Geschichten für die Zukunft - BUGA 2029

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Geschichten für die Zukunft - BUGA 2029
Geschichten
               für die
               Zukunft

GENERALDIREKTION
KULTURELLES ERBE
Geschichten für die Zukunft - BUGA 2029
Die Mitglieder der ZIRP:                            AOK Rheinland-Pfalz/
                                                Saarland • Architektenkammer
                                              Rheinland-Pfalz • AREND Prozess-
                                   automation GmbH • Barmherzige Brüder Trier
                             gGmbH • BASF SE • Bauern- und Winzerverband
                     Rheinland-Pfalz Süd e.V. • Bauwirtschaft Rheinland-
               Pfalz e.V. • Bernd Hummel Holding GmbH • Bitburger Braugruppe
             GmbH • Boehringer Ingelheim Pharma GmbH & Co. KG •
     Bundesagentur für Arbeit, Regionaldirektion Rheinland-Pfalz-
   Saarland • Caritasverband für die Diözese Speyer e.V. • Continental
   Teves AG & Co. oHG • DB Cargo AG • Debeka Versicherungsgruppe •
Deutsche Bank AG • Deutsche Bundesbank, Hauptverwaltung in
Rheinland-Pfalz und dem Saarland • Deutsche Fertighausholding AG •
Deutsche Telekom AG • Deutsche Universität für Verwaltungswissenschaf-
ten Speyer • DGB Rheinland-Pfalz/Saarland • Digital Devotion Group GmbH •
Duale Hochschule Rheinland-Pfalz • Eckes-Granini Deutschland GmbH •
ECREF European Center for Refractories gGmbH • Empolis Information
Management GmbH • ENTEGA PLUS GmbH • Entwicklungsagentur
Rheinland-Pfalz e.V. • Ernst & Young GmbH Wirtschaftsprüfungs-
gesellschaft • Evangelische Kirche der Pfalz • Fachingen Heil-
und Mineralbrunnen GmbH • Gerolsteiner Brunnen GmbH &

                                                                                                          Geschichten
Co. KG • Gienanth GmbH • Globus SB-Warenhaus Holding
GmbH & Co. KG • Handwerkskammern Rheinland-Pfalz •
Heberger GmbH • Hochschule Kaiserslautern • Hochschule
Koblenz • Hochschule für Wirtschaft und Gesellschaft

                                                                                                          für die Zukunft
Ludwigshafen • Hochschule Mainz • Hochschule Trier •
Hochschule Worms • IKK Südwest • Ingenieurkammer Rheinland-Pfalz •
Investitions- und Strukturbank Rheinland-Pfalz (ISB) • ITK Engineering GmbH • iTSM
Consulting GmbH • Johannes Gutenberg-Universität Mainz • Joseph Vögele AG • juwi AG • Karl
Gemünden GmbH & Co. KG • Kassenärztliche Vereinigung Rheinland-Pfalz • Kassenzahnärzt-
liche Vereinigung Rheinland-Pfalz • Katholische Hochschule Mainz • KPMG AG Wirtschaftsprü-
fungsgesellschaft • KSB AG • Landesärztekammer Rheinland-Pfalz • Landesbank Baden-Würt-
temberg • Landespsychotherapeutenkammer Rheinland-Pfalz • Landkreistag Rheinland-Pfalz •
LOTTO Rheinland-Pfalz GmbH • LÖWEN ENTERTAINMENT GmbH • L∙Q∙M Marktforschung GmbH •
Mainzer Stadtwerke AG • Michelin Reifenwerke AG & Co. KGaA • Ministerium für Wirtschaft,
Verkehr, Landwirtschaft und Weinbau • PFAFF Industriesysteme und Maschinen GmbH •
Pfalzwerke AG • Philosophisch-Theologische Hochschule Vallendar • Pricewaterhouse-Coopers
       GmbH • Provinzial Rheinland Versicherungen • RPR.1 • SCHOTT AG • Schuler Service
 		              GmbH & Co. KG • SIMONA AG • Sparkassenverband Rheiland-Pfalz • Staats-
  			                            kanzlei des Landes Rheinland-Pfalz • Städtetag Rheinland-Pfalz •
                                   Steuerberaterkammer Rheinland-Pfalz • SWR – Südwestrund-
                                    funk • Techniker Krankenkasse • Technische Hochschule Bingen
                                     • Technische Universität Kaiserslautern • Technologie-Initiative
                                     SmartFactoryKL e.V. • Thinking Circular, Sustainability and Circu-
                                     lar Economy Consulting • Transdev SE & Co. KG • TÜV Pfalz GmbH
                                         • TÜV Rheinland-Berlin-Brandenburg-Pfalz e.V. • Universität
                                            Koblenz-Landau • Universität Trier • Vereinigte VR Bank
                                            Kur- und Rheinpfalz eG • vero – Verband der Bau- und
                                            Rohstoffindustrie e.V. • Villa Musica Rheinland-Pfalz •
                                           Westenergie AG • WHU – Otto Beisheim School of
                                       Management • Wilhelm Faber GmbH • ZDF – Zweites
                                          Deutsches Fernsehen
                                                 (Stand: Juni 2021)
Geschichten für die Zukunft - BUGA 2029
Eine Kooperation von:

                 Zukunftsinitiative                                                                         Entwicklungsagentur
                 Rheinland-Pfalz                                                                            Rheinland-Pfalz
                 Netzwerk, Impulsgeber, Standortinitiative

                                             Die Zukunftsinitiative Rheinland-Pfalz (ZIRP) e. V. ist das            Die Entwicklungsagentur Rheinland-Pfalz e. V. (EA) wurde
                                             Netzwerk aus Wirtschaft, Wissenschaft, Politik und Kultur in           im Jahre 2003 vom Ministerium des Innern und für Sport
                                             Rheinland-Pfalz. Wir stärken das Land als internationalen              Rheinland-Pfalz und der Technischen Universität Kaisers-
                                             Wirtschaftsstandort, attraktiven Ort zum Leben und Arbei-              lautern gegründet. Die Mitglieder arbeiten in Wissenschaft,
                                             ten und als lebendigen Ort europäischer Kultur. Wir fördern            Verwaltung, Landes- und Kommunalpolitik oder in der Pla-
                                             den Dialog unterschiedlicher gesellschaftlicher Gruppen                nungspraxis. Die Entwicklungsagentur Rheinland-Pfalz e. V.
                                             und geben Impulse für zukunftsweisende Themen und Pro-                 befasst sich mit den Wirkungen von gesellschaftlichen,
                                             jekte.                                                                 technologischen oder wirtschaftlichen Veränderungen auf
                                                                                                                    Kommunen.
                                             Die ZIRP besteht seit 1992. Unsere Arbeit wird ermöglicht
                                             durch einen Trägerverein: Rund 95 Persönlichkeiten, Unter-             Sie arbeitet mit zahlreichen Partnern aus Verwaltungen, For-
                                             nehmen und Institutionen aus Wirtschaft, Politik, Wissen-              schung, Privatwirtschaft und Zivilgesellschaft zusammen. Zu
                                             schaft, Kultur und Kirche tragen diese bundesweit einmali-             ihren wichtigsten Zielen gehören praktische, übertragbare
                                             ge Form der öffentlich-privaten Zusammenarbeit.                        Lösungsansätze: Die neuen Lösungsansätze sollen innova-
                                                                                                                    tiv und finanziell für Kommunen in Eigenregie umsetzbar
                                             Unseren Mitgliedern liegt die Zukunft des Landes Rhein-                sein und in bestehenden Strukturen funktionieren.
                                             land-Pfalz besonders am Herzen. Sie setzen auf ein ge-
                                             meinsames, langfristig orientiertes Handeln in den Kernfra-            Aus den theoretischen Überlegungen und den Erkenntnis-
                                             gen der wirtschaftlichen Entwicklung und bringen sich mit              sen der praktischen Modellprojekte entwickelt die EA über-
                                             ihren Erfahrungen und ihrer Expertise in die Denkfabrik                tragbare, d. h. ortsunabhängige und für andere nutzbare,
                                             ZIRP ein.                                                              Handlungsempfehlungen, u. a. für Kommunen oder die
                                                                                                                    Landesverwaltung.
                                             Diese Publikation wird ermöglicht durch unsere Mitglieder.

2   Geschichten für die Zukunft Kulturregionen in Rheinland-Pfalz                                                                                 Geschichten für die Zukunft Kulturregionen in Rheinland-Pfalz   3
Geschichten für die Zukunft - BUGA 2029
Generaldirektion Kulturelles                                                              Unser Begriff von
                 Erbe Rheinland-Pfalz                                                                      Kulturregion

                                             Viele landeseigene Kulturgüter in Rheinland-Pfalz werden              Kulturregion wird von den Projektpartnern verstanden als
                                             durch die Generaldirektion Kulturelles Erbe (GDKE) betreut.           die Gesamtheit regionaler Identifikationsfaktoren, mit dem
                                             Unter dem Dach der GDKE finden sich neben der Direktion               materiellen und immateriellen kulturellen Erbe als Basis,
                                             Burgen, Schlösser, Altertümer auch die drei bedeutenden               mit Einflüssen und Akteuren aus Gesellschaft, Wirtschaft,
                                             Landesmuseen in Koblenz, Mainz und Trier sowie die Direk-             Medien, Kultur, Politik und Verwaltung, ihren gemeinsamen
                                             tionen Landesdenkmalpflege und Landesarchäologie. Da-                 Zukunftsvorstellungen und der -gestaltung.
                                             zu gehören auch das Zentrum der Antike in Trier und das
                                             Kulturzentrum Festung Ehrenbreitstein in Koblenz. Zahlrei-
                                             che Ausstellungen, Veranstaltungen und Vermittlungsange-
                                             bote der GDKE machen Geschichte lebendig. Im Vorder-
                                             grund steht dabei immer das Ziel, allen interessierten
                                             Bürgerinnen und Bürger sowie den Besucherinnen und Be-
                                             suchern aus aller Welt das große kulturelle Erbe des Landes
                                             zu öffnen und erlebbar zu machen.

4   Geschichten für die Zukunft Kulturregionen in Rheinland-Pfalz                                                     Geschichten für die Zukunft Kulturregionen in Rheinland-Pfalz   5
Geschichten für die Zukunft - BUGA 2029
Inhalt                                                                                                                                                                                                                                      Inhalt

         8     Grußwort                           Profil und Narrativ                   Regionale Vernetzung und           Finanzierung und Förderung       Kultur als Bewegerin                   Die Modellregionen:
               Heike Arend/                                                             Organisation                       regionaler Kultur                                                       Oberes Mittelrheintal und
               Rainer Zeimentz/                                                                                                                                                                    Rheinhessen
               Dr. Heike Otto
                                                  33     Mittelrheiner entdecken        47   Kultur als lernendes System   67   Kultur-Mehr-Wert            89    Kultur ist nicht die Kür         112 		Kulturregion Oberes Mittel-
         10    Editorial                                 sich neu                            Roderick Haas                      Bartel Meyer                      Harald Pitzer                          rheintal. Kulturelle Identität
               Heike Arend                               Berthold Stückle                                                                                                                                als Generationenprojekt
               Geschäftsführerin der ZIRP                                               48   Über das Netzwerk zur         68   Regionale Kulturförderung   90    Sag’s deinen Freunden                  Andreas Jöckel
                                                  34     REGIOBRANDING –                     KREATIVVITTI                       in Rheinland-Pfalz                Jasmin Koch
         13    Sehnsucht nach Berührung                  Werte-Check für die Heimat          Dr. Swantje Grotheer/              Volker Gallé                                                       115    Netzwerkanalyse der Kultur
               und Reflexion                             Birgit Böhm                         Dr. Kirsten Mangels/                                           93 		Genuss mit allen Sinnen                  im Oberen Mittelrheintal
               Im Gespräch mit                                                               Mark D. Schlick               71   Kultur ohne Grenze               Rudolf Felgner                           Univ.-Prof. Dr. habil.
               Dr. Patrick S. Föhl                38     Kultur als Gemeingut.                                                  Dieter Müller                                                             Gabi Troeger-Weiß
                                                         Plädoyer für einen neuen       51   Postulat und Programm der                                      96 		Gestaltungswille, Mut,
         16    Was uns zusammen-                         Ansatz                              Partnerschaft                 74   Heimat der Wander-               Entschlossenheit                  121    Gemeinsam Heimat
               schmiedet                                 Davide Brocchi                      Robert Montoto                     musikanten                       Dorine Wolf                              gestalten
               Antje Hinz                                                                                                       Im Gespräch mit                                                           Frank Puchtler
                                                  41     „Wir sind Rheinhessen.“        54   Organisation und                   Landrat Ralf Leßmeister/    100 		Skulpturen für das
         20    Kakteenzucht im                           Zugänge zu regionalen               Eigeninitiative in der             Landrat Otto Rubly                Wir-Gefühl                       123    Kulturregion Rheinhessen:
               ländlichen Raum                           Narrativen über Oral History        Kulturregion Westpfalz                                               Im Gespräch mit                         Botschafter des guten
               Prof. Dr. Oliver Scheytt                  Dr. Sarah Scholl-Schneider          Im Gespräch mit               77   Attraktiv, alternativ             Carlo Schuff/                           Geschmacks
                                                                                             Dr. Hans-Günther Clev/             und anders                        Simon Geib                              Tamina Müller/
         25    TRAFO: Neue Wege                                                              Dr. Christoph Dammann              Dr. Karin Drda-Kühn                                                       Lina Stroh
               regionaler Kulturarbeit                                                                                                                      103   Verantwortung und
               Harriet Völker                                                           58   Die Seele der Marke           81   Miteinander erleben,              Verständigung                    125    Horsch emmo:
                                                                                             Landrätin Dorothea Schäfer         gestalten, sprechen               Rainald Kauer                           Trullo on Tour
                                                                                                                                Staatssekretär                                                            Bernadette B. Boos/
                                                                                        62   Virtuelle Hausgemeinschaft         Prof. Dr. Jürgen Hardeck    106   Gestern und heute aus                   Tobias Boos
                                                                                             der Kultur                                                           einem Guss
                                                                                             Dr. Margit Theis-Scholz       84   Digital und zukunftsfähig         Steffi Zurmühlen                 128    Vielfalt als Herausforderung
                                                                                                                                Christian Kleinhanß                                                       Dr. Herrad Krenkel

                                                                                                                                                                                                   130    Stationen des Projekts

                                                                                                                                                                                                   132    Auf dem Weg zur Kultur-
                                                                                                                                                                                                          region

                                                                                                                                                                                                   134    Impressum

                                                                                                                                                                                                   135    Bild- und Fotonachweise

6        Geschichten für die Zukunft Kulturregionen in Rheinland-Pfalz                                                                                                      Geschichten für die Zukunft Kulturregionen in Rheinland-Pfalz       7
Geschichten für die Zukunft - BUGA 2029
Grußwort                                                                                                                                                                                                                                                      Grußwort

                        Grußwort

                        Rheinland-Pfalz ist reich an kulturellen Zeugnis-      Landesweite Fachtagungen definierten die Idee          Ein besonderer Dank gilt auch Antje Hinz, Massiv-    Der Weg zur Kulturregion ist ein langer Prozess
                        sen und Überlieferungen aus über zwei Jahrtau-         der „Kulturregion“ für Rheinland-Pfalz mit Vertre-     Kreativ, die als Projektbegleitung erheblich zur     mit nachhaltiger Wirkung. Wo sich Kulturregionen
                        senden bis in die Gegenwart. Kultur trägt zur Iden-    terinnen und Vertretern aus Kultur, Wirtschaft,        Umsetzung und Mitgestaltung des Projekts beige-      erfolgreich entwickelt haben, entfalten sie neue
                        tifikation der Menschen mit der Region bei, in der     Wissenschaft, Verwaltung und Tourismus unter           tragen hat.                                          gesellschaftliche und wirtschaftliche Dynamiken,
                        sie aufwachsen und leben. Kultur ist nicht statisch,   wechselnden inhaltlichen und organisatorischen                                                              bauen Verbundenheit und Identität auf. Die Frage
                        sie entwickelt und verändert sich. Kulturelle Güter    Blickwinkeln. In den für das Projekt gewählten         Mit dieser Publikation wollen wir Verantwortli-      nach Kulturregionen ist – gerade bedingt durch
                        verschwinden und prägen gleichwohl die Nach-           Modellregionen „Oberes Mittelrheintal“ und             chen in Politik, Wirtschaft, Wissenschaft, Touris-   die Corona-Pandemie und die mit ihr einherge-
                        welt. Neben manifesten Zeugnissen der Kunst            „Rheinhessen“ wurden praktische Themen auf             mus und Kultur Impulse geben, wie sich Regionen      henden Einschränkungen, die eine besondere He-
                        und Kultur sind auch immaterielle Kulturgüter wie      dem Weg zur Kulturregion behandelt. Beide Regi-        aus eigener Kraft auf den Weg zu einer Kulturre-     rausforderung für die Kultur und das kulturelle
                        Sprache, Gebräuche und Traditionen wichtiger           onen zeichneten sich dadurch aus, dass sie sich        gion machen und wie bereits begonnene Prozes-        Leben in ländlichen Regionen darstellen – eine
                        Bezug für die kulturelle Verortung und Heimat          durch bewusste Entscheidungen das Ziel gesetzt         se weitergeführt werden können. Die Publikation      Zukunftsfrage.
                        von Menschen. Sie sind zugleich ein enormer            haben, sich als Kulturregion zu definieren und zu      ist über die Dokumentation des Projektgesche-
                        Schatz, um die Region für die Bewohnerinnen            profilieren: Das Obere Mittelrheintal ist UNESCO-      hens hinaus als Handreichung zu verstehen, die
                        und Bewohner, für Touristen und Gäste im wahrs-        Welterbe und 2029 Ausrichter der Bundesgarten-         Ideen gibt, was für den Entwicklungsprozess zu
                        ten Sinn wertzuschätzen – mit wirtschaftlichen         schau (Buga). Welterbestatus und Buga, zudem           einer Kulturregion wichtig ist und wie man mit
                        Werten zu hinterlegen. Regionale kulturelle Profi-     der Rhein als verbindendes Element, sind eine          Kultur das Profil einer Region schärfen kann.
                        le können einen Beitrag zur Standortentwicklung        gute Voraussetzung, um das Profil einer Kulturre-
                        leisten, die touristische Attraktivität erhöhen und    gion zu entwickeln. Besonders der Buga-Prozess
                        einen Identifikations- und Orientierungsrahmen         schafft Gemeinsamkeiten für die Region und
                        für Einwohnerinnen und Einwohner bieten. Das           kann für eine nachhaltige kulturelle Entwicklung
                        gemeinsame Projekt „Kulturregionen in Rhein-           genutzt werden. Rheinhessen rückte durch die
                        land-Pfalz“ der Zukunftsinitiative Rheinland-Pfalz     Feierlichkeiten zum 200-jährigen Bestehen der
                        (ZIRP) e. V., der Entwicklungsagentur Rheinland-       Region erneut enger zusammen. Elf Verbandsge-
                        Pfalz (EA) und der Generaldirektion Kulturelles        meinden aus drei Landkreisen (Alzey-Worms,                        Heike Arend		                      Rainer Zeimentz		                  Dr. Heike Otto
                        Erbe Rheinland-Pfalz (GDKE) hatte daher das Ziel,      Mainz-Bingen, Bad Kreuznach) sowie der Stadt
                        die Regionen in Rheinland-Pfalz bei der Profilie-      Alzey haben sich unter dem Leitbild „Zukunftsre-
                        rung über kulturelle Prägungen, Besonderheiten         gion Rheinhessen – authentisch, genussvoll, nach-                                                                                         GENERALDIREKTION
                                                                                                                                                                                                                         KULTURELLES ERBE
                        und Alleinstellungsmerkmale zu unterstützen            haltig“ für die Profilierung als Kulturregion Rhein-
                        und einen Beitrag zu leisten zu ihrer Inwertset-       hessen entschieden. Während der knapp zweijäh-
                        zung für Tourismus, Wohn- und Lebensqualität           rigen Projektlaufzeit haben wir – ZIRP, EA und
                        sowie Wirtschaftsförderung.                            GDKE – die beiden Modellregionen auf dem Weg
                                                                               zur Kulturregion begleitet. In Schwerpunkt-Work-
                        Kulturregion ist nicht zwingend eine Verwaltungs-      shops wurden im Dialog aller relevanter Akteure
                        einheit, noch ist die heutige politische Gliederung    gemeinsame Themen, tragfähige Strukturen
                        von Bedeutung; vielmehr sind es bewusste oder          sowie Aktivitäten und Alleinstellungsmerkmale
                        unbewusste Zugehörigkeiten und Gemeinsam-              entwickelt. Dies wurde ergänzt durch jeweils zur
                        keiten. Eine Kulturregion wird im Projekt daher        Region passende Aktivitäten wie eine Netzwerk-
                        verstanden als die Gesamtheit regionaler Identifi-     analyse für das Obere Mittelrheintal oder eine
                        kationsfaktoren, mit dem materiellen und imma-         Kultur-Aktion für Rheinhessen. Wir sind stolz, dass
                        teriellen kulturellen Erbe als Basis, mit Einflüssen   wir in den Modellregionen Impulse setzen konn-
                        und Akteuren aus Gesellschaft, Wirtschaft, Medi-       ten. Dies wäre ohne die Bereitschaft der vielen lo-
                        en, Kultur, Tourismus, Politik und Verwaltung,         kalen Akteurinnen und Akteure nicht möglich ge-
                        ihren gemeinsamen Zukunftsvorstellungen und            wesen. Wir danken deshalb allen Beteiligten für
                        der -gestaltung.                                       die Offenheit und konstruktive Zusammenarbeit.

8          Geschichten für die Zukunft Kulturregionen in Rheinland-Pfalz                                                                                                                      Geschichten für die Zukunft Kulturregionen in Rheinland-Pfalz         9
Editorial                                                                                                                                                                                                                                                        Editorial

                           Editorial

                           Die große „Völkermühle“ am Rhein – jedes Jahr             Auch andere Regionen in Rheinland-Pfalz fügen         Inmitten der Corona-Pandemie war das Projekt-
                           am 18. Januar, dem Todestag von Carl Zuckmayer,           dem Bild von Wirtschaftsregion, von prägender         geschehen mit einem Mal digital, aber nicht min-
                           begegnet uns dieses Bild, das er über die Figur           Landschaft und politischer Einheit das Profil als     der interaktiv. Den zahlreichen aktiven Begleitern
                           des General Harras in „Des Teufels General“ von           Kulturregion hinzu: die Westpfalz, die mit dem        des Projekts bei Fachkonferenzen, Workshops
                           Rheinhessen überliefert hat. Es skizziert das be-         Verein Zukunftsregion Westpfalz den organisato-       und regional fokussierten Treffen gebührt ein rie-
                           wegte Geschehen in dieser Region: wechselnde              rischen Rahmen für das kulturelle Geschehen hat;      siger Dank. Den Ertrag der Impulse und des Aus-
                           Herrschaften, durchziehende Truppen, Handel-              die Pfalz, die mit dem Regionalverband Pfalz über     tauschs bilden wir in dieser Publikation ab. Klar
                           treibende, Zuflucht suchende Migranten. Die „Kel-         bedeutende Kultureinrichtungen verfügt; oder der      ist, dass auch das Kulturgeschehen in Rheinland-
                           ter Europas“ ist heute der Stolz der Rheinhessin-         Westerwald, der über die Initiative „Wir Wester-      Pfalz in der Post-Corona-Zeit nicht den Status quo
                           nen und Rheinhessen – auf ihren berühmten                 wälder“ eine emotionale Verbindung mit der Re-        ante einnehmen kann. Da fügt es sich gut, dass
                           Sohn aus Nackenheim und auf die Vieldeutigkeit            gion aufbauen will. Viele weitere Beispiele gibt es   die Ideen und Konzepte für regionalisierte Kultur-
                           seiner Worte: Ja, hier ist seit jeher Vielfalt zuhause,   in Rheinland-Pfalz.                                   entwicklung und –förderung schon auf dem
                           der beste Wein auf Erden, Gastfreundschaft, Leut-                                                               Schirm vieler Verantwortlicher sind und in den re-
Heike Arend                seligkeit und Kulturreichtum. Zuckmayer hat               Mit dem Projekt „Kulturregionen in Rheinland-         gional aktiven Kulturmanagerinnen und –Mana-
Geschäftsführerin          Rheinhessen wohl ungewollt ein „Narrativ“ ge-             Pfalz“ setzt die ZIRP die regionale Perspektive auf   gern bereits personell verankert ist. Der Dank geht
der ZIRP                   schenkt – wie der Schlüsselbegriff für das sinnstif-      das Kulturgeschehen in Rheinland-Pfalz fort, die      auch an das für Kultur zuständige Ministerium,
                           tende Erzählen von sich selbst lautet. Es ist eine        für das Land prägend ist. Nach „Kultur prägt. Re-     das dieses Projekt sehr aufmerksam begleitet hat.
                           Geschichte für die Zukunft aus dem Jahr 1946              gion und Identität in Rheinland-Pfalz“ 2017 und
                           und sie wird weiterwirken.                                „fünf. Kreative Städte in Rheinland-Pfalz“ 2019       Wir erhoffen uns, dass die Regionen in Rheinland-
                                                                                     befördert dieses Projekt das Selbstbewusstsein        Pfalz durch die vorliegende Publikation und die
                           „Erzähl mir Deine Geschichte von Rheinhessen.“            und die Selbst-Vermarktung der Regionen des           ganz praktischen Beispiele und Hinweise inspi-
                           Das haben die Geschwister Bernadette und Tobias           Landes als kulturreiche, attraktive, markante Er-     riert werden, ihren Weg zur Kulturregion weiterzu-
                           Boos im Rahmen unseres Projektes „Kulturregio-            lebnishorizonte, in denen Menschen eine emotio-       gehen. In der Nach-Corona-Zeit kann dies ein ge-
                           nen in Rheinland-Pfalz“, Menschen im Herbst               nale und lebendige Heimat finden, die attraktive      eignetes Vorhaben sein, um Kulturschaffende,
                           2019 gebeten. Es kamen Geschichten: von der               Wirtschaftsstandorte sind und die Touristinnen        Touristiker, Wirtschaft und Gesellschaft in einem
                           Offenheit der Menschen und von Freiheit, vom              und Touristen gewinnen. In GDKE und EA haben          gemeinsamen Zukunftsprojekt zu versammeln.
                           Gebabbel und der Multikultur, vom Rhein und den           wir Projektpartner, die mit uns die Begeisterung      Ein besonderer Dank geht an Tamina Müller, die
                           sanften Hügeln, vom Wingertshäuschen und dem              für das Kulturland Rheinland-Pfalz teilen und         für die ZIRP dieses Projekt zu einem guten Ende
                           Geschmack von Erdbeeren.                                  ebenso die Gewissheit, dass das regionale Be-         geführt und in bewundernswerter Sorgfalt, Be-
                                                                                     wusstsein für das eigene kulturelle Profil von Be-    harrlichkeit und Begeisterung die Redaktion die-
                           Ist das eine Kulturregion? Lassen Sie es uns prü-         deutung ist. Besonders in der Modellregion „Obe-      ser Publikation übernommen hat.
                           fen anhand der Definition, auf die sich ZIRP, GDKE        res Mittelrheintal“ und mit Blick auf die
                           und EA zu Beginn des Projekts verständigt haben:          Bundesgartenschau 2029 vereint sich unsere
                           „die Gesamtheit regionaler Identifikationsfakto-          Überzeugung, dass eine Kulturregion nicht per se
                           ren, mit dem materiellen und immateriellen kul-           „ist“, sondern dass sie entschieden und langfristig
                           turellen Erbe als Basis, mit Einflüssen und Akteu-        gestaltet werden muss.
                           ren aus Gesellschaft, Wirtschaft, Medien, Kultur,
                           Tourismus, Politik und Verwaltung, ihren gemein-
                           samen Zukunftsvorstellungen und der -gestal-
                           tung“. Rheinhessen hat spätestens seit dem Jubilä-
                           umsjahr 2016 all dies – vor allem aber den
                           entschiedenen Willen zur gemeinsamen Zukunfts-
                           vorstellung und -gestaltung als Kulturregion.

10            Geschichten für die Zukunft Kulturregionen in Rheinland-Pfalz                                                                                                                      Geschichten für die Zukunft Kulturregionen in Rheinland-Pfalz         11
Einführung

                                                                     Sehnsucht nach Berührung und Reflexion.
                                                                     Regionale kulturelle Zusammenarbeit
                                                                     Im Gespräch mit Dr. Patrick S. Föhl, Gründer und Leiter des „Netzwerks Kulturberatung“
                                                                     in Berlin sowie Autor, Trainer und Dozent für Kulturmanagement und Kulturpolitik

                                                                     Dr. Patrick S. Föhl ist Spezialist für Veränderungs-   Großstädte haben differenziertere Kulturland-
                                                                     prozesse und hat zahlreiche Städte und Regionen        schaften als ländliche Regionen, zum Beispiel
                                                                     in Deutschland, aber auch international, bei Kul-      eine breite Freie Szene oder andere künstlerische
                                                                     turentwicklungsplanungen beraten und begleitet.        Ansätze.
                                                                     Mit ihm haben wir darüber gesprochen, was eine
                                                                     Region zur Kulturregion macht.                         Welchen Stellenwert hat die Kultur einer
                                                                                                                            Region? Welchen sollte sie haben?

     Einführung                                                      Was zeichnet Ihren Ansatz als Kulturentwick-
                                                                     lungsplaner und Kulturmanagement-Trainer
                                                                     aus?
                                                                                                                            Die Kultur ist in vielen Regionen geprägt durch die
                                                                                                                            Geschichte, Sprache, Lebensformen und Traditio-
                                                                                                                            nen und wird durch diese Merkmale definiert.             Dr. Patrick S. Föhl
                                                                     Ich bin seit 2004 selbstständig. Mein Fokus liegt      Diese spezifischen Kulturräume zeichnen sich             Gründer und Leiter
                                                                     auf Kooperationen, denn viele Veränderungen,           entsprechend durch kulturelle Angebote und Akti-         des „Netzwerks Kultur-
                                                                     wie etwa bei der kulturellen Teilhabe oder Sicht-      vitäten aus.                                             beratung“ in Berlin sowie
                                                                     barkeit, sind in der Regel nur durch Kooperatio-                                                                Autor, Trainer und Dozent
                                                                     nen umsetzbar. Die Kulturregion ist der entschei­      Es gibt aber auch künstlich geschaffene Räume,           für Kulturmanagement
                                                                     dende Raum, um Akteure zusammenbringen, sie            die ursprünglich als Wirtschaftsraum entstanden          und Kulturpolitik
                                                                     untereinander zu vernetzen und das Po­tenzial der      sind und sich jetzt durch die Kultur profilieren
                                                                     anderen kennenzulernen. Darüber hinaus setze           (wollen). Kultur und Region verbinden jedoch
                                                                     ich auf stichhaltige Analysen und auf Partizipati-     nicht nur wirtschaftliche Interessen, sondern auch
                                                                     on, um die kulturellen Akteure mit der Politik zu      gemeinsame kulturelle Traditionen oder Anforde-
                                                                     verbinden. Mit dem Ansatz „Meister*innen der           rungen an die Infrastruktur. Der Stellenwert, den
                                                                     Zwischenräume“ werden Vermittlerinnen und              die Kultur in einer Region hat, ist vielerorts gestie-
                                                                     Vermittler tätig. Sie koordinieren die Kooperati-      gen, da sie hilft, die Identität einer Region zu bil-
                                                                     onsprozesse und vermitteln unter den Beteiligten.      den und damit auch die Verbundenheit der Bevöl-
                                                                                                                            kerung mit ihrer Region zu stärken. So nimmt die
                                                                     Sie haben in vielen, sehr verschiedenen                Sichtbarkeit potenziell nach innen und nach
                                                                     Projekten zur regionalen Kulturentwicklung             außen zu.
                                                                     mitgewirkt. Wie unterscheiden sich kulturelle
                                                                     Szenen und Akteure je nach Region?                     Gerade in ländlichen Regionen ist es wichtig, der
                                                                                                                            Kultur einen noch höheren Stellenwert beizumes-
                                                                     In Deutschland gibt es eine starke dezentralisierte    sen. Sie kann helfen, Veränderungs- und Kommu-
                                                                     Kulturlandschaft mit festen und häufig ganz ähn-       nikationsprozesse zu begleiten, zu beschleunigen,
                                                                     lichen Strukturen. Daher findet man in fast jeder      sie sichtbar zu machen. Dadurch werden auch Be-
                                                                     Region ein gewisses Grundsetting an kultureller        rührungspunkte und Orte zum gemeinsamen Er-
                                                                     Infrastruktur, Projekten und Förderverfahren. Mu-      leben geschaffen.
                                                                     sikschulen und Theatereinrichtungen gibt es zum
                                                                     Beispiel meist auch in ländlichen Regionen. Die
                                                                     großen Themen kultureller Entwicklung, wie die
                                                                     Teilhabe, sind auf dem Land und in der Stadt oft
                                                                     sehr ähnlich. Unterschiede finden sich jedoch im
                                                                     Detail.

12   Geschichten für die Zukunft Kulturregionen in Rheinland-Pfalz                                                              Geschichten für die Zukunft Kulturregionen in Rheinland-Pfalz                 13
Einführung                                                                                                                                                                                                                                                           Einführung

                          Nach der Corona-Krise wird das Verlangen der           Auch für Bürgerinnen und Bürger gilt: Wenn das          Was definiert eine Kulturregion?                         Was wünschen Sie sich für die Zukunft der
                          Menschen nach Treffen und gemeinsamen Aktivi-          kulturelle Angebot das Thema „Region“ auf eine                                                                   Kulturentwicklung?
                          täten groß sein. Kultur kann zum zwischen-             geschickte Art und Weise thematisiert, trägt es         Kulturregionen sind grundsätzlich Gegenden mit
                          menschlichen Kontakt beitragen. Daher ist es           dazu bei, die Identifikation mit ihrem Lebensraum       gemeinsamer Geschichte, Sprache und Tradition            Ich wünsche mir eine aufrichtige Auseinanderset-
                          wichtig, Kultur auch als Raum des Austauschs, des      zu erhöhen.                                             sowie Räume mit spezifischen Mentalitäten und            zung mit der gegenwärtigen Situation. Man muss
                          Treffens und der Reflexion zu verstehen. Man                                                                   Lebensformen. Die einer spezifischen Kultur ver-         jetzt offen über die Herausforderungen in der Kul-
                          spricht hier auch von sogenannten „Dritten Orten“.     Sind regionale identitätsbildende Faktoren              pflichtete Region als Kulturraum ist häufig Grund-       tur sprechen und den Mut haben, auch neue Wege
                          Die Corona-Pandemie ist ein Katalysator, der Desi-     durch Kulturpolitik und Kulturförderung                 lage anderer Aspekte des Regionenverständnis-            einzuschlagen. Wir müssen jetzt viele Punkte neu
                          derate noch deutlicher zutage treten lässt und be-     beeinflussbar?                                          ses, zum Beispiel politischer oder wirtschaftlicher      denken und bisherige Strukturen sowie Verfahren
                          stimmte Prozesse, wie etwa neue Formen des                                                                     Art. Zum Teil werden auch neue Kulturregionen            umbauen und dazu braucht es ein klares Bild
                          Austauschs, der Digitalisierung oder der Teilhabe,     Es gibt Kulturförderungen, die einen regionalen         kreiert. Die Formen, in denen eine Kulturregion          davon, was Kunst und Kultur bewegen können, ge-
                          beschleunigt und zudem hilft, wo sinnvoll und          Bezug verlangen. Kulturpolitik kann durch Förde-        organisiert sein kann, sind sehr unterschiedlich,        rade in den Bereichen Kommunikation, Teilhabe
                          nötig, sich neu zu erfinden.                           rung oder das Aufrufen bestimmter Themen ge-            abhängig von den Zielen und Aufgaben. Beispiels-         und Diversität. Dazu braucht es aber eine starke
                                                                                 zielt einen regionalen Bezug herstellen und damit       weise haben die vom Land NRW unterstützten               Haltung in der Politik und eine starke, konstruktive
                          Wie definieren Sie „Kultur“ bezogen auf die            Wechselwirkungen auslösen. Hierbei besteht aber         Kulturregionen fest definierte Aufgaben, Struktu-        Haltung seitens der Akteure, die über das klassi-
                          Region? Und: Worin äußert sich regionale               die Gefahr, dass Kooperationen nur geschlossen          ren und eigene Förderverfahren. Lose Zusam-              sche Fordern hinausgeht. Mein Ziel ist es, weiter-
                          Kultur?                                                werden, um die Förderungskriterien zu erfüllen –        menschlüsse von Kulturräumen haben dagegen               hin an einer möglichst offenen Kommunikation
                                                                                 und dass daraus dann kein gutes Projekt entsteht,       oft nicht mehr als „nur“ ein Netzwerk von Akteu-         mitzuarbeiten und neue Lösungsansätze zu fin-
                          Ich habe dabei ganz unterschiedliche Assoziatio-       weil es nicht nachhaltig oder wahrhaftig gedacht        ren. Dann gibt es noch Modellregionen, die Teile         den gemeinsam mit den Potenzialen einer Region
                          nen: Einerseits verbinde ich den Begriff mit be-       wurde. Ich plädiere eher für gezielte und durch-        eines Kulturraums sind und den Startpunkt neuer          – sodass langfristig Netzwerke entstehen, die in
                          stimmten großen Institutionen wie Museen, aber         dachte Kriterien, die auch wirklich zu wirkungsvol-     Entwicklungsprozesse bilden.                             der Lage sind, diese Prozesse umzusetzen.
                          auch mit Brauchtumspflege, mit lokalen Identitä-       len Projekten führen.
                          ten und regionalen Besonderheiten. Andererseits                                                                Kann jede Region zur Kulturregion werden?
                          mit mittleren Institutionen, die eigene Kulturarbeit   Welche Chancen aber auch Verpflichtungen                                                                           Eine vollständige Bibliographie sowie weitere
                          leisten und kulturelle Produktionen voranbringen.      geht eine Region ein, wenn sie sich als                 Grundsächlich ja! Aber das Wie ist entscheidend.           thematisch relevante Texte zum Download
                          Außerdem verbinde ich damit Begriffe wie Labor         Kulturregion definiert?                                 Finanzielle Mittel alleine reichen nicht aus. Man          sind auf der Webseite von Dr. Patrick S. Föhl
                          oder Modell, da sich mehr und mehr Kulturschaf-                                                                muss in Entwicklungen und Prozesse investieren             zu finden: https://www.netzwerk-kulturbera-
                          fende in ländlichen Räumen mit neuen Ansätzen          Der Regionen-Begriff ist sehr vielfältig. Viele Regi-   und sie mit den regionalen Besonderheiten und              tung.de/ueber/dr-patrick-s-foehl/publikatio-
                          ausprobieren und interessante Angebote schaf-          onen versuchen sich im Feld der Kultur zu positio-      Themen verknüpfen. Außerdem ist ein Netzwerk               nen.
                          fen.                                                   nieren, um dadurch beispielsweise im touristi-          aus Akteuren wichtig, die sich kümmern und ko-
                                                                                 schen Bereich sichtbarer zu werden oder um              ordinieren. Oft sind Ehrenamtliche am aktivsten,
                          Führt die Identifizierung mit der Region zu            Kultur und Natur zu verbinden. Außerdem stehen          stehen jedoch mitten im Leben und haben andere
                          höherem Engagement in und für die Kultur-              einige Kulturräume vor der Herausforderung, die         Prioritäten in Beruf oder Familie. Es ist wichtig, ein
                          szene? Und: Verstärkt ein gutes Kulturangebot          kulturelle Infrastruktur aufrecht zu erhalten und       Bewusstsein zu erzeugen, dass ihre Arbeit wichtig
                          wirklich die Identifikation mit einer Region?          versuchen gemeinsam mit den Kommunen, ihre              und sinnvoll ist.
                                                                                 kulturelleren Bildungsangebote zu fördern und
                          Wenn ein Kulturakteur oder eine -akteurin in einer     neue kooperative Strukturen zu etablieren, um
                          Kulturregion erlebt, dass diese Region eine Hilfe in   eine zeitgemäße Kulturarbeit dauerhaft zu ermög-
                          der kulturellen Produktion und Vernetzung ist,         lichen. Definierte Kulturregionen betreiben Kul-
                          sind sie auch interessiert, sich mit der Region zu     turförderung und versuchen zum Beispiel mittels
                          identifizierten. Es gibt aber auch Menschen, die       „Kulturknotenpunkten“, also regionalen Koordina-
                          sich mit der Region verbunden fühlen und deswe-        tionsstellen, Kulturentwicklungsprozesse zu unter-
                          gen die regionale Entwicklung unterstützen möch-       stützen. Man sieht: Kulturregion kann vieles sein.
                          ten. Wenn die Angebote und Aktivitäten der Regi-
                          on Kulturschaffenden einen Mehrwert bringen,
                          steigen auch die Identifikation und das Engage-
                          ment.

14           Geschichten für die Zukunft Kulturregionen in Rheinland-Pfalz                                                                                                                           Geschichten für die Zukunft Kulturregionen in Rheinland-Pfalz          15
Einführung                                                                                                                                                                                                                                                             Einführung

Was uns zusammenschmiedet:
Identität und Bewusstsein
                               „Ein Image und ein Mensch sind zweierlei Dinge.       Der kulturellen Identität                              Kopfarbeiter und digitale Nomaden. Mit kreativen        Im Auftaktworkshop trafen sich die Projektpartner
                               Es ist sehr schwer, einem Image gerecht zu werden.“
                               Elvis Presley1
                                                                                     auf der Spur                                           Ideen und im Austausch mit alteingesessenen Be-
                                                                                                                                            wohnerinnen und Bewohnern geben sie dem tra-
                                                                                                                                                                                                    im Sommer 2019 mit wichtigen Akteuren der bei-
                                                                                                                                                                                                    den Modellregionen auf der Festung Ehrenbreit-
                                                                                                                                            ditionellen Handwerk neue technologische Hilfs-         stein in Koblenz. In einem konstruktiven Aus-
                               Wie sehen wir uns selbst? Wie sehen uns andere?       2019 hat die Zukunftsinitiative Rheinland-Pfalz        mittel (z. B. Smart Farming im Weinanbau) und           tausch ging es unter anderem um Erwartungen
                               Vor dieser Frage steht die Regionalentwicklung im     (ZIRP) das Projekt „Kulturregionen in Rheinland-       eine stärkere überregionale Sichtbarkeit (z. B.         sowie Bedarfe der Projektpartner: Wie und unter
                               Spannungsfeld zwischen Eigen- und Fremdbild,          Pfalz“ gestartet und die Frage gestellt, inwiefern     Bloggen, Online-Marketing/-Vertrieb). Kultur-           welchen Rahmenbedingungen arbeiten die Part-
                               zwischen Identität und Image. Ein Image wird          kulturelle Identitäten die regionale Entwicklung       schaffende entfalten sich innovativ, indem sie          ner aktuell? Welche organisatorischen Strukturen
                               künstlich geschaffen, bedient nicht selten Stereo-    vorantreiben können. Eine Kulturregion als Motor       leerstehende Flächen und Gebäude „bespielen“            nutzen sie? Wie können Kooperationen und Syn-
                               type und leistet Schubladendenken Vorschub. Es        zu nutzen, setzt voraus, dass man sie gut kennt.       und ihnen einen neuen Sinn geben. Diese Aktivi-         ergien entstehen? Wie könnten gemeinsame Inte-
                               weckt Erwartungen, die nicht erfüllt werden kön-      Nachdem von 2014 bis 2017 die kulturelle Prä-          täten besitzen reizvolle Strahlkraft und sorgen re-     ressen und Projektziele gebündelt werden? Wel-
                               nen oder nur unter Einsatz wertvoller Energie, die    gung von Rheinland-Pfalz insgesamt unter die           gional und überregional für Aufmerksamkeit.             che weiteren Interessierten sollten angesprochen
                               an anderer Stelle besser investiert wäre. Über        Lupe genommen wurde und die Ergebnisse in der          Diese Impulse sollten identitätsstiftend nach           werden? Wie kann das Projekt publik gemacht
Antje Hinz                     Werbekampagnen nach außen getragen mag                Publikation „Kultur prägt“ veröffentlicht wurden,      innen und öffentlichkeitswirksam nach außen ge-         werden? Im Sinne der Vielfalt gelang es der ZIRP,
MassivKreativ – Labor          Imagebildung kurzzeitig für Widerhall sorgen,         folgte bis 2019 die Bestandsanalyse kreativer          tragen werden.                                          viele Akteure und Institutionen frühzeitig einzu-
für gesellschaftliche Wert-    nachhaltig wirkt sie selten.                          Städte in Rheinland-Pfalz („Medienstadt Mainz“,                                                                binden.
schöpfung; Beratung und                                                              „Stadtlandschaft Koblenz“, „Digitale Stadt Kaisers-
Begleitung im Projekt          Die deutlich bessere Wahl ist die Erkundung der       lautern“, „Multimediastadt Trier“, „Stadt der freien   Das partizipative
„Kulturregionen in             eigenen regionalen Identität. Sie entsteht aus sich   Räume Ludwigshafen“) und die ZIRP gab den
                                                                                                                                            Gemeinschaftsprojekt                                    Ikonografisch für
Rheinland-Pfalz“ sowie
Medienproduzentin und
                               selbst, speist sich aus der Gesamtheit historischer
                               Prägungen, aus politischen sowie wirtschaftlichen
                                                                                     Sammelband „fünf“ heraus. Das auf zwei Jahre
                                                                                     angelegte Projekt „Kulturregionen“ hat nun noch-
                                                                                                                                                                                                    Rheinessen: der Trullo
Wissensdesignerin (Texte,      Gegebenheiten, Alltagsgeschichten und Men-            mals zwei Regionen modellhaft herausgegriffen:         Enge Partner der ZIRP im Kulturregionen-Projekt
Audioguides, Podcasts,         schen, ihren Werten und Mentalitäten. Identität ist   Rheinhessen und das Obere Mittelrheintal, wo           sind die Generaldirektion Kulturelles Erbe Rhein-       Wie regional passende und identitätsstiftende
Hörbücher, Film-Inter-         lebendig und flexibel, sie verändert sich durch äu-   2029 die Bundesgartenschau stattfinden und ein         land-Pfalz (GDKE) und die Entwicklungsagentur           Bürgerbeteiligung aussehen kann, zeigt das krea-
views, Dokumentationen,        ßere Umstände, durch neue Bewohnerinnen und           Konjunkturprogramm für die gesamte Region an-          Rheinland-Pfalz (EA). Sie stehen für das materielle     tive Ausstellungs- und Begegnungsvorhaben „Trul-
Ausstellungen), Modera-        Bewohner, durch Interaktion zwischen Alteingeses-     stoßen soll.                                           und immaterielle Erbe und ihre zeitgemäße Wahr-         lo on Tour“. Eine von der ZIRP einberufene Jury
torin, Workshopleiterin,       senen und Neubürgern, durch den Umgang mitein-                                                               nehmung sowie für Kommunal- und Regionalent-            hatte es im Rahmen einer öffentlichen Ausschrei-
Prozessbegleiterin             ander und in Reaktion auf Neues. Regionale Identi-    Identitätsstiftende Merkmale in Rheinland-Pfalz        wicklung. Sie agieren als Magnet und Impulsge-          bung unter Kunst- und Kulturschaffenden als Ge-
                               tät ist agil und authentisch.                         sind vielfältig: naturgegeben durch die Flüsse         ber, die viele weitere Kulturträger und Institutionen   winnerprojekt ausgewählt. Ein Trullo ist in Rhein-
                                                                                     Mosel und Rhein, kulinarisch durch den Wein, his-      aus beiden Modellregionen co-kreativ und auf            hessen einerseits ein Symbol für Tradition,
                               Identitätsfindung ist ein kommunikativer Prozess.     torisch gewachsen durch Burgen, Schlösser, Fes-        Augenhöhe ansprechen und integrieren. So luden          andererseits ein authentischer Ort des Austauschs.
                               Er ist aufwändig, aber zugleich lohnenswert. Wenn     tungen und Militärgeschichte, narrativ durch die       die drei Hauptpartner zwischen 2019 und 2021 zu         In Anlehnung an die runden steinernen Weinberg-
                               Bewohner zu ihren Wurzeln befragt werden, füh-        Mundart, durch Legenden, Sagen und Märchen,            vier Fachtagungen ein. Dabei ging es um den             häuschen konzipierte das Künstlerduo Bernadette
                               len sie sich ernst genommen und wertgeschätzt.        kulturell durch ein vielfältiges Angebot an Festi-     Mehrwert von Kultur für die Regionalentwicklung,        Boos (Theatermacherin) und Tobias Boos (Kom-
                               Wem „Be-Achtung“ gegeben wird, der gibt gerne         vals und Veranstaltungen. Die ursprüngliche Iden-      um regionale Netzwerkbildung, um die Finanzie-          munikationsdesigner) einen mobilen Trullo-Pavil-
                               etwas zurück. Dies sorgt für Akzeptanz und Unter-     tität kann durch Neues bereichert werden, z. B.        rung von Kulturregionen und um Kultur als Bewe-         lon. Damit zogen sie 2019 über öffentliche Plätze
                               stützung im Verfahren regionaler Profilbildung –      durch interkulturelle und innovative Impulse. So       ger in Kooperation mit Tourismus, Wirtschaft und        auf der Suche nach typischen, realen und erfun-
                               zunächst nach innen und später nach außen.            wie sich Kaiserslautern als „Digitale Stadt“ bzw.      Kommunen. Parallel dazu unterstützten partizipa-        denen Geschichten über Rheinhessen, nach Nar-
                               Identität beruht auf Unterscheidung und Ver-          „Smart City“ etabliert, kann sich auch der ländli-     tive Workshops die Profilbildung. Auch sie dienten      rativen über die Region: Was liegt den Bewohne-
1 Elvis Presley: Presse-       gleich. Was haben andere Menschen oder Orte,          che Raum positionieren. Durch neue agile Arbeits-      der Netzwerkbildung, dem Informationstransfer,          rinnen und Bewohnern am Herzen? Was verbindet
konferenz 1972 (ab Minu-       was gibt es nur bei uns? Bewusstwerdung und Be-       formen wie Coworking oder FabLabs entstehen in         dem Wissens- und Erfahrungsaustausch, der Pro-          sie mit ihrer Region, was bewegt sie? Das Künstler-
te 1:00 https://youtu.be/      wusstseinsbildung sollten daher der Profilbildung     ländlich geprägten Regionen „Digitale Dörfer“ für      fessionalisierung und Selbstermächtigung, der           duo fragte nach Erinnerungen, Lebenswelten und
BsGgf WCfw6w), zitiert in      und Inwertsetzung regionaler Identität vorausge-                                                             gegenseitigen Ermutigung und Motivation aller           Zugehörigkeiten, nach Gemeinsamkeiten und
Lee Doss, Erika (1999):        hen. Wer sich der eigenen Werte und Stärken, aber                                                            Akteure.                                                Prägungen, nach materiellem und immateriellem
Elvis Culture. Fans, Faith &   auch seiner Schwächen bewusst ist, kann sich                                                                                                                         Kulturerbe sowie nach Möglichkeiten bzw. For-
Image. University Press of     weiterentwickeln und an sich selbst wachsen.
Kansas, S. 218.

16                Geschichten für die Zukunft Kulturregionen in Rheinland-Pfalz                                                                                                                        Geschichten für die Zukunft Kulturregionen in Rheinland-Pfalz          17
Einführung                                                                                                                                                                                                                                                         Einführung

                            men ihrer Weitergabe, womit im Trullo-Projekt        ativen Verfahren wie Worldcafé, Fishbowl, Brain-        Menschen ziehen                                        Eine gute Mischung aus analog und digital, aus
                            beispielhaft Nachhaltigkeit gesichert werden
                            konnte. Die gesammelten Geschichten werden als
                                                                                 writing, Kopfstandmethode und Comiczeichnen
                                                                                 ermittelten wir Alleinstellungsmerkmale und Be-
                                                                                                                                         Menschen an                                            kulturellen und touristischen Vor-Ort-Aktivitäten,
                                                                                                                                                                                                medialer Präsenz und Empfehlungsmarketing si-
                            Audiobeiträge ausgewertet, gehen in der Region       sonderheiten zu Landschaft und Natur, Orten und                                                                chert den „Kulturregionen in Rheinland-Pfalz“ Öf-
                            auf Reisen, werden für andere Bewohnerinnen          Kultur, Märchen, Sprache und Dialekten sowie zu         Eine Kulturregion sollte sich die Frage stellen, was   fentlichkeit und Sichtbarkeit. Die Erkenntnis
                            und Bewohner hör- und erlebbar und mit sympa-        Lieblingsorten. Zusätzlich führten wir individuelle     die Menschen vor Ort zusammenschmiedet. In             „Menschen ziehen Menschen an“ beflügelt die
                            thischer Medienberichterstattung begleitet. Die      Audio-Interviews und waren über die „Wurzelspit-        Rheinhessen war es 2016 die Planung des Jubilä-        Netzwerkbildung und das Storytelling: Geschich-
                            Geschichten flossen auch in einen Storytelling-      zen-Intelligenz“2 der Bürgerinnen und Bürger be-        ums „200 Jahre Rheinhessen“. Im Wendland ist es        ten über charismatische und charmante Protago-
                            Workshop in Rheinhessen im Frühjahr 2021 ein.        eindruckt. Im Redaktionsteam bereiteten wir das         der Widerstand gegen das Atomendlager, der im          nistinnen, innovative Vordenker, über kreative Ak-
                            Akteure aus Tourismus und Kultur, Marketing und      enorm vielfältige Wissen für das Online-Portal auf,     überregional bekannten Festival „Kulturelle Land-      tionen und Vorhaben. Die Bewohnerinnen und
                            Wein, Ortsbürgermeister sowie Kultur- und Wein-      gestalteten gemeinsam Blogartikel, Fotostrecken,        partie“ Beachtung findet. Gerade entsteht mit          Bewohner und ihr Lebensalltag sind authentisch
                            botschafter suchten nach Helden, Geschichten         Audios, Podcasts und Filme.                             „Elbe Valley“ ein neues gemeinsames Dachvorha-         und wirken Türöffner zu den Herzen der Öffent-
                            und gemeinsamen narrativen Schnittstellen.                                                                   ben im Vierländereck der Elbe. Die BUGA 2029 ist       lichkeit.
                                                                                 Im Rahmen von Storytelling- und Medienwork-             nun Anstoß für das Obere Mittelrheintal, gemein-
                                                                                 shops an Schulen konnten wir auch jüngere Ziel-         same Ziele und Botschaften zu verfolgen. Eine
                            Blick nach Norden: Elbe505                           gruppen erreichen. Schülerinnen und Schüler re-         wichtige kommunikative und zugleich identitäts-
                                                                                 cherchierten, führten Interviews, produzierten          stiftende Rolle in diesem Prozess soll ein neues
                            Welcher enorme Gewinn darin liegt, mit Bürgerin-     Audio-Slideshows und Filme über Themen, die             Online- und Printmagazin einnehmen. In zwei
                            nen und Bürgern ins Gespräch zu kommen, sie bei      mit ihrer eigenen Lebensrealität verbunden sind,        praxisnahen Medien-Workshops entwickelten wir,
                            der regionalen Profilbildung mitzunehmen und         z. B. über Lieblingsorte, Freizeitaktivitäten, regio-   im Zuge des Projektes „Kulturregionen in Rhein-
                            einzubinden, zeigt ein Praxisprojekt aus dem Nor-    nale Festivals, Geschichte und Vorfahren. Mit eige-     land-Pfalz“, mit Akteuren aus Kultur und Touris-
                            den. Mit den Bewohnerinnen, Grafikdesignern,         nen Medienbeiträgen wurden die Schüler zum              mus, Wirtschaft, Politik und Verwaltung, Wissen-
                            Programmiererinnen und Comiczeichnern habe           Sprachrohr und Botschafter ihrer Region. Sie kön-       schaft und Zivilgesellschaft ein Kommunikations-
                            ich das Bürgerwissensportal „Elbe505.de“ aufge-      nen mitbestimmen und haben direkten Einfluss            konzept, das Bedürfnisse und Wünsche konkreter
                            baut, für Alteingesessene und Zugezogene, für        darauf, welche Identität(en) nach außen getragen        Nutzerinnen und Nutzer (Personas) unter die
                            Neubürgerinnen und Rückkehrer, für Touristen         werden. Über die mediale Reflexion erkennen sie,        Lupe nahm. Wollen sie Information, Unterhaltung,
                            und Gäste. Menschen vom östlichen und westli-        was ihre Heimat einzigartig und unverwechselbar         Überraschung? Was motiviert sie, sich mit dem
                            chen Elbufer, das als ehemaliges Grenzgebiet         macht. Wertschätzung für das eigene Umfeld ver-         Oberen Mittelrheintal zu befassen? Welche Rubri-
                            Leben und Alltag auf vielschichtige Weise geprägt    stärkt ihre Bindung an die Region und die Motiva-       ken und Themen sollen Erwähnung finden: Kunst
                            hat, stellen ihre Regionen vor – das niedersächsi-   tion, sich vor Ort einzubringen und das Alltagsle-      und Kultur, Feste und Bräuche, Kulinarik und Life-
                            sche Wendland und die mecklenburgische Griese        ben aktiv mitzugestalten.                               style, Geschichte und Zukunft, Erbe und Innovati-
                            Gegend.                                                                                                      on? Welche interaktiven Formate eignen sich, um
                                                                                 Schon nach kurzer Zeit wurde „Elbe505.de“ regio-        die Öffentlichkeit zu erreichen und zu aktivieren:
                            Zu Beginn des Projektes ging es darum, kenntnis-     nal und überregional als wertvolles, authentisches      kreative Wettbewerbe und Aufrufe? Die Diversität
                            reiche und interessierte Wissensträger ausfindig     Informationsmedium wahrgenommen. Sowohl                 der Workshop-Teilnehmenden in Interessen und
                            zu machen, sie auf Augenhöhe eng an das Projekt      Einheimische und Touristen als auch Tourismus-          Hintergründe sorgte dafür, den Fokus auf vielfälti-
                            zu binden und eine „Community“ aufzubauen. Wir       und Reiseanbieter schätzen, wie kenntnisreich           ge Zielgruppen zu richten. Mit Design-Thinking-
                            starteten den Prozess mit Bürgerworkshops, die       und leidenschaftlich die Bewohnerinnen und Be-          Methoden entstanden Prototypen mit passenden
                            über die regionale Presse, über Gemeindekästen       wohner ihr Umfeld präsentieren; ein gutes Bei-          journalistischen Formaten für Print, Online und
                            und über kommunikationsstarke Multiplikatoren        spiel für glaubwürdiges Empfehlungsmarketing.           Social Media. Wir diskutierten über Botschaften
                            angekündigt wurden. Ihre Mund-zu-Mund-Propa-                                                                 und deren Wirkung bei den Zielgruppen – nach
                            ganda erwies sich als besonders wertvoll. Mit kre-                                                           innen gegenüber Bewohnerinnen und Bewoh-
                                                                                                                                         nern, nach außen gegenüber Touristen.
2 Mancuso, Stefano/Viola,
Alessandra (2015): Die
Intelligenz der Pflanzen.
Verlag Antje Kunstmann.

18             Geschichten für die Zukunft Kulturregionen in Rheinland-Pfalz                                                                                                                       Geschichten für die Zukunft Kulturregionen in Rheinland-Pfalz          19
Einführung                                                                                                                                                                                                                                                              Einführung

Kakteenzucht im ländlichen Raum.
Wo Eigen- und Gemeinsinn zusammen
erblühen
                              Nachdem die Nachkriegszeit vom Begriff der „Kul-         ten Fonds (wie z. B. Fonds Soziokultur, Fonds Dar-     Neue Prozesse für den                                 Verantwortung für
                              turpflege“ geprägt war, wurde die Hauptvokabel
                              der „Neuen Kulturpolitik“, die in den 1970er Jah-
                                                                                       stellende Künste). So haben sich neue Akteurs-
                                                                                       strukturen gebildet, zivilgesellschaftliche Organi-
                                                                                                                                              ländlichen Raum                                       Identitätsstärkung
                              ren proklamiert wurde, die „Kulturarbeit“ mit den        sationen sind Faktoren des politischen Systems
                              sie prägenden „Kulturarbeitern“ und „Kulturschaf-        geworden und die Entscheidungsstrukturen der           Selbstverständlich kann hier nur kurz angerissen      Sowohl für die Kulturpolitik als auch das Kultur-
                              fenden“. Diese gebräuchlichen Leitbegriffe sind          öffentlichen Hand agieren und funktionieren im         werden, welche gesellschaftlichen Entwicklungen       management gibt es angesichts dieser Entwick-
                              bis heute geblieben. Sie versinnbildlichen, dass an      Sinne einer „Cultural Governance“.2 Kurzgefasst:       bei der Kulturpolitik im ländlichen Raum zu be-       lungen in der stetig komplexer werdenden (Um-)
                              der, in der und für die Kultur „gearbeitet“ wird. Kul-   Kulturpolitik ist vernetzter, aktiver, präsenter und   rücksichtigen sind. Doch ein Thema ist uns in den     Welt eine außerordentlich wichtige Aufgabe: Die
                              tur wird somit nicht nur von „Künstlern“ geschaf-        beteiligungsaktiver geworden. Zur Erarbeitung          Zeiten der Pandemie besonders bewusst gewor-          eigene Orientierung als Person und als Gemein-
                              fen oder in Institutionen der „Kulturpflege“ gestal-     zeitgemäßer Kulturkonzepte ist daher eine Netz-        den: Die Digitalisierung verändert mit einer un-      schaft in Form der Selbstvergewisserung. Dies
                              tet, sondern auch in einem weiteren Kreis von            werkanalyse angezeigt.3 Für eine sinnvolle Defini-     aufhaltsamen Stärke und Rasanz unser Leben            wird in dem von der UNESCO im Jahr 1982 defi-
                              (arbeitenden) Menschen. Kulturpolitik schafft            tion im kulturpolitischen Vokabular stehen in die-     und eröffnet dem „mentalen Kapitalismus“ (Georg       nierten Kulturbegriff sehr treffend wie folgt formu-
                              dafür die Rahmenbedingungen in Form von                  sem Kontext die vier „K“ – Kooperation,                Franck) ungeahnte Potenziale. Längst ist nicht        liert: „Erst durch die Kultur werden wir zu mensch-
Prof. Dr. Oliver Scheytt      Rechtsetzung (vom Urheberrecht und Steuerrecht           Koordination, Konsensfindung und Kommunikati-          mehr der Tausch und Kauf materieller Produkte         lichen, rational handelnden Wesen, die über ein
Professor für Kulturpolitik   bis zur Verabschiedung von Satzungen für die Kul-        on – mit denen neue Steuerungsoptionen eines           das alles bestimmende ökonomische Handelsob-          kritisches Urteilsvermögen und ein Gefühl der
an der Hochschule für         turinstitutionen im ländlichen Raum) und der Be-         „aktivierenden Kulturstaats“ verbunden sind.           jekt, sondern der Tausch und Kauf geistiger Leis-     moralischen Verpflichtung verfügen. Erst durch
Musik und Theater             reitstellung von Fördergeldern. Kulturpolitik setzt                                                             tungen, von Ideen und Kreativität. Internet und vor   die Kultur erkennen wir Werte und treffen die
Hamburg und Inhaber der       dabei immer mehr auf Partizipation, auf die Be-          Der Begriff des „Kulturmanagements“ hat sich erst      allem virtuelle Vernetzungen ermöglichen es, die      Wahl. Erst durch die Kultur drückt sich der Mensch
KULTUREXPERTEN GmbH           teiligung der unterschiedlichsten Institutionen          in den 1980er Jahren etabliert und in der Folge den    Ideen, Verhaltensmuster und Vorlieben eines           aus, wird sich seiner selbst bewusst, erkennt seine
                              und Personen, die das kulturelle Leben mitprägen         Begriff der „Kulturverwaltung“ nahezu abgelöst.        jeden Einzelnen nachzuverfolgen. Wer über diese       Unvollkommenheit, stellt seine eigenen Errun-
                              und -gestalten, ob in öffentlicher Trägerschaft, in      Das Verhältnis von Kulturpolitik und Kulturma-         in der gigantischen „Ökonomie der Aufmerksam-         genschaften in Frage, sucht unermüdlich nach           3 Siehe dazu auch »Kul-
                              der Kulturwirtschaft oder der Zivilgesellschaft.         nagement lässt sich wie folgt auf den Punkt brin-      keit“ (Franck) verfügt, kann nicht nur Bilder und     neuen Sinngehalten und schafft Werke, durch die        turentwicklungskonzepti-
                                                                                       gen: In der Kulturpolitik geht es um die Steuerung     Musik bedürfnisgerecht verkaufen (Amazon), sich       er seine Begrenztheit überschreitet.“ Daraus lässt     on für die Modellregion
                                                                                       des Gemeinwesens, also die Entwicklung, Umset-         mit seinen Vorlieben als Individuum anderen           sich im Kern der öffentliche Kulturauftrag ablei-      Landkreis Hildburghausen
                              Kulturpolitik ist                                        zung und das Monitoring kulturpolitischer Zielset-     Menschen präsentieren (Facebook, Instagram,           ten: Dieser zielt auf die Befähigung der Individu-     und Landkreis Sonne-

                              Gesellschaftspolitik                                     zungen im Zusammenwirken von öffentlicher
                                                                                       Hand und Akteuren in der Kulturwirtschaft sowie
                                                                                                                                              TikTok, etc.), Milliarden umsetzen oder mit dem
                                                                                                                                              Angebot zur Orientierung in den virtuellen Welten
                                                                                                                                                                                                    en, sich selbst als Persönlichkeit zu entwickeln,
                                                                                                                                                                                                    Gemeinsinn zu stiften und Verantwortung in der
                                                                                                                                                                                                                                                           berg« (www.kulturkon-
                                                                                                                                                                                                                                                           zept-hbn-son.de) sowie
                                                                                       Zivilgesellschaft. Im Kulturmanagement geht es um      zur teuersten Marke der Welt werden (Google). Die     Gesellschaft wahrzunehmen. Zugleich wird deut-         »Kulturentwicklungskon-
                              Leitbegriffe für die Reflexion des Kontextes länd-       die Steuerung der Kulturinstitutionen und die effi-    Informationsnetzwerke können auch eingesetzt          lich, dass dafür die Freiheit der künstlerischen und   zeption für die Modellregi-
                              licher Kulturpolitik sind heute: „Kulturelle Netz-       ziente, ressourcenschonende sowie effektive, wir-      werden, um Werthaltungen, Einstellungen und           kulturellen Entfaltung unverzichtbar ist. Kulturpo-    on Kyffhäuserkreis und
                              werke“ und „Kulturakteure“ sowie „Cultural Gover-        kungsvolle Umsetzung der von den jeweiligen            Bedürfnisse von Menschen unabhängig von Her-          litik im ländlichen Raum hat demzufolge eine           Landkreis Nordhausen«
                              nance“.1 Letztlich entscheiden in der Kulturpolitik      Rechtsträgern und/oder Eigentümern verfolgten          kunft und Nationalität, Wohnsitz und sprachlicher     große Verantwortung für Selbstreflexion und            (www.kulturkonzept-kyf-
                              zwar Gemeinderäte, Stadt und Kreisräte, das Lan-         Zielsetzungen.                                         Prägung zu nutzen und sogar nachhaltig zu beein-      Identitätsstärkung. Dies gilt für alle Handlungsfel-   ndh.de) sowie Peper, Ro-
                              desparlament von Rheinland-Pfalz sowie die von                                                                  flussen. Umso wichtiger ist es, sich selbst zu ver-   der, ob die Förderung der Kunst, die Aktivitäten in    bert (2016): Die Netzwerk-
                              ihnen gesteuerten/beauftragten Administratio-            Wie indes lassen sich tragfähige Zielsetzungen         orten und seiner eigenen Befindlichkeit und Befä-     der Geschichtskultur oder die Angebote der kultu-      analyse als neue Methode
1 Knoblich, Tobias J./        nen, Kulturinstitutionen etc. Doch die Forderung         entwickeln? Ein Kernsatz für die Gestaltung und        higung zu versichern. Dies gilt auch in Bezug auf     rellen Bildung.                                        in der Kulturpolitikfor-
Scheytt, Oliver (2009): Zur   nach Partizipation in der (Mit-)Gestaltung von Kul-      Ausrichtung von Kulturpolitik lautet: Kulturpolitik    die weiteren Megatrends: Globalisierung und Kli-                                                             schung. Grundbausteine
Begründung von Cultural       tur und Kulturpolitik hat in konkreten Organisati-       ist Gesellschaftspolitik. Damit wird klar, dass eine   mawandel. Der ländliche Raum kann sich einer-                                                                der sozialen Einbettung.
Governance. In: Aus Politik   ons- und Beteiligungsformen ihren Ausdruck ge-           Reflexion von gesellschaftlichen Entwicklungen         seits von diesen globalen Entwicklungen keines-                                                              In: Sievers, Norbert/Föhl,
und Zeitgeschichte            funden: Daher gibt es eine Fülle von Mitwirkenden        und Rahmenbedingungen erforderlich ist, wenn           wegs abkoppeln. Andererseits ist der „Rückzug auf                                                            Patrick S./Knoblich Tobias
8/2009, S. 34–40, Berlin:     und Institutionen, die für die ländliche Kulturpoli-     die Ausrichtung von Kulturpolitik zeitgemäß sein       das Land“ gerade deshalb hier und da von dem                                                                 J., Jahrbuch für Kulturpoli-
Bundeszentrale für politi-    tik relevant sind: Kulturverbände und -vereinigun-       soll. Dabei geht es um mehr als nur die Frage, wel-    Motiv geleitet, sich klimagerecht, nachhaltig und                                                            tik 2015/16, Bielefeld:
sche Bildung.                 gen, Kulturbeiräte, Fördervereine oder auch die          che Einzelziele ein Museum, ein Theater, eine Bib-     naturnah zu versorgen und zu bewegen, Heimat                                                                 transcript Verlag, S. 407–
2 Ebd.                        auf Bundesebene angesiedelten selbstverwalte-            liothek, eine Musikschule oder ein Kulturfestival      zu erleben und zu stiften.                                                                                   415.
                                                                                       verfolgt oder verfolgen sollte.

20              Geschichten für die Zukunft Kulturregionen in Rheinland-Pfalz                                                                                                                          Geschichten für die Zukunft Kulturregionen in Rheinland-Pfalz                  21
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