Für Eltern Struwwelpeter 2.1 - Ein Leitfaden für Eltern durch den Medien-Dschungel - Bund der Freien Waldorfschulen
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Bund der Freien Waldorfschulen Für E l t ern Struwwelpeter 2.1 Ein Leitfaden für Eltern durch den Medien-Dschungel
Einleitung 1 Liebe Leserinnen und Leser, im September 2014 veröffentlichte Dadurch ist uns auch bewusst, wie eine Arbeitsgruppe im Bund der schwierig angesichts der Macht der Freien Waldorfschulen die Broschüre Medien und der Medienindustrie die „Struwwelpeter 2.0 – Medienmündig- Erziehungsaufgabe auf diesem Feld keit und Waldorfpädagogik“, die als ist und wie oft man als Eltern ratlos Information für Lehrer konzipiert dasteht. war. Die vielfältige und sehr positive Deshalb schließen sich die Autoren Resonanz hat uns überrascht; inzwi- dieser Broschüre Prof. Diane Levin, schen ist die 3. Auflage erschienen, Professorin für Early Childhood und es gibt Übersetzungen in ver- Education in Boston, an, die über ihre schiedene Sprachen. Arbeit sagte: “We try to tell parents Auch Eltern zeigten ein großes not to make it perfect but to make it Interesse an der Thematik, das sich a little less bad.” in Form vieler Anfragen aus Schulen Dabei wünscht Ihnen gutes Gelingen und aus den Gremien der Eltern- Franz Glaw mitwirkung äußerte. Um diese Nachfragen aus Sicht der Eltern und Erzieher zu beantworten, entwickelten wir nun diese Broschüre für Eltern, die eine Orientierung vor dem Hintergrund der Waldorfpäda- gogik anbietet. Die Texte sind in Zusammenarbeit der Autoren und auch durch den Aus- tausch mit Eltern auf Elternabenden, in Gesprächsrunden auf der Ebene der Landeselternräte und auf Bundes- ebene entstanden.
2 Stuwwelpeter 2.1 | Für Eltern Kinder stark machen Es geht um Medienkompetenz. In der Eurythmie, die Wir – Eltern und Pädagogen – haben in Waldorfschulen ein großes Interesse daran, dass gepflegt wird, sorgt der unsere Kinder lernen, wie man mit eurythmische Laut E Medien aller Art sinnvoll umgeht. für Ausgeglichenheit, Und tatsächlich, man muss schon in Kraft und innere Stabilität. Bei diesem frühester Kindheit dafür die Basis Laut ist das Überkreu- legen. zen eine wichtige Geste. Ebenso ist es mit der viel genannten Medienkompetenz, auch sie muss nach und nach aufgebaut werden. Das ist wie beim Autofahren. Mit gutem Grund legt der Gesetzge- ber fest, dass junge Menschen erst ab dem vollendeten 18. Lebensjahr alleine ein Auto fahren dürfen. Jedem leuchtet diese Festlegung unmittelbar ein, denn die Bedienung eines Autos setzt eine gereifte Urteils- und Verant- wortungsfähigkeit voraus. Was für den Umgang mit Verkehrsmitteln selbstverständlich ist, gilt auch für die Nutzung von Informationstechno- logien wie Computer, Internet und Mobilfunk. Hier bedarf es ebenfalls einer inneren Reife, bevor man diese Geräte sinnvoll verwenden kann und vor den Gefahren, die sie mit sich bringen, gefeit ist. Allerdings scheiden sich an diesem Punkt die Auffassungen: Es wird gerne argumentiert, dass Computer, Tablets, Smartphones überall vorhan- den sind und die Kinder dauernd damit in Berührung kommen, deshalb müsse man ihnen möglichst früh
Kinder stark machen 3 zeigen, wie man mit diesen Geräten Mensch ist: Lässt er sich von den richtig umgeht. Diese Auffassung Annehmlichkeiten und Möglichkeiten scheint unmittelbar einleuchtend zu der Technologien verführen und gibt sein – auf die allgegenwärtigen moto- sich damit selbst ein Stück weit auf risierten Fortbewegungsmittel wird oder hat er sich zu einem starken diese Argumentation allerdings nicht Charakter entwickelt, der seine angewandt. Autos sind weit verbrei- eigenen Wege geht, der Geräte auch tet, dauernd haben die Kinder damit ausschalten kann, wenn er sie nicht zu tun, aber niemand folgert daraus, braucht. Nutzt man die Geräte für dass die Kinder bereits im Kindergar- eigene Interessen oder erliegt man tenalter praktische Fahrstunden zu ihren Versuchungen. Bevor man nehmen hätten. Aus der weiten intelligente Technologien beherrschen Verbreitung eines Gerätes im Alltag kann, muss man sich selbst beherr- kann man keineswegs ableiten, dass schen lernen. Die Grundfrage ist es notwendig wäre, Kinder so früh daher: Wie werden wir selbst und wie möglich in die Handhabung die- wie werden vor allem unsere Kinder ses Gerätes einzuweisen. Die Propa- stark? Kinder stärken – das ist das gierung der frühen Handhabung Anliegen dieses Ratgebers. elektronischer Geräte bedient vor allem die Profitinteressen großer Die Medienpädagogik hat Konzerne. Diese dürfen aber für die zwei Standbeine Erziehung keine Bedeutung haben. Medienpädagogik muss sich an der Entscheidend ist die Frage, ob das Entwicklung des Kindes orientieren. Kind von seiner inneren Reife her Ein 16-jähriger Jugendlicher soll mit den Anforderungen, welche die Informationstechnologien sinnvoll Geräte stellen, gewachsen ist. Genau umgehen können, ein Sechsjähriger da liegt das Grundproblem der dagegen muss sich erst noch die basa- Medienerziehung. len Kulturfähigkeiten erwerben, die Der Kompetenzerwerb für den der Mediennutzung zugrunde liegen: Umgang mit Medien – überhaupt mit beispielsweise Schreiben und Lesen. modernen Technologien – hat nämlich Und ein dreijähriges Kind hat noch eine unabdingbare Voraussetzung: die Aufgabe, den eigenen Leib als die Entwicklung der Kompetenz in „Instrument“ seines Handelns aus- Bezug auf sich selbst. zubilden. Am Umgang mit allen Medien zeigt Aller Medienpädagogik liegen daher sich, wie selbstständig und stark ein zwei Fragen zugrunde:
4 Stuwwelpeter 2.1 | Für Eltern 1. Jahrsiebt Leibbildung 1. Was muss man dem Kind ermög- Indirekte lichen, damit es inmitten einer von Medienpädagogik Technik und Medien geprägten Welt leiblich gesund aufwachsen und sich Medienabstinenz seelisch stark entwickeln kann? Lebensräume erfahrend erobern 2. Wie lernt das Kind die Medienwelt Bewegung, Sport, verstehen und sinnvoll handhaben? Kunstschaffen, Medienpädagogik beinhaltet also zwei große Bereiche, die man mit indirekter und direkter Medienpäda- gogik bezeichnen kann. Die indirekte Medienpädagogik richtet ihr Augen- merk darauf, den jungen Menschen Vorlesen so zu erziehen, dass er in einer Zeit, in der die Technik unser Leben immer Geschichten erzählen mehr durchdringt, zu einer selbstbe- wussten, starken und selbstständigen Erste Kindheit Vorschulzeit Persönlichkeit heranwächst. Die direkte Medienpädagogik schaut darauf, dass der junge Mensch die Entwicklungsabschnitte auf dem Medienlandschaft umfassend versteht Weg zum Erwachsensein und sinnvoll anwenden kann. Kinder brauchen Zeit, um leiblich und Orientiert man Erziehung an der Ent- seelisch in Ruhe reifen zu können. wicklung des Kindes, so ist die indi- rekte Medienerziehung vor allem in Reifungsprozesse bedürfen der Unter- der frühen Kindheit gefragt und bleibt stützung von außen, indem Eltern und das ganze Leben lang wichtig. Dage- Erzieher den Kindern alles ermögli- gen beginnt die direkte Medienerzie- chen, was sie für ihre Entwicklung hung je nach Medium zu unterschied- brauchen, und das von ihnen fernhal- lichen Zeitpunkten. Für die digitalen ten, dem sie noch nicht gewachsen Medien liegt der Schwerpunkt in der sind. Um diese schmale Gratwande- Pubertät. Mit der beginnenden Schul- rung zwischen dem Ermöglichen und zeit geschieht ein allmählicher Über- dem Schützen gehen zu können, muss gang.1 man den Verlauf der kindlichen Ent- wicklung kennen. Drei große Ent- wicklungsabschnitte sind auf dem
5 2. Jahrsiebt Gewohnheits- 3. Jahrsiebt und Fähigkeitsbildung Urteilsbildung Direkte Medienpädagogik Informationstechnologie nutzen Hard- und Software verstehen Eurythmie Film- und Musikproduktion verstehen Musik, Bild, Plastik PC handhaben lernen Aufklärung über Internetgefahren Lesekultur pflegen Schreiben und lesen lernen Sport, Chor, Orchester, Vereinsleben usw. Schulbeginn „Rubikon“ Pubertät Jugendzeit Weg zum Erwachsenenalter zu beob- dem Kind die Basis zu legen, von der achten: aus es später kompetent und sinnvoll mit allen Medien umgehen kann. Im • Frühe Kindheit – von der Geburt bis Folgenden werden die drei Lebensab- etwa zum siebten Lebensjahr. schnitte jeweils für sich betrachtet • Kindheit – vom siebten Lebensjahr und deren zentrale Entwicklungsauf- bis zum Beginn der Pubertät. gaben charakterisiert. Dazu werden Tipps gegeben, wie man Kinder un- • Jugend – von der Pubertät bis zum terstützen kann. Empfehlungen zum Beginn des jungen Erwachsenen- altersgerechten Umgang mit Medien alters. schließen sich an. Eine gesunde Medienerziehung ori- entiert sich an diesen Entwicklungs- schritten. Sie unterstützt die Entwick- lungsaufgaben des Kindes, indem sie Gegengewichte zu schädlichen Me- dienwirkungen anbietet, und sie hilft
Frühe Kindheit 7 Frühe Kindheit Das Kleinkind hat mehrere für Reifung der Sinne die gesamte Biografie fundamentale Gehen, sprechen und denken lernen Entwicklungsaufgaben zu bewäl- sind die drei unmittelbar ins Auge tigen: fallenden Entwicklungsaufgaben des Kindes. Im Hintergrund vollzieht sich Motorik allerdings noch eine weitere: die ge- Es muss seinen Leib als Instrument sunde Ausbildung der Sinne. Mit der der Seele beherrschen lernen, das Sinnesreifung legt das Kind das leib- heißt, dass es fähig ist, seine Grob- liche Fundament für seine Wahrneh- und Feinmotorik zielgerichtet zu ge- mung der Welt. Es braucht etwa 6 bis brauchen; dazu gehört vor allem, 8 Jahre, bis die Sinne weitgehend dass es aufrecht gehen lernt. ausgereift sind. Sprache Diese Reifung ist sehr stark mit der Die Beherrschung der Sprache ist die gesunden Strukturierung des Gehirns zweite menschliche Grundfähigkeit, verbunden. Alles, was der Mensch in die sich das Kind selbst erarbeitet. seiner frühen Kindheit erlebt, bildet Dadurch wird es fähig, das, was es sich im Wachstum seiner Gehirnstruk- innerlich fühlt und denkt, seiner turen ab. Diese können in einem Umgebung mitzuteilen und auch zu späteren Lebensalter nur mit starken verstehen, was die anderen Menschen Anstrengungen verändert werden. fühlen und denken. Indem es spre- Deshalb ist es für das Kind und sein chen lernt, legt das Kind die Basis ganzes späteres Leben entscheidend, für seine Begegnung mit dem „Du“. welche Erlebnisse es in der frühen Fantasievolles Denken Kindheit hat und welche Erfahrungen An die Beherrschung der Sprache es machen darf. In der aktiven Ausei- schließt sich die dritte menschliche nandersetzung mit seiner realen Um- Fähigkeit an: das selbstständige welt – am „Greifen“ – entwickelt das Denken. Kinder denken zwar noch Kind die körperlichen Grundlagen für sehr fantasievoll, sind aber noch weit seine späteren intellektuellen Fähig- davon entfernt, die Welt logisch ab- keiten – das „Be-greifen“. strakt zu verstehen. Ihre fantasievolle Im Kindergartenalter – etwa 4 bis 6 – Kreativität ist die Basis, auf der das beginnt das Kind, seine grob- und spätere logisch-abstrakte Denken feinmotorischen Fähigkeiten zu er- ruht. weitern. Es kann nun in der Regel beispielsweise seine Brote selbst bestreichen oder die Schnürsenkel
8 seiner Schuhe selbst binden, es kann Tretroller fahren. Die Spielgeräte auf den Spielplätzen lernt es selbstständig zu erklettern, es kann mit Buntstiften umgehen, leichte Bastelarbeiten durchführen usw. Die Sprachfähigkeit hat sich in der Regel gut entwickelt, Was ist wichtig für eine gesunde und das Kind ist mehr und mehr in Entwicklung? der Lage, seine Gefühle und Fantasie- Bewusste Pflege der Beziehung vorstellungen anderen mitzuteilen. Die wichtigste Erfahrung im Leben Sein räumlicher und zeitlicher Ge- des Kindes ist das Erlebnis von inniger sichtskreis beginnt sich zu erweitern. Beziehung. Der liebevolle, heitere, Der Raum, den das Kind überschaut, bejahende Kontakt zu den Menschen wird größer, auch wird Vergangenes der Umgebung ist eine gute Voraus- und Zukünftiges in gegenwärtige setzung für die Entwicklung einer sta- Vorstellungen integriert. Indem es bilen Persönlichkeit. Eltern sind heute in den Kindergarten geht, verlässt es beruflich oft sehr belastet. Daher kann den Raum der Familie. Es wird etwas es hilfreich sein, einen „Zeit-Ort“ ein- selbstständiger, sein Spielverhalten zurichten – einen regelmäßigen „Ter- differenzierter, raumgreifender und min“ sozusagen –, an dem man mit bezieht die Spielkameraden mit ein. dem Kind gemeinsam etwas macht: Diese Entwicklung gilt es zu unter- ein Spiel, etwas vorlesen, gemeinsam stützen. Im Folgenden sind stichwort- einen Kuchen backen oder woran man artig einige Anregungen gegeben, die eben gerade Freude hat. dem Kind helfen, sich in seiner wer- Vielfältige Bewegung denden Persönlichkeit zu stärken. Kinder bewegen sich sehr gerne. Da- durch lernen sie ihren Bewegungsap- parat zu beherrschen und sich im Raum zu orientieren. Dazu brauchen sie viele Angebote, damit sie rennen, klettern, springen, balancieren und so weiter können. Um auch die Feinmo- torik zu üben, sind Gelegenheiten zum Basteln, Malen, Obst- und Gemü- seschneiden usw. sehr empfehlens- wert.
Frühe Kindheit 9 Vielfältiger Umgang mit Sprache Unmittelbare Lebenserfahrung Die gute Ausbildung der Mutter- Um seine Sinne gesund ausbilden sprache ist gegenwärtig nicht mehr zu können, braucht das Kind unmit- für alle Kinder selbstverständlich. telbare sinnliche Erfahrungen: Bud- Sprache entwickelt sich im lebendi- deln im Sand und Matsch, Farberle- gen Dialog mit den Bezugspersonen. ben beim Malen, beim Kochen helfen, Erwachsene, mit denen sie sprechen auf Geräusche lauschen beim Wald- können, die ihnen spannende Ge- spaziergang, Feuer machen, Höhlen schichten, Märchen oder Sagen vor- bauen, Tiere streicheln und füttern lesen, helfen ihnen, einen möglichst usw. Wichtig ist dabei das rechte Maß großen Wortschatz zu bilden. zwischen Reizarmut und Reizüber- flutung. Anregungen zur Fantasie Eine oft weit unterschätzte Fähigkeit Vorbild und Nachahmung des Menschen ist die Fantasie. Sie In der frühen Kindheit wirkt vor allem liegt aller menschlichen Kreativität das, was Erwachsene den Kindern zugrunde. Deshalb braucht ein Kind vorleben. Ermahnungen oder Erklä- in seiner Umgebung Anregungen, die rungen helfen wenig. Da gilt in be- seine Fantasie herausfordern und an- sonderem Maße, was Karl Valentin regen. Je weniger ein Spielzeug eine einmal (sinngemäß) sagte: „Wir kön- eigene ‚Aussage‘ hat, desto mehr ist nen unsere Kinder erziehen, wie wir das Kind herausgefordert, die eigene wollen, am Ende machen sie uns doch Fantasie zu betätigen: leere Malblät- alles nach.“ ter anstelle von Malbüchern, wenig gestaltete Holzklötze, Tücher usw. statt detailgetreuer Automodelle oder lebensecht geformter Puppen. „Alle Erziehung ist nur Handreichung zur Selbsterziehung.“ E D UA R D S P R A N G E R (1882–1963) , P H I L O S O P H U N D P Ä DA G O G E
10 Bildschirmmedien hemmen Beim Konsum von Bildschirmmedien die gesunde Entwicklung ist Folgendes der Fall: Übermäßiger Gebrauch von Smart- • Der Mensch sitzt, d. h. er reduziert phone, Fernsehen und Computer seine leiblichen Bewegungen auf ein Minimum. Sobald ein Mensch sich mit seinem Smartphone beschäftigt, ist er von • Von allen Sinnen werden nur Auge seiner unmittelbaren Umgebung weit- und Ohr angesprochen. gehend isoliert. Deswegen ist ja auch Je länger also ein Kind fernsieht, das Telefonieren während des Auto- desto weniger Zeit hat es, um seine fahrens gesetzlich verboten. Eine Motorik auszubilden. Die Aktivität mit dem Handy telefonierende oder der Sinne wird auf Ohr und Auge re- chattende Mutter ist zwar leiblich bei duziert, d. h., die Augen werden über- ihrem Kind, aber seelisch ganz „wo- mäßig beansprucht (Reizüberflutung), anders“. Die Beschäftigung mit dem die anderen Sinne kommen zu kurz; Gerät schiebt sich als Keil zwischen die sensorische sowie die sensomoto- Mutter und Kind. Ihre Beziehung ist rische Integration wird behindert. Die für eine Weile weitgehend unterbro- eigene Fantasietätigkeit wird nahezu chen. Ein Ähnliches gilt, wenn im völlig ausgeschaltet. Das alles zusam- Hintergrund der Fernseher läuft. men beeinträchtigt die gesunde Ent- Untersuchungen zeigen, dass dann wicklung des kindlichen Gehirns. der sprachliche Austausch abnimmt und auch das Spiel der Kinder unkon- zentrierter und fragmentierter wird.2 Handy-, TV- und PC-Zeiten der Eltern sind vom Kind her gesehen „bezie- hungslose“ und „sprach- lose“ Zeiten. Sie gehen dem Aufbau und der Pflege der stabilen Eltern- Kind-Beziehung verloren. Eigene Fantasie entwickeln, ist Nahrung für die seelische Entwicklung des Kindes.
11 „Eine Kindheit ohne Computer … ist der beste Start ins digitale Zeitalter.“ GERALD LEMBKE / INGO LEIPNER Empfehlungen zum Umgang mit Kinder vor dem Bildschirm Medien in der frühen Kindheit nicht alleine lassen Häufig sind Filminhalte für Kinder Keine Bildschirmmedien unter unverständlich oder wirken emotional vier Jahren. belastend. Deshalb hilft es ihnen, Es fördert die Entwicklung des Kin- wenn sie Filme mit einem Erwachse- des, wenn in den ersten vier Lebens- nen zusammen anschauen. Wenn ge- jahren das Kind keinen Bildschirmme- meinsam ferngesehen wird, können dien ausgesetzt ist – auch nicht die Erwachsenen ihren Kindern bei „passiv“, denn TV und Co. beein- dem Verständnis der Zusammen- trächtigen vor allem die Sprach- und hänge und der Beurteilung der In- Bewegungsentwicklung. halte helfen. Vor- und Grundschulzeit: je weniger, desto besser Erfahrungen Im Kindergartenalter und in der be- Petra (29) erzählt: „Es schlich sich ginnenden Schulzeit – und auch darü- von alleine ein, dass unser ältester ber hinaus – gilt: Je weniger ferngese- Junge (3 Jahre) auf einmal jeden hen wird, desto besser. Kinder sollten Abend eine 20-minütige Folge vor allem nicht regelmäßig fernsehen, einer Serie auf DVD anschaute. Als um (schlechte) Gewohnheiten zu ver- die jüngere Schwester dann auch meiden. diese Gewohnheit annahm, hatten Keine Bildschirmgeräte im wir jeden Abend Geschrei, weil sie Kinderzimmer weiterschauen wollten. Das ging Wenn Kinder in ihrem Zimmer über uns ziemlich auf die Nerven. Dann ein eigenes Fernsehgerät verfügen, entschlossen wir uns, das rigoros zu dann schauen sie im Durchschnitt pro ändern und das abendliche Fern- Tag mehr als eine Stunde länger fern sehschauen auf das Wochenende als ihre Altersgenossen.3 Gleiches gilt zu reduzieren und zudem nur noch für Spielkonsolen, PCs, Tablets etc. am Nachmittag, nicht mehr unmit- Dazu weiter unten mehr. telbar vor dem Schlafengehen. Wir haben dann stattdessen aus Kinder- Gemeinsam Filme aussuchen büchern vorgelesen. Die Umstel- Wenn Kinder einen Film anschauen lung der Gewohnheit war gar nicht möchten, dann ist es für sie hilfreich, so schwer, wie wir dachten. Mit der wenn dieser gemeinsam mit dem jetzigen Regelung kommen wir alle Erwachsenen zielgerichtet ausge- gut zurecht.“ sucht wird.
12 Stuwwelpeter 2.1 | Für Eltern Kein Handy oder Smartphone Erfahrungen in Kinderhand Anja (35) erzählt: „Mein damals Ein Handy oder Smartphone hat in fünfjähriger Sohn kam eines Tages Kinderhänden nichts verloren, denn nach Hause und wollte auch einmal die Mikrowellenstrahlung, die von einen Film sehen, so wie er es von diesen Geräten ausgeht, wenn sie mit seinen Freunden kannte. Wir hatten dem Netz verbunden sind, birgt für nämlich keinen Fernseher zu Hause Kinder ein besonderes gesundheit- und schauten auch keine Filme, als liches Risiko (weitere Informationen er klein war. Also haben wir an im Abschnitt „Mobilfunk", S. 32). einem Samstag die Couch herge- richtet, den Laptop davor aufge- Keine Spielkonsole stellt und schauten in aller Ruhe zu- Dem Kind eine eigene Spielkonsole sammen einen Kinderfilm an. Ich zu schenken, ist vom pädagogischen habe manches auch kommentiert, Gesichtspunkt aus gesehen eine damit er die Handlung versteht. Im schlechte Idee. Denn die virtuellen Schnitt schauen wir uns seitdem „Spiele“ verdrängen tendenziell die einmal im Monat gemeinsam einen realen selbst erdachten Spiele und die Film an. Grundregel: nur am Wo- Versuchung, doch länger zu spielen, chenende. Mein Sohn ist mit dieser als die Eltern erlaubt haben, ist in Regelung zufrieden und ich auch, diese „Spiele“ sozusagen „einge- denn er kann stundenlang alleine baut“. oder auch mit Kameraden fantasie- Hörbücher in Maßen voll spielen und hat so viel Zeit für Auch Hörbücher sind nur in geringen seine eigenen Ideen.“ Maßen zuträglich, vor allem ist darauf zu achten, dass sie nicht nur als Ge- Von Bildschirmspielzeug räuschkulisse dienen, sondern dass ist abzuraten die Kinder dabei aufmerksam zuhö- Die Fixierung auf den kleinen Bild- ren. schirm und die gleichförmige Handha- bung der virtuellen Bilder durch Tip- Zusammenfassend und zugespitzt pen oder Wischen unterbindet die formuliert ist das medienpädagogi- differenzierte Ausbildung der Feinmo- sche Motto für die erste Kindheit: torik der Hände und schränkt die Sin- Die spätere Medienkompetenz des neserfahrungen ein. Die von solchem Jugendlichen wurzelt in einer Spielzeug oft ausgehende Mobilfunk- frühkindlichen Medienabstinenz. strahlung kann die Gesundheit der Kinder auf Dauer ernsthaft gefährden.
Frühe Kindheit 13 Vorschläge für eine aktive, Voraussetzung für die Entwicklung vorbereitende Medienerziehung eines standfesten und widerstands- im Vorschulalter fähigen Charakters, der später einmal technische Medien kreativ und kri- Vorlesen ist gut, Erzählen aber auch tisch nutzen kann. Der sachgerechte Umgang mit Me- dientechnologien setzt nicht technolo- Singen, Tanzen, Rollenspiel, gische Fähigkeiten voraus, die in der (Puppen-)Theaterspiel frühen Kindheit entwickelt werden. Auch in diesen schöpferischen, pro- Es ist deshalb wichtig, dass in der duktiven, die Umgebung mitgestal- Kindheit die Sprachfähigkeit und die tenden Betätigungen wird Selbstwirk- Kreativität geschult werden; die samkeit und Sozialkompetenz geübt. Pflege der verbalen Kommunikation Erlebnisse des Alltags können verar- hat also einen besonderen Stellen- beitet werden. Auf elementare Weise wert. erlebt das Kind, wie etwas hervorge- bracht werden kann, was sich andere Alle Kinder haben Freude daran, Menschen dann anschauen. wenn ihnen Mutter oder Vater eine selbst erfundene Geschichte erzählen. Insgesamt kann festgehalten werden, Daher der Rat: „Trauen Sie sich etwas dass es sinnvoll ist, der Produktion, zu – erzählen Sie Ihre Geschichte!“ also der Eigentätigkeit vor der Rezep- Man kann sich auch über gemeinsam tion den Vorrang zu geben, denn das betrachtete Bilder in Bilderbüchern Verständnis für Produkte wird erleich- unterhalten. Das Vorlesen von Kinder- tert, wenn man selbst an Herstel- büchern ist ebenfalls sehr zu empfeh- lungsprozessen beteiligt war. len; es ist die erste Stufe der direkten Medienpädagogik. Basteln, Malen, Plastizieren, Gestalten von Kalendern, Bilder- büchern, Collagen, Fotoalben etc. Das schult die Kreativität, die Kinder können produktiv tätig sein. Sie erleben sich als Könner, was sich positiv auf ihr Selbstvertrauen aus- wirkt. Das wiederum ist eine wichtige
14 Stuwwelpeter 2.1 | Für Eltern
Kindheit 15 Kindheit Wenn mit dem Zahnwechsel die erste All diese Bedürfnisse sind berechtigt Lebensepoche beendet ist, verlagert und ihre Befriedigung hilft, ein gutes sich der Entwicklungsschwerpunkt Selbstwertgefühl zu entwickeln. Das des Kindes. trägt sehr zu einem kompetenten Um- gang mit Medien bei, denn eine der Die Strukturbildung des Nerven- großen Versuchungen durch techni- Sinnes-Systems ist weitgehend abge- sche Medien besteht darin, dass man schlossen. Der eigene Leib wird nun mit ihrer Hilfe viele dieser Bedürf- recht gut beherrscht. Der Entwick- nisse ersatzweise und damit nur lungsschwerpunkt geht auf den Er- scheinbar befriedigen kann. werb von Kulturfähigkeiten über: schwimmen, schreiben und lesen, Für ein selbstbestimmtes Leben ist es ein Instrument beherrschen lernen, wichtig, dass Kinder und Jugendliche mit Werkzeugen umgehen können, lernen, wie sie ihre Bedürfnisse auch Skateboard fahren usw. ohne technische Hilfsmittel im realen Leben befriedigen können. Das Kind beginnt mehr und mehr, seinen seelischen Innenraum auszu- Anregungen zur Unterstützung bilden. Es hat jetzt gleichermaßen ein der gesunden Entwicklung Bedürfnis nach Welterfahrung und (immer noch) nach Schutz durch Die Pflege der Beziehung zu den Kin- Erwachsene. Es sucht erwachsene dern erfordert von den Erwachsenen Menschen, denen es vertrauen kann, Klarheit und Zeit. Dabei kommt es zu denen es aufschauen kann und nicht so sehr auf die Menge der mit durch die es die Welt kennen- und dem Kind verbrachten Zeit an, son- verstehen lernt. dern vor allem auf die Qualität des Zusammenseins: Wenn nur wenig Wie alle Menschen haben Kinder möglich ist, dann sollte die wenige starke Bedürfnisse. Dazu gehören: Zeit für eine intensive Begegnung ge- • Soziale Bindungen erleben und sich nutzt werden. wahrgenommen fühlen, • sich gebraucht fühlen, anerkannt ■ Für gemeinsame Tätigkeiten bieten werden, Verantwortung tragen dür- sich solche an, die sowieso gemacht fen und können, werden müssen, wie zum Beispiel • selbst tätig sein dürfen, Kochen, Wäsche zusammenlegen, • etwas lernen, die Welt erfahren Straße fegen etc.; dabei lernen Kin- können, kleinen und großen Aben- der nebenbei eine Menge lebens- teuern begegnen, praktischer Handlungsabläufe und • das Leben als sinnvoll erleben. gewöhnen sich auch daran, selbst-
16 Stuwwelpeter 2.1 ständig kleine Verpflichtungen Bei der Bedürfnisbefriedigung ist verantwortlich zu übernehmen. allerdings zu beachten, dass es nicht darum geht, „kleine” Bedürfnisse ■ Statt die Kinder während der immer gleich zu bedienen. Im Gegen- Essenszubereitung vor den Bild- teil: Es ist wichtig, dass sich Kinder schirm zu setzen, damit man selbst Frustrationstoleranz erwerben, damit „schnell kochen” kann, könnten sie später nicht gleich bei jeder klei- auch schon 3- und 4-jährige Kinder nen Widrigkeit des Lebens zu einer Käse reiben, Salat waschen oder Ersatzbefriedigung greifen. Kinder Gemüse schneiden; dann fühlen sie müssen lernen, Bedürfnisse aufzu- sich gebraucht und üben nebenbei schieben. Es muss z. B. nicht jederzeit ihre feinmotorischen Fähigkeiten. und überall Essen und Trinken greif- ■ Wenn für etwas ältere Kinder die bar sein, und auch nicht jederzeit ein Möglichkeit besteht, den Nachbarn Erwachsener zum Spielen oder Vor- oder den Großeltern etwas zu hel- lesen verfügbar sein. fen, sei es einkaufen, Rasen mähen Das Erlebnis, steigenden Anforderun- oder den Hund ausführen, ist das gen gewachsen zu sein, ist ein sehr eine schöne Möglichkeit, den sozia- wichtiger Aspekt in der Erziehung zur len Horizont zu erweitern und Eigenständigkeit. Kinder müssen er- Anerkennung zu erhalten. leben, wie man beispielsweise beim ■ Alles praktische Tun führt, je besser Sport oder Musikmachen immer bes- es geübt und gekonnt wird, zu dem ser werden kann, und dass man im das Selbstbewusstsein stärkenden realen Leben ein höheres „Level“ Gefühl: „Ich kann etwas!” erreicht hat. Vielleicht darf bzw. soll das 7-jährige Kind mal alleine Pud- ■ Jedes Kind genießt es, wenn mit ding kochen, das 10-jährige den ihm gebastelt wird, wenn es Ge- Pizzateig herstellen und das 14-jäh- schichten vorgelesen bekommt rige ab und zu eine ganze Mahlzeit (wenn es bereits lesen gelernt hat, für die Familie kochen. kann man sich auch mal abwech- seln), wenn man beim Spazieren- Es ist sehr sinnvoll, das Kind dabei gehen etwas sammelt, das man zu unterstützen, Freundschaften zu hinterher zu Marmelade, einem pflegen, Sport zu treiben und ein Mobile oder einem Mosaik verar- Musikinstrument spielen zu lernen. beiten kann, wenn man zusam- Sportvereine und Jugendmusikschu- men (draußen wie drinnen) Spiele len bieten für Kinder interessante spielt und vieles andere mehr. Möglichkeiten an. Auch wenn es
17 überraschen sollte: Solche Aktivitäten Erfahrungen haben auch eine suchtpräventive Johanna (35) erzählt: „Unsere drei Wirkung. Denn durch ein vielfältiges Jungen (2, 5 und 8 Jahre) wachsen Engagement lernt das Kind, sich im beinahe ohne Fernsehen auf. In un- Leben zu verankern, und das schützt serem Wohn- und Esszimmer gibt vor der Versuchung, im „Virtuellen“ es kein TV-Gerät. Wir haben im Kel- nach scheinbarem Ersatz zu suchen. ler ein Elternwohnzimmer, in dem Zuletzt sei auf ein Bedürfnis hinge- ein Fernseher steht. Für unsere Kin- wiesen, das wenig bis gar nicht als der bedeutet das, dass in ihrem all- solches wahrgenommen wird, aber täglichen Leben das Medium nicht unsere heutige Zivilisation deutlich vorhanden ist. Außerdem sind wir prägt: das Bedürfnis nach Bildern. ihnen Vorbilder, die vielfältige Rudolf Steiner wies darauf hin, dass Dinge im Haus erledigen, aber dem als eigentliches Bedürfnis die Fernsehen gehört nicht dazu. Das Sehnsucht nach eigenen inneren, bedeutet aber nicht, dass unsere imaginativen Bildern zugrunde liegt. beiden großen Kinder nicht wüss- Auf die Befriedigung dieses Bedürf- ten, dass es das gibt. Zu raren Gele- nisses zielt die gesamte Foto- und genheiten gibt es „Kinoabende“, Filmindustrie ab. bei denen mindestens ein Elternteil gemeinsam mit den beiden älteren Die Fähigkeit, sich eigene Bilder zu Jungen einen Film schaut. Es ist schaffen, macht Kinder stark, weil sie uns wichtig, dass die Kinder nichts dadurch beweglich werden und sich allein schauen. Unsere Kinder fra- auf neue Gegebenheiten einstellen gen sehr selten danach, ob sie können. Selbst geschaffene Fantasie- etwas schauen dürfen. Sie haben er- bilder stärken das Autonomiegefühl, fahren, dass alles im Leben seine im Gegensatz zu den vorgegebenen Zeit hat und das tägliche Vorlesen Bildern, die von der Industrie geliefert von Büchern ebenso aufregend und werden. Die Förderung aller künstle- erfüllend sein kann.“ rischen Tätigkeiten trägt dazu bei, dass sich die Urteilsfähigkeit in Bezug auf Bild- und Tonproduktionen aus- bildet.
18 Stuwwelpeter 2.1 | Für Eltern Medien in der beginnenden Schulzeit Die Euphorie über die grandiosen Möglichkeiten der Informationstech- nologien trieb den Medienbegriff in die Einseitigkeit. Durch den Compu- ter als neues Medium vergaß man, dass bereits die Schrift ein Medium ist. Es wird übersehen, dass die Be- wenigstens die bedeutendsten Kin- herrschung der Schrift die unerläss- derbuchautoren kennen. liche Basis ist, auf der alle anderen Kompetenzen bezüglich der Informa- Computer haben die Bücher nicht tionstechnologien aufbauen. Wer ersetzt, sondern sind hinzugekom- nicht gut schreiben und lesen kann, men. Wenn man die Kinder zu früh kann das Internet praktisch kaum auf den Umgang mit dem Computer nutzen. Indem man also die Kinder in spezialisiert – aus einem vermeint- das Schreiben und Lesen einführt, be- lichen Modernitätsanspruch heraus ginnt die direkte Medienpädagogik. macht man sie letztlich für die Ge- Vor aller Computerkompetenz liegt samtheit der Medien inkompetent. die Schriftkompetenz. Das bedeutet, Statistiken zeigen, dass die Lesekom- dass man in den ersten Schuljahren petenz des einzelnen Kindes mit stei- den Kindern dabei hilft, ein aktives gender Bildschirmnutzung schwindet. Verhältnis zu Büchern auszubilden. Kinder profitieren also viel mehr Müttern und auch Vätern ist wärms- davon, wenn ihnen vorgelesen wird, tens zu empfehlen, dass sie sich die wenn sie beim Lesen unterstützt wer- Zeit zum regelmäßigen Vorlesen neh- den, wenn sie gemeinsam mit den men. Zu Beginn der Schulzeit helfen Eltern den Kosmos der guten Kinder- Eltern damit ihren Kindern, die uner- bücher erobern dürfen. lässliche Basis für die spätere kompe- Fazit: Das Buch ist bis zur Pubertät tente Nutzung der Informationstech- das beste Medium im Leben des nologien zu legen – denn was nutzt Kindes. Fernsehen und Surfen im z. B. Wikipedia, wenn man nicht rich- Internet sowie Computerspiele sind tig lesen kann? dagegen mit großer Vorsicht und Es gibt sehr viele gute Kinderbücher in geringem Maße zu genießen und und es gehört auch zum Aufbau einer gehören von den Eltern gut regle- guten Allgemeinbildung, dass Kinder mentiert und begleitet.
Kindheit 19 Tipps zum Umgang mit elektronischen Medien ■ Auch in der Schulzeit sind Fern- seher, Computer und sonstige elek- tronische Medien aus den Kinder- zimmern fernzuhalten. Ansonsten erhöht sich die durchschnittliche Verweildauer allein vor dem TV- Gerät beträchtlich.4 Erfahrungen ■ Eine deutliche Begrenzung der Ernst (44) erzählt: „Als meine Toch- Fernsehzeit von 30 bis maximal ter Rahel noch im Kindergarten 45 Minuten pro Tag ist angeraten – war, hatte ich damit begonnen, ihr das aber auch nicht regelmäßig an Märchen und kleine Erzählungen jedem Tag. Verbringt ein Kind mehr vorzulesen. Das machte uns beiden als 5 Stunden wöchentlich vor dem viel Spaß. Später wurde es dann zu Bildschirm, wird die Ausbildung der einer festen Institution des Tages. Lese- und Rechenfähigkeit beein- Abends vor dem Abendessen nah- trächtigt.5 men wir uns eine halbe Stunde Zeit zum gemeinsamen Lesen, manch- ■ Wenn sich das Kind bereits ange- mal auch länger. Im Laufe der wöhnt hat, zu viel Zeit mit Bild- Grundschuljahre lasen wir viele schirmmedien zu verbringen, dann Klassiker der guten Kinderbuchlite- kann man nach interessanten Er- ratur: Otfried Preußler, Selma La- satzangeboten suchen, beispiels- gerlöfs Nils Holgerson, Erich Käst- weise Puzzle, Basteleien oder ge- ner, Astrid Lindgren usw. Manchmal meinsame Unternehmungen, wurde auch nicht vorgelesen, weil Wanderungen, Freunde besuchen, Rahel über etwas sprechen wollte, Spielenachmittage oder Lesen. was ihr Kummer machte oder was Dafür müssen Eltern unter Umstän- sie mir unbedingt erzählen wollte. den ihren eigenen Alltag – so weit Im Rückblick glaube ich, dass das das möglich ist – umstrukturieren, ein wichtiger Baustein für ihre Ent- indem sie größere Aufmerksamkeit wicklung war, der auch manche auf gemeinsame Aktivitäten legen. schwierige Erfahrung, die sie in der ■ Die Altersfreigaben für Filme stel- Familie machen musste, ausgegli- len keine pädagogischen Empfeh- chen hat.“ lungen dar, sondern nur eine un-
20 Stuwwelpeter 2.1 | Für Eltern terste Altersgrenze. Man kann durchaus jeweils drei Jahre dazu- addieren, wenn man mit dem Kind zusammen einen Film ansehen will. ■ Altersfreigaben für Computerspiele (USK) enthalten keine Angaben zum Suchtpotenzial eines Spiels. So sind beispielsweise die meisten Glücksspiele, in denen kein echtes Geld eingesetzt wird, wie Online- Poker, ab 0 Jahren freigegeben, aber für Kinder nicht geeignet. ■ Es gibt speziell für Kinder im Inter- ■ Die Nutzung eines Computers und net eingerichtete Surfräume, die vor allem des Internets sollte nicht nur geeignete Inhalte zur Verfü- ohne Begleitung eines Erwachsenen gung stellen, beispielsweise: www. erfolgen, mit dem sich das Kind fragfinn.de, www.kinderserver-info. über die aufgerufenen Inhalte aus- de. Man kann mithilfe der Schutz- tauschen kann. software eine „Whitelist“ vorgeben, ■ Wenn gelegentlich keine Beglei- d. h. eine Liste von Webseiten, die tung möglich ist, ist es gut, wenn für Kinder geeignet sind und die für das Kind ein eigenes Benutzer- das Kind aufrufen kann. Jugendge- konto mit einer speziellen Filtersoft- fährdende Inhalte werden durch ware eingerichtet ist. Damit können diese Software ausgeschlossen. die aufrufbaren Inhalte vorher aus- gewählt und auch eine technische Zeitbegrenzung in den Benutzerein- stellungen festgelegt werden. Wenn man ein Zeitkontingent für die Woche vorgibt, können besonders ältere Schulkinder (ab 12 Jahre) lernen, die zur Verfügung stehende Zeit sinnvoll einzuteilen.
Kindheit 21 Erfahrungen Achim (36) berichtet: „Wir haben keinen Fernseher mehr, aber einen Beamer und eine große Leinwand, die wir bei Bedarf ausrollen. Wenn die zwei älteren Kinder einen Film anschauen wollen, dann suchen wir auf dem PC gemeinsam aus, was wir sehen wollen, und schauen uns das dann zusammen an. Die Jüngs- te, die gerade 2 Jahre alt geworden ist, schaut nicht mit. Wir sorgen Zusammenfassung dafür, dass sie während dieser Zeit in Ruhe spielen kann. Entweder ist Computer- und Internetnutzung sollte meine Frau mit ihr zusammen und nur in Begleitung Erwachsener oder ich bei den Älteren oder umge- wenigstens über eine eingerichtete kehrt: Ich unternehme etwas mit und funktionierende Schutzsoftware der Kleinen und meine Frau schaut stattfinden. sich mit den beiden Älteren den Anregungen für eine vorbereitende Film an.“ Medienarbeit im frühen Schulalter: • Ein Daumenkino zusammen mit dem Kind basteln und darin eine Geschichte erzählen. „Es hat sich gezeigt, dass uns allein • Schattenspiele, Kasperletheater, mit der Aufrüstung der elektronischen Theaterspiele mit den Kindern veranstalten. Medien nicht geholfen ist. Nur mit verstehendem Lesen wird aus • Geschichten erzählen und als kleines „Buch“ aufschreiben. Information Wissen, aus Text Sinn, • Hörspiele ausdenken und auf- aus einer Datei ein Urteil.“ zeichnen. LU DW I G E C K I N G E R ( VO N 1993 B I S 2009 B U N D E S - • Mit Kindern Filme anschauen und VO R S I T Z E N D E R D E S V E R B A N D E S mit ihnen darüber sprechen. BILDUNG UND ERZIEHUNG)
22 Stuwwelpeter 2.1 | Für Eltern
Jugendzeit 23 Jugendzeit Die körperlichen Veränderungen Einer dritten Entwicklungsaufgabe prägen den Beginn der Pubertät. Der des Jugendlichen liegt die menschli- Wachstumsschub, die Veränderung che Fähigkeit des Denkens zugrunde. der Stimmlage und die Geschlechts- Nur mithilfe des Denkens ist der reife fallen besonders ins Auge. Mensch in der Lage, über das Hier und Jetzt seiner Gegenwart hinauszu- Mit der leiblichen Entwicklung geht gehen, zukünftige Vorhaben zu pla- eine seelische Entwicklung einher. nen und Ideale zu verfolgen. Jugend- Das kindliche Erleben löst sich aus liche entwickeln – vor allem gegen seiner bisherigen sozialen Geborgen- Ende der Jugendzeit – viele Ideale. heit heraus und sucht seine eigene In ihnen äußert sich ihr Lebenstraum, Verwurzelung in der Welt. Das ist ein aus dem heraus sie die Frage nach langer Prozess, der sich über viele dem Motiv ihres zukünftigen Lebens Jahre hinzieht. Dabei haben die bewegen. Die Jugendlichen fragen Jugendlichen eine Reihe von Ent- sich, was sie in ihrem Leben erreichen wicklungsaufgaben zu bewältigen. wollen, aber auch, wie sie die Welt Die vielleicht wichtigste Aufgabe ist verändern können. Es stellt sich dann die Herausbildung und der Aufbau die praktische Frage, welche Ausbil- einer Identität. So wie das Kleinkind dung angestrebt werden soll und da- lernen musste, aufrecht zu gehen, rüber hinaus, wie man die eigenen muss der Jugendliche jetzt im Seeli- Lebensmotive realisieren kann. „Was schen seinen eigenen Standpunkt fin- ist mein Lebensmotiv und was muss den und im Leben behaupten lernen. ich tun, damit ich es verwirkliche?“ – so könnte man diese Grundfrage des Eine weitere Entwicklungsaufgabe Jugendalters formulieren, die oft weit des Jugendlichen ist, soziale Bezie- bis in das junge Erwachsenenalter hi- hungen aufzubauen und den damit nein bewegt wird. einhergehenden Verantwortungen gerecht zu werden. Daran schließt Das Urteilsvermögen der Jugendli- sich die Herausforderung, in der be- chen ist zunächst noch sehr an ihr Ge- stehenden Gesellschaft den eigenen fühlsleben gekoppelt und oft wenig Ort zu finden und in vielfältiger Weise von der Sache her bestimmt. Die ord- dialogisch mitzugestalten. Je besser nende Kraft der sachlichen Urteilsfä- ein Kind gelernt hat, die Sprache zu higkeit muss noch ausgebildet wer- beherrschen, desto leichter wird ihm den. Das ist vor allem eine Aufgabe dies als Jugendlichem fallen. der schulischen Pädagogik. Jugend- liche brauchen Erfahrungs- und
24 Stuwwelpeter 2.1 | Für Eltern Übungsfelder, auf denen sie lernen können, eigene und sachgemäße Urteile zu bilden und damit auch emotionale Stabilität zu entwickeln. Dazu muss die – wenig erfreuliche – Rolle des der Mensch lernen, sich von seinen „Sparringspartners“, wenn Argu- Gefühlen abzusetzen und willentlich mente auf ihre Überzeugungskraft geführte Denkprozesse – auch gegen und Tauglichkeit hin geprüft werden die eigenen Gefühle – zu vollziehen. sollen. Auch im sozialen Miteinander Im Urteilen stellt sich der Mensch als kann es sein, dass die Grenzen der Einzelner in ein Verhältnis zur Welt. Toleranz getestet werden. Das Prinzip Daraus resultiert dann die Fähigkeit, „Befehl und Gehorsam“ kommt da sich selbst als Individuum zutreffend an seine Grenzen, und es besteht die beurteilen zu können. Eine gesunde Gefahr, dass der innere Kontakt und Selbstreflexivität bildet sich nur he- das Vertrauen in die Erzieher verloren raus, wenn der Mensch seine Umge- gehen, wenn diese die Bedürfnisse bung objektiv zu reflektieren in der und Möglichkeiten der Jugendlichen Lage ist. Und das ist auch eine wich- falsch einschätzen. Es bleibt dem tige Voraussetzung für den Alltag mit Erwachsenen die Aufgabe des Erzie- computergenerierten Plattformen aller hens, die sich von der eines Freundes Art, wie sie das Internet bietet. unterscheidet. Für den Bereich des Umgangs mit Medien gilt deshalb, Das Jugendalter ist eine Zeit der dass Vereinbarungen sinnvoll sind, Selbsterkundung und des Erkundens die die Interessen der Beteiligten und von Grenzen. Der Jugendliche sucht die zunehmende Selbstständigkeit nach Antworten auf die Fragen „Wer des Jugendlichen berücksichtigen bin ich? Was kann ich? Wo will ich und die in sinnvollen Zeitintervallen hin?“. Zu Grenzerkundungen gehört auf ihre Tauglichkeit hin überprüft das Überschreiten von Grenzen, zur werden. Im Gespräch können da Selbsterkundung gehört das Abgren- Fragen der Qualität „Was willst du? zen gegenüber dem Gewordenen und Welche Erfahrungen hast du ge- Gewohnten. Dazu gehört auch, dass macht? Passt das zu deinen Inten- das individuelle Urteil ausgebildet tionen?“ sehr hilfreich sein. wird. Das zeigt sich in der Freude am Argumentieren und vor allem auch in der Freude am Widerspruch. Eltern und Lehrer erhalten hierbei mitunter
Jugendzeit 25 und wertvolle Tipps geben. Das lässt Erfahrungen sich auf den privaten Bereich übertra- Phillip (23), Student, erinnert sich: gen, wenn man ältere Geschwister, „Als 13-Jähriger hatte ich meinen Verwandte oder Freunde einbezieht. eigenen Computer, und ich interes- sierte mich vor allem für Flugsimu- Im Hinblick auf das Ziel „Medien- latoren. Ich war gleichzeitig gemein- meister“ statt „Medienknecht“ zu sam mit einigen Schulkameraden werden, ist eine aktive Beschäftigung Mitglied in einem Segelflugverein mit Medien sinnvoll, d. h., dass man und verbrachte die Wochenenden Medieninhalte produziert statt bloß auf dem Fluggelände. Die Faszina- konsumiert. Nicht nur das Durch- tion, die die Computersimulation schauen der entsprechenden Produk- auf Freunde ausübte, konnte aber tionsgesetzmäßigkeiten, sondern auch nicht annähernd mit meinen realen die Möglichkeit, seiner eigenen Ge- Erfahrungen im Cockpit mithalten. danken- und Gefühlswelt in vielerlei Zudem lernte ich einiges über Funk- Medienformen virtuos Gestalt zu ver- technik und Wetter, sowie durch die leihen und sie auch vielen Men- Werkstattarbeit viele handwerkli- schen – z. B. in einer Radiosendung che Fähigkeiten. Auch Teamwork des Lokalfunks – mitzuteilen, tragen war stets gefragt.“ zur Medienmündigkeit bei. (s. Struw- welpeter 2.0, Abschnitt „Medien als An vielen Schulen haben wir bereits Bildungsträger“) die Erfahrung gemacht, dass Urteile Auch wenn hier vor allem die Schule und Empfehlungen von Erwachsenen mit ihren pädagogischen Angeboten wegen des Verdachts „Die wollen uns gefragt ist, können Eltern entspre- nur den Spaß verderben“ oder auf- chende Aktivitäten unterstützen oder grund mangelnder Sachkenntnisse anregen. der Erwachsenen abgelehnt werden, dass aber Ratschläge von älteren Schülern, die mitunter sogar weiter- gehend sind, akzeptiert werden. Vor diesem Hintergrund wurden mancher- orts Medienscouts ausgebildet, die in jüngeren Klassen informieren, beraten
26 Stuwwelpeter 2.1 | Für Eltern Was fördert die Entwicklung Medienpädagogik im Jugendalter Jugendlicher? Wenn vom Elternhaus gesetzte Gren- Idealerweise ist die Schule ein Ort, zen zu früh wegfallen, besteht die Ge- wo Jugendliche viele Anregungen fahr, dass die Beschäftigung mit dem finden, um ihre Entwicklungsaufga- Internet – bei Jungen überwiegend ben zu bewältigen. Aber das ist nicht wegen Onlinespielen – überhand immer der Fall. Sie sind vielfach zu nimmt und vernünftige Zeiten weit wenig oder nur einseitig gefordert. überschreitet. 10 Prozent aller 15-Jäh- Deshalb ist es hilfreich, wenn sie bei- rigen sind laut einer Studie des krimi- spielsweise in einem Sportverein, nologischen Forschungsinstituts Nie- einem Chor oder Orchester oder viel- dersachsen mehr als 4,5 Stunden leicht auch der freiwilligen Feuerwehr täglich im Internet unterwegs. Das einen weiteren Ort finden, an dem sie sind mehr 30 Stunden in der Woche.6 Herausforderungen zu bewältigen Diese Zeit fehlt den Jugendlichen, um haben und Erfolge erleben können. die eigentlichen Entwicklungsaufga- ben des Jugendalters gut zu bewälti- Eltern tun gut daran, jede Gelegen- gen – dazu gehört auch die Aufgabe, heit zu unterstützen oder auch anzu- sich eine möglichst gute und gründli- regen, dass Jugendliche mit anderen che Schulbildung zu erarbeiten. sinnvolle gemeinsame Unternehmun- gen planen und durchführen. Das gilt Wenn man den Eindruck hat, dass die z. B. auch für den Umgang mit einem Jugendlichen in der Schule in Bezug Musikinstrument. Denn an ihm erwei- auf die Gefahren des Internets nicht tern sie einerseits ihre Fähigkeiten weit genug aufgeklärt werden, sollte und zugleich auch ihre Ausdauer im man das zu Hause thematisieren, Üben. ebenso die immensen Einflüsse der Werbung (auch im TV!) mit ihren Wenn Jugendliche bei der Bewälti- nicht zu unterschätzenden Wirkun- gung ihrer Entwicklungsaufgaben gen. scheitern, dann ist die Gefahr gege- ben, dass sie in den verschiedenen Auch wichtig ist zu wissen, wie das Angeboten des Internets einen soziale Umfeld mit Medien umgeht, scheinbaren Ersatz finden. deshalb ist der Austausch mit anderen Eltern sehr empfehlenswert. Auf
Jugendzeit 27
28 Stuwwelpeter 2.1 | Für Eltern Elternabenden führt das natürlich immer wieder zu Diskussionen. Das Ideal ist, dass ein Konsens der ge- meinsamen Handhabung bei den El- tern einer Klasse und Schule erreicht die kurze Merk-Formel: „CCCC“ wird. In der Regel wird es allerdings Content, Commerce, Contact, Culture.7 nur bei einem Teil der Elternschaft zu Man kann die Risiken so auflisten: einer gemeinsamen Haltung kommen. ■ Inhalte (Content) Rechtsradikalis- Damit ist aber auch schon etwas er- mus, Islamismus, Satanismus, Por- reicht, denn so kann kein Kind sagen: nografie, Sekten aller Art, Mager- „Alle anderen haben aber ...“ suchtsforen, Suizidforen, Tasteless-Videos usw. Elektronische Medien: ■ Verführung (Commerce) Werbung, Chancen und Gefährdungen aggressives Marketing, Spam, Poker-Seiten, Erotik-Angebote, Gefährdung Betrug, Abzocke usw. Mit zehn bis zwölf Jahren vollzieht sich im kindlichen Umgang mit der ■ Kontakte (Contact) Falsche Kon- Medienlandschaft ein deutlicher takte, Verführung, verbaler sexuel- Wandel: das Internet und die sozialen ler Missbrauch durch Pädophile, Netzwerke werden interessant. Die realer Missbrauch bei herbeigeführ- angehenden Jugendlichen können ten physischen Kontakten. zwar mit ihren Geräten oft virtuoser ■ Illegales und Mobbing (Culture) umgehen als Erwachsene, aber ihnen Herunterladen illegal verbreiteter fehlt noch weitgehend die Fähigkeit, Musikdateien, Spiele, Programme das, was sie im Internet finden, sach- und Filme sowie andere Verstöße gemäß zu beurteilen. Die Risiken und gegen Urheberrechte, Herunterla- Gefahren, die im Internet lauern, kön- den von Schadsoftware, Mobbing. nen sie nicht wirklich einschätzen. Dazu fehlen ihnen die Lebenserfah- Eine weitere Gefährdung ist die Ver- rung, die Abgrenzungsmöglichkeit suchung, die „Online-Zeit“ immer und das Wissen. Darum brauchen mehr auszudehnen. Dies kann im Kinder und angehende Jugendliche schlimmsten Fall bis zur Onlinesucht die Hilfe der Erwachsenen. führen. Nach einer Studie des KfN sind 4,7 Prozent der 15-jährigen Das Internetportal „safekids.co.uk“ Jungen und 0,5 Prozent der Mädchen bringt die Gefährdung der Kinder auf suchtgefährdet und 3 Prozent der
Jugendzeit 29 Chancen Das Internet enthält nicht nur Gefah- ren, sondern bietet auch schier uner- schöpfliche Möglichkeiten der Infor- mation an. Aber auch das muss Jungen und 0,3 Prozent der Mädchen gelernt werden, wie man sich diese weisen in ihrer Onlinenutzung Sucht- Chancen sinnvoll erschließt und nutzt. merkmale auf.8 ■ Dazu gehört in erster Linie, dass die Wenn Kinder also mit der Nutzung Jugendlichen lernen, mit Suchma- des Internets vertraut gemacht schinen sinnvoll umzugehen, sich werden, ist es wichtig, dass sie die an produktiven Kommunikationen Grundregeln und Vorsichtsmaßnah- zu beteiligen und auch Internetan- men vermittelt bekommen, die sie für gebote kompetent mitzugestalten, eine sichere Nutzung des Internets z. B. Wikipedia. brauchen, und außerdem auch erfah- ren, wie man sinnvoll im Internet ■ In zweiter Linie müssen Jugendli- sucht. che Kriterien haben, um die Ver- trauenswürdigkeit einer gefunde- Das Grundziel ist dabei, dass Kinder nen Internetseite beurteilen zu lernen, ein „Medialitätsbewusstsein“ lernen. zu entwickeln. Das bedeutet: Kinder müssen verstehen, dass sie mit dem Diese Urteilsfähigkeit zu entwickeln, Internet eine mediale Konstruktion ist ein langer Prozess, der sich bis zum betreten, die sich von der realen Ende der Schulzeit hinzieht und sich Lebenswelt unterscheidet, aber den- im Erwachsenenalter fortsetzt. Die noch gravierende Rückwirkungen Schule kann im Wesentlichen nur die auf den Alltag haben kann. Deshalb Urteilsfähigkeit mit den Schülerinnen gibt es Grundregeln, die man im und Schülern üben sowie Informatio- Netz beachten muss. nen und Beratungen anbieten. Bei der Beachtung der angeratenen Vorsichts- Neben den rechtlichen Aspekten maßnahmen im alltäglichen Leben (Genaueres siehe „Internet und Recht mit sozialen Netzwerken sind in erster – Informationen für Eltern“) müssen Linie die Eltern gefragt, aber auch Kinder auch erfahren, was Cyber- Verwandte und Freunde. Mobbing ist und wie man sich dage- gen wehren kann. Sie müssen sich aber auch vor falschen Annäherungs- versuchen durch Cyber-Grooming von Pädophilen schützen können.
30 Stuwwelpeter 2.1 | Für Eltern Empfehlungen für Computer, ■ Keinen eigenen Computer im Smartphone und Tablet zu Hause Kinderzimmer. Den PC an einem „öffentlichen“ Ort aufstellen. Bei- Computer und Internet sind außer- spielsweise im Flur oder Wohnzim- ordentlich praktische Arbeits- und mer, sodass man im Vorbeigehen Kommunikationswerkzeuge für Schü- sehen kann, was das Kind am PC ler der oberen Klassen, für Studenten macht. und für alle Erwachsenen. Ein 5-jähri- ges Kind hat dagegen im Internet ■ Keine Administratorrechte am PC nichts verloren. für das Kind. Zwei 16-jährige Mädchen, welche die ■ Mit Kindern im Gespräch bleiben. Aufgabe hatten, einmal aufzuschrei- Interesse aufbringen für das, was ben, zu welchen Vorsichtsmaßnahmen Kinder im Internet erleben, mit sie 12-jährigen Kindern im Umgang wem sie wo im Internet kommuni- mit dem Internet raten würden, zieren, welche Spiele sie spielen. schrieben am Ende ihrer (langen) ■ Von Kindern lernen. Eltern kennen Liste: „Du bist erst zwölf, eigentlich sich häufig weniger gut im Umgang brauchst du noch gar kein Internet.“ mit Geräten und Programmen aus Tatsächlich ist auch noch ein 10-jähri- als ihre Kinder. Das kann man nut- ges Kind von den Strukturen und In- zen, um sich von den Kindern hel- halten des Internets völlig überfor- fen zu lassen. dert. Es ist nicht angebracht, das Internet zu verteufeln, aber Eltern ■ Altersangaben unbedingt einhal- müssen sich darüber im Klaren sein, ten. Viele Spiele (vor allem auch dass ein Internetanschluss nicht nur gewalthaltige) sind für die seelische freien Zugang zu sehr vielen sinn- Entwicklung von Kindern und Ju- vollen Informationen bietet, sondern, gendlichen schädlich. Bei Jugendli- wie ein Jugendkoordinator der Polizei chen gilt es als besonders „cool“, einmal sagte, „auch zu allem Schmutz Spiele zu spielen, für die sie noch dieser Welt“. zu jung sind. Für Eltern besonders wichtig: Die Altersangaben erfol- Für den häuslichen Umgang der gen nicht nach pädagogischen oder Kinder mit Computern kann man die entwicklungspsychologischen Ge- folgenden Empfehlungen geben: sichtspunkten; man kann deshalb getrost einige Jahre dazuzählen.
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