Gehen uns die Jobs oder die Fachkräfte aus?

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Gehen uns die Jobs oder die Fachkräfte aus?
04       T it e l s t o r y

     ZUKUNFT DER ARBEIT

     Gehen uns die
     Jobs oder
     die Fachkräfte
     aus?
Gehen uns die Jobs oder die Fachkräfte aus?
Die deutsche Volkswirtschaft wandelt sich grundlegend. Vier wesentliche
Faktoren treiben ihre Transformation voran: Globalisierung, Klimaschutz,
Digitalisierung und Demografie. Die beiden Letzteren schienen jedoch
in entgegengesetzte Richtungen zu wirken, und es stellt sich die Frage:
Werden die Roboter unsere Arbeitsplätze vernichten oder wird die demo-
grafische Entw icklu ng die Arbeitslosig keit beseitigen? Eine einfache
Antwort hierauf gibt es nicht. Um den Wandel der Arbeitswelt zu verstehen,
hilft ei n e A n alys e d es C oro n a-S c h o c ks. D e n n er h at dies e n W a n d el i n
Teilen beschleunigt und zugleich Defizite offengelegt, um die sich die
Arbeitsmarktpolitik küm mern muss.

                                              Ein Gastbeitrag von Prof. Dr. Ulrich Walwei

                                              Vor dem Ausbruch der Covid-19-          her Zukunft eher mit einem Jobless
                                              Pandemie brummte der deutsche           Growth zu rechnen. Denn die Betriebe
                                              Arbeitsmarkt. Selbst die Wirtschafts-   werden zunächst weniger einstellen
                                              und Finanzkrise von 2008/09 brems-      und stattdessen die bestehenden Be-
                                              te seine Dynamik nur kurzfristig aus.   legschaften wieder auslasten. Speziell
                                              Von 2005 bis 2019 hat sich die Zahl     für junge Berufsanfänger und Wieder-
                                              der Arbeitslosen im Jahresdurch-        einsteiger wird dies die Jobsuche vor-
                                              schnitt mehr als halbiert, von fast 5   erst erschweren.
                                              Mio. auf knapp 2,3 Mio. Die Zahl der    Auch nach der Erholung wird es kein
                                              Erwerbstätigen stieg gleichzeitig um    einfaches Zurück in die Zeit vor der
                                              rund 6 Mio. auf den Rekordwert von      Pandemie geben. Denn sie hat Ver-
                                              45,3 Mio. Das war nur möglich, weil     haltensänderungen erforderlich ge-
                                              gleichzeitig Ältere sowie Mütter und    macht, die sich vor allem auf digitale
                                              andere Berufsrückkehrer und seit        Technologien stützen und nicht allein
                                              2015 vermehrt auch Migranten auf        aus Gründen des Infektionsschutzes
                                              den Arbeitsmarkt strömten. Und die-     sinnvoll sind. Die virtuelle Kommuni-
                                              ser Markt war vor Corona noch nicht     kation, etwa über Videokonferenzen,
                                              gesättigt. Nach betrieblichen Akti-     der Verzicht auf Dienstreisen, Crowd-
                                              vitätshindernissen befragt, nannten     working, die Nutzung des Homeofice
                                              Unternehmen 2018 das Problem der        und vieles mehr eröffnen Unterneh-
                                              Rekrutierung von Fachkräften an         men und Mitarbeitern gleichermaßen
                                              erster Stelle.                          Vorteile, an denen sie nach der Pande-
                                                                                      mie festhalten dürften. Beispielsweise
                                              DER CORON A-SCHOCK                      ist es gegenwärtig mehr als vier von
                                              Der boomende Arbeitsmarkt gehör-        zehn Erwerbstätigen möglich, von zu
                                              te zu den ersten Opfern des Corona-     Hause aus zu arbeiten, und eine klare
                                              Virus. Infolge der Pandemie ging die    Mehrheit der Beschäftigten wünscht
                                              Erwerbstätigkeit erstmals seit langer   sich dies auch. Das vom Corona-Virus
                                              Zeit erheblich zurück: von Ende 2019    erzwungene Distancing stärkt digitale
                                              bis Mitte 2020 um mehr als 500.000.     Geschäftsmodelle und virtuelle Trans-
                                              Die Kurzarbeit erreichte im Mai 2020    aktionen. In der Folge verändern sich
                                              mit rund 20 % aller sozialversiche-     natürlich auch Qualiikations- und Tä-
                                              rungsplichtig Beschäftigten ein nie     tigkeitsanforderungen. Sowohl digi-
                                              dagewesenes Hoch. Im vom Lock-          tale Kompetenzen als auch solche,
                                              down besonders betroffenen Gast-        die nicht digitalisierbar sind, werden
                                              gewerbe lag dieser Wert im April        zunehmend gefragt sein. Kurz: Die
                                              2020 sogar bei 92,5 %. Kam es nach      Pandemie hat Arbeitsmarkteffekte
                                              der Krise von 2009 zu einer raschen     beschleunigt, die ohnehin von der
                                              Erholung am Arbeitsmarkt, ist in na-    Digitalisierung ausgehen.
Gehen uns die Jobs oder die Fachkräfte aus?
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Das Virus hat aber auch gnadenlos of-
fengelegt, welche Deizite Deutschland
in Sachen Digitalisierung aufweist.
Stichwort: fehlende IT-Ausstattung von
Schulen und Gesundheitsämtern. Die-
se Deizite entspringen zum Teil einer
Skepsis gegenüber den Möglichkeiten
neuer Technologien.

D I G I TA L I S I E R U N G S E F F E K T
„ R O T E N U L L“
Seit den Maschinenstürmern des 19.
Jahrhunderts wird in schöner Regel-
mäßigkeit das Drama „Die Roboter
stehlen uns die Arbeitsplätze“ auf den
Spielplan gesetzt. Aufgeführt wurde
das Stück allerdings nie. Denn neue
Technologien machen durch Rationali-
sierung und Automatisierung zwar be-
stimmte Tätigkeiten obsolet, zugleich
erhöhen sie aber die Produktivität, so-
dass mehr Güter für mehr Menschen
erschwinglich werden. Das wiederum
lässt ihnen mehr Mittel für andere
Ausgaben übrig. Sie nutzen beispiels-
weise Dienstleistungen für Arbeiten,
die sie früher selbst erledigt haben.
Mit neuen Produktionsmöglichkeiten
entstehen zudem neue Produkte, an
die zuvor niemand gedacht hat. Sie           zurückgehen, in anderen dagegen                          anwenden oder – schlimmer noch –
generieren neue Bedürfnisse und da-          zunehmen. Am stärksten wird der                          aufgrund fehlender Ausbildung des
mit neue Arbeit.                             Rückgang bis 2035 in den Bereichen       Wir müssen      Nachwuchses nicht anwenden kön-
Eine von der Technologie erzeug-             Metall- und Anlagenbau, Blechkon-                        nen. Das Risiko, dass Stellen nicht be-
te Massenarbeitslosigkeit ist daher          struktion, Installation, Montage und
                                                                                      dafür sorgen,   setzt werden können, weil gut ausge-
auch im Falle der Digitalisierung sehr       Elektro ausfallen. Der kräftigste An-    dass die        bildete Fachkräfte fehlen, wird noch
unwahrscheinlich. Welche Beschäf-            stieg der Erwerbstätigkeit ist dagegen                   vergrößert durch den Umstand, dass
                                                                                      Menschen
tigungseffekte sie bis 2035 haben            bei medien-, geistes- und sozialwis-                     die Zahl der insgesamt verfügbaren
dürfte, hat das Institut für Arbeits-        senschaftlichen sowie bei künstleri-     befähigt        Erwerbspersonen in den nächsten Jah-
markt- und Berufsforschung (IAB) für         schen Berufen und vor allem bei Ge-      werden, den     ren ohnehin zurückgehen wird.
63 Wirtschaftszweige ermittelt. Da-          sundheitsberufen zu erwarten.
nach ergeben die erwarteten positi-          Betriebe, die digitale Technologien      Anforderungen   DEMOGRAFIE –
ven und negativen Effekte per Saldo          intensiv nutzen, verzeichnen keine       der Arbeits-    CH A NCE ODE R RISI KO?
einen Rückgang von nur 60.000 Er-            nennenswerten Beschäftigungsver-                         Die geburtenstarken Jahrgänge gehen
                                                                                      welt von
werbstätigen im Jahresdurchschnitt.          luste. Sie stellen aber tendenziell                      in Rente. Auf absehbare Zeit werden
Gemessen an den derzeit rund 45 Mio.         höhere Anforderungen an neue Mit-        morgen zu       mehr Menschen den deutschen Ar-
Erwerbstätigen, ist diese Zahl minimal       arbeiter und verlangen mehr zeitliche                    beitsmarkt verlassen, als neue hinzu-
                                                                                      genügen
– eine „Rote Null“.                          und fachliche Flexibilität. Sie fragen                   stoßen. Ohne dass weitere Faktoren
                                             häuiger Kenntnisse und Fertigkeiten      und dass        ins Spiel kommen, wird die natür-
DI E RE A LE G E FA H R:                     nach, die in Lehrgängen erworben         überhaupt       liche Bevölkerungsentwicklung die
BILDUNGSDEFIZITE                             werden. Und sie erwarten Fähigkei-                       Zahl der Erwerbspersonen bis 2060
Soweit die gesamtwirtschaftliche Ana-        ten, die Computer und Roboter nicht
                                                                                      genügend        wahrscheinlich um ein Drittel absinken
lyse. Welche Herausforderungen die Di-       mitbringen, d. h. soziale Kompetenz.     Arbeitskräfte   lassen, von heute knapp 45 Mio. auf
gitalisierung tatsächlich mit sich bringt    Die Jobs der Zukunft werden also nicht                   etwas unter 30 Mio. Bei einem höhe-
                                                                                      zur Verfügung
– eine enorme strukturelle Veränderung       von Robotern, Rechnern oder künstli-                     ren Renteneintrittsalter von 67 Jah-
der Arbeitswelt –, zeigt ein differenzier-   cher Intelligenz bedroht. Die weitaus    stehen.         ren dürfte diese Zahl nur unwesentlich
ter Blick auf einzelne Berufsgruppen.        größere Gefahr besteht darin, dass                       höher liegen, bei knapp über 30 Mio.
In einigen wird die Erwerbstätigkeit         wir die digitalen Technologien nicht                     Einzig und allein die Zuwanderung
und wir müssen dafür sorgen, dass
                                                                                     überhaupt genügend Arbeitskräfte
                                                                                     zur Verfügung stehen.
                                                                                     Eine vordringliche Aufgabe besteht
                                                                                     darin, unser Bildungssystem für die
                                                                                     Herausforderungen der Digitalisierung
                                                                                     zu ertüchtigen. Jeder Euro, der in die
                                                                                     frühkindliche, schulische, beruliche
                                                                                     und universitäre Bildung investiert
                                                                                     wird, ist bestens angelegtes Geld.
                                                                                     Es gilt, die Fort- und Weiterbil-
                                                                                     dung in Unternehmen zu unterstüt-
                                                                                     zen, lebenslanges Lernen nicht nur
                                                                                     möglich, sondern auch attraktiv zu
                                                                                     machen. Vor allem gilt es, soziale
                                                                                     Skills wie Team-, Kommunikations-
                                                                                     und Urteilsfähigkeit zu schulen.
                                                                                     Darüber hinaus muss Deutschland
                                                                                     Anreize zur Fachkräfteeinwanderung
                                                                                     schaffen – und gute Rahmenbedin-
                                                                                     gungen dafür, dass ältere Arbeitneh-
                                                                                     mer und solche mit Familie überhaupt
                                                                                     erwerbstätig bleiben können. Neues
                                                                                     lernen zu dürfen oder die Vorteile von
                                                                                     New Work zu genießen, etwa mobiles
                                                                                     Arbeiten oder Vertrauensarbeitszeit,
                                                                                     das alles sind heute noch viel zu häuig
                                                                                     Privilegien einer Minderheit von Wis-
                                                                                     sensarbeitern. Wir müssen New Work
kann nennenswert nachhaltig positive    lichen Nachfrage, einen geringeren           endlich auch für die große Masse an
Effekte auf das Angebot an Fachkräf-    Kapitalstock und weniger Investitio-         Erwerbstätigen deinieren, für die Ver-
ten ausüben. Bei einer Nettozuwan-      nen. Kurz: Wenn die Bevölkerungs-            käuferin im Supermarkt ebenso wie
derung von rund 100.000 Menschen        zahl schrumpft, schrumpft nicht die          für den Pleger im Krankenhaus.
pro Jahr, kombiniert mit der Rente ab   Arbeitslosigkeit, sondern die Wirt-          Wenn uns das gelingt, werden wir
67, läge die Zahl derjenigen, die dem   schaft im Ganzen.                            nicht nur die Herausforderungen der
Arbeitsmarkt 2060 zur Verfügung                                                      Digitalisierung und der Demograie
stünden, bei rund 35 Mio. Unter den     DIE RICHTIGEN                                bestehen. Wir schaffen eine bessere,
gleichen Bedingungen, aber mit ei-      WEICHEN STELLEN                              humanere und weniger gespaltene
ner Wanderungsquote von jährlich        Um auf die Eingangsfrage zurückzu-           Gesellschaft.
300.000 Menschen, ließe sich der        kommen: Der Angriff der Roboter
Rückgang auf ca. 42 Mio. Erwerbs-       wird erneut abgesagt – es sei denn,
personen begrenzen. Daraus folgt:       Deutschland lernt nichts aus der Coro-
Um das Angebot an Arbeitskräften        na-Krise und versäumt es, sich in Sa-
aufrechtzuerhalten, kommt es zu-        chen Digitalisierung zukunftsfähig zu
                                                                                     IH R A N S P R EC H PA R T N E R
nehmend auf die Älteren und die         machen. Die weitaus größere Bedro-
Migranten an.                           hung für unsere Wirtschaft und unse-
Aber eröffnen der Bevölkerungsrück-     ren Wohlstand ist der zu erwartende
gang und das damit einhergehende        Fachkräftemangel. Die gute Nachricht
Absinken des Erwerbspersonenpoten-      lautet: Nichts geschieht zwangsläuig.
zials nicht auch die Chance, das Pro-   Die Zukunft ist kein Schicksal. Wir ha-
blem der Arbeitslosigkeit auf Dauer     ben viele Möglichkeiten, sie zu gestal-
zu lösen? Dieses Argument taucht im-    ten, und es ist wichtig, jetzt die richti-
mer wieder in der öffentlichen De-      gen Weichen zu stellen. Es gilt, zwei
batte auf. Es unterliegt aber einem     Ziele anzusteuern: Wir müssen dafür
fatalen Trugschluss: Denn weniger       sorgen, dass die Menschen befähigt
Arbeitskräfte bedeuten immer auch       werden, den Anforderungen der Ar-            P r o f . D r. U l r i c h W a l w e i
einen Rückgang der gesamtwirtschaft-    beitswelt von morgen zu genügen –            U l r i c h .W a l w e i @ i a b . d e
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