 12
                            49448 Lemförde                                     Prof. Dr. med., Dr. med. dent.

                            Stefanie Neumeyer-Wühr                             Simon Burg

                            Dr. med. dent.                                     Dr. med.
                            Gemeinschaftspraxis                                Klinik und Poliklinik für Mund-,
                            Dr. Neumeyer & Partner                             Kiefer- und Gesichtschirurgie
                            Leminger Straße 10                                 Universitätsklinikum
                            93458 Eschlkam                                     Hamburg-Eppendorf
                                                                               Martinistraße 52, 20251 Hamburg

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Funktionelle und strukturelle Aspekte im Rahmen der Furkationstherapie
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