Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik der EU: Von der Transformation zur Resilienz - Annegret Bendiek - Stiftung ...
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SWP-Studie Stiftung Wissenschaft und Politik Deutsches Institut für Internationale Politik und Sicherheit Annegret Bendiek Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik der EU: Von der Transformation zur Resilienz S 19 September 2017 Berlin
Alle Rechte vorbehalten. Abdruck oder vergleichbare Verwendung von Arbeiten der Stiftung Wissenschaft und Politik ist auch in Aus- zügen nur mit vorheriger schriftlicher Genehmigung gestattet. SWP-Studien unterliegen einem Begutachtungsverfah- ren durch Fachkolleginnen und -kollegen und durch die Institutsleitung (peer review). Sie geben die Auffassung der Autoren und Autorinnen wieder. © Stiftung Wissenschaft und Politik, Berlin, 2017 SWP Stiftung Wissenschaft und Politik Deutsches Institut für Internationale Politik und Sicherheit Ludwigkirchplatz 34 10719 Berlin Telefon +49 30 880 07-0 Fax +49 30 880 07-100 www.swp-berlin.org swp@swp-berlin.org ISSN 1611-6372
Inhalt 5 Problemstellung und Empfehlungen 7 Das alte Paradigma: Transformation 7 EU als normative und imperiale Macht 11 Kritik am transformatorischen Ansatz 15 Das neue Paradigma: Resilienz 16 Die Sicherheits- und Verteidigungsunion 17 Sicherheitsunion 19 Verteidigungsunion 20 EU-Nato-Zusammenarbeit 21 Cybersicherheit 23 Migration 25 Rechtsgemeinschaft und Rolle des EuGH 30 Reformperspektiven 33 Abkürzungsverzeichnis
Dr. Annegret Bendiek ist Wissenschaftlerin in der Forschungsgruppe EU/Europa
Problemstellung und Empfehlungen Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik der EU: Von der Transformation zur Resilienz Die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) der Europäischen Union lebt. Zum großen Erstaunen vieler Beobachter lässt sich eine stark erhöhte konzep- tionelle und praktische Aktivität in der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP) als ver- traglich verankerter Bereich der GASP feststellen. Von der Rüstungsmarktentwicklung über die Terrorismus- bekämpfung bis hin zur Militärischen Planungs- und Führungsfähigkeit (MPCC) ist deutlicher Reformwille zu verzeichnen. Dies zeugt von einer Integrations- dynamik, die durch ein »Europa der verschiedenen Geschwindigkeiten« beschleunigt wird und über die altbekannte Symbolpolitik des »kleinsten gemein- samen Nenners« hinausgehen soll. Wie aber ist diese Renaissance der GASP zu erklären? Welche recht- lichen und politischen Dynamiken tragen zu ihrer Wiederbelebung bei? Zum einen ist erstmals nach Jugoslawiens Zerfall der Krieg nach Europa zurückgekehrt, seit Russland die Krim völkerrechtswidrig annektierte. Dadurch wächst die Erwartung, dass eine effektive europäische Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik ent- wickelt wird. Weitere Faktoren sind die zunehmende Unberechenbarkeit der USA, Großbritanniens Austritt aus der EU, Terrorismus, die Verwundbarkeit kriti- scher Infrastrukturen sowie die Migrationskrise. Zum anderen befindet sich die EU derzeit in einer internen Legitimationskrise. Doch zeigen alle Umfragen, dass die Bürgerinnen und Bürger Sicherheitsfragen hohe Bedeutung beimessen und eine starke sicherheitspoli- tische Rolle Europas wünschen. Im Frühjahr 2017 hat das Europäische Parlament die Staats- und Regierungs- chefs der EU aufgefordert, »Koalitionen der Willigen« zu bilden. Der Rat soll handlungsfähiger werden, in- dem das Einstimmigkeitsprinzip schrittweise durch das Mehrheitsprinzip und flexible Integration ersetzt wird. Die neue GASP unterscheidet sich fundamental von ihrem Vorläufer. In ihrer Globalen Strategie vom Juni 2016 gesteht die EU ein, dass sie ihren noch im Lissa- bonner Vertrag aufgeführten hohen transformatori- schen Anspruch nicht einlösen kann: Bis auf weiteres ist Europa nur begrenzt in der Lage, sein internatio- nales Umfeld zu stabilisieren. Stattdessen avancierte Resilienz zum zentralen Begriff der Strategie. Allgemein SWP Berlin GASP: Von der Transformation zur Resilienz September 2017 5
Problemstellung und Empfehlungen wird darunter Widerstands- und Regenerationsfähig- Weißbuch zur Sicherheit und Verteidigung würde keit sowie Krisenfestigkeit verstanden. Das Konzept strategische Klarheit schaffen und demokratische trägt der Einsicht Rechnung, dass sich die internatio- Rückkopplung erleichtern. Die Prioritätensetzung nale Umwelt gemäß den in Artikel 21 Absatz 2 EUV sollte sich im neuen Mehrjährigen Finanzrahmen (MFR) vertraglich verankerten hohen Ambitionen kaum ge- ab 2021 niederschlagen. Damit der nach innen wie stalten lässt. Angesichts dessen soll es die EU befähi- außen wirkende europäische Rechtsraum gelingen gen, ihre Werte in einer immer unübersichtlicheren kann, sollten die Mitgliedstaaten die Rubrik IV »EU als Umwelt zu bewahren und gleichzeitig ihre Interessen globaler Akteur« im MFR finanziell stark aufstocken. zu verfolgen. Zweitens: Um eine resiliente Rechtsgemeinschaft Der Aufbau von Resilienz hat eine externe und eine zu schaffen, sollten die Ämter des Kommissionspräsi- interne Dimension. Die entstehende Sicherheits- und denten und des Hohen Vertreters für die Außen- und Verteidigungsunion wird auf drei Pfeilern ruhen, Sicherheitspolitik der EU fusioniert werden. In diese nämlich Sicherheitsunion, Verteidigungsunion und Richtung geht auch der Vorschlag, den Kommissions- EU-Nato-Zusammenarbeit. Sie ist zwar funktional präsident Juncker in seiner Rede zur Lage der Union und regional variabel, führt aber dazu, dass politische 2017 unterbreitete, nämlich die Ämter der Präsidenten Macht sich in der GASP konzentriert und institutio- der Kommission und des Europäischen Rats zusam- nalisiert. Klassische Felder der Innenpolitik wie Cyber- menzulegen. Die Fusion würde alle GASP-Agenturen sicherheit, Migrationspolitik, aber auch Terrorismus- und Arbeitsbereiche der Außen-, Sicherheits- und bekämpfung werden zu Aktionsfeldern der GASP. Verteidigungspolitik einschließen. Im Falle einer Gleichzeitig werden die GASP und das auswärtige Vertragsänderung sollte dem EuGH eine vertraglich Handeln der EU immer stärker verrechtlicht, im verankerte Rolle im auswärtigen Handeln sowie in Gegensatz zur nationalen Außen- und Sicherheitspoli- Fragen der GASP zugestanden werden. Die Rechtspre- tik. Die europäische Rechtsgemeinschaft selbst wird chungen des EuGH haben hierfür den Weg bereitet. auch resilienter gegenüber politischen Handlungen Drittens: Im Entscheidungsprozess sollte das Ein- der Mitgliedstaaten, die grundlegenden Werten der stimmigkeitsprinzip durch Mehrheitsbeschlüsse EU widersprechen. Der Europäische Gerichtshof ersetzt werden. Alternativ könnte die verstärkte Zu- (EuGH) unterstützt diesen Prozess aktiv. Eine resiliente sammenarbeit nach Artikel 20 EUV durch neun Mit- Rechtsgemeinschaft ist notwendige Vorbedingung für gliedstaaten angewandt werden. Eine stärkere Kultur die Abwehr externer Gefahren. der konstruktiven Enthaltungen würde ebenfalls die Das neue »Europa der Sicherheit«, das laut Kommis- Effizienz fördern. Dabei sollte die Interessendurch- sionspräsident Juncker »schützt, stärkt und verteidigt«, setzung zum Schutz der Rechtsgemeinschaft Priorität gewinnt immer mehr Zustimmung. Der Krisendiskurs haben und vertragswidriges Verhalten EU-intern stär- wird von einem Diskurs abgelöst, in dem ein »sicheres ker sanktioniert werden. Über eine inklusiv verstan- Europa« als Chance begriffen wird. Im Bresso-Brok- dene intensivere Zusammenarbeit hinaus wäre über Bericht vom Februar 2017 wird beschrieben, wie eine Kerngruppe nachzudenken, die aus der Euro- weitere Integration innerhalb der Verträge möglich gruppe und (in der Russlandpolitik) Polen bestände. ist. Mit dem Austritt Großbritanniens aus der EU wird Eine engere Verflechtung in der Rüstungsbeschaffung sogar eine Vertragsänderung wieder realistisch, wie sollte mit einer harmonisierten Rüstungsexportpolitik im Verhofstadt-Bericht vom Juli 2016 ausgeführt wird. verbunden sein, um Wettbewerbsverzerrungen unter Verwaltungsreformen und projektbezogene Integra- den EU-Staaten zu vermeiden. tionsfortschritte beseitigen jedoch nicht die strategi- Viertens: Die neue GASP sollte parlamentarisch sche Uneinigkeit der Mitgliedstaaten. Das Bundesver- kontrolliert werden, am besten über die Konferenz der fassungsgericht hat in seinem Lissabon-Urteil das Kon- Ausschüsse für Gemeinschafts- und Europa-Angelegen- zept der Integrationsverantwortung geprägt. Gemeint heiten der Parlamente der EU-Mitgliedstaaten (COSAC). ist die dauerhafte Übernahme von Verantwortung für Die Zusammenarbeit sollte den Prinzipien Konsens, die europäische Integration, bei der Übertragung von Informationsaustausch und Zustimmung folgen. Hoheitsrechten und der Ausgestaltung der Entschei- Kommission und Rat sollten verpflichtet werden, an dungsverfahren, aber auch bei der Vertragsentwick- den interparlamentarischen Sitzungen teilzunehmen. lung. In vier Bereichen wären Reformen nötig: Die Mitwirkung des Europäischen Parlaments bei Erstens: Eine den realen Möglichkeiten der EU an- Embargo- und Sanktionsverordnungen ist zwingend gepasste Interessendefinition durch ein europäisches notwendig. SWP Berlin GASP: Von der Transformation zur Resilienz September 2017 6
EU als normative und imperiale Macht Das alte Paradigma: Transformation Das auswärtige Handeln der EU und die GASP der Ver- te Wissenschaftler wie Andrew Moravcsik konstatieren gangenheit waren von hohen, oft auch illusionären gar, die EU sei schon heute eine Supermacht und Ambitionen geprägt. 1 In offiziellen Texten wie der werde dies auch für die nächsten Dekaden bleiben. 4 Europäischen Sicherheitsstrategie (ESS) von 2003, aber Die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik auch in anderen Strategiedokumenten wie beispiels- Europas scheint demnach nicht untergegangen zu weise zur Europäischen Nachbarschaftspolitik brachte sein, als die mitgliedstaatlichen Präferenzen im Zuge die Union immer wieder den Anspruch zum Ausdruck, der Osterweiterung zerfaserten. Offenbar lebt sie vor ihr politisches Umfeld eigenständig zu gestalten und allem in »Koalitionen der Willigen« außerhalb der in ihrer Nachbarschaft als stabilisierende und trans- offiziellen GASP-Entscheidungsverfahren fort. Im formierende Macht aufzutreten. Nie wieder sollte Vertrag von Lissabon 2009 wurde sie sogar weiterent- Europa in eine Situation wie während der Kriege im wickelt und umfasst mittlerweile alle Bereiche der ehemaligen Jugoslawien ab 1992 geraten, in der es Außen- und Sicherheitspolitik (Artikel 24 Absatz 1 noch nicht einmal seine Interessen formulieren, ge- EUV). Gemäß Artikel 42 Absatz 1 EUV ist die Gemein- schweige denn eigenverantwortlich handeln konnte. same Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP) Ein weiteres wichtiges Ziel lautete, dass Europa im- integraler Bestandteil der GASP und kann auf die stande sein sollte, seine Interessen auch global zu ver- zivilen und militärischen Fähigkeiten der Mitglied- treten. So hatte sich in der Umwelt-, der Menschen- staaten für den gesamten Krisenzyklus von Krisen- rechts- und der Nahostpolitik immer deutlicher erwie- prävention bis Konfliktnachsorge zurückgreifen. sen, dass die Interessen und besonders die Prioritäten Viele Instrumente des Außenhandelns der EU – etwa Europas und der USA voneinander abwichen. Die mit Beitrittsverhandlungen, Europäische Nachbarschafts- dem Vertrag von Maastricht im Jahr 1993 geschaffene politik, Handel mit anderen Ländern und Entwick- GASP sollte Europa befähigen, seine Interessen sowohl lungspolitik – liegen im Geschäftsbereich der Euro- in der europäischen als auch in der globalen Politik päischen Kommission. In den Worten des einstigen mit Nachdruck durchzusetzen. In der wissenschaft- Kommissionspräsidenten Barroso wurde die EU lange lichen Debatte herrscht allerdings die These vor, die Zeit als »nicht-imperiale Macht« verstanden, die sich GASP-Strukturen seien dysfunktional. Es wird vor den die Transformation ihrer internationalen Umwelt Gefahren einer Desintegration 2 gewarnt, denn einer- zum Ziel gesetzt hat. Dieses Verständnis der EU als seits müssen Grundsatzbeschlüsse nach wie vor ein- einer »Transformationsmacht« kam in unterschied- stimmig gefasst werden, andererseits sind sich die lichen Varianten zum Ausdruck. Sie stützten sich auf Mitgliedstaaten weiterhin uneins über die Rolle der rechtliche Bestimmungen im Vertrag von Lissabon USA in Europa, über die Russlandpolitik der EU und oder individuelle Politiken der EU. über ihre Migrationspolitik. Im Gegensatz dazu haben Politik und Politikberatung an der Idee europäischer Handlungsfähigkeit festgehalten. 3 Manche prominen- EU als normative und imperiale Macht 1 Bis 2009 war die GASP in der Säulenstruktur der EU als Eine Variante der Idee von der EU als Transformations- deren »zweite Säule« verankert. Im Vertrag von Lissabon ist macht speist sich aus der vielzitierten These des briti- die GASP unter der Überschrift »Allgemeine Bestimmungen über das auswärtige Handeln der Union und besondere schen Politikwissenschaftlers Ian Manners, 5 die EU sei Bestimmungen über die Gemeinsame Außen- und Sicher- heitspolitik« geregelt (Artikel 21 bis 46 EUV). 4 Andrew Moravcsik, »Europe Is Still a Superpower. And It’s 2 Douglas Webber, »How Likely Is It that the European Union Going to Remain One for Decades to Come«, in: Foreign Policy, Will Disintegrate? A Critical Analysis of Competing Theoreti- 13.4.2017, (eingesehen am 30.5.2017). 20 (2014) 2, S. 341–365. 5 Ian Manners, »Normative Power Europe. A Contradiction 3 Mark Leonard, Why Europe Will Run the 21st Century, London in Terms?«, in: Journal of Common Market Studies, 40 (2002) 2, 2005. S. 235–258; Kalypso Nicolaïdis/Richard G. Whitman (Hg.), SWP Berlin GASP: Von der Transformation zur Resilienz September 2017 7
Das alte Paradigma: Transformation eine »normative Macht« und daher außerordentlich Handeln nimmt die Menschenrechtspolitik einen attraktiv für andere Staaten. Die einmaligen Umstände zentralen Stellenwert ein. 10 Zur Umsetzung ihrer Ziele ihrer Gründung, also die freiwillige Annäherung und verständigten sich die Mitgliedstaaten im Juni 2012 Souveränitätsabgabe der Staaten nach dem Zweiten auf eine Menschenrechtsstrategie und einen Aktions- Weltkrieg, wirkten sich konstitutiv auf die Beschaf- plan. Unmittelbare praktische Bedeutung für die fenheit der EU, ihrer Werte und Normen 6 sowie deren Achtung der Menschenrechte hat die Politik der EU Verbreitung aus. Laut dieser Vorstellung unterliegt auch dadurch erhalten, dass Menschenrechtsklauseln die GASP keinen geographischen Einschränkungen, in die Partnerschafts- und Kooperationsabkommen sondern wird von den Werten Demokratie, Rechts- sowie in die Assoziierungsabkommen eingefügt wur- staatlichkeit, universelle Gültigkeit und Unteilbarkeit den. Dies erlaubt es, bei schwerwiegenden Menschen- der Menschenrechte sowie anderen hehren Zielen an- rechtsverletzungen auf die ebenfalls in den neueren geleitet (Artikel 21 Absatz 1 EUV). In der europäischen Abkommen enthaltenen Suspendierungsklauseln rechtlichen und politischen Realität findet sich eine zurückzugreifen. In der Beitrittspolitik sind es die so- Reihe von Belegen, die diese Sicht auf die EU unter- genannten Kopenhagener Kriterien, welche die hohen mauern. Anforderungen zur Einhaltung von Menschenrechten Die Politiken der EU sind dem Verständnis der EU sowie Rechtsstaats- und Demokratieprinzipien zum als »soft power« verpflichtet. Sie konzentrieren sich auf Ausdruck bringen. Menschenrechte (Ratsarbeitsgruppe Menschenrechte, Um die Fähigkeit, ihre normativen Ziele zu ver- COHOM), Nichtverbreitung von Massenvernichtungs- folgen, wesentlich zu verbessern, führte die EU 1999 waffen und Abrüstung (Ratsarbeitsgruppen CODUN, im Vertrag von Amsterdam zunächst das Amt eines CONOP), Rüstungsexportkontrolle (Ratsarbeitsgruppe Hohen Vertreters für die GASP ein und ersetzte dieses Konventionelle Rüstungskontrolle, COARM), Terro- im Vertrag von Lissabon 2009 durch das Amt des Hohen rismusbekämpfung (Ratsarbeitsgruppe Terrorismus, Vertreters der EU für Außen- und Sicherheitspolitik. COTER) und Völkerrecht (Comité Juridique, COJUR). Dieser nimmt gleichzeitig die Positionen des Außen- Der Begriff normative Macht bezeichnet nach Manners kommissars und des Vizepräsidenten der Kommission die Fähigkeiten eines Akteurs »to define what passes ein (was als »Doppelhut« bezeichnet wird). Einfluss auf for ›normal‹ in world politics«. 7 Diese bildeten die die Gestaltung der GASP übt er durch seinen Vorsitz »greatest power of all«, 8 da sie einen Maßstab für das auf allen Ebenen in den GASP-Formaten aus. 11 Seit Handeln aller Akteure schüfen. Entsprechend ambi- dem 1. November 2014 bekleidet Federica Mogherini tioniert sind die verfassungsrechtlichen (Artikel 3 das Amt, ihre Amtszeit endet am 31. Oktober 2019. Absatz 5 EUV) und politischen (Artikel 21 Absatz 2 Als Vizepräsidentin der Kommission hat sie den Vor- EUV) Zielvorgaben der EU. 9 In ihrem auswärtigen sitz des Rats für Auswärtige Angelegenheiten und der entsprechenden Ratsarbeitsgruppe inne. Nicht nur Special Issue on Normative Power Europe, Cooperation and Conflict, 48 (2013) 2. Förderung der Integration aller Länder in die Weltwirtschaft 6 Siehe die Kopenhagener Kriterien: Europäischer Rat und Abbau von Handelshemmnissen; Beitrag zu internationa- Kopenhagen, 21.–22.6.1993, Schlussfolgerungen des Vorsitzes, len Maßnahmen, zum Umweltschutz und zur nachhaltigen Weltordnung, basierend auf multilateraler Zusammenarbeit (eingesehen am 30.5.2017). und verantwortungsvoller Weltordnungspolitik.« 7 Manners, »Normative Power Europe. A Contradiction in 10 Auf Vorschlag der Hohen Vertreterin kann der Rat gemäß Terms?« [wie Fn. 5], S. 253. Artikel 33 EUV mit qualifizierter Mehrheit einen EU-Sonder- 8 Ebd. beauftragten (EUSB) für besondere politische Fragen ernen- 9 Ihre Ziele lauten: »Wahrung der Werte, der grundlegenden nen. So wurden im Laufe der Jahre ein Dutzend Sonderbeauf- Interessen, der Sicherheit, der Unabhängigkeit und der Un- tragte eingesetzt – nicht nur für Menschenrechte, sondern versehrtheit der Union; Festigung und Förderung von Demo- auch für Afghanistan, die Afrikanische Union, Bosnien und kratie, Rechtsstaatlichkeit, Menschenrechten und Grundsät- Herzegowina, die Georgienkrise und den südlichen Kaukasus, zen des Völkerrechts; Friedenserhaltung, Konfliktverhütung den Kosovo und anderes. und Stärkung der internationalen Sicherheit im Einklang 11 Zu den Auswirkungen der Finanz- und Schuldenkrise auf mit der Charta der Vereinten Nationen, der Schlussakte von die Außenpolitik der EU siehe Ronja Kempin/Marco Overhaus Helsinki und der Charta von Paris; Förderung nachhaltiger (Hg.), EU-Außenpolitik in Zeiten der Finanz- und Schuldenkrise, Entwicklung in Bezug auf Wirtschaft, Gesellschaft und Um- Berlin: Stiftung Wissenschaft und Politik, April 2013 (SWP- welt in den Entwicklungsländern zur Beseitigung von Armut; Studie 9/2013). 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EU als normative und imperiale Macht dort, auch in regelmäßigen Zusammenkünften mit Partnerschafts- und Kooperationsabkommen, Gemein- den für Auswärtiges zuständigen Kommissaren kann samen Erklärungen oder Briefwechseln gelegt. sie die GASP mit den übrigen Bereichen des EU-Außen- Die EU als Rechtsform sui generis ordnet sich selbst- handelns enger verzahnen und besser auf die vertrag- verständlich in internationale Rechtssysteme ein und lich verankerten Ziele abstimmen. 12 In der Praxis ist bezieht auch daraus ihre normative Macht und Glaub- der Europäische Auswärtige Dienst (EAD) mit seinen würdigkeit. 15 So gilt etwa gemäß Artikel 34 Absatz 2 über 5500 Mitarbeitern und 139 Auslandsvertretun- EUV: »Die Mitgliedstaaten, die auch Mitglieder des gen dafür zuständig, die vertraglich kodifizierten Ziele Sicherheitsrats der Vereinten Nationen sind, stimmen der EU umzusetzen. 13 Dafür standen dem EAD 2016 sich ab und unterrichten die übrigen Mitgliedstaaten etwa 600 Millionen Euro aus dem Gesamthaushalts- sowie den Hohen Vertreter in vollem Umfang.« Im plan der Union zur Verfügung. 14 Das Europäische Jahr 2011 hat die Generalversammlung der Vereinten Parlament (EP), die Europäische Zentralbank (EZB) Nationen (VN) mit der Resolution 65/276 »Strengthen- und zahlreiche Agenturen der EU sind ebenfalls an- ing of the United Nations System: Participation of the gehalten, in ihren Außenbeziehungen den normati- EU in the Work of the UN« 16 die EU in ihre Arbeits- ven Zielen Geltung zu verschaffen. strukturen aufgenommen. Laut dem vertraglich fest- Auch gegenüber internationalen Foren und Orga- gelegten Anspruch der EU sind in ihrem auswärtigen nisationen agiert die EU inzwischen selbstbewusster. Handeln weder Druckmittel noch Zwang zulässig, um Gemäß Artikel 15 Absatz 6 EUV nimmt der Präsident eigene Interessen durchzusetzen. Die Verleihung des des Europäischen Rates die Außenvertretung der Friedensnobelpreises im Jahr 2012 an die EU unter- EU in GASP-Angelegenheiten wahr, unbeschadet der streicht die bisherigen Friedensleistungen Europas Befugnisse der Hohen Vertreterin. Darüber hinaus und gab ihr den Zukunftsauftrag, die Globalisierung nimmt die EU sowohl an G7/G8- und G20-Gipfeltreffen mitzugestalten. der Staats- und Regierungschefs als auch an G7/8- Eine andere Variante der Interpretation der EU als Außenministertreffen teil. Zu den Gipfeltreffen ent- Transformationsmacht stützt sich auf die These, dass sendet sie den Präsidenten des Europäischen Rates sich die EU »ohne Anleihen beim Ordnungsmodell der und den Präsidenten der Europäischen Kommission, Imperien« 17 nicht verstehen lasse. Die Sozialwissen- zu den Außenministertreffen die Hohe Vertreterin. schaftler Herfried Münkler sowie Ulrich Beck und Zudem stellen die Mitgliedstaaten der EU die Hälfte Edgar Grande bezeichnen die EU als »Imperium« be- der OSZE-Mitgliedschaft und leisten gut zwei Drittel ziehungsweise »kosmopolitisches Empire« und setzen der Beitragszahlungen. Politische Dialoge sind wich- sie damit von früheren Großreichen wie dem Briti- tige GASP-Instrumente, denn mit Informationsaus- schen Empire ab. Beck und Grande meinen »eine Form tausch und einer verstärkten Zusammenarbeit lässt von Herrschaftsausübung, deren Charakteristikum sich Einfluss auf Verhalten und Positionierung der darin besteht, dass es dauerhaft die Beherrschung von Dialogpartner nehmen. Besondere Bedeutung haben Nichtbeherrschten anstrebt«. 18 Mit diesem zunächst die Dialoge mit Regionalorganisationen erlangt, zum widersprüchlich erscheinenden Befund thematisieren Beispiel mit der Afrikanischen Union (AU) und dem die Autoren, dass die EU ein freiwilliger Zusammen- Verband Südostasiatischer Nationen (Association of schluss von Staaten ist, für dessen Bestand ein starkes Southeast Asian Nations, ASEAN). Die Fundamente Zentrum sorgen muss. Die europäische Außen- und für die Politischen Dialoge werden in Assoziierungs-, Sicherheitspolitik wird dabei (a) mit Hilfe formali- sierter Zusammenarbeit, also den GASP-Verfahren, 12 Marianne Riddervold, »(Not) in the Hands of the Member States: How the European Commission Influences EU Security 15 Sibylle Scheipers/Daniela Sicurelli, »Normative Power and Defence Policies«, in: Journal of Common Market Studies, Europe: A Credible Utopia?«, in: Journal of Common Market 54 (2016) 2, S. 353–369. Studies, 45 (2007) 2, S. 435–457. 13 European Union Institute for Security Studies (EUISS), YES 16 United Nations General Assembly, Participation of the 2017. EUISS Yearbook of European Security, Paris 2016; European European Union in the Work of the United Nations, A/RES/65/276, External Action Service, 2015 Annual Activity Report, Brüssel, New York, 3.5.2011. 26.5.2016, (eingesehen am 29.6.2017). vom Alten Rom bis zu den Vereinigten Staaten, 4. Auflage, Hamburg 14 »EU General Budget, Section X, European External Action 2007, S. 254. Service«, in: Official Journal of the European Union, L 51/2280, 18 Ulrich Beck/Edgar Grande, Das kosmopolitische Europa. Gesell- 28.2.2017, (eingesehen am 30.5.2017). S. 89. SWP Berlin GASP: Von der Transformation zur Resilienz September 2017 9
Das alte Paradigma: Transformation (b) durch ein enges Zusammenspiel der großen Mit- aufgrund ihrer Größe und ihres politischen Ge- gliedstaaten sowie (c) über »Koalitionen der Willigen« wichts besondere Verantwortung, einen substan- außerhalb der Verfahren zusammengehalten. tiellen Beitrag zu konfliktbearbeitenden Maßnah- a) Nicht die Zwangsgewalt einer Zentralmacht ist men zu leisten. Garant für die GASP, sondern die Verpflichtung, c) Dieser Verantwortung haben sich die wichtigsten gemeinsame Ziele zu befördern und alles zu unter- Länder in vielen Fällen auch gestellt. Das Krisen- lassen, was dem widerspricht (Artikel 24 Absatz 3 management auf dem Balkan, die Initiative zum EUV). Es obliegt der Hohen Vertreterin, diese Kohä- Kosovo-Serbien-Dialog, die Verhandlungen in der renz im Außenhandeln zu gewährleisten. So nahm EU+3 mit Iran über dessen Nuklearprogramm sowie der Rat Mitte Mai 2014 Schlussfolgerungen zum das Minsker Abkommen waren allesamt durch ein »umfassenden Ansatz« 19 von Außen-, Sicherheits-, hohes Maß an politischer und materieller Unter- Verteidigungs- und Entwicklungspolitik an, um die stützung durch die bedeutendsten Mitgliedstaaten vertraglich vorgesehene Kohärenz in der Konflikt- gekennzeichnet. 23 Ein weiteres konstitutives regulierung zu stärken und das gemeinsame Vor- Merkmal des kosmopolitischen Imperiums Europa gehen der EU-Institutionen und -Mitgliedstaaten in ist laut Beck und Grande die bewusste Negation von diesem Bereich zu verbessern. 20 Aus dem umfas- Gewalt. 24 Die Union bilde ein Imperium »auf Ein- senden Ansatz wurde mit der Globalen Strategie ladung«, in dem sich Herrschaft auf freiwillige An- von Juni 2016 der »integrierte Ansatz«. Der darin erkennung und Unterwerfung unter die Regelun- enthaltene Anspruch, Kohärenz im Krisenmanage- gen der EU gründe. Beispielsweise hatte die Bundes- ment der EU herzustellen, soll durch die neue regierung im Vorfeld des Europäischen Rats vom Einheit PRISM (Prevention of Conflicts, Rule of Dezember 2013 gemeinsam mit Frankreich und vor Law/Security Sector Reform, Integrated Approach, dem Europäischen Rat vom Juni 2015 zusammen Stabilisation and Mediation) im EAD umgesetzt mit Polen darauf hingewirkt, ambitionierte Ziele werden. 21 für die Weiterentwicklung der GSVP zu formulie- b) Die Mitgliedstaaten verfügen, ganz im Einklang mit ren. Auch versucht sie die Visegrád-Staaten mit der der Imperiumslogik, über jeweils spezifische Macht- Formel »flexible Solidarität« in die Bearbeitung der potentiale und gehen unterschiedlich tiefgreifende Migrationsfrage einzubeziehen, um sie davon zu Verpflichtungen ein. 22 Im Kern der europäischen überzeugen, die Regeln zu befolgen. Herrschaftsordnung stehen Deutschland und Frank- Das Imperium kennt zudem keine klare Unter- reich, die gleichzeitig an allen politikfeldspezifi- scheidung zwischen innen und außen. Auch »nicht- schen Regimen der EU beteiligt sind, während Län- beherrschte« Staaten werden mit Hilfe politischer der wie Griechenland oder die baltischen Staaten und ökonomischer Anreize an die Regeln gebunden. eher als periphere Regelungsnehmer zu verstehen So zahlt die EU rund drei Milliarden Euro an die Tür- sind. Zugleich allerdings müssen die mächtigsten kei für humanitäre Hilfe und die Unterbringung von Staaten die stärksten Einbußen an formaler Souve- Flüchtlingen. 25 Diese Mittel sind eigentlich für Hilfs- ränität hinnehmen. Staaten wie Deutschland oder organisationen gedacht, doch ein beträchtlicher Teil Frankreich, früher auch Großbritannien, tragen 23 Oliver Meier/Azadeh Zamirirad, Die Atomvereinbarung mit 19 Der Begriff »umfassender Ansatz« meint die koordinierte Iran. Folgen für regionale Sicherheit und Nichtverbreitung, Berlin: Anwendung sämtlicher EU-Finanzinstrumente durch die Stiftung Wissenschaft und Politik, August 2015 (SWP-Aktuell jeweiligen Akteure und beschreibt die Arbeitsmethode der EU 70/2015); Susan Stewart, Die Zukunft der Minsker Vereinbarungen. im Krisenzyklus. Siehe Ronja Kempin/Ronja Scheler, Vom Umsetzung vorantreiben und Sanktionen gegen Russland stützen, »umfassenden« zum »integrierten Ansatz«, Berlin: Stiftung Wissen- Berlin: Stiftung Wissenschaft und Politik, Februar 2016 (SWP- schaft und Politik, April 2016 (SWP-Studie 8/2016). Aktuell 12/2016); Annegret Bendiek/Ronja Kempin, Europe’s 20 Rat der Europäischen Union, 3312. Tagung Auswärtige Foreign and Security Policy Adrift. Strengthening the Role of the EU-3, Angelegenheiten, Brüssel, 12.5.2014, S. 18, Berlin: Stiftung Wissenschaft und Politik, Dezember 2011 (eingesehen am 30.5.2017). 24 Beck/Grande, Das kosmopolitische Europa [wie Fn. 18]. 21 Tobias Pietz, Flexibilisierung und »Stabilisierungsaktionen«: EU- 25 Christian Geinitz, »EU zahlt Millionen an Flüchtlingshilfe Krisenmanagement ein Jahr nach der Globalen Strategie, Berlin: an den türkischen Staat«, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, Zentrum für Internationale Friedenseinsätze (ZIF), September 26.6.2017, (eingesehen am 22.8.2017). SWP Berlin GASP: Von der Transformation zur Resilienz September 2017 10
Kritik am transformatorischen Ansatz fließt an den Staat selbst. Und auch für einen mög- Maßnahmen der Demokratie- und Rechtsstaatsförde- lichen Beitritt zur EU bekommt die Türkei immer rung sowie der Konditionalitätspolitiken gegenüber noch Geld. Zum Vergleich: Die gesamten Mittel, die den ENP-Staaten bleibt die Bilanz der Europäischen im Haushalt der EU für ihre Außenbeziehungen vor- Nachbarschaftspolitik negativ. 29 Es gibt verschiedene gesehen sind (Rubrik IV, »Die EU als globaler Akteur«) Gründe dafür, dass der transformative Ansatz der EU beliefen sich im Jahr 2016 auf 8,2 Milliarden Euro. 26 nur begrenzt umgesetzt werden kann. Davon seien Unter anderem umfassen sie Ausgaben der Union für nur einige hier ausgeführt: humanitäre Hilfe und Entwicklungshilfe, für Aufbau- Erstens: Das Streben nach einer normativ geprägten förderung in der Europäischen Nachbarschaftspolitik Politik ist immer mit einem Machtanspruch der EU (ENP) und für die Unterstützung der Beitrittskandida- gegenüber anderen Regionalorganisationen und Wirt- ten. Diese Mittel lassen sich als Indiz dafür interpre- schaftsblöcken verbunden. Die Mitgliedstaaten sind tieren, dass die EU auf ständige Erweiterung angelegt aber vorrangig an Sicherheit und Wohlstandsmaxi- ist. Unterstrichen wird dies auch durch die offenen mierung interessiert. Daher bestimmen hauptsächlich und variablen räumlichen Strukturen der Zugehörig- diese Faktoren das Handeln der EU-Länder. 30 Weil aber keit (wie im Schengenraum oder in der Wirtschafts- alle Staaten mitreden dürfen und jeder von ihnen und Währungsunion) und durch die im Sinne von über die Möglichkeit des Einspruchs verfügt, bilden Beck/Grande halbdurchlässigen Grenzen der imperia- das auswärtige Handeln der EU und die GASP kaum len Machtvorstellung (wie im Assoziierungs- und Stabi- mehr als den Ausdruck des »kleinsten gemeinsamen lisierungsprozess für Südosteuropa). Nenners« der auseinanderstrebenden Interessen. Aus Sicht der Realistischen Schule der Internationalen Beziehungen steht die EU in der Verantwortung, ihre Kritik am transformatorischen Ansatz Stellung in der Staatengemeinschaft zu sichern oder auszubauen. Völkerrechtlich gesehen ist die EU aber Gleichwohl kann der transformatorische Ansatz der kein souveräner Akteur und kann diesem Anspruch EU als weitgehend gescheitert betrachtet werden. 27 Es daher nicht gerecht werden. Die EU-Vollmitgliedschaft ist ihr nicht gelungen, die europäische Nachbarschaft im Völkerrechtssystem ist vorerst nicht in Sicht. 31 im Hinblick auf Konfliktregelung so zu beeinflussen, Selbst der geplante Beitritt der EU zur Europäischen dass die Folgen der teilweise katastrophalen Entwick- Menschenrechtskonvention (EMRK) ist strittig. lungen in den Staaten Afrikas oder des Mittleren Zweitens: Die Mittel, welche unter der Ausgaben- Ostens wirksam eingedämmt und dadurch größere rubrik IV »Die EU als globaler Akteur« und für den Migrationsströme verhindert werden. 28 Nach wie vor Europäischen Entwicklungsfonds für den transforma- versuchen jeden Tag Hunderte von Migranten, der torischen Anspruch bereitgestellt wurden, reichen Armut und Perspektivlosigkeit in ihren Heimatländern nicht aus, um die hohen Erwartungen an die Trans- über die Mittelmeerroute zu entfliehen. Trotz aller formationskraft zu erfüllen. Für die 16 Staaten der Europäischen Nachbarschaftspolitik beispielsweise 26 European Commission, Multiannual Financial Framework stehen insgesamt lediglich 15 Milliarden Euro, verteilt 2014–2020 and EU Budget 2014. The Figures, Luxemburg 2013, auf die Jahre 2014 bis 2020, zur Verfügung. Zudem S. 7, (einge- liche und politische Konditionalitäten zu knüpfen, sehen am 30.5.2017). 27 Vgl. Richard Youngs, »Is Hybrid Geopolitics the Next EU 29 Vgl. Volker Perthes (Hg.), »Krisenlandschaften«. Konfliktkonstel- Foreign Policy Doctrine?«, LSE Blogs, 19.6.2017, Berlin: Stiftung Wissenschaft und Politik, Dezember 2016. (eingesehen am 19.9.2017); Richard Youngs, Europe in the New 30 Adrian Hyde-Price, »A ›Tragic Actor‹? A Realist Perspective Middle East: Opportunity or Exclusion?, Oxford: Oxford University on ›Ethical Power Europe‹«, in: International Affairs, 84 (2008) 1, Press, 2014. S. 29–44 (30); Andreas Dür/Hubert Zimmermann, »Introduc- 28 Tobias Schumacher, »Uncertainty at the EU’s Borders: tion: The EU in International Trade Negotiations«, in: Journal Narratives of EU External Relations in the Revised European of Common Market Studies, 45 (2007) 4, S. 771–787. Neighbourhood Policy towards the Southern Borderlands«, 31 Frank Hoffmeister, »Outsider or Frontrunner? Recent in: European Security, 24 (2015) 3, S. 381–401; Steven Block- Developments under International and European Law on the mans, The Obsolescence of the European Neighbourhood Policy, Status of the European Union in International Organizations Stockholm: Swedish Institute for European Policy Studies, and Treaty Bodies«, in: Common Market Law Review, 44 (2007), Mai 2017 (Report Nr. 4). S. 41–68 (41). SWP Berlin GASP: Von der Transformation zur Resilienz September 2017 11
Das alte Paradigma: Transformation deutlich geschwächt – spätestens mit der Ansage des Althea in Bosnien und Herzegowina sowie EUNAVFOR Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker Ende MED Sophia im Mittelmeer. Solche Kooperationen 2009, in seiner Amtszeit werde es keine Erweiterung bleiben jedoch hochgradig abhängig vom Willen der der Union geben. Als kompensatorische Maßnahme Nato-Mitglieder zur Zusammenarbeit, wie etwa der soll ein neues Instrument der EU zum Fähigkeitsauf- Türkei oder der USA. Immerhin wird derzeit im Rah- bau zivile und auch militärische Sicherheitsakteure men der Ständigen Strukturierten Zusammenarbeit unterstützen. Begründet wird die Einführung dieses (Permanent Structured Cooperation, PESCO) in der Instruments mit dem »umfassenden Ansatz« und der GSVP über konkrete Planungen für einen ständigen Annahme, dass sich Sicherheit und Entwicklung maritimen Verband nachgedacht. gegenseitig bedingen. Der Fähigkeitsaufbau soll alle Viertens: Der Hauptzweck der GSVP (Artikel 42 bis für Sicherheit und Justiz zuständigen Institutionen 46 EUV) als integraler Bestandteil der GASP besteht einschließen. Das steht im Einklang mit der Mittei- darin, »eine auf zivile und militärische Mittel gestütz- lung der Kommission und der Hohen Vertreterin über te Operationsfähigkeit« der Union zu gewährleisten. »Elemente eines EU-weiten Strategierahmens zur Diese Fähigkeit kann die EU allerdings nur bei Missio- Unterstützung der Reform des Sicherheitssektors« 32 nen außerhalb ihres Gebiets einsetzen und auch nur vom Juli 2016. zum Zwecke der Friedenssicherung, Konfliktverhü- Drittens: Die Bilanz der GASP/GSVP-Missionen und tung und Stärkung der internationalen Sicherheit in -Operationen ist bestenfalls gemischt. 33 Es liegt auf der Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Charta Hand, dass die EU Aufgaben im Krisenmanagement der VN. 35 Derzeit unterhält die EU zehn zivile Missio- nur dann übernehmen kann, wenn die Mitgliedstaa- nen mit rund 2500 Kräften in zehn verschiedenen ten entsprechende Fähigkeiten bereitstellen. Diese Staaten des erweiterten Nachbarschaftsraums 36 sowie werden koordiniert beschafft und der EU bei Bedarf sechs militärische Operationen mit rund 2400 Solda- zur Verfügung gestellt. Um langwierige Verhandlun- ten auf dem Balkan, im südlichen Mittelmeer, in der gen im Vorfeld einer Operation zu vermeiden, wurde Zentralafrikanischen Republik, im Golf von Aden, in 2004 der Athena-Mechanismus geschaffen. Demnach Somalia und in Mali. 37 Weil die Verfahren der GSVP gilt für den Großteil der Kosten: »Costs lie where they zur Umsetzung einer Mission langwierig sind, hat der fall.« Die Gemeinkosten werden nach Höhe des jewei- Rat erstmals eine Stabilisierungsaktion der EU in Mali ligen Bruttosozialprodukts aus den Haushalten der gemäß Artikel 28 EUV beschlossen, für die die Hohe beteiligten Mitgliedstaaten beglichen. Einsatzbedingte Vertreterin verantwortlich ist. In seinen Schlussfolge- zusätzliche Kosten, etwa für entsandte Experten in rungen zur GSVP vom Mai 2015 forderte der Rat für den zivilen Missionen der EU oder für bis zu 700 Sol- Auswärtige Angelegenheiten die Mitgliedstaaten und daten in militärischen EU-Operationen, werden nach den EAD auf, bei Einstellung und Entsendung von wie vor national bezahlt. Personal mehr Unterstützung zu leisten. Deutschland Gemäß dem Rahmenabkommen »Berlin Plus« vom organisiert den Einsatz ziviler Experten in GASP/GSVP- März 2003 kann die EU bei Planung und Durchfüh- Missionen zusammen mit den Bundesländern, näm- rung militärischer Operationen auf Mittel und Fähig- lich im Rahmen der Arbeitsgruppe Internationale keiten der Nato zurückgreifen. 34 Diese Möglichkeit hat Polizeimissionen, und mit dem Zentrum für Inter- sie bisher in zwei ihrer Operationen genutzt, nämlich nationale Friedenseinsätze (ZIF). Eine dem deutschen Beispiel folgende europäische Institution fehlt aber 32 European Commission, Joint Communication to the bislang. Auch stellt der GASP-Haushalt für diese Mis- European Parliament and the Council, Elements for an EU-wide Strategic Framework to Support Security Sector Reform, Straßburg, 35 So wurden seit 2003 bislang rund 30 zivile und militäri- 5.7.2016, (eingesehen am 29.6.2017). Afrika durchgeführt. Vgl. hierzu European External Action 33 Vgl. Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage Service (EEAS), Military and Civilian Missions and Operations, der Abgeordneten Doris Wagner et al., Weiterentwicklung der 3.5.2016, (eingesehen am 29.6.2017). 14.9.2016. 36 Thierry Tardy, Civilian CSDP. What Next?, Paris: European 34 EU-NATO: The Framework for Permanent Relations and Berlin Plus Union Institute for Security Studies (EUISS), November 2016 [17.3.2017], (ein- 37 Vgl. EEAS, Military and Civilian Missions and Operations [wie gesehen am 30.5.2017). Fn. 35]. SWP Berlin GASP: Von der Transformation zur Resilienz September 2017 12
Kritik am transformatorischen Ansatz sionen im Jahr 2017 nur die bescheidene Summe Europäischen Union nicht mehr vom Operation Head- von 327 Millionen Euro zur Verfügung. 38 Artikel 41 quarters in Northwood bei London geführt werden Absatz 2 EUV regelt aber eine Ausnahme vom Grund- kann. Dort ist ein Sicherheitszentrum eingerichtet satz, dass Maßnahmen der GASP aus dem Haushalt worden, das der Schifffahrt als Ansprechpartner bei der EU finanziert werden müssen. Diese betrifft Aus- der Bekämpfung der Piraterie am Horn von Afrika und gaben für militärische und verteidigungspolitische im Golf von Aden dient. Kommandeur der Operation Belange. Nach Auffassung des Juristischen Dienstes Atalanta ist ein britischer Generalmajor. des Rates ist es zulässig, Maßnahmen zum Kapazitäts- Inzwischen besteht offiziell Konsens darüber, dass aufbau von Partnern aus anderen Quellen zu finan- sich die GASP zu einem Instrument weniger Mitglied- zieren. 39 Jenseits des GASP-Haushalts sind indes nur staaten entwickelt. Dies hat seinen Niederschlag in sehr limitierte Mittel für das Außenhandeln der EU der Globalen Strategie der EU (European Union Global vorgesehen. Zum einen handelt es sich dabei um Strategy, EUGS) sowie den Beschlüssen der Staats- und Instrumente aus der Rubrik IV (»Die EU als globaler Regierungschefs seit 2016 gefunden. Schon früh befür- Akteur«) des EU-Haushalts, deren Volumen im Jahr worteten einige Regierungsvertreter eine informelle 2016 bei 8,2 Milliarden Euro lag, 40 zum anderen um Arbeitsteilung zwischen EAD und Mitgliedstaaten. So den Europäischen Entwicklungsfonds (European hatten Großbritannien und Deutschland eine Initia- Development Fund, EDF). Neue Finanzinstrumente tive zu Bosnien und Herzegowina unternommen, die sind derzeit in Planung, beispielsweise Instrumente EAD und Kommission nach Mandatierung durch den zum Fähigkeitsaufbau oder der im Juni 2017 auf Rat fortführen. In Mali wiederum hatte zunächst den Weg gebrachte Verteidigungsfonds als Bestandteil Frankreich militärisch interveniert, wurde dann aber des Mehrjährigen Finanzrahmens. von der EU abgelöst. Diese Entwicklung lässt sich Fünftens: Zudem droht die GASP/GSVP von den jedoch auch so interpretieren, dass die GASP lediglich Mitgliedstaaten für ihre jeweiligen außenpolitischen der verlängerte Arm nationaler Außenpolitik ist. Agenden instrumentalisiert zu werden. Die Bekämp- Sechstens: Auch was den Kampf gegen hybride fung der Piraterie am Horn von Afrika, wo die EU mit Bedrohungen anbelangt, hat die EU nur dürftige der maritimen Operation EU NAVFOR Atalanta ein- Resultate vorzuweisen. Diese Art Bedrohung zeichnet schritt, gilt als bislang einziger Fall, in dem die Union sich durch eine Mischung von Zwang und Unterwan- allein tätig ist und »den kleinsten gemeinsamen derung sowie konventioneller und unkonventioneller Nenner« der EU-27/28 vertritt. Anfang November 2008 Methoden seitens staatlicher und nichtstaatlicher beschloss die EU-28, im Rahmen der Mission European Akteure aus, ohne dass die Schwelle zu einem offiziell Union Naval Force – Somalia (EU NAVFOR Somalia – erklärten Krieg überschritten wird. Die politischen Operation Atalanta) Kriegsschiffe und Soldaten gegen Dialoge der EU mit Drittstaaten sind zwar auf Cyber- die Piraterie vor Somalias Küste zu entsenden und die sicherheitsfragen ausgeweitet worden, jedoch ergeb- bisherige Nato-Operation Allied Provider abzulösen, nislos geblieben. Berichten des Verfassungsschutzes die aus Schiffen der Standing NATO Maritime Group 2 zufolge beheimaten Russland und China sogenannte gebildet worden war. Es besteht aber die Gefahr, dass Proxys, also private Akteure wie Hacker, die im Auf- Atalanta nach dem Austritt Großbritanniens aus der trag der Regierung oder von ihr geduldet regelmäßig Angriffe auf europäische Regierungsbehörden und 38 European Commission, Report on Budgetary and Financial Unternehmen starten. Vertrauens- und sicherheits- Management of the European Commission (Section III of the EU bildende Maßnahmen wurden auf den Ebenen von Budget), Financial Year 2016, Brüssel 2017, (eingesehen am Interesse der EU in diesen Gremien auf den kleinsten 30.5.2017). 39 Harry Cooper, »EU Plans to Militarize Aid Pass Parliament gemeinsamen Nenner beschränkt. Außerdem wurde Hurdle«, in: Politico, 13.7.2017, (eingesehen die sogenannte Cyber Diplomacy Toolbox. am 27.7.2017); Markus Becker, »Friedensgelder fürs Militär«, Anders als die USA hat die EU noch nicht ernsthaft in: Spiegel Online, 11.7.2017, (eingesehen am 27.7.2017). haltender Cyberangriffe mit konkreten Sanktionen zu 40 European Commission, Multiannual Financial Framework belegen. Um politische Ziele durchzusetzen, bedient [wie Fn. 26], S. 7. sich die Union verstärkt restriktiver Maßnahmen, die SWP Berlin GASP: Von der Transformation zur Resilienz September 2017 13
Das alte Paradigma: Transformation sie in der Regel gegen Regierungsvertreter bestimmter Drittstaaten sowie gegen Staatsfirmen und andere juristische und natürliche Personen richtet. Unter- schieden wird zwischen Sanktionen, welche die EU autonom beschließt (zum Beispiel gegen die ehema- ligen Staatschefs von Tunesien und Ägypten), und solchen, die sie gemäß einem Beschluss des Sicher- heitsrats der VN (etwa gegen Guinea-Bissau oder das iranische Nuklearprogramm) zu verhängen verpflich- tet ist oder war. Oftmals liegt eine Mischform vor, bei der die Union Sanktionen der VN umsetzt und die Liste betroffener Staaten eigenhändig erweitert, wie die Beispiele Nordkorea oder Syrien zeigen. 41 Die Bemühungen des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH), gegen Menschenrechtsverletzungen in der Welt vorzugehen, hat die EU nicht wesentlich voran- getrieben. Der Gerichtshof konzentriert sich bislang überwiegend auf Verfahren gegen Beschuldigte aus afrikanischen Ländern. Allerdings hat die Union das Potential des Gerichts als einem der wichtigsten Instrumente globaler Ordnungspolitik bisher weder in ihrer Politik gegenüber Afrika noch gegenüber anderen Regionen ausgeschöpft. 42 Verglichen mit dem hohen normativen Anspruch der EU in ihrem aus- wärtigen Handeln sieht die Realität in der multilate- ralen Politik eher ernüchternd aus. Die insgesamt magere Bilanz transformatorischer Außenpolitik hat wesentlich dazu beigetragen, dass man sich vermehrt Gedanken über eine strategische Neuausrichtung der GASP macht. Realismus oder ein an Prinzipien orientierter Pragmatismus – »principled pragmatism«, wie es in der Globalen Strategie der EU heißt – ist das Gebot der Stunde, nicht Utopismus oder Idealismus. 43 »Transformation« ist alles in allem wenig geeignet, um dem auswärtigen Handeln der Union eine sinnstiftende Erzählung zu geben. Fest- zustellen ist vielmehr, dass es in der Vergangenheit weder eine überzeugende Ausprägung einer norma- tiven noch einer imperialen Macht EU gegeben hat. 41 Eine Übersicht über die derzeit existierenden Sanktions- regime der EU sowie eine Liste sämtlicher mit Kontensperren belegter Personen und Organisationen findet man auf der Webseite des EAD, (eingesehen am 30.5.2017). 42 Vgl. hierzu grundlegend Denis M. Tull/Annette Weber, Afrika und der Internationale Strafgerichtshof. Vom Konflikt zur politischen Selbstbehauptung, Berlin: Stiftung Wissenschaft und Politik, März 2016 (SWP-Studie 2/2016). 43 European Union, Shared Vision, Common Action: A Stronger Europe. A Global Strategy for the European Union’s Foreign and Security Policy, Brüssel, Juni 2016, S. 8, (eingesehen am 29.6.2017). SWP Berlin GASP: Von der Transformation zur Resilienz September 2017 14
Das neue Paradigma: Resilienz Das neue Paradigma: Resilienz Die Europäische Union hat Ende Juni 2016 eine neue In der neuen Strategie der Union wird Resilienz als Globale Strategie für die Außen- und Sicherheitspoli- umfassendes Konzept innerer und äußerer Sicherheit tik der EU angenommen und damit den normativen verstanden, das »alle Individuen und die ganze Gesell- Rahmen der gemeinsamen Außen- und Sicherheits- schaft« einbezieht. Aus dieser Sicht muss eine resili- politik neu bestimmt. Das Autorenteam rund um die ente Gesellschaft demokratisch sein, also auf dem Ver- damalige stellvertretende Direktorin des italienischen trauen in die staatlichen Institutionen und auf nach- Politikberatungsinstituts Istituto Affari Internazionali haltiger Entwicklung basieren. Hierzu bedarf es laut (IAI), Nathalie Tocci, erklärt unter dem Motto »Gemein- der Globalen Strategie eines integrierten Ansatzes, der same Vision, gemeinsames Handeln: Ein stärkeres alle relevanten Stakeholder einbindet und der ange- Europa« den Aufbau von Resilienz, 44 also der Wider- messen von »gesellschaftlicher Resilienz« spricht. 48 standsfähigkeit der EU gegen innere und äußere Das neue Paradigma der Resilienz stellt eine bewah- Bedrohungen, zum übergeordneten Ziel. Das rechtlich rende Außen- und Sicherheitspolitik in den Vorder- unverbindliche Dokument hat die Europäische Sicher- grund. Einige Beobachter sehen darin einen »Gegen- heitsstrategie von 2003 abgelöst. 45 Der tragende analy- entwurf zu transformativen Ansätzen«, 49 andere tische Begriff Resilienz bezeichnet eine »Widerstands- hingegen verbinden damit den konstruktiven und Regenerationsfähigkeit« sowie »Krisenfestigkeit« Vorschlag, den Widerspruch zwischen Stabilitäts- und in Katastrophen- und anderen herausfordernden Situ- Demokratieförderung durch auswärtiges Handeln in ationen. 46 Die Globale Strategie stellt hohe Ansprüche Drittstaaten zu überwinden. 50 Vertreter dieser an die Resilienz der Mitglied- und Nachbarstaaten Position setzen sich bewusst vom ehemaligen der EU: Resilienz beinhaltet nicht nur die Fähigkeit, Transformationsanspruch der EU ab. Angriffe abzuwehren, Schäden auszuhalten und zu Eine resiliente Union im Sinne der Globalen Strate- reparieren, sondern auch, Strukturen aufzubauen, in gie ist vor allem durch zwei Aspekte gekennzeichnet: denen solche Angriffe und Schäden gar nicht erst auf- zum einen die Idee, äußere Risiken und Gefahren treten. Zu den Kernelementen zählt nach Auffassung abwenden zu können, zum anderen die Fähigkeit, in der Europäischen Kommission, »den Frieden zu för- den Nachbarstaaten der EU stabilisierend zu wirken. dern und die Sicherheit der EU und ihrer Bürger zu Hier kommt indes der Anspruch zum Ausdruck, auch garantieren, da die Sicherheit im Inneren vom Frieden weiterhin transformierend auf das Umfeld einzuwir- jenseits der EU-Außengrenzen abhängt«. 47 Die Sicher- heit der EU beginne in ihrem Innern. 48 In der wissenschaftlichen Debatte wird dies eher als zivile Sicherheit verstanden: Emil J. Kirchner et al., »Civil Security 44 Eine gelungene Heranführung an den Begriff Resilienz in the EU: National Persistence versus EU Ambitions?«, in: bieten Henrik Brinkmann et al., Ökonomische Resilienz. Schlüssel- European Security, 24 (2015) 2, S. 287–303; Christopher C. Leite, begriff für ein neues wirtschaftspolitisches Leitbild?, Gütersloh: »Cooperation in EU Disaster Response and Security Provision: Bertelsmann Stiftung, Juli 2017. Siehe hierzu und im Folgen- Circulating Practices«, in: European Security, 24 (2015) 4, den auch Annegret Bendiek, Die Globale Strategie für die Außen- S. 560–578. und Sicherheitspolitik der EU, Berlin: Stiftung Wissenschaft und 49 Vgl. die kritische Betrachtung bei Sven Biscop, A Strategy Politik, Juli 2016 (SWP-Aktuell 44/2016). for Europe’s Neighbourhood: Keep Resilient and Carry On?, Madrid: 45 Ebd. Real Instituto Elcano, 16.1.2017, (eingesehen schen Grundlegung des Begriffs siehe Ulrich Bröckling, Gute am 30.5.2017); Ana E. Juncos, »Resilience as the New EU Hirten führen sanft – Über Menschenregierungskünste, Berlin 2017. Foreign Policy Paradigm: A Pragmatist Turn?«, in: European 47 Europäische Kommission, Mogherini stellt globale Strategie Security, 26 (2017) 1, S. 1–18. für die EU-Sicherheitsarchitektur vor, Pressemitteilung, 29.6.2016, 50 Vgl. die eher positive Einschätzung von Wolfgang Wagner/ Leitmotif: Pragmatic, Problematic or Promising?«, in: Contem- (eingesehen am 23.8.2017). porary Security Policy, 37 (2016) 3, S. 414–430. SWP Berlin GASP: Von der Transformation zur Resilienz September 2017 15
Das neue Paradigma: Resilienz ken. Daraufhin wurde aus den Reihen der Wissen- 2016. 52 Ein Ergebnis ist die geplante Schaffung einer schaft der Vorwurf laut, dem Resilienzbegriff mangele Sicherheits- und Verteidigungsunion, die über die es an Klarheit. Häufig werde in der Globalen Strategie GASP-Strukturen verantwortet wird, namentlich von nicht deutlich gemacht, wer sich im Rahmen welcher der Hohen Vertreterin für Außen- und Sicherheits- Mittel und wogegen genau als »resilient« erweisen politik der EU und Vizepräsidentin der Kommission, solle. 51 In der Literatur und den Dokumenten finden Federica Mogherini. Die Idee einer Sicherheits- und sich zwei unterschiedliche Deutungen des Begriffs, die Verteidigungsunion ist nicht neu, betraf früher aber sich als externes und internes Resilienzverständnis hauptsächlich die äußere Dimension von Sicherheit. bezeichnen lassen. Beide sind gleichermaßen wichtig, Heute verbindet sie innere und äußere Sicherheits- um die neue GASP angemessen zu erfassen. politiken und auch eine enge Zusammenarbeit von EU Das externe Resilienzverständnis differenziert und Nato. zwischen Innen- und Außenpolitik. Demnach bezieht Dieser Prozess lässt sich mindestens 15 Jahre lang sich der Begriff Resilienz ausschließlich auf sicher- zurückverfolgen. Schon 2002 verkündeten im dama- heitsrelevante Probleme und bezeichnet die Fähigkeit, ligen Europäischen Konvent die Außenminister Angriffen, Erschütterungen und Herausforderungen Deutschlands und Frankreichs, Joschka Fischer und von außen standzuhalten. Hierzu gehören Cyberatta- Dominique de Villepin, die Europäische Sicherheits- cken auf kritische Infrastrukturen mitgliedstaatlicher und Verteidigungspolitik (ESVP) solle zu einer Sicher- oder europäischer Institutionen, Natur- und Umwelt- heits- und Verteidigungsunion fortentwickelt werden. 53 katastrophen, unkontrollierte Migrationsbewegungen Doch erst als die Briten im Juni 2016 entschieden, die oder Terroranschläge. EU zu verlassen, nahm die deutsch-französische Initia- Das interne Resilienzverständnis trennt weder tive Fahrt auf. In ihrem am 13. Juli 2016 veröffentlich- zwischen Innen- und Außenpolitik noch zwischen ten Weißbuch zur Sicherheitspolitik und zur Zukunft sicherheitsrelevanten und anderen Herausforderun- der Bundeswehr bekennt sich die Bundesregierung gen für die EU und ihre verbindlichen Rechtsakte dazu, die GSVP zu einer »Europäischen Sicherheits- (Acquis). Für Resilienz bedeutsam sind alle Handlun- und Verteidigungsunion« weiterzuentwickeln. Die gen, die Individuen und Institutionen gegen den deutsche Verteidigungsministerin Ursula von der rechtlichen Besitzstand der Union richten. Neben Leyen sprach sich im November 2016 für das Fernziel offenen Angriffen zählen dazu alle Verstöße europä- einer Europäischen Sicherheits- und Verteidigungs- ischer Mitgliedstaaten oder anderer Rechtspersonen union aus. 54 Des Weiteren formulierte die Europäische gegen europäisches Recht. Zuletzt drohte die Euro- Kommission in ihrem Aktionsplan Verteidigung vom päische Kommission im Juli 2017, gegen Polen ein November 2016 folgende Prioritäten zur Umsetzung Verfahren zum Stimmrechtsentzug auf europäischer des Resilienzanspruchs, die in erster Linie auf die Ebene nach Artikel 7 EUV einzuleiten. Sollte die polni- Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger und des Terri- sche Regierung die umstrittene Justizreform in Kraft toriums der EU gerichtet sind: 55 a) auf Krisen und setzen, verstieße sie damit in den Augen der Kommis- Konflikte in den Grenzregionen der EU zu reagieren, sion sowohl gegen die polnische Verfassung als auch gegen europäische Standards zur Unabhängigkeit des 52 European Union, Shared Vision, Common Action [wie Fn. 43]; Justizwesens. European Parliament, European Defence – A Year on from the Global Strategy, Straßburg/Brüssel, 12.7.2017 (EP Briefing). 53 Gemeinsame deutsch-französische Vorschläge für den Europäischen Die Sicherheits- und Verteidigungsunion Konvent zum Bereich Europäische Sicherheits- und Verteidigungspoli- tik, 22.11.2002. Siehe hierzu und im Folgenden auch Anne- gret Bendiek, Das neue Europa der Sicherheit, Berlin: Stiftung Europäische Widerstandskraft gegen innere und äuße- Wissenschaft und Politik, Mai 2017 (SWP-Aktuell 37/2017). re Herausforderungen aufzubauen erfordert ein enges 54 Ursula von der Leyen, »Die Europäer müssen mehr Ver- Miteinander rechtlicher und politischer Initiativen. antwortung übernehmen«, in: Der Tagesspiegel, 12.11.2016, Aus der wahrgenommenen Notwendigkeit, Resilienz (eingesehen am 14.6.2017). zur Umsetzung der Globalen Strategie der EU seit Juli 55 Eine grundlegende Auseinandersetzung liefern Vincenzo Pavone et al., »A Systemic Approach to Security: Beyond the Tradeoff between Security and Liberty«, in: Democracy and 51 Ebd. Security, 12 (2016) 4, S. 225–246. SWP Berlin GASP: Von der Transformation zur Resilienz September 2017 16
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