Gehen uns die Jobs oder die Fachkräfte aus?
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Die deutsche Volkswirtschaft wandelt sich grundlegend. Vier wesentliche Faktoren treiben ihre Transformation voran: Globalisierung, Klimaschutz, Digitalisierung und Demografie. Die beiden Letzteren schienen jedoch in entgegengesetzte Richtungen zu wirken, und es stellt sich die Frage: Werden die Roboter unsere Arbeitsplätze vernichten oder wird die demo- grafische Entw icklu ng die Arbeitslosig keit beseitigen? Eine einfache Antwort hierauf gibt es nicht. Um den Wandel der Arbeitswelt zu verstehen, hilft ei n e A n alys e d es C oro n a-S c h o c ks. D e n n er h at dies e n W a n d el i n Teilen beschleunigt und zugleich Defizite offengelegt, um die sich die Arbeitsmarktpolitik küm mern muss. Ein Gastbeitrag von Prof. Dr. Ulrich Walwei Vor dem Ausbruch der Covid-19- her Zukunft eher mit einem Jobless Pandemie brummte der deutsche Growth zu rechnen. Denn die Betriebe Arbeitsmarkt. Selbst die Wirtschafts- werden zunächst weniger einstellen und Finanzkrise von 2008/09 brems- und stattdessen die bestehenden Be- te seine Dynamik nur kurzfristig aus. legschaften wieder auslasten. Speziell Von 2005 bis 2019 hat sich die Zahl für junge Berufsanfänger und Wieder- der Arbeitslosen im Jahresdurch- einsteiger wird dies die Jobsuche vor- schnitt mehr als halbiert, von fast 5 erst erschweren. Mio. auf knapp 2,3 Mio. Die Zahl der Auch nach der Erholung wird es kein Erwerbstätigen stieg gleichzeitig um einfaches Zurück in die Zeit vor der rund 6 Mio. auf den Rekordwert von Pandemie geben. Denn sie hat Ver- 45,3 Mio. Das war nur möglich, weil haltensänderungen erforderlich ge- gleichzeitig Ältere sowie Mütter und macht, die sich vor allem auf digitale andere Berufsrückkehrer und seit Technologien stützen und nicht allein 2015 vermehrt auch Migranten auf aus Gründen des Infektionsschutzes den Arbeitsmarkt strömten. Und die- sinnvoll sind. Die virtuelle Kommuni- ser Markt war vor Corona noch nicht kation, etwa über Videokonferenzen, gesättigt. Nach betrieblichen Akti- der Verzicht auf Dienstreisen, Crowd- vitätshindernissen befragt, nannten working, die Nutzung des Homeofice Unternehmen 2018 das Problem der und vieles mehr eröffnen Unterneh- Rekrutierung von Fachkräften an men und Mitarbeitern gleichermaßen erster Stelle. Vorteile, an denen sie nach der Pande- mie festhalten dürften. Beispielsweise DER CORON A-SCHOCK ist es gegenwärtig mehr als vier von Der boomende Arbeitsmarkt gehör- zehn Erwerbstätigen möglich, von zu te zu den ersten Opfern des Corona- Hause aus zu arbeiten, und eine klare Virus. Infolge der Pandemie ging die Mehrheit der Beschäftigten wünscht Erwerbstätigkeit erstmals seit langer sich dies auch. Das vom Corona-Virus Zeit erheblich zurück: von Ende 2019 erzwungene Distancing stärkt digitale bis Mitte 2020 um mehr als 500.000. Geschäftsmodelle und virtuelle Trans- Die Kurzarbeit erreichte im Mai 2020 aktionen. In der Folge verändern sich mit rund 20 % aller sozialversiche- natürlich auch Qualiikations- und Tä- rungsplichtig Beschäftigten ein nie tigkeitsanforderungen. Sowohl digi- dagewesenes Hoch. Im vom Lock- tale Kompetenzen als auch solche, down besonders betroffenen Gast- die nicht digitalisierbar sind, werden gewerbe lag dieser Wert im April zunehmend gefragt sein. Kurz: Die 2020 sogar bei 92,5 %. Kam es nach Pandemie hat Arbeitsmarkteffekte der Krise von 2009 zu einer raschen beschleunigt, die ohnehin von der Erholung am Arbeitsmarkt, ist in na- Digitalisierung ausgehen.
06 T it e l s t o r y Das Virus hat aber auch gnadenlos of- fengelegt, welche Deizite Deutschland in Sachen Digitalisierung aufweist. Stichwort: fehlende IT-Ausstattung von Schulen und Gesundheitsämtern. Die- se Deizite entspringen zum Teil einer Skepsis gegenüber den Möglichkeiten neuer Technologien. D I G I TA L I S I E R U N G S E F F E K T „ R O T E N U L L“ Seit den Maschinenstürmern des 19. Jahrhunderts wird in schöner Regel- mäßigkeit das Drama „Die Roboter stehlen uns die Arbeitsplätze“ auf den Spielplan gesetzt. Aufgeführt wurde das Stück allerdings nie. Denn neue Technologien machen durch Rationali- sierung und Automatisierung zwar be- stimmte Tätigkeiten obsolet, zugleich erhöhen sie aber die Produktivität, so- dass mehr Güter für mehr Menschen erschwinglich werden. Das wiederum lässt ihnen mehr Mittel für andere Ausgaben übrig. Sie nutzen beispiels- weise Dienstleistungen für Arbeiten, die sie früher selbst erledigt haben. Mit neuen Produktionsmöglichkeiten entstehen zudem neue Produkte, an die zuvor niemand gedacht hat. Sie zurückgehen, in anderen dagegen anwenden oder – schlimmer noch – generieren neue Bedürfnisse und da- zunehmen. Am stärksten wird der aufgrund fehlender Ausbildung des mit neue Arbeit. Rückgang bis 2035 in den Bereichen Wir müssen Nachwuchses nicht anwenden kön- Eine von der Technologie erzeug- Metall- und Anlagenbau, Blechkon- nen. Das Risiko, dass Stellen nicht be- te Massenarbeitslosigkeit ist daher struktion, Installation, Montage und dafür sorgen, setzt werden können, weil gut ausge- auch im Falle der Digitalisierung sehr Elektro ausfallen. Der kräftigste An- dass die bildete Fachkräfte fehlen, wird noch unwahrscheinlich. Welche Beschäf- stieg der Erwerbstätigkeit ist dagegen vergrößert durch den Umstand, dass Menschen tigungseffekte sie bis 2035 haben bei medien-, geistes- und sozialwis- die Zahl der insgesamt verfügbaren dürfte, hat das Institut für Arbeits- senschaftlichen sowie bei künstleri- befähigt Erwerbspersonen in den nächsten Jah- markt- und Berufsforschung (IAB) für schen Berufen und vor allem bei Ge- werden, den ren ohnehin zurückgehen wird. 63 Wirtschaftszweige ermittelt. Da- sundheitsberufen zu erwarten. nach ergeben die erwarteten positi- Betriebe, die digitale Technologien Anforderungen DEMOGRAFIE – ven und negativen Effekte per Saldo intensiv nutzen, verzeichnen keine der Arbeits- CH A NCE ODE R RISI KO? einen Rückgang von nur 60.000 Er- nennenswerten Beschäftigungsver- Die geburtenstarken Jahrgänge gehen welt von werbstätigen im Jahresdurchschnitt. luste. Sie stellen aber tendenziell in Rente. Auf absehbare Zeit werden Gemessen an den derzeit rund 45 Mio. höhere Anforderungen an neue Mit- morgen zu mehr Menschen den deutschen Ar- Erwerbstätigen, ist diese Zahl minimal arbeiter und verlangen mehr zeitliche beitsmarkt verlassen, als neue hinzu- genügen – eine „Rote Null“. und fachliche Flexibilität. Sie fragen stoßen. Ohne dass weitere Faktoren häuiger Kenntnisse und Fertigkeiten und dass ins Spiel kommen, wird die natür- DI E RE A LE G E FA H R: nach, die in Lehrgängen erworben überhaupt liche Bevölkerungsentwicklung die BILDUNGSDEFIZITE werden. Und sie erwarten Fähigkei- Zahl der Erwerbspersonen bis 2060 Soweit die gesamtwirtschaftliche Ana- ten, die Computer und Roboter nicht genügend wahrscheinlich um ein Drittel absinken lyse. Welche Herausforderungen die Di- mitbringen, d. h. soziale Kompetenz. Arbeitskräfte lassen, von heute knapp 45 Mio. auf gitalisierung tatsächlich mit sich bringt Die Jobs der Zukunft werden also nicht etwas unter 30 Mio. Bei einem höhe- zur Verfügung – eine enorme strukturelle Veränderung von Robotern, Rechnern oder künstli- ren Renteneintrittsalter von 67 Jah- der Arbeitswelt –, zeigt ein differenzier- cher Intelligenz bedroht. Die weitaus stehen. ren dürfte diese Zahl nur unwesentlich ter Blick auf einzelne Berufsgruppen. größere Gefahr besteht darin, dass höher liegen, bei knapp über 30 Mio. In einigen wird die Erwerbstätigkeit wir die digitalen Technologien nicht Einzig und allein die Zuwanderung
und wir müssen dafür sorgen, dass überhaupt genügend Arbeitskräfte zur Verfügung stehen. Eine vordringliche Aufgabe besteht darin, unser Bildungssystem für die Herausforderungen der Digitalisierung zu ertüchtigen. Jeder Euro, der in die frühkindliche, schulische, beruliche und universitäre Bildung investiert wird, ist bestens angelegtes Geld. Es gilt, die Fort- und Weiterbil- dung in Unternehmen zu unterstüt- zen, lebenslanges Lernen nicht nur möglich, sondern auch attraktiv zu machen. Vor allem gilt es, soziale Skills wie Team-, Kommunikations- und Urteilsfähigkeit zu schulen. Darüber hinaus muss Deutschland Anreize zur Fachkräfteeinwanderung schaffen – und gute Rahmenbedin- gungen dafür, dass ältere Arbeitneh- mer und solche mit Familie überhaupt erwerbstätig bleiben können. Neues lernen zu dürfen oder die Vorteile von New Work zu genießen, etwa mobiles Arbeiten oder Vertrauensarbeitszeit, das alles sind heute noch viel zu häuig Privilegien einer Minderheit von Wis- sensarbeitern. Wir müssen New Work kann nennenswert nachhaltig positive lichen Nachfrage, einen geringeren endlich auch für die große Masse an Effekte auf das Angebot an Fachkräf- Kapitalstock und weniger Investitio- Erwerbstätigen deinieren, für die Ver- ten ausüben. Bei einer Nettozuwan- nen. Kurz: Wenn die Bevölkerungs- käuferin im Supermarkt ebenso wie derung von rund 100.000 Menschen zahl schrumpft, schrumpft nicht die für den Pleger im Krankenhaus. pro Jahr, kombiniert mit der Rente ab Arbeitslosigkeit, sondern die Wirt- Wenn uns das gelingt, werden wir 67, läge die Zahl derjenigen, die dem schaft im Ganzen. nicht nur die Herausforderungen der Arbeitsmarkt 2060 zur Verfügung Digitalisierung und der Demograie stünden, bei rund 35 Mio. Unter den DIE RICHTIGEN bestehen. Wir schaffen eine bessere, gleichen Bedingungen, aber mit ei- WEICHEN STELLEN humanere und weniger gespaltene ner Wanderungsquote von jährlich Um auf die Eingangsfrage zurückzu- Gesellschaft. 300.000 Menschen, ließe sich der kommen: Der Angriff der Roboter Rückgang auf ca. 42 Mio. Erwerbs- wird erneut abgesagt – es sei denn, personen begrenzen. Daraus folgt: Deutschland lernt nichts aus der Coro- Um das Angebot an Arbeitskräften na-Krise und versäumt es, sich in Sa- aufrechtzuerhalten, kommt es zu- chen Digitalisierung zukunftsfähig zu IH R A N S P R EC H PA R T N E R nehmend auf die Älteren und die machen. Die weitaus größere Bedro- Migranten an. hung für unsere Wirtschaft und unse- Aber eröffnen der Bevölkerungsrück- ren Wohlstand ist der zu erwartende gang und das damit einhergehende Fachkräftemangel. Die gute Nachricht Absinken des Erwerbspersonenpoten- lautet: Nichts geschieht zwangsläuig. zials nicht auch die Chance, das Pro- Die Zukunft ist kein Schicksal. Wir ha- blem der Arbeitslosigkeit auf Dauer ben viele Möglichkeiten, sie zu gestal- zu lösen? Dieses Argument taucht im- ten, und es ist wichtig, jetzt die richti- mer wieder in der öffentlichen De- gen Weichen zu stellen. Es gilt, zwei batte auf. Es unterliegt aber einem Ziele anzusteuern: Wir müssen dafür fatalen Trugschluss: Denn weniger sorgen, dass die Menschen befähigt Arbeitskräfte bedeuten immer auch werden, den Anforderungen der Ar- P r o f . D r. U l r i c h W a l w e i einen Rückgang der gesamtwirtschaft- beitswelt von morgen zu genügen – U l r i c h .W a l w e i @ i a b . d e
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