Wettbewerbspolitik in der digitalen Wirtschaft - Wirtschaftsdienst

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DOI: 10.1007/s10273-016-1964-6                                                                                       Zeitgespräch

Wettbewerbspolitik in der digitalen Wirtschaft
Soziale Netzwerke, Suchmaschinen und der Online-Handel zeichnen sich auf den ersten
Blick dadurch aus, dass hier sehr große Unternehmen den Markt beherrschen. Ob dies
aber zu Wettbewerbsbeschränkungen führt, wie digitale Märkte sinnvoll abzugrenzen
und wie faire Marktbedingungen herzustellen sind, darüber diskutieren die Autoren des
Zeitgesprächs.

Jan Krämer*
Herausforderungen bei der Bestimmung von Marktmacht in
digitalen Märkten

Internetkonzerne wie Alphabet (ehemals Google), Face-                       levanten Marktes voraussetzen, als sehr komplex und be-
book oder Yahoo bieten digitale Dienste wie Suche, So-                      dingen in der Regel einen hohen Datenbedarf. Bevor auf
ziale Netzwerke und Nachrichten an, die aus unserem                         die Herausforderungen bei der Bestimmung von Markt-
täglichen Leben nicht mehr wegzudenken sind. Die wirt-                      macht in digitalen Märkten genauer eingegangen wird,
schaftliche Bedeutung dieser Unternehmen ist jedoch                         ist es jedoch zielführend, zunächst auf einige wesentliche
schwieriger zu erfassen, da diese Unternehmen keine                         Eigenschaften und Besonderheiten digitaler Dienste und
physischen Güter (in nennenswertem Umfang) produ-                           Märkte hinzuweisen.
zieren. Gemessen an der Marktkapitalisierung liegt der
Unternehmenswert von Internetkonzernen oftmals um                           Eigenschaften und Besonderheiten digitaler Märkte
ein Vielfaches höher als der von etablierten Industrie-
unternehmen, die physische Güter produzieren. So ist                        Ein wesentliches Charakteristikum von digitalen Diensten
beispielsweise Facebook derzeit (März 2016) mit ca.                         und Märkten ist, dass diese größere Gestaltungsmöglich-
240 Mrd. Euro und der Volkswagen-Konzern lediglich mit                      keiten aufweisen, als dies bei traditionellen Diensten und
ca. 62 Mrd. Euro bewertet. Gemessen am realen Um-                           Märkten der Fall ist. Abgeleitet von den Attributen digi-
satz liegen die großen Internetkonzerne jedoch oft hin-                     taler Güter äußern sich diese Gestaltungsmöglichkeiten
ter den großen Industrieunternehmen zurück. Beispiels-                      beispielsweise in vielfältigen Möglichkeiten der
weise konnte Facebook 2014 weltweit einen Umsatz von
12,47 Mrd. US-$ und der Volkswagen-Konzern einen                            • Personalisierung des digitalen Dienstangebots, Pro-
Umsatz von 268,87 Mrd. US-$ erzielen.1                                        dukts oder Marktes (z.B. hinsichtlich persönlicher Vor-
                                                                              lieben und Eigenschaften oder sozialer Strukturen),
Es ist daher offensichtlich, dass die digitale Wirtschaft
nicht unmittelbar mit der physischen Wirtschaft ver-                        • Differenzierung verschiedener Qualitätsstufen (z.B.
gleichbar ist. Dennoch gelten die Grundsätze des Wett-                        hinsichtlich Inhalt und Funktionsumfang, Geschwin-
bewerbsrechts, insbesondere hinsichtlich des Miss-                            digkeit und Dauer der Bereitstellung),
brauchs von Marktmacht, selbstverständlich auch im Cy-
berspace. Wie im Folgenden beschrieben wird, gestaltet                      • Gestaltung von Produkt- und Dienstmerkmalen zur
sich die Feststellung von Marktmacht mit etablierten Me-                      Herbeiführung von direkten und indirekten Netzwerk-
thoden, insbesondere da diese eine Abgrenzung des re-                         effekten (z.B. durch Werbeeinblendung, Einbettung
                                                                              von Empfehlungen oder Kommunikationsmöglichkei-
*   Dieser Artikel basiert auf einem Teil des Beitrags des Autors zur Me-     ten).
    tastudie zum Fachdialog Ordnungsrahmen für die Digitale Wirtschaft,
    die im Auftrag des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie
    (BMWi) angefertigt wurde.                                               Daraus ergeben sich breit gefächerte Möglichkeiten für
1   Quelle: Statista.                                                       digitale Geschäftsmodelle (im Sinne des Angebots digi-

ZBW – Leibniz-Informationszentrum Wirtschaft
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Zeitgespräch

      taler Dienste oder Produkte), die jedoch entscheidende           den und somit die Qualität des erbrachten Dienstes
      Gemeinsamkeiten aufweisen:                                       nicht ohne ein enges Zusammenwirken mit anderen
                                                                       Akteuren der Digitalwirtschaft (insbesondere Netzbe-
      • Aufgrund der weiteren Eigenschaften digitaler Güter,           treibern) garantiert werden kann. Dies kann wiederum
        insbesondere sehr geringer bis praktisch nicht vor-            die Marktmacht der digitalen Dienstanbieter beschrän-
        handener marginaler Kosten sowie Nicht-Rivalität des           ken.
        Konsums skalieren digitale Geschäftsmodelle in der
        Regel sehr gut. Es gibt praktisch kaum Kapazitäts-
        grenzen für die Bereitstellung eines digitalen Ange-       Traditionelle Vorgehensweise zur Bestimmung von
        bots. Diese ergeben sich allenfalls kurzfristig aus Ka-    Marktmacht
        pazitätsbeschränkungen der technischen Infrastruktur
        (z.B. Server, Kommunikationsnetze) oder im Personal-       Marktmacht bzw. der Missbrauch von Marktmacht stellt
        bedarf (z.B. in der Kundenbetreuung), die beide in der     ein wesentliches Kriterium für einen wettbewerbsrechtli-
        Regel dynamisch angepasst werden können. So ist es         chen oder regulatorischen Eingriff dar. Bei der Feststel-
        einem einzigen Anbieter grundsätzlich möglich, die ge-     lung von Marktmacht muss zunächst der sachlich und
        samte (weltweite) Nachfrage zu befriedigen.                räumlich relevante Markt bestimmt werden, um daraus
                                                                   im Anschluss z.B. Marktanteile, die Marktkonzentrati-
      • Bei Vorhandensein von Netzwerkeffekten begünstigen         on oder Marktzutrittsschranken ableiten zu können, was
        selbstverstärkende Effekte zudem das Wachstum ei-          letztendlich Aufschluss über die bestehende Marktmacht
        nes digitalen Angebots und führen oftmals zu starker       geben soll. Grundsätzlich ist der relevante Markt anhand
        Nachfragekonzentration auf wenige oder sogar nur ei-       der Wettbewerbskräfte zu bestimmen, die auf die in die-
        nen Dienst. In diesem Sinne können Netzwerkeffekte         sem Markt aktiven Unternehmen wirken. Im Folgenden
        auch Markteintrittsbarrieren konstituieren, da konkur-     sind die Ausführungen auf die Abgrenzung des sachli-
        rierende Angebote erst dann für eine breite Öffentlich-    chen relevanten Marktes beschränkt, da eine räumliche
        keit interessant werden, wenn sie bereits von einer kri-   Abgrenzung bei Internetmärkten offensichtlich weniger
        tischen Masse genutzt werden.                              bedeutend ist.

      • Die Möglichkeit zur Personalisierung impliziert, dass      Als wichtigste Wettbewerbskräfte bei der sachlichen
        Anbieter digitaler Produkte und Dienstleistungen in der    Marktabgrenzung sind Nachfrage- und Angebotssubs-
        Regel ein starkes Interesse an der Erhebung und Aus-       tituierbarkeit sowie potenzieller Wettbewerb zu nennen.
        wertung von Daten über ihre Kunden, deren Präferen-        Traditionell wird dabei vor allem auf die Nachfragesubs-
        zen und soziale Vernetzung haben. Personenbezogene         tituierbarkeit abgestellt, da diese mutmaßlich am unmit-
        Daten können auch zur verbesserten Schaltung zielge-       telbarsten wirkt.2 In der überwiegenden Praxis, sowohl in
        richteter Werbung (Targeting) genutzt werden, was in       Europa als auch in den USA, wird eine Marktabgrenzung
        vielen Fällen die Grundlage des digitalen Geschäfts-       daher vor allem mit Hilfe der Fiktion eines hypothetischen
        modells darstellt. Zusammengenommen bedeutet               Monopolisten, kurz HM-Test, durchgeführt. Die Idee des
        dies, dass eine superiore Datenbasis einen wesentli-       HM-Tests ist es, dass zumindest ein Unternehmen mit
        chen Wettbewerbsvorteil begründen kann. Fehlender          100% Marktanteil (d.h. ein Monopolist) in der Lage sein
        Zugang zu Daten kann in diesem Sinne eine weitere          müsste, im relevanten Markt Marktmacht auszuüben. Ist
        signifikante Markteintrittsbarriere in digitalen Märkten    dies nicht der Fall, dann ist der relevante Markt zu weit
        konstituieren.                                             gefasst und sollte enger ausgelegt werden. In diesem
                                                                   Kontext wird Marktmacht als die Fähigkeit eines Unter-
      • Digitale Geschäftsmodelle bedingen das Vorhanden-          nehmens verstanden, dauerhaft höhere Preise im relevan-
        sein einer technischen Infrastruktur. Die Besonderheit     ten Markt durchzusetzen. Dieses Konzept findet Anwen-
        liegt hier in der Tatsache, dass Anbieter digitaler Ge-    dung im sogenannten SSNIP-Test, der hierbei eine gerin-
        schäftsmodelle keine vollständige Kontrolle über die       ge, aber signifikante, dauerhafte Preiserhöhung (SSNIP:
        Auswahl dieser technischen Infrastruktur haben, die        „small significant non-transitory increase in price“) in der
        zumindest zum Teil von anderen, in der Regel unab-         Regel von 5% bis 10% über einen Zeitraum von einem
        hängigen, Firmen bereitgestellt wird. Wesentliche Aus-     Jahr unterstellt.
        wahlentscheidungen über die technische Infrastruktur
        werden zudem vom Kunden getroffen (z.B. hinsichtlich
        der Anschlusstechnologie oder des Endgeräts), so
                                                                   2   Vgl. dazu insbesondere die Bekanntmachung der Europäischen Kom-
        dass sogenannte Over-the-top-Anbieter in der Regel             mission über die Definition des relevanten Marktes, Amtsblatt Nr. C
        eine sehr heterogene technische Infrastruktur vorfin-           372 vom 9.12.1997.

                                                                                                        Wirtschaftsdienst 2016 | 4
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Zeitgespräch

                                                                            Prof. Dr. Ralf Dewenter lehrt Indust-
Angebotssubstituierbarkeit hingegen wird dadurch be-
                                                                            rieökonomik an der Helmut-Schmidt-
gründet, dass andere Unternehmen, die technisch ähn-
                                                                            Universität in Hamburg.
liche, aber aus Nachfragesicht nicht unmittelbar substi-
tuierbare Produkte herstellen, kurzfristig ihre Produktion
umstellen könnten und auf diese Weise ebenfalls einen
Wettbewerbsdruck ausüben. Angebotssubstituierbarkeit
kann konzeptionell durch eine Anpassung der unterstell-
ten Kreuzpreiselastizitäten in den HM-Test integriert wer-
den.3 Empirisch ist dies jedoch nur schwer operationali-
sierbar und findet daher in der Praxis kaum Anwendung.                       Prof. Dr. Daniel Zimmer, LL.M., ist
Angebotssubstituierbarkeit findet darüber hinaus nach                        geschäftsführender Direktor des Insti-
den Grundsätzen der Europäischen Kommission keine                           tuts für Handels- und Wirtschaftsrecht
Anwendung in der Marktdefinition, wenn die Umstellung                        und des Center for Advanced Studies
der Produktion erhebliche Investitionen, strategische                       in Law and Economics (CASTLE)
Entscheidungen oder zeitliche Verzögerungen mit sich                        der Universität Bonn und war bis vor
brächte.4                                                                   kurzem Vorsitzender der Monopol-
                                                                            kommission.
Potenzieller Wettbewerb begründet sich aus der Theo-
rie der bestreitbaren Märkte, die auf relativ engen theo-                   Dr. Iris Henseler-Unger ist Ge-
retischen Annahmen (z.B. keine Markteintritts- oder                         schäftsführerin und Direktorin des
Marktaustrittsbarrieren) beruht, die in physischen Pro-                     Wissenschaftlichen Instituts für Infra-
duktmärkten kaum anzutreffen sind.5 Bei der Marktdefi-                       struktur und Kommunikationsdienste
                                                                            (WIK) in Bad Honnef.

3   Vgl. W. Briglauer: Conceptual problems with the hypothetical mono-
    polist test in ex-ante regulation of communications under the new re-
    gulatory framework, in: Journal of Competition Law and Economics,
    4. Jg. (2008), Nr. 2, S. 311-334.
4   Vgl. Europäischen Kommission über die Definition des relevanten
    Marktes, a.a.O.                                                         Dr. René Arnold ist Leiter der Abtei-
5   Für eine Kritik an der Theorie der zweiseitigen Märkte vgl. z.B. M.     lung Märkte und Perspektiven des
    Schwartz, R. J. Reynolds: Contestable markets: An uprising in the
    theory of industry structure: Comment in: American Economic Re-
                                                                            Wissenschaftlichen Instituts für Infra-
    view, 73. Jg. (1983), Nr. 3, S. 488-490.                                struktur und Kommunikationsdienste
                                                                            (WIK) in Bad Honnef.

                                                                            Christian Hildebrandt, Dipl.-Volks-
                                                                            wirt, ist wissenschaftlicher Mitarbeiter
                                                                            der Abteilung Märkte und Perspektiven
Die Autoren des Zeitgesprächs                                               am Wissenschaftlichen Institut für Inf-
                                                                            rastruktur und Kommunikationsdienste
                                                                            (WIK) in Bad Honnef.

                          Prof. Dr. Jan Krämer ist Inhaber                  Prof. Dr. Günter Knieps ist Direktor
                          des Lehrstuhls für Wirtschaftsin-                 des Instituts für Verkehrswissenschaft
                          formatik mit Schwerpunkt Internet-                und Regionalpolitik der Albert-Lud-
                          und Telekommunikationswirtschaft                  wigs-Universität Freiburg.
                          an der Universität Passau.

ZBW – Leibniz-Informationszentrum Wirtschaft
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Zeitgespräch

      nition findet potenzieller Wettbewerb daher traditionell           Erhöhung der Werbeeinblendungen) Marktmacht aus-
      keine Berücksichtigung.                                           üben werden.

                                                                    • Digitale Märkte unterliegen einer hohen technischen
      Herausforderungen bei der traditionellen                        Dynamik. Der HM-Test geht jedoch implizit von stati-
      Marktabgrenzung in digitalen Märkten                            schen (d.h. zeitlich weitgehend invarianten) Marktver-
                                                                      hältnissen aus.
      Zunächst ist festzuhalten, dass Wettbewerbs- und Regu-
      lierungsbehörden über die Jahre große Expertise in der        Hierbei soll nicht der Eindruck erweckt werden, dass je-
      Marktabgrenzung mit Hilfe des HM-Tests in traditionellen      der dieser Punkte grundsätzlich neu im Kontext digitaler
      Märkten gesammelt haben, was wesentlich zur Erhöhung          Märkte sei oder dass es aus wissenschaftlicher Sicht
      der Transparenz und Rechtssicherheit beigetragen hat.         keine konzeptionellen Lösungsansätze gäbe. Die Heraus-
      Im Kontext von digitalen Märkten ergibt sich allerdings ei-   forderung besteht allerdings darin, dass die oben aufge-
      ne Reihe von Herausforderungen bei der Abgrenzung von         führten Probleme bei der Abgrenzung digitaler Märkte
      Märkten mittels des HM-Tests, die im Folgenden (nicht         oftmals in Kombination auftreten und dass die konzeptio-
      abschließend) skizziert werden:                               nellen Lösungsansätze in der Regel hohe Anforderun-
                                                                    gen an die verfügbare Datenmenge und -qualität stellen
      • Vielfältige Substitutionsbeziehungen aufgrund von           und somit in der Praxis selten operationalisierbar sein
        Konvergenz und Multifunktionalität digitaler Dienste        werden.6 Die hohe Komplexität der Marktabgrenzung in
        erschweren die Erhebung der Nachfragesubstitution.          diesem Kontext führt zwangsläufig auch zu einer geringe-
        Insbesondere birgt dies die Gefahr, dass Märkte zu          ren Robustheit, was dem Transparenzanspruch und der
        weit gefasst werden, was die Feststellung von Markt-        hohen Rechtssicherheit, die sich bisher aus der Anwen-
        macht unwahrscheinlicher werden ließe.                      dung des HM-Tests ergeben haben, zuwiderläuft. Es ist
                                                                    darüber hinaus zu befürchten, dass die hohen Datenan-
      • Darüber hinaus können Nachfragesubstitutionsbezie-          forderungen kartellrechtliche Verfahren eher verlängern,
        hungen asymmetrisch ausgeprägt sein, z.B. wenn ein          obwohl im dynamischen Umfeld der digitalen Wirtschaft,
        Dienst mit niedriger Funktionalität (z.B. SMS) durch        bei dem gerade ein Behinderungsmissbrauch von auf-
        einen Dienst mit hoher Funktionalität (z.B. WhatsApp-       kommenden Wettbewerbern zu befürchten ist,7 eine Be-
        Nachricht) substituiert wird, jedoch nicht umgekehrt.       schleunigung der Verfahren angebracht wäre.

      • Andererseits versuchen digitale Dienstanbieter sich
        insbesondere durch exklusive Inhalte (z.B. exklusive        Bedeutung von Angebotssubstitution und
        Serien bei Videostreaming-Diensten) oder Personali-         potenziellem Wettbewerb
        sierung des Dienstangebots (z.B. personalisierte Mu-
        sikempfehlungen auf Basis der bisherigen Nutzungs-          Nachfragesubstitution und der HM-Test sollten auch im
        historie) zu differenzieren. Dies erschwert wiederum        Kontext von digitalen Märkten dennoch nicht grundsätz-
        die Erhebung der (hypothetischen) Nachfragesubstitu-        lich infrage gestellt werden. Dennoch ist gerade bei di-
        tion und könnte ebenfalls mit zu weit gefassten Märk-       gitalen Märkten darüber nachzudenken, ob der Wettbe-
        ten verbunden sein.                                         werbsdruck, der von Angebotssubstitution und potenziel-
                                                                    lem Wettbewerb ausgeht, nicht eine höhere Bedeutung
      • Digitale Dienste werden zudem oft im Bündel ange-           beigemessen werden sollte. Auch wenn die Vorstellung
        boten (z.B. Musikstreaming-Dienst in Verbindung mit         eines Internet-Entrepreneurs, der mit einfachsten Mitteln
        einem Mobilfunktarif), oder mit der Registrierung für       aus seiner Garage heraus die Welt erobert, heute überholt
        einen Dienst ist unmittelbar die Nutzung weiterer (kos-     ist, so gibt es dennoch eine (gut organisierte und ausge-
        tenloser) Dienste des gleichen Anbieters möglich.           bildete) Start-up-Szene, die weitgehend ortsunabhängig
                                                                    und mit standardisierten Hardware- und Software-Werk-
      • Digitale Märkte sind oftmals zweiseitig, so dass die
        Preise beider Marktseiten berücksichtigt werden müs-        6   Vgl. z.B. P. Pereira, T. Ribeiro, J. Vareda: Delineating markets for
        sen.                                                            bundles with consumer level data: The case of triple-play, in: Interna-
                                                                        tional Journal of Industrial Organization, 31. Jg. (2013), Nr. 6, S. 760-
                                                                        773 in Bezug auf Bündelangebote; oder L. Filistrucchi, D. Geradin, E.
      • Für Konsumenten ist der Preis digitaler Dienstange-             Van Damme, P. Affeldt: Market definition in two-sided markets: The-
        bote oftmals Null. Die Analyse einer „Preiserhöhung“            ory and practice, in: Journal of Competition Law and Economics, 10.
                                                                        Jg. (2014), Nr. 2, S. 293-339 in Bezug auf zweiseitige Märkte.
        auf der Konsumentenseite ist daher nicht angebracht,        7   Vgl. Monopolkommission: Sondergutachten 68: Wettbewerbspolitik:
        da Anbieter eher über Nicht-Preis-Mechanismen (z.B.             Herausforderung Digitale Märkte, 2015.

                                                                                                             Wirtschaftsdienst 2016 | 4
234
Zeitgespräch

zeugen sowie kurzfristig anmietbaren Serverkapazitäten                     von Angebotssubstitution und potenziellem Wettbewerb
in der Lage sein könnte, etablierten Dienstanbietern den                   entgegenstehen.
Rang abzulaufen, und damit potenziellen Wettbewerb
ausübt.
                                                                           Schlussgedanken
Noch relevanter ist gegebenenfalls die Tatsache, dass
die großen Internetkonzerne bereits jetzt über ähnliches                   Die vorherigen Ausführungen haben gezeigt, dass die Er-
personelles Know-how, finanzielle Ressourcen und Daten                      mittlung von Marktmacht in digitalen Märkten in der Re-
verfügen, um gegenseitig im Sinne der Angebotssubsti-                      gel erheblich komplexer ist. Relevante Wettbewerbskräfte
tution Wettbewerbsdruck ausüben zu können. Empirisch                       ergeben sich vor allem aufgrund eines hohen Innovations-
substantiiert sind diese Vermutungen bisher jedoch nicht,                  wettbewerbs und daher sind Angebotssubstitution und
wenngleich es anekdotische Evidenz gibt. Beispielswei-                     potenzieller Wettbewerb (unter Beachtung des Zugangs
se erfuhr Threema, ein Messengerdienst mit Ende-zu-                        zu relevanten Daten) womöglich genau so relevant wie
Ende-Verschlüsselung, der aufgrund von Datenschutz-                        Nachfragesubstitution, um den relevanten Markt und so-
bedenken bei etablierten Messengerdiensten wie Whats-                      mit letztlich die Marktmacht eines digitalen Dienstanbie-
App entwickelt wurde, kurzfristig eine starke Nachfrage,                   ters zu bestimmen. All dies ist im aktuellen Rechtsrahmen
als im Februar 2014 bekannt wurde, dass WhatsApp an                        jedoch abbildbar.
Facebook übergeht. Threema führte daraufhin bereits
im Februar 2014 die iTunes-Charts in Deutschland und                       Grundsätzlicher kann man allerdings auch die Frage stel-
Österreich an.8 Mutmaßlich veranlasste dies Facebook,                      len, ob die Abgrenzung eines relevanten Marktes de lege
WhatsApp noch 2014 ebenfalls mit einer Ende-zu-Ende-                       ferenda eine unbedingte Voraussetzung für die Feststel-
Verschlüsselung auszustatten.                                              lung des Missbrauchs von Marktmacht sein muss. Dies
                                                                           wird unter anderem kontrovers im Kontext des sogenann-
                                                                           ten Effects-Based-Approach diskutiert.9 Die Grundan-
Bedeutung von Daten                                                        nahme ist hier, dass missbräuchliche Markthandlungen
                                                                           (z.B. Marktmachtübertragung mittels Kopplung, wie es
Ferner ist anzumerken, dass in der Digitalwirtschaft vie-                  Google jüngst vorgeworfen wurde10) ohnehin nur dann
le Geschäftsmodelle auf das Erheben von Daten, ins-                        durchgeführt werden können, wenn Marktmacht besteht.
besondere personenbezogenen Daten abzielen. Diese                          Eine langwierige und komplexe Bestimmung von Markt-
Daten ermöglichen es den Unternehmen, beispielsweise                       macht mittels einer Marktabgrenzung könnte dann gege-
Werbung zielgerichteter zu platzieren oder passgenauere                    benenfalls entfallen.
personalisierte Angebote zu unterbreiten. Der exklusive
Zugang zu einer superioren Datenbasis kann also durch-                     Schließlich ist zu konstatieren, dass es führenden Inter-
aus Wettbewerbsvorteile und letztlich auch Marktmacht                      netunternehmen wie Alphabet oder Facebook offenbar
begründen. Passgenauere Angebote sind aus Konsu-                           gelingt, ihre dominante Position in einem bestimmten
mentensicht freilich nicht unbedingt nachteilig, wenn-                     Dienstsegment über mehrere Jahre hinweg zu halten.
gleich es darüber hinaus datenschutzrechtliche Beden-                      Es ließ sich jedoch bisher weder aus theoretischer noch
ken geben könnte.                                                          aus empirischer Sicht ohne weiteres klären, ob dies auf
                                                                           Marktmacht im eigentlichen Sinne oder eben auf ein
Im Sinne des (potenziellen) Wettbewerbs kann eine supe-                    kontinuierliches Gewinnen des Innovationswettbewerbs
riore Datenbasis aber insbesondere dann problematisch                      (gegebenenfalls auf Grund einer superioren Datenbasis)
sein, wenn die damit einhergehende höhere Interaktion                      bzw. auf den Verzicht der Ausübung von Marktmacht (im
mit dem Kunden es dem Unternehmen ermöglicht, die                          Sinne der Theorie der bestreitbaren Märkte) zurückzu-
Qualität seiner Datenbasis schneller zu verbessern als                     führen ist.
dies für (potenzielle) Wettbewerber der Fall ist. Auch wenn
es eine Reihe von Argumenten gibt, die diese Logik in-
frage stellen (z.B. schnelle Alterung von Daten, Grenzen
der statistischen Auswertbarkeit), so könnten Daten den-
noch zu effektiven Markteintrittsbarrieren führen, die ins-
                                                                           9  Vgl. dazu EAGCP: An economic approach to Art. 82, Report of the
besondere den vorherigen Ausführungen zur Bedeutung                           Economic Advisory Group for Competition Policy for the European
                                                                              Commission, DG Competition, Brüssel 2005, http://europa.eu.int/
                                                                              comm/competition/publications/-studies/eagcp_july_21_05.pdf.
8   Vgl. P. Beuth: Weg von WhatsApp – aber wohin?, in Zeitonline vom       10 Vgl. B. G. Edelman: Leveraging market power through tying and
    20.2.2014,    http://www.zeit.de/digital/mobil/2014-02/threema-tele-      bundling: Does Google behave anti-competitively?, Harvard Business
    gram-surespot-chatsecure-vergleich.                                       School NOM Unit Working Paper, 2014, S. 14-112.

ZBW – Leibniz-Informationszentrum Wirtschaft
                                                                                                                                                   235
Zeitgespräch

      Ralf Dewenter
      Digitale Ökonomie: Herausforderungen für die Wettbewerbspolitik

      Mit der Digitalisierung, der damit einhergehenden Kon-                        ger jeweils als Substitut für einzelne Produkte und Dienste
      vergenz verschiedenster Medien und letztendlich der                           fungieren können. Der gesamte Markt kann nur dann be-
      immer größeren Relevanz von Internetplattformen und                           stimmt werden, wenn die Substitute aller Teilmärkte erfasst
      digitalen Geschäftsmodellen steht nicht zuletzt auch                          sind. Eine isolierte Betrachtung einzelner Teilmärkte wird
      die Wettbewerbspolitik vor immer neuen Herausforde-                           weder einer adäquaten Marktdefinition gerecht, noch der
      rungen. Während die ökonomische Theorie bereits mit                           daraus abzuleitenden Marktmachtbestimmung.
      der Einführung der Theorie der zweiseitigen Märkte1 vor
      mehr als zehn Jahren einen adäquaten grundlegenden                            Zwar ist nach wie vor ein Substitutionskonzept zur Ab-
      Modellrahmen für viele dieser Plattformen geschaffen                          grenzung der Märkte ein sinnvoller Ansatz, jedoch stellt
      hat, steht die praktische Wettbewerbspolitik vor vielen                       sich die Frage, welche Instrumente geeignet sind, um hier
      neuen Aufgaben. Denn auch wenn es mittlerweile ein                            Hilfestellung zu leisten. Übliche Ansätze wie die Betrach-
      grundlegendes Verständnis über das Prinzip zweiseitiger                       tung von (Kreuz-)Preiselastizitäten oder der SSINP-Test
      Plattformen gibt, sind viele Fragen, die das (anti-)kompe-                    sind zumindest in der ursprünglichen Form nicht mehr
      titive Verhalten solcher Unternehmen betrifft, noch nicht                     adäquat. Entsprechende Erweiterungen existieren zwar,
      abschließend geklärt. Die Schwierigkeit für die Kartell-                      sind aber für die praktische Anwendung meist nicht taug-
      behörden besteht also vor allem in der Anwendung der                          lich.3 Eine etablierte Methode zur Definition von mehrseiti-
      theoretischen Konzepte auf potenziell wettbewerbsbe-                          gen Märkten existiert also bisher nicht.
      schränkendes Verhalten, die Schwierigkeit für Politik und
      Wissenschaft besteht vor allem darin, einen möglichen                         Die Bestimmung von Marktmacht ist ebenso wie die Markt-
      Reformbedarf im Kartellrecht zu erkennen und die gege-                        definition nicht trivial.4 Wird Marktmacht typischerwei-
      benenfalls notwendigen Änderungen durchzuführen.                              se als die Fähigkeit eines Unternehmens verstanden, die
                                                                                    Preise oberhalb seiner Grenzkosten zu setzen,5 so wird mit
      Marktabgrenzung und Marktmachtbestimmung                                      Blick auf typische Preisstrukturen in zweiseitigen Märkten
                                                                                    schnell klar, dass dieses Maß nicht auf Plattformenmärk-
      Grundlegende wettbewerbsökonomische Konzepte, wie                             te übertragbar ist. Eine Betrachtung muss, ähnlich wie bei
      etwa die Marktabgrenzung und die Bestimmung von Markt-                        der Marktabgrenzung, über alle verbundenen Märkte vor-
      macht, sind in der digitalen Ökonomie mitunter nicht mehr                     genommen werden. Theoretisch kann dies anhand eines
      auf die gleiche Weise anzuwenden, wie in der sogenannten                      geeigneten Simulationsmodells geschehen, das eine Preis-
      analogen Welt. Spielen indirekte (und auch direkte) Netz-                     erhöhung (wie beim erweiterten SSNIP-Test) und deren
      effekte eine wesentliche Rolle, sind einige der traditionellen                Wechselwirkungen über alle Märkte betrachtet. Praktisch
      industrieökonomischen Konzepte zur Analyse ungeeignet.                        ist dies jedoch mit einiger Unsicherheit über das passen-
                                                                                    de Modell und ebenso mit oftmals fehlenden Informationen
      Die Marktabgrenzung kann beispielsweise nicht für einzel-                     über die Märkte und Geschäftsmodelle verbunden.6
      ne Teilmärkte getrennt voneinander vorgenommen werden,
      da damit die Gefahr einer grundlegend falschen Marktde-                       Die Bewertung potenzieller
      finition bestehen würde.2 Ein zweiseitiger Markt muss über                     Wettbewerbsbeschränkungen
      alle seine Teilmärkte als Ganzes verstanden werden. Ein
      Zeitungsmarkt etwa besteht nicht allein aus dem Anzei-                        Auch die wohlfahrtsökonomische Bewertung von Wett-
      genmarkt, sondern ebenso aus dem Lesermarkt. Und der                          bewerbsbeschränkungen unterscheidet sich mitunter von
      Markt für Internetsuchmaschinen besteht nicht allein aus                      der in der analogen Ökonomie. Die einfachste Bewertung
      dem Suchmarkt, auch Werbe- und Inhaltemarkt sind bei                          findet sich bei der Betrachtung von Kartellen. Zwar gibt
      dessen Abgrenzung mit einzubeziehen. Nach wie vor stellt
      sich jedoch die Frage, welche Güter aus Sicht der Nachfra-
                                                                                    3   Vgl. z.B. L. Filistrucchi: A SSNIP Test for Two-Sided Markets: The
                                                                                        Case of Media, NET-Institute Discussion Paper, 2008.
      1    Vgl. J.-C. Rochet, J. Tirole: Platform Competition in Two-Sided Mar-     4   Vgl. den Beitrag von J. Krämer: Herausforderungen bei der Bestim-
           kets, in: Journal of the European Economic Association, 1. Jg. (2003),       mung von Marktmacht in digitalen Märkten, in: Wirtschaftsdienst, 96.
           Nr. 4, S. 990-1029.                                                          Jg. (2016), H. 4, S. 231-235.
      2    Vgl. R. Dewenter, J. Rösch, A. Terschüren: Abgrenzung zweiseitiger       5   Vgl. M. Motta: Competition Policy: Theory and Practice, Cambridge
           Märkte am Beispiel von Internetsuchmaschinen, in: NZKart Neue                2004.
           Zeitschrift für Kartellrecht, 2. Jg. (2014), S. 387-394.                 6   Vgl. R. Dewenter, J. Rösch, A. Terschüren, a.a.O.

                                                                                                                           Wirtschaftsdienst 2016 | 4
236
Zeitgespräch

es auch hier mögliche Fälle, bei denen die Wohlfahrts-                    sehr wohl aber mit ihrer Aufmerksamkeit für Werbung oder
wirkungen von Absprachen weniger negativ oder mögli-                      mit Daten über ihre Person zahlen. So sind einige Platt-
cherweise auch positiv ausfallen können – letzteres kann                  formen wie auch traditionelle Medien darauf ausgerichtet,
insbesondere bei Semi-Kollusion auf nur einer Marktseite                  die Aufmerksamkeit der Nutzer auf die Werbung zu lenken
auftreten.7 Dennoch ist insgesamt in aller Regel ein Wohl-                und damit eine Teil- oder Komplettfinanzierung ihres An-
fahrtsverlust durch Kollusion zur erwarten.                               gebots zu erreichen. Andere Geschäftsmodelle basieren
                                                                          darauf, Informationen über die Nutzer zu erlangen, um
Die Bewertung von Fusionen fällt dagegen etwas diffe-                     diese weiterzugeben oder für eigene Dienste zu verwer-
renzierter aus. Insbesondere durch die Zusammenfüh-                       ten. Daten können helfen, neue Angebote zu erstellen, be-
rung von Netzwerken kann es bei Unternehmenszusam-                        stehende Produkte und Services zu verbessern oder aber
menschlüssen zu einer besseren Ausnutzung von Netz-                       Plattformen in die Lage versetzen, zielgerichtete Werbung
effekten kommen. Der steigenden Marktmacht könnten                        zu schalten. Diese Daten können je nach Geschäftsmodell
dann ein größeres Marktvolumen und damit eine größere                     soziodemographischer Natur sein oder aber Informationen
Gesamtwohlfahrt entgegen stehen. Auch ist in bestimm-                     über das Surf- oder Konsumverhalten, den Standort oder
ten Märkten fraglich, inwiefern eine Steigerung der Markt-                auch die Nutzung anderer Dienste enthalten. Sowohl die
macht überhaupt zu erwarten ist. Eine einfache Betrach-                   konsumierte Werbung als auch die vom Nutzer zur Ver-
tung von Marktanteilen ist jedoch in jedem Fall kritisch zu               fügung gestellten Daten stellen damit einen hedonischen
sehen. Eher müssen wiederum in der Gesamtschau aller                      Preis, also eine Art Währung dar. Die auf diese Weise ge-
Teilmärkte mögliche Effekte identifiziert werden.8                         sammelten Informationen sind umfangreich und können
                                                                          (auch in Verbindung mit anderen Daten) sehr wertvoll sein.
Wie auch in der analogen Welt ist die Beurteilung des
Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung die                        Daten stellen eine Art Inputfaktor für die digitale Ökono-
schwierigste Aufgabe der Kartellbehörden. Dies liegt zum                  mie dar. Allerdings weisen sie einige Eigenschaften auf,
einen darin begründet, dass die Bestimmung von Markt-                     die nicht mit anderen Faktoren vergleichbar sind. Insbe-
macht deutlich komplexer ist als in einseitigen Märkten.                  sondere die Nicht-Rivalität im Konsum und die Funktion
Zum anderen führt aber auch die Interdependenz der Teil-                  als Währung heben Daten sicherlich von anderen Input-
märkte oftmals zu weiteren Effekten. Der Nachweis von                     faktoren ab. Die in den Daten enthaltenen Informationen
Verdrängungspreisen etwa ist aufgrund der Preisstruktur                   wirken darüber hinaus auch transaktionskostensenkend
zweiseitiger Plattformen nur schwer möglich. Die große                    und effizienzsteigernd.
Zahl kostenloser Inhalte und Dienste im Internet lassen
erahnen, dass das unentgeltliche Angebot nicht aus einer                  Die enormen Datenmengen, die als Grundlage verschie-
Verdrängungsabsicht heraus erfolgt. Gleichwohl kann na-                   denster Geschäftsmodelle anfallen, geben jedoch auch re-
türlich auch im Internet eine Verdrängungsabsicht bei der                 gelmäßig Anlass zur Diskussion, ob und inwiefern daraus
Preisgestaltung vorliegen. Allerdings ist der Nachweis in                 Probleme entstehen können, die durch die Wettbewerbs-
einigen Fällen wohl nur schwer möglich.                                   politik adressiert werden müssen. Zum einen werden in
                                                                          diesem Zusammenhang mögliche Wettbewerbsprobleme
Weitere Verhaltensweisen wie z.B. Bestpreisklauseln oder                  genannt, zum anderen sind auch Fragen des Datenschut-
der selektive Vertrieb sind ebenso schwer zu bewerten,                    zes immer wieder Gegenstand dieser Diskussion.
auch hier ist die (anti-)kompetitive Wirkung a priori nicht
eindeutig. Liegen zudem noch indirekte Netzeffekte vor,                   Wettbewerbsprobleme durch Big Data
kann eine Bewertung umso komplexer werden. Eine Be-
urteilung setzt daher ein grundlegendes Verständnis von                   Da Daten ein wichtiger Input für viele Geschäftsmodelle
zweiseitigen Märkten voraus.                                              der digitalen Ökonomie sind, könnte ein Ausschluss von
                                                                          diesen Informationen tatsächlich Plattformen daran hin-
Big Data als Grundlage neuer Geschäftsmodelle                             dern, in den Markt einzutreten. Bestimmte Angebote las-
                                                                          sen sich nur dann erstellen, wenn auch auf die zugrun-
Eine Besonderheit zweiseitiger Plattformen in der digitalen               deliegenden Ressourcen zurückgegriffen werden kann.
Ökonomie ist, dass einige der Geschäftsmodelle darauf                     Eine zielgerichtete Werbung kann z.B. ohne Informatio-
aufbauen, dass die Nutzer zwar keinen monetären Preis,                    nen über das Konsumverhalten der Nutzer nicht erstellt
                                                                          werden. Auf der anderen Seite sind Daten jedoch in aller
                                                                          Regel nicht-rival, sie können also mehrfach verwendet
7   Vgl. R. Dewenter, J. Rösch: Einführung in die neue Ökonomie der Me-   werden, ohne an Wert zu verlieren. Daten können oftmals
    dienmärkte. Eine wettbewerbsökonomische Betrachtung aus Sicht
    der Theorie der zweiseitigen Märkte, Heidelberg 2015.                 relativ einfach selbst generiert oder aber erworben wer-
8   Ebenda.                                                               den und stehen einer Plattform nur selten exklusiv zur

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                                                                                                                                       237
Zeitgespräch

      Verfügung. Sie haben oftmals nur begrenzte zeitliche Re-                    Fragen von besonderer Relevanz sind, zeigen Zusammen-
      levanz und es ist ebenso davon auszugehen, dass Daten                       schlüsse wie die von Google und DoubleClick oder auch
      einen abnehmenden Grenznutzen haben.9                                       Facebook und WhatsApp. Die Bewertung solcher Fu-
                                                                                  sionen ist für eine Kartellbehörde nicht ganz einfach. So
      Potenziell wettbewerbsbeschränkend könnten Daten also                       muss sie in der Lage sein einzuschätzen, ob und inwiefern
      insbesondere dann wirken, wenn sehr große Datenmen-                         es zu einem Problem durch die Zusammenführung von
      gen notwendig sind, um ein Angebot zu erstellen, und                        Daten kommen kann oder inwiefern große Daten Markt-
      diese von neu in den Markt eintretenden Plattformen nicht                   macht gegenüber den Wettbewerbern erzeugen können.
      generiert werden können. Ist der Grenzertrag der Daten                      Sind die beteiligten Daten jedoch leicht zu generieren oder
      positiv, so könnten Daten Skalenerträge aufweisen, die                      lässt ein Zusammenführen der verschiedenen Daten kei-
      dazu führen, dass der Nutzen aus einer größeren Menge                       ne wesentlichen Vorteile erwarten, ist wohl nicht mit einer
      an Informationen steigt bzw. die Kosten der Angebots-                       starken Einschränkung des Wettbewerbs zu rechnen.11
      bereitstellung abnehmen. Ebenso ist denkbar, dass eine
      „Mindestoptimale Datenmenge“ (analog zur Mindestopti-                       Datenschutz und Wettbewerb
      malen Betriebsgröße) existiert, die benötigt wird, um ein
      Angebot effizient zu erstellen. Eine Plattform könnte in die-                Zwar ist der Datenschutz nicht Gegenstand der Wettbe-
      sem Fall am Markteintritt gehindert werden, wenn sie die-                   werbspolitik, jedoch kann ein (fehlender) Datenschutz
      se Menge an Daten nicht generieren oder erwerben kann.                      direkte und indirekte Effekte auf die Wettbewerbspolitik
                                                                                  haben. Je mehr Daten eine Plattform beispielsweise über
      Ob eine Mindestoptimale Datenmenge existiert und wie                        die Zahlungsbereitschaft der Konsumenten besitzt, desto
      groß diese ist, ist vor allem eine empirische Frage, die                    eher ist sie in der Lage, diese Informationen für die Anwen-
      marktspezifisch beantwortet werden muss. Die Zahl der                        dung von Preisdiskriminierung zu nutzen. Im Extremfall
      Nutzer einer Navigationsapp etwa, die zu einer effizien-                     wäre sie in der Lage, vollkommene Preisdifferenzierung
      ten Stauvorhersage notwendig sind, dürfte stark von der                     durchzuführen. Auch beim Targeted Advertising, also der
      Größe der Stadt abhängen, für die die Vorhersage benö-                      zielgerichteten Werbung, die grundsätzlich zu einer Inten-
      tigt wird. Betrachtet man dagegen z.B. das maschinelle                      sivierung des Preiswettbewerbs führt, können unter Um-
      Erkennen menschlicher Sprache, so sollte der Nutzenzu-                      ständen Wettbewerbsprobleme entstehen. Je nachdem,
      wachs auch bei großen Datenmengen wie auch bei vielen                       wie stark die Netzeffekte sind, die dem Plattformmarkt
      anderen Anwendungen noch deutlich spürbar sein.10                           zugrundliegen, kann es zu einer Werbemenge oder auch
                                                                                  Werbepreisen kommen, die aus wohlfahrtsökonomischer
      Neben der bloßen Verfügbarkeit von Informationen, die zur                   Sicht zu hoch sind oder aber Spam zur Folge haben.12
      Erstellung eines Dienstes benötigt werden, ist allerdings
      auch die Fähigkeit zu deren Nutzung von wesentlicher Be-                    Die Frage ist also, inwiefern sich die Wettbewerbspolitik
      deutung. Je nach genutzter Technologie oder vorhande-                       möglicherweise in Zukunft auch mit Fragen auseinander
      nem Know-how werden Daten also möglicherweise mehr                          setzen muss, die originär datenschutzrechtlicher Natur
      oder weniger nützlich. Sind Skalenerträge besonders stark                   waren.
      oder können Daten tatsächlich exklusiv genutzt werden, ist
      auch vorstellbar, dass Daten als „Essential Facility“ dienen                Herausforderungen für die Wettbewerbspolitik
      können. In diesem Fall würde ein auf Daten basierendes
      natürliches Monopol vorliegen. Die Bestimmung des Aus-                      Aus den hier aufgeführten Bespielen lassen sich ver-
      maßes möglicher Skalenerträge ist jedoch für Juristen und                   schiedene Herausforderungen für eine Wettbewerbs-
      Ökonomen nur schwer vorzunehmen, zur Einschätzung                           politik der digitalen Ökonomie ableiten.13 Als erstes ist
      solcher Effekte sind auch Softwareentwickler gefragt.                       dabei eine adäquate Abgrenzung zweiseitiger Märkte zu
                                                                                  nennen. Dass digitale Märkte eine andere Abgrenzung
      Weitere Wettbewerbsprobleme können möglicherweise                           als analoge Märkte verlangen, ist nach den obigen Aus-
      durch den Zusammenschluss von Plattformen entstehen.                        führungen deutlich geworden. Auch wenn es bisher keine
      Hierbei geht es vor allem um die Frage, ob solche Fusio-
      nen anders zu bewerten sind, wenn die beteiligten Unter-
      nehmen im Besitz großer Datenmengen sind. Dass solche                       11 Vgl. R. Dewenter, H. Lüth, a.a.O.
                                                                                  12 Vgl. z.B. S. P. Anderson, A. de Palma: Competition for attention in the
                                                                                     Information (overload) Age, in: The RAND Journal of Economics, 43.
                                                                                     Jg. (2012), Nr. 1, S. 1-25.
      9  Vgl. R. Dewenter, H. Lüth: Big Data: Eine ökonomische Analyse, Mi-       13 Für eine ausführliche Diskussion des Reformbedarfs des Wettbe-
         meo.                                                                        werbsrechts vgl. den Aufsatz von D. Zimmer: Reicht das geltende
      10 Vgl. E. Junqué de Fortuny, D. Martens, F. Provost: Predictive Modeling      Wettbewerbsrecht aus oder bedarf es sektorspezifischer Regulierun-
         With Big Data: Is Bigger Really Better?, in: Big Data 1, S. 215-226.        gen?, in: Wirtschaftsdienst, 96. Jg. (2016), H. 4, S. 239-242.

                                                                                                                         Wirtschaftsdienst 2016 | 4
238
Zeitgespräch

etablierte Methode für eine solche Marktdefinition gibt, ist     Allerdings sind auch bei klar definierten Rechten Beein-
dies dennoch eine lösbare Aufgabe. Eine Änderung des            trächtigungen sowohl des Datenschutzes als auch des
Kartellrechts erfordert dies aus meiner Sicht jedoch nicht.     Wettbewerbs möglich. Geeignete Maßnahmen sind eine
                                                                erhöhte Transparenz darüber, welche Daten erhoben und
Eng verbunden mit der Marktabgrenzung ist die Feststel-         potenziell weitergegeben werden, sowie der Abbau von
lung von Marktmacht. Da einfache Preiskostenaufschlä-           Informationsasymmetrien. Auch können Opt-in- und Opt-
ge oder Marktanteile nicht geeignet sind, Marktmacht zu         out-Modelle die Positionen der Nutzer ebenso stärken
determinieren, muss ein anderer Weg gefunden werden.            wie eine bessere Portabilität der erhobenen Daten. Alle
Kartellbehörden müssen jedoch bis dahin auch ohne ein           diese Maßnahmen senken Wechselkosten und wirken
geeignetes Instrumentarium entsprechende Fälle beurtei-         daher wettbewerbsintensivierend.
len. Behörden sollten daher in der Lage sein, zweiseitige
Märkte zu verstehen und deren Wirkungsweise zu analy-           Ob und inwiefern eine Änderung des Kartellrechts not-
sieren. Gleiches gilt für die Beurteilung von (anti-)kompe-     wendig ist, um diesen Herausforderungen zu begegnen,
titivem Verhalten.                                              ist bisher noch unklar. Bezogen auf Unternehmenszusam-
                                                                menschlüsse können Daten schon jetzt in die Analyse von
Mindestens genau so große Herausforderungen entste-             Marktmacht einbezogen werden, da diese wie jede an-
hen durch die Existenz von Big Data. Das Sammeln und            dere die Marktmacht verstärkende Ressource behandelt
die Weitergabe persönlicher Daten kann sowohl zu Da-            werden können. Auch die Aufnahme des Kaufpreises als
tenschutz- als auch zu Wettbewerbsproblemen führen.             Aufgreifkriterium bei Zusammenschlüssen könnte eine
Ein möglicher Ansatzpunkt ist hier die klare Definition von      solche Modifikation sein. Ob weitere Änderungen not-
Verfügungsrechten. Ein Handel dieser Rechte kann mög-           wendig sind, wird die weitere noch ausstehende Analyse
licherweise in einigen Fällen Probleme verhindern.              zeigen.

Daniel Zimmer
Reicht das geltende Wettbewerbsrecht aus oder bedarf es
sektorspezifischer Regulierungen?

Vielen Menschen bereitet die starke Marktstellung ein-          Zudem sind Netzwerkeffekte in Rechnung zu stellen: Je
zelner Unternehmen der Digitalwirtschaft Sorge. Bei der         mehr Nutzer beispielsweise ein soziales Netzwerk hat,
Suchmaschine Google gehen rund 90% der Suchanfra-               um so attraktiver wird es für immer weitere Nutzer. Die
gen aus Europa ein. Das soziale Netzwerk Facebook hat           Konzentration auf ein großes soziales Netzwerk kann
15-mal so viele Seitenaufrufe wie das zweitgrößte. Wie ist      auch für die Nutzer Vorteile haben – sie müssen ihre
diese starke Marktkonzentration zu erklären? Und gibt sie       Freunde nicht auf verschiedenen Plattformen zusam-
tatsächlich Anlass zur Sorge?                                   mensuchen.

Marktkonzentration lässt sich oft mit wirtschaftlichen Ge-      Hinzu kommt, dass auch die Qualität mancher Dienste mit
gebenheiten erklären – und kann mitunter als eine Art na-       einer steigenden Nutzerzahl zunimmt: Die größte Such-
türliches Marktergebnis erscheinen. Bei manchen Diens-          maschine lernt aufgrund eines immensen Aufkommens
ten ist eine starke Marktkonzentration mit bestimmten           an Suchanfragen schneller und besser als jede andere,
Kostenstrukturen zu erklären: Die Schaffung einer digita-       was für die Menschen relevant ist – und was nicht. Eine
len Infrastruktur, etwa einer Plattform, kann sehr teuer, ih-   automatisierte Auswertung, auf welche Links der Treffer-
re Erstreckung auf immer weitere Nutzer dagegen zu sehr         liste die Nutzer bevorzugt klicken, erlaubt es der großen
geringen Kosten möglich sein. In einer solchen Situation        Suchmaschine, ihren Service für die Nutzer permanent
fällt einer etablierten Plattform die Ausdehnung auf immer      zu verbessern. Wenn danach hohe Marktkonzentrationen
weitere Nutzer leicht, für später in den Markt eintreten-       bei manchen Diensten sozusagen als natürliches Markt-
de Wettbewerber kann es dagegen schwierig sein, einen           ergebnis erscheinen können – wie ist dies wettbewerbs-
nennenswerten Marktanteil zu erringen.                          politisch zu bewerten?

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                                                                                                                            239
Zeitgespräch

      Bewertung von Regulierungsvorschlägen                          lichen Beurteilung konkreter Fälle zu berücksichtigen.
                                                                     Wichtig ist, alle Seiten einer Plattform in die Analyse mit
      Die deutsche Monopolkommission hat im Juni 2015 ein            einzubeziehen und direkte wie indirekte Netzwerkeffekte
      Gutachten zum Wettbewerb auf digitalen Märkten vorge-          in ihrer wirtschaftlichen Bedeutung zu erfassen. Die Beur-
      legt, das einige der in der öffentlichen Debatte diskutier-    teilung der Wettbewerbssituation auf mehrseitigen Platt-
      ten Regulierungsvorschläge bewertet. Das Gutachten rät         formen erfordert eine Gesamtbetrachtung, in der anderen
      davon ab, die großen Plattformen etwa durch eine Auf-          Faktoren als Marktanteilen gesteigerte Bedeutung zuzu-
      spaltung zu verkleinern und auf diese Weise Raum für           messen ist, beispielsweise direkten und indirekten Netz-
      Wettbewerb zwischen mehreren kleineren Anbietern zu            werkeffekten, der Verfügbarkeit von Nutzerdaten und der
      schaffen. Denn zum Teil verschafft gerade die große Nut-       auf dem betrachteten Markt bestehenden Dynamik.
      zerbasis Vorteile, die den Nutzern zugute kommen.
                                                                     Insbesondere bei der Abgrenzung von Märkten ist den
      Aus dem Blickwinkel der Wirtschaftswissenschaften lau-         Besonderheiten mehrseitiger Märkte verstärkt Rech-
      tet eine zentrale Frage: Ist eine Marktstellung angreifbar     nung zu tragen. Die herkömmlichen Methoden, die für
      oder nicht? Solange ein Anbieter die Sorge haben muss,         die Marktabgrenzung auf einseitigen Märkten entwickelt
      dass ihm ein Konkurrent einen erheblichen Teil der Kund-       worden sind (z.B. der sogenannte SSNIP-Test), taugen
      schaft abwirbt, muss er weiter um diese Kunden werben          nicht ohne Weiteres im Hinblick auf mehrseitige Plattfor-
      – beispielsweise mit innovativen Produkten und guter           men.
      Qualität. Auf den durch Technologie getriebenen digita-
      len Märkten ist ein solcher Wettbewerb oft festzustellen:      Auch ist die Unterteilung von Online-Werbung in such-
      Große Unternehmen versuchen immer wieder, in Domä-             gebundene und nicht suchgebundene Werbung zu hin-
      nen der anderen einzudringen, und deshalb bemühen              terfragen, da technische Weiterentwicklungen zu einer
      sich auch sehr erfolgreiche Firmen ständig um Innova-          Annäherung beider Werbeformen geführt haben. So
      tion und gute Produktqualität. Das heißt, auch wenn es         kann aufgrund der heutigen technischen Möglichkeiten
      paradox klingen mag: Auch Monopolisten können unter            auch Display-Werbung oft sehr zielgerichtet unter Be-
      dem Druck des Wettbewerbs stehen – nämlich unter dem           rücksichtigung der Interessen und Vorlieben des Nutzers
      Druck potenziellen Wettbewerbs. Unter dieser Voraus-           eingesetzt werden – ein Vorteil, der in der Vergangenheit
      setzung kann ein Monopol für Verbraucher ebenso gute           vornehmlich der sogenannten Suchwerbung vorbehalten
      Ergebnisse hervorbringen wie ein Markt mit zahlreichen         war, die sich an der Eingabe von Suchbegriffen durch den
      Anbietern: Wenn ein Monopolist (oder Quasi-Monopolist)         Nutzer einer Suchmaschine orientiert. Mit der verbesser-
      sich weiterhin mit niedrigen Preisen, guter Qualität und in-   ten Möglichkeit eines „Targeting“ auch bei der Display-
      novativen Produkten um die Gunst seiner Kundschaft be-         Werbung stellt sich die Frage, ob beide Werbeformen –
      mühen muss, kann dies für Verbraucher gute Ergebnisse          Such- und Display-Werbung – für Werbetreibende zuneh-
      hervorbringen.                                                 mend austauschbar werden und daher als miteinander
                                                                     im Wettbewerb stehend anzusehen sind. Ferner sollten
      Ist nach alledem aus Sicht der Wettbewerbspolitik Ent-         mögliche Substitutionsbeziehungen zwischen Online-
      warnung angesagt? Nein. Es ist von zentraler Bedeu-            und Offline-Werbung beachtet werden.
      tung, dass marktstarke Firmen angreifbar bleiben, dass
      sie sich nicht durch ihr eigenes Verhalten vom Wettbe-         Vorschläge der Monopolkommission
      werb abschotten, d.h. das Wettbewerbsrecht muss zum
      einen verhindern, dass marktstarke Firmen ihre eigenen         Die Monopolkommission macht darüber hinaus konkre-
      Konkurrenten vom Markt wegkaufen. Und es muss ver-             te Vorschläge für eine Weiterentwicklung der Fusions-
      hindern, dass sie durch missbräuchliche Praktiken, etwa        kontrolle und der Missbrauchsaufsicht über marktbe-
      missbräuchliche Vertragsschlüsse, den Markt abschot-           herrschende Unternehmen: Der Anwendungsbereich
      ten. Das Mittel, solche Praktiken zu verhindern, ist das       der Fusionskontrolle sollte erweitert werden, damit auch
      Wettbewerbsrecht. Was bedeutet das konkret? Zunächst           Zusammenschlüsse von Unternehmen kontrollpflich-
      müssen die bestehenden Regeln des Wettbewerbsrechts            tig werden, die bisher zwar nur geringe Umsätze, aber
      konsequent angewandt werden.                                   offenbar ein hohes Marktpotenzial haben, das in einem
                                                                     hohen Kaufpreis zum Ausdruck kommt. Bisher greift die
      Für die Wettbewerbspolitik stellen die besonderen Eigen-       europäische und die deutsche Fusionskontrolle nur ein,
      schaften von mehrseitigen Plattformen eine Herausfor-          wenn die am Zusammenschluss beteiligten Unternehmen
      derung dar. Die grundlegenden Zusammenhänge und die            bestimmte Umsätze erzielt haben. So ist die Europäische
      Komplexität mehrseitiger Plattformen sind von Wettbe-          Fusionskontrollverordnung nur anwendbar, wenn die am
      werbsbehörden und Gerichten bei der wettbewerbsrecht-          Zusammenschluss beteiligten Unternehmen insgesamt

                                                                                                    Wirtschaftsdienst 2016 | 4
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mindestens 2,5 Mrd. Euro im Jahr umgesetzt haben (Art. 1            tens einem beteiligten Unternehmen 100 Mio. Euro über-
Abs. 3 der Fusionskontrollverordnung). Außerdem muss                steigt.“
ein weiteres am Zusammenschluss beteiligtes Unterneh-
men in der Europäischen Union Umsätze in Millionenhöhe              Für die nationale Fusionskontrolle nach dem deutschen
erzielt haben (vgl. Art. 1 Abs. 3 lit. c, d; ferner Art. 1 Abs. 2   Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen hat die Mo-
lit. b der Fusionskontrollverordnung). In der digitalen Wirt-       nopolkommission eine entsprechende Bestimmung vor-
schaft werden aber oft Unternehmen in einem frühen                  geschlagen, die ein Abstellen auf den Transaktionswert –
Stadium verkauft, in dem sie noch keine oder nur gerin-             etwa den Kaufpreis – anstelle eines solchen auf Umsätze
ge Umsätze erzielt haben. Beispielsweise werden soge-               erlaubt.
nannte Start-ups oft für Millionen von US-Dollar verkauft,
weil der Käufer meint, mit der von dem Unternehmen                  Ein weiterer Vorschlag der Monopolkommission betrifft
verfolgten Geschäftsidee in Zukunft viel Geld verdienen             die Missbrauchsaufsicht über marktbeherrschende Un-
zu können. Ein solcher Erwerb wird bisher nicht von der             ternehmen. Verfahren in Missbrauchsfällen dürfen in
Europäischen Kommission oder vom Bundeskartellamt                   Zukunft nicht mehr so lange dauern, dass marktbeherr-
geprüft. Wie unbefriedigend der bisherige Rechtszustand             schende Unternehmen durch fortgesetzten Missbrauch
ist, kann am Erwerb des Messengerdienstes WhatsApp                  während des Verfahrens ihre Marktstellung noch fes-
durch Facebook gezeigt werden: Gemessen am Umsatz                   tigen. Mit Artikel 9 der Verordnung 1/2003 ist die Mög-
unterfiel der Kauf weder der europäischen noch der deut-             lichkeit zu einer einvernehmlichen Verfahrensbeendigung
schen Fusionskontrolle – denn vor der Transaktion hatte             durch Zusagen (commitments) der Unternehmen aus-
WhatsApp keine großen Umsätze erzielt. Der Zusammen-                drücklich anerkannt worden, um zu einer Beschleuni-
schluss von Facebook und WhatsApp konnte letztlich nur              gung der Verfahren zu kommen. Das Gegenteil ist aber
deshalb von der Europäischen Kommission geprüft wer-                eingetreten: Zusagenverfahren dauern oft sogar länger
den, weil er in drei Mitgliedstaaten nach deren nationalem          als streitige Verfahren. So zieht sich das gegen Google
Recht kontrollpflichtig war.                                         geführte Kommissionsverfahren durch Verhandlungen
                                                                    über von Google angebotene Zusagen bereits seit über
In solchen Fällen kommt das wirtschaftliche Potenzial               fünf Jahren hin, und es ist bis heute nicht abgeschlossen.
eines Unternehmens oft in dem hierfür gebotenen oder                Die Monopolkommission macht Vorschläge dazu, wie
gezahlten Kaufpreis besser zum Ausdruck als in zuvor                Anreize für einen zügigen Abschluss von Missbrauchs-
erzielten Umsätzen (die bisher das alleinige Maß für die            verfahren geschaffen werden können. Sie empfiehlt der
Frage der Anwendbarkeit der Fusionskontrolle darstellen).           Europäischen Kommission, das Instrument der Eilverfah-
Deshalb sollten weitere Aufgreiftatbestände festgelegt              ren (interim measures) in Missbrauchsfällen auf digitalen
werden, die an das Transaktionsvolumen anknüpfen. Sol-              Märkten stärker einzusetzen. Und sie regt weiter eine
che Regelungen sind zur Schließung von Schutzlücken                 Änderung der verfahrensrechtlichen Vorschriften dahin-
erforderlich: Auch Fälle des Erwerbs von Unternehmen,               gehend an, dass ein Zusagenverfahren nach Ablauf einer
die in der Vergangenheit keine hohen Umsätze erzielt                angemessenen Frist in ein streitiges Verfahren nach Ar-
haben, können im Hinblick auf ihre große wirtschaftliche            tikel 7 Verordnung 1/2003 übergeleitet wird. Das könnte
Bedeutung aus wettbewerblicher Perspektive bedenk-                  einen Anreiz für Kommission und Unternehmen schaffen,
lich erscheinen. Die Monopolkommission hat daher den                innerhalb eines begrenzten Zeitraums – beispielsweise
Vorschlag gemacht, Artikel 1 der Fusionskontrollverord-             innerhalb eines Jahres nach Verfahrenseröffnung – den
nung um folgenden Absatz 6 zu ergänzen: „Die Umsatz-                verfolgten Verstoß durch zugesagte Maßnahmen abzu-
schwellen des Absatzes 2 gelten auch dann als über-                 stellen. Anderenfalls führt an einer streitigen Entschei-
schritten, wenn der Wert der Leistung eines beteiligten             dung der Kommission kein Weg vorbei.
Unternehmens mehr als 5 Mrd. Euro beträgt und ein
gemeinschaftsweiter Gesamtumsatz von mindestens ei-                 Spezielle Regulierung für Suchmaschinen?
nem beteiligten Unternehmen von mehr als 250 Mio. Euro
erzielt wird. Die Umsatzschwellen des Absatzes 3 gelten             Eine spezielle Regulierung für Suchmaschinen ist aus
auch dann als überschritten, wenn der Wert der Leistung             Sicht der Monopolkommission jedenfalls derzeit nicht zu
eines beteiligten Unternehmens mehr als 2,5 Mrd. Euro               befürworten. Eine staatliche Kontrolle des Suchalgorith-
beträgt, der Gesamtumsatz aller beteiligten Unterneh-               mus würde, falls sie überhaupt technisch zu realisieren
men in mindestens drei Mitgliedstaaten jeweils 100 Mio.             wäre, einen erheblichen Einsatz öffentlicher Mittel erfor-
Euro übersteigt, in jedem von mindestens drei dieser Mit-           dern. Der Nachweis einer missbräuchlichen Gestaltung
gliedstaaten der Gesamtumsatz von mindestens einem                  des Algorithmus wäre auch im Fall eines solchen tech-
beteiligten Unternehmen mehr als 25 Mio. Euro beträgt               nischen Zugriffs schwer zu führen. Zudem ist in diesem
und der gemeinschaftsweite Gesamtumsatz von mindes-                 Zusammenhang zu bedenken, dass der Betreiber einer

ZBW – Leibniz-Informationszentrum Wirtschaft
                                                                                                                                 241
Zeitgespräch

      Suchmaschine nicht auf eine Beeinflussung des Algorith-                      gen Zeitpunkt erschiene sie auch unverhältnismäßig. Eine
      mus angewiesen ist, um bei der Anzeige eigener Dienste                      Entflechtung könnte allenfalls dann erwogen werden,
      Vorteile zu erzielen: Für den Betreiber reicht die Kenntnis                 wenn eine Suchplattform über eine irreversibel verfes-
      des Algorithmus, um die Webseiten eigener Dienste so zu                     tigte Marktmacht verfügt. Solange demgegenüber eine
      gestalten, dass sie einen vorderen Platz auf der generi-                    Chance auf eine Belebung von Wettbewerbskräften ge-
      schen Trefferliste erreichen.                                               geben erscheint, ist von einem derart schwerwiegenden
                                                                                  Eingriff in existierende Unternehmensstrukturen abzura-
      Auch eine Verpflichtung zur Veröffentlichung des Suchal-                     ten, auch weil Rationalisierungsvorteile zunichtegemacht
      gorithmus wäre nicht zu befürworten. Wäre der Algo-                         würden und bestehende Größen- und Verbundvorteile,
      rithmus öffentlich bekannt, könnte eine im Licht dieser                     die Nutzern zugute kommen, verloren gingen. Davon ab-
      Kenntnis einsetzende inhaltliche Optimierung sämtlicher                     gesehen ist fraglich, ob sich etwaige Entflechtungsmaß-
      oder nahezu sämtlicher Webseiten die Selektionsfunk-                        nahmen gegenüber außerhalb Deutschlands ansässigen
      tion der Suchmaschine – die Ordnung von Seiten nach                         Plattformbetreibern überwachen und durchsetzen ließen.
      deren Relevanz für Suchende – praktisch neutralisieren.
      Schließlich wäre auch eine Pflicht zur Offenlegung oder                      Die europäische Datenschutz-Grundverordnung, die
      zur Teilung des Webindex mit konkurrierenden Suchma-                        2018 in Kraft treten wird, ist aus wettbewerbspolitischem
      schinen nicht zu befürworten, da sie Anreize zur Erstel-                    Blickwinkel zu begrüßen: Sie ist auf Unternehmen aus
      lung und ständigen Aktualisierung des Index beseitigen                      Drittstaaten ebenso anwendbar wie auf Unternehmen aus
      würde. Dagegen ist schon nach geltendem Recht von                           Europa und sieht bei Verstößen drastische Sanktionen vor
      einer Pflicht des Suchmaschinenbetreibers auszugehen,                        – in ähnlicher Größenordnung wie das europäische Kar-
      bezahlte Werbung (bezahlte Links) als solche auszuwei-                      tellrecht. Das in der Verordnung vorgesehene Recht der
      sen (Trennungsgebot).                                                       Nutzer zur Mitnahme von Daten von einem Unternehmen
                                                                                  zu anderen – die sogenannte Datenportabilität – kann den
      Eine Entflechtung von allgemeiner Suche und spezia-                          Wettbewerb fördern: Wenn Nutzer ihre Daten mitnehmen
      lisierten Diensten, wie sie teilweise vorgeschlagen wird,                   können, werden sie nicht mehr in dem „Ökosystem“ des
      hält die Monopolkommission nicht für geeignet, etwaige                      einen oder anderen Unternehmens festgehalten, wie es
      Marktverzerrungen effektiv zu mindern. Zum gegenwärti-                      derzeit der Fall ist.

      Iris Henseler-Unger, René Arnold, Christian Hildebrandt
      Ein neuer Ansatz für die Analyse internetbasierter Plattformen
      Die starke Position einiger weniger internetbasierter Platt-                Trotz dieser Aktivitäten und der offensichtlichen Relevanz
      formen wie Google, Amazon, Facebook und Apple (GAFA)                        des Themas ist bis heute weder deren Stoßrichtung klar
      hat eine Debatte über ihre wirtschaftliche Dominanz, ihre                   erkennbar, noch finden sich allgemeine Analyseansätze
      Datensammelwut und ihre Sogwirkung auf Nutzer ausge-                        und erst recht keine konsistente und fundierte Definition
      löst. Ein Sondergutachten der Monopolkommission, das                        für internetbasierte Plattformen. Schon deshalb bedarf
      EU-Kartellverfahren gegen Google Search und die jüngs-                      es zunächst einer sorgfältigen Analyse. Nur so kann der
      ten Ermittlungen des Bundeskartellamts gegen Facebook                       tatsächliche Handlungsbedarf korrekt identifiziert werden.
      wie auch der Aufbau neuer Stäbe in der Bundesnetzagen-                      Hierzu schlägt dieser Beitrag vor, ein Analyseinstrument
      tur und im Bundeskartellamt unterstreichen die Intensität                   zu entwickeln, das nach der Logik des „More Economic
      der Debatte und den empfundenen Handlungsdruck.1                            Approach“ die wettbewerbsrechtliche Bewertung komple-
                                                                                  mentiert.
      1    Vgl. R. Dewenter: Die „Task Force Internetplattformen“ des Bun-
           deskartellamts, in: Wirtschaft und Wettbewerb, 66. Jg. (2016), H. 3,   Sind internetbasierte Plattformen Problem oder
           S. 101; Bundesnetzagentur: Tätigkeitsbericht Telekommunikation
           2014/2015, Bonn 2015, S. 89-90; Wissenschaftlicher Arbeitskreis für    Problemlöser?
           Regulierungsfragen (WAR) bei der Bundesnetzagentur: Evolution der
           Regulierung in den Telekommunikations- und Mediensektoren ange-        Internetbasierte Plattformen sind zunächst nicht ein Prob-
           sichts der Relevanzzunahme von OTT-Anbietern, Bonn 2015; Body of
           European Regulators for Electronic Communications (BEREC): Re-         lem, sondern Problemlöser. So ermöglichen Suchmaschi-
           port on OTT-Services, BoR, 16. Jg. (2016), Nr. 35, Riga 2016.          nen das gezielte Finden von Informationen im stetig wach-

                                                                                                                 Wirtschaftsdienst 2016 | 4
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