Georges-Henri Pingusson und der Bau der Französischen Botschaft in Saarbrücken

 
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Georges-Henri Pingusson und der Bau der Französischen Botschaft in Saarbrücken
Georges-Henri Pingusson und der Bau
der Französischen Botschaft in Saarbrücken

Kunstlexikon Saar Architektur und Raum
Georges-Henri Pingusson und der Bau der Französischen Botschaft in Saarbrücken
www.kunstlexikon-saar.de                  Ersten Weltkrieg, als die Wirtschafts­
                                          region um den Mittellauf des
ist ein Forschungsprojekt des Instituts   ­Saarflusses aus dem Verbund des
für aktuelle Kunst im Saarland an der     Deutschen Reiches h
                                                            ­ erausgelöst
Hochschule der Bildenden Künste           und durch den Völkerbund ver-
Saar, das im November 2006 online         waltet ­wurde. Im Spannungsfeld
geschaltet wurde. Die Stichwort-          ­z wischen Frankreich und Deutsch-
Artikel fassen auf aktuellem Stand Er-    land ­entwickelte sich in den engen
gebnisse wissenschaftlicher Forschung     Grenzen des Saargebietes (1920-35)
zu den verschiedenen Bereichen der        eine selbstständige Kunst- und
Bildenden Kunst im Saarland zusam-        Kulturpflege, deren Fortführung durch
men. Sie verstehen sich als Bausteine,    die erneute Abtrennung nach dem
mit deren wachsender Anzahl das Bild      Zweiten Weltkrieg (1945/47-1957/59)
der Kunstgeschichte des Saarlandes        befördert wurde. Im heutigen
schärfer und präziser werden wird.        Bundesland Saarland bleibt diese
                                          Entwicklung spürbar und gehört zu
Ausgehend von den Themenbereichen,        den wesentlichen Merkmalen, die das
die zu den Arbeitsschwerpunkten           Land ebenso innerhalb der Bundes-
des 1993 gegründeten Instituts            republik Deutschland kennzeichnen
gehören, werden sowohl bereits in         wie innerhalb der europäischen
Druckform publizierte als auch bisher     Großregion Saar-Lor-Lux-Rheinland-
­unveröffentlichte ­Arbeitsresultate      Pfalz-­Wallonie-Französische und
sowie neue Ergebnisse für das             Deutschsprachige Gemeinschaft
Medium des Internet-Lexikons              Belgiens.
aufbereitet und ­sukzessiv eingespeist.
Inzwischen ­werden neben der Kunst        Aus Inhalten der Internetseite
der Gegenwart zunehmend auch              www.kunstlexikon-saar.de wiederum
Architektur, ­Design und die Kunst vor    generiert sich die Publikationsreihe
1945 zum Gegenstand der Forschung.        „Architektur und Raum“. In loser
Des­gleichen werden die größeren          Folge werden Beispiele regionaler
Kulturräume in die Betrachtung            Architektur und Stadtbaukunst
miteinbezogen und Wechselwirkun-          ­vorgestellt, die als besonders aussage-
gen zu den benachbarten Regionen          kräftig für das Werden und Wachsen
berücksichtigt.                           der Kulturlandschaft an der Saar
                                          angesehen werden.
Das Kunstlexikon Saar trägt der
Besonderheit der kulturellen Entwick-     Anlass für das Erscheinen der Publika-
lung des Saarlandes Rechnung.             tion „Georges-Henri Pingusson und
Die Herausbildung des Saarlandes          der Bau der Französischen Botschaft
als eigenständige politische und          in Saarbrücken“ ist die bevorstehende
­kulturelle Einheit begann nach dem       Sanierung des Gebäudes.
Georges-Henri Pingusson und der Bau der Französischen Botschaft in Saarbrücken
Marlen Dittmann
Dietmar Kolling

Georges-Henri Pingusson
und der Bau der
Französischen Botschaft
in Saarbrücken

Kunstlexikon Saar
Architektur und Raum
Georges-Henri Pingusson und der Bau der Französischen Botschaft in Saarbrücken
Georges-Henri Pingusson und der Bau der Französischen Botschaft in Saarbrücken
Vorwort   Vor wenigen Jahren noch,            Es wurde zu Recht schon
          anlässlich der 50-Jahr-Feier der    1985 unter Schutz gestellt,
          ehemaligen ­Französischen Bot-      da an der „Erhaltung ein
          schaft in Saarbrücken, wurde        öffentliches Interesse aus
          in Festvorträgen und mit einer      geschichtlichen, künstleri-
          Ausstellung die Bedeutung           schen, wirtschaft­lichen und
          des Gebäudes gewürdigt, das         insbesondere ­städtebaulichen
          der französische „Urbanist“,        Gründen besteht. Der Denk-
          Architekt und Städtebauer           malschutz erstreckt sich auf
          Georges-Henri Pingusson im          die Anlage als Ganzes, die
          Auftrag des französischen           Gebäude, die Ausstattung
          Botschafters Gilbert ­Grandval      (Einrichtung aus der Erbau-
          mit Unterstützung der ­beiden       ungszeit) und die Umgebung“
          deutschen Architekten               (Schreiben des Konserva-
          ­Bernhard Schultheis und Hans       toramtes an den M ­ inister für
           Bert Baur von 1951 bis 1954        Kultus, Bildung und Wissen-
           errichtete. Stolz und nach-        schaft vom 23. Juli 1985).
           denklich zugleich, erinnerte
           man sich an eine Zeit, da das      Der Deutsche Werkbund Saar-
           Saarland als ­europäisches         land ist sich bewusst, dass der
           Experiment ­angesehen wurde,       Denkmalstatus des Pingusson-
           dessen einziges materialisier-     Baus die notwendige Sanie-
           tes ­Dokument das „schmale         rung schwierig und teuer
           Handtuch“ ist, seit 1960 Sitz      macht. Doch es gibt gerade
           des Kultusministeriums, heute      in der Kultur Aufgaben, deren
           des Bildungsministeriums.          Erfüllung auch in wirtschaftlich
           Das war vor sieben Jahren,         schwierigen Zeiten geschehen
           jetzt ist die Zukunft des          muss. In diesem Fall bedeutet
           ­Hauses akut gefährdet. Eine       das eine behutsame, die Archi-
            Betonsanierung steht an, eine     tektur im Ganzen wie in den
            energetische Nach­rüstung         Details sorgfältig beachtende
            ist dringend, zeit­gemäße         Sanierung. Möglicherweise
            Büroräume ­werden von den         können dabei nicht alle gesetz-
            ­Mitarbeitern erwartet. Der       lichen Auflagen eingehalten
             dafür ­notwendige finanzielle    werden. Ein Denkmal sollte
             Aufwand scheint vielen Ver-      Ausnahmen erlauben.
             antwortlichen, ­Politikern und
             Bürgern un­angemessen hoch.      Mit dieser Publikation ­mischen
                                              wir uns nicht ein in die Sanie-
          Der Deutsche Werkbund               rungsdiskussion, ­weisen aber
          Saarland fordert entschieden        auf die historische Bedeutung
          den Erhalt des ­Hauses als ein      des Hauses hin. Wir erinnern
          Denkmal der ­Geschichte und         an ­Pingussons Planung für
          als ein hochrangiges Baudenk-       ­Saarbrücken und hoffen,
          mal. Ein ­vergleichbares gibt es     ­damit das Bewusstsein für den
          im Saarland nicht.                    Rang des Hauses zu vertiefen.
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L‘Ambassade de France   Wir schreiben das Jahr 1951.       Grandval hatte zuvor schon den
Marlen Dittmann         Die politische Struktur des        Architekten ­Georges-Henri
                        Saargebietes ist ein Provi­         Pingusson (1894-1978) mit
                        sorium, die Zukunft noch            dem Bau einer Botschaft
                        ­ungewiss, wirtschaftlich           beauftragt. Pingusson zählte
                         ist das Land mit Frankreich        zur Elite der französischen
                         verbunden. Mit den Saar­           ­Architekten, war ein Freund
                         konventionen wurde 1950 die         und Geistesverwandter
                         Autonomie anerkannt. Die            Le Corbusiers, Gründungs-
                         Saarfrage soll endgültig im       mitglied der Union d`Artiste
                         Zuge einer Europäisierung des     ­Moderne (UAM) und des
                         Landes gelöst werden. Vorerst      Congrès ­International
                         ist das Land assoziiertes Mit-     d`Architecture Moderne
                         glied im Europarat, bemüht         (CIAM) sowie Hochschullehrer
                         sich um die Vollmitgliedschaft     an der Pariser École des Beaux
                         sowie die Aufnahme in die          Arts 1. Die städte­bauliche Pla-
                         Montan­union, deren Haupt-          nung für Saar­brücken konnte
                         stadt ­Saarbrücken werden           Pingusson nicht umsetzen
                         könnte. Bis 1955 wird man           und so war er 1949 resigniert
                         für einen künftigen Haupt-          nach Paris ­zurückgekehrt.
                         stadtsitz ­planen und einen         Gleichwohl sah er im Auftrag,
                         ­internationalen Architekten-       eine ­Botschaft zu bauen,
                          wettbewerb „Montanhaupt-           den Auftakt zur Realisierung
                          stadt Saarbrücken“ durch-          seiner Pläne. „La construction
                          führen. Diese Aufgabe wird         de l`Ambassade de France
                          hinfällig, als die Saarländer      à ­Sarrebruck constitue une
                          sich 1955 gegen das im Jahr        étape dans la réalisation du
                          zuvor zwischen Frankreich und      plan d`urbanisme.“ 2
                          der Bundes­republik ausgehan-
                          delte Saarstatut aussprechen.    Gleichzeitig symbolisierte die
                          In der Folge wird das Saarland   Botschaft in seinen Augen ein
                          elftes Bundesland.               Zeichen des Friedens zwischen
                                                           den Völkern, vor allem aber
                        Eine wichtige Rolle bei allen      repräsentierte sie die „Grande
                        Entscheidungen spielt der          Nation“ und deren Kultur. Als
                        ­Vertreter Frankreichs, der Hohe   Pingusson 1965 den Grand
                         Kommissar Gilbert Grandval,       Prix d`Architecture erhielt,
                         dessen „Haut ­Commissariat“       äußerte es sich auch zur Bot-
                         1951 in die „Mission Diplo-       schaft: „Ce que j`ai recherché
                         matique ­Française en Sarre“      dans le plan de l`Ambassade,
                         um­gewandelt wird. ­              cette pierre française à la Sarre,

                        S. 4 Ehrenhof und Haupteingang     S. 9 Rohbau Bauphase 1952-1954
                        S. 6/7 Südfassade                  S. 10/11 Ansicht von Süden

                                                                                            8
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c`était le sentiment de cet       Das Stadtbild prägt vor allem        räumlich zu trennende funk-
ordre tranquille, de force sans   die lange Scheibe des Verwal-        tionale Aspekte zu berück-
contrainte qu‘ apportait notre    tungstraktes, im Volksmund           sichtigen: den öffentlichen
présence, par le rhythme des      „schmales Handtuch“ oder             und für die Öffentlichkeit
facades, comme par la disposi-    „Schoko­ladenstückchen“              zugängigen Verwaltungs-
tion du plan …” 3                 genannt. Die weiteren Bauteile       teil, den halböffentlichen
                                  treten kaum in Erscheinung           Gesellschafts- und Repräsen-
Nach schwierigen Grundstücks-     und sind daher fast unbekannt.       tationsteil und die privaten
verhandlungen mit 50 Eigen­       Das dürfte in den 1950er             Wohnräume des Botschafters.
tümern hatte das Saarland ein     ­Jahren noch anders gewesen          Über Jahrhunderte hinweg
Gelände zwischen Saar und          sein, als hier die Staatsgäste      befanden sie sich unter einem
Alt-­Saarbrücken erworben,         empfangen wurden. Damals            Dach, erst in neueren Resi-
begrenzt von der damaligen         stand die Botschaft als ein         denzen wird zum größeren
Saaruferstraße, der Hohen­         ­Zeichen des Aufbruchs in           Schutz der Privatsphäre auf
zollern-, Kepler- und der           einem noch wüsten, kriegs-         die Wohnung verzichtet, wie
Roon­straße. An diesem mit          zerstörten Gelände. Damals         es z.B. die Botschaftsbauten
Bedacht gewählten Ort sollte        versperrte noch keine Stadt­       in Berlin deutlich machen.
die Botschaft den perspekti­        autobahn den direkten Zugang       Pingusson nun musste alle
vischen Abschluss eines auf         an der Saaruferstrasse. Auch       drei Ansprüche noch zu
der Hafeninsel geplanten            keine Westspange bedrängte,        einem stimmigen Gesamt-
­Platzes bilden. Hier errich-       keine Reklame verunstaltete        gefüge vereinen. Pingusson
 tete Pingusson von 1951 bis        die Stirnseite des Hauses, sie     zur Seite gestellt wurden die
 1954 die „Ambassade de             konnte sich mit ihren ­schmalen    beiden deutschen Architekten
 France“, die Französische          Dimensionen und der raffinier-     Bernhard Schultheis und Hans
 Botschaft, seit 1960 Heim-         ten Detaillierung ins Gedächt-     Bert Baur, die die örtliche
 statt des Kultusministeriums,      nis graben. Auf der Südseite       Bauleitung übernahmen.
 jetzt des Bildungsministe-         breitete sich der parkähnliche,
 riums. Sie verkörpert bis          große Garten aus, eine Pergola     Nach mehreren Vorentwürfen
 heute eine ­wichtige Etappe        führte auf den Eingang des         entstand der Realisierungsplan
 der Nachkriegsgeschichte           Verwaltungstraktes in der          1951 mit der charakteristi-
 des Landes und steht seit          Roon­straße zu. Der für eine       schen funktionalen und forma-
 1985 unter Denkmalschutz.          Botschaft in einem kleinen Land    len Trennung von Residenz im
 Bisher konnten damit alle          eigentlich über­dimensionierte     Flachbau und Verwaltungsbau
 den Bau beeinträchtigenden         Bau lässt sich nur mit der         im Hochhaus. In der Baube-
 ­schwerwiegenden Maß­              zu­nächst nicht ganz unrealisti-   schreibung vom 21. Januar
  nahmen verhindert werden.         schen Vorstellung erklären, in     1951 gliedern die Architekten
                                    Saarbrücken Europäische Insti-     die Botschaft in zwei Blöcke:
Weithin sichtbar am Ufer der      tutionen ansiedeln zu können.        die eigentliche Botschaft, zu
Saar erhebt sich seit nun-                                             der sie die Repräsentations-
mehr sechs Jahrzehnten das        Beim Bau einer Botschaft sind        und ­Büroräume des Botschaf-
bemerkenswerte Bauensem­ble.      immer unterschiedliche, auch         ters und die dazugehörenden

                                                                       Ansicht von Süden mit Eingang
                                                                       zum Verwaltungsblock

                                                                                                       12
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14
Fotodokumentation des Neubaus
     in „Natur und Technik. Zeitschrift
     für Kunst, Naturwissenschaft,
     ­Technik“, 1955
     Grundriss des 1. Obergeschosses

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Wirtschafts- und Diensträume           Bevor wir das Botschafts­
zählen, wie auch den privaten          ensemble im Einzelnen             Das Botschaftsensemble
Bereich, die Wohnung Grand-            betrachten, noch ein k­ urzer
vals. 4 Der zweite Block umfasst       Rückblick. Pingussons be-
die Verwaltung mit 180 Büros,          rühmtester Bau, das Hôtel         Die Botschaft nun erstreckt
den dazu gehörenden Neben-             Latitude 43 in Saint Tropez       sich über die gesamte
räumen und Erschließungen.             (1931) ist ebenfalls aus unter-   Grundstückslänge in Ost-
                                       schiedlich hohen Baukörpern       Westrichtung mit dem präg­
Das Büro des Botschafters              zusammen gefügt, darunter         nanten Abschluss des fast
fungiert als Bindeglied                auch einer Hochhausscheibe.       100 m langen, aber nur 8 m
­zwischen den beiden Blöcken,          Der mittige Treppenturm ver-      breiten ­Verwaltungstraktes,
 die damit eine organische             leiht ihr plastische Prägnanz.    der in einen nur wenig
 Einheit bilden, ohne ihre                                               breiteren „Kopf“ mündet.
 Eigenständigkeit zu verlieren.        In der Publikation „Die Saar.     Dieser erschließt sämtliche
 „C`est autour de la personne          Städtebau“, erschienen            Etagen und bündelt Treppen,
 même de l`Ambassadeur et              bereits 1946, ist die Skizze      Fahrstühle und Serviceeinrich-
 de son poste de travail que           für ein „großes Hotel für         tungen. ­Pingusson weicht also
 s`ordonne la composition des          Saarbrücken“ abgebildet, ein      von ­seiner Idee der vor die
 divers éléments depuis les            auf Stützen stehender Bau         Fassaden gestellten Treppen-
 locaux de ­caractère public           mit flachem Dach, betonten        türme ab. Eine Begründung
 et officiel jusqu`à ceux de           Erschließungstürmen, einer        ist weder in den Archivalien
 ­caractère privé.” Schon in der       herausgehobenen Eingangs­         noch der Literatur zu finden.
  Baubeschreibung erläutern die        situation und Geschosshöhen,      So muss spekuliert werden:
  ­Architekten das „système de         die zwei Ebenen einnehmen.        ­Vorgelagerte Treppentürme
   travées“, das „Jochsystem“                                             bedingen eine Erschließung
   der Büro­etagen, das 1,20 m         Auch der Vorschlag für ein         von der ­Saaruferstraße. Ein
   breit, je nach Bedarf Räume         Verwaltungsgebäude von             Eingang hier wäre jedoch eine
   unterschiedlicher Größe er-         1948 zeigt eine auf Piloti ge-     Konkurrenz zum repräsenta­
   laubt. Die Wahl des Baumate-        stellte lange R
                                                     ­ echteckscheibe,    tiven Haupteingang im
   rials – Stahlbeton oder Stahl       mit untergeschobener Ein-          Ehrenhof und dürfte die
   – machten sie abhängig von          gangshalle und rhythmisiert        ­gewünschte funktionale
   der billigeren Konstruktion,        von Treppentürmen. Bei all          ­Trennung nicht mehr zulassen.
   vorgesehen waren selbstver-         diesen Bauten wird das Über-         Eine unliebsame Konsequenz
   ständlich Zentralheizung und        einanderlagern der Geschosse         der gewählten Kopfbauer-
   Klimaanlage.                        durch eine streng horizontale        schließung sind lange Wege
   Als Resumé heißt es: „Pour          Ausrichtung betont, Fenster­         für die Mitarbeiter.
   l`équipement de l`édifice,          bänder und auskragende               Ein eingeschossiges, zwei­
   il a été fait appel à tous les      Balkone oder Laubengänge             seitig verglastes Entree schiebt
   ­moyens de la technique             unterstreichen diese Tendenz,        sich in den Garten, setzte sich
    ­moderne, en particulier pour le   während die vorgestellten            früher in einer Pergola fort.
     demeure de l`Ambassadeur qui      Treppentürme sie wieder              Sie wies den Besuchern den
     doit comporter un aménage-        durchbrechen und für ein             Weg und trennte Garten und
     ment digne et correspondant à     harmonisches Gleichgewicht           anschließende Parkplätze an
     son but representative”. 5        sorgen.                              der Roonstraße.

                                                                                                         16
1962 wurde die transparente
Wand durch eine von Karl-
Heinz Grünewald kunstvoll
gestaltete Betonverglasung
ersetzt, auch sie ist heute
entfernt. 6 Damals fiel der Blick
ungehindert aus dem Entree
in den weitläufigen Garten.
Der Betrachter entdeckte die
ebenerdige ­offene Pfeiler-
halle aus zwei Reihen eng
nebeneinander stehender,
sich nach unten verjüngender
Stützen, sogenannten Pilotis.
Sie heben den Bau vom Boden
ab, Straßenraum und Garten
fließen in­einander und die
Blicke können ungehindert
schweifen. Die Öffentlichkeit
der Verwaltung korrespondiert
auf der Erdgeschossebene mit
einer Durchlässigkeit des Baus,
während der „Kopf“ ihn fest
im Boden verankert.
Rechtwinklig an diese lange
Scheibe schließt, weit in den
Garten vorgeschoben, die
Dreiflügelanlage des Reprä-
sentationstraktes an und
umfängt einen „Ehrenhof“,
der sich in die Saaruferstraße
als Besucher Ein- und Vor-          Modell aus der Bauzeit, Ansicht von Süd-Osten
fahrt öffnet. Die Mitte, das        Modell, angefertigt von Studierenden der HTW Saarbrücken im Rahmen einer
Corps-de-Logis, nimmt die           Projektwoche 2007 mit dem Titel „Vision d‘une Ville“, Ansicht von Nord-Osten
Gesellschaftsräume auf, der
westliche Flügel den Arbeits-
bereich des Botschafters, der
östliche Wirtschaftsräume.
Mit dem erneuten Wechsel der
Funktionen differenziert auch
die Baufigur zum letzten Mal.
In L-Form beenden die Wohn-
räume des Botschafters den
Gesamtkomplex im Osten.

17
Auf der Südseite entstand ein      Baubeschreibung, das sich          sind es Elemente aus hoch-
geschützter privater Garten-       aus Stützen und Längsträ-          rechteckigen Fensteröffnun-
bereich, auf der Nordseite war     gern zusammensetzt. Sie            gen und niedrigen quadra-
Platz für einen Wirtschaftshof,    bestimmen das Fassadenbild         tischen Brüstungen, etwa
über den die Wohnung von           sowohl der Nord- wie der           im Verhältnis eins zu zwei
der Keplerstraße aus betreten      Südseite und charakterisieren      geteilt. Auf der Nordseite
wurde. Drei eigenständige          sieben Bürogeschosse mit           ist das Verhältnis ein ande-
Eingänge ermöglichten somit        einem streng rechtwinkligen        res, ein betont dreigeteiltes,
eine konsequente Trennung          Raster aus h­ orizontalen und      nämlich: ­Brüstung – ­Fenster –
der Besucher und entsprechen       vertikalen Linien, die wie         Brüstung, wobei sich untere
der Dreiteilung der Aufgabe.       ein Kunstwerk von einem            und obere Brüstung über
Analog zu diesen verschiede-       umlaufenden breiten Wand-          die Etagen hinweg zu einem
nen Funktionen konstruierte        streifen gerahmt werden. Mit       langrechteckigen Feld zu-
Pingusson auch den Bau             kostbaren Muschelkalkplat-         sammenschließen. In dieser
in unterschiedlicher Weise.        ten verkleidet, fängt er das       Teilung steckt ein Überbleib-
Verwaltungsbau, Botschaf-          Stakkato der Stützen auf, das      sel der ersten Pläne, in denen
terflügel und Corps de Logis       sich wie ein Netz als äußerste     Pingusson zweigeschossige
mit den Gesellschaftsräumen        Wandschicht über die Fassade       Büroräume vorschlug. Sie
sind als Stahlbetonbau bzw.        spannt und dieser ein betont       sollten sich mit einer Empore
als Stahlbetonskelett errichtet,   senkrechtes Profil verleiht. Im    in den langen, notwendiger­
der Wirtschaftsflügel und          Gegensatz zu Pingussons frü-       weise schmalen Korridor
die Wohnung als Massivbau.         heren Entwürfen tritt hier die     schieben und hätten nicht
Konsequent entwickelte er          horizontale Konstruktion in den    nur Licht von zwei Seiten be­
aus der Konstruktion auch die      Hintergrund und bleibt den-        kommen, sondern auch den
äußere Gestalt. Das Sichtbar-      noch wirksam. Denn Gesims-         Blick auf die Saar erlaubt.
machen der Konstruktion war        bänder und Brüstungsfelder
ein herausragendes Merkmal         unter den Fenstern verbinden       Dieses Prinzip hatte er erfolg-
der modernen Architektur,          sich im Auge des Betrachters       reich im Hotel Latitude 43
bevor sich der „curtain wall“,     zu einer breiten durchgehen-       erprobt. Dass nur der lange
die Vorhangfassade durch-          den Linie. Schließlich entfaltet   Flur übrig blieb, haben die
setzte, die die Konstruktion       sich in der perspektivischen       beiden hiesigen Architekten
nun wieder versteckte.             Ansicht eine wahre Dynamik,        zu verantworten, die den
                                   wenn diese scheinbar als           Pingusson-Plan vereinfachten,
                                   flache Ebene komponierte           aber sicher nicht verbesserten.
                                   Wand sich im immer engeren         „Die Abschirmung der Büro-
Der Verwaltungsblock               Takt verdichtet. Die Lebendig-     räume zur Saar machen einen
                                   keit der Fassade verstärkten       der Kompromisse deutlich, die
                                   zusätzlich noch individuell        Pingusson bei der Realisierung
Das Stahlbetonskelett des          zu öffnende, horizontal zu         eingehen musste.“ 7 Baur und
Verwaltungsbaus gewann             kippende Fenster. Sie wurden       Schultheis begründen ihren
­Pingusson aus aneinander          um 1985 ersetzt.                   Eingriff so: „Die Flurfenster
 gereihten vorfabrizierten         Auch die scheinbar gleichen        gegen die Saar hin sind ihrem
 1,20 m breiten Moduli,            Brüstungsfelder variieren. Auf     Zweck entsprechend be-
 dem „Jochsystem“ der              der Gartenseite im Süden           wusst klein gehalten, wobei

                                                                                                   18
Hall d‘honneur

die große Wandfläche durch        entschieden zwischen Erschlie-     zu unterstützen, nutzt er als
­Betonung der Pfeilergliederun-   ßung und Arbeitsräumen, nicht      gestalterisches Moment. Er teilt
 gen und farbige Behandlung       nur in der Anlage des Grundris-    die Fläche nach einem an den
 der Fenster­brüstungen inner-    ses, sondern auch in der ästhe-    Muschelkalkplatten abzule-
 halb eines wohltuenden Rah-      tischen Aussage der Fassaden.      senden Zahlenverhältnis 2:3:5,
 mens einen reizvollen Kontrast   Dieses Prinzip zeigt sich im ge-   ein Zahlenverhältnis, das in der
 bilden.“ 8 Die Folge aber war,   samten Komplex der Botschaft,      Architektur seit der Antike als
dass trotz der variablen Breite   hier im Verwaltungstrakt in der    ein besonders ausgewogenes
und der Ausrichtung nach          unterschiedlichen Behandlung       harmonisches Verhältnis gilt.
Süden, nur schlecht beleuch-      der Süd- und der Nordseite         Der zwei Platten breite Streifen
tete Büroräume entstanden,        sowie des Baukörper­kopfes,        gehört zum Rahmen wie zum
die heute zudem mangelhaft        der mit breiter, weit­gehend       Kopf und vermittelt zwischen
isoliert sind, aber damals dem    geschlossener Wandfläche           offener Fensterfront und ge-
Stand der Technik entsprachen.    die Fassadenlänge eindeu-          schlossener Wand.
Pingusson war zwar ein            tig begrenzt. Ein Prinzip der      Drei Platten breit zeigt sich die
Verfechter des ­funktionalen      klassischen Baukunst, damals       senkrechte Reihe aus jeweils
Bauens, lehnte jeglichen Dog-     notwendig, um die Festigkeit       zur Vierergruppe zusammen
matismus aber ab. Er trennte      der Statik durch Mauerwerk         gefasster kleiner Rundfenster.

19
Den Abschluss mit einer
                                                                   Dachterrasse hatte Pingusson
                                                                   bereits im Hotel Latitude 43
                                                                   erprobt – wie dieses Motiv
                                                                   ­viele Architekten der ­Moderne
                                                                    nutzten, häufig allerdings nur
                                                                    bei Einfamilienhäusern. Einen
                                                                    Bau vergleichbarer Länge
                                                                    errichtete damals auch Le
                                                                    Corbusier, der wenige Jahre
                                                                    zuvor die Maison d`Habitation
                                                                    in Marseille mit einem
                                                                    Dachgarten ausstattete. In
                                                                    der Botschaft betrat man das
                                                                    Dach über das Mitarbeiter-
                                                                    Casino im 7. Obergeschoss; es
                                                                    soll bei schönem Wetter auch
                                                                    eifrig besucht worden sein.
                                                                    Allerdings halten Schönwet-
                                                                    terperioden in Saarbrücken im
                                                                    Gegensatz zu Marseille nicht
                                                                    lange und die Bedeutung der
                                                                    Dachterrasse als Erholungs-
                                                                    und Feierraum ging verloren.
                                                                    Auch das Casino, Speise- und
                                                                    Ruhe- und Lesezimmer der
                                                                    Mitarbeiter, wurde funkti-
Petit salon d‘accueil                                               onslos und zu Büroräumen
                                                                    umgenutzt und die künstleri-
Sie perforieren die Wand und     Rundfenster, die sorgfältig in     sche Ausgestaltung entfernt,
markieren die Mittelachse,       die Plattenstruktur eingebun-      teilweise auch zerstört.
während die fünf Platten         den sind.                          Die Stirnwand schmückte ur-
breite zweite Wandhälfte                                            sprünglich ein Wandrelief von
geschlossen bleibt. Auch         In der traditionellen Architek­    Boris Kleint. Die plastischen
die Stirnseite proportioniert    tur bildete das Dach mit           Farbformen setzten sich als
Pingusson nach einem Zah-        ­seinen verschiedensten            farbige Flächen auf drei Glas-
lenrhythmus. Ein Drittel der      Formen den krönenden Ge-          elementen fort, die mit Hilfe
Fassadenbreite beherrscht ein     bäudeabschluss. Hier tritt an     eines Trägersystems zu einem
weit vorstehendes Fenster-        seine Stelle die Dachterrasse.    transparenten R ­ aumteiler
band aus Glasbausteinen,          Die umlaufende gedeckte           verbunden waren. 9
das vom Boden bis zum             ­Pergola hoch oben erscheint
Dach aufsteigt. Die seitlichen     in der Ansicht als Flugdach.    Obwohl im Kern nur eine
­Wandabschnitte unterbre-          Sie begrenzt den Bau eindeu-    standardisierte monotone
 chen wieder das Motiv der         tig gegen den Himmel.           Anhäufung von Arbeitszellen,

                                                                                               20
wird der Verwaltungstrakt
durch seine ­ungewöhnlichen
Proportionen, durch Pilotis und
Dachterrasse, die über das
tatsächliche ­Bauvolumen hin-
wegtäuschen und es leichter
erscheinen l­assen, durch die
raffinierte ­Detaillierung und
verhaltene Dynamik seiner
Fassaden zu einem p    ­ oetischen
Signal der Baukunst.

Der Repräsentationsblock

Die im Gesamtensemble her-
ausragende Rolle des Reprä-
sentationstraktes wird nach
Außen durch die Bauanlage
betont: einem „Ehrenhof“ im
Norden und einer großzügi-
gen Gartentreppe im Süden.
Sie begleitet den Corps-de-
Logis in ganzer L­ änge und
verbindet die Innenräume
mit dem parkartigen Garten.          Petit salon d‘accueil
Erneut arbeitet der Archi-
tekt mit einem bewährten             seitlich begleitet von schma-   moderner Architekten, den
traditionellen System, das sich      leren Feldern. So entsteht      Zusammenhang von Innen-
in der klassischen französi-         ein geradezu leichtfüßiger      und Außenraum zu verdeut-
schen wie auch der deutschen         Rhythmus, wie ein Walzertakt    lichen. Die gläserne Wand als
­Schlossarchitektur immer            aus: eins, zwei, drei oder:     Kristallisation zweier Räume
 wieder findet, dem ­Pingusson       breit – schmal – schmal. Die    haben ­Bauhausarchitekten und
 aber mit den ­Mitteln der           untergeordnete horizontale      insbesondere Mies van der
 modernen Architektur ein            Linienführung in der Wand       Rohe oder Le Corbusier vor-
 zeitgemäßes Gesicht verleiht.       deuten nur ein durchlau-        bildlich gelöst, Pingusson steht
 ­Filigrane Stützen unterbre-        fender schmaler Steg über       dem nicht nach. Der westliche
  chen die ganz in Glas auf-         den Türen sowie das leicht      Teil dieser ­Gartenfassade nun
  gelöste Wand und gliedern          auskragende Dach­gesims an.     scheint wieder fest ­gefügter,
  sie in einzelne Elemente.          Sonnensegel unterstreichen      dem Arbeitszimmer des
  Deren jeweilige Mitte öffnen       den beschwingten Charakter.     Botschafters gemäßer, das sich
  zweiflügelige Terrassentüren,      Immer wieder galt das Streben   dahinter befindet.

21
Einzig ein großes quadrati-       Der Besucher betrat die Bot-
sches Fenster mit weit auskra-    schaft durch den Eingang in
genden Gewänden beherrscht        der Mitte des Corps-de-Logis,
die weiß verputzte Wand.          einen fragilen Windfang
                                  aus Glas, über den ein weit
Als ein ebenfalls klassisches     auskragendes, schützendes
Architekturelement präsen-        Dach zu schweben scheint,
tiert sich die Anlage eines       das tatsächlich jedoch von
„Ehrenhofs“, dessen Fassa-        zwei Säulen, hier allerdings
den der jeweiligen Funktion       ohne Basis und Kapitell, getra-
entsprechend gegliedert sind.     gen wird und als zeitgemäße
Die Sockelzone des westlichen     Variante eines Eingangstores
Flügels schmückt ein Sgraffito    angesehen werden kann.
von Otto Lackenmacher und         Die transparente Über-
Peter Guggenbühler, darüber       gangszone von außen nach
sind in zwei Etagen dreiteilige   innen führt in eine elegante
Fensterelemente aneinander-       zweigeschossige Vorhalle,
gereiht und werden wie im         die die gesamte Länge des
Verwaltungstrakt von einem        Corps-de-Logis einnimmt,
rahmenden Band zusam-             und stößt im Eingangsge-
mengefasst. Auf der großen        schoss zunächst auf eine
Wandfläche des gegenüber-         geschlossene, mit Marmor
liegenden Flügels wiederholt      verkleidete Wand – dahinter
sich das bekannte Motiv der       verbergen sich G ­ arderoben
perforierenden Rundfenster.       und ­Toilettenräume. Diese
                                  dient gleichzeitig als hoher
Die Hauptrolle jedoch spielt      massiver, durch Lisenen
die transparente Fassade des      gegliederter Sockel, über
Corps-de-Logis. Schlanke          denen sich eine Säulenreihe
Stützen führen hoch hinauf bis    mit dazwischen geschobe-
zu einem schmalen horizon-        nem Geländer erhebt. Sie
talen Wandstreifen unter dem      begrenzen die „Ehrengalerie“
auskragenden Dachgebälk           im Obergeschoss, das auf der
und geben den Teilungsrhyth-      Ebene des Gartens liegt, und
mus der Glaswand vor. Als         öffnen und schließen diese
moderne Interpretation einer      Empfangszone. Dem engen
Kolossalordnung, erinnert sei     Raster der Stützen in der
an die Louvre-Kolonnaden von      transparenten Außenwand
Perrault, symbolisiert sie die    der Vorhalle antworten weit
politische Bedeutung einer Bot-   auseinander stehende Säulen
schaft, die Kultur und Macht      als gefühlter, jedoch keines-
des Heimatlandes nicht mehr       wegs trennender, da durch-
demonstrativ, dennoch aber        lässiger Abschluss. In diese      Raumteiler und Wandgestaltung
verschleiert zur Schau stellt.    über zwei Ebenen fließende        von Boris Kleint im Casino

                                                                                                    22
23
Raumeinheit schiebt sich
als grandioser Auftakt eine
raumbreite Treppe mit weißen
Marmorstufen, beidseitig
begleitet von einem massiven
Geländer aus dem Wand-
material. Ein umlaufendes
Band aus farbig abgesetztem
Marmor fasst die Wangen ein.
Den Handlauf formen schlich-
te eng nebeneinander stehen-
de Baluster. Dieses Motiv setzt
sich im Geländer der Galerie
fort. Wieder nutzt Pingusson
ein traditionelles Architektur-
motiv, übersetzt in die klare
Sprache der Moderne. Von
oben können Ankommende
gesehen werden, wenn sie
hinauf schreiten in zunehmen-
de Weite und immer stärkere
und intensivere Lichterfülle.
Jetzt entdeckt der Besucher
auch eine zweite parallele
Säulenreihe, die Galerie über-
nimmt die Rolle eines Foyers
oder Wandelganges vor den
Repräsentationsräumen. In
einer Enfilade folgen auf­
einander: der langgestreckte
Speisesaal im Osten, der
mittlere, größte Saal und im
Westen der Salon mit einer
kleinen, in einer Klappwand
versteckten Bühne.
Klappwände trennen die
einzelnen Räume voneinan-
der, so dass sie sich zu einem
einzigen großen Festsaal
vereinen lassen.

Arbeitszimmer des Botschafters
aktueller Zustand

                                 24
Ebenfalls fügen sich Wand­
elemente zu einer beweg-
lichen Längswand, die,
zusammengeschoben, eine
geschlossene, auch optische
Grenze bilden. Aber geöffnet
fällt der Blick auf die trans-
parente Außenwand und
weiter hinaus in den ­Garten,
die Wirkung von Weite
und Lichterfülle steigernd.
Sind schließlich auch noch
die Querwände zusammen
geklappt, steht der Besucher
in einem lichtdurchfluteten
Raumkontinuum von höchster
Flexibilität und beeindrucken-
der Transparenz, das in seiner
Abfolge von Vorhalle, Ehren-
galerie und Empfangsräumen
protokollgerecht genutzt wer-
den konnte. Dieser Eindruck
bietet sich uns Heutigen.

Die Differenzierung der
Räume lässt sich auch an
Details ablesen, etwa dem
Wechsel im Fußbodenbelag:
Marmorplatten mit einem
sparsam verteilten Muster aus
kleinen Dreiecken gehen über
in dunkles, in diagonalem
Schachbrettmuster verlegtes
Parkett.

Eine raffinierte, von Pingusson
für diesen Bau entwickelte
künstliche Deckenbeleuch-
tung verstärkt den vornehm-
eleganten, großzügigen
Raumeindruck.

Wanddgliederung im Foyer

25
Große runde Deckenleuchten,            auch den Raumeindruck. Die
von kleinen Rundstrahlern wie          Ausstattung ging verloren,
Satelliten umgeben, beto-              aber das Farbkonzept wird be-
nen die Längsrichtung von              schrieben: „braune Fell- und
Vorhalle und Ehrengalerie,             graue Wollteppiche, senfgelbe
während in den Gesellschafts-          Lehnsessel, einen Couch-
räumen eine Leucht- und                tisch aus Birnbaumholz mit
Akustikdecke überrascht. Das           teilweise grauer Lackierung,
Stakkato herabhängender                sowie graue Sessel mit bunten
Platten aus einem schalldäm-           Kissen dekoriert.“ 10
menden Material rhythmisiert
die Raumrichtung. Auf die              Aus der Ebene der Gesell-
Stützen in der Fensterwand             schaftsräume führt die Treppe
werfen die gebündelten Stäbe           in einem zweiten kürzeren
der Wandlampen ihr Licht.              Lauf hinauf in den Botschaf-
                                       terflügel. Hier glänzte das Ar-
Die Stirnwände der Vorhalle            beitszimmer des Botschafters
schmücken kostbare Wand­               mit wertvoller Ausgestaltung,
tapisserien von François Arnal.        entworfen von dem Pariser
Mit der Inneneinrichtung               Künstler Raphael: die Wände
­wurde nicht Pingusson, der            verkleidet mit Marmorplatten
 diese Aufgabe gerne über-             und honigfarbenem Lack-
 nommen hätte, sondern sein            furnier, ein Schreibtisch aus
 UAM-Freund Jacques Dumand             Buchenholz und ein dazu
 von Grandval beauftragt. Sie          passendes Sideboard, ein
 verkörpert trotz einer formal         Besprechungstisch mit Alumi-
 sachlichen Formensprache den          niumgestell und Glasplatte.
 Luxus französischer Innen-            Einiges davon ist erhalten.
 raumgestaltung. Auf dicken
 Teppichen sind einzelne               Die Enfilade der Repräsenta-
 Sitzgruppen im Raum verteilt.         tionsräume setzt sich fort mit
 Jedes der unterschiedlich             den privaten Gesellschafts-
 gestalteten Sitzmöbel, jeder          räumen des Botschafters,
 Tisch oder die Bar sind ein           nachdem zunächst eine
 Unikat und noch handwerk-             kleine ­Halle beide Bereiche
 lich hergestellt, während             ­voneinander trennt. Auf das
 der von der französischen              ganz in Holz ausgekleide-
 wie deutschen Avantgarde               te Speisezimmer folgt der
 durchgesetzte Trend bereits            Salon, erst danach beginnt
 zu industriell, in Serie fabrizier-    die eigentliche Privatsphäre.
 ten Möbeln gegangen war.               Eine hölzerne Treppe mit
 Vor der Fensterwand hingen             schmiedeeisernem Geländer
 Vorhänge und verhinderten              führt hinauf in die obere
 den Einblick aber veränderten          Etage mit dem Rauchsalon,

                                                                         26
Eingang zum Verwaltungsgebäude,
Fenster von Karl Heinz Grünewald, 1962
Hall d‘honneur, Wandteppich von
François Arnal, 1954

27
28
dem privaten Arbeitszimmer         Anmerkungen
     des Botschafters und den            1 s . Marlen Dittmann: www.kuenst-
     Schlafräumen.                         lerlexikon-saar.de/Pingusson
     In die kostbar mit Leder            2V
                                           gl. L‘Architecture d`Aujourd`hui,
     ausgekleideten Wände des              1953, S. 82
     Arbeitszimmers sind Bücher-         3 Z itiert nach: Simon Texier:
     schränke und Rundfunkgeräte           ­Georges-Henri Pingusson.
     eingebaut. Dieser Teil der            ­Architecte, 1894-1978. Editions
     Botschaft ist heute umfunkti-         Verdier, Paris 2006, S. 222
     oniert zu Büroräumen, doch          4 P rojet descriptif de la construction.
     nach wie vor in seinem Cha-           46 IFA 30/298, Archives nationa-
     rakter bewahrt.                       les/Institut français d‘architecture,
                                           Archives d‘architecture du XXe
     Le Corbusier und Pingusson,           siècle, Paris
     Zeit- und Weggefährten,             5 Zitiert nach Texier, S. 220
     blieben zeitlebens einem            6 J o Enzweiler (Hg.): Kunst im öffent-
     funktionalen Bauen verhaftet.         lichen Raum. Saarbrücken Bezirk
     Doch während Le Corbusier             Mitte. Saarbrücken 1997, S. 183
     begann, aus dem starren             7A
                                           nne Katrin Haufe-Wadle:
     Beton organische Formen zu            ­Repräsentation zwischen
     gießen, gewann Pingusson              ­Funktionalismus und Poesie.
     die Poesie seiner Bauten aus          Zur ­Architektur der ehemaligen
     der künstlerischen Freiheit,          ­„Ambassade de France“ von
     architektonische Zwänge zu            Georges-Henri Pingusson.
     überspielen. Betrachtet man           In: Saar-Geschichten 2006,
     das scheinbar so rationale            Heft 2, S. 10
     Gesamtgefüge des Botschafts­          s. a. Anne Katrin Wadle:Die
     ensembles genauer, entdeckt           ‚Ambassade de France‘ an der Saar
     man überall die raffinierten          von Georges-Henry Pingusson.
     Abweichungen von der Regel,           Unveröffentlichte ­Magisterarbeit,
     die Beachtung der Angemes-            Universität des Saarlandes,
     senheit, auch den Rückgriff           ­Saarbrücken 1995
     auf traditionelle Wurzeln und       8D
                                           er Neubau der französischen
     Bezüge und das meisterliche           Botschaft in Saarbrücken. In: Natur
     Können, jeder Funktion die            und Technik. Zeitschrift für Kunst,
     ihr gemäße Aussagekraft zu            Naturwissenschaft, Technik,
     verleihen, um daraus ein har-         Heft 4, 1955, S. 57
     monisch aufeinander bezoge-         9 E nzweiler (Hg.) 1997, S. 206
     nes untrennbares Ganzes, ein       10 Haufe-Wadle 2006, S. 11
     Gesamtkunstwerk zu formen.

     Foyer des Repräsentationsblocks,
     Treppenaufgang

29
Die Französische Botschaft   Sieben Hochhäuser sah die
und der Aufbauplan von       städtebauliche Planung des
Georges-Henri Pingusson      französischen Architekten
für Saarbrücken              ­Georges-Henri Pingusson im
                              Bereich des Saarufers von Alt-
Dietmar Kolling               Saarbrücken vor, in Doppel­
                              reihe, streng in Ost-West-
                              Richtung, mit der Hauptfassade
                              nach ­Süden hin orientiert,
                              jeweils etwa 12 ­Geschosse
                              hoch. Die geplanten Hoch­
                              haus-Scheiben ­entsprachen der
                             Idee der „Unité d’Habitation“
                             (Wohneinheit), welche etwa zur
                             gleichen Zeit von dem Architek-
                             ten Le Corbusier in Marseille
                             geplant und gebaut wurde
                             (1946-52). Pingusson und Le
                             Corbusier waren befreundete
                             Architekten, tauschten sich
                             bezüglich ihrer beruflichen Auf-
                             fassungen gegenseitig aus und
                             nahmen beide an den „Congrès
                             Internationaux d’Architecture
                             Moderne“ teil. Gebaut wurde
                             nur eines dieser Scheiben-
                             Hochhäuser, allerdings nicht,
                             wie ursprünglich gedacht, als
                             Wohngebäude, sondern als
                             „Ambassade“ für den franzö-
                             sischen Botschafter im neuen
                             Saarstaat, Gilbert Grandval.

                             Geschichtlicher Hintergrund

                             Nach der Kapitulation der
                             ­deutschen Wehrmacht am
                              8. Mai 1945 und der sich
                              anschließenden Übernahme
                              der besatzungsgemäßen
                              ­Verwaltung des Saarlandes

                                                           30
durch Frankreich, rief der einge-      wirtschaftlichen Ressourcen            Wie sehr das Denken über
setzte französische Gouverneur         des Saarlandes, Verewigung             das moderne Bauen in der
Gilbert Grandval zahlreiche            des Bandes, welches das Saar-          Avantgarde der beiden
französische Architekten ins           land an Frankreich knüpfte“. 1         Länder Deutschland und
Saarland, um bei der Planung                                                  Frankreich noch bis Anfang
des Wiederaufbaus, vor allem           Grandval gründete gleich zu            der 1930er Jahre verknüpft
der stark zerstörten Städte            Beginn seines Gouvernements            war (auch Walter Gropius
Saarbrücken, Neunkirchen und           eine Abteilung „Wiederaufbau           war seit seiner Gründung
Saarlouis mitzuwirken.                 und Stadtplanung“ innerhalb            regelmäßiger Teilnehmer der
                                       der Militärregierung und               CIAM, er war ihr Vizepräsi-
Hierbei stand ihm der franzö-          nutzte seine Verbindungen              dent von 1929-57) 3, belegen
sische Designer und Metall­            zu Prouvé, der ihm Empfeh-             zum Beispiel diese Gebäude:
konstrukteur Jean Prouvé               lungen für die Besetzung der           das bereits 1929-32 von
zur Seite, den Grandval aus            zu schaffenden Stellen gab.            Pingusson errichtete Hotel
der Zeit des französischen             Alle daraufhin angeworbenen            Latitude 43 in St. Tropez oder
­Widerstandes, genauer aus             französischen Architekten              das etwa zur gleichen Zeit
 der Bewegung „Ceux de la              kamen aus dem Umfeld Le                durch Le Corbusier erbaute
 Résistance“ kannte. Prouvé            Corbusiers, gehörten der               Zentrosojus-Gebäude in
 hatte ihn mit den Ideen der           1929 gegründeten „Union des            Moskau.
 modernen Architektur und              Artistes Modernes“ (UAM) an
 des Städtebaus bekannt                und hatten an den „Congrès             Beide Projekte spiegeln in
 gemacht und Grandval                  Internationaux d’Architecture          ihrer Erscheinung den Einfluss
 glaubte, mit den Mitteln des          Moderne“ (CIAM) teilgenom-             des avantgardistischen Bauens
 funktionalistischen Städtebaus        men. Neben Marcel Roux,                der 1920er Jahre in Deutsch-
 seine (erklärten!) Besatzungs-        Edouard Menkès, André Sive,            land (Erich Mendelsohn, Thilo
 ziele umsetzen zu können:             Jean Mougenot, Pierre ­Lefèvre,        Schoder) und insbesondere
 „Auslöschung des preußi-              René Herbst u. a. war dies             des Bauhauses (Walter ­Gropius,
 schen Geistes, Nutzung der            Georges-Henri Pingusson. 2             Mies van der Rohe) wider.

Exkurs 1                               der Gesellschaft fest und betonen      zu bringen mit den großen Aufgaben
CIAM 1928                              hierbei im einzelnen, dass sie unter   der Zeit und den großen Zielen der
Aus der Erklärung von                  Bauen eine ganz elementare Tätigkeit   Gesellschaft, der sie ­angehören, und
La Sarraz (Schweiz)                    des Menschen verstehen, die in         ihre Werke danach zu gestalten… .
Die unterzeichneten Architekten        ihrem ganzen Umfang und in ihrer       Sie haben deshalb ­beschlossen, sich
stellen unter sich eine grundlegende   ganzen Tiefe an der gestalterischen    in Zukunft über die Grenzen ihrer
Übereinstimmung ihrer Auffas-          Entfaltung unseres ­Lebens beteiligt   Länder hinaus gegenseitig in ihren
sungen vom Bauen sowie ihrer           ist. Die Aufgabe der Architekten ist   Arbeiten zu unterstützen. 4
beruflichen Verpflichtung gegenüber    es deshalb, sich in Übereinstimmung

31
(je 1200 Exemplare), eine Bro-
                                 Schwierigkeiten auf                    schüre mit den Resultaten der
                                 dem Weg zur Moderne                    französischen Planungen für
                                                                        das ganze Saarland.8 Teil dieser
                                                                        Veröffentlichungen waren sehr
                                  Der Einsatz der Architekten           anschauliche Modellfotografi-
                                  und Städteplaner im Saar-             en, welche die Vorschläge aus
                                  land wurde von Grandval               der Vogelperspektive zeigten.
                                  genau festgelegt. Pingusson           Das zugrunde liegende Modell
                                  sicherte sich den Löwenan-            der Planung, das vor allem der
                                  teil mit dem Bebauungsplan            Information der Bevölkerung
                                  für den ­Wiederaufbau von             dienen sollte, wurde nicht
                                  ­Saarbrücken. Menkès über-            etwa im Planungsamt der Stadt
                                   nahm den von Saarlouis,              ­Saarbrücken gefertigt, sondern
                                   ­Lefèvre jenen des Industrie­         von Studenten des (von den
                                    gebiets von Neunkirchen.             Franzosen) neu gegründe-
Paul Colin, Union des Artistes      Sive und Roux wurden beauf-          ten „Centre de métiers d‘art
­Modernes (UAM),                    tragt, den Regionalplan des          sarrois“ (Staatliche Schule für
Ausstellungsplakat 1930             ­Saarlandes zu erarbeiten. 5         Kunst und Handwerk), wobei
                                     Innerhalb eines Jahres, aller-      der Direktor Henry Gowa9 und
                                     dings mit einigen späteren         der Leiter der Klasse Architektur
                                     ­Anpassungen und Änderun-          Gabriel ­Guévrékian10 besondere
                                      gen, wurde der Aufbau-Plan         Unterstützung leisteten.
                                      für ­Saarbrücken von ­Pingusson    Die deutschen Kollegen im
                                      erstellt.6 Doch ­außer bei Otto    städtischen Planungsamt
                                 Renner, ­Architekt, Herausgeber         formierten sich aber – je länger
                                 und Redakteur der anspruchs-            das Kriegsende zurücklag und
                                 vollen „Bau Zeitschrift wohnen,         die politischen Verhältnisse sich
                                 arbeiten, sich erholen“ (sie er-        änderten – in zunehmender
                                 schien nur in drei Ausgaben in          Opposition. Vor allem Stadt-
                                 ­Saarbrücken), fand das planeri-        baudirektor Wilhelm ­Feien 11
                                  sche Resultat bei den ansässi-        und Oberbaurat Karl Cartal 12
                                  gen Fachleuten und ­Architekten       entwickelten sich zu Wider-
                                  kaum Interesse und insbe-             sachern der französischen
                                  sondere bei den deutschen             Initiativen. Schnell klärten sich
                                  Fachplanern in den Behörden           die Fronten: Pingusson stand
                                  wenig Anerkennung. Renner             für den Städtebau von mor-
                                  veröffentlichte die Ergebnisse        gen, Feien und Cartal waren
                                  in „Bau Zeitschrift“ Nr. 1 und        die Beschützer des Bestandes.
                                  die Franzosen selbst in der Zeit-     Pingusson sah angesichts der
                                  schrift „Urbanisme“ 7. Gleich-        weitgehenden Zerstörung der
                                  zeitig erschien in deutscher          Stadt die Chance, diese für die
                                  und in französischer Sprache,         Aufgaben der Zukunft zu kon-
                                  allerdings in geringer Auflage        ditionieren, seine ­Widersacher

                                                                                                       32
reagierten auf die Herausforde-   Hatte sich Pingusson bei seiner
rungen überaus pragmatisch,       Entwurfsarbeit in die akute Not
sie erinnerten an die erst vor    und die unmittelbaren existen-
wenigen Jahren neu verlegten      ziellen Sorgen aber auch in den
Abwasserkanäle und Versor-        unbändigen Wiederaufbauwillen
gungsleitungen und lehnten        der Bevölkerung hineingedacht?
neue, abweichende Stra-           Vermutlich schon. Doch der
ßentrassen alleine schon aus      ­Widerstreit zwischen den Interes-
ökonomischen Gründen ab.           sen und Nöten Einzelner und der
Natürlich ging es dabei auch,      Umsetzung eines am Gemein-
wenn auch nicht ausgespro-         wohl orientierten Plans für den
chen, um die bis zum heutigen      Aufbau einer ­zukunftsfähigen
Tag gestellte Frage was besser     Stadt war ohne die Mittel der
sei: „sich beim Wiederaufbau       Aufklärung (Presse) und eines
der Stadt an die alte anzuleh-     großzügigen materiellen Aus-        Titelblatt der Zeitschrift „Urbanisme“,
nen oder das nie Dagewesene,       gleichs nicht lösbar.               16. Jg., Paris 1947, Nr. 115, Themen-
allenfalls kühn Geträumte zu       In der konkreten Praxis war         heft zum Wiederaufbau an der Saar
verwirklichen“. 13                 – trotz gegenteiliger Beteue-
                                   rungen – die Unterstützung für
                                   die Ideen Pingussons durch die
                                   deutschen Kollegen aus den
Zur Soziologie der                 Fachämtern eher gering. Auch
Planungsentscheidungen             ein gewisses Konkurrenzden-
                                   ken ist nachweisbar. An einer
                                   Aufklärung und Beteiligung der
Es lag in der Natur der Sache,     Bürger am Planungsgeschehen,
dass die unterschiedlichen         beispielsweise durch Veröffent­
beruflichen und gesellschaft-      lichung der Pläne, bestand
lichen Rollen zu unterschied­      seitens des städtischen Wie-
lichen Positionen bzw. Ver­        deraufbauamtes zu Beginn des
haltens­mustern zwangen.           Jahres 1947, nach Vorlage der
Das Elend der ausgebombten         ersten Pläne kein Interesse. Eine
Menschen, die zu Tausenden         entsprechende Anfrage des
in ­Behelfsunterkünften (meist     Stadtamtes IV A/5 beispielswei-
Kellerräumen) hausten, ließen      se, die Pläne und vorhandenen
den unmittelbar für den Wie-       ­Modelle über den Wiederauf-
deraufbau Verantwortlichen          bau der Öffentlichkeit zugäng-
(Pingusson bezeichnete Cartal       lich zu machen, beantwortete       Titelblatt der „Bau Zeitschrift –
als die „Exekutive“) kaum Zeit      Oberbaurat Cartal abschlägig.14    ­wohnen, arbeiten, sich erholen“,
zur Entwicklung eigener städte-     Soweit die Saarbrücker Bürger      1. Jg., Saarbrücken 1947, Heft 1,
baulicher Visionen, geschweige      aber doch durch die Presse         mit Beiträgen über den internationa-
denn dazu die Visionen anderer      zum Thema Pingusson-Pläne          len modernen Städtebau und ­
richtig zu bewerten und ent-        informiert wurden, reagierten      die Planungen für den Wiederaufbau
sprechend einzuordnen.              sie mehrheitlich ablehnend.        an der Saar

33
Dies vorweg: Wie sähe
Saarbrücken wohl aus, ­wären
die Vorschläge Pingus-
sons ­umgesetzt worden?
Nun, ­Saarbrücken wäre
heute in einigen Bereichen
­möglicherweise attraktiver, in
 jedem Fall verkehrstechnisch
 besser erschlossen, damit zu-
 kunftsfähiger. Es gäbe keine
 Stadtautobahn am Ufer der
 Saar und keine Hochhäuser
 auf den umliegenden Hügeln,
 stattdessen einige wenige
 Wohn-Hochhausscheiben in
 ­Tal-Lage. Die Stadt hätte mit
  dem Bau einer U-Bahn be-
  gonnen (unter der Trierer- und
  der Bahnhofstraße) und einen
  Bateau-Bus-Verkehr auf der
  Saar. Es gäbe ein attraktives
  Stadtzentrum (im ­Bereich des
  ehemaligen Kohlehafens) und
  viele Grün- und Parkanlagen,
  die Messe läge an geeigneter
  Stelle und das Regierungsvier-
  tel an einem repräsentativen,
  zentralen Ort, die Fußgänger-
  zone am St. Johanner Markt
  wäre schon 30 Jahre früher
  eingerichtet worden, die
  Umgehungsstraße durch das
  Deutschmühlental zusammen        Aufbau­projekt von Georges-Henri
  mit der Schanzenberg-Brücke      ­Pingusson für Saarbrücken,
  nach Malstatt und Burbach        Skizze: neues Regierungsviertel (links),
  wären längst gebaut. Um          geplante Wohnhochhäuser (rechts)
  Saarbrücken herum gäbe es
  einen Autobahnring in Form
  von Tangenten...

                                                                        34
Aufbau­projekt von Georges-Henri   S. 36/37: Aufbau­projekt von
Pingusson für Saarbrücken,         Georges-Henri Pingusson für
Skizze: Nord-Süd-Achse mit         ­Saarbrücken, Städtebauliches Modell,
­kreuzungsfreiem Straßenverlauf    Blick von Ost nach West

35
36
37
Hauses Zastrostraße 2 auf dem
Der alltägliche Konflikt          Punkt sind, in Angriffe genom-
                                  men zu werden. Ich muss Sie
                                  darauf aufmerksam machen,
Die Auffassungen der deut-        dass, wenn diese ­Arbeiten
schen Architekten und des         ohne die Genehmigung
französischen Chefplaners         du Gouvernement Militaire
Pingusson klafften demnach        ausgeführt werden, ich ... das
gewaltig auseinander. Ein         Bauamt verantwortlich mache
Schreiben der Verwaltungs-        und mir alle Konsequenzen,
kommission des Saarlandes         die eine derartige Initiative in
für Wirtschaft und Verkehr        sich birgt, vorbehalte“ 16. Der
vom 21. Juli 1947 an die Abt.     Wiederaufbau des Gebäudes
Städtebau und Wiederaufbau        stand den Neuplanungen
(Reconstruction et Urbanisme)     Pingussons entgegen.
erzählt viel über die Art des
Mit- bzw. Gegeneinanders:
„Hochverehrter Herr Directeur!
Ich habe die Ehre, Ihnen in       Vision eines Stadtumbaus
Abschrift den Bericht der Stadt   nach den Prinzipien der
Saarbrücken betreffend die Un-    „Charta von Athen“
terbringung von 100 Familien,
die sich z. Zt. in Elendsunter-
künften befinden, zu unter-       Pingusson, im Innersten von
breiten. Die Stadt Saarbrücken    seinen Ideen eines humanen
schlägt vor, diese Familien       Städtebaus überzeugt, hatte
anstatt in Holzbaracken, in       die Erwartung, dass sich die
von ihr angegebenen, instand      Saarbrücker Bevölkerung für
zusetzenden Gebäuden              seine Vorschläge begeistern
noch vor Eintritt des Winters     würde. Da die Kernstadt
unterzubringen, wenn ihr die      durch den Bombenkrieg sehr
angegebenen Baustoffe sofort      stark zerstört war, sah er sich
zugeteilt werden könnten.         legitimiert, in freier Entfaltung
Die Instandsetzungen würden       seiner fachlichen Fähigkeiten,
auf Kosten der Gebäude­           die modernen Städtebautheo-
eigentümer erfolgen“. 15 Doch     rien ohne Rücksicht etwa auf
an einem der aufgelisteten        gegebene Parzellenstrukturen
Gebäude war es bereits zu         oder Eigentumsverhältnisse
Bautätigkeiten gekommen,          umzusetzen. Doch im Den-
welche Pingusson zu ­einer        ken der Menschen war für
Aktennotiz für „Herrn Cartal“     Zukunftsvisionen kein Platz.
veranlassten: „Es ist mir         Sie hatten andere Sorgen.
bekannt geworden, dass die        Das wichtigste war ihnen ein
Wiederaufbauarbeiten des          Dach über dem Kopf sowie

                                                                38
das bisschen Besitz, das ihnen          (etwas ähnliches hat beispiels-          anonym verbreiteten Schrift
vielleicht geblieben war, die           weise im britischen Sektor               wurden diese Thesen für ein
kleine Parzelle mit einer Ruine,        Deutschlands, nämlich in                 größeres Publikum erstmalig
vor einer eventuellen Enteig-           Hamburg mit einer sehr ähn-              öffentlich gemacht.
nung zu retten. Sie wollten             lichen Hochhausstruktur wie
das Häuschen, so wie es frü-            sie Pingussons Plan vorsah,              In der These Nr. 77 heißt es:
her einmal ausgesehen hatte,            fast problemlos funktioniert) 17,        „die Schlüssel zum Städte­
schnell wieder aufbauen. Und            sondern er wollte die Um-                bau liegen in folgenden
keinesfalls wollten sie in eine         wandlung, die völlige Überfor-           vier Funktionen: wohnen,
12-stöckige „Wohnmaschine“,             mung der vorhandenen Stadt,              arbeiten, sich erholen, sich
wie die Wohnhochhäuser                  er wollte die „funktionelle“             bewegen (Verkehr)“ und in
damals auch genannt wurden,             Stadt. Das war nach den                  der These 78 heißt es weiter:
ziehen, um dort zu leben.               Theorien der europäischen                „die Planungen werden
                                        Architektur-Avantgarde die               die Struktur jedes den vier
Pingussons Irrtum war es, ein           Stadt, welche den Prinzipi-              ­Schlüsselfunktionen zuge-
Stadtgebiet, wenn auch ein              en der „Charta von Athen“                 wiesenen Viertels bestim-
zerstörtes, also eine Trümmer-          folgte. Diese Resolution des              men, und sie werden deren
landschaft, zu bewerten wie             Kongresses CIAM IV – welcher              entsprechende Lokalisierung
unbesiedeltes Terrain, wie die          1933 an Bord der Patris II auf            innerhalb des Ganzen fixie-
„grüne Wiese“, wo man frei              dem Weg von Marseille nach                ren“. 18 Es ist die Geburt des
und ohne Rücksichten hätte              Athen durchgeführt wur-                   „funktionellen Städtebaus“,
walten können. Was er wollte,           de – formulierte in zahlrei-              von den meisten Architekten
war nicht die „Trabanten-               chen Thesen städtebauliche                (etwas verkürzt) als Auffor-
stadt“ draußen, außerhalb der           Zielsetzungen. In einer von Le            derung verstanden, die vier
alten, in ihrer Struktur noch           Corbusier während der deut-               „Schlüsselfunktionen“ stadt-
bestehenden Stadtlandschaft             schen Besatzungszeit in Paris             räumlich zu separieren.

Exkurs 2                                existent gewesen. Die Überschrift der    Stadtplanung – veröffentlichte. Daher
Zum Begriff Charta von Athen            Resolution des Kongresses von 1933       weiche sie in mehreren Punkten von
Der Initiant des 1968 an der ETH        habe „Die funktionelle Stadt – Fest-     der Originalfassung ab. Hierzu gehöre
Zürich gegründeten „CIAM-Archiv“,       stellungen und Richtlinien“ gelautet.    auch der Vorwurf, die Charta fordere
Alfred Roth sah sich 1979 zu einer      Der Begriff „Charta von Athen“ sei       „eine absolute Trennung der Funkti-
Klarstellung des Begriffs „Charta von   eine typische Kreation von Le Corbu-     onen“. Tatsächlich habe aber keine
Athen“ veranlasst. Roth, selbst Mit-    sier gewesen, der die Athener Reso-      Absicht bestanden, diese Funktionen
glied der „Internationalen Kongresse    lutionen unter diesem Titel im Pariser   (Wohnen, Erholen, Arbeiten, Verkehr)
für neues Bauen CIAM“, stellt es        Verlag Plon in französischer Sprache     beim Aufbau oder Rekonstruktion von
folgendermaßen dar: Der Begriff sei     – allerdings bei Einbringung seiner      Städten zu trennen. (Schreiben von
im Jahre 1933 und auch später nicht     sehr persönlichen Auffassungen über      Roth an die „Bauwelt“)19

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