GEDENKFEIER SEMPACH 2018 - OFFIZIELLE FESTZEITUNG - Kanton Luzern
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A.Z. 6203 SEMPACH STATION, DONNERSTAG, 28. JUNI 2018 VERKAUFSPREIS: FR. 2.50 GEDENKFEIER SEMPACH 2018 O F F I Z I E L L E F E S T Z E I T U N G Die Stadt Luzern ist Gastgemeinde der 632. Gedenkfeier an die Schlacht von Sempach anno 1386. Blau-Weiss wird im historischen Städtli Sempach für spezielle Farbtupfer sorgen. Die Zunft zu Safran tut dies bereits seit 1868 Jahr für Jahr. Obwohl es den offiziellen Festzug auf das Schlachtfeld seit 2011 nicht mehr gibt, lässt es sich der vielköpfige Safran-Tross auch an der 150. Teilnahme nicht nehmen, hinauf zum Winkelriedstein zu marschieren und dort dem Helden von Sempach die Ehre zu erweisen. FOTO MARCEL SCHMID/ARCHIV
2 GEDENKFEIER 2018 / BILDESSAY SEMPACHER WOCHE • 28. JUNI 2018 FOTO OTTO SCHMID Der Löwe von Montepulciano Hat das Sempacher Löwendenkmal auf dem Kirchenplatz die Italiener zu einem Plagiat in- der Treuepflicht gegenüber von Florenz, der Stadt der Medici. Damit ist das Löwendenkmal spiriert? Im berühmten toskanischen Wein- und Hügeldorf Montepulciano steht jedenfalls von Montepulciano deutlich älter als jenes von Sempach, das 1886 als Erinnerung an die ein zum Verwechseln ähnliches Löwendenkmal. Wer durch die befestigte Porta al Prato steil 500-Jahr-Feier der Schlacht bei Sempach erstellt wurde. Ein Ideenklau der Italiener kommt Richtung Altstadt marschiert, trifft auf der Piazza Savonarola auf die Säule des «Marzocco», somit nicht in Frage. Wer weiss, vielleicht liess sich ja, ganz im Gegenteil, der Schöpfer des Wahrzeichen der florentinischen Herrschaft. «Marzocco» wird der Löwe in der Heraldik be- Sempacher Löwendenkmals, der Berner Architekt und Künstler Gottlieb Hirsbrunner, vom zeichnet, der das Wappen von Florenz als Schildhalter mit der rechten Pranke hält. Der Löwen aus Montepulciano inspirieren. Löwe auf der Säule wurde 1511 an die Stelle der sienesischen Wölfin gesetzt zum Zeichen OTTO SCHMID
28. JUNI 2018 • SEMPACHER WOCHE GEDENKFEIER 2018 / FESTREDNERIN 3 «Ewiger Frieden für alle muss das Ziel bleiben» GEDENKFEIER DIE ÖSTERREICHISCHE BOTSCHAFTERIN DR. URSULA PLASSNIK HÄLT DIE DIESJÄHRIGE FESTREDE IN SEMPACH Alleine kann man vieles nicht Tradition automatisch an die schwer- sammenarbeit» beschäftigen. erreichen: Das sagt Dr. Ursula mütigen, slawisch geprägten Kärntner- Haben Organisationen wie die Plassnik. Sie setzt auf starke lieder. Da kommen mir schon gelegent- NATO, EU oder OSZE versagt, Zusammenarbeit und eine ech- lich die Tränen. betrachtet man die Liste andau- te Weltnachbarschaftspolitik, ernder Konflikte, wie zum Bei- bei der auch die Schweiz eine Welchen Ereignissen gedenkt spiel im Nahen Osten oder Afri- grosse Verantwortung trägt. man in Österreich traditioneller- ka, und die daraus resultierten weise? globalen Auswirkungen? Für uns Schweizer ging Arnold 2018 erinnern wir Österreicher uns an Der ewige Friede für alle muss unser von Winkelried nach der Schlacht das Ende des Ersten Weltkrieges mit dem Ziel bleiben. Aber wir werden die bei Sempach als Held in die Ge- Zusammenbruch der alten Ordnung vor menschliche Natur mit ihren Schat- schichte der Eidgenossenschaft 100 Jahren. Aber auch an 1938, den An- tenseiten wohl nicht grundlegend än- ein. Auf der Gegenseite stand der schluss durch Hitler-Deutschland und dern können. Also gilt unsere prakti- Habsburger Herzog Leopold III. die unsagbaren Schrecken des Zweiten sche Arbeit der Konfliktverhütung, Für manch überzeugten Österrei- Weltkrieges. Gedacht wird auch des Jah- der Eindämmung von Gewalt und der cher war er der wahre Held. Wel- res 1968, das war nicht nur die Revoluti- Förderung Rechtsstaatlichkeit. Dazu che Überlieferung wurde Ihnen on der jungen Linken in Paris und an- gehört auch die Unterstützung der zugetragen? derswo, sondern auch der Prager Opfer von Gewalt, Vertreibung und Ganz eindeutig hat sich Winkelried in Frühling und seine Niederschlagung Entrechtung. Österreich und die der Schweizer Erinnerung durchge- durch sowjetische Panzer. Die schmerz- Schweiz sind heute humanitäre Gross- setzt. Obwohl auch Herzog Leopold für haften Brüche des 20. Jahrhunderts ha- mächte. Im Weltdorf des 21. Jahrhun- eine gute Sache – nämlich die Rechts- ben das moderne Österreich ganz we- derts brauchen wir eine echte Welt- staatlichkeit – gekämpft hat und dafür sentlich geprägt. Umso wichtiger ist für nachbarschaftspolitik. Daran können sein Leben lassen musste. Rechtlich ge- uns das Friedensprojekt EU. wir beide aktiv mitwirken. sehen hatte er ja durchaus Grund, die abtrünnige Stadt Luzern, seine öster- Würden Sie Ihre Beziehung zur Die Gedenkfeier findet dieses reichische Landstadt, zur Ordnung zu Schweiz als rein geschäftlich de- Jahr am Sonntag, 1. Juli, statt. Ein rufen. Leopold wurde auf seinem Ge- klarieren oder ist sie auch von bedeutsames Datum, nicht zu- biet im Kampf um sein Recht von den emotionalem Charakter? letzt, weil an diesem Tag auch die eigenen Untertanen getötet, das sehen Wir sind eng verbundene Nachbarn, österreichische EU-Ratspräsident- heute auch die Historiker so. Wenn nicht nur in der Wirtschaft, da gibt es schaft beginnt. Was genau bein- man so will, starben beide, Herzog Leo- Gott sei Dank viele Emotionen. Respekt, haltet dieses Amt für Österreich? pold und Winkelried, den politischen Wertschätzung, ja Bewunderung für den Die EU-Ratspräsidentschaft bedeutet Heldentod. Beide haben sich für ihre erfolgreichen Nachbarn im Westen spie- zunächst zusätzliche Verantwortung, es jeweilige Gemeinschaft geopfert. len ebenso mit wie das Wissen um die ist eine Dienstleistung für die «Familie Gemeinsamkeiten. Unsere relative Klein- Botschafterin Ursula Plassnik beim Kantonsbesuch in Genf im Februar 2018. EU». Also viel Arbeit, auf allen Ebenen. heit, die Neutralität, der Föderalismus, FOTO VÉRONIQUE BOTTERON Wir übernehmen grosse Hausaufgaben «Die EU leistet viel die alpine Komponente, die sportliche wie die Regelung des Verhältnisses mit für die Sicherheit der Grundeinstellung, der Tourismus, das Grossbritannien und die EU-Finanzpla- Schweiz.» Umweltbewusstsein, unsere Lage im allzu ernst. Vielleicht haben wir ein son- gern und haben unsere Zweifel. Aber nung für die nächsten sieben Jahre. Herzen Europas – lauter verbindende nigeres Gemüt, obwohl wir technisch ge- wir sitzen immerhin am Tisch, können Faktoren, die wir beide mit unseren an- sehen kein Mittelmeerland sind … uns einbringen, mitreden, mitentschei- Macht es Sie stolz, dass Öster- deren Nachbarn nicht im selben Aus- den, mitverantworten. So buchstabiert reich dieses Amt einnehmen Welche Assoziationen verbinden mass erleben. Von aussen gesehen könn- Diverse Kriege haben die Ver- man Souveränität im 21. Jahrhundert. darf? Sie mit dem Ort Sempach? te man uns für Geschwister halten. gangenheit Europas geprägt, Keiner kann alles im Alleingang. Beson- Stolz wäre nicht der richtige Aus- Grob gesprochen wurden in Sempach der Zweite Weltkrieg hat bis ders eher kleine Länder sind stärker auf druck, ich werde mich Anfang 2019 die alten Habsburger von den alten Eid- Für welche Nation fiebern Sie heute spürbare Spuren in der Rechtsstaatlichkeit und Respekt ange- über eine sauber geleistete Arbeit freu- genossen so richtig verprügelt. Histo- beim Skisport mit: Für die Gesellschaft hinterlassen. Wie wiesen. Die Grossen könnten es sich en. Und wenn wir gemeinsam den risch Entscheidendes wurde aber damit Schweiz oder bleiben Sie Ihrem beurteilen Sie die Zusammenar- leichter selber richten. Durchbruch beim Rahmenabkommen wohl nicht erreicht, es war ein regionales Herkunftsland treu? beit Österreichs mit seinen EU–Schweiz schaffen, werde ich mich Ereignis. Sempach ist eine der am Keine Frage, beim Sport hört der Spass Nachbarländern heute? doppelt freuen! schlechtesten dokumentierten Schlach- auf. Da gibt es beinharte Konkurrenz. Als eng und vertrauensvoll. Wir haben «Nur mit enger Zu- ten des Mittelalters, also wissen wir nicht Selbstverständlich kommt da für mich insgesamt neun Nachbarn, wenn man sammenarbeit haben Welche Erwartungen stellen Sie wir eine Chance.» viel über das eigentliche Geschehen an Österreich zuerst. Aber wenn wir nicht Kroatien dazuzählt. Lauter sehr unter- an Ihre Landsleute während der diesem heissen Julitag 1386. Umso selbst auf dem Siegerpodest stehen, schiedliche Länder mit ganz eigenen österreichischen EU-Ratspräsi- mächtiger ist der Mythos jenseits der his- freue ich mich über jeden Schweizer Er- Traditionen und Entwicklungen. dentschaft? torischen Fakten. Sempach ist längst folg. Und beim Tennis gibt es derzeit oh- Nicht immer versteht man alles, nicht Von meiner Regierung erhoffe ich zum festen Bestandteil der Schweizer nehin nur Roger Federer. Am besten sind immer ist man mit allem einverstan- Bevor Sie im September 2016 an höchste Professionalität und europäi- Identität geworden. Ich möchte Sie nicht wir, wenn wir etwas gemeinsam in An- den. Aber ein tiefes Gefühl der Zu- die Aare zogen, waren Sie Bot- sche Leidenschaft. Bei günstigem kränken, aber ausserhalb der Schweiz ist griff nehmen, zum Beispiel im Fussball. sammengehörigkeit überwiegt. In schafterin in Frankreich. Welche Wind können wir vielleicht einen Bei- Sempach weniger bekannt. Amerika beginne ich Reden über Ös- Reaktionen nahmen Sie nach den trag dazu leisten, dass in der EU wie- Woran denken Sie? terreich meist mit der Aufzählung un- Terroranschlägen in Paris vom der das Zusammengehörigkeitsgefühl In der Region gedenkt man der 2008 haben wir gemeinsam die Euro- serer Nachbarn, da versteht man bes- 13. November 2015 in der Stadt wächst. Die Wirtschaft wächst, die Ju- Schlacht traditionsbewusst. All- pameisterschaft ausgerichtet, das war ser, wer wir sind. und innerhalb der französischen gend hat wieder deutlich mehr Ver- gemein pflegt der Schweizer sei- toll! Adi Hütter, der österreichische Gesellschaft wahr? trauen in das europäische Projekt. Die ne Traditionen mit Respekt und Trainer, hat die Young Boys wieder Wie nehmen Sie die Beziehungen Es ist schwer, diese heftigen Gefühle der Voraussetzungen sind also gut. emotionaler Verbundenheit. Wie zum heiss ersehnten Meistertitel ge- zur Schweiz wahr, ist sie doch Verunsicherung, des Entsetzens, aber ausgeprägt ist das Traditionsbe- führt, während umgekehrt der kein Mitglied der EU? auch des Standhaltens im Sturm nach- Sehen Sie sich in erster Linie als wusstsein des Österreichers? Schweizer Marcel Koller die österrei- Bis 1995 waren Österreich und die zuempfinden, ohne sie unmittelbar er- Europäerin, Österreicherin oder Unser Traditionsbewusstsein ist nicht chische Nationalmannschaft entschei- Schweiz EFTA-Partner, natürlich haben lebt zu haben. Aber eines ist sicher, die Kärntnerin? minder stark ausgeprägt als das der dend nach vorne brachte. sich durch den Nicht-Beitritt der Schweiz Franzosen lassen sich nicht von Terroris- Alles zugleich und alles zusammen. Schweizer. Nur zeigt es sich auf andere zum EWR die Parameter unserer europa- ten vorschreiben, wie sie zu leben haben. Das ist meine unverwechselbare Iden- Weise. Wir feiern weniger die Erinne- politischen Zusammenarbeit verändert. Die sichtbaren Sicherheitsvorkehrungen tität. Die lässt sich nicht mehr auf- rung an Schlachten, das alte Öster- «Im Weltdorf des Der bilaterale Weg ist massgeschneidert haben deutlich zugenommen. Heute sind spalten. Der Sonderfall Ursula Plass- reich war zwar eine europäische Gross- macht, aber militärische Siege waren 21. Jahrhunderts für die Schweiz und die EU. in etwa gleich viele Soldaten in Frank- reich im Einsatz wie in allen französi- nik, sozusagen. SCHRIFTLICH GEFÜHRTES INTERVIEW unsere Sache eher nicht. Obwohl – be- brauchen wir eine Inwiefern? schen Auslandseinsätzen zusammen. ELLA RICHARDS stimmte schmerzhafte Niederlagen, echte Weltnachbar- Die Schweiz des Jahres 2018 ist eine schaftspolitik.» wie der Tod von Andreas Hofer, spielen Europäerin und eine Weltbürgerin. Sie Welche Rolle nimmt die Schweiz immer noch eine grosse Rolle. ist keine Insel. Die Schweiz liegt viel- in der globalen Krisenbewälti- mehr inmitten des vielfältigsten und gung ein? Gilt die für die Erfahrene Diploma- Wer war dieser Andreas Hofer? sozial am wenigsten ungerechten Erd- Schweiz so wichtige Neutralität Andreas Hofer ist der Volksheld der Ti- Welche Eigenschaften schätzen teils. Doch die Europa-Lage der auch in der heutigen Zeit noch tin und Politikerin roler. 1809 war er der Anführer des Auf- Sie an den Schweizern? Schweiz ist nicht nur Glückssache, als richtungsweisende und stands gegen die bayerischen und fran- Es ist nicht leicht, von den Schweizern sondern auch politisches Schicksal. schützenswerte Eigenschaft? DR. URSULA PLASSNIK Die zösischen Besatzer. Zur Identität der ganz allgemein zu reden, sie sind ja Sie profitiert von der stabilen Nachbar- Die Schweiz ist in der internationalen 62-jährige Kärntnerin ist seit 1. Sep- Tiroler gehört auch die Tradition der Ti- wirklich sehr vielfältig. Persönlich schaft, nicht alles gelingt nur aufgrund Diplomatie ein nicht wegzudenkender tember 2016 Botschafterin der Repub- roler Schützen, die in prächtigen Kostü- schätze ich ganz besonders die Treue eigener Tüchtigkeit. Ohne ihre Nach- Partner. Sie leistet in der UNO, im Eu- lik Österreich in der Schweiz, zuvor men zu festlichen Anlässen mit ihren der Schweizer, ihre Verlässlichkeit, barn, ohne die Kunden in aller Welt roparat und in der OSZE, aber auch in war sie Botschafterin in Frankreich historischen Waffen aufmarschieren. ihre Freude an guter Arbeit, ihren und ohne die klugen ausländischen manch regionaler Krise wertvolle und und Monaco. Sie studierte Rechtswis- Das sieht dann recht martialisch, aber Hang zur Präzision, ihre Bodenstän- Forscherköpfe wäre die Schweiz ein anerkannte Beiträge zur Friedensför- senschaften und Europarecht und trat auch farbenfroh und stolz aus. digkeit, aber auch die Offenheit gegen- völlig anderes Land. Die EU leistet viel derung. Neutralität allein ist jedoch 1980 in den österreichischen diplo- über der Welt und ihren Möglichkeiten. für die Sicherheit der Schweiz. kein Garant für Sicherheit, heute kann matischen Dienst ein. Ursula Plassnik Wie zeigt sich das öster- niemand mehr seine Sicherheit im Al- ist ehemalige österreichische Aussen- reichische Traditionsbewusst- Was machen die Österreicher Ih- Können Sie die gewisse EU-Skep- leingang gewährleisten, das wäre eine ministerin und war sieben Jahre lang sein sonst noch? rer Meinung nach etwas besser? sis, wie sie in der Schweiz spür- gefährliche Illusion. Nur mit enger Kabinettschefin des Vizekanzlers und Es lebt stärker in der Musik, im Brauch- Die Österreicher können vielleicht besser bar ist, nachvollziehen? Zusammenarbeit haben wir eine späteren Bundeskanzlers Dr. Wolf- tum, ja sogar in der Kleidung, denken umgehen mit dem Leben in grösseren Ja, solange sie nicht zur EU-feindlichen Chance. gang Schüssel. Neben ihrer Tätigkeit Sie nur an die Trachten. Selbst unter Zusammenhängen, etwa als Miteigentü- Ideologie wird. Man sollte schon nüch- als Diplomatin referiert und publi- den berühmten Wiener Bällen sticht der mer der Europäischen Union. Unser kul- tern bleiben und zu seinem Vorteil Sie sprechen es bereits etwas ziert Ursula Plassnik zu internationa- Jägerball hervor, der Jahr für Jahr auch turelles Selbstbewusstsein ist ausgepräg- schauen, ohne andere zu verteufeln. an: In Ihrer Festrede werden Sie len Frauenfragen und europäischen eine Schau der elegantesten Dirndlklei- ter. Wir halten uns für humorvoller und Auch den EU-Ländern passt nicht im- sich unter anderem mit dem Themen. RED der ist. Als Kärntnerin denke ich bei nehmen uns selbst und die Welt nicht mer alles an der EU, auch wir klagen Thema «Versöhnung und Zu-
4 GEDENKFEIERBEILAGE 2018 / RÜCKSPIEGEL SEMPACHER WOCHE • 28. JUNI 2018 Jürgen Weiss nahm die Kurve mit Charme FESTREDE AUSLÄNDERPREMIERE AN DER GEDENKFEIER 1998 Ausländische Redner bei der Sempacher Schlachtjahrzeit? Das war über Jahrhunderte «Rundum erfreulich» kaum denkbar. Bis 1998 der Po- litiker Jürgen Weiss aus dem be- «Der Tag der Gedenkfeier war für nachbarten Österreich auf dem mich ein rundum erfreuliches Erleb- Schlachtfeld eine kluge Festrede nis – vom strahlenden Sonnenschein hielt. Sein Auftritt hatte Signal- und dem frischen Wein bis hin zu wirkung. den würzigen Käseschnitten unter den Bäumen bei der Schlachtkapel- Es gibt manche Elemente wie etwa die le.» So erinnerte sich Jürgen Weiss, Alpen, der Tourismus oder die Last der bis 2009 dem österreichischen des Transitverkehrs, die uns mit Ös- Bundesrat angehörte, ein Jahr später terreich verbinden. So herrscht zwi- in einem persönlichen Rückblick. Er schen den Nachbarn wohlwollende habe sich nach Annahme der Einla- Eintracht im Alltagsleben. Doch Ös- dung zunächst «etwas befangen» ge- terreich und Sempach – das wollte in fühlt. Staatsschreiber Viktor Baume- der Volksseele lange Zeit nicht zusam- ler habe ihn aber «schon frühzeitig mengehen. Unsere Heldengeschichten und taktvoll beruhigend darauf hin- hatten die Habsburger und damit Ös- gewiesen, dass es sich um eine Ge- terreich zu unversöhnlichen Gegnern denkfeier und nicht etwa um eine gestempelt, die bei Sempach ihre ver- Siegesfeier handle». diente Niederlage erlitten. In österrei- Dass sein Auftritt bei ein paar Leuten chischen Schulbüchern hingegen dennoch für Irritation gesorgt hatte, spielt Sempach offenbar «eine margi- nahm Jürgen Weiss nicht tragisch, nale Rolle», wie der Historiker und «war ich doch in Abkehr von der bis- Geschichtslehrer Heinz Strotzka in herigen Tradition der erste ausländi- der Festzeitung 1998 unter dem Titel sche Redner in Sempach. Wobei «Wohlwollende Vernachlässigung» diesmal nicht Österreich, sondern versicherte. die EU als Zielscheibe herhalten musste». Erst in Sempach sei ihm Gegensätze entschärft übrigens bewusst geworden, «wie Was Österreich und Habsburg betrifft, viel Gemeinsamkeiten es zwischen hat bei uns schon vor etlichen Jahren Vorarlberg und Luzern gibt – vom in Schule und Gesellschaft ein Um- See bis zu den Musikfestspielen und denken eingesetzt. Vor allem die Ge- Der österreichische Politiker Jürgen Weiss in der Höhle des Löwen: Die erste Festrede eines Ausländers an der Sempacher Gedenk- zur Struktur des Landes». HM schichtsforschung im Umfeld des feier von 1998 hatte Signalwirkung. FOTOS OTTO SCHMID/ARCHIV 600-Jahr-Jubiläums von 1986 hat die Gegensätze nachhaltig entschärft. Eine Schulklasse aus Flühli-Sören- es sei gut, «dass die Schweizer und hatte die Luzerner Regierung in jenem sierten Gedankengängen die Sympa- serhalb der Union – ein wichtiger berg drückte es vor 20 Jahren auf dem Österreicher heute ihre Kämpfe auf Jahr erstmals einen ausländischen Gast thie der Festgemeinde im Nu zu ge- Bundesgenosse». Schlachtfeld so aus: «Die Eidgenossen der Skipiste austragen». eingeladen, Jürgen Weiss aus dem EU- winnen. Den weit zurückliegenden haben den Kampf gewonnen, und das Land Österreich, das 1386 auf der «fal- Berührungspunkt Sempach 1386 Ohne Zwischenfälle war für die Luzerner von damals aus- «Längst verziehen» schen» Seite stand. Ausgerechnet ei- streifte er nur kurz, bevor er sich dann Das war Labsal für empfindliche Bür- serordentlich wichtig. Aus der Sicht Das sagten die jungen Leute aus dem nen Österreicher! Die Einladung soll seinem eigentlichen Thema zuwand- gerseelen. «So blieb es auf dem der Österreicher waren sie aber als Entlebuch anlässlich der Gedenkfeier denn auch, allem Umdenken zum te, dem künftigen Stellenwert der bei- Schlachtfeld friedlich, die Sicherheits- Aufständische im Unrecht.» Und ja, von 1998. Als offiziellen Festredner Trotz, unwirsche Telefonanrufe bei der den auf Eigenständigkeit bedachten, leute der Kantonspolizei konnten sich Staatskanzlei ausgelöst haben. Schult- neutralen Kleinstaaten Schweiz und diskret im Hintergrund halten», be- Anzeige heiss Paul Huber suchte in seinem Österreich im Herzen Europas. richtete am nächsten Tag die «Neue spritzigen Grusswort die «selbster- Luzerner Zeitung» und fuhr fort: «Das nannten Patrioten» mit dem schon fast Ringen um den Ausgleich Grüpplein der Auns (Aktion für eine sarkastischen Hinweis zu beschwichti- Dass immer mehr Menschen «nicht unabhängige und neutrale Schweiz), gen, beim Gast handle es sich nicht um mehr wissen, was und von wem über mit europakritischen Flugblättern und einen, «den wir für den Bau geholt ha- sie verfügt wird» – mit diesem Be- Spruchtafeln ('Fremde Vögte – nein ben und der jetzt nach zwanzig Jahren fund sehe sich die EU, «ohne dass sie danke') ausgerüstet, hörte sich zuwei- – wegen der Baukrise arbeitslos – par- allein dafür verantwortlich wäre», zu- len murrend, aber ohne laute Widerre- tout nicht mehr heim will». Und übri- nehmend konfrontiert, sagte Jürgen de die klug abgemessenen Worte des gens hätten wir, so der damalige Regie- Weiss. Es sei deshalb nicht erstaun- Politikers aus dem Nachbarland an. rungspräsident, «den Österreichern lich, dass die «Dynamik der Verge- Und als der Duft der für den Imbiss im Sie können sich auf uns schon längst verziehen». meinschaftung und Vereinheitlichung immer stärkerem Gegenwind ausge- Zelt nebenan zubereiteten Armee-Kä- seschnitten über die Menge strich, verlassen – weil wir täglich Im Herzen Europas Festredner Jürgen Weiss aus Bregenz, setzt ist». Inzwischen werde aber auch von grossen Nationalstaaten dachte ohnehin niemand mehr ans Streiten.» HANS MOOS unser Bestes für Sie geben. damals Vizepräsident des österreichi- schen Bundesrates (der zweiten Parla- «die Notwendigkeit einer Kurskorrek- tur gesehen». In diesem Ringen um Hans Moos war langjähriger Redaktor beim Va- mentskammer) und ehemaliger Bun- den Ausgleich zwischen Gross und terland und bei der Luzerner Zeitung und von Urs Birrer, Regionaldirektor Sursee 2001 bis 2012 Gemeindepräsident von Ballwil. desminister für Föderalismus und Klein sei die Schweiz einerseits «ein Von 1994 bis 2016 hat er die Redaktion der Staatsreform in der Landesregierung, erfolgreiches Modell in kleinerem Festzeitung für die Sempacher Gedenkfeier be- verstand es, mit Charme und wohldo- Massstab» und «für uns – auch aus- treut. Impressum Beilage der Sempacher Woche vom 28. Juni 2018. Verkaufspreis der Gedenkfeierbeilage: Fr. 2.50 Redaktion Hans Wüst, ateliersempach.ch Geri Wyss, Redaktionsleiter Sem- pacher Woche Autoren dieser Ausgabe André Heinzer (AH), Sempach Sta- tion Kurt Messmer (KM), Emmenbrücke Hans Moos (HM), Ballwil Ella Richards (RIE), Sursee Paul Rosenkranz, Horw Thomas Scherer, Luzern Otto Schmid (OS), Neuenkirch Jürg Schmutz (JS), Rain Mary Sidler, Sempach Geri Wyss (WY), Nottwil Verlag und Druck WM Druck Sempacher Zeitung AG 6203 Sempach Station Verlagsleitung: Gregor Lötscher Telefon 041 467 19 19 verlag@sempacherwoche.ch Jürgen Weiss an der Seite des Luzerner Regierungsrates Paul Huber (rechts) auf dem Druck: Neue Luzerner Zeitung AG Weg zum Winkelried-Gedenkstein auf dem Sempacher Schlachtfeld.
28. JUNI 2018 • SEMPACHER WOCHE GEDENKFEIER 2018 / SEMPACH 5 «Bruder» führte «Schlacht» in die Moderne WIRTSCHAFT ZUR SCHLACHT FAMILIE ROLF UND MARTINA WEY-EMMENEGGER WIRTEN AUF DEM SCHLACHTFELD Einen inoffiziellen Marsch gibt es noch immer SEMPACH LEBENDIGES GEDENKEN AN DIE SCHLACHT Das Gedenken an die Schlacht spreche er als Mitglied der Kommissi- von Sempach wird nach wie vor on «Gedenkfeier Sempach» den gelebt, auch ohne offiziellen Marsch zur Gedenkstätte jedes Jahr an, Marsch zum Schlachtfeld. Doch doch der Druck für eine Veränderung die Feier weist auch eine Ge- sei heute aus den obgenannten Grün- schichte mit Misstönen auf. den relativ klein. Zudem marschieren auch heute noch die Zunft zu Sarfan Im Gedenken an die Schlacht von Sem- sowie die Sempacher Kriegergruppe pach widerspiegelten sich schon ver- im Nachgang zur offiziellen Feier aufs schiedentlich politisch gegensätzliche Schlachtfeld. «Der Besuch des Winkel- Ansichten. So marschierten jahrelang rieddenkmals ist für viele nach wie vor auch Menschen mit teils rechtsextre- Ehrensache», sagt Franz Schwegler. mem Gedankengut aufs Schlachtfeld. 2009 sorgten linke und rechte Fronten Irritationen rund um die Schlacht für einen unwürdigen Anlass, verbun- Beispiele für die politische Vereinnah- den mit einem enormen Polizeiaufge- mung der Schlacht gibt es einige. 2010, bot und Sicherheitskosten von 300’000 als lediglich ein ökumenischer Gottes- Franken. Auf die Tatsache angespro- dienst in der Pfarrkirche stattfand, be- chen, dass es in Sempach nach wie vor schmierten Unbekannte das Winkel- viele Stimmen gibt, die sich einen rieddenkmal mit roter Farbe. Bereits Marsch zum Schlachtfeld und eine 1986 waren die Schlachtkapelle und dortige offizielle Feier wünschen, sagt viele andere historische Denkmäler in Sempachs Stadtpräsident Franz Sempach besprayt worden. Seltsam Schwegler: «Die neue Form der Ge- mutet auch die Tatsache an, dass bei denkfeier seit 2011 ist ein Erfolg. Die den Gebeinen im Beinhaus heute keine Vereinnahmung und Störung durch Schädel mehr liegen. Die letzten Schä- Dritte konnte eliminiert werden und del waren erst nach der Kapellenreno- die Feier mit Morgenbrot, kirchlichem vation 1985 ins Beinhaus gelegt, doch und weltlichem Akt sowie mit Volks- bald darauf von Dieben entwendet Der Geschäftsführer der Wirtschaft zur Schlacht, Rolf Wey, vor dem Traditionsbetrieb nahe dem Schlachtfeld. Mittlerweile führt apéro findet guten Anklang.» Zwar worden. WY die fünfte Generation der Familie Wey den Gastronomiebetrieb. FOTO GERI WYSS Anzeige Seit 150 Jahren wirtet die Familie Pflicht der Schüler von Sempach, mit Suppe mit Spatz an.» Auch kämen eini- Wey in der «Schlacht» und sorgt Fahnen ausgestattet vom Städtli auf ge Gruppen wie bis anhin aufs Gelände, dafür, dass die Liegenschaft bes- das Festgelände zu marschieren, sagt so etwa die Zunft zu Safran Luzern oder tens im Schuss ist. Der heutige er mit einem Schmunzeln weiter. die Kriegergruppe Sempach. Wer auch «Schlachtbruder» Rolf Wey er- immer noch aufs Schlachtgelände pil- zählt von seinen Kindheitserin- gert, sind die Rechtsgerichteten, um ih- nerungen an die Schlacht, wie «Warum ist in Sem- ren Kranz beim Winkelrieddenkmal wichtig das Ereignis für sein Haus ist und was sich nach der pach nicht möglich, niederzulegen. «Sie kommen meistens am eigentlichen Tag der Schlacht, am Redimensionierung der Feier al- was bei anderen 9. Juli, in der Abenddämmerung», sagt les verändert hat. Rolf Wey. Probleme gemacht hätten die- Gedenkfeiern se Leute bisher nie. Politisiert wurde Noch ist es ruhig und beschaulich in der Wirtschaft zur Schlacht an diesem funktioniert?» die Gedenkfeier von Sempach jedoch unbestrittenermassen. «Einmal wurde späten Frühlingsnachmittag. Ein paar ROLF WEY, GESCHÄFTSFÜHRER WIRTSCHAFT der Kranz von Linken gestohlen», deu- ZUR SCHLACHT UND «SCHLACHTBRUDER» Stammgäste haben sich an ihrem Tisch tet Wey das Katz-und-Maus-Spiel an. Er niedergesetzt und die Terrasse ist leer, bedauert, dass die Sempacher Schlacht weil erst noch ein tüchtiger Regen- Die «wetterbedingte» Absage politisch so stark vereinnahmt worden schauer niedergeprasselt war. Hier kann Heute ist einiges anders. Die offizielle ist, dass der Kanton Luzern nach 2009 es auch ganz anders zu- und hergehen. Gedenkfeier findet nur noch am Sonn- wegen den horrenden Sicherheitskos- Vor allem an schönen Wochenenden tag statt; im Städtli mit dem Morgen- ten von 300’000 Franken auf die Feier suchen viele Ausflügler die Wirtschaft brot und einem ökumenischen Gottes- vor Ort verzichtet hat. «Warum ist in mit schöner Aussicht auf den Sempa- dienst in der Kirche. Seit 2011 ist dies Sempach nicht möglich, was bei ande- chersee und die Alpenkette auf. Und so, nachdem es 2010 mit einer stark ren Gedenkfeiern, beispielsweise in weil die «Schlacht» mit der nahen Ka- verkleinerten Gedenkfeier zu einem Morgarten oder Näfels, problemlos pelle und dem Winkelrieddenkmal zu- Bruch gekommen war. Grund war, dass funktioniert?» dem eine historische Stätte ist, kommen 2009 Zusammenstösse zwischen viele Gesellschaften auch deswegen, Linksautonomen und Rechsgerichte- Kauf erhielt Familientradition manchmal grad carweise. «Etwa 20 bis ten drohten. Der Kanton Luzern sagte Für die Familie Wey war 1995 ein 25 Prozent der Gäste jährlich sind der den Marsch kurzfristig ab – angeblich wegweisendes Jahr. Bis anhin gehörte historischen Stätte zuzuschreiben», er- wegen schlechten Wetters. Das war ein die Liegenschaft mit der «Schlacht» zählt Rolf Wey, der zusammen mit sei- Novum, war der Marsch zum Schlacht- dem Kanton, nun aber veräusserte er ner Frau Martina Wey-Emmenegger den feld ansonsten immer erfolgt, auch bei das Ganze, weil hohe Investitionen Traditionsbetrieb in fünfter Generation Wind und Wetter, und wohl ein vorge- anstanden. Die Eltern von Rolf Wey führt. Die Bewirtung an historischer schobener Grund. «Es hätte ja auch al- tätigten den Kauf. Es sei schon ein Stätte oberhalb von Sempach reicht ternative Routen für den Marsch gege- rechter Brocken investiert worden, er- aber noch viel weiter zurück. Auch an ben», sagt Wey. Wenn man Rolf Wey, zählt Wey, doch dass man die Famili- diesem Tag ist über Mittag eine Reise- dem Geschäftsführer der Wirtschaft entradition habe weiterleben lassen, gruppe mit dem Car angereist, hat eine zur Schlacht und somit dem heutigen sei der richtige Entscheid gewesen. Maiandacht in der Kapelle abgehalten «Schlachtbruder» zuhört, wird schnell Damals war vor allem in die Technik und ist danach zum Essen in die Wirt- klar, dass er die Feier auf dem Schlacht- in der Küche Geld gesteckt worden, schaft gekommen. gelände vermisst. «Nicht nur aus ge- später folgten weitere Modernisierun- schäftlichen Überlegungen», wie er be- gen der Räumlichkeiten. «Zwischen- Emotionale Verbundenheit teuert, sondern auch, weil «sie einfach durch mussten wir auch ziemlich mit Wohl ist die Schlacht bei Sempach hierher gehört». Es gebe noch heute – dem Denkmalschutz kämpfen», blickt fürs Geschäft der Wirtschaft bedeut- nach mittlerweile acht Jahren, in de- der «Schlachtbruder» zurück. sam. Eine gehörige Portion Verbun- nen die Gedenkfeier nur noch im Rolf Wey hat mit der Modernisierung denheit mit der historischen Stätte ist Städtli über die Bühne geht – Leute, nicht bloss auf die Bewirtung mit Essen bei Rolf Wey aber auch emotionaler die am Sonntag zur «Schlacht» kämen und Trinken gesetzt. Den Schopf benut- Natur. «Ich bin hier oben aufgewach- und sich wunderten, dass keine Feier zen auch immer wieder grosse Gruppen sen, habe schon als Bub das ganze mehr vorhanden sei, «Auswärtige, die und es finden verschiedene Veranstal- Treiben an der Gedenkfeier mitbe- noch nicht davon erfahren haben». tungen in Verbindung mit der Gastrono- kommen», erzählt der 41-Jährige. Da- mie statt. «Die Wirtschaft weist einen mals fand die Gedenkfeier noch am Suppe mit Spatz in der «Schlacht» zeitgemässen Standard auf und ist über Samstag statt, gefolgt von einem Got- Dass auch Einheimische sich die Feier das ganze Jahr gut ausgelastet.» Ent- tesdienst und einer Schlachtkilbi mit zurück aufs Schlachtfeld wünschen, ist sprechend positiv blickt Rolf Wey in die Ständen am Sonntag. «Ich war immer ein offenes Geheimnis. Dennoch: Zukunft. Und er hofft, dass eines Tages eingespannt auf dem elterlichen Be- «Schlachtbruder» Rolf Wey sorgt dafür, die Gedenkfeier wieder mit etwas gu- trieb, wenn es darum ging, das Festge- dass ein Rest der Gedenkfeier auch in tem Willen aufs Schlachtgelände zu- lände herzurichten.» Dadurch war der Wirtschaft zur Schlacht überlebt rückkehrt. «Man sollte wieder einen Rolf Wey auch freigestellt von der hat. «Wir bieten an dem Tag wie früher neuen Anlauf wagen.» GERI WYSS
6 GEDENKFEIER 2018 / SEMPACH SEMPACHER WOCHE • 28. JUNI 2018 3,8 Zentimeter Kulturgeschichte KIRCHBÜHL EINE DARSTELLUNG IM BEINHAUS DOKUMENTIERT EXEMPLARISCH DIE WOHN- UND WEHRTÜRME DER ZENTRALSCHWEIZ Ausgangspunkt dieser kulturge- schichtlichen Reise ist ein un- scheinbares Detail im Beinhaus Kirchbühl. Der Ausschnitt eines bemalten Altaraufsatzes von 1575 ist bloss 3,8 Zentimeter Das Beinhaus auf Kirchbühl von 1575 ist gross. Er zeigt eine Burganlage derart schlicht, dass seine Schönheit mit einem typischen Wohnturm. leicht übersehen wird. Über fast quadrati- scher Grundfläche erhebt sich ein Bau der Wandbilder in der Kirche und der Fried- Spätgotik, wie seine Körperhaftigkeit und hof von Kirchbühl erinnern eindring- spitzbogige Pforte erkennen lassen. Ein lich an den Tod («memento mori»). Vordach bietet Schutz und gliedert die Doch für einmal soll nicht die Kirche im Fassade, deren einziger Schmuck ein Zentrum der stimmungsvollen Anlage schmales Fenster ist. Zwei Bogenfenster stehen, sondern das Beinhaus von 1575. grenzen sich formal vom Eingang ab und Bei dessen Bau wurde der Gedanke an bilden mit diesem zusammen in selbstver- das Jenseits noch gesteigert. Der Tod ist ständlicher Harmonie dennoch eine Ein- allgegenwärtig. An den Wänden des kar- heit, kraftvoll und rhythmisch. Die Holz- gen, flachgedeckten Innenraums wur- gitter sollten abhalten und zugleich die den in regelmässigen Abständen Toten- Luft zirkulieren lassen – wie unten bei den schädel und Gebeine angebracht, Öffnungen der Tuchlaube im Sempacher ergänzt mit Memento-mori-Sprüchen in Rathaus. Das angrenzende Tor ist an Ein- ungelenker Sprache. An der Ostwand ist fachheit kaum zu überbieten, übernimmt trotz schwerer Schäden noch immer ein aber eine wichtige Funktion. Es grenzt grossformatiges Wandbild mit Christus den Bezirk der Toten von der Welt der Le- im Ölberg erkennbar, ein weit verbreite- benden ab. FOTOS OTTO SCHMID tes Motiv, das die Lebenden mahnen, die Sterbenden trösten sollte. Ein Sockel und Gehäuse aus Stein in der Südost- ecke, 1,80 Meter hoch, diente den «ar- men Seelen» als Totenleuchte mit einem «ewigen Licht». Kirchbühl, Westwand des Beinhauses. Unscheinbares Detail Der hölzerne flache Sockel, der einst auf An der Westwand befindet sich ein fla- einem Altartisch stand und ein Altarbild cher Sockel (Predella), der einst auf ei- trug, eine sogenannte Predella, folgt wie nem Altartisch stand. Er zeigt Christus, das ganze Beinhaus spätgotischen Vor- umgeben von zwölf Aposteln. Die linke bildern: Christus umgeben von den zwölf Hand von Christus ruht auf einer Aposteln; zur Rechten von Christus Pet- Sphärenkugel, die eine mächtige, mittel- rus mit dem Schlüssel, zur Linken Johan- alterliche Burganlage mit einem typi- nes mit dem Kelch. schen Wohnturm zeigt. Vom 10. bis zum 15. Jahrhundert wurden im Gebiet der Schweiz rund 2000 derartige Burgen ge- baut. Zwar existierten nicht alle zur glei- Ausschnitt «Christus» aus chen Zeit. Manche wurden verlassen, dem Altarbild im Beinhaus noch bevor andere entstanden – den- Kirchbühl. Wie im Spätmit- noch! Die grosse Zeit der Burgen war das telalter üblich, erhebt 13. Jahrhundert. Nach 1350 wurden nur Christus seine rechte Hand noch wenige neue Burgen gebaut. Auch zum Segen. In der linken wenn die Burganlagen aus dem Hoch- hält er eine Sphärenkugel, mittelalter im Gebiet des heutigen Kan- ein Symbol für die Macht tons Luzern mit Ausnahme der Heidegg über die Welt. Bekrönt ist nur noch als Ruinen bestehen, sind sie die Sphärenkugel mit dem doch von hohem kulturgeschichtlichem Kreuz Christi. Daraus ging Wert. Als steinerne Zeugen erinnern sie im Mittelalter der Reichs- uns in dreidimensionaler Form an die apfel hervor, zusammen Art und Weise, wie unser Lebensraum mit Zepter und Schwert ei- während Jahrhunderten regiert und ver- nes der Insignien christli- waltet wurde. Das rechtfertigt den oft ho- cher Herrscher. hen Aufwand für ihre Erhaltung. Der Burgenbau dokumentiert sieben Jahr- hunderte unserer Sozial- und Wirt- schaftsgeschichte! Dazu liefert der «Wohnturm von Kirchbühl» als Gemäl- deausschnitt eine realistische Vorstel- Ausschnitt «Sphärenkugel» aus dem Altarbild im Beinhaus Kirchbühl. Die Welt, über- lung. KURT MESSMER wölbt vom Himmel, wird symbolisiert durch eine mächtige Burg. Eine hohe Mauer um- Schematischer Querschnitt durch einen schliesst ein umfangreiches Gelände, das bis in den Vordergrund reicht und links hin- Kurt Messmer ist promovierter Historiker und typischen Wohnturm (von unten nach ten gegen einen Hügel abgegrenzt ist. Zentrum dieser eindrücklichen Burganlage ist wohnt in Emmenbrücke. Bis 2011 war er in der oben): Keller, Hocheingang (links), Küche ein typischer Wohnturm mit nur schmalen, länglichen Fenstern. Der steinerne Turm Geschichtslehrerausbildung tätig, seither ist er mit offenem Feuer, Wohnraum mit Ka- wird abgeschlossen von einem hölzernen Obergaden, der vorkragt, um die Wohnflä- freischaffender Historiker. Er war an der Pla- nung des neues Sempacher Rathausmuseums chelofen, Obergaden mit Schlafräumen che zu vergrössern. Gedeckt ist er mit einem Walmdach, der kleine Turm daneben mit beteiligt. (Werner Meyer). FOTO ZVG einem Zeltdach. Wohn- und Wehrtürme der Zentralschweiz Der «Wohnturm von Kirch- bühl» fügt sich ausgezeich- net in die Kulturlandschaft unseres Lebensraums ein, wie die folgende Übersicht dokumentiert. Bauweise und funktionaler Standort machen diese Türme zu Landmarken, an denen wir uns orientieren, optisch Schloss Beromünster LU, ty Meierturm in Silenen UR, er Burgturm von Seedorf UR, Turm Roten, Hohenrain LU, Wasserturm Luzern. Hier Mittelalterlicher Wehrturm, und historisch. KM pischer Wohnturm aus der baut im 13. Jahrhundert. Die vermutlich aus dem 13. Jahr erbaut um 1300. Die ehe wurden der Staatsschatz und drittes Viertel des 14. Jahr ersten Hälfte des 14. Jahr Herren von Silenen amteten hundert. Über einem steiner malige Kommende war das Staatsarchiv aufbewahrt. hunderts, Ausschnitt aus hunderts. Chorherr Helias als Meier der Zürcher Frau nen Sockel mit ebenerdigem eine der ältesten Nieder Gemäss Heinz Horat war der dem Wandbild in der Kirche Helie betrieb hier im 15. Jahr münsterabtei und verwalte Eingang erhebt sich ein lassungen der Johanniter Turm nicht Teil der Stadtbe St. Niklausen ob Kerns OW; hundert eine Druckerei und ten deren Güter im mittleren mächtiger, zweigeschossiger auf dem Gebiet der heuti festigung, sondern wurde typisch der vorkragende brachte 1470 das erste da Reusstal. Das Kloster Frau Obergaden aus Holz, auf al gen Schweiz, erstmals er kurz nach 1262 als Wohn Obergaden aus Holz, unty tierte Buch heraus, das in der münster verfügte über die äl len Seiten im Mauerwerk ab wähnt 1182/83. Deutlich turm des Stadtherrn oder sei pisch das hohe Portal an Schweiz erschien, einen Bi teste Grundherrschaft in Uri. gestützt. Rekonstruktion von zu sehen der vorkragende, nes Dienstmanns gebaut. stelle eines Hocheingangs. belkommentar. BILD ROLAND ZUMBUEHL P. Schaad. hölzerne Obergaden. BILD OTTO SCHMID Im Fenster oben rechts drei BILD WALLIMANN DRUCK/VERLAG BILD HISTORISCHES MUSEUM URI BILD ROLAND ZUMBÜHL Männer. (FOTO FANY BRÜHLMANN) BILD MEYER, 1291, 43 (FINCK)
28. JUNI 2018 • SEMPACHER WOCHE GEDENKFEIER 2018 / SEMPACH 7 Wenn Scheunen ausgedient haben KIRCHBÜHL WIE SOLL SICH DER BAUKULTURELL BEDEUTENDE WEILER WEITERENTWICKELN? Der Weiler Kirchbühl ist neben dem Städtchen das Bijou der Stadt Sempach. Er ist jedoch, wie viele andere seiner Art auch, dem Strukturwandel in der Land- wirtschaft ausgesetzt. Von ehe- mals mehreren Landwirtschafts- betrieben ist gerade noch einer aktiv. Zwei weitere Scheunen stehen leer. Wie soll in Zukunft damit umgegangen werden? Wie kann die hohe Qualität des Wei- lers in die Zukunft gesichert werden? Antworten darauf soll- te eine von der Hochschule Lu- zern erstellte Studie geben. Der Weiler Kirchbühl ist eine der bau- kulturell bedeutendsten Siedlungsan- lagen dieser Art in der Zentralschweiz. So sind der baukulturelle Wert der Siedlung als Ensemble und der hohe denkmalpflegerische Wert von Einzel- bauten unumstritten. Die Kirche St. Martin, welche um das Jahr 1000 er- baut wurde, bildet zusammen mit dem ovalförmig umgebenden Friedhof das Herz des Weilers. Der Weiler ist denn auch im ISOS (Inventar schützenswer- ter Ortsbilder der Schweiz) aufgeführt mit dem Vermerk: «Der intakteste und wertvollste Kirchweiler im Kanton in unverbauter Lage über dem Sempa- chersee. Gotteshaus mit romanischem und gotischem Mauerwerk in urtümli- chem, baumbestandenem Kirchhof. Zugang durch eindrückliche Gehöfte mit gepflegten Gärten.» Viele offene Fragen Dort, wo vor wenigen Jahren noch eine grosse Scheune stand, sind die modernen Winiger-Wohnhäuser zu einem prägenden Element von Kirchbühl geworden. Entsprechend sorgfältig soll die Wei- FOTOS OTTO SCHMID terentwicklung des Weilers angegan- gen und die ortstypischen Charakteris- tiken und die Identität des Ortes auch ten Phase wurde aufgrund der Phase 1 pen ein Zielbild für den Weiler erar- gebung, die Einbettung in den Weiler Umgang mit den Scheunen ist und in Zukunft gesichert werden. Es stellen die Entwicklungsstrategie unter Be- beitet. Im Zielbild sind mögliche sind dabei wesentliche Kriterien. Die bleibt eine Herausforderung. Für de- sich Fragen wie: Wie gehen wir mit rücksichtigung baukultureller Aspek- künftige Nutzungen unter dem Aspekt neuen Bauten mussten einen Mehr- ren Weiterentwicklung ist eine ge- den schützenswerten Wohnhäusern te erarbeitet. Die Parameter dazu sind der rückläufigen Landwirtschaft, der wert für den Ort erzeugen. Die Ortsana- meinsame Absichtserklärung und Ab- um? Wie können die heutigen Bedürf- im Leitfaden erfasst. In der dritten Bevölkerungsentwicklung und Merk- lyse bildete die Grundlage. sprache unter den Eigentümern nisse an das Wohnen berücksichtigt Phase ging es um die Etablierung von male zum Orts- und Landschaftsbild Die Arbeiten lieferten interessante unerlässlich. werden? Können die Scheunen umge- Prozessen und Werkzeugen für eine festgehalten. Ansätze für die Umsetzung. Aus den Dies ist auch in den erstellten Leitlini- nutzt, ausgebaut, ersetzt werden? Wie qualitätsbewusste und -sichernde Um Anhaltspunkte für die Entwick- Ergebnissen konnten Erkenntnisse für en vermerkt. Diese bilden nun eine gross sollen die Volumina bei einem Umsetzung der Entwicklungsstrate- lung zu erhalten, wurde von den Ar- die Weiterentwicklung des Weilers ge- klare Grundlage für alle Beteiligten, Ersatz sein? Welches sind die charakte- gie. Die Leitlinien sollen in einen be- chitekturstudenten stellvertretend eine zogen werden, was die Grösse und um die Qualitäten des Weilers in die ristischen Elemente des Freiraumes? hördenverbindlichen Richtplan über- Auswahl von ortsbaulich wichtigen Anzahl der Volumina, die Nutzungen Zukunft zu sichern. Sie finden bereits Wie werden Zugänge, Vorbereiche, führt werden. Perimetern untersucht. Einer dieser und den Umgang des Weilers als Gan- Anwendung bei mehreren Umbauten, Vorgärten gestaltet? Perimeter war die Scheune in Gemein- zes betrifft. Vor allem ein Projekt, wel- die zurzeit in Planung oder Umset- Deshalb lancierte die Stadt Sempach «B&B» in alter Scheune? debesitz. Die Aufgabenstellung liess ches eine Umnutzung der Scheune in zung sind. MARY SIDLER zusammen mit der kantonalen Denk- Die Phase 2 soll näher beleuchtet wer- ein oder mehrere Ersatzneubauten ein Bed and Breakfast vorschlägt, er- Mary Sidler ist Architektin und seit 2008 Sem- malpflege und der Dienststelle Raum den. Zunächst wurde auf Grundlage oder einen Umbau der Scheune offen. zeugte viel Aufmerksamkeit. Ob sich pacher Stadträtin (Ressort Bau). Mit ihrer Fir- und Wirtschaft des Kantons eine Stu- von Gesprächen und Analysen und Die Siedlungsverträglichkeit stand im dies in ähnlicher Art dereinst realisie- ma OrtsWerte GmbH unterstützt sie Gemein- die und beauftragte damit die Hoch- unter Einbezug aller Anspruchsgrup- Vordergrund. Der Umgang mit der Um- ren lässt, ist noch ungewiss. Denn der den in der Siedlungsentwicklung nach innen. schule Luzern Technik & Architektur und Wirtschaft. Ziel des Projektes war es, unter den neuen raumplanerischen Vorgaben Beurteilungskriterien für eine nachhaltige Weiterentwicklung von Weilern zu erarbeiten und die Tauglichkeit bestimmter Methoden und Entscheidungsprozessen zu be- leuchten. Der Gesichtspunkt heutiger Lebensvorstellungen und das denk- malpflegerische Schutzinteresse galt es zu vereinen. Dabei spielte nicht nur die Sicht von Denkmalpflege und Fachleuten eine Rolle, sondern auch die konkreten Erfahrungen und Be- dürfnisse der Bewohner und Eigentü- mer waren wesentlicher Bestandteil des dialogischen Prozesses. Neubauten mit Signalwirkung Bereits konnte an drei ausgeführten Neubauprojekten von guter architek- tonischer Qualität nachvollzogen wer- den, welche Auswirkungen bauliche Eingriffe in Bezug auf die Charakteris- tiken des Ortes mit sich bringen. Die gelungene Umsetzung wurde auch mit dem Wakkerpreis 2017 bestätigt. Die- se Neubauprojekte lieferten im Kon- text des Gesamtweilers Erkenntnisse, welche unter anderem als Ausgangsla- ge für eine Gesamtbeurteilung in Be- zug auf einen Weiterausbau dienten. Der Prozess wurde in drei Phasen ge- gliedert. In der Phase 1 ging es darum, zusammenhängend zu verstehen, die Bedürfnisse der verschiedenen An- spruchsgruppen festzuhalten und eine umfassende Beurteilung des Wei- lers aus Sicht der Anspruchsgruppen zu erhalten. Diese Sicht ist im Sied- Das Schicksal der alten Scheune in Gemeindebesitz direkt am Römerweg hinter der Kirche Kirchbühl ist noch ungewiss. Denkbar wäre etwa ein Ausbau zu einem Bed and lungsinventar abgebildet. In der zwei- Breakfast.
8 GEDENKFEIER 2018 / GESCHICHTE SEMPACHER WOCHE • 28. JUNI 2018 Luzern und seine Schlachtjahrzeiten GEDENKFEIERN DAS SEELENHEIL GEFALLENER IM ZENTRUM, DIE POLITIK AM RANDE «Feria secunda post dedicatio- verschiedenen Orten Einträge in Jahr- nem hanc celebratur anniversa- zeitbüchern deren ehemalige Zugehö- rium, vulgo schlachtjahrzeit.» rigkeit zu Habsburg wach. Politisch Da haben wir ihn, den Begriff brisant war es dort, wo – wie in Königs- «Schlachtjahrzeit», festgehalten felden – die Jahrzeitbücher den später im Jahrzeitbuch von Sempach, in von Heinrich Bullinger überlieferten das ab 1603 mit Eintragungen Spruch beinhalteten, der Herzog sei begonnen wurde. Doch was hat «von den Seinen, auf dem Seinen und es mit den Schlachtjahrzeiten in um das Seine» umgebracht worden. Um Luzern für eine Bewandtnis? dem entgegenzuwirken, löschten die Eidgenossen gelegentlich die geschrie- Zunächst noch kurz zum einleitenden bene Erinnerung an die habsburgischen lateinischen Satz: «Anniversarium», Gefallenen aus. Mehr noch aber began- Jahrestag oder eben: Schlachtjahrzeit, nen sie im letzten Viertel des 15. Jahr- wolle man halten, und zwar jeweils hunderts, die habsburgische Gedenktra- montags nach der Kirchweihe. Diese dition mit einer eigenen zu überlagern. war ihrerseits auf Sonntag nach Ulrich, Im 1477 neu angelegten Jahrzeitbuch 4. Juli, angesetzt. Der Historiker Georg von Willisau beispielsweise oder in je- Kreis beschreibt die «Schlachtjahrzei- nem von Ruswil ab 1488 gedachte man ten» als «kirchliche Gedenktage in Erin- nun aller bei Sempach Gefallenen – ob nerung an die in Schlachten gefallenen Habsburgern oder Eidgenossen. Angehörigen bzw. Vorfahren» mit der Totenmesse als zentrales Element. «Jahr- Erweitertes Gedenken zeitbücher» wiederum sind gemäss dem 1501 legte der Kleine Rat von Luzern vor Kurzem verstorbenen Luzerner Alt- den Rahmen für die Schlachtjahrfeiern Staatsarchivar Fritz Glauser «von katho- neu fest. Zu Sempach und Arbedo waren lischen Pfarreien … geführte Verzeich- unterdessen neue Schlachten hinzuge- nisse der alljährlich an bestimmten kommen; gedacht werden sollte nun Daten für die Seelenruhe von Verstorbe- auch insbesondere jener Gefallenen, die nen zu feiernden Gedächtnisse». Hier in «burgundischen und schwebischen wie dort steht also das Seelenheil der nötten umbkumen sind». Als Daten der Verstorbenen im Zentrum. Dabei dienen Feierlichkeiten hielt man zwei nahe bei- die Einträge in den Jahrzeitbüchern den einander liegende fest: An Montag nach Schlachtjahrzeit haltenden Geistlichen Johannes Täufer (24. Juni) oder – bei un- als Erinnerungsstütze. Beten und damit günstigem Termin – am Zehntausendrit- die Schlachtjahrzeit abhaken? Mitnich- tertag (22. Juni) sollte das Gedenken für ten, denn ganz ohne Politik ging’s min- die Gefallenen bei Arbedo, an der Letzi destens bei den Luzerner Schlachtfeiern am Hirzel (1443 im Alten Zürichkrieg) nicht zu und her. und des Schwabenkriegs (1499) stattfin- den, an Montag nach St. Ulrich jenes für Trauma und Gedenkstimulus die Gefallenen bei Sempach, St. Jakob an Die schweren Verluste, die Luzern 1422 der Birs (1444) und der Burgunderkriege bei Arbedo erlitten hatte, bewog den (1476/1477). städtischen Rat, zu veranlassen, «dz An diesen Daten Schlachtjahrzeit halten [künftighin] gross bett (Gebet) tuon und sollte man aber nicht nur in der Stadt ein spend (Almosensammeln) geben» Luzern. In Altishofen, Escholzmatt, Wil- werden solle. Erstmals erscheint hier lisau und anderen Orten der Luzerner mit dem «grossen Gebet» eine kollekti- Landschaft verweisen die Jahrzeitbü- ve Luzerner Jahrzeit, die an ein be- cher auf die obrigkeitlich verordnete stimmtes Schlachtenereignis geknüpft Schlachtgedenken-Pflicht. Dabei unter- war. Die politische Seite des Beschlus- schied sich die Ausgestaltung der Feier ses unterstrich das gewählte Jahrzeitda- Wappendenkmal der Freundschaft zwischen Uri und Luzern nach Diebold Schilling, entstanden im 15. Jahrhundert zum Geden- je nach Pfarrei. In Luthern beispielswei- tum, der Montag vor St. Johannes (24. ken an die gemeinsam erlittenen Verluste bei Arbedo, Diebold-Schilling-Chronik 1513, Eigentum Korporation Luzern (Standort: se hielt der Pfarrer zunächst die Vigil Juni), an dem Ratswahlen stattfanden ZHB Luzern, Sondersammlung). FOTO ZVG und am darauffolgenden Tag das Amt und der Geschworene Brief verlesen um «aller sel heil willen» von Luzer- wurde. Umso wirkungsvoller konnte nern, die in den Schlachten gefallen wa- der Rat, der sich unmittelbar nach der ren. Erhält man so den Eindruck einer Schlacht Vorwürfe hatte anhören müs- stark auf das Totengedenken ausgerich- sen, er habe hochmütig gehandelt, sein teten Feier, dürfte diese weiterhin nicht gottgefälliges Handeln inszenieren. frei von politischem Kalkül gewesen Gleichzeitig benutzte er die Gelegen- sein. Insbesondere ging es darum, mit heit, seine Verbundenheit mit den eben- den allgemein verbindlichen Feierlich- falls von der Niederlage schwer getrof- keiten die Integration der Landschaft in fenen Urnern auszudrücken. den noch jungen Stadtstaat zu fördern. Für das Kollektiv der in Sempach gefal- lenen Luzerner oder Eidgenossen war Nach dem Mittelalter … bis zu diesem Zeitpunkt nicht gebetet … entwickelten sich die Luzerner worden. Zwar hatte der Luzerner Rat Schlachtjahrzeiten weiter – keine Frage. wohl etwas verzögert an die Schlacht Die Luzerner Gefallenen der Schlachten im ausgehenden 14. Jahrhundert eine von Marignano oder Dreux/Blaineville periodisch abzuhaltende Dankesfeier (1562) beispielsweise wurden in das beschlossen, doch erst im Zusammen- Gedenken aufgenommen, die Gefalle- hang mit Arbedo nannte er auch für nenlisten in den Schlachtjahrzeitrodeln Sempach eine Jahrzeit für jene, «die ze ergänzt und die Verordnung angepasst. Sempach wurdent erschlagen». Namen Spätestens seit den Forschungen von von Gefallenen waren in den 1420er- Rainer Hugener wissen wir auch, dass Jahren allerdings noch keine verzeich- gerade die Schlachtjahrzeitfeiern von net. Erst 1482 fasste der Chronist Mel- Sempach noch in der frühen Neuzeit chior Russ tatsächlich oder angeblich und im 19. und 20. Jahrhundert politi- bei Sempach gefallene Luzerner auf ei- schen Zwecken dienten – zwischenzeit- ner Liste zusammen. liche Bemühungen der konservativen Regierung, die Feierlichkeiten mehr Erinnerungsvorsprung oder weniger auf das Totengedenken zu Demgegenüber besass die habsburgi- reduzieren, blieben Makulatur. sche Erinnerungskultur einen Vor- Heute ist die Gedenkfeier weitgehend sprung: Ausgehend von Jahrzeitstiftun- «entpolitisiert», das Gedenken an die gen für den erschlagenen Leopold III. Gefallenen ist abhandengekommen. Al- im ausgehenden 14. Jahrhundert, tau- ternative, sinnstiftende Bezugsrahmen chen bereits im frühen 15. Jahrhundert in einer pluralistischen und individua- Einträge von Jahrzeitfeiern für die Ge- lisierten Gesellschaft zu finden, bereitet samtheit der habsburgischen Gefalle- Schwierigkeiten. «Was nun mit Sem- nen auf. Politik dürfte auch hier, auf pach anfangen?», kann man mit dem Seiten Habsburgs, eine Rolle gespielt Historiker Georg Kreis fragen; und zu- haben, wie der Historiker Rainer Huge- sammen mit ihm vielleicht die Antwort ner bemerkt. Denn zu Zeiten einer ver- geben, Sempach als «kulturelles Ge- stärkten Bedrohung durch die Eidge- dächtnis» und als «Gedenken als Form nossen mochte die Ausweitung des eines qualifizierten Erinnerns» weiter- Totengedenkens die eigene habsburgi- hin zu pflegen. ANDRÉ HEINZER sche Schicksalsgemeinschaft gegenüber dem gemeinsamen Feind nochmals ge- Der Historiker André Heinzer ist wissenschaft- schärft haben. Auch nachdem die Habs- licher Mitarbeiter des Staatsarchivs Luzern burger weitere Gebiete an die Eidgenos- Lange Zeit war das Gedenken an die Gefallenen ein zentrales Element von Schlachtjahrzeiten. Im Bild die Sempacher Schlacht und Stadtarchivar von Sempach. Er wohnt mit sen verloren hatten, hielten an kapelle. FOTO OTTO SCHMID seiner Familie in Sempach Station.
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