Wettbewerbspolitik in der digitalen Wirtschaft - Wirtschaftsdienst
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DOI: 10.1007/s10273-016-1964-6 Zeitgespräch Wettbewerbspolitik in der digitalen Wirtschaft Soziale Netzwerke, Suchmaschinen und der Online-Handel zeichnen sich auf den ersten Blick dadurch aus, dass hier sehr große Unternehmen den Markt beherrschen. Ob dies aber zu Wettbewerbsbeschränkungen führt, wie digitale Märkte sinnvoll abzugrenzen und wie faire Marktbedingungen herzustellen sind, darüber diskutieren die Autoren des Zeitgesprächs. Jan Krämer* Herausforderungen bei der Bestimmung von Marktmacht in digitalen Märkten Internetkonzerne wie Alphabet (ehemals Google), Face- levanten Marktes voraussetzen, als sehr komplex und be- book oder Yahoo bieten digitale Dienste wie Suche, So- dingen in der Regel einen hohen Datenbedarf. Bevor auf ziale Netzwerke und Nachrichten an, die aus unserem die Herausforderungen bei der Bestimmung von Markt- täglichen Leben nicht mehr wegzudenken sind. Die wirt- macht in digitalen Märkten genauer eingegangen wird, schaftliche Bedeutung dieser Unternehmen ist jedoch ist es jedoch zielführend, zunächst auf einige wesentliche schwieriger zu erfassen, da diese Unternehmen keine Eigenschaften und Besonderheiten digitaler Dienste und physischen Güter (in nennenswertem Umfang) produ- Märkte hinzuweisen. zieren. Gemessen an der Marktkapitalisierung liegt der Unternehmenswert von Internetkonzernen oftmals um Eigenschaften und Besonderheiten digitaler Märkte ein Vielfaches höher als der von etablierten Industrie- unternehmen, die physische Güter produzieren. So ist Ein wesentliches Charakteristikum von digitalen Diensten beispielsweise Facebook derzeit (März 2016) mit ca. und Märkten ist, dass diese größere Gestaltungsmöglich- 240 Mrd. Euro und der Volkswagen-Konzern lediglich mit keiten aufweisen, als dies bei traditionellen Diensten und ca. 62 Mrd. Euro bewertet. Gemessen am realen Um- Märkten der Fall ist. Abgeleitet von den Attributen digi- satz liegen die großen Internetkonzerne jedoch oft hin- taler Güter äußern sich diese Gestaltungsmöglichkeiten ter den großen Industrieunternehmen zurück. Beispiels- beispielsweise in vielfältigen Möglichkeiten der weise konnte Facebook 2014 weltweit einen Umsatz von 12,47 Mrd. US-$ und der Volkswagen-Konzern einen • Personalisierung des digitalen Dienstangebots, Pro- Umsatz von 268,87 Mrd. US-$ erzielen.1 dukts oder Marktes (z.B. hinsichtlich persönlicher Vor- lieben und Eigenschaften oder sozialer Strukturen), Es ist daher offensichtlich, dass die digitale Wirtschaft nicht unmittelbar mit der physischen Wirtschaft ver- • Differenzierung verschiedener Qualitätsstufen (z.B. gleichbar ist. Dennoch gelten die Grundsätze des Wett- hinsichtlich Inhalt und Funktionsumfang, Geschwin- bewerbsrechts, insbesondere hinsichtlich des Miss- digkeit und Dauer der Bereitstellung), brauchs von Marktmacht, selbstverständlich auch im Cy- berspace. Wie im Folgenden beschrieben wird, gestaltet • Gestaltung von Produkt- und Dienstmerkmalen zur sich die Feststellung von Marktmacht mit etablierten Me- Herbeiführung von direkten und indirekten Netzwerk- thoden, insbesondere da diese eine Abgrenzung des re- effekten (z.B. durch Werbeeinblendung, Einbettung von Empfehlungen oder Kommunikationsmöglichkei- * Dieser Artikel basiert auf einem Teil des Beitrags des Autors zur Me- ten). tastudie zum Fachdialog Ordnungsrahmen für die Digitale Wirtschaft, die im Auftrag des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie (BMWi) angefertigt wurde. Daraus ergeben sich breit gefächerte Möglichkeiten für 1 Quelle: Statista. digitale Geschäftsmodelle (im Sinne des Angebots digi- ZBW – Leibniz-Informationszentrum Wirtschaft 231
Zeitgespräch taler Dienste oder Produkte), die jedoch entscheidende den und somit die Qualität des erbrachten Dienstes Gemeinsamkeiten aufweisen: nicht ohne ein enges Zusammenwirken mit anderen Akteuren der Digitalwirtschaft (insbesondere Netzbe- • Aufgrund der weiteren Eigenschaften digitaler Güter, treibern) garantiert werden kann. Dies kann wiederum insbesondere sehr geringer bis praktisch nicht vor- die Marktmacht der digitalen Dienstanbieter beschrän- handener marginaler Kosten sowie Nicht-Rivalität des ken. Konsums skalieren digitale Geschäftsmodelle in der Regel sehr gut. Es gibt praktisch kaum Kapazitäts- grenzen für die Bereitstellung eines digitalen Ange- Traditionelle Vorgehensweise zur Bestimmung von bots. Diese ergeben sich allenfalls kurzfristig aus Ka- Marktmacht pazitätsbeschränkungen der technischen Infrastruktur (z.B. Server, Kommunikationsnetze) oder im Personal- Marktmacht bzw. der Missbrauch von Marktmacht stellt bedarf (z.B. in der Kundenbetreuung), die beide in der ein wesentliches Kriterium für einen wettbewerbsrechtli- Regel dynamisch angepasst werden können. So ist es chen oder regulatorischen Eingriff dar. Bei der Feststel- einem einzigen Anbieter grundsätzlich möglich, die ge- lung von Marktmacht muss zunächst der sachlich und samte (weltweite) Nachfrage zu befriedigen. räumlich relevante Markt bestimmt werden, um daraus im Anschluss z.B. Marktanteile, die Marktkonzentrati- • Bei Vorhandensein von Netzwerkeffekten begünstigen on oder Marktzutrittsschranken ableiten zu können, was selbstverstärkende Effekte zudem das Wachstum ei- letztendlich Aufschluss über die bestehende Marktmacht nes digitalen Angebots und führen oftmals zu starker geben soll. Grundsätzlich ist der relevante Markt anhand Nachfragekonzentration auf wenige oder sogar nur ei- der Wettbewerbskräfte zu bestimmen, die auf die in die- nen Dienst. In diesem Sinne können Netzwerkeffekte sem Markt aktiven Unternehmen wirken. Im Folgenden auch Markteintrittsbarrieren konstituieren, da konkur- sind die Ausführungen auf die Abgrenzung des sachli- rierende Angebote erst dann für eine breite Öffentlich- chen relevanten Marktes beschränkt, da eine räumliche keit interessant werden, wenn sie bereits von einer kri- Abgrenzung bei Internetmärkten offensichtlich weniger tischen Masse genutzt werden. bedeutend ist. • Die Möglichkeit zur Personalisierung impliziert, dass Als wichtigste Wettbewerbskräfte bei der sachlichen Anbieter digitaler Produkte und Dienstleistungen in der Marktabgrenzung sind Nachfrage- und Angebotssubs- Regel ein starkes Interesse an der Erhebung und Aus- tituierbarkeit sowie potenzieller Wettbewerb zu nennen. wertung von Daten über ihre Kunden, deren Präferen- Traditionell wird dabei vor allem auf die Nachfragesubs- zen und soziale Vernetzung haben. Personenbezogene tituierbarkeit abgestellt, da diese mutmaßlich am unmit- Daten können auch zur verbesserten Schaltung zielge- telbarsten wirkt.2 In der überwiegenden Praxis, sowohl in richteter Werbung (Targeting) genutzt werden, was in Europa als auch in den USA, wird eine Marktabgrenzung vielen Fällen die Grundlage des digitalen Geschäfts- daher vor allem mit Hilfe der Fiktion eines hypothetischen modells darstellt. Zusammengenommen bedeutet Monopolisten, kurz HM-Test, durchgeführt. Die Idee des dies, dass eine superiore Datenbasis einen wesentli- HM-Tests ist es, dass zumindest ein Unternehmen mit chen Wettbewerbsvorteil begründen kann. Fehlender 100% Marktanteil (d.h. ein Monopolist) in der Lage sein Zugang zu Daten kann in diesem Sinne eine weitere müsste, im relevanten Markt Marktmacht auszuüben. Ist signifikante Markteintrittsbarriere in digitalen Märkten dies nicht der Fall, dann ist der relevante Markt zu weit konstituieren. gefasst und sollte enger ausgelegt werden. In diesem Kontext wird Marktmacht als die Fähigkeit eines Unter- • Digitale Geschäftsmodelle bedingen das Vorhanden- nehmens verstanden, dauerhaft höhere Preise im relevan- sein einer technischen Infrastruktur. Die Besonderheit ten Markt durchzusetzen. Dieses Konzept findet Anwen- liegt hier in der Tatsache, dass Anbieter digitaler Ge- dung im sogenannten SSNIP-Test, der hierbei eine gerin- schäftsmodelle keine vollständige Kontrolle über die ge, aber signifikante, dauerhafte Preiserhöhung (SSNIP: Auswahl dieser technischen Infrastruktur haben, die „small significant non-transitory increase in price“) in der zumindest zum Teil von anderen, in der Regel unab- Regel von 5% bis 10% über einen Zeitraum von einem hängigen, Firmen bereitgestellt wird. Wesentliche Aus- Jahr unterstellt. wahlentscheidungen über die technische Infrastruktur werden zudem vom Kunden getroffen (z.B. hinsichtlich der Anschlusstechnologie oder des Endgeräts), so 2 Vgl. dazu insbesondere die Bekanntmachung der Europäischen Kom- dass sogenannte Over-the-top-Anbieter in der Regel mission über die Definition des relevanten Marktes, Amtsblatt Nr. C eine sehr heterogene technische Infrastruktur vorfin- 372 vom 9.12.1997. Wirtschaftsdienst 2016 | 4 232
Zeitgespräch Prof. Dr. Ralf Dewenter lehrt Indust- Angebotssubstituierbarkeit hingegen wird dadurch be- rieökonomik an der Helmut-Schmidt- gründet, dass andere Unternehmen, die technisch ähn- Universität in Hamburg. liche, aber aus Nachfragesicht nicht unmittelbar substi- tuierbare Produkte herstellen, kurzfristig ihre Produktion umstellen könnten und auf diese Weise ebenfalls einen Wettbewerbsdruck ausüben. Angebotssubstituierbarkeit kann konzeptionell durch eine Anpassung der unterstell- ten Kreuzpreiselastizitäten in den HM-Test integriert wer- den.3 Empirisch ist dies jedoch nur schwer operationali- sierbar und findet daher in der Praxis kaum Anwendung. Prof. Dr. Daniel Zimmer, LL.M., ist Angebotssubstituierbarkeit findet darüber hinaus nach geschäftsführender Direktor des Insti- den Grundsätzen der Europäischen Kommission keine tuts für Handels- und Wirtschaftsrecht Anwendung in der Marktdefinition, wenn die Umstellung und des Center for Advanced Studies der Produktion erhebliche Investitionen, strategische in Law and Economics (CASTLE) Entscheidungen oder zeitliche Verzögerungen mit sich der Universität Bonn und war bis vor brächte.4 kurzem Vorsitzender der Monopol- kommission. Potenzieller Wettbewerb begründet sich aus der Theo- rie der bestreitbaren Märkte, die auf relativ engen theo- Dr. Iris Henseler-Unger ist Ge- retischen Annahmen (z.B. keine Markteintritts- oder schäftsführerin und Direktorin des Marktaustrittsbarrieren) beruht, die in physischen Pro- Wissenschaftlichen Instituts für Infra- duktmärkten kaum anzutreffen sind.5 Bei der Marktdefi- struktur und Kommunikationsdienste (WIK) in Bad Honnef. 3 Vgl. W. Briglauer: Conceptual problems with the hypothetical mono- polist test in ex-ante regulation of communications under the new re- gulatory framework, in: Journal of Competition Law and Economics, 4. Jg. (2008), Nr. 2, S. 311-334. 4 Vgl. Europäischen Kommission über die Definition des relevanten Marktes, a.a.O. Dr. René Arnold ist Leiter der Abtei- 5 Für eine Kritik an der Theorie der zweiseitigen Märkte vgl. z.B. M. lung Märkte und Perspektiven des Schwartz, R. J. Reynolds: Contestable markets: An uprising in the theory of industry structure: Comment in: American Economic Re- Wissenschaftlichen Instituts für Infra- view, 73. Jg. (1983), Nr. 3, S. 488-490. struktur und Kommunikationsdienste (WIK) in Bad Honnef. Christian Hildebrandt, Dipl.-Volks- wirt, ist wissenschaftlicher Mitarbeiter der Abteilung Märkte und Perspektiven Die Autoren des Zeitgesprächs am Wissenschaftlichen Institut für Inf- rastruktur und Kommunikationsdienste (WIK) in Bad Honnef. Prof. Dr. Jan Krämer ist Inhaber Prof. Dr. Günter Knieps ist Direktor des Lehrstuhls für Wirtschaftsin- des Instituts für Verkehrswissenschaft formatik mit Schwerpunkt Internet- und Regionalpolitik der Albert-Lud- und Telekommunikationswirtschaft wigs-Universität Freiburg. an der Universität Passau. ZBW – Leibniz-Informationszentrum Wirtschaft 233 233
Zeitgespräch nition findet potenzieller Wettbewerb daher traditionell Erhöhung der Werbeeinblendungen) Marktmacht aus- keine Berücksichtigung. üben werden. • Digitale Märkte unterliegen einer hohen technischen Herausforderungen bei der traditionellen Dynamik. Der HM-Test geht jedoch implizit von stati- Marktabgrenzung in digitalen Märkten schen (d.h. zeitlich weitgehend invarianten) Marktver- hältnissen aus. Zunächst ist festzuhalten, dass Wettbewerbs- und Regu- lierungsbehörden über die Jahre große Expertise in der Hierbei soll nicht der Eindruck erweckt werden, dass je- Marktabgrenzung mit Hilfe des HM-Tests in traditionellen der dieser Punkte grundsätzlich neu im Kontext digitaler Märkten gesammelt haben, was wesentlich zur Erhöhung Märkte sei oder dass es aus wissenschaftlicher Sicht der Transparenz und Rechtssicherheit beigetragen hat. keine konzeptionellen Lösungsansätze gäbe. Die Heraus- Im Kontext von digitalen Märkten ergibt sich allerdings ei- forderung besteht allerdings darin, dass die oben aufge- ne Reihe von Herausforderungen bei der Abgrenzung von führten Probleme bei der Abgrenzung digitaler Märkte Märkten mittels des HM-Tests, die im Folgenden (nicht oftmals in Kombination auftreten und dass die konzeptio- abschließend) skizziert werden: nellen Lösungsansätze in der Regel hohe Anforderun- gen an die verfügbare Datenmenge und -qualität stellen • Vielfältige Substitutionsbeziehungen aufgrund von und somit in der Praxis selten operationalisierbar sein Konvergenz und Multifunktionalität digitaler Dienste werden.6 Die hohe Komplexität der Marktabgrenzung in erschweren die Erhebung der Nachfragesubstitution. diesem Kontext führt zwangsläufig auch zu einer geringe- Insbesondere birgt dies die Gefahr, dass Märkte zu ren Robustheit, was dem Transparenzanspruch und der weit gefasst werden, was die Feststellung von Markt- hohen Rechtssicherheit, die sich bisher aus der Anwen- macht unwahrscheinlicher werden ließe. dung des HM-Tests ergeben haben, zuwiderläuft. Es ist darüber hinaus zu befürchten, dass die hohen Datenan- • Darüber hinaus können Nachfragesubstitutionsbezie- forderungen kartellrechtliche Verfahren eher verlängern, hungen asymmetrisch ausgeprägt sein, z.B. wenn ein obwohl im dynamischen Umfeld der digitalen Wirtschaft, Dienst mit niedriger Funktionalität (z.B. SMS) durch bei dem gerade ein Behinderungsmissbrauch von auf- einen Dienst mit hoher Funktionalität (z.B. WhatsApp- kommenden Wettbewerbern zu befürchten ist,7 eine Be- Nachricht) substituiert wird, jedoch nicht umgekehrt. schleunigung der Verfahren angebracht wäre. • Andererseits versuchen digitale Dienstanbieter sich insbesondere durch exklusive Inhalte (z.B. exklusive Bedeutung von Angebotssubstitution und Serien bei Videostreaming-Diensten) oder Personali- potenziellem Wettbewerb sierung des Dienstangebots (z.B. personalisierte Mu- sikempfehlungen auf Basis der bisherigen Nutzungs- Nachfragesubstitution und der HM-Test sollten auch im historie) zu differenzieren. Dies erschwert wiederum Kontext von digitalen Märkten dennoch nicht grundsätz- die Erhebung der (hypothetischen) Nachfragesubstitu- lich infrage gestellt werden. Dennoch ist gerade bei di- tion und könnte ebenfalls mit zu weit gefassten Märk- gitalen Märkten darüber nachzudenken, ob der Wettbe- ten verbunden sein. werbsdruck, der von Angebotssubstitution und potenziel- lem Wettbewerb ausgeht, nicht eine höhere Bedeutung • Digitale Dienste werden zudem oft im Bündel ange- beigemessen werden sollte. Auch wenn die Vorstellung boten (z.B. Musikstreaming-Dienst in Verbindung mit eines Internet-Entrepreneurs, der mit einfachsten Mitteln einem Mobilfunktarif), oder mit der Registrierung für aus seiner Garage heraus die Welt erobert, heute überholt einen Dienst ist unmittelbar die Nutzung weiterer (kos- ist, so gibt es dennoch eine (gut organisierte und ausge- tenloser) Dienste des gleichen Anbieters möglich. bildete) Start-up-Szene, die weitgehend ortsunabhängig und mit standardisierten Hardware- und Software-Werk- • Digitale Märkte sind oftmals zweiseitig, so dass die Preise beider Marktseiten berücksichtigt werden müs- 6 Vgl. z.B. P. Pereira, T. Ribeiro, J. Vareda: Delineating markets for sen. bundles with consumer level data: The case of triple-play, in: Interna- tional Journal of Industrial Organization, 31. Jg. (2013), Nr. 6, S. 760- 773 in Bezug auf Bündelangebote; oder L. Filistrucchi, D. Geradin, E. • Für Konsumenten ist der Preis digitaler Dienstange- Van Damme, P. Affeldt: Market definition in two-sided markets: The- bote oftmals Null. Die Analyse einer „Preiserhöhung“ ory and practice, in: Journal of Competition Law and Economics, 10. Jg. (2014), Nr. 2, S. 293-339 in Bezug auf zweiseitige Märkte. auf der Konsumentenseite ist daher nicht angebracht, 7 Vgl. Monopolkommission: Sondergutachten 68: Wettbewerbspolitik: da Anbieter eher über Nicht-Preis-Mechanismen (z.B. Herausforderung Digitale Märkte, 2015. Wirtschaftsdienst 2016 | 4 234
Zeitgespräch zeugen sowie kurzfristig anmietbaren Serverkapazitäten von Angebotssubstitution und potenziellem Wettbewerb in der Lage sein könnte, etablierten Dienstanbietern den entgegenstehen. Rang abzulaufen, und damit potenziellen Wettbewerb ausübt. Schlussgedanken Noch relevanter ist gegebenenfalls die Tatsache, dass die großen Internetkonzerne bereits jetzt über ähnliches Die vorherigen Ausführungen haben gezeigt, dass die Er- personelles Know-how, finanzielle Ressourcen und Daten mittlung von Marktmacht in digitalen Märkten in der Re- verfügen, um gegenseitig im Sinne der Angebotssubsti- gel erheblich komplexer ist. Relevante Wettbewerbskräfte tution Wettbewerbsdruck ausüben zu können. Empirisch ergeben sich vor allem aufgrund eines hohen Innovations- substantiiert sind diese Vermutungen bisher jedoch nicht, wettbewerbs und daher sind Angebotssubstitution und wenngleich es anekdotische Evidenz gibt. Beispielswei- potenzieller Wettbewerb (unter Beachtung des Zugangs se erfuhr Threema, ein Messengerdienst mit Ende-zu- zu relevanten Daten) womöglich genau so relevant wie Ende-Verschlüsselung, der aufgrund von Datenschutz- Nachfragesubstitution, um den relevanten Markt und so- bedenken bei etablierten Messengerdiensten wie Whats- mit letztlich die Marktmacht eines digitalen Dienstanbie- App entwickelt wurde, kurzfristig eine starke Nachfrage, ters zu bestimmen. All dies ist im aktuellen Rechtsrahmen als im Februar 2014 bekannt wurde, dass WhatsApp an jedoch abbildbar. Facebook übergeht. Threema führte daraufhin bereits im Februar 2014 die iTunes-Charts in Deutschland und Grundsätzlicher kann man allerdings auch die Frage stel- Österreich an.8 Mutmaßlich veranlasste dies Facebook, len, ob die Abgrenzung eines relevanten Marktes de lege WhatsApp noch 2014 ebenfalls mit einer Ende-zu-Ende- ferenda eine unbedingte Voraussetzung für die Feststel- Verschlüsselung auszustatten. lung des Missbrauchs von Marktmacht sein muss. Dies wird unter anderem kontrovers im Kontext des sogenann- ten Effects-Based-Approach diskutiert.9 Die Grundan- Bedeutung von Daten nahme ist hier, dass missbräuchliche Markthandlungen (z.B. Marktmachtübertragung mittels Kopplung, wie es Ferner ist anzumerken, dass in der Digitalwirtschaft vie- Google jüngst vorgeworfen wurde10) ohnehin nur dann le Geschäftsmodelle auf das Erheben von Daten, ins- durchgeführt werden können, wenn Marktmacht besteht. besondere personenbezogenen Daten abzielen. Diese Eine langwierige und komplexe Bestimmung von Markt- Daten ermöglichen es den Unternehmen, beispielsweise macht mittels einer Marktabgrenzung könnte dann gege- Werbung zielgerichteter zu platzieren oder passgenauere benenfalls entfallen. personalisierte Angebote zu unterbreiten. Der exklusive Zugang zu einer superioren Datenbasis kann also durch- Schließlich ist zu konstatieren, dass es führenden Inter- aus Wettbewerbsvorteile und letztlich auch Marktmacht netunternehmen wie Alphabet oder Facebook offenbar begründen. Passgenauere Angebote sind aus Konsu- gelingt, ihre dominante Position in einem bestimmten mentensicht freilich nicht unbedingt nachteilig, wenn- Dienstsegment über mehrere Jahre hinweg zu halten. gleich es darüber hinaus datenschutzrechtliche Beden- Es ließ sich jedoch bisher weder aus theoretischer noch ken geben könnte. aus empirischer Sicht ohne weiteres klären, ob dies auf Marktmacht im eigentlichen Sinne oder eben auf ein Im Sinne des (potenziellen) Wettbewerbs kann eine supe- kontinuierliches Gewinnen des Innovationswettbewerbs riore Datenbasis aber insbesondere dann problematisch (gegebenenfalls auf Grund einer superioren Datenbasis) sein, wenn die damit einhergehende höhere Interaktion bzw. auf den Verzicht der Ausübung von Marktmacht (im mit dem Kunden es dem Unternehmen ermöglicht, die Sinne der Theorie der bestreitbaren Märkte) zurückzu- Qualität seiner Datenbasis schneller zu verbessern als führen ist. dies für (potenzielle) Wettbewerber der Fall ist. Auch wenn es eine Reihe von Argumenten gibt, die diese Logik in- frage stellen (z.B. schnelle Alterung von Daten, Grenzen der statistischen Auswertbarkeit), so könnten Daten den- noch zu effektiven Markteintrittsbarrieren führen, die ins- 9 Vgl. dazu EAGCP: An economic approach to Art. 82, Report of the besondere den vorherigen Ausführungen zur Bedeutung Economic Advisory Group for Competition Policy for the European Commission, DG Competition, Brüssel 2005, http://europa.eu.int/ comm/competition/publications/-studies/eagcp_july_21_05.pdf. 8 Vgl. P. Beuth: Weg von WhatsApp – aber wohin?, in Zeitonline vom 10 Vgl. B. G. Edelman: Leveraging market power through tying and 20.2.2014, http://www.zeit.de/digital/mobil/2014-02/threema-tele- bundling: Does Google behave anti-competitively?, Harvard Business gram-surespot-chatsecure-vergleich. School NOM Unit Working Paper, 2014, S. 14-112. ZBW – Leibniz-Informationszentrum Wirtschaft 235
Zeitgespräch Ralf Dewenter Digitale Ökonomie: Herausforderungen für die Wettbewerbspolitik Mit der Digitalisierung, der damit einhergehenden Kon- ger jeweils als Substitut für einzelne Produkte und Dienste vergenz verschiedenster Medien und letztendlich der fungieren können. Der gesamte Markt kann nur dann be- immer größeren Relevanz von Internetplattformen und stimmt werden, wenn die Substitute aller Teilmärkte erfasst digitalen Geschäftsmodellen steht nicht zuletzt auch sind. Eine isolierte Betrachtung einzelner Teilmärkte wird die Wettbewerbspolitik vor immer neuen Herausforde- weder einer adäquaten Marktdefinition gerecht, noch der rungen. Während die ökonomische Theorie bereits mit daraus abzuleitenden Marktmachtbestimmung. der Einführung der Theorie der zweiseitigen Märkte1 vor mehr als zehn Jahren einen adäquaten grundlegenden Zwar ist nach wie vor ein Substitutionskonzept zur Ab- Modellrahmen für viele dieser Plattformen geschaffen grenzung der Märkte ein sinnvoller Ansatz, jedoch stellt hat, steht die praktische Wettbewerbspolitik vor vielen sich die Frage, welche Instrumente geeignet sind, um hier neuen Aufgaben. Denn auch wenn es mittlerweile ein Hilfestellung zu leisten. Übliche Ansätze wie die Betrach- grundlegendes Verständnis über das Prinzip zweiseitiger tung von (Kreuz-)Preiselastizitäten oder der SSINP-Test Plattformen gibt, sind viele Fragen, die das (anti-)kompe- sind zumindest in der ursprünglichen Form nicht mehr titive Verhalten solcher Unternehmen betrifft, noch nicht adäquat. Entsprechende Erweiterungen existieren zwar, abschließend geklärt. Die Schwierigkeit für die Kartell- sind aber für die praktische Anwendung meist nicht taug- behörden besteht also vor allem in der Anwendung der lich.3 Eine etablierte Methode zur Definition von mehrseiti- theoretischen Konzepte auf potenziell wettbewerbsbe- gen Märkten existiert also bisher nicht. schränkendes Verhalten, die Schwierigkeit für Politik und Wissenschaft besteht vor allem darin, einen möglichen Die Bestimmung von Marktmacht ist ebenso wie die Markt- Reformbedarf im Kartellrecht zu erkennen und die gege- definition nicht trivial.4 Wird Marktmacht typischerwei- benenfalls notwendigen Änderungen durchzuführen. se als die Fähigkeit eines Unternehmens verstanden, die Preise oberhalb seiner Grenzkosten zu setzen,5 so wird mit Marktabgrenzung und Marktmachtbestimmung Blick auf typische Preisstrukturen in zweiseitigen Märkten schnell klar, dass dieses Maß nicht auf Plattformenmärk- Grundlegende wettbewerbsökonomische Konzepte, wie te übertragbar ist. Eine Betrachtung muss, ähnlich wie bei etwa die Marktabgrenzung und die Bestimmung von Markt- der Marktabgrenzung, über alle verbundenen Märkte vor- macht, sind in der digitalen Ökonomie mitunter nicht mehr genommen werden. Theoretisch kann dies anhand eines auf die gleiche Weise anzuwenden, wie in der sogenannten geeigneten Simulationsmodells geschehen, das eine Preis- analogen Welt. Spielen indirekte (und auch direkte) Netz- erhöhung (wie beim erweiterten SSNIP-Test) und deren effekte eine wesentliche Rolle, sind einige der traditionellen Wechselwirkungen über alle Märkte betrachtet. Praktisch industrieökonomischen Konzepte zur Analyse ungeeignet. ist dies jedoch mit einiger Unsicherheit über das passen- de Modell und ebenso mit oftmals fehlenden Informationen Die Marktabgrenzung kann beispielsweise nicht für einzel- über die Märkte und Geschäftsmodelle verbunden.6 ne Teilmärkte getrennt voneinander vorgenommen werden, da damit die Gefahr einer grundlegend falschen Marktde- Die Bewertung potenzieller finition bestehen würde.2 Ein zweiseitiger Markt muss über Wettbewerbsbeschränkungen alle seine Teilmärkte als Ganzes verstanden werden. Ein Zeitungsmarkt etwa besteht nicht allein aus dem Anzei- Auch die wohlfahrtsökonomische Bewertung von Wett- genmarkt, sondern ebenso aus dem Lesermarkt. Und der bewerbsbeschränkungen unterscheidet sich mitunter von Markt für Internetsuchmaschinen besteht nicht allein aus der in der analogen Ökonomie. Die einfachste Bewertung dem Suchmarkt, auch Werbe- und Inhaltemarkt sind bei findet sich bei der Betrachtung von Kartellen. Zwar gibt dessen Abgrenzung mit einzubeziehen. Nach wie vor stellt sich jedoch die Frage, welche Güter aus Sicht der Nachfra- 3 Vgl. z.B. L. Filistrucchi: A SSNIP Test for Two-Sided Markets: The Case of Media, NET-Institute Discussion Paper, 2008. 1 Vgl. J.-C. Rochet, J. Tirole: Platform Competition in Two-Sided Mar- 4 Vgl. den Beitrag von J. Krämer: Herausforderungen bei der Bestim- kets, in: Journal of the European Economic Association, 1. Jg. (2003), mung von Marktmacht in digitalen Märkten, in: Wirtschaftsdienst, 96. Nr. 4, S. 990-1029. Jg. (2016), H. 4, S. 231-235. 2 Vgl. R. Dewenter, J. Rösch, A. Terschüren: Abgrenzung zweiseitiger 5 Vgl. M. Motta: Competition Policy: Theory and Practice, Cambridge Märkte am Beispiel von Internetsuchmaschinen, in: NZKart Neue 2004. Zeitschrift für Kartellrecht, 2. Jg. (2014), S. 387-394. 6 Vgl. R. Dewenter, J. Rösch, A. Terschüren, a.a.O. Wirtschaftsdienst 2016 | 4 236
Zeitgespräch es auch hier mögliche Fälle, bei denen die Wohlfahrts- sehr wohl aber mit ihrer Aufmerksamkeit für Werbung oder wirkungen von Absprachen weniger negativ oder mögli- mit Daten über ihre Person zahlen. So sind einige Platt- cherweise auch positiv ausfallen können – letzteres kann formen wie auch traditionelle Medien darauf ausgerichtet, insbesondere bei Semi-Kollusion auf nur einer Marktseite die Aufmerksamkeit der Nutzer auf die Werbung zu lenken auftreten.7 Dennoch ist insgesamt in aller Regel ein Wohl- und damit eine Teil- oder Komplettfinanzierung ihres An- fahrtsverlust durch Kollusion zur erwarten. gebots zu erreichen. Andere Geschäftsmodelle basieren darauf, Informationen über die Nutzer zu erlangen, um Die Bewertung von Fusionen fällt dagegen etwas diffe- diese weiterzugeben oder für eigene Dienste zu verwer- renzierter aus. Insbesondere durch die Zusammenfüh- ten. Daten können helfen, neue Angebote zu erstellen, be- rung von Netzwerken kann es bei Unternehmenszusam- stehende Produkte und Services zu verbessern oder aber menschlüssen zu einer besseren Ausnutzung von Netz- Plattformen in die Lage versetzen, zielgerichtete Werbung effekten kommen. Der steigenden Marktmacht könnten zu schalten. Diese Daten können je nach Geschäftsmodell dann ein größeres Marktvolumen und damit eine größere soziodemographischer Natur sein oder aber Informationen Gesamtwohlfahrt entgegen stehen. Auch ist in bestimm- über das Surf- oder Konsumverhalten, den Standort oder ten Märkten fraglich, inwiefern eine Steigerung der Markt- auch die Nutzung anderer Dienste enthalten. Sowohl die macht überhaupt zu erwarten ist. Eine einfache Betrach- konsumierte Werbung als auch die vom Nutzer zur Ver- tung von Marktanteilen ist jedoch in jedem Fall kritisch zu fügung gestellten Daten stellen damit einen hedonischen sehen. Eher müssen wiederum in der Gesamtschau aller Preis, also eine Art Währung dar. Die auf diese Weise ge- Teilmärkte mögliche Effekte identifiziert werden.8 sammelten Informationen sind umfangreich und können (auch in Verbindung mit anderen Daten) sehr wertvoll sein. Wie auch in der analogen Welt ist die Beurteilung des Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung die Daten stellen eine Art Inputfaktor für die digitale Ökono- schwierigste Aufgabe der Kartellbehörden. Dies liegt zum mie dar. Allerdings weisen sie einige Eigenschaften auf, einen darin begründet, dass die Bestimmung von Markt- die nicht mit anderen Faktoren vergleichbar sind. Insbe- macht deutlich komplexer ist als in einseitigen Märkten. sondere die Nicht-Rivalität im Konsum und die Funktion Zum anderen führt aber auch die Interdependenz der Teil- als Währung heben Daten sicherlich von anderen Input- märkte oftmals zu weiteren Effekten. Der Nachweis von faktoren ab. Die in den Daten enthaltenen Informationen Verdrängungspreisen etwa ist aufgrund der Preisstruktur wirken darüber hinaus auch transaktionskostensenkend zweiseitiger Plattformen nur schwer möglich. Die große und effizienzsteigernd. Zahl kostenloser Inhalte und Dienste im Internet lassen erahnen, dass das unentgeltliche Angebot nicht aus einer Die enormen Datenmengen, die als Grundlage verschie- Verdrängungsabsicht heraus erfolgt. Gleichwohl kann na- denster Geschäftsmodelle anfallen, geben jedoch auch re- türlich auch im Internet eine Verdrängungsabsicht bei der gelmäßig Anlass zur Diskussion, ob und inwiefern daraus Preisgestaltung vorliegen. Allerdings ist der Nachweis in Probleme entstehen können, die durch die Wettbewerbs- einigen Fällen wohl nur schwer möglich. politik adressiert werden müssen. Zum einen werden in diesem Zusammenhang mögliche Wettbewerbsprobleme Weitere Verhaltensweisen wie z.B. Bestpreisklauseln oder genannt, zum anderen sind auch Fragen des Datenschut- der selektive Vertrieb sind ebenso schwer zu bewerten, zes immer wieder Gegenstand dieser Diskussion. auch hier ist die (anti-)kompetitive Wirkung a priori nicht eindeutig. Liegen zudem noch indirekte Netzeffekte vor, Wettbewerbsprobleme durch Big Data kann eine Bewertung umso komplexer werden. Eine Be- urteilung setzt daher ein grundlegendes Verständnis von Da Daten ein wichtiger Input für viele Geschäftsmodelle zweiseitigen Märkten voraus. der digitalen Ökonomie sind, könnte ein Ausschluss von diesen Informationen tatsächlich Plattformen daran hin- Big Data als Grundlage neuer Geschäftsmodelle dern, in den Markt einzutreten. Bestimmte Angebote las- sen sich nur dann erstellen, wenn auch auf die zugrun- Eine Besonderheit zweiseitiger Plattformen in der digitalen deliegenden Ressourcen zurückgegriffen werden kann. Ökonomie ist, dass einige der Geschäftsmodelle darauf Eine zielgerichtete Werbung kann z.B. ohne Informatio- aufbauen, dass die Nutzer zwar keinen monetären Preis, nen über das Konsumverhalten der Nutzer nicht erstellt werden. Auf der anderen Seite sind Daten jedoch in aller Regel nicht-rival, sie können also mehrfach verwendet 7 Vgl. R. Dewenter, J. Rösch: Einführung in die neue Ökonomie der Me- werden, ohne an Wert zu verlieren. Daten können oftmals dienmärkte. Eine wettbewerbsökonomische Betrachtung aus Sicht der Theorie der zweiseitigen Märkte, Heidelberg 2015. relativ einfach selbst generiert oder aber erworben wer- 8 Ebenda. den und stehen einer Plattform nur selten exklusiv zur ZBW – Leibniz-Informationszentrum Wirtschaft 237
Zeitgespräch Verfügung. Sie haben oftmals nur begrenzte zeitliche Re- Fragen von besonderer Relevanz sind, zeigen Zusammen- levanz und es ist ebenso davon auszugehen, dass Daten schlüsse wie die von Google und DoubleClick oder auch einen abnehmenden Grenznutzen haben.9 Facebook und WhatsApp. Die Bewertung solcher Fu- sionen ist für eine Kartellbehörde nicht ganz einfach. So Potenziell wettbewerbsbeschränkend könnten Daten also muss sie in der Lage sein einzuschätzen, ob und inwiefern insbesondere dann wirken, wenn sehr große Datenmen- es zu einem Problem durch die Zusammenführung von gen notwendig sind, um ein Angebot zu erstellen, und Daten kommen kann oder inwiefern große Daten Markt- diese von neu in den Markt eintretenden Plattformen nicht macht gegenüber den Wettbewerbern erzeugen können. generiert werden können. Ist der Grenzertrag der Daten Sind die beteiligten Daten jedoch leicht zu generieren oder positiv, so könnten Daten Skalenerträge aufweisen, die lässt ein Zusammenführen der verschiedenen Daten kei- dazu führen, dass der Nutzen aus einer größeren Menge ne wesentlichen Vorteile erwarten, ist wohl nicht mit einer an Informationen steigt bzw. die Kosten der Angebots- starken Einschränkung des Wettbewerbs zu rechnen.11 bereitstellung abnehmen. Ebenso ist denkbar, dass eine „Mindestoptimale Datenmenge“ (analog zur Mindestopti- Datenschutz und Wettbewerb malen Betriebsgröße) existiert, die benötigt wird, um ein Angebot effizient zu erstellen. Eine Plattform könnte in die- Zwar ist der Datenschutz nicht Gegenstand der Wettbe- sem Fall am Markteintritt gehindert werden, wenn sie die- werbspolitik, jedoch kann ein (fehlender) Datenschutz se Menge an Daten nicht generieren oder erwerben kann. direkte und indirekte Effekte auf die Wettbewerbspolitik haben. Je mehr Daten eine Plattform beispielsweise über Ob eine Mindestoptimale Datenmenge existiert und wie die Zahlungsbereitschaft der Konsumenten besitzt, desto groß diese ist, ist vor allem eine empirische Frage, die eher ist sie in der Lage, diese Informationen für die Anwen- marktspezifisch beantwortet werden muss. Die Zahl der dung von Preisdiskriminierung zu nutzen. Im Extremfall Nutzer einer Navigationsapp etwa, die zu einer effizien- wäre sie in der Lage, vollkommene Preisdifferenzierung ten Stauvorhersage notwendig sind, dürfte stark von der durchzuführen. Auch beim Targeted Advertising, also der Größe der Stadt abhängen, für die die Vorhersage benö- zielgerichteten Werbung, die grundsätzlich zu einer Inten- tigt wird. Betrachtet man dagegen z.B. das maschinelle sivierung des Preiswettbewerbs führt, können unter Um- Erkennen menschlicher Sprache, so sollte der Nutzenzu- ständen Wettbewerbsprobleme entstehen. Je nachdem, wachs auch bei großen Datenmengen wie auch bei vielen wie stark die Netzeffekte sind, die dem Plattformmarkt anderen Anwendungen noch deutlich spürbar sein.10 zugrundliegen, kann es zu einer Werbemenge oder auch Werbepreisen kommen, die aus wohlfahrtsökonomischer Neben der bloßen Verfügbarkeit von Informationen, die zur Sicht zu hoch sind oder aber Spam zur Folge haben.12 Erstellung eines Dienstes benötigt werden, ist allerdings auch die Fähigkeit zu deren Nutzung von wesentlicher Be- Die Frage ist also, inwiefern sich die Wettbewerbspolitik deutung. Je nach genutzter Technologie oder vorhande- möglicherweise in Zukunft auch mit Fragen auseinander nem Know-how werden Daten also möglicherweise mehr setzen muss, die originär datenschutzrechtlicher Natur oder weniger nützlich. Sind Skalenerträge besonders stark waren. oder können Daten tatsächlich exklusiv genutzt werden, ist auch vorstellbar, dass Daten als „Essential Facility“ dienen Herausforderungen für die Wettbewerbspolitik können. In diesem Fall würde ein auf Daten basierendes natürliches Monopol vorliegen. Die Bestimmung des Aus- Aus den hier aufgeführten Bespielen lassen sich ver- maßes möglicher Skalenerträge ist jedoch für Juristen und schiedene Herausforderungen für eine Wettbewerbs- Ökonomen nur schwer vorzunehmen, zur Einschätzung politik der digitalen Ökonomie ableiten.13 Als erstes ist solcher Effekte sind auch Softwareentwickler gefragt. dabei eine adäquate Abgrenzung zweiseitiger Märkte zu nennen. Dass digitale Märkte eine andere Abgrenzung Weitere Wettbewerbsprobleme können möglicherweise als analoge Märkte verlangen, ist nach den obigen Aus- durch den Zusammenschluss von Plattformen entstehen. führungen deutlich geworden. Auch wenn es bisher keine Hierbei geht es vor allem um die Frage, ob solche Fusio- nen anders zu bewerten sind, wenn die beteiligten Unter- nehmen im Besitz großer Datenmengen sind. Dass solche 11 Vgl. R. Dewenter, H. Lüth, a.a.O. 12 Vgl. z.B. S. P. Anderson, A. de Palma: Competition for attention in the Information (overload) Age, in: The RAND Journal of Economics, 43. Jg. (2012), Nr. 1, S. 1-25. 9 Vgl. R. Dewenter, H. Lüth: Big Data: Eine ökonomische Analyse, Mi- 13 Für eine ausführliche Diskussion des Reformbedarfs des Wettbe- meo. werbsrechts vgl. den Aufsatz von D. Zimmer: Reicht das geltende 10 Vgl. E. Junqué de Fortuny, D. Martens, F. Provost: Predictive Modeling Wettbewerbsrecht aus oder bedarf es sektorspezifischer Regulierun- With Big Data: Is Bigger Really Better?, in: Big Data 1, S. 215-226. gen?, in: Wirtschaftsdienst, 96. Jg. (2016), H. 4, S. 239-242. Wirtschaftsdienst 2016 | 4 238
Zeitgespräch etablierte Methode für eine solche Marktdefinition gibt, ist Allerdings sind auch bei klar definierten Rechten Beein- dies dennoch eine lösbare Aufgabe. Eine Änderung des trächtigungen sowohl des Datenschutzes als auch des Kartellrechts erfordert dies aus meiner Sicht jedoch nicht. Wettbewerbs möglich. Geeignete Maßnahmen sind eine erhöhte Transparenz darüber, welche Daten erhoben und Eng verbunden mit der Marktabgrenzung ist die Feststel- potenziell weitergegeben werden, sowie der Abbau von lung von Marktmacht. Da einfache Preiskostenaufschlä- Informationsasymmetrien. Auch können Opt-in- und Opt- ge oder Marktanteile nicht geeignet sind, Marktmacht zu out-Modelle die Positionen der Nutzer ebenso stärken determinieren, muss ein anderer Weg gefunden werden. wie eine bessere Portabilität der erhobenen Daten. Alle Kartellbehörden müssen jedoch bis dahin auch ohne ein diese Maßnahmen senken Wechselkosten und wirken geeignetes Instrumentarium entsprechende Fälle beurtei- daher wettbewerbsintensivierend. len. Behörden sollten daher in der Lage sein, zweiseitige Märkte zu verstehen und deren Wirkungsweise zu analy- Ob und inwiefern eine Änderung des Kartellrechts not- sieren. Gleiches gilt für die Beurteilung von (anti-)kompe- wendig ist, um diesen Herausforderungen zu begegnen, titivem Verhalten. ist bisher noch unklar. Bezogen auf Unternehmenszusam- menschlüsse können Daten schon jetzt in die Analyse von Mindestens genau so große Herausforderungen entste- Marktmacht einbezogen werden, da diese wie jede an- hen durch die Existenz von Big Data. Das Sammeln und dere die Marktmacht verstärkende Ressource behandelt die Weitergabe persönlicher Daten kann sowohl zu Da- werden können. Auch die Aufnahme des Kaufpreises als tenschutz- als auch zu Wettbewerbsproblemen führen. Aufgreifkriterium bei Zusammenschlüssen könnte eine Ein möglicher Ansatzpunkt ist hier die klare Definition von solche Modifikation sein. Ob weitere Änderungen not- Verfügungsrechten. Ein Handel dieser Rechte kann mög- wendig sind, wird die weitere noch ausstehende Analyse licherweise in einigen Fällen Probleme verhindern. zeigen. Daniel Zimmer Reicht das geltende Wettbewerbsrecht aus oder bedarf es sektorspezifischer Regulierungen? Vielen Menschen bereitet die starke Marktstellung ein- Zudem sind Netzwerkeffekte in Rechnung zu stellen: Je zelner Unternehmen der Digitalwirtschaft Sorge. Bei der mehr Nutzer beispielsweise ein soziales Netzwerk hat, Suchmaschine Google gehen rund 90% der Suchanfra- um so attraktiver wird es für immer weitere Nutzer. Die gen aus Europa ein. Das soziale Netzwerk Facebook hat Konzentration auf ein großes soziales Netzwerk kann 15-mal so viele Seitenaufrufe wie das zweitgrößte. Wie ist auch für die Nutzer Vorteile haben – sie müssen ihre diese starke Marktkonzentration zu erklären? Und gibt sie Freunde nicht auf verschiedenen Plattformen zusam- tatsächlich Anlass zur Sorge? mensuchen. Marktkonzentration lässt sich oft mit wirtschaftlichen Ge- Hinzu kommt, dass auch die Qualität mancher Dienste mit gebenheiten erklären – und kann mitunter als eine Art na- einer steigenden Nutzerzahl zunimmt: Die größte Such- türliches Marktergebnis erscheinen. Bei manchen Diens- maschine lernt aufgrund eines immensen Aufkommens ten ist eine starke Marktkonzentration mit bestimmten an Suchanfragen schneller und besser als jede andere, Kostenstrukturen zu erklären: Die Schaffung einer digita- was für die Menschen relevant ist – und was nicht. Eine len Infrastruktur, etwa einer Plattform, kann sehr teuer, ih- automatisierte Auswertung, auf welche Links der Treffer- re Erstreckung auf immer weitere Nutzer dagegen zu sehr liste die Nutzer bevorzugt klicken, erlaubt es der großen geringen Kosten möglich sein. In einer solchen Situation Suchmaschine, ihren Service für die Nutzer permanent fällt einer etablierten Plattform die Ausdehnung auf immer zu verbessern. Wenn danach hohe Marktkonzentrationen weitere Nutzer leicht, für später in den Markt eintreten- bei manchen Diensten sozusagen als natürliches Markt- de Wettbewerber kann es dagegen schwierig sein, einen ergebnis erscheinen können – wie ist dies wettbewerbs- nennenswerten Marktanteil zu erringen. politisch zu bewerten? ZBW – Leibniz-Informationszentrum Wirtschaft 239
Zeitgespräch Bewertung von Regulierungsvorschlägen lichen Beurteilung konkreter Fälle zu berücksichtigen. Wichtig ist, alle Seiten einer Plattform in die Analyse mit Die deutsche Monopolkommission hat im Juni 2015 ein einzubeziehen und direkte wie indirekte Netzwerkeffekte Gutachten zum Wettbewerb auf digitalen Märkten vorge- in ihrer wirtschaftlichen Bedeutung zu erfassen. Die Beur- legt, das einige der in der öffentlichen Debatte diskutier- teilung der Wettbewerbssituation auf mehrseitigen Platt- ten Regulierungsvorschläge bewertet. Das Gutachten rät formen erfordert eine Gesamtbetrachtung, in der anderen davon ab, die großen Plattformen etwa durch eine Auf- Faktoren als Marktanteilen gesteigerte Bedeutung zuzu- spaltung zu verkleinern und auf diese Weise Raum für messen ist, beispielsweise direkten und indirekten Netz- Wettbewerb zwischen mehreren kleineren Anbietern zu werkeffekten, der Verfügbarkeit von Nutzerdaten und der schaffen. Denn zum Teil verschafft gerade die große Nut- auf dem betrachteten Markt bestehenden Dynamik. zerbasis Vorteile, die den Nutzern zugute kommen. Insbesondere bei der Abgrenzung von Märkten ist den Aus dem Blickwinkel der Wirtschaftswissenschaften lau- Besonderheiten mehrseitiger Märkte verstärkt Rech- tet eine zentrale Frage: Ist eine Marktstellung angreifbar nung zu tragen. Die herkömmlichen Methoden, die für oder nicht? Solange ein Anbieter die Sorge haben muss, die Marktabgrenzung auf einseitigen Märkten entwickelt dass ihm ein Konkurrent einen erheblichen Teil der Kund- worden sind (z.B. der sogenannte SSNIP-Test), taugen schaft abwirbt, muss er weiter um diese Kunden werben nicht ohne Weiteres im Hinblick auf mehrseitige Plattfor- – beispielsweise mit innovativen Produkten und guter men. Qualität. Auf den durch Technologie getriebenen digita- len Märkten ist ein solcher Wettbewerb oft festzustellen: Auch ist die Unterteilung von Online-Werbung in such- Große Unternehmen versuchen immer wieder, in Domä- gebundene und nicht suchgebundene Werbung zu hin- nen der anderen einzudringen, und deshalb bemühen terfragen, da technische Weiterentwicklungen zu einer sich auch sehr erfolgreiche Firmen ständig um Innova- Annäherung beider Werbeformen geführt haben. So tion und gute Produktqualität. Das heißt, auch wenn es kann aufgrund der heutigen technischen Möglichkeiten paradox klingen mag: Auch Monopolisten können unter auch Display-Werbung oft sehr zielgerichtet unter Be- dem Druck des Wettbewerbs stehen – nämlich unter dem rücksichtigung der Interessen und Vorlieben des Nutzers Druck potenziellen Wettbewerbs. Unter dieser Voraus- eingesetzt werden – ein Vorteil, der in der Vergangenheit setzung kann ein Monopol für Verbraucher ebenso gute vornehmlich der sogenannten Suchwerbung vorbehalten Ergebnisse hervorbringen wie ein Markt mit zahlreichen war, die sich an der Eingabe von Suchbegriffen durch den Anbietern: Wenn ein Monopolist (oder Quasi-Monopolist) Nutzer einer Suchmaschine orientiert. Mit der verbesser- sich weiterhin mit niedrigen Preisen, guter Qualität und in- ten Möglichkeit eines „Targeting“ auch bei der Display- novativen Produkten um die Gunst seiner Kundschaft be- Werbung stellt sich die Frage, ob beide Werbeformen – mühen muss, kann dies für Verbraucher gute Ergebnisse Such- und Display-Werbung – für Werbetreibende zuneh- hervorbringen. mend austauschbar werden und daher als miteinander im Wettbewerb stehend anzusehen sind. Ferner sollten Ist nach alledem aus Sicht der Wettbewerbspolitik Ent- mögliche Substitutionsbeziehungen zwischen Online- warnung angesagt? Nein. Es ist von zentraler Bedeu- und Offline-Werbung beachtet werden. tung, dass marktstarke Firmen angreifbar bleiben, dass sie sich nicht durch ihr eigenes Verhalten vom Wettbe- Vorschläge der Monopolkommission werb abschotten, d.h. das Wettbewerbsrecht muss zum einen verhindern, dass marktstarke Firmen ihre eigenen Die Monopolkommission macht darüber hinaus konkre- Konkurrenten vom Markt wegkaufen. Und es muss ver- te Vorschläge für eine Weiterentwicklung der Fusions- hindern, dass sie durch missbräuchliche Praktiken, etwa kontrolle und der Missbrauchsaufsicht über marktbe- missbräuchliche Vertragsschlüsse, den Markt abschot- herrschende Unternehmen: Der Anwendungsbereich ten. Das Mittel, solche Praktiken zu verhindern, ist das der Fusionskontrolle sollte erweitert werden, damit auch Wettbewerbsrecht. Was bedeutet das konkret? Zunächst Zusammenschlüsse von Unternehmen kontrollpflich- müssen die bestehenden Regeln des Wettbewerbsrechts tig werden, die bisher zwar nur geringe Umsätze, aber konsequent angewandt werden. offenbar ein hohes Marktpotenzial haben, das in einem hohen Kaufpreis zum Ausdruck kommt. Bisher greift die Für die Wettbewerbspolitik stellen die besonderen Eigen- europäische und die deutsche Fusionskontrolle nur ein, schaften von mehrseitigen Plattformen eine Herausfor- wenn die am Zusammenschluss beteiligten Unternehmen derung dar. Die grundlegenden Zusammenhänge und die bestimmte Umsätze erzielt haben. So ist die Europäische Komplexität mehrseitiger Plattformen sind von Wettbe- Fusionskontrollverordnung nur anwendbar, wenn die am werbsbehörden und Gerichten bei der wettbewerbsrecht- Zusammenschluss beteiligten Unternehmen insgesamt Wirtschaftsdienst 2016 | 4 240
Zeitgespräch mindestens 2,5 Mrd. Euro im Jahr umgesetzt haben (Art. 1 tens einem beteiligten Unternehmen 100 Mio. Euro über- Abs. 3 der Fusionskontrollverordnung). Außerdem muss steigt.“ ein weiteres am Zusammenschluss beteiligtes Unterneh- men in der Europäischen Union Umsätze in Millionenhöhe Für die nationale Fusionskontrolle nach dem deutschen erzielt haben (vgl. Art. 1 Abs. 3 lit. c, d; ferner Art. 1 Abs. 2 Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen hat die Mo- lit. b der Fusionskontrollverordnung). In der digitalen Wirt- nopolkommission eine entsprechende Bestimmung vor- schaft werden aber oft Unternehmen in einem frühen geschlagen, die ein Abstellen auf den Transaktionswert – Stadium verkauft, in dem sie noch keine oder nur gerin- etwa den Kaufpreis – anstelle eines solchen auf Umsätze ge Umsätze erzielt haben. Beispielsweise werden soge- erlaubt. nannte Start-ups oft für Millionen von US-Dollar verkauft, weil der Käufer meint, mit der von dem Unternehmen Ein weiterer Vorschlag der Monopolkommission betrifft verfolgten Geschäftsidee in Zukunft viel Geld verdienen die Missbrauchsaufsicht über marktbeherrschende Un- zu können. Ein solcher Erwerb wird bisher nicht von der ternehmen. Verfahren in Missbrauchsfällen dürfen in Europäischen Kommission oder vom Bundeskartellamt Zukunft nicht mehr so lange dauern, dass marktbeherr- geprüft. Wie unbefriedigend der bisherige Rechtszustand schende Unternehmen durch fortgesetzten Missbrauch ist, kann am Erwerb des Messengerdienstes WhatsApp während des Verfahrens ihre Marktstellung noch fes- durch Facebook gezeigt werden: Gemessen am Umsatz tigen. Mit Artikel 9 der Verordnung 1/2003 ist die Mög- unterfiel der Kauf weder der europäischen noch der deut- lichkeit zu einer einvernehmlichen Verfahrensbeendigung schen Fusionskontrolle – denn vor der Transaktion hatte durch Zusagen (commitments) der Unternehmen aus- WhatsApp keine großen Umsätze erzielt. Der Zusammen- drücklich anerkannt worden, um zu einer Beschleuni- schluss von Facebook und WhatsApp konnte letztlich nur gung der Verfahren zu kommen. Das Gegenteil ist aber deshalb von der Europäischen Kommission geprüft wer- eingetreten: Zusagenverfahren dauern oft sogar länger den, weil er in drei Mitgliedstaaten nach deren nationalem als streitige Verfahren. So zieht sich das gegen Google Recht kontrollpflichtig war. geführte Kommissionsverfahren durch Verhandlungen über von Google angebotene Zusagen bereits seit über In solchen Fällen kommt das wirtschaftliche Potenzial fünf Jahren hin, und es ist bis heute nicht abgeschlossen. eines Unternehmens oft in dem hierfür gebotenen oder Die Monopolkommission macht Vorschläge dazu, wie gezahlten Kaufpreis besser zum Ausdruck als in zuvor Anreize für einen zügigen Abschluss von Missbrauchs- erzielten Umsätzen (die bisher das alleinige Maß für die verfahren geschaffen werden können. Sie empfiehlt der Frage der Anwendbarkeit der Fusionskontrolle darstellen). Europäischen Kommission, das Instrument der Eilverfah- Deshalb sollten weitere Aufgreiftatbestände festgelegt ren (interim measures) in Missbrauchsfällen auf digitalen werden, die an das Transaktionsvolumen anknüpfen. Sol- Märkten stärker einzusetzen. Und sie regt weiter eine che Regelungen sind zur Schließung von Schutzlücken Änderung der verfahrensrechtlichen Vorschriften dahin- erforderlich: Auch Fälle des Erwerbs von Unternehmen, gehend an, dass ein Zusagenverfahren nach Ablauf einer die in der Vergangenheit keine hohen Umsätze erzielt angemessenen Frist in ein streitiges Verfahren nach Ar- haben, können im Hinblick auf ihre große wirtschaftliche tikel 7 Verordnung 1/2003 übergeleitet wird. Das könnte Bedeutung aus wettbewerblicher Perspektive bedenk- einen Anreiz für Kommission und Unternehmen schaffen, lich erscheinen. Die Monopolkommission hat daher den innerhalb eines begrenzten Zeitraums – beispielsweise Vorschlag gemacht, Artikel 1 der Fusionskontrollverord- innerhalb eines Jahres nach Verfahrenseröffnung – den nung um folgenden Absatz 6 zu ergänzen: „Die Umsatz- verfolgten Verstoß durch zugesagte Maßnahmen abzu- schwellen des Absatzes 2 gelten auch dann als über- stellen. Anderenfalls führt an einer streitigen Entschei- schritten, wenn der Wert der Leistung eines beteiligten dung der Kommission kein Weg vorbei. Unternehmens mehr als 5 Mrd. Euro beträgt und ein gemeinschaftsweiter Gesamtumsatz von mindestens ei- Spezielle Regulierung für Suchmaschinen? nem beteiligten Unternehmen von mehr als 250 Mio. Euro erzielt wird. Die Umsatzschwellen des Absatzes 3 gelten Eine spezielle Regulierung für Suchmaschinen ist aus auch dann als überschritten, wenn der Wert der Leistung Sicht der Monopolkommission jedenfalls derzeit nicht zu eines beteiligten Unternehmens mehr als 2,5 Mrd. Euro befürworten. Eine staatliche Kontrolle des Suchalgorith- beträgt, der Gesamtumsatz aller beteiligten Unterneh- mus würde, falls sie überhaupt technisch zu realisieren men in mindestens drei Mitgliedstaaten jeweils 100 Mio. wäre, einen erheblichen Einsatz öffentlicher Mittel erfor- Euro übersteigt, in jedem von mindestens drei dieser Mit- dern. Der Nachweis einer missbräuchlichen Gestaltung gliedstaaten der Gesamtumsatz von mindestens einem des Algorithmus wäre auch im Fall eines solchen tech- beteiligten Unternehmen mehr als 25 Mio. Euro beträgt nischen Zugriffs schwer zu führen. Zudem ist in diesem und der gemeinschaftsweite Gesamtumsatz von mindes- Zusammenhang zu bedenken, dass der Betreiber einer ZBW – Leibniz-Informationszentrum Wirtschaft 241
Zeitgespräch Suchmaschine nicht auf eine Beeinflussung des Algorith- gen Zeitpunkt erschiene sie auch unverhältnismäßig. Eine mus angewiesen ist, um bei der Anzeige eigener Dienste Entflechtung könnte allenfalls dann erwogen werden, Vorteile zu erzielen: Für den Betreiber reicht die Kenntnis wenn eine Suchplattform über eine irreversibel verfes- des Algorithmus, um die Webseiten eigener Dienste so zu tigte Marktmacht verfügt. Solange demgegenüber eine gestalten, dass sie einen vorderen Platz auf der generi- Chance auf eine Belebung von Wettbewerbskräften ge- schen Trefferliste erreichen. geben erscheint, ist von einem derart schwerwiegenden Eingriff in existierende Unternehmensstrukturen abzura- Auch eine Verpflichtung zur Veröffentlichung des Suchal- ten, auch weil Rationalisierungsvorteile zunichtegemacht gorithmus wäre nicht zu befürworten. Wäre der Algo- würden und bestehende Größen- und Verbundvorteile, rithmus öffentlich bekannt, könnte eine im Licht dieser die Nutzern zugute kommen, verloren gingen. Davon ab- Kenntnis einsetzende inhaltliche Optimierung sämtlicher gesehen ist fraglich, ob sich etwaige Entflechtungsmaß- oder nahezu sämtlicher Webseiten die Selektionsfunk- nahmen gegenüber außerhalb Deutschlands ansässigen tion der Suchmaschine – die Ordnung von Seiten nach Plattformbetreibern überwachen und durchsetzen ließen. deren Relevanz für Suchende – praktisch neutralisieren. Schließlich wäre auch eine Pflicht zur Offenlegung oder Die europäische Datenschutz-Grundverordnung, die zur Teilung des Webindex mit konkurrierenden Suchma- 2018 in Kraft treten wird, ist aus wettbewerbspolitischem schinen nicht zu befürworten, da sie Anreize zur Erstel- Blickwinkel zu begrüßen: Sie ist auf Unternehmen aus lung und ständigen Aktualisierung des Index beseitigen Drittstaaten ebenso anwendbar wie auf Unternehmen aus würde. Dagegen ist schon nach geltendem Recht von Europa und sieht bei Verstößen drastische Sanktionen vor einer Pflicht des Suchmaschinenbetreibers auszugehen, – in ähnlicher Größenordnung wie das europäische Kar- bezahlte Werbung (bezahlte Links) als solche auszuwei- tellrecht. Das in der Verordnung vorgesehene Recht der sen (Trennungsgebot). Nutzer zur Mitnahme von Daten von einem Unternehmen zu anderen – die sogenannte Datenportabilität – kann den Eine Entflechtung von allgemeiner Suche und spezia- Wettbewerb fördern: Wenn Nutzer ihre Daten mitnehmen lisierten Diensten, wie sie teilweise vorgeschlagen wird, können, werden sie nicht mehr in dem „Ökosystem“ des hält die Monopolkommission nicht für geeignet, etwaige einen oder anderen Unternehmens festgehalten, wie es Marktverzerrungen effektiv zu mindern. Zum gegenwärti- derzeit der Fall ist. Iris Henseler-Unger, René Arnold, Christian Hildebrandt Ein neuer Ansatz für die Analyse internetbasierter Plattformen Die starke Position einiger weniger internetbasierter Platt- Trotz dieser Aktivitäten und der offensichtlichen Relevanz formen wie Google, Amazon, Facebook und Apple (GAFA) des Themas ist bis heute weder deren Stoßrichtung klar hat eine Debatte über ihre wirtschaftliche Dominanz, ihre erkennbar, noch finden sich allgemeine Analyseansätze Datensammelwut und ihre Sogwirkung auf Nutzer ausge- und erst recht keine konsistente und fundierte Definition löst. Ein Sondergutachten der Monopolkommission, das für internetbasierte Plattformen. Schon deshalb bedarf EU-Kartellverfahren gegen Google Search und die jüngs- es zunächst einer sorgfältigen Analyse. Nur so kann der ten Ermittlungen des Bundeskartellamts gegen Facebook tatsächliche Handlungsbedarf korrekt identifiziert werden. wie auch der Aufbau neuer Stäbe in der Bundesnetzagen- Hierzu schlägt dieser Beitrag vor, ein Analyseinstrument tur und im Bundeskartellamt unterstreichen die Intensität zu entwickeln, das nach der Logik des „More Economic der Debatte und den empfundenen Handlungsdruck.1 Approach“ die wettbewerbsrechtliche Bewertung komple- mentiert. 1 Vgl. R. Dewenter: Die „Task Force Internetplattformen“ des Bun- deskartellamts, in: Wirtschaft und Wettbewerb, 66. Jg. (2016), H. 3, Sind internetbasierte Plattformen Problem oder S. 101; Bundesnetzagentur: Tätigkeitsbericht Telekommunikation 2014/2015, Bonn 2015, S. 89-90; Wissenschaftlicher Arbeitskreis für Problemlöser? Regulierungsfragen (WAR) bei der Bundesnetzagentur: Evolution der Regulierung in den Telekommunikations- und Mediensektoren ange- Internetbasierte Plattformen sind zunächst nicht ein Prob- sichts der Relevanzzunahme von OTT-Anbietern, Bonn 2015; Body of European Regulators for Electronic Communications (BEREC): Re- lem, sondern Problemlöser. So ermöglichen Suchmaschi- port on OTT-Services, BoR, 16. Jg. (2016), Nr. 35, Riga 2016. nen das gezielte Finden von Informationen im stetig wach- Wirtschaftsdienst 2016 | 4 242
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