GEMEINSAM - BMF-Monatsbericht September 2020 - Bundesfinanzministerium
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Editorial Editorial BMF-Monatsbericht September 2020 200 Euro im September und weitere 100 Euro im Oktober ausbezahlt. Der Kinderbonus soll die be- sonderen Belastungen der Familien während der Corona-Krise anerkennen. Damit ergänzt diese Leis- tung die Maßnahmen des bereits Ende Juli im Ka- binett beschlossenen Entwurfs des Zweiten Fami- lienentlastungsgesetzes, mit dem das Kindergeld ab dem 1. Januar 2021 um weitere 15 Euro pro Mo- nat angehoben werden soll. Dieser Schritt ist Teil ei- ner Gesamtstrategie für eine sozial gerechte, finan- ziell solide und wachstumsfreundliche Steuer- und Abgabenpolitik. Zum Monatsbeginn hat das Kabinett außerdem den Liebe Leserinnen, liebe Leser, Entwurf des Jahressteuergesetzes 2020 beschlossen, mit dem unter anderem die Steuerbefreiung der Zu- am 23. September 2020 beschließt das Bundeskabi- schüsse des Arbeitgebers zum Kurzarbeitergeld bis nett den Entwurf des Bundeshaushalts 2021 und den 31. Dezember 2021 verlängert wird. Finanzplan des Bundes bis 2024. Der Zeitpunkt ist ungewöhnlich, da der Regierungsentwurf norma- Der Schlaglichtartikel in dieser Ausgabe beleuch- lerweise schon vor der Sommerpause beschlossen tet ausführlich die Inhalte des informellen Rats der wird. Doch das Coronavirus hat auch hier die nor- EU-Finanzminister (ECOFIN). Dieses erste physi- malen Abläufe durcheinandergebracht. Durch die sche Treffen fand am 11. und 12. September in Ber- spätere Beschlussfassung wird nun eine möglichst lin statt. Dabei ging es in erster Linie um die wirt- aktuelle Abschätzung der Folgen der Corona-Krise schaftliche Lage in Europa infolge der Corona-Krise auf das Steueraufkommen und die Ausgaben mög- und die Weiterentwicklung der Europäischen lich. Der Haushalt setzt das Zukunftsprogramm um Union. Unter Vorsitz von Bundesfinanzminister und führt die begonnene Investitionsinitiative fort: Olaf Scholz tauschten sich die Ministerinnen und Investitionen in die Zukunft unseres Landes fließen Minister auch über ihre Zusammenarbeit im Steu- unter anderem in das Bildungssystem, in die digitale erbereich und über die Digitalisierung im Finanz- Infrastruktur und in den klimafreundlichen Umbau marktbereich aus. der Wirtschaft. Deutschland soll so gestärkt aus der Krise hervorgehen. Anfang September hat die Auszahlung des Kinder- bonus begonnen. Diese Unterstützung für Fami- lien ist Teil des Konjunkturprogramms. Pro Kind Wolfgang Schmidt beträgt der Kinderbonus 300 Euro; davon werden Staatssekretär im Bundesministerium der Finanzen 3
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Inhaltsverzeichnis Inhaltsverzeichnis Schlaglicht Informeller ECOFIN__________________________________7 Informeller ECOFIN: Krise bewältigen, europäische Souveränität stärken_________________________________ 8 Im Interview: Olaf Scholz, Bundesfinanzminister________________________________________________________ 11 Analysen und Berichte___________________________________________15 Steuerpolitische Schwerpunkte der deutschen EU-Ratspräsidentschaft___________________________________ 16 Das Europäische Semester 2020 _________________________________________________________________________ 22 Ein Jahr Wohnungsfürsorge im BMF_____________________________________________________________________ 31 Ergebnisse der Steuerschätzung vom 8. bis 10. September 2020___________________________________________ 40 Abrechnung der grundgesetzlichen Regel zur Begrenzung der Neuverschuldung 2019____________________ 44 Aktuelle Wirtschafts- und Finanzlage____________________________47 Überblick zur aktuellen Lage_____________________________________________________________________________ 48 Konjunkturentwicklung aus finanzpolitischer Sicht______________________________________________________ 49 Steuereinnahmen im August 2020_______________________________________________________________________ 56 Entwicklung des Bundeshaushalts bis einschließlich August 2020________________________________________ 61 Entwicklung der Länderhaushalte bis einschließlich Juli 2020____________________________________________ 66 Finanzmärkte und Kreditaufnahme des Bundes__________________________________________________________ 68 Aktuelles aus dem BMF__________________________________________81 Termine_________________________________________________________________________________________________ 82 Publikationen___________________________________________________________________________________________ 83 Stellenausschreibungen_________________________________________________________________________________ 84 Statistiken und Dokumentationen_______________________________87 Übersichten zur finanzwirtschaftlichen Entwicklung____________________________________________________ 88 Übersichten zur Entwicklung der Länderhaushalte_______________________________________________________ 89 Gesamtwirtschaftliches Produktionspotenzial und Konjunkturkomponenten des Bundes________________ 89 Kennzahlen zur gesamtwirtschaftlichen Entwicklung____________________________________________________ 90
Schlaglicht Informeller ECOFIN Schlaglicht Informeller 11./12. September 2020, Berlin ECOFIN Informeller ECOFIN: Krise bewältigen, europäische Souveränität stärken 8 Im Interview: Olaf Scholz, Bundesfinanzminister 11
Schlaglicht Informeller ECOFIN BMF-Monatsbericht September 2020 Informeller ECOFIN: Krise bewältigen, europäische Souveränität stärken ● Am 11. und 12. September 2020 fand in Berlin der informelle Rat der Finanzministerinnen und Finanzminister der Europäischen Union (EU) – der informelle ECOFIN-Rat – unter deutscher Rat- spräsidentschaft statt. Hierzu hatte Bundesfinanzminister Olaf Scholz seine europäischen Amts- kolleginnen und -kollegen eingeladen. Es war das erste persönliche Treffen der ECOFIN-Runde seit Februar und fand unter strengen Auflagen zur Einhaltung der Hygieneregeln und des Gesundheits- schutzes statt. ● Die Finanzministerinnen und Finanzminister beschäftigten sich insbesondere mit der Frage, wie die EU gestärkt aus der Krise hervorgehen kann. Dabei ging es zum einen darum, wie die wirtschaft- liche Erholung in Europa kurzfristig unterstützt werden kann. Zum anderen ging es aber auch um Fragen der europäischen Souveränität und wie diese in den Bereichen EU-Haushalt, Unterneh- menssteuern und Finanzmärkte gestärkt werden kann. ● Den Startschuss zur Debatte gab der Politologe Ivan Krastev mit seiner Sicht auf die Folgen der Pandemie für den europäischen Integrationsprozess. Bei den darauffolgenden Arbeitssitzungen, die ebenfalls von prominenten Expertinnen und Experten eingeleitet wurden, standen vier Themen auf der Tagesordnung: Bestandsaufnahme und Ausblick zur wirtschaftlichen Erholung Europas, Eigenmittel für den EU-Haushalt, faire und effektive Besteuerung in der EU und Neuordnung der (europäischen) Finanzmärkte im digitalen Zeitalter. Ein starkes und souveränes Vor dem Hintergrund dieser Entwicklung kamen Europa post-Corona am 11. und 12. September 2020 die Finanzministe- rinnen und Finanzminister der EU in Berlin zu ih- Der informelle ECOFIN-Rat stand ganz im Zei- rem ersten persönlichen Treffen seit Februar zu- chen der größten globalen Rezession seit Ende sammen. Zu Beginn ihrer Beratungen tauschte sich des Zweiten Weltkriegs. Im zweiten Quartal 2020 die Runde über das Thema „Ein souveränes Europa lag das Bruttoinlandsprodukt (BIP) in der EU gut nach dem Coronavirus“ aus. Der Politologe Ivan 14 Prozent unterhalb des Niveaus im Vorjahreszeit- Krastev vom Institut für die Wissenschaften vom raum. Am stärksten fiel der Rückgang gegenüber Menschen in Wien führte als Gastredner in das dem Vorjahr in Spanien mit fast 22 Prozent aus; Thema ein. Er betonte dabei, dass die Bürgerinnen sehr stark betroffen waren auch Frankreich und und Bürger von der EU Antworten und Handlungs- Italien mit einem Rückgang der Wirtschaftsleis- fähigkeit erwarteten, nicht nur hinsichtlich der Be- tung um 19 Prozent beziehungsweise fast 18 Pro- wältigung der Pandemiefolgen, sondern auch mit zent. In Deutschland lag das BIP im zweiten Quar- Blick auf den Klimawandel, technologische Dis- tal um gut 11 Prozent unterhalb des Niveaus im ruptionen und geopolitische Instabilitäten. In der Vorjahreszeitraum. folgenden Debatte herrschte Einigkeit, dass Koope- ration und Solidarität in Europa zur Überwindung der Krise wichtiger denn je seien. 8
Schlaglicht Informeller ECOFIN BMF-Monatsbericht Informeller ECOFIN: Krise bewältigen, europäische Souveränität stärken September 2020 Die Krise bewältigen, Europas Europäische Eigenmittel Zukunft gestalten für eine neue europäische Finanzarchitektur In der ersten Arbeitssitzung am Freitagnachmit- tag befassten sich die Finanzministerinnen und Fi- Der Wiederaufbaufonds ist ein historischer Schritt, Schlaglicht nanzminister mit der wirtschaftlichen Lage nach mit dem die EU gemeinsam und solidarisch die dem Lockdown und dem Stand der wirtschaftli- wirtschaftliche Erholung finanziert. Er wirft aber chen Erholung Europas. Daniel Gros, Direktor des auch die Frage nach der Finanzierung der gemein- Centre for European Policy Studies (CEPS) in Brüs- sam an den Finanzmärkten aufgenommenen Mit- sel, sowie Prof. Beatrice Weder di Mauro, Profes- tel auf. In der zweiten Arbeitssitzung zur Zukunft sorin für Internationale Wirtschaft in Genf und der europäischen Finanzarchitektur sprach sich Präsidentin des in London ansässigen Centre for Bundesfinanzminister Olaf Scholz dafür aus, dass Economic Policy Research (CEPR), führten in das zur Rückzahlung der Kredite auch neue Eigenmit- Thema mit einer Analyse der aktuellen wirtschaft- tel, also neue EU-eigene Einnahmequellen, ein- lichen Lage ein. Sie gaben neben einer Einschätzung geführt werden sollten. Er betonte in der Presse- der Situation in Europa auch einen Überblick über konferenz am Ende des informellen ECOFIN-Rats: die globale Wirtschaftsentwicklung. Prof. Beatrice „Nur ein gut finanziertes Europa ist ein starkes Eu- Weder di Mauro begrüßte die entschlossene Ant- ropa. Und nur ein starkes Europa ist ein souverä- wort der EU auf die Krise. Gleichzeitig warnte sie nes Europa und hat auf internationaler Ebene eine vor größeren Verzögerungen bei den Verhandlun- starke Stimme.“ gen über „NextGenerationEU“. Bereits im Juli hatte sich der Europäische Rat da- In der Aussprache wurde festgestellt, dass die wirt- für ausgesprochen, die Einnahmen der EU auf eine schaftliche Erholung zwar vorankomme, die Ent- breitere Grundlage zu stellen, etwa durch Auswei- wicklung aber weiterhin von Unsicherheit behaftet tung des europäischen Emissionshandels auf die sei. Risiken stellten neben dem weiteren Pande- Schifffahrt und auf den Luftverkehr. Auf dem in- mieverlauf auch globale Entwicklungen wie Han- formellen ECOFIN sprach sich eine Mehrheit der delsstreitigkeiten dar. Zudem sei es wichtig, eine Mitgliedstaaten für neue Eigenmittel aus. Dabei angemessene Balance zwischen weiterer fiskalpo- wurde insbesondere die Notwendigkeit betont, die litischer Unterstützung für die wirtschaftliche Er- EU-Politiken wie die Bekämpfung des Klimawan- holung und der Beibehaltung der Tragfähigkeit der dels oder die Digitalisierung auch auf der Einnah- öffentlichen Finanzen zu finden. menseite des Haushalts zu berücksichtigen. Die Eu- ropäische Kommission kündigte Vorschläge für das Bundesfinanzminister Olaf Scholz unterstrich die erste Halbjahr 2021 an. Bedeutung einer europäischen Lösung, um die wirtschaftlichen Auswirkungen der Corona-Pan- Die Gastredner, Prof. Clemens Fuest (Präsident des demie zu bewältigen. Die EU habe eine starke, über- ifo Instituts) und Prof. Jean Pisani-Ferry (Professor zeugende und gemeinsame Antwort auf die Krise für Volkswirtschaftslehre an der Sciences Po Paris), gefunden. Mit dem Wiederaufbaupaket sei es ge- sprachen sich für eine Weiterentwicklung des eu- lungen, eine neue Phase der Solidarität in Europa ropäischen Emissionshandelssystems aus. einzuläuten. Es gelte jetzt, das Aufbau-Instrument schnell auf den Weg zu bringen, um den Grundstein für ein nachhaltiges, souveränes und inklusives Eu- ropa des 21. Jahrhunderts zu legen. Dies sei ein zen- trales Ziel der deutschen EU-Ratspräsidentschaft. 9
Schlaglicht Informeller ECOFIN BMF-Monatsbericht Informeller ECOFIN: Krise bewältigen, europäische Souveränität stärken September 2020 Faire und gerechte Besteuerung Krisenfeste Finanzmärkte im Dienst des Gemeinwesens Der informelle ECOFIN wurde am Samstagvormit- tag mit einem Austausch zur fairen und effektiven In der abschließenden Arbeitssitzung debattier- Besteuerung in der EU fortgesetzt. Die Pandemie ten die europäischen Finanzministerinnen und hat erneut verdeutlicht: Ein robuster Sozialstaat ist Finanzminister die Implikationen digitaler In- unerlässlich. Deshalb muss sichergestellt werden, novationen für die Finanzmärkte. Prof. Markus dass sich große international agierende Unterneh- Brunnermeier von der Universität Princeton lei- men ihrer Steuerpflicht nicht entziehen können. tete die Diskussion mit einem Vortrag zu ökono- mischen Aspekten digitaler Plattformen im Fi- Mit der weitgehenden Umsetzung der Regeln ge- nanzmarkt ein. Der Einfluss datengetriebener gen Steuervermeidung und Gewinnverlagerung Geschäftsmodelle („Big Data“) und das schnelle (Base Erosion and Profit Shifting, BEPS) haben die Wachstum von Technologieunternehmen führe zu Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit Cyber-Risiken sowie zu neuen Herausforderungen und Entwicklung (OECD) und die internationale für die Finanzmarktregulierung und den Daten- Gemeinschaft bewiesen, dass auch zu komplexen schutz. Prof. Markus Brunnermeier warnte vor Mo- steuerlichen Fragen globale Lösungen gefunden nopolbildung auf den Finanzmärkten aufgrund di- werden können. Dies muss auch bei der Frage der gitaler Innovationen, da sich die Macht zum Setzen Besteuerung der digitalen Wirtschaft das Ziel sein. von Standards im Finanzmarkt zugunsten derjeni- gen Unternehmen verschiebe, die große Netzwerke Hierzu gab es einen breiten Konsens unter den betrieben. Daher sollte regulatorisch auf Interope- Finanzministerinnen und Finanzministern. Die rabilität von Plattformen und gemeinsame Stan- EU-Mitgliedstaaten sprachen sich dafür aus, die dards im Finanzmarkt hingearbeitet werden. Arbeiten auf OECD-Ebene zur fairen Besteuerung, einschließlich einer effektiven globalen Mindest- In der Debatte wurde insbesondere betont, dass Eu- besteuerung und Besteuerung der digitalen Wirt- ropa als ein Standardsetzer agieren müsse. Die Eu- schaft, weiter zu unterstützen. Ziel bleibt eine Lö- ropäische Kommission kündigte für Ende des Mo- sung auf globaler Ebene, die dann auf europäischer nats an, Vorschläge für ein Digitalpaket vorlegen zu Ebene umgesetzt werden soll. Bundesfinanzminis- wollen. ter Olaf Scholz zeigte sich nach dem Treffen zuver- sichtlich, dass es auf Ebene der OECD bis Oktober Zudem müsse sichergestellt werden, dass digitale gelingt, Grundzüge für Lösungswege (blueprints) Innovationen im Finanzmarktbereich, wie z. B. zu vereinbaren. Kryptowährungen, im Sinne des Gemeinwohls ge- nutzt werden können. Bundesfinanzminister Olaf Scholz sprach sich daher in einer gemeinsamen Er- klärung mit seinen Kolleginnen und Kollegen aus Frankreich, Italien, Spanien und den Niederlanden für eine strikte EU-Regulierung von Digitalwäh- rungen aus. Das Monopol der Herausgabe der eu- ropäischen Währung müsse allein bei der Europä- ischen Zentralbank (EZB) liegen. Auch ein Verbot privater digitaler Währungen müsse notfalls in Er- wägung gezogen werden. 10
Schlaglicht Informeller ECOFIN BMF-Monatsbericht September 2020 Schlaglicht Olaf Scholz, Bundesfinanzminister © Bundesministerium der Finanzen Im Interview: Olaf Scholz, Bundesfinanzminister Zum informellen ECOFIN in Coronavirus in unseren Ländern verursacht hat. Berlin sind die EU-Finanz Die finanziellen Hilfen, der Fonds für unsere Wie- ministerinnen und -Finanz deraufbaubemühungen, brauchen einen langen Atem. Darin sind wir uns weiterhin alle einig. minister zum ersten Mal seit Februar wieder persönlich Im Übrigen haben alle Teilnehmerinnen und Teil- zusammengekommen. Wie nehmer sehr bereitwillig die Beschränkungen und haben Sie das erlebt? Hygiene-Auflagen für das persönliche Treffen in Kauf genommen, um über diese Wiederaufbauan- Nach sieben Monaten mit Videokonferenzen sind strengungen zu diskutieren. Die Delegationen wa- erst mal alle froh gewesen, sich endlich wieder per- ren deutlich kleiner, wir haben auf den Abstand un- sönlich zu begegnen. Ich habe in all diesen direkten tereinander geachtet und Masken getragen, sobald Begegnungen gemerkt, dass uns der gemeinsame wir nicht mehr auf unseren Plätzen gesessen ha- Wille verbindet, die europäische Sache zu bewe- ben. Natürlich ist das gewöhnungsbedürftig, aber gen. Die Europäische Union (EU) hat eine starke ge- es ist wichtig, damit solche Treffen stattfinden kön- meinsame Antwort gefunden auf die Krise, die das nen. Ich habe mal von einer „neuen Normalität“ 11
Schlaglicht Informeller ECOFIN BMF-Monatsbericht Im Interview: Olaf Scholz, Bundesfinanzminister September 2020 gesprochen, einem Leben unter den Bedingungen, Wie steht es um die eigenen die uns das Virus aufzwingt. In dieser Normalität Einnahmen der EU, die für befinden wir uns gegenwärtig alle, denn die Pande- die Bewältigung der Krise mie ist noch längst nicht vorüber. Wir müssen also vorsichtig bleiben. notwendig sind? Eigenmittel sind kein Selbstzweck. Die EU-Kom- Wo stehen wir bei der mission wird zur Finanzierung des Aufbauinstru- Bewältigung der Corona-Krise ments gemeinsame Kredite in erheblichem Um- fang aufnehmen. So hat es der Europäische Rat im und ihrer wirtschaftlichen Juli 2020 entschieden. Damit die Kredite wie ge- Folgen? plant zurückgezahlt werden können, brauchen wir für die EU neue Eigenmittel. Darüber hinaus sind Eine Reihe von Indikatoren zeigt, dass sich die Wirt- Eigenmittel auch ein wichtiger Schritt für eine fis- schaft in der EU im Vergleich zum Frühjahr merk- kalisch souveräne Union. Nur ein gut finanziertes lich erholt. Dies gilt für die gesamte EU, obwohl die Europa ist ein starkes Europa. Und nur ein starkes Mitgliedstaaten unterschiedlich von der Pandemie Europa hat auf internationaler Ebene eine starke betroffen sind. Ein Grund für diese positive Ent- Stimme. Der intensive Austausch zu neuen Eigen- wicklung ist sicherlich in unserem entschlossenen mitteln bei unserem Treffen hat mich zuversicht- Handeln zu finden, national wie auf EU-Ebene. Bis lich gestimmt, dass wir in dieser Frage vorankom- wir in Europa aber wieder das Vorkrisenniveau er- men werden. reichen werden, wird es einige Zeit dauern. Hier in Berlin hatten wir einen sehr produktiven Auch die Debatte über faire Austausch zum Stand der Hilfs- und Aufbaupro- und effektive Besteuerung auf gramme in den einzelnen Mitgliedstaaten. Klar ist: Wir müssen den Wiederaufbau jetzt mit den na- internationaler Ebene ist für tionalen Umsetzungsprogrammen zügig auf den die EU wichtig. Wie lief diese? Weg bringen, damit es rasch wieder aufwärtsgehen kann. Dabei wollen wir das Aufbauinstrument nut- Alle EU-Partner sind sich einig, dass wir eine ge- zen, um den Grundstein zu legen für ein nachhal- rechte Besteuerung auf internationaler Ebene tiges, souveränes und soziales Europa – der Name brauchen. Ich habe meine Kolleginnen und Kolle- sagt es: Next Generation EU. gen dazu aufgerufen, dass wir in dieser Frage in der nächsten Zeit echten Fortschritt erzielen müssen. Wenn wir auch manchmal unterschiedliche Per spektiven in der EU haben – die Bürgerinnen und Bürger sowie die Wirtschaft erwarten hierbei eine gemeinsame Haltung von uns. Es geht zum einen um die Mindestbesteuerung auf globaler Ebene, und es geht zum anderen um einen Weg, wie im in- ternationalen Konsens die Besteuerung der globa- len digitalen Plattformen besser gelingen kann als heute. Die Gespräche in Berlin haben uns in die- sen Punkten ein weiteres Stück vorangebracht. Im Herbst stehen die nächsten Gespräche auf Ebene der OECD an, der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. 12
Schlaglicht Informeller ECOFIN BMF-Monatsbericht Im Interview: Olaf Scholz, Bundesfinanzminister September 2020 Auch die Digitalisierung der Sie haben mit Ihren Finanzmärkte stand auf der Kolleginnen und Kollegen Agenda des informellen aus Frankreich, Italien, den ECOFIN-Treffens. Worum ging Niederlanden und Spanien Schlaglicht es konkret? während des Treffens ein gemeinsames Statement zu Was früher Kohle und Stahl waren, das sind heute Kryptowerten veröffentlicht. Daten und die damit verbundenen Datenverknüp- fungen durch die Digitalisierung. Wir dürfen nicht Warum? so tun, als ob ausgerechnet im Bereich der Finan- zen, der Banken, der Finanzinstitutionen und der Die Digitalisierung umfasst letztlich auch die Frage Finanzmärkte alles so bleibt, wie wir es seit Jahr- von digitalen Währungen, was wiederum ganz neue zehnten kennen. Die Digitalisierung verändert die Herausforderungen für die Regulierung aufwirft. Geschäftsmodelle nicht nur, sondern wird auch Beim informellen ECOFIN wollten wir mit unse- gänzlich neue, heute noch gar nicht bekannte Ge- rer gemeinsamen Positionierung ein klares Zei- schäftsmodelle hervorbringen. Darauf müssen wir chen setzen: Zusammen mit unseren Partnern sind uns als Gesetzgeber, als Aufsichtsbehörden und wir fest davon überzeugt, dass privatwirtschaftli- als EU einstellen und die entsprechenden Vorkeh- che Kryptowährungen nicht in unserem Sinn sind. rungen treffen. Das Ausgeben und Gestalten von Währungen ist al- lein eine Sache von Staaten oder eben Europas und Olaf Scholz, Bundesfinanzminister © Bundesministerium der Finanzen 13
Schlaglicht Informeller ECOFIN BMF-Monatsbericht Im Interview: Olaf Scholz, Bundesfinanzminister September 2020 der Europäischen Zentralbank, und dabei soll es als Länder voneinander abhängig sind. Für Europa bleiben. Deutschland, Frankreich, Italien, Spanien gilt dies umso mehr. Kein europäisches Land wird und die Niederlande nehmen hier eine ganz klare es im Alleingang schaffen, das Virus und die damit Position ein und werden dafür sorgen, dass not- einhergehenden Folgen zu bewältigen. Und gerade falls auch verboten werden kann, was der eine oder in dieser Frage hat die EU in den vergangenen Mo- andere große privatwirtschaftliche Akteur sich im naten ihren Wert bewiesen: Wir haben geschlossen Augenblick so vorstellt. und entschlossen gehandelt und eine gemeinsame Antwort auf die Herausforderung gegeben. Wie fällt Ihr Fazit zum All das stimmt mich zuversichtlich, dass wir den informellen ECOFIN aus? Aufbau nach der Krise auch für den ökologischen und digitalen Wandel unserer Volkswirtschaften Nach den Diskussionen kann ich versichern: Wir nutzen werden. Mit dem Aufbauprogramm errei- ziehen an einem Strang, um Europa schnell und mit chen wir eine neue Stufe der gemeinsamen euro- aller Kraft aus der Krise zu führen. Das, was uns die- päischen Finanzpolitik und nähern uns der Fiskal ses Jahr mit den Entscheidungen auf europäischer union. Europa hat jetzt die Chance, die nächsten Ebene für eine europäische Solidarität gelungen ist, Schritte zu gehen, die für eine bessere – eine „per- führen wir fort. Die Pandemie hat gezeigt, wie ver- fektere“ – EU erforderlich sind. Es war ein guter in- letzlich wir als Menschen sind und wie sehr wir alle formeller ECOFIN in Berlin. 14
Analysen und Berichte Analysen und Berichte Steuerpolitische Schwerpunkte der deutschen EU-Ratspräsidentschaft 16 Das Europäische Semester 2020 22 Ein Jahr Wohnungsfürsorge im BMF 31 Ergebnisse der Steuerschätzung vom 8. bis 10. September 2020 40 Abrechnung der grundgesetzlichen Regel zur Begrenzung der Neuverschuldung 2019 44
Analysen und Berichte BMF-Monatsbericht September 2020 Steuerpolitische Schwerpunkte der deutschen EU-Ratspräsidentschaft ● Die europäische Steuerpolitik soll durch die Einführung einer effektiven Mindestbesteuerung modernisiert werden. ● Die Stärkung der zuständigen Gremien soll den schädlichen Steuerwettbewerb wirksam be- kämpfen. ● Ein ausgeweiteter steuerlicher Informationsaustausch soll die Zusammenarbeit der Mitglied- staaten verbessern. ● Durch die Einführung einer Finanztransaktionsteuer sollen die Finanzmärkte an der Finanzie- rung des Gemeinwohls beteiligt werden. Steuern für ein starkes Europa Zur Sicherstellung einer fairen Besteuerung in der EU einigten sich die EU-Mitgliedstaaten bereits Deutschland will seine Ratspräsidentschaft im im Jahr 1997 darauf, die Gruppe Verhaltenskodex 2. Halbjahr 2020 dazu nutzen, sich für ein starkes (Unternehmensbesteuerung) einzusetzen. Aufgabe und souveränes Europa einzusetzen. Eine moderne dieser Gruppe ist es, schädliche Steuerpraktiken und innovative Steuerpolitik ist wesentlich für die innerhalb der EU-Mitgliedstaaten auszumachen Förderung der wirtschaftlichen Stärke Europas. und einzudämmen. Darüber hinaus ist die Gruppe Eine solche Steuerpolitik ist zugleich unverzicht- seit 2016 damit betraut, Drittstaaten mit Blick auf bar zur Sicherung des Steueraufkommens der Mit- die Einhaltung der internationalen Maßstäbe der gliedstaaten. Eine europäische Architektur für eine Transparenz und fairen Besteuerung zu überprü- faire und effektive Besteuerung stellt sicher, dass in fen und mit ihnen in Dialog zu treten. Um die Ef- einer starken und souveränen Europäischen Union fektivität der Arbeit der Gruppe Verhaltenskodex (EU) der Wettbewerb im Binnenmarkt und darüber (Unternehmensbesteuerung) weiter zu stärken, ist hinaus funktioniert und dass die Mitgliedstaaten eine Erneuerung des mittlerweile über 20 Jahre al- über ausreichende Mittel zur Finanzierung des Ge- ten Mandats der Gruppe notwendig. meinwohls verfügen. Zudem will Deutschland während seiner Ratsprä- Wirtschaftsaktivitäten und Unternehmensstruktu- sidentschaft die Zusammenarbeit der EU-Mitglied- ren haben sich durch die Digitalisierung stark ver- staaten in Steuerfragen verbessern, um eine trans- ändert. Die damit verbundenen steuerlichen Her- parente und gerechte Besteuerung zu erreichen. ausforderungen lassen sich am besten durch ein Deshalb soll der steuerliche Informationsaustausch international abgestimmtes Vorgehen bewältigen. ausgeweitet werden. Insbesondere sollen digitale Aus diesem Grunde setzt sich Deutschland dafür Plattformen stärker in die Pflicht genommen wer- ein, dass die internationalen Beschlüsse für eine den, steuerlich relevante Tätigkeiten zu melden. faire Verteilung von Besteuerungsrechten und ei- ner effektiven globalen Mindestbesteuerung auf der europäischen Ebene umgesetzt werden. 16
Analysen und Berichte BMF-Monatsbericht Steuerpolitische Schwerpunkte der deutschen EU-Ratspräsidentschaft September 2020 Des Weiteren strebt Deutschland einen Konsens in Herausforderungen durch die Digitalisierung Bezug auf die Einführung einer Finanztransaktion- steuer an. Gemeinsam mit anderen EU-Mitglied- Bereits im Jahr 1923 legte der Völkerbund ei- Analysen und Berichte staaten will der Bund im Rahmen einer verstärkten nen Bericht vor, der sich mit der Frage be- Zusammenarbeit die Finanzmärkte stärker in die fasst, welcher Staat das Recht haben soll, Finanzierung des Gemeinwesens einbinden. Einkünfte zu besteuern. Die internationa- le Gemeinschaft einigte sich darauf, dass Zur Bewältigung der wirtschaftlichen Folgen der ein Staat diejenigen Einkünfte besteuern COVID-19-Pandemie ist es unerlässlich, Arbeit- darf, die auf seinem Territorium erzielt wur- nehmerinnen und Arbeitnehmer sowie Unterneh- den. Im 20. Jahrhundert war das im Grund- men gleichermaßen zu schützen und zu stärken. satz nicht schwer zu ermitteln: Ein Unter- Durch eine faire und effektive Besteuerung kann nehmen musste in dem Staat, in dem es tätig auch in den nächsten Jahren sichergestellt werden, werden wollte, physisch präsent sein. Das dass die Staaten über die nötigen Mittel verfügen. Unternehmen musste, um dort seine Pro- Jeder wirtschaftliche Akteur soll seinen angemes- dukte oder Dienstleistungen zu vermarkten, senen Beitrag zum Allgemeinwohl leisten. Unsere eine Betriebstätte haben. Digitale Unterneh- Vision von einer leistungsgerechten und transpa- men brauchen diese physische Präsenz nun renten Besteuerung lässt sich in einer global ver- nicht mehr, um in einem anderen Staat tätig netzten Welt am besten durch gemeinschaftliches zu werden. Handeln erreichen. Auch durch die strategische Lokalisierung von Kapital und immateriellen Werten (z. B. Besteuerung der digitalisierten eigene Erfindungen, Markennamen, Verlags- Wirtschaft rechte) können multinationale Konzerne ihre Gewinne auf Niedrigsteuerländer verlagern Während der COVID-19-Pandemie wurden uns die und dadurch ihre Steuerlast auf ein Mini- Vorzüge der Digitalisierung besonders vor Augen mum senken. geführt. In der Isolation bleiben wir mit unserer Fa- milie, Freundinnen und Freunden sowie Kollegin- Aufgrund der fortschreitenden Verbreitung nen und Kollegen verbunden. Allerdings entstehen der Digitalisierung ist die digitale Wirtschaft für die Wirtschaft auch zunehmend neue steuerli- nicht als ein eigener Sektor abgrenzbar – die che Herausforderungen durch die Digitalisierung Digitalisierung betrifft fast alle Wirtschafts- (wie z. B. der Schutz und die Sicherheit von Daten). bereiche. Das Problem der Gewinnverla- gerung erstreckt sich daher auf zahlreiche Wirtschaftszweige. 17
Analysen und Berichte BMF-Monatsbericht Steuerpolitische Schwerpunkte der deutschen EU-Ratspräsidentschaft September 2020 Eine umfassende und nachhaltige Strategie ge- Die Arbeiten der OECD im Kampf gegen gen die Gewinnverlagerung in Niedrigsteuerländer den unfairen Steuerwettbewerb ist unabdingbar, um eine gerechte Verteilung der Steuerlast weiterhin zu gewährleisten. Es gilt dabei 90 Jahre nachdem der Völkerbund den Be- der Grundsatz, dass die Besteuerung dort erfolgen richt zur Vermeidung von Doppelbesteue- soll, wo die Wertschöpfung stattfindet. rung (s. o.) vorgelegt hatte, kam die OECD im Auftrag der G20 zusammen, um Maß- Die Reaktion auf die steuerlichen Herausforde- nahmen gegen die Gewinnverlagerung und rungen der digitalen Wirtschaft ist eine der zen- den unfairen Steuerwettbewerb (Base Eros- tralen Prioritäten der deutschen EU-Ratspräsi- ion and Profit Shifting, BEPS) zu erarbeiten. dentschaft. Deutschland ist ein multinationales Diese wurden 2015 veröffentlicht und ent- Vorgehen wichtig, um eine Fragmentierung der in- halten Empfehlungen für faire Besteuerung ternationalen Steuerlandschaft zu verhindern. Ent- und Transparenz. wickelte jeder Staat eine eigene Strategie zur Be- steuerung der digitalisierten Wirtschaft, entstünde Zur Fertigstellung der verbliebenen Arbeiten ein Nebeneinander von unterschiedlichen Steuern zur Digitalwirtschaft (BEPS-Aktionspunkt 1: mit unterschiedlichen Anwendungsbereichen. Un- „Besteuerung der digitalisierten Wirtschaft“) ter anderem wären eine zunehmende Bürokratie- arbeiten derzeit 137 Staaten im sogenann- belastung der Unternehmen, aber potenziell auch ten Inclusive Framework on BEPS bei der Besteuerungslücken im internationalen Kontext OECD zusammen und sind kurz davor, ei- die Folge. Zudem wäre die Fragmentierung des nen konkreten Lösungsvorschlag vorzule- Steuerrechts kontraproduktiv für die Stärkung des gen, der aus zwei Säulen besteht. Unter Säu- EU-Binnenmarkts. le 1 sollen bestehende Besteuerungsrechte umverteilt werden (Reallokation von Besteu- Derzeit wird auf internationaler Ebene an einer erungsrechten). Mit Säule 2 soll eine globa- Strategie zur Besteuerung der digitalisierten Wirt- le effektive Mindestbesteuerung eingeführt schaft gearbeitet. Bis Ende 2020 strebt die G20 werden. Die hierbei erzielten Ergebnisse sol- eine Einigung in dem von der Organisation für len anschließend auch in der EU implemen- wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwick- tiert werden. lung (OECD) geführten Verhandlungsprozess an. Die Diskussionen und die Arbeiten der OECD im Kampf gegen den unfairen Steuerwettbewerb auf internationaler Ebene verlaufen konstruktiv und Einführung einer effektiven dynamisch. Mindestbesteuerung Die Gewinnverlagerung in Niedrigsteuerländer darf sich nicht mehr „lohnen“. Durch eine globale effektive Mindestbesteuerung soll sichergestellt werden, dass jedes Unternehmen unabhängig von seinem Firmensitz oder seinen Betriebstätten sei- nen fairen Beitrag zur Finanzierung des Gemein- wohls beiträgt. 18
Analysen und Berichte BMF-Monatsbericht Steuerpolitische Schwerpunkte der deutschen EU-Ratspräsidentschaft September 2020 Die Mindestbesteuerung beruht auf einem Liste nicht kooperativer Länder und Gebie- deutsch-französischen Vorschlag und ist Teil des te für Steuerzwecke Zwei-Säulen-Konzepts der OECD zur Besteuerung Analysen und Berichte der digitalisierten Wirtschaft. Wird ein Gewinn im Zweimal im Jahr überprüft die Gruppe Ver- Ausland nicht hinreichend besteuert, dürfen Quel- haltenskodex (Unternehmensbesteuerung) lenstaaten (also die Länder, in dem Einkommen er- die Einhaltung der Standards für ein ver- zielt werden) die Differenz zwischen dem Niedrig- antwortungsvolles Handeln im Steuerbe- steuersatz und dem Mindeststeuersatz erheben. reich und dokumentiert die Ergebnisse. Das Darüber hinaus sollen Zahlungen in Niedrigsteu- „Naming and Shaming“ hat sich durchaus als erländer nicht oder nur anteilig als Betriebsaus- wirksam erwiesen, denn seit der Veröffent- gaben abziehbar sein. Dadurch wird einerseits die lichung der Liste haben eine Vielzahl von Gewinnverlagerung weniger attraktiv und ande- Staaten und Gebieten steuerpolitische Maß- rerseits das Steueraufkommen gesichert. nahmen ergriffen, um den internationalen Standards der Transparenz, für einen fairen Deutschland will während der EU-Ratspräsident- Steuerwettbewerb und der Implementie- schaft den Weg für eine einheitliche Umsetzung der rung von BEPS-Maßnahmen zu entsprechen. effektiven Mindestbesteuerung in das EU-Steuer- recht ebnen. Um möglichen Störungen des Binnen- Als weiteren Schritt haben sich die EU-Mit- markts entgegenzuwirken, ist es dabei wichtig, die gliedstaaten im Dezember 2019 darauf ge- Auswirkungen der internationalen Entwicklungen einigt, ab 2021 bestimmte steuerliche für die EU zu analysieren und schließlich diese in ge- Abwehrmaßnahen gegen gelistete Steuerge- eigneter Form in das EU-Steuerrecht zu überführen. biete einzuführen. Bekämpfung des schädlichen Allerdings sind die im Jahr 1997 beschlossenen Steuerwettbewerbs Grundsätze der Gruppe Verhaltenskodex (Unter- nehmensbesteuerung) gegen schädlichen Steu- Seit dem Jahr 1997 prüft die Gruppe Verhaltens- erwettbewerb innerhalb der EU noch nicht an kodex (Unternehmensbesteuerung) inwieweit die die zwischenzeitlichen Entwicklungen angepasst Mitgliedstaaten die Regeln zur Bekämpfung des worden. Insbesondere die Empfehlungen zum schädlichen Steuerwettbewerbs einhalten. Zu- OECD-Aktionsplan gegen Gewinnverlagerung und dem führt sie seit 2017 die Liste nicht kooperativer unfairen Steuerwettbewerb (BEPS), die 2015 verab- Länder und Gebiete für Steuerzwecke („schwarze schiedet worden sind, haben die Kriterien für ver- Liste“). Deshalb erstreckt sich die Aufgabe der antwortungsvolles Handeln im Steuerbereich prä- Gruppe als „Watchdog“ des fairen Steuerwettbe- zisiert und geschärft. Auch beruht die Prüfung der werbs nicht mehr nur auf EU-Staaten, sondern Steuerjurisdiktionen nicht auf den Grundsätzen auch auf Länder und Gebiete (sogenannte Steuer- des Jahres 1997, sondern auf EU-Ratsschlussfolge- jurisdiktionen) außerhalb der EU. rungen aus dem Jahre 2017. Die unterschiedlichen Handlungsermächtigungen haben dazu geführt, dass die Maßstäbe für die Prü- fung von steuerlichen Regelungen der EU-Mitglied- staaten nicht deckungsgleich sind mit denen für die Prüfung von Drittstaaten. 19
Analysen und Berichte BMF-Monatsbericht Steuerpolitische Schwerpunkte der deutschen EU-Ratspräsidentschaft September 2020 Deshalb ist es notwendig, das Mandat der Gruppe Durch eine EU-weite Zusammenarbeit können Verhaltenskodex (Unternehmensbesteuerung) zu nicht nur Besteuerungslücken geschlossen wer- aktualisieren, um ihre vielfältigen Aufgaben wi- den. Der Meldestandard dient daneben der Ver- derzuspiegeln. Wichtig ist vor diesem Hintergrund wirklichung des Binnenmarkts, erhält einen fairen auch, dass bei einer Neufassung des Mandats die Wettbewerb zwischen digitaler und traditionel- aktuelle Diskussion um die Mindestbesteuerung ler Wirtschaft und reduziert den Aufwand, der für entsprechend berücksichtigt wird. Plattformbetreiber und Steuerpflichtige mit der Meldeverpflichtung beziehungsweise der Befol- gung steuerlicher Pflichten verbunden ist. Stärkung der Verwaltungszusammenarbeit durch Ausweitung Finanztransaktionsteuer des steuerlichen Die Diskussion um die Einführung einer Fi- Informationsaustauschs nanztransaktionsteuer wird auf europäischer Ebene seit vielen Jahren engagiert geführt. Zehn Seit 2011 gibt es die Amtshilferichtlinie für die Zu- EU-Mitgliedstaaten wollen im Rahmen einer ver- sammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten im stärkten Zusammenarbeit eine Steuer auf den Han- Steuerbereich (Directive on Administrative Co- del mit Finanzprodukten erheben. operation, DAC). Diese wurde bereits mehrere Male ergänzt und erweitert. Am 15. Juli 2020 hat die Kommission nun den Vorschlag zu einer wei- Die verstärkte Zusammenarbeit teren Überarbeitung der Richtlinie vorgelegt, die Deutschland während seiner Präsidentschaft er- gemäß Art. 326 ff. des Vertrags über die Ar- folgreich verhandeln will. beitsweise der Europäischen Union ist ein Verfahren, mit dem mindestens neun Bei der Überarbeitung stehen zwei wesentliche EU-Staaten eine erweiterte Integration oder Bausteine im Vordergrund: einerseits die Optimie- Zusammenarbeit in einem Bereich inner- rung bereits vorhandener Instrumente der Ver- halb der EU-Strukturen vereinbaren können, waltungszusammenarbeit, wozu insbesondere ohne dass sich die anderen EU-Staaten da- rechtliche Regelungen für gemeinsame Betriebs- ran beteiligen müssen. An der Finanztrans- prüfungen zählen, und andererseits die Einführung aktionsteuer arbeiten Belgien, Estland (bis einer Meldeverpflichtung für Unternehmen der Dezember 2015), Frankreich, Griechenland, Plattformökonomie mit einem flankierenden au- Italien, Österreich, Portugal, Slowakei, Slo- tomatischen Informationsaustausch. Nicht immer wenien, Spanien und Deutschland. werden steuerpflichtige Einkünfte, die über Platt- formen erzielt werden, gegenüber Finanzbehörden angegeben; das Entdeckungsrisiko ist gering. Vor Die Idee zur Einführung einer Finanztrans dem Hintergrund einer zunehmenden digitalen aktionsteuer auf europäischer Ebene entstand in- Transformation ganzer Wirtschaftsbereiche stellt folge der Finanzkrise 2008 und sollte Akteure der dies die Steuerbehörden aller Mitgliedstaaten vor Finanzmärkte bei der Finanzierung des Gemein- wachsende Herausforderungen. Deutschland setzt wohls stärker in die Verantwortung nehmen. Der sich dafür ein, dass steuerlich relevante Informa- ursprüngliche Vorschlag der Europäischen Kom- tionen von den Plattformbetreibern proaktiv den mission wurde 2011 veröffentlicht. Nachdem Steuerbehörden zur Verfügung gestellt werden. sich die Mitgliedstaaten nicht einstimmig für den 20
Analysen und Berichte BMF-Monatsbericht Steuerpolitische Schwerpunkte der deutschen EU-Ratspräsidentschaft September 2020 Vorschlag ausgesprochen hatten, entschieden zu- Während der nächsten Monate strebt die deutsche nächst elf Mitgliedstaaten, die Steuer im Rahmen Ratspräsidentschaft innerhalb der verstärkten Zu- einer verstärkten Zusammenarbeit weiter verhan- sammenarbeit eine politische Einigung an, um im Analysen und Berichte deln zu wollen. Da die Diskussionen auf Basis des Anschluss den gesetzgeberischen Prozess im Rat Vorschlags der EU-Kommission über viele Jahre zu beginnen zu können. keinem Ergebnis kamen, machte sich Deutschland gemeinsam mit Frankreich 2018 dafür stark, fortan die bereits bestehende französische Finanztrans- Fazit aktionsteuer zum Vorbild zu nehmen. Die anderen Mitgliedstaaten der verstärkten Zusammenarbeit Grundlage für ein starkes Europa ist ein funktio- folgten diesem Vorschlag. nierender Binnenmarkt. Dieser braucht eine solide finanzielle Basis, um die notwendigen Ausgaben für das Gemeinwesen tragen zu können. Gleichzei- Die französische Finanztransaktionsteuer tig basiert der Binnenmarkt auf der wirtschaftli- chen Stärke der Unternehmen und ihrer Fähigkeit, In Frankreich wurde 2012 eine Steuer ein- sich im globalen Wettbewerb zu behaupten. geführt für Geschäfte mit Anteilen franzö- sischer Firmen, die einen Börsenwert von Auf europäischer Ebene wird uns die solidarische mehr als 1 Mrd. € haben. Die Abgabe in Hö- Zusammenarbeit und das Streben nach gemeinsa- he von 0,3 % auf den gehandelten Wert wird men Lösungen auch dabei helfen, die wirtschaftli- bei Erwerb der Anteile erhoben. Voraus- chen Folgen der COVID-19-Pandemie zu überwin- setzung ist, dass das Unternehmen, dessen den. Ein gerechtes und modernes Steuersystem ist Anteil gehandelt wird, seinen Hauptsitz in unerlässlich, um auch die zukünftigen Herausfor- Frankreich hat. derungen zu meistern. Deutschland will seine Präsidentschaft dazu nut- Die Einführung einer Finanztransaktionsteuer soll zen, gemeinsam entschlossen an der europäischen zu einem angemessenen und gerechten Beitrag des Architektur für eine faire und effektive Besteue- Finanzsektors zur Staatsfinanzierung führen. Eine rung weiterzuarbeiten. Es geht um einen europä- Besteuerung nach dem französischen Modell ist ischen Regelungsrahmen, der die Einnahmen si- ein wichtiger Schritt hin zu einer fairen Besteue- chert, indem er schädlichen Steuerwettbewerb rung des Finanzsektors. Auf europäischer Ebene unterbindet und die Verwaltungszusammenarbeit wird derzeit ein Steuersatz von nicht unter 0,2 % der Mitgliedstaaten weiter stärkt. Schließlich pro- diskutiert. Gleichzeitig wird die einzuführende Fi- fitieren von koordinierten Lösungen sowohl die nanztransaktionsteuer weder zu relevanten nega- Steuerpflichtigen als auch die Mitgliedstaaten und tiven Auswirkungen auf die Finanzstabilität führen damit das europäische Gemeinwesen. noch nennenswerte negative Effekte auf die Akti- enkultur oder das Sparverhalten mit sich bringen. Dies zeigen die Beispiele aus anderen Staaten, wo ähnliche Regelungen bereits national seit vielen Jahren etabliert sind. 21
Analysen und Berichte BMF-Monatsbericht September 2020 Das Europäische Semester 2020 ● Das Europäische Semester dient der Überwachung, Koordinierung und Abstimmung der Haushalts-, Wirtschafts- und Reformpolitik in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union (EU). Jedes Jahr analysiert die Europäische Kommission u. a. im Rahmen des Stabilitäts- und Wachstumspakts und des Verfahrens zur Vermeidung und Korrektur makroökonomischer Ungleichgewichte eingehend die wirtschaftliche und finanzielle Lage der Mitgliedstaaten, welche dann im Vorfeld ihrer nationalen Haushaltsverfahren politische Leitlinien und Emp- fehlungen erhalten. ● Das Europäische Semester 2020 wurde maßgeblich durch den Amtsantritt der neuen Europä- ischen Kommission und durch die COVID-19-Pandemie geprägt. ● Die länderspezifischen Empfehlungen an die EU-Mitgliedstaaten wurden am 20. Juli 2020 formal vom Rat der EU verabschiedet. Die Mitgliedstaaten sind nun aufgefordert, die Emp- fehlungen bei ihren finanz- und wirtschaftspolitischen Entscheidungen zu berücksichtigen, insbesondere bei der Aufstellung ihrer Haushalte für das kommende Jahr. ● Mit dem Jahreswechsel 2020/2021 wird das nächste Europäische Semester beginnen. Dann wird u. a. überprüft werden, ob und inwieweit die Mitgliedstaaten die länderspezifischen Empfehlungen aus dem Jahr 2020 umgesetzt haben. Ziel des Europäischen Das Europäische Semesters Semester 2020 Das Europäische Semester soll die wirtschafts-, fi- Das Europäische Semester 2020 wurde von zwei nanz- und beschäftigungspolitische Koordinierung entscheidenden Ereignissen geprägt. Am 1. De- zusammenführen und dazu beitragen, notwendige zember 2019 nahm die neue Kommission un- Reformen besser umzusetzen. Es soll helfen, die ter der Führung der Kommissionspräsidentin Ur- Konvergenz und Stabilität in der EU sicherzustellen, sula von der Leyen ihren Dienst auf. Das neue solide öffentliche Finanzen zu gewährleisten, über- Arbeitsprogramm der Kommission war entschei- mäßige makroökonomische Ungleichgewichte in dend für die Ausrichtung des diesjährigen Europäi- der EU zu verhindern, Strukturreformen zur Schaf- schen Semesters. Außerdem hatte der Ausbruch der fung von Arbeitsplätzen und Wirtschaftswachstum COVID-19-Pandemie, der zu Lockdowns in vielen zu fördern und die Strategie Europa 2020 umzu- Mitgliedstaaten führte, auch deutliche Auswirkun- setzen. Regelmäßige Beobachtungen dienen dazu, gen auf den Inhalt der länderspezifischen Empfeh- wirtschaftliche und soziale Herausforderungen für lungen und den technischen Ablauf des Europäi- die EU und den Euroraum frühzeitig zu identifizie- schen Semesters 2020. ren und Fortschritte bei ihrer Bewältigung zu be- werten. Darauf aufbauend werden Empfehlungen ausgesprochen, die den Mitgliedstaaten helfen sol- len, eine nachhaltige, wachstumsorientierte Politik umzusetzen. 22
Analysen und Berichte BMF-Monatsbericht Das Europäische Semester 2020 September 2020 Abbildung 1 Ablauf des Europäischen Semesters Analysen und Berichte r ua r ua z ril br är i ai n i n Ap l Fe Ju Ju M M Ja legt Jährliche Strategie für legt Entwürfe für länderspezi- Europäische nachhaltiges Wachstum, legt Länder- berichte vor fische Empfehlungen des Rates Kommision Binnenmarktbericht und auf Basis NRP und SKP vor Warnmechanismusbericht vor debattiert Jährliche Strategie berät länder- beschließt Ministerrat für nachhaltiges Wachstum/ spezifische länderspezifische Länderberichte Empfehlungen Empfehlungen Europäisches debattiert Jährliche Parlament Strategie für nach- haltiges Wachstum Europäischer legt auf Frühjahrsgipfel für die billigt länder- Mitgliedstaaten Leitlinien fest zur spezifische Rat Ausarbeitung der NRP und SKP Empfehlungen übermitteln bis April ihre Mitglied- NRP sowie SKP staaten an die EU-KOM Abkürzungen: ER = Europäischer Rat EU-KOM = Europäische Kommission NRP = Nationale Reformprogramme SKP = Stabilitäts- und Konvergenzprogramme © Bundesministerium der Finanzen Bedingt durch die COVID-19-Pandemie haben Konvergenzprogramme (SKP) und Nationalen Re- sich die finanz-, wirtschafts- und beschäftigungs- formprogramme (NRP) beruhen daher auf einer politischen Herausforderungen in den einzelnen nicht mehr aktuellen Grundlage. Deshalb wird hier Mitgliedstaaten entscheidend verändert. Die Be- auf eine vertiefte Darstellung der Inhalte verzich- richte und Empfehlungen der Kommission aus dem tet und nur die wesentlichen Neuerungen werden Herbst- und Winterpaket sowie die Stabilitäts- und erläutert. 23
Analysen und Berichte BMF-Monatsbericht Das Europäische Semester 2020 September 2020 Das Herbstpaket Rahmen des Investitionsplans für ein zukunftsfä- higes Europa Am 17. Dezember 2019 präsentierte die Kommis- sion, wegen des verzögerten Amtsantritts später als 2. Produktivitätssteigerungen durch Innovation, üblich, ihr sogenanntes Herbstpaket und eröffnete Strukturreformen und Förderung des Binnen- somit das Europäische Semester 2020. Inhaltlich war markts hier bereits der neue Kurs der Kommission spürbar. 3. Gerechtigkeit durch Fokussierung auf die euro- päische Säule sozialer Rechte, Chancengleichheit Das Herbstpaket und faire Arbeitsbedingungen enthielt u. a. 1. die Jährliche Strategie für nachhalti- 4. Makroökonomische Stabilität durch Einhaltung ges Wachstum (Annual Sustainable Growth der europäischen Fiskalregeln, Vertiefung der Strategy, ASGS), Wirtschafts- und Währungsunion und Vervoll- 2. den Entwurf der ständigung der europäischen Banken- und Kapi- Eurozonenempfehlungen 2020, talmarktunion 3. den Warnmechanismusbericht 2020 im ma- kroökonomischen Ungleichgewichteverfahren Die bisherigen drei wirtschaftspolitischen Prioritä- (Macroeconomic Imbalance Procedure, MIP), ten – Stärkung von Investitionen, Umsetzung von 4. einen Bericht über die Binnenmarktleistung Strukturreformen und nachhaltige Finanzpolitik – sowie sollen ebenfalls nach diesen Dimensionen ausge- 5. Stellungnahme der Kommission zu den richtet werden. Haushaltsplanungen der Mitgliedstaaten des Euroraums Die Integration der UN-Nachhaltigkeitsziele (Sus- tainable Development Goals, SDGs) in das Semes- ter stellt einen weiteren Teil der Wachstumsstra- In der Jährlichen Strategie für nachhaltiges tegie dar. Mittelfristig hebt die Kommission den Wachstum (Annual Sustainable Growth Strategy, Klimawandel, das geringe Produktivitätswachstum ASGS) benennt die Kommission die wichtigsten fi- und den demografischen Wandel als primäre Her- nanz-, wirtschafts- und beschäftigungspolitischen ausforderungen hervor. Herausforderungen für die EU im kommenden Jahr und empfiehlt Maßnahmen zu deren Bewäl- Neu im Herbstpaket war der Binnenmarktbericht, tigung. Die neue ASGS stellt eine grundlegende der nun regelmäßig enthalten sein soll. Darin be- Neuausrichtung des vorjährigen Jahreswachs- wertete die Kommission die Entwicklung der Real- tumsberichts dar. Die Kommission legt mit dem wirtschaft und benannte Bereiche, in denen durch europäischen „Green Deal“ den neuen Fokus auf (Struktur-)Reformen eine weitere Vertiefung des das Erreichen von Klimazielen sowie auf wettbe- Binnenmarkts bewirkt werden könne, wie z. B. werbsfähige Nachhaltigkeit und richtet damit auch die bisherige Wachstumsstrategie im Europäischen ● in den Gütermärkten durch verbesserte Einhal- Semester neu aus. tung der Binnenmarktvorschriften und Über- wachung der Umsetzung, Langfristige Herausforderungen sollen anhand fol- gender vier Dimensionen analysiert und bewältigt ● in den Dienstleistungsmärkten durch Beseiti- werden: gung ungerechtfertigter oder unverhältnismä- ßiger regulatorischer Beschränkungen, 1. Ökologische Nachhaltigkeit durch sehr hohe Investitionen in Forschung und Innovation im 24
Analysen und Berichte BMF-Monatsbericht Das Europäische Semester 2020 September 2020 ● in der Stärkung des Wettbewerbs z. B. bei der Darin forderte die Kommission allgemein weitere Nutzung von Infrastrukturen, die von (staat- Strukturreformen auf den Produkt- und Arbeits- lichen) etablierten Unternehmen dominiert märkten, eine Vertiefung des Binnenmarkts, wei- Analysen und Berichte werden, durch moderne Wettbewerbsregeln tere Maßnahmen gegen Steuergestaltungsmodelle und ihrer wirksamen Durchsetzung auf EU- und die Weiterentwicklung der Wirtschafts- und und nationaler Ebene, Währungsunion. Nachdem die Eurozonenemp- fehlungen in den entsprechenden Gremien disku- ● im öffentlichen Auftragswesen sowie den Ener- tiert worden waren, hatte der Europäische Rat diese giemärkten durch Beseitigung von Zugangsbar- aufgrund der COVID-19-Pandemie erst verspätet rieren bei der Stromerzeugung und von unter- auf seiner Sondersitzung vom 17. bis 18. Juli 2020 schiedlichen Regeln im Stromhandel und der gebilligt. Kreislaufwirtschaft, z. B. durch Schaffung eines harmonisierten Rahmens für Abfallendstoffe. Der Fiskalteil des Herbstpakets wurde diesmal schon einen Monat früher, und zwar am 20. No- Die Kommission betonte die Bedeutung von Struk- vember 2019 veröffentlicht. In ihren Stellungnah- turreformen auf der Ebene der Mitgliedstaaten men zu den Haushaltsplänen der Mitgliedstaaten für einen funktionierenden Binnenmarkt. Es gebe des Euroraums bewertet die Kommission regelmä- in den genannten Bereichen erhebliche Verbesse- ßig die Übersichten über die Haushaltsplanung im rungsmöglichkeiten und das Europäische Semester Hinblick auf die Erfüllung der Vorgaben des Stabi- biete den richtigen Rahmen, um diese Reformen zu litäts- und Wachstumspakts (SWP). Der SWP ist ein fördern. regelbasierter Rahmen für die Koordinierung und Überwachung der nationalen Finanzpolitiken in Im Warnmechanismusbericht 2020 benannte die der EU. Die Kommission kam zu dem Ergebnis, dass Kommission Mitgliedstaaten, die von makroöko- nomischen Ungleichgewichten betroffen sein 1. Deutschland, Irland, Griechenland, Zypern, könnten, welche die Stabilität der eigenen Wirt- Litauen, Luxemburg, Malta, Österreich und die schaft, des Euroraums und/oder der EU als Ganzes Niederlande die Vorgaben des SWP für 2020 gefährden oder gefährden könnten. Diese Mitglied- vollumfänglich erfüllen, staaten sollen deshalb einer vertieften/eingehen- den Überprüfung unterzogen werden. Dies betraf 2. Estland und Lettland den SWP weitgehend dieselben 13 Mitgliedstaaten wie schon im vor- einhalten, angegangenen Jahr: Bulgarien, Kroatien, Zypern, Griechenland, Frankreich, Deutschland, Irland, Ita- 3. bei Belgien, Spanien, Frankreich, Italien, Por- lien, die Niederlande, Portugal, Spanien, Rumä- tugal, Slowenien, der Slowakei und Finnland das nien und Schweden. Vor allem die vertiefte Über- Risiko der Nichteinhaltung des SWP besteht. Diese prüfung Bulgariens und Kroatiens war von großer Länder sollten Anpassungen an ihren Haushalts- Bedeutung, da beide Mitgliedstaaten die Teilnahme plänen vornehmen, um eine Einhaltung des SWP am Wechselkursmechanismus II als Voraussetzung sicherzustellen. der Mitgliedschaft im Euroraum vorbereitet hat- ten und zwischenzeitlich vollzogen haben. Den An- Zudem hatte die Kommission für Ungarn und Ru- lass für die erneute Aufnahme Deutschlands in den mänien Verfahrensschritte im SWP vorgeschlagen, Kreis der näher zu untersuchenden Mitgliedstaaten weil beide Mitgliedstaaten auf die Ratsempfehlung gab wieder der hohe Leistungsbilanzüberschuss. vom 14. Juni 2019 hin keine wirksamen Maßnah- men getroffen hatten. Der ECOFIN folgte dem Vor- Das Herbstpaket enthielt auch Vorschläge der Kom- schlag der Kommission und fasste am 5. Dezember mission für Eurozonenempfehlungen des Rats. 2019 für jedes Land zwei Beschlüsse: 25
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