Geschichte des Kindergartens in Bayern - Bayerisches Staatsministerium für Arbeit und Sozialordnung, Familie und Frauen Familie und Jugend Von der ...

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Geschichte des Kindergartens in Bayern - Bayerisches Staatsministerium für Arbeit und Sozialordnung, Familie und Frauen Familie und Jugend Von der ...
Bayerisches Staatsministerium für
     Arbeit und Sozialordnung, Familie und Frauen

                            Familie und Jugend

        Geschichte des
Kindergartens in Bayern
                      Von der Bewahranstalt zur
                   modernen Bildungseinrichtung
Geschichte des Kindergartens in Bayern - Bayerisches Staatsministerium für Arbeit und Sozialordnung, Familie und Frauen Familie und Jugend Von der ...
Geschichte des
Kindergartens in Bayern
        Von der Bewahranstalt zur
     modernen Bildungseinrichtung
Geschichte des Kindergartens in Bayern - Bayerisches Staatsministerium für Arbeit und Sozialordnung, Familie und Frauen Familie und Jugend Von der ...
Vorwort

                                                  der Bayerische Bildungs- und Erziehungs-
                                                  plan für Kinder in Tageseinrichtungen
                                                  bis zur Einschulung aus dem Jahr 2005
                                                  unterstreicht die hohe Bedeutung früh-
                                                  kindlicher Bildung für den Prozess des
                                                  lebenslangen Lernens und des kindlichen
                                                  Spiels als pädagogisches Prinzip.

                                                  Die zweite Konstante lässt sich mit „Ver-
                                                  einbarkeit von Familie und Erwerbstä-
                                                  tigkeit“ überschreiben. In der Zeit der
    Kindertageseinrichtungen sind ein Spie-       Frühindustrialisierung mussten auch
    gel ihrer Zeit: Dies gilt von den ersten      Mütter erstmals zum Lebensunterhalt
    Anfängen – den sog. Kleinkinderbewahr-        der Familien mit bezahlter Arbeit beitra-
    anstalten in den 30er Jahren des 19.          gen. Ihre Kinder wurden in so genannten
    Jahrhunderts – bis hin zu den Kinderta-       Kinderbewahranstalten beaufsichtigt. In
    geseinrichtungen als Bildungseinrich-         den 50er und 60er Jahren des 20. Jahr-
    tungen nach dem Bayerischen Kinderbil-        hunderts ließ die zunehmende Erwerbs-
    dungs- und -betreuungsgesetz unserer          tätigkeit von Frauen die Nachfrage an
    Tage. Dabei fällt auf, dass sich drei         Kindergartenplätzen stark ansteigen. In
    Konstanten wie ein roter Faden durch die      Deutschland sind heute 64 Prozent aller
    Geschichte des Kindergartens ziehen:          Mütter erwerbstätig. In Bayern liegt
    So wurden die Kindergärten in Bayern          dieser Wert sogar bei 68 Prozent.
    stets – wenn auch mit unterschiedlicher
    Akzentuierung – als Einrichtungen zur         Eine weitere Konstante ist schließlich das
    Bildung und Erziehung der Kinder vor          hohe Engagement der freien Wohlfahrts-
    der Einschulung angesehen und deutlich        pflege, das auf dem Subsidiaritätsprinzip
    zum Unterricht in der Schule abgegrenzt.      basiert und zu einer bunten Vielfalt der
    Schon König Ludwig I. von Bayern be-          Kindergärten beigetragen hat. Der freien
    tonte zur Errichtung der ersten so genann-    Wohlfahrt, aber auch den bayerischen
    ten „Kleinkinderschule“ in München:           Städten und Gemeinden, den pädago-
    „Die Sache finde ich gut, nur soll in dieser   gischen Kräften sowie engagierten Eltern
    Schule noch gar kein Unterricht, sondern      ist es zu verdanken, dass in einer fast
    bloß Erziehung zur Frömmigkeit, zur           zweihundertjährigen Entwicklung die Kin-
    Reinlichkeit etc. sein, auch keine Arbeit,    dergärten zu einem anerkannten und von
    sondern jugendlicher Frohsinn (...).“ Auch    mehr als 99 Prozent der Kinder angenom-

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menen Bildungsangebot geworden sind.         den Einblick in die heutige Kindergarten-
Die bayerischen Kindergärten können          landschaft und einen kleinen Ausblick über
in ihrer wechselvollen Geschichte auf        mögliche Weiterentwicklungen zu geben.
viele Höhepunkte zurückschauen: Die
von König Ludwig I. 1839 genehmigten
„Bestimmungen, die die Einrichtungen
von Kinderbewahranstalten betreffen“
waren mit ihrer Anerkennung der Kinder-      Christa Stewens
gärten als eigenständige Einrichtung für     Bayerische Staatsministerin
Vorschulkinder ebenso ein Meilenstein        für Arbeit und Sozialordnung,
wie das Bayerische Kindergartengesetz        Familie und Frauen
von 1972, das den Bildungs- und Erzie-
hungsauftrag der Kindergärten erstmals
in aller Deutlichkeit hervorhebt. Ich bin
überzeugt, dass auch das Bayerische Kin-
derbildungs- und -betreuungsgesetz von
2005 und der im gleichen Jahr veröffent-
lichte Bayerische Bildungs- und Erzie-
hungsplan mit den normativen Bildungs-
und Erziehungszielen rückblickend als
ein weiterer großer Schritt in der Ent-
wicklung aller Kindertageseinrichtungen
zu Bildungseinrichtungen angesehen
werden. Unser Ansatz ist, die bildsamste
Zeit der Kinder zu ihrer optimalen För-
derung zu nutzen. Ob dies gelingt, hängt
maßgeblich davon ab, dass alle päda-
gogischen Kräfte in den Kindertages-
einrichtungen auch weiterhin mit voller
Kraft und Liebe ihrer Berufung nachge-
hen. Ihnen allen gebührt hierfür mein
aufrichtiger Dank.

Ziel dieser Broschüre ist es, die Ausstel-
lung „Geschichte des Kindergartens in
Bayern“ informativ zu begleiten sowie

                                                                                          5
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Inhaltsverzeichnis

    Anfänge der öffentlichen            8
    Kleinkindererziehung in Bayern

    Erste kommunale                    10
    Bewahranstalten in Bayern

    Die „Allgemeinen Bestimmungen“     12
    von 1839 und 1910

    Friedrich Fröbel                   14
    und der Kindergarten

    Der Münchener                      16
    Kindergartenverein

    Die Diskussion der Erziehungs-     18
    und Bildungsziele im
    19. Jahrhundert

    Zeit der Weimarer Republik:        20
    Von der Reichsschulkonferenz
    1920 bis 1933

    Der Kindergarten unter             22
    dem Nationalsozialismus

    Der Wiederaufbau                   24
    in der Nachkriegszeit

    Die Vorschulreform um 1970         25

    Neue Anforderungen                 28
    seit den 90er Jahren

    Die Ausbildung der Erzieherinnen   30

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Trägerschaft und Finanzierung    32

Statistische Entwicklung         34
in Bayern

Kindergarten und Schule          36

Das Bayerische Kinderbildungs-   38
und -betreuungsgesetz von 2005

Der Bildungs- und                40
Erziehungsplan 2005

Weiterführende Literatur         42

                                      7
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Die Anfänge der Außer-Haus-Betreuung

       Anfänge der öffentlichen
                                                     oder Winkelschulen. Auch reguläre Ele-
       Kleinkindererziehung in                       mentarschulen wurden von Kleinkindern
       Bayern                                        zusammen mit den älteren Geschwistern
                                                     besucht. Im Ursulinenkloster zu Straubing
                                                     ist bereits 1782 eine Vorbereitungsschule
       Kleinkinderschulen                            bekannt, die 80 Mädchen betreute.
       König Ludwig I. von Bayern genehmigte
       am 4. August 1833 die Einrichtung einer
       Kleinkinderschule in München. Die Sache          „In der ... Vorbereithungs-Schul [sind]
       sei gut, so schrieb er, nur solle in dieser   Mägdlein von 4 und 5 Jahren, die nur
       Schule noch kein Unterricht vorherrschen.     aufgenommen werden, damit sie ... vom
       Keine Arbeit, sondern jugendlicher Froh-      schädlichen Herumlaufen auf den Gassen,
       sinn sollte im Vordergrund stehen.            und von der schlechten Zucht der Kindes
                                                     Mägden bey zeiten weg genohmen, zur
                                                     Liebe zum Lernen angemuthet, und zu
          „Der Erteilung eines eigentlichen Unter-   den folgenden Schul-Klassen hergerichtet
       richts haben sich die Pfleger und Aufseher    werden.“
       … gänzlich und strenge zu enthalten …         Straubing, 1782 (siehe auch Seite 9 oben)
       und wenn es unbenommen bleiben mag,
       (die Kinder) im Zusammensetzen und
       Vergleichen von Buchstaben und Zahlen zu      Um die Mitte der 20er Jahre des 19.
       üben, so hat dieses doch in der Absicht zu    Jahrhunderts wurden erstmals die Auf-
       geschehen, das Auffassungs- und Anschau-      gaben und die gesellschaftspolitische
       ungsvermögen zu wecken, Sinn und Urteil       Wirksamkeit einer „Kleinkinderschule“
       zu schärfen, an geregelte Geistestätigkeit    systematisch diskutiert. Diese Diskus-
       und ruhiges Aufmerken zu gewöhnen             sion wurde in Deutschland entscheidend
       und auf diesem Wege die Kleinen auf           angestoßen durch Samuel Wilderspins
       die Benutzung der öffentlichen Schulen        Handbuch „Über die frühzeitige Erzie-
       vorzubereiten.“                               hung der Kinder und die englischen
       Allgemeine Bestimmungen 1839                  Klein-Kinder-Schulen“.

                                                     Unter dem Einfluss dieses Werkes schien
       Das königliche Wohlwollen hat maßgeb-         die Errichtung derartiger Anstalten ein
       lich zum raschen Ausbau der Einrichtun-       Heilmittel gegen die offenkundig wer-
       gen in Bayern beigetragen. Eine außer-        denden Probleme der Zeit.
       häusliche Betreuung von Kleinkindern im
       nichtschulpflichtigen Alter gab es bereits
       in Städten in Form von Warte-, Strick-

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In der Frühindustrialisierung nahm die
Armut in breiten Kreisen der Bevölkerung
zu. Mehr und mehr mussten Frauen und
auch Mütter zum Lebensunterhalt mit be-
zahlter Arbeit beitragen. Die unbeaufsich-
tigten Kinder drohten zu verwahrlosen.
Durch Beaufsichtigung und Bewahrung
                                                 Samuel Wilderspins Buch
sollten sie vor körperlicher und sittlicher      „Über die frühzeitige Erziehung der Kinder
Verwahrlosung geschützt und ihren                und die englischen Klein-Kinder-Schulen“

Raum in Wilderspins Kleinkinderschule, England

Müttern die Erwerbstätigkeit ermöglicht          In Bayern empfahl die Regierung
werden. Die Kinder wurden zu fügsamen            1832 und 1837 die Einrichtung von
Mitgliedern der Gesellschaft und für ein         Kleinkinderschulen.
Leben in Armut erzogen. Erziehung zu Ge-
horsam, Fleiß, Reinlichkeit, Pünktlichkeit       Die ersten Einrichtungen sind nach-
und Gottesfurcht standen im Mittelpunkt          weisbar 1831 in Nürnberg, 1832 in Ans-
der Arbeit in den Kleinkinderschulen.            bach, Burgfarnbach, Nürnberg, 1834
                                                 in Augsburg, Bayreuth, München (2),
                                                 1835 in Augsburg (2), 1836 in Nürnberg,
     „Die Achtung, die man ihnen von Kindes-     Schweinfurt, Würzburg, 1837 in Fürth,
beinen an für die bestehenden gesellschaft-      München, Aschaffenburg, Hof, Coburg,
lichen Verhältnisse einflößt; die ... unausge-   1839 in Bamberg.
setzte Subordination ... unter der sie stehen
... sind ebenso viele Schutzwehren gegen
Unzufriedenheit und Ungenügsamkeit“
Aus Wilderspin, 1826

                                                                                              9
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Unterricht, Arbeit und Spiel

        Erste kommunale
        Bewahranstalten in Bayern

        Die ersten kommunalen Anstalten Bayerns       Neben einem Überblick über die räum-
        wurden in Augsburg 1834 gegründet und         lichen und organisatorischen Notwen-
        von Johann Georg Wirth (1807 – 1851)          digkeiten erläuterte Wirth didaktische
        geleitet. Beeinflusst von praktischen Erfah-   Überlegungen zur Differenzierung der Be-
        rungen, veröffentlichte er 1838 ein erstes    schäftigungen, die er als Unterricht, Arbeit
        deutsches Handbuch zur Pädagogik der          und Spiel verstanden wissen wollte.
        Bewahranstalten.                              Zusätzlich bezog er Feste aus dem Jahres-
                                                      ablauf in die Arbeit mit ein sowie persön-
        Weitere Schriften, darunter ein „Mütter-      liche Ereignisse der Kinder. Geburtstage,
        buch“ und eine Bestandsaufnahme der           Krankheits- und Sterbefälle in der Familie
        ersten Einrichtungen in Deutschland,          wurden mit den Kindern besprochen. Das
        erschienen 1840.                              pädagogische Konzept Wirths, welches
                                                      auch die konkrete Betrachtung kindlicher
                                                      Lebensbedürfnisse und das Spiel in
                                                      den Mittelpunkt stellte, unterschied sich
                                                      grundlegend von den bisherigen Auffas-
                                                      sungen von Verwahrung und schulischen
                                                      Unterrichtsplänen und war vergleichs-
                                                      weise modern.

        Lieder aus der Bewahranstalt

   10
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Ein Bauspiel im
                                                                          Ratgeber für Mütter

Raum in Wilderspins Kleinkinderschule, England

   „Aus ihren Spielsachen, die den Kleinen       Wirth erkannte erstmals das Rollenspiel
überlassen werden, bilden sie eine Welt,         als eine eigene Welt des Kindes, die es zu
in der sie als die wichtigsten Bewohner          respektieren galt.
erscheinen. … Ihre ganze Tätigkeit ist eine
Übertragung dessen, was sie im wirklichen        Seine Ausführungen über die Bewahran-
Leben gesehen, gehört, erfahren haben, in        stalten hatten besonderen Einfluss auf die
ihre eigene Welt. Hier soll nun alles vorge-     Struktur der Bewahranstalten der „Armen
hen, wovon sie sich einen Begriff verschafft     Schulschwestern“. Um 1900 wurden 98
haben. Auch die Bewahranstalten mögen            von insgesamt 577 bayerischen Einrich-
nicht störend auf das kindliche Verlangen,       tungen von den „Armen Schulschwes-
spielen zu wollen, einwirken, sondern den        tern“ geleitet.
Sinn für das Spielen noch mehr beleben,
sogar die sämtlichen Übungen mehr spie-
lender als ernster Natur erscheinen lassen.“
Johann Georg Wirth, 1838

                                                                                                11
Erste gesetzliche Regelungen

       Die „Allgemeinen Bestim-
       mungen“ von 1839 und 1910

       Mit den „Allgemeinen Bestimmungen“        § 1 „Die Kleinkinderbewahranstalten sind,
       über die Errichtung und Beaufsichtigung        in so lange nicht anders verfügt wer-
       der Kleinkinderbewahranstalten unter           den wird, als Privatinstitute zu betrach-
       König Ludwig I. schuf Bayern 1839 als          ten und als solche den bestehenden
       erstes Land gesetzliche Regelungen für         Vorschriften gemäß zu behandeln. Es
       die Kinderbetreuung.                           ist jedoch zur Bildung einer solchen
                                                      Anstalt die obrigkeitliche Bewilligung
       Diese Bestimmungen galten 70 Jahre             erforderlich.
       unverändert und wurden erst 1910 not-          Ihre Einrichtung und Erhaltung ist
       dürftig an die veränderten Verhältnisse        allenthalben zu befördern, wo sich
       angepasst.                                     das Bedürfnis für sie kund gibt, wo die
                                                      erforderlichen Mittel dazu aufgebracht
       Die Richtlinien von 1910 sahen als neue        werden können, und wo sich gegen
       Aufgabe die Gesundheitserziehung vor           den Inhalt der zur Genehmigung
       und regelten eine verbesserte Raum-            vorzulegenden Statuten etwas Wesent-
       und Gruppengröße.                              liches nicht erinnern läßt.
                                                 § 2. Die erwähnten Anstalten sollen keinen
                                                      anderen Zweck haben, als den kleinen,
                                                      für die öffentlichen Schulen noch
                                                      nicht reifen Kindern Aufenthalt und
                                                      Pflege in der Art angedeihen zu las-
                                                      sen, wie solche von verständigen und
                                                      gewissenhaften Eltern zu gedeihlicher
                                                      Entwicklung geistiger und leiblicher
                                                      Kräfte für dieses zarte Jugendalter
                                                      gewährt zu werden pflegen. Auf diese
                                                      ihre Bestimmung sind sie allenthalben
                                                      zu beschränken, und es ist daher auch
                                                      nicht zu gestatten, daß ihnen der
                                                      noch hie und da übliche Name einer
                                                      Kleinkinderschule beigelegt oder, daß
                                                      den dabei beschäftigten Personen der
                                                      Titel eines Lehrers oder einer Lehrerin
                                                      verliehen werde …“

  12
Der § 4 macht deutlich, welche Funktion     § 4 „Da bei Weitem der größere Teil der
der öffentlichen Kleinkindererziehung als       in diese Anstalt aufgenommenen
einer Armenerziehung zugedacht war.             Kinder armen Eltern angehört, und für
                                                einen Stand erzogen werden soll, wel-
                                                cher vorzugsweise einen gesunden,
                                                kräftigen und gewandten Körper, Lust

                                                und Liebe zu anstrengender Arbeit
                                                und möglichste Beschränkung seiner
                                                Bedürfnisse zu seinem künftigen
                                                Einkommen und zu seinem äußeren
                                                Lebensglücke nötig hat: so muß in
                                                den Kleinkinderbewahranstalten alles
                                                sorgfältig vermieden werden, was
                                                nachteilig auf den Gesundheitszu-
                                                stand einwirkt (wie dieses nament-
                                                lich durch überheizte Lokalitäten
                                                geschieht), die Pfleglinge schwächt
                                                und verweichlicht, den Hang zum
                                                Wohlleben hervorruft und Bedürfnisse
                                                erzeugt, die in späteren Lebensjahren
                                                nicht mehr befriedigt werden können,
                                                und im Entbehrungsfalle leicht eine
                                                Quelle der Unzufriedenheit und des
                                                Unfriedens eröffnen dürften.“

                                                                                        13
Der Vater des Kindergartens

       Friedrich Fröbel und
       der Kindergarten

       Friedrich Wilhelm August Fröbel (1782
       – 1852) gilt als Vater des Kindergartens.
       Für Fröbel war Kindererziehung ein
       gemeinsames Werk von Familie und
       Kindergarten. Fröbel prägte den Begriff
       Kindergarten. Der Begriff drückt Fröbels
       romantische Vorstellung frühkindlicher
       Erziehung aus. Er sah die Hauptaufgabe
                                                                    Friedrich W. A. Fröbel, 1839
       des Kindergartens in der „allseitigen
       Pflege des Kinderlebens“, der Sinnes-
       schulung, der Ausbildung des Verstan-             „Das ,Ganze der entwickelnd erziehen-
       des, der motorischen Förderung, der            den Spielgaben‘ war eine Folge von altbe-
       Persönlichkeitsentwicklung und der             kannten und einigen neuen Spielzeugen,
       Vorbereitung auf die Schule.                   zurückgeführt auf eine mathematische
                                                      Ordnung: Regelmäßige Körper (Kugel,
                                                      Würfel, Kristallformen) – Flächen (Legeta-
           „Der Mensch ist ihm [Fröbel] ein gött-     feln, Papierquadrat) – Linien (Papierstreifen,
       liches Gewächs und der Erzieher der Gärt-      Holzstäbchen, Wollfaden) – Punkte (alles
       ner, der ihm Licht und Nahrung verschafft,     Einzelne wie Steinchen, Früchte, Sandkorn).
       das Wesentliche aber seinen Lebenskräf-        Im Zerteilen und Zusammenfügen ergaben
       ten überlässt. Aus dieser Weltanschauung       sich die üblichen Kinderspiele und Formen
       heraus stellt Fröbel die Selbsttätigkeit und   des schmückenden Hausfleißes (Perlenfä-
       besonders den natürlichen Darstellungs-        deln, Weben, Falten, Faltschnitt usw.). Diese
       trieb in den Mittelpunkt der Erziehung.“       Aufstellung war weniger eine methodische
       Albert Reble                                   Anleitung zur gelenkten Durchführung
                                                      lehrender Spiele als eine didaktische Besin-
                                                      nung, die den Erwachsenen die Bedeutung
       Fröbel entdeckte im Kinderspiel die            des kindlichen Spielens aufdecken sollte;
       spezifische Aneignungsweise des Kindes:         ihnen sollte das Gesetz der unter den Hän-
       Es „erahnt“ die Welt. Er entwickelte 1836      den entstehenden ornamentalen ,schönen
       seine „Spielgaben“ und „Beschäftigungs–        Gestalten‘, dem das Kind ahnend folgte, zur
       oder Bildungsmittel“, das so genannte          klaren Erkenntnis gebracht werden.“
       Fröbelmaterial. Das Kind sollte damit in       Erika Hoffmann
       seiner „Allseitigkeit“ angeregt werden.

  14
Was zuerst für das Spiel von Mutter und           „In allem, was das Kind tut, zeigt es
Kind gedacht war, weitete er 1840 in der        sich als ein nach Bewusstsein strebendes
Idee der Spielpflege auch auf die öffent-        Wesen. Es ist Aufgabe der Kindergärten, das
liche Kleinkindererziehung aus.                 Kind zu einem solchen selbstbewussten
                                                Wesen zu erheben, das sich klar wird über
                                                des Menschen innerstes Wesen, über die
                                                Natur und sein Verhältnis zu Andern.“
                                                Friedrich Fröbel

Spiele im Kindergarten

   „Kinderspiel ist keineswegs ein nich-        Fröbel forderte einen Kindergarten als
tiges, gehalt- und fruchtloses Zeitvertreiben   notwendige Vorstufe zur Schule. Im
… nicht ein zufälliges ungeordnetes Leben       Zentrum seiner Überlegungen stand die
und Bewegen … keineswegs ein Nicht-             Bildung eines jeden Kindes, unabhängig
lernen, sondern vielmehr ein ununterbro-        von dessen sozialem Stand. Friedrich Frö-
chenes Lernen, aber am, um und im Leben         bels Konzept des Kindergartens und seine
selbst. Das Gelernte geht hier sogleich wie-    Bildungstheorie der frühen Kindheit fin-
der ins Leben über … damit unterscheidet        den noch heute weltweit Aufmerksamkeit
sich dieses Lernen von dem in der Schule.“      und Anerkennung. Das Wort Kindergarten
Friedrich Fröbel                                wurde in viele Sprachen übernommen.

                                                                         Spiel mit Ball,
                                                                         Kugel und Würfel

                                                                                              15
Geburtsstunde der Münchener Fachakademie

       Der Münchener
       Kindergartenverein

       Im Jahr 1868 wurde in München der              Lorenz Illing, der erste Direktor des
       „Kindergartenverein“ ins Leben gerufen,        Kindergärtnerinnenseminars, hob den
       der in seinen Einrichtungen die pädago-        allgemeinen Bildungsanspruch des Frö-
       gischen Ansätze von Fröbel umsetzte.           belschen Kindergartens hervor. Er betonte
       Die Kindergärten erhielten von der Stadt       die Notwendigkeit einer allgemeinen Ein-
       München neben finanziellen Zuwen-               führung der Kindergärten. Für alle Kinder
       dungen auch Räume in regulären Schul-          sollten die gleichen Entwicklungs- und
       bauten zur Verfügung gestellt.                 Erfahrungsmöglichkeiten gegeben sein.

       Nach zehn Jahren existierten sechs
       Kindergärten sowie ein Kindergärtnerin-
       nenseminar, das heute als Fachakademie
       für Sozialpädagogik unter Trägerschaft
       der Stadt München weiterbesteht.

                            Ankunft im Kindergarten                             Kinder helfen mit

  16
Eine Weiterentwicklung der Kindergarten-
pädagogik wurde von Albert Hermann,
dem zweiten Direktor des Kindergärtnerin-
nenseminars in München, vorgeschlagen:
Er forderte ein familienähnliches Grup-
pensystem von sechs bis acht Kindern

Aus dem Seminarkindergarten Bogenhausen

(statt der bis dahin üblichen Gruppen-
größe von 40 bis 50 Kindern und mehr)
und die Einrichtung von Betätigungs-
räumen für Kinder mit Ausstattung
zum Experimentieren, z. B. überdachte
Hofräume mit Gelegenheit zum freien
Bau- und Sandspiel, eine Waschküche
und eine Küche.

                                            Tafelbild für eine Erzählung

                                                                           17
Pädagogischer Richtungsstreit

       Die Diskussion der
       Erziehungs- und Bildungs-
       ziele im 19. Jahrhundert

       In Deutschland kam es Mitte des 19.        Die Vertreter der Fröbelpädagogik argu-
       Jahrhunderts zu heftigen Auseinan-         mentierten, dass der Kindergarten jedem
       dersetzungen zwischen Anhängern            Kind als eine Bildungsmöglichkeit neben
       der Fröbelpädagogik und Vertretern         der Familie offen stehen sollte. Sie plä-
       der pädagogischen Grundsätze der           dierten für den Kindergarten als erste
       Kinderbewahranstalten.                     Stufe des allgemeinen Bildungssystems.
                                                  Diese Forderung setzte sich jedoch nicht
       Vertreter konfessioneller Kleinkinder-     durch, blieb aber bis heute virulent.
       schulen und Kinderbewahranstalten
       betonten ein konservatives Familienbild    In der konfessionellen Kleinkinderbetreu-
       mit strenger Rollenverteilung zwischen     ung gewannen die Spielgaben Fröbels
       Mann und Frau. Mütterliche Erwerbsar-      und die innere Differenzierung in der
       beit konnte nur als Notarbeit akzeptiert   Kindergartenarbeit an Bedeutung. Ein
       werden. Man glaubte, deren unmittel-       Streitpunkt blieb jedoch: Der Selbstent-
       bare Folge sei eine Verwahrlosung der      faltung des Kindes bei Fröbel stand ein
       Kinder. Die Lösung der sozialen Pro-       theologischer Ansatz mit der Betonung
       bleme wurde in der Rückkehr zur alten,     der Erbsünden- und Gnadenlehre ge-
       gottgegebenen Familienform gesehen:        genüber. Die Unterschiede wurden nie
       die Mutter in ihrer naturgegebenen         ausdiskutiert. Der Streit ist mit der Zeit
       Aufgabe als ausschließliche Erzieherin     gewissermaßen eingeschlafen.
       der Kinder.

       So wurden Kleinkinderanstalten bzw.
       Kinderbewahranstalten lange als not-
       wendige Einrichtungen zur „Ersatzerzie-
       hung“ gesehen, ihre prinzipielle Exis-
       tenzberechtigung jedoch bestritten.

  18
Das gemeinsame Spiel, um 1850

                                19
Der Kindergarten als Wohlfahrtseinrichtung

       Zeit der Weimarer Republik:
       Von der Reichsschulkonferenz
       1920 bis 1933

       Die nach der neuen Reichsverfassung         Entsprechend den Beratungs- und
       von 1919 notwendig gewordene Neu-           Abstimmungsergebnissen wurde für
       orientierung des gesamten Schulwesens       das Kindergartenwesen eine reichsein-
       wurde auf der so genannten Reichsschul-     heitliche gesetzliche Regelung erstmalig
       konferenz 1920 beraten. Dem Ausschuss       1922 im Reichsjugendwohlfahrtsgesetz
       „Kindergarten“ kam dabei die Aufgabe        (RJWG) getroffen. Danach war als be-
       zu, die Stellung des Kindergartens im       dingte Pflichtaufgabe der neu zu schaf-
       System des Bildungswesens zu klären.        fenden Jugendämter bestimmt, für die
       Ein Leitsatz der Diskussion lautete: „Als   „Wohlfahrt der Kleinkinder“ (§ 4 RJWG)
       Überleitung zur Schule sind für Kinder      Sorge zu tragen unter vorrangiger Träger-
       vom vollendeten dritten Lebensjahr an       schaft der freien Wohlfahrtsverbände.
       öffentliche Kindergärten einzurichten;      Diese Zuordnung des Kindergartens zur
       der Besuch darf nur für solche Kinder       Jugendwohlfahrt bedeutete eine Absage
       verbindlich sein, bei denen eine geord-     an den Gedanken der Vorschulpflichtig-
       nete häusliche Erziehung nicht vorhan-      keit, die bis in unsere Tage Gültigkeit
       den ist.“                                   behalten hat. Einrichtungen der öffent-
                                                   lichen Kleinkindererziehung blieben somit
       Argumente gegen die Aufnahme des            ein Angebot der Jugendpflege und Fa-
       Kindergartens in das Schulwesen waren:      milienhilfe. „Man betonte wohl, dass der
                                                   Kindergarten einen für die Schule grund-
       ■ keine Verlängerung der Schulpflicht        legenden Bildungsauftrag habe, aber nur
       ■ kein Eingriff in das Recht der Eltern     für die Kinder, deren Elternhaus ihn nicht
                                                   erfüllen könne. Man forderte auch, die
                                                   Grundschule solle mit ihren Methoden
                                                   an die des Kindergartens anschließen.“
                                                   (Erika Hoffmann)

  20
Gruppenbild um 1900

                      1. Recht und Pflicht der Erziehung der
                         Kinder im vorschulpflichtigen Alter
                         liegt grundsätzlich bei der Familie.
                      3. Für Eltern, die ihre Kinder in den
                         Kindergarten schicken wollen, muss
                         die Möglichkeit dazu geboten werden.
                         Eine Verpflichtung zum Besuch des
                         Kindergartens ist abzulehnen.
                         Aus den „Leitsätzen“ des
                         Ausschusses „Kindergarten“

                                                                21
Ideologie statt Pädagogik

       Der Kindergarten unter
       dem Nationalsozialismus

       Nach 1933 gab es zunächst keine Be-          sollten durch eine künstliche und
       einträchtigung der Kindergärten durch        politisch gewollte Verknappung der
       die neuen Machthaber, da die Parteior-       Zuschüsse zur Aufgabe ihrer Arbeit
       ganisationen der NSDAP sich nicht um         gebracht werden. Die konfessionellen
       den Bereich der öffentlichen Kleinkinder-    Trägerverbände erhoben energischen
       erziehung kümmerten. Nach der Verein-        Einspruch gegen dieses Vorgehen. Den
       barung des Reichskonkordates von 1933        beiden großen Kirchen gelang es, durch
       mit der Katholischen Kirche schien der       zähe Verhandlungen den Bestand an
       Bestand der Einrichtungen in katholischer    Einrichtungen weitgehend zu bewahren.
       und analog in evangelischer Trägerschaft     So konnte die NSV nur ein Drittel der
       gesichert zu sein.                           konfessionellen Kindergärten überneh-
                                                    men. Auch die Elternschaft hat sich mit
       Ab 1935/36 wurde versucht, alle Ein-         der Übernahme von Einrichtungen durch
       richtungen in freier Trägerschaft der        die NSV nicht abfinden wollen und in
       Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt       einigen Fällen auch eine Rückgabe an
       (NSV) zu unterstellen. Ziel der „Gleich-     die konfessionellen Träger erzwungen.
       schaltung“ war die Durchsetzung der
       nationalsozialistischen Ideologie bereits
       in der frühkindlichen Erziehung. Träger-        „Die Nationalsozialistische Volkswohl-
       verbände, wie z. B. die AWO, wurden          fahrt sieht die Kindertagesstätte als eine
       aufgelöst, konfessionelle Kindergärten       ihrer bedeutendsten Einrichtungen an, in
                                                    denen die Ziele ... an einer ... besonders
                                                    beeinflussbaren Altersstufe verwirklicht
                                                    werden müssen.“
                                                    Reichsamtsleiter Althaus, 1942

                                                   Kinder beobachten
                                                   Soldaten bei einer Übung

  22
Dennoch sollte die religiöse Erziehung be-   Gemälde als Wandschmuck wählten, auf
hindert werden. Zu erheblichen Unruhen       denen christliche Motive wie Kreuzstöcke
kam es 1941, als in Bayern von Gauleiter     o. ä. zu sehen waren. Letztendlich war es
Wagner ein sogenannter Kruzifixerlass         den Protesten der Bevölkerung zu verdan-
verfügt wurde, welcher die Verwendung        ken, dass der Erlass aufgehoben wurde.
von kirchlichem Bilderschmuck und

Soldatenspiele

Kruzifixen in öffentlichen Schulgebäuden      Mit dem Einfluss der nationalsozialisti-
untersagte. Einige Kindergärtnerinnen        schen Ideologie veränderte sich auch die
unterliefen diesen Erlass, indem sie         Arbeit im Kindergarten. Blindes Gefolg-
                                             schaftsdenken und Gehorsam statt indi-
                                             vidualisierender Erziehung standen im
                                             Vordergrund. Die Bildungsförderung der
                                             Kinder wurde zur nachrangigen Aufgabe,
                                             Hauptziele der Förderung wurden Gesund-
                                             heitserziehung, Gymnastik und Sport.

                                             Das Thema Krieg drang auch in die Kin-
                                             dergärten. Der Luftkrieg verwischte die
                                             Grenzen zwischen Heimat und Front. Die
                                             unmittelbare Erfahrung von Tod und Zer-
                                             störung beeinflusste das Spiel der Kinder.
Im Rollenspiel wird die Bombennacht
„im Keller“ verarbeitet

                                                                                         23
Nach 1945 bis zur Vorschulreform

       Der Wiederaufbau in der
       Nachkriegszeit

       Unmittelbar nach Kriegsende haben die
       kirchlich-konfessionellen und die wie-
       der neu gegründeten freien Träger ihre
       Arbeit im Kindergartenbereich wieder
       aufgenommen. Der Kindergarten wurde
       als eine Not-Betreuungseinrichtung für
       solche Kinder gesehen, deren Familien-
       situation einen Ersatz für Erziehungsauf-
       gaben der Familie erforderte: Betreuung,
       Verköstigung, Förderung etc.

       Ein Engagement in diesem Bereich
       blieb in das Ermessen der freien Wohl-
       fahrtsverbände gestellt, die aber beim
       Wiederaufbau des zerstörten Kindergar-      Versorgung der Kinder in der Nachkriegszeit
       tenwesens nur mit geringer finanzieller
       Unterstützung durch die öffentliche
                                                   Hand rechnen konnten. Große Kinder-
                                                   gruppen von über 60 Kindern waren
                                                   Folge des Personalmangels. Frauen und
                                                   Mädchen ohne besondere Ausbildung
                                                   halfen in den Kindergärten aus. Die
                                                   Notsituation forderte die Kindergärtne-
                                                   rinnen bis an die Grenzen ihrer Belast-
                                                   barkeit. Eine pädagogische Förderung
                                                   der Kinder konnte in den überfüllten
                                                   Kindergärten kaum stattfinden.

                                                   Die zunehmende Erwerbstätigkeit von
                                                   Frauen und Müttern in den 50er und 60er
                                                   Jahren ließ die Nachfrage nach Kin-
                                                   dergartenplätzen ansteigen. Vereinzelt
                                                   wurde die Forderung erhoben: Jedem
       Zerstörter Kindergarten 1945                Kind seinen Kindergarten!

  24
Die Vorschulreform um 1970

Mit dem „Sputnikschock“ 1957 begann
nicht nur ein wirtschaftlich-technolo-
gischer Wettkampf der Weltmächte. Man
erkannte, dass Bildung eine große Rolle
                                                          Der Sputnik
spielt. Eine Neuorientierung des gesam-                   über Bayern
ten (Aus-)Bildungssystems, ausgelöst

                                               Vorbereitung auf die Schule

von wirtschaftlichen und bildungspo-          „Zur Begabung begaben“ wurde zum
litischen Zielsetzungen, sollte zu einer      Stichwort einer Frühpädagogik, die die
besseren Vorbereitung der Kinder auf          Verwahrpädagogik des Kindergartens
die Erfordernisse in einer modernen,          durch eine spezifische Vorschulerzie-
technisierten Welt führen. In dieser Bil-     hung abzulösen versuchte. Nach dem
dungsreform geriet der herkömmliche           Strukturplan für das Bildungswesen
Kindergarten in den Verruf, eine bloße Ver-   von 1970 sollte der Kindergarten zum
wahranstalt zu sein und wegen fehlender       Elementarbereich des Bildungswesens
Strategien zur Begabungsförderung die         ausgebaut werden.
Kinder künstlich dumm zu halten.

Zugespitzt hieß es, dass die Kinder in
der Familie, im Kindergarten und in der
Schule kulturell vernachlässigt würden,
weil sie nicht entwicklungsgemäße Anre-
gungsangebote erhielten.

                                                                                       25
Die Vorschulreform um 1970

         „Die pädagogischen Leitgedanken für           neue Vorschulerziehung betonte Lernauf-
       den Kindergarten haben sich gewandelt.          gaben für die Kinder, Vorschulmappen
       Aus der ,Aufbewahrungsidee‘ wurde die           und Erstlesen wurden eingeführt.
       Idee einer behüteten Kinderheimat neben
       der Familie und schließlich einer Stätte für    Ein weiterer curricularer Entwurf war
       Reifen und Lernen in einem von Erwachse-        der Situationsansatz, der in verschie-
       nen pädagogisch geleiteten Zusammenle-          denen Bundesländern erprobt wurde. Er
       ben mit Gleichaltrigen im Auftrag der Eltern.   erhob den Anspruch, die Einseitigkeiten
       Neu ist, dass sich heute, aufgrund einer        früherer Ansätze überwinden zu können.
       neuen Einschätzung der Lernfähigkeit des        Merkmale des Situationsansatzes sind
       Kindes, der pädagogische Ansatz der För-        vor allem der Bezug zu den Lebenssitua-
       derung schwerpunkthaft vom Reifevorgang         tionen der Kinder, das Lernen in Erfah-
       auf das Lernen verlagert hat. So bekommen       rungszusammenhängen und in altersge-
       Lernaktivitäten ein größeres Gewicht, die       mischten Gruppen, die Mitwirkung von
       auch Kindern mehr Freude machen.“               Eltern an der pädagogischen Arbeit und
       Strukturplan für das Bildungswesen 1970         eine engere Verbindung von Kindergar-
                                                       ten und Gemeinwesen. In diesem Cur-
                                                       riculumentwurf sollten Kompetenz und
       Eine Vielzahl von unterschiedlichen curri-      Selbständigkeit der Kinder als höchste
       cularen Entwürfen zur Vorschulerziehung         Ziele an soziale Verantwortung gebun-
       im Kindergarten wurde veröffentlicht und        den werden, das einseitige Training
       beeinflusste die Praxis. Ihnen allen war         einzelner Funktionen wurde abgelehnt.
       gemeinsam, dass sie die Phase der frühen
       Kindheit effektiver zur Bildung nutzen
       wollten: Frühes Lesenlernen galt als
       Schlüsselkompetenz.

       Wissenschaftsorientierte Ansätze emp-
       fahlen geschlossene Grundlernpro-
       gramme, die nach dem System der Wis-
       senschaften eingeteilt wurden, so etwa
       für die Disziplinen Sprache, Mathematik,
       Naturwissenschaft. Funktionsorientierte
       Ansätze stellten darauf ab, dass das Kind
       spezielle Fähigkeiten, Qualifikationen und
       Verhaltensweisen erwerben sollte. Diese
       beiden pädagogischen Ansätze führten zu
       einer Verschulung des Kindergartens. Die

  26
Lernspiele in der Vorschulreform

Im Rahmen des neu entdeckten Interesses    Erfahrungen und Ergebnisse aus dem
für Fragen der Vorschulerziehung wurde     bayerischen Modellversuch bildeten die
der Übergang in die Schule thematisiert.   Grundlage für die Empfehlungen zum
In Bayern und anderen Bundesländern        „Übergang vom Kindergarten zur Grund-
wurden Modellversuche durchgeführt.        schule“ von 1973.
Eine Optimierung der Übergangspraxis
in personellen, didaktisch-methodischen
und organisatorischen Fragen wurde
angestrebt.

                                                                                    27
Hin zu mehr pädagogischer Qualität

       Neue Anforderungen
       seit den 90er Jahren

       Seit 1990 wurden über 120.000 neue                Auf die rückläufigen Kinderzahlen reagier-
       Plätze in Bayern bereitgestellt. Nachdem          ten die Kindergartenträger mit der Alters-
       damit der Kindergartenausbau großteils            öffnung ihrer Einrichtungen. Zunehmend
       bewältigt war, wurde zunehmend disku-             werden Kinder unter drei Jahren und
       tiert, wie sich die Qualität der Kindergär-       Schüler in Kindergärten aufgenommen,
       ten steigern lasse.                               diese entwickeln sich weiter zu Häusern
                                                         für Kinder.
       Instrumente zur Einschätzung der päda-
       gogischen Qualität wurden erprobt                 Die unterdurchschnittlichen Ergebnisse
       und brachten als Ergebnis, dass in den            deutscher Schüler bei der internationalen
       Kindergärten in Deutschland erhebliche            Schulleistungsvergleichsstudie PISA 2001
       Entwicklungspotentiale nicht genügend             hat die Qualitätsdebatte noch intensiviert
       wahrgenommen wurden.                              und zusätzlich die Erkenntnis bekräftigt,
                                                         die Anstrengungen im Elementarbereich
       Danach wurde bundesweit versucht, mit             zu verstärken.
       einer Vielzahl von Projekten den Rück-
       stand aufzuholen:

       Auf Bundesebene beteiligte sich Bayern
       an der Nationalen Qualitätsinitiative und
       entwickelte ein Selbstevaluationskonzept
       zur Feststellung der Trägerqualität.

       Um mittelbar die Qualität in den Einrich-
       tungen besser steuern zu können, wurde
       eine kindbezogene Förderung modellhaft
       erprobt und schließlich flächendeckend
       eingeführt.

                                  Die individuelle Entwicklung
                                         steht im Vordergrund

  28
Die Notwendigkeit der Vereinbarkeit von      Das Staatsinstitut für Frühpädagogik (IFP)
Familie und Erwerbstätigkeit und gesell-     in München entwickelte im Anschluss an
schaftliche Änderungen haben zu einem        die internationale Diskussion zur Bedeu-
erheblich höheren Bedarf der Kinderbe-       tung frühkindlicher Bildung den Baye -
treuung bei Kleinkindern und Schülern        rischen Bildungs- und Erziehungsplan für
geführt. Das Gesamtkonzept Kinder-           Kinder bis zur Einschulung.

Großzügige Neubauten der 90er Jahre

betreuung der Staatsregierung trug
dem Rechnung. Seit 2002 werden auch
Krippen staatlich gefördert, der Ausbau
der Angebote für Schüler wurde ausge-
weitet. Seit Inkrafttreten des Bayerischen
Kinderbildungs- und -betreuungsgesetzes
(BayKiBiG) im Jahr 2005 fördert der Frei-
staat Bayern alle bedarfsnotwendigen
Kinderbetreuungsformen einschließlich
der Tagespflege.

                                                                                          29
Von der Wartfrau zur staatlich anerkannten Erzieherin

       Die Ausbildung
                                                        Zeichnen, Handarbeitsunterricht, Musik
       der Erzieherinnen                                und Turnen. Diese Fächer wurden ergänzt
                                                        durch eine praktische Ausbildung in der
       ... bis zum Ende des Ersten Weltkrieges          angeschlossenen Bewahranstalt sowie
       Die Zielbeschränkung der Bewahran-               durch eine hauswirtschaftliche Ausbil-
       stalten, Kinder der ärmeren Schichten            dung. Auf protestantischer Seite wurde
       zu erziehen, erforderte zunächst keine           der erste Ausbildungsgang für Diakonis-
       besondere Ausbildung der Wartfrauen.             sen 1854 in Neuendettelsau bei Ansbach
       Die Anleitung der Kinder zu „Reinlichkeit        gegründet; diese Ausbildung verstand
       und Gehorsam“ und die „Gewöhnung                 sich vor allem als praktische Anleitung für
       an einen frommen Sinn“ wurden vom                die religiöse Erbauung der Kinder.
       jeweiligen Trägerverein durch Aufsichts-
       damen überwacht.                                 Das erste spezifische Kindergärtnerin-
                                                        nenseminar in Bayern, das auf den Ideen
                                                        Friedrich Fröbels gründete, wurde 1870 in
          „Es genügt vielmehr vollständig, wenn         München als private Anstalt eingerichtet.
       dergleichen Leute das gegründete Zeugnis         Das Münchener Seminar war zunächst
       eines frommen Sinnes, eines unbeschol-           als einjähriger, ab 1911 als zweijähriger
       tenen Rufes und eines tadellosen Wandels         Kursus ausgestaltet, der ein breites Fä-
       für sich haben.“                                 cherspektrum unter anderem mit Deutsch
       Allgemeine Bestimmungen, 1839                    (einschließlich Literatur), Rechnen,
                                                        Geschichte, Geografie, Naturkunde und
                                                        methodischen Unterricht in weiblichen
       Erst die Entwicklung eigener Ausbildungs-        Handarbeiten, Erziehungskunde und Kin-
       gänge auf der Basis der Fröbelschen              dergartenpädagogik umfasste. Bis 1904
       Kindergartenpädagogik sowie innerhalb            wurden im Münchener Seminar 678 Kin-
       klösterlicher Kongregationen brachte eine        dergärtnerinnen ausgebildet. Die heutige
       Ablösung von dieser Praxis.                      städtische Fachakademie für Sozialpäda-
                                                        gogik geht auf dieses Seminar zurück.
       Auf katholischer Seite wurde der erste
       Ausbildungsgang in Bayern Anfang der             Am Ende des Ersten Weltkrieges bestan-
       40er Jahre des 19. Jahrhunderts in Mün-          den sieben Ausbildungsstätten in Mün-
       chen von den „Armen Schulschwestern              chen, Mallersdorf, Nördlingen, Würzburg,
       von Unserer Lieben Frau“ eingerichtet            Dillingen, Haag und Bamberg in katho-
       und im Laufe der Zeit zu einem einjäh-           lischer Trägerschaft und zwei Ausbildungs-
       rigen Kursus ausgebaut. 1881 umfasste            stätten in Neuendettelsau und Augsburg
       der Lehrplan neben der pädagogischen             in evangelischer Trägerschaft.
       Unterweisung Sprach- und Sachunterricht,

  30
... unter dem Nationalsozialismus             … die heutige Situation
Die Kindergärtnerinnenausbildung wurde        Eine wesentliche Änderung in der Ausbil-
1937 und 1942 nach der faschistischen         dung erbrachte zu Beginn der Vorschulre-
Weltanschauung neu geordnet. Die Zu-          form ein Beschluss der Kultusministerkon-
lassungsvoraussetzungen wurden abge-          ferenz von 1967. Danach sollten in allen
senkt, es genügte ein Volksschulabschluss.    Bundesländern eine zweijährige theore-
Die nationalsozialistische Volkswohlfahrt     tische Ausbildung und ein Berufsanerken-
übernahm die Ausbildungsstätten aus           nungsjahr zur staatlich anerkannten
kommunaler oder freier Trägerschaft. Das      Erzieherin (bzw. Erzieher) führen, die in

Ausbildung pädagogischer Fachkräfte –
damals und heute

Verbot, neue Schülerinnen aufzunehmen,        unterschiedlichen sozialpädagogischen
führte zur Schließung der konfessionellen     Einsatzfeldern arbeiten konnte.
Ausbildungsstätten.
                                              Die Ausbildung zur Erzieherin setzt einen
Die sozialpädagogische Berufsausbildung       mittleren Schulabschluss sowie eine ab-
wurde ersetzt durch eine Volksgemein-         geschlossene Berufsausbildung voraus.
schaftserziehung. Eine gründliche, wissen-    Diese kann vor allem durch ein zweijäh-
schaftlich orientierte Ausbildung wurde       riges „Sozialpädagogisches Seminar“
als spezialistisch, intellektuell und fach-   erworben werden, bei dem eine prak-
egoistisch verurteilt. Die Kindergärtnerin    tische Ausbildung im Kindergarten und
wurde nicht ausgebildet, sondern erzogen      eine fachtheoretische Ausbildung an der
zu einer „nationalsozialistischen deut-       Fachakademie für Sozialpädagogik wie im
schen Volksmütterlichkeit“. Humanitäre,       dualen Berufsbildungssystem kombiniert
liberale oder konfessionelle Ansätze in der   wird. Nach diesem Sozialpädagogischen
Kindergartenarbeit wurden ausgeblendet,       Seminar können die Absolventen als
stattdessen durchdrang die nationalsozia-     Kinderpflegerinnen arbeiten oder ihre
listische Ideologie alle Fächer.              Ausbildung zwei Jahre lang an einer der
                                              39 Bayerischen Fachakademien für Sozial-
                                              pädagogik fortsetzen.

                                                                                          31
Organisation der Einrichtungen

       Trägerschaft und Finanzierung

       In der Regel wurden Kleinkinderbewahr-       und ihnen die Betriebsträgerschaft über-
       anstalten im 19. Jahrhundert als Vereine     tragen. Damit ließ sich das Problem der
       oder Stiftungen durch wohltätige Bürger      Personalkontinuität leichter lösen. Or-
       oder durch die Kirchen ins Leben gerufen.    densschwestern schienen den Trägerverei-
       Da die Vereine eine Genehmigung benötig-     nen auch die Gewähr einer beispielhaften
       ten, war dadurch auch eine Kontrollmög-      Übereinstimmung von Lebensführung
       lichkeit für die Regierung gegeben.          und Erziehungszielen zu bieten: Um 1900
       Staatliche Behörden drängten mehrfach        waren rund 80 % aller Einrichtungen in
       auf die Einrichtung von Bewahranstalten.     konfessioneller Trägerschaft.
       Die Kommunen verhielten sich aber in
       der Regel zögerlich. Sie fürchteten neue     Der Rückgang der Ordensfrauen in den
       Kosten und wollten die Aufgabe der freien    letzten 50 Jahren führte zum Einsatz von
       bürgerlichen Wohltätigkeit überlassen.       weltlichen Mitarbeitern auch bei den
       Lediglich in Augsburg kam es 1834 zu         konfessionellen Trägern, die heute noch
       einer kommunalen Gründung unter der          rund 56 % aller Einrichtungen in Bayern
       verantwortlichen Leitung des Lehrers Jo-     betreiben.
       hann Georg Wirth. Die Einrichtung wurde
       schnell von der Bevölkerung akzeptiert,
       so dass binnen eines Jahres zwei weitere
                                                                             Kindergärten    % Kindergärten
       Anstalten ihren Betrieb aufnahmen.
                                                      Bayern insgesamt
                                                                                6.005             100,0
                                                           (2005)
       Ein Rechtsanspruch auf staatliche Förde-
       rung bestand im 19. Jahrhundert noch           Kommunale Träger          1.875              31,2
       nicht, dieser wurde erstmalig im Bay-
                                                        Träger in der
                                                                                2.422              40,3
       erischen Kindergartengesetz von 1972          katholischen Kirche
       formuliert. Es kam daher häufig zu Vereins-    Evangelische Kirche /
                                                                                  959              15,9
       auflösungen, insbesondere in wirtschaft-            Diakonie

       lich schwierigen Zeiten. In vielen Fällen       Paritätischer
                                                                                   22               0,4
                                                     Wohlfahrtsverband
       wurde die Trägerschaft der Einrichtungen
       von der Kommune oder von Kirchenstif-          Arbeiterwohlfahrt           173               2,8

       tungen übernommen. Die überwiegende            Bayerisches Rotes
                                                                                   66               1,0
       Mehrzahl der Kinderbetreuungsein-                    Kreuz

       richtungen in Bayern war konfessionell          Sonstige Träger           488                8,1
       orientiert. Auch die bürgerlichen Träger-
       vereine hatten meist Betreuungsverträge      (nach: Bayerisches Landesamt für Statistik
                                                    und Datenverarbeitung)
       mit Ordensgemeinschaften geschlossen

  32
Die Trägervielfalt im Bereich des Kinder-   einem Grundbetrag, einem Faktor für die
gartens beruht auch auf der Entscheidung    zeitliche Betreuungsdauer sowie Gewich-
der Reichsschulkonferenz von 1920: Kom-     tungsfaktoren, die dem unterschiedlichen
munale Einrichtungen werden erst dann       erzieherischen und pflegerischen Aufwand
gegründet, wenn kein freier Träger diese    für ein Kind Rechnung tragen.
Aufgabe übernimmt. Mit der Unterschied-
lichkeit der Träger wird ein plurales

Mit der Fachberaterin im Gespräch

Kindergartenangebot geschaffen, das den
Bedürfnissen der Eltern entgegenkommt.

Die Spitzenverbände der öffentlichen
und freien Wohlfahrtspflege bieten ihren
Mitgliedseinrichtungen Trägerberatungen,
Fachberatung und Fortbildungen für die
Träger und das pädagogische Personal an.

Die Träger haben seit dem Bayerischen
Kindergartengesetz von 1972 einen ge-
setzlichen Anspruch auf finanzielle Förde-
rung und damit Planungssicherheit. Seit
dem Inkrafttreten des Bayerischen Kinder-
bildungs- und -betreuungsgesetzes zum
1.8.2005 werden die Zuschüsse als kind-        Team-Fortbildung
bezogene Förderung gewährt. Danach er-         in der Einrichtung

rechnet sich der Förderbetrag je Kind aus

                                                                                       33
Immer mehr neue Plätze entstehen

       Statistische Entwicklung
       in Bayern

       Aus kleinen Anfängen mit einem gerin-                 Der Ausbau verlief in den einzelnen
       gen Angebot an Plätzen entwickelte sich               bayerischen Regierungsbezirken sehr
       der Kindergarten zu einer flächendecken-               unterschiedlich, wie ein Vergleich der
       den Einrichtung für alle Kinder.                      Platzzahlen zeigt:

                   Zahl der       Zahl der   Plätze je 100                       Zahl der Plätze je 100 Kinder im
          Jahr
                 Kindergärten      Plätze       Kinder                            Alter von 3 bis unter 6 Jahren

       1833/34          8            515                     Regierungsbezirk        1884               2005

         1871         227          21.678           7             Oberbayern         10,67              95,20

       1909/10        773          68.872          14           Niederbayern          3,08              94,60

    Von 1918 bis 1945 keine gesicherten Daten verfügbar             Oberpfalz         2,64              98,40

         1946        1.391         84.933          24            Oberfranken          3,44             105,10

         1950        1.827        117.747          32            Mittelfranken        8,41             104,80

         1960        2.313        149.021          34            Unterfranken        10,32             111,10

         1970        3.121        188.911          36              Schwaben           8,80              96,40

         1980        3.771        212.606          71

         1990        4.280        250.791          82

         2000        5.857        368.504          93

         2005        6.005        386.822          99

  34
Erst die Finanzierungssicherheit, die mit
dem Bayerischen Kindergartengesetz
von 1972 für die freien Träger erreicht
wurde, führte zu einem zügigen Ausbau
der Einrichtungen, der in den 90er Jah-
ren noch beschleunigt wurde.

Plätze mit Mittagsverpflegung

Inzwischen hat Bayern eine faktische Voll-
versorgung für die Kinder im Alter von
drei Jahren bis zur Einschulung. Die in-
folge der zurückgehenden Geburtenzahlen
freiwerdenden Kindergartenplätze werden
von ca. 1/3 der Kindergärten inzwischen
genutzt, um auch Kinder unter drei Jahren
und Schulkinder aufzunehmen.
                                             ... es geht
                                             aufwärts!

                                                           35
Harmonischer Übergang

       Kindergarten und Schule

       Auf den Kindergarten folgt die Schule:         „Die Schule verlangt von den aus dem
       Dieser einfache Satz verdeckt das schwie-      Kindergarten ihr zugeführten Kindern
       rige Verhältnis der beiden Institutionen,      z. B., daß sie sich willig und gern in den
       das erst heute unter dem Begriff der           Kreis ihrer Mitschüler einordnen,
       „anschlussfähigen Bildung“ eine neue
       Bewertung erlangt.                           ■ daß die Kinder mit Aufmerksamkeit und
                                                      Interesse den kindlichen Gesprächen,
       Vor 1800 wurden kleine und schulpflich-         Unterhaltungen und Erzählungen des
       tige Kinder zusammen in Warte-, Winkel-        Lehrers folgen,
       und Nebenschulen und auch in regulären       ■ daß die Kinder senkrechte, waagrechte
       niederen Schulen beaufsichtigt. Da die         und schiefe Striche leidlich schreiben
       Lehrer auf das Schulgeld der Kinder ange-      können,
       wiesen waren, konnten sie die jüngeren       ■ daß die Kinder die hauptsächlichsten
       nicht zurückweisen. Diese Altersmischung,      Richtungen, Bewegungen, Tätigkeiten
       die einen störungsfreien Unterricht ver-       und Gegenstände ihrer Umgebung rich-
       hinderte, wurde mit dem Ausbau des             tig benennen können …,
       Schulwesens bereinigt. Neue Schulverord-     ■ daß die Kinder die Zahlen Eins, Zwei
       nungen seit ca. 1820/25 bestimmten, dass       und Drei genau von einander unter-
       die Schule nur von schulpflichtigen Kin-        scheiden und zehn Dinge präzise
       dern besucht werden darf. Die jüngeren         abzählen können …
       Kinder sollten in den neuen Bewahranstal-
       ten betreut werden. Auch in Bayern wurde     Der Kindergarten verfehlt
       mit den Allgemeinen Bestimmungen             aber z. B. seinen Zweck,
       von 1839 die Trennung von Kindergärten
       und Schule vollzogen. Der übliche Name       ■ wenn er Unterrichtsgegenstände der
       „Kleinkinderschule“ wurde verboten, der        Schule, wie Schreiben, Lesen, Rechnen,
       Name „Bewahranstalt“ vorgeschrieben,           Anschauungs- und Naturgeschichts-
       um jede Ähnlichkeit mit der Schule zu ver-     unterricht mit aufnimmt,
       meiden. Eine fruchtbare Zusammenarbeit       ■ wenn er die Spiele und Beschäftigungen
       beider Institutionen fand nicht statt.         in Spielerei überleitet,
                                                    ■ wenn in ihm die Spiele und Beschäfti-
       In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhun-         gungen mechanisch betrieben werden“
       derts wiesen insbesondere Vertreter
       der Fröbelpädagogik auf die von Fröbel       „Kindergarten – Bewahranstalt und Ele-
       gewollte Verbindung von Schule und           mentarklasse“, hrsg. unter Mitwirkung
       Kindergarten hin.                            des Deutschen Fröbelvereins 1866

  36
In der Weimarer Republik wurde auf der        gesetz (BayKiBiG) geregelt. Damit wird
Reichsschulkonferenz 1920 über die Struk-     ein konstruktives Miteinander von Schule
tur des gesamten Bildungswesens bera-         und Kindergarten im Interesse der Kinder
ten. Der Ausschuss „Kindergarten“ verab-      selbstverständlich. Der Bildungs- und
schiedete Leitlinien, die das geschichtlich   Erziehungsplan für Kinder bis zur Einschu-
gewachsene Verhältnis von Schule und          lung und der Grundschullehrplan wurden
Kindergarten insofern zementierten,           aufeinander abgestimmt.

„Schule“-Spiel

als jede Verbindung zur Schule abgelehnt         „Die Kinder für die Schule aufnahme-
und die Kindergartensache zur Aufgabe         fähig zu machen und die Schule aufnahme-
der Jugendwohlfahrt erklärt wurde. Damit      fähig zu machen für die Kinder – dies ist ein
wurde der Kindergarten der Aufsicht der       aufeinander bezogener Prozess und eine
Sozialministerien und nicht der Schulmi-      gemeinsame Aufgabe. Aufgabe der Tages-
nisterien unterstellt.                        einrichtung ist es, die Kinder langfristig und
                                              angemessen auf den Übergang vorzuberei-
Bayern entschied sich 1972 für einen          ten. … Aufgabe der Schule ist es, Lehrplan
Sonderweg: Das Bayerische Kindergar-          und Unterricht so differenziert und flexibel
tengesetz (BayKiG) wurde nicht als Aus-       auszugestalten, dass unter Berücksichti-
führungsgesetz zum Bundesjugendwohl-          gung der individuellen Unterschiede jedem
fahrtsgesetz (1990 abgelöst durch SGB VIII)   Kind die bestmögliche Unterstützung zuteil
erlassen, sondern als ein eigenständiges      werden kann.“
Bildungsgesetz verankert.                     Bayerischer Bildungs- und
                                              Erziehungsplan von 2005
Heute wird die Zusammenarbeit von
Kindergarten und Grundschule im Bayeri-
schen Kinderbildungs- und -betreuungs-

                                                                                               37
Aktuelle Gesetzgebung

       Das Bayerische Kinderbil-
       dungs- und -betreuungsgesetz
       (BayKiBiG) von 2005

       Gut 30 Jahre nach dem Erlass des Bay-         auch die Krippe, den Hort und Häuser
       erischen Kindergartengesetzes von             für Kinder sowie die Tagespflege ein,
       1972 wird mit dem neuen Bayerischen           während das alte Gesetz nur den
       Kinderbildungs- und -betreuungsgesetz         Kindergarten in den Blick genommen
       von 2005 eine umfassende Reform der           hatte. Mit einer örtlichen Bedarfspla-
       Kinder tageseinrichtungen durchgeführt,       nung wird der Ausbau der Kinderta-
       die auf die veränderten Familienstruk-        geseinrichtungen auf die Bedürfnisse
       turen und die zurückgehenden Kinder-          der Eltern und ihrer Kinder vor Ort
       zahlen eingeht sowie die Grundlage für        abgestimmt.
       ein bedarfsgerechtes und qualitätsorien-
       tiertes Angebot an Kindertageseinrich-      ■ Mehr Rechtssicherheit: Auch Krippen,
       tungen und Angeboten der Tagespflege           Horte und Häuser für Kinder erhalten
       für Kinder aller Altersgruppen schafft.       einen gesetzlichen Förderanspruch, wie
                                                     ihn die Kindergärten schon seit 1972
       Wichtig sind folgende Neuerungen durch        haben.
       das BayKiBiG:
                                                   ■ Mehr Fördergerechtigkeit: Die Finanzie-
       ■ Mehr Bildung für Kinder: Die frühe          rung durch das Land und die Kommu-
         Kindheit ist nach den Ergebnissen           nen wird von einer gruppenbezogenen
         der modernen Hirnforschung eine             auf eine kindbezogene Förderung
         Zeit großer Lernfähigkeit. Deswegen         umgestellt. Dabei wird bei der Förde-
         schreibt das BayKiBiG und die dazu          rung genauer differenziert, wie lange
         erlassene Verordnung vor, dass ge-          die Kinder die Kindertageseinrichtung
         förderte Kindertageseinrichtungen           besuchen und welcher Bildungs- und
         verbindliche, präzise umschriebene          Erziehungsaufwand für das Kind
         Bildungs- und Erziehungsziele um-           notwendig ist, um den individuellen
         zusetzen haben. Deren Einhaltung            Bildungsbedürfnissen der Kinder bes-
         ist Voraussetzung für eine staatliche       ser entsprechen zu können.
         Mitfinanzierung.

       ■ Mehr Flexibilität: Das BayKiBiG bezieht
         alle Formen der Kindertageseinrich-
         tungen, also neben dem Kindergarten

  38
Hortkinder bei     ■ Mehr Integration: Kinder mit und ohne
                                  den Hausaufgaben
                                                       Behinderung können voneinander
                                                       lernen. Die integrative Bildung und
                                                       Erziehung von Kindern wird deswegen

Ein Platz für jedes Kind, nicht
nur auf der Bilderleiste

   „Kindertageseinrichtungen bieten jedem              vom BayKiBiG besonders gefördert.
einzelnen Kind vielfältige und entwicklungs-           Für jedes behinderte Kind wird über
angemessene Bildungs- und Erfahrungs-                  einen so genannten Gewichtungsfaktor
möglichkeiten, um beste Bildungs- und                  die 4,5-fache Förderung gegenüber
Entwicklungschancen zu gewährleisten,                  nicht behinderten Kindern gewährt.
Entwicklungsrisiken frühzeitig entgegenzu-             Dadurch kann eine intensive Betreuung
wirken sowie zur Integration zu befähigen.“            dieser Kinder durch pädagogisches
BayKiBiG, Art. 10 Abs. 1                               Personal erreicht werden. Kinder mit
                                                       Migrationshintergrund werden vor
                                                       allem durch eine besondere Sprachför-
                                                       derung bei ihrer Integration unterstützt.

                                                     ■ Mehr Bildungs- und Erziehungspart-
                                                       nerschaft: Die Zusammenarbeit der
                                                       pädagogischen Teams mit den Eltern
                                                       wird gestärkt.

                                                                                                   39
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