Gesunde Lebenswelten schaffen - Heft 1 - Aktiv werden für Gesundheit - Arbeitshilfen für kommunale Prävention und Gesundheitsförderung - Quartier 2030
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Aktiv werden für Gesundheit – Arbeitshilfen für kommunale Prävention und Gesundheitsförderung Gesunde Lebenswelten schaffen Heft 1
Aktiv werden für Gesundheit – Arbeitshilfen für kommunale Prävention und Gesundheitsförderung Heft 1 Herausgeber: Gesundheit Berlin-Brandenburg Friedrichstraße 231, 10969 Berlin Tel. 030 / 44 31 90 60 E-Mail: post@gesundheitbb.de Autorinnen und Autoren: Carola Gold, Stefan Bräunling (V.i.S.d.P.), Prof. Dr. Raimund Geene, Holger Kilian, Ute Sadowski, Andrea Weber Die Arbeitshilfen wurden entwickelt im Rahmen des bundesweiten Kooperationsverbundes Gesundheitliche Chancengleichheit. Der Kooperationsverbund Gesundheitliche Chancengleichheit wurde 2003 auf Initiative der BZgA gegründet und wird maßgeblich durch die BZgA getragen. Ihm gehören aktuell 61 Partnerorganisationen an. Geschäftsführung des Kooperationsverbundes: Gesundheit Berlin-Brandenburg Die Erstellung der 4. Auflage der Arbeitshilfen wurde von der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) gefördert. Bildnachweis: Wir danken allen Personen und Organisationen, die für die Arbeitshilfen Material zur Verfügung S. 3, www.pixelio.de, Stephanie Hofschläger gestellt haben. S. 4, www.pixelio.de, Claudia Hautumm S. 6, www.pixelio.de, Lea M. S. 9, www.pixelio.de, jean jannon Umschlag- und Heftgestaltung: S. 10, Gesundheit Berlin-Brandenburg Connye Wolff, Berlin · www.connye.com S. 11, www.pixelio.de, Silvia Buchner S. 12, Nahid Zvornicanin ©Gesundheit 4., aktualisierte Auflage 2014 Berlin-Brandenburg S. 13, www.sxc.hu, Fleur Suijten Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Genehmigungen für S. 16, www.fotolia.de, Ybond die Wiedergabe auch längerer Inhaltspassagen oder ganzer Kapitel werden gern gewährt. Der S. 18, www.pixelio.de, Thomas Kujawa Herausgeber bittet dann um Zusendung eines Belegexemplares. S. 19, www.pixelio.de, Christian Steiner ISBN 978-3-939012-19-1 S. 21, www.fotolia.de, Prod. Numérik
Kommunaler Partnerprozess „Gesund aufwachsen für alle!“ „Gesund aufwachsen für alle!“ Kommunaler Partnerprozess schafft gesunde Lebenswelten für Kinder und Jugendliche Die Chancen auf ein gesundes Aufwachsen Wie können kommunale Gesundheits sind ungleich verteilt strategien gelingen? Laut dem Kinderreport 2007 des Deutschen Vernetzen und Verbinden sind die Schlüssel Kinderhilfswerks leben mehr als 2,5 Millionen für eine erfolgreiche Gesundheitsstrategie. An Kinder in Deutschland in Armut. Und laut der dieser Stelle sei die „Präventionskette“ ge- Arbeitsgemeinschaft der Kinder- und Jugend nannt. Hier werden speziell zugeschnittene hilfe lebt jeder vierte Jugendliche zwischen Formen der Zusammenarbeit entwickelt, die 16 und 24 Jahren in materieller Not oder ist von der Schwangerschaft bis zum Übergang in davon bedroht. das Berufsleben die Menschen fördern und be- Armut bedeutet mehr als nur den Verzicht auf gleiten. materielle Güter: 15 bis 20 Prozent der Kinder Diese Gesamtkonzepte sind notwendig, um und Jugendlichen aus armen Familien haben Armutsfolgen zu vermeiden. Gesundheits schlechtere Gesundheitschancen. förderung und Prävention Was muss getan werden, damit alle Kinder werden zum Bestandteil je- und Jugendlichen die gleichen Gesundheits der Lebensphase, jeden Über chancen haben? ganges und tragen maßgeb- Als Antwort auf diese Frage hat der Koope lich zur Verbesserung der rationsverbund Gesundheitliche Chancen Gesundheitschancen von sozial benachteilig- gleichheit Handlungsempfehlungen erarbeitet, ten Kindern und Jugendlichen bei. wie die Gesundheitschancen von sozial be- nachteiligten Kindern und Jugendlichen nach- Wer nimmt am kommunalen Partner haltig zu verbessern sind. prozess teil? Kurz gesagt: In den Gemeinden, Städten und Mit dem Jahrestreffen des Kooperations Kreisen werden zur Unterstützung integrierte verbundes im November 2011 startete der Strategien und Maßnahmen entwickelt, die Partnerprozess „Gesund aufwachsen für alle!“ ein gesundes Aufwachsen von Kindern und offiziell mit ersten teilnehmenden Kommunen. Jugendlichen und die Unterstützung ihrer Seitdem schließen sich laufend weitere an. Familien ermöglichen. Von kreisfreien und kreisangehörigen Städten und Gemeinden über Stadtbezirke und Kommunaler Partnerprozess „Gesund auf Landkreise bis hin zum Stadtstaat konnten be- wachsen für alle!“ reits die unterschiedlichsten Kommunal Auf dem Weg zu einer besseren Gesundheits strukturen für die Zusammenarbeit gewonnen strategie haben zahlreiche Kommunen er- werden. kannt, dass Familien, Kinder und Jugendliche in schwieriger sozialer Lage besonders unter- stützt werden müssen. Die Umsetzung der Empfehlungen in den Die sieben Handlungsempfehlungen „Gesundheitschancen von sozial Kommunen und der gemeinsame Erfahrungs benachteiligten Kindern und Jugendlichen nachhaltig verbessern!“ finden austausch darüber stehen im Mittelpunkt des Sie unter www.gesundheitliche-chancengleichheit.de/partnerprozess/ kommunalen Partnerprozesses. handlungsempfehlungen. Aktiv werden für Gesundheit · Heft 1 1
Kommunaler Partnerprozess „Gesund aufwachsen für alle!“ Idee und Zielsetzung: „Präventionsketten“ • Gesundheitsförderung und Prävention sind Teil jeder Entwicklungs- und Lebensphase • Unterstützung und Hilfe so früh wie möglich • Alle Akteure arbeiten professionsübergreifend zusammen • Ressourcen unterschiedlicher Sektoren werden zielgerichtet für ein gesundes Aufwachsen genutzt • Übergänge werden als Chancen für sozial benachteiligte Kinder und Jugendliche gestaltet und bestehende Hürden reduziert Abbildung 1: Idee und Zielsetzung der „Präventionsketten“ (eigene Darstellung) Krankenkasse, den Partnern im Kooperations Wer unterstützt den Partnerprozess? verbund Gesundheitliche Chancengleichheit Der Partnerprozess wird von der Bundeszen und den Koordinierungsstellen Gesund trale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA), heitliche Chancengleichheit in den Bundes den kommunalen Spitzenverbänden Deut ländern unterstützt. scher Städtetag, Deutscher Städte- und Ge meindebund sowie Deutscher Landkreistag, Was bietet der bundesweite dem Gesunde-Städte-Netzwerk, der Techniker Kooperationsverbund? Als Zusammenschluss aller relevanten Insti tutionen und Organisationen in der sozial Partnerschaftlich lagenbezogenen Gesundheitsförderung bietet zusammenarbeiten Die unterschiedlichen Ressorts der bundesweite Kooperationsverbund den Wertschätzend und befähigend Blick auf die Lebenswelten öffnen handeln („Empowerment“) stimmen ihre Unterstützungsangebote Die Bedingungen für ein gesundes fachlichen Rahmen. Darüber hinaus bildet der Den Familien wird wertschätzend Aufwachsen werden durch die begegnet; Empowerment-Ansätze aufeinander ab. Kombination von verhaltens- und Verbund die Schnittstelle zwischen Praxis, stärken u.a. die Elternkompetenzen. verhältnisorientierten Ansätzen verbessert Handlungsempfehlungen (Setting-Ansatz). Wissenschaft und politischer Entscheidungs „Gesundheitschancen ebene. Mit seinem modernen Wissensmanage sozial benachteiligter Niedrigschwellige Angebote Kinder und Beteiligung sicher stellen ment und Möglichkeiten zum fachlichen schaffen In allen Phasen der Prävention und Zugangsbarrieren zu Unterstützungsangeboten werden Jugendlicher nachhaltig Gesundheitsförderung werden Eltern, Kinder und Jugendliche aktiv in Austausch – von der kommunalen bis hin zur verbessern!“ abgebaut. Entscheidungsprozesse eingebunden. Bundesebene – gestaltet er den Partnerprozess Multiplikator/innen Ehrenamtsstrukturen transparent und attraktiv. einbinden fördern Personen aus der Zielgruppe Ehrenamtliche werden informieren über die Unterstützungsangebote und kontinuierlich qualifiziert, ihre Arbeit wird koordiniert und Weitere Informationen zum Partnerprozess motivieren zur Teilnahme anerkannt. „Gesund aufwachsen für alle!“ finden Sie unter www.gesundheitliche-chancengleichheit.de/ Abbildung 2: Handlungsempfehlungen des Kooperationsverbundes (eigene partnerprozesspartnerprozess. Darstellung) 2 Aktiv werden für Gesundheit · Heft 1
Kapitel 1 – Was ist Gesundheit? In den Quartieren der Sozialen Stadt entsteht vieles, was sich positiv auf die Definition Prävention Gesundheit der Bewohner auswirkt. In Bremen-Osterholz-Tenever ermög „(Primär1)Prävention licht z.B. eine Kinder- und Jugendfarm ein gemeinschaftliches Naturerlebnis bezeichnet die Verminde- rung von (Teil-)Ursachen als Kontrast zur gebauten Umwelt. In Köln-Kalk entstand in einem alten bestimmter Erkrankun- Industriegebiet eine Abenteuerhalle für Jugendliche und junge Erwachsene. In Velten- gen oder von Krankheit Süd wurde in einer alten Grundschule ein Bürgerhaus errichtet, das soziale Angebote überhaupt. Das Ziel ist die Senkung von Eintritts bündelt. wahrscheinlichkeiten oder Inzidenzraten2“ Und dennoch hieß es im Statusbericht 2008 zum Programm soziale Stadt „Wenngleich (Rosenbrock, 2004, S. 27). hinlänglich bekannt ist, dass Armut und soziale Benachteiligung ein erhebliches Gesundheitsrisiko darstellen, werden Soziale Stadt und Gesundheitsförderung immer noch zu selten in Verbindung gebracht. Gesundheitsförderung und die Bewältigung armutsbedingter Gesundheitsprobleme spielen in den Quartieren nach wie vor eine untergeordnete Rolle. Eine Stärkung dieses Handlungsfelds erscheint daher weiterhin nötig.“ Und in der Rangliste der Handlungsfelder belegte das Thema Gesundheit nur einen schwachen 19. Platz (Bundestransferstelle Soziale Stadt, 2008, S. 32). Definition Gesundheitsför- derung „Seit der Ottawa-Charta der Wird von Gesundheit gesprochen, so denken WHO bezeichnet Gesund die meisten erst einmal an Krankheit und heitsförderung Prozesse, die medizinische Versorgung. Und „Gesundheit“ Individuen oder Zielgrup- pen zu mehr Selbstbestim wird oft erst dann zu einem Thema, wenn mung über ihre Gesundheit ein Mensch erkrankt oder etwas nicht mehr verhelfen“ wie gewohnt funktioniert. (Rosenbrock, 2004, S. 28). Die Weltgesundheitsorganisation WHO geht dagegen von einem positiven Verständnis von Gesundheit aus. Gesundheit ist danach ein „Zustand des völligen körperlichen, geis- tigen und sozialen Wohlbefindens und nicht nur die Abwesenheit von Krankheit und Gebrechen“ (Gesundheitsdefinition der WHO Auch kulturell bedingt kann es Unterschiede 1 Unter Sekundärprävention wird von 1948). im Verständnis von Gesundheit geben. die Entdeckung von symptom- Gerade ältere Migrantinnen und Migranten losen, aber biomedizinisch eindeutigen Frühstadien einer Unter Gesundheit, die sich über Wohlbefin verbinden ihr Wohlbefinden sehr stark mit Erkrankung und die dadurch ermöglichte erfolgreiche Früh- den definiert, können Menschen, je nach der Situation anderer Familienmitglieder und therapie verstanden. Tertiär- Sichtweise, auch sehr unterschiedliche Dinge Bekannter. prävention bezieht sich auf die bereits manifeste Erkrankung. verstehen. Ältere Menschen definieren Ge Um Menschen für das Thema Gesundheit zu Es soll z.B. die Verschlimme- rung der Erkrankung verhindert sundheit mehr als Ganzheit, Integrität, innere gewinnen und mit ihnen die Voraussetzun werden. (nach Rosenbrock, Stärke und Fähigkeit den Alltag zu bewäl- gen für ihre Gesundheit zu verbessern ist 2004, S. 27) tigen, Jüngere mehr in Richtung Fitness, es deshalb wichtig, diese unterschiedlichen 2 Inzidenzraten geben Hinweise auf die Anzahl von Neuerkran Energie und Stärke (Naidoo und Wills, 2010). Sichtweisen zu berücksichtigen. kungen. Aktiv werden für Gesundheit · Heft 1 3
„Gesundheit wird von In der Ottawa-Charta der WHO (1986) belastungen zu verbessern. Insbesondere Menschen in ihrer alltäg wurden fünf Aktionsstrategien formuliert: der Prozess der Ressourcenstärkung ist eng lichen Umwelt geschaffen und gelebt: dort, wo sie n „Schaffung gesundheitsförderlicher Lebens- mit der Gesundheitsförderung verbunden. spielen, lernen, arbeiten und Arbeitswelten“, d.h. die sozialen und Gesundheit ist dann Ergebnis der gelungenen und lieben. Gesundheit entsteht dadurch, dass ökologischen Umweltbedingungen müssen Balance zwischen Gesundheitsbelastungen man sich um sich selbst im Interesse der Gesundheit der Menschen und Gesundheitsressourcen, Krankheit steht und für andere sorgt, dass gestaltet sein für eine missglückte Balance. man in die Lage versetzt ist, selber Entscheidungen n „Befähigung zu gesundheitsförderlichem zu fällen und eine Kon Handeln“ und trolle über die eigenen Lebensumstände auszu n „Stärkung entsprechender Gesundheitsressourcen werden im Hinblick üben sowie dadurch, dass Gemeinschaftsinitiativen“, also den auf Krankheitsvermeidung benötigt, die Gesellschaft, in der Menschen die Möglichkeit zur aktiven ‹ um die physischen bzw. psychi- man lebt, Bedingungen herstellt, die all ihren Gestaltung ihrer Gesundheitsbedingungen schen Bewältigungsmöglichkeiten von Bürgern Gesundheit er eröffnen und soziale Netzwerke zur Gesundheitsbelastungen zu erhöhen möglichen.“ gegenseitigen Unterstützung aufbauen ‹ um die individuellen Handlungsspielräume Ottawa-Charta und stärken zur Überwindung gesundheitlich belasten- der WHO, 1986 n „Entwicklung einer gesundheitsförderlichen den Verhaltens zu vergrößern Gesamtpolitik“, d.h. Gesundheitsförderung ‹ um Handlungskompetenz für die als Leitbegriff der Gesundheitspolitik und Gestaltung der Strukturen zu entwickeln Querschnittsaufgabe aller Politikfelder bzw. freizusetzen, die n „Neuorganisation der Gesundheitsdienste“ – entweder direkt die Gesundheit oder (nach Geene, 2003, S. 39) – die Gesundheit belastendes Verhalten be- In der Prävention geht es darum, die Chan günstigen. cen auf Gesundheit durch Stärkung von (Rosenbrock, 2008, S. 13) Ressourcen und Senkung von Gesundheits Gesundheitsbelastungen sind z.B. Gesundheitliche Ressourcen sind z.B. • chemische, physikalische und biologische • Selbstbewusstsein Belastungen • Kompetenzen • belastender Stress • Information • körperliche und seelische Überlastungen • Bildung • geringe Verhaltensspielräume • Handlungswissen • schlechte Ernährung • Einkommen • Rauchen • angemessene Partizipation • Bewegungsmangel • Verhaltensspielräume • soziale Isolation • Unterstützung durch soziale Netze • Erholung 4 Aktiv werden für Gesundheit · Heft 1
Kapitel 2 – Gesundheitschancen sind ungleich verteilt Gesundheitschancen sind in unserer Gesellschaft ungleich verteilt. Angehörige des unteren Fünftels der Gesellschaft tragen in jedem Lebensalter statistisch betrachtet ein mindestens doppelt so hohes Risiko, ernsthaft zu erkranken oder vorzeitig zu sterben wie Angehörige des oberen Fünftels. So werden Männer der höchsten Einkommensgruppe durchschnittlich zehn Jahre älter als die der niedrigsten (Mielck, 2005; Lampert, Kroll & Dunkelberg, 2007). Soziale Benachteiligung erzeugt Ungleichheit summieren sich die größeren Gesundheits in Gesundheitschancen. Dabei kommen so- belastungen durch schlechtere Lebensbedin wohl materielle Ursachen als auch psychoso- gungen und riskanteres Gesundheitsver ziale Faktoren zum Tragen. Von Geburt an halten. Soziale Ungleichheit Unterschiede in Wissen, Macht, Geld und Prestige Unterschiede Unterschiede Unterschiede in den gesundheitlichen in den Bewältigungsressourcen in der gesundheitlichen Versorgung Belastungen z. B. Erholungsmöglichkeiten, Kuration, Prävention, Rehabilitation z. B. physische und soziale Unterstützung und Pflege psychische Belastung Unterschiede im Gesundheitsverhalten z. B. Ernährung, Bewegung, Stressbewältigung, Compliance Gesundheitliche Ungleichheit Unterschiede in Morbidität und Mortalität Abbildung 3: Der Zusammenhang zwischen sozialer und gesundheitlicher Ungleichheit. (nach Mielck, 2000, S. 173) „Armut, Arbeitslosigkeit und ein niedriger sozioökonomischer Status sind Risikofaktoren, die die Entstehung bzw. Intensivierung von Suchtproblemen begünstigen. Aufwachsen in Armut ist ein Risikofaktor, der beispielsweise den Einstieg in das Rauchen bereits im Alter von 11 bis 15 Jahren deutlich begünstigt und damit wahrscheinlich auch das Abhängigkeitsrisiko erhöht. Als ursächlich für die stärkere Verbreitung des Tabakrauchens werden die insbeson dere bei a rmen Kindern gehäuft auftretenden Probleme, wie z. B. geringes Selbstwertgefühl, Stressbelastungen in Familie und Schule sowie Beeinträchtigungen in der Bewältigung jugendtypischer Entwicklungsaufgaben angesehen. Starke Unterschiede in den Tabakprävalenzen bestehen auch in allen Altersklassen der Erwachsenen, wenn nach Einkommen und Erwerbsstatus differenziert wird. In der Arbeitswelt ist vor allem bei monotonen Arbeitsabläufen, hohem Zeitdruck, restriktiven Vorgesetztenverhalten oder geringen Handlungs- und Entscheidungsspielräumen mit einer erhöhten Anfälligkeit für das Rauchen zu rechnen.“ 3. Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung, 2008, S. 223 Aktiv werden für Gesundheit · Heft 1 5
Im Rahmen der Berliner Gesundheits- und messer für die Vorstufe verfestigter sozialer Sozialberichterstattung 2008 wurden für die Probleme gesehen. Berliner Bezirke verschiedenste Sozialindexe Der Statusindex berücksichtigt Faktoren berechnet. Die zur Berechnung des Sozial wie Bildung, Wanderungsbewegung, ge- indexes 2003 verwendeten 25 Indikatoren, ringe Haushaltsgröße und Erwerbsstruktur wurden 2008 auf 64 Indikatoren erweitert. Im (Senatsverwaltung für Gesundheit, Umwelt Zuge dessen wurde der 2003 noch allgemein und Verbraucherschutz, 2008). gefasste Sozialindex in die Sozialindexe I, Der mit Hilfe der oben genannten Indikatoren II und den Statusindex aufgespaltet. In den errechnete Sozialindex I korreliert stark mit Sozialindex I, vergleichbar mit dem Sozial der allgemeinen vorzeitigen Sterblichkeit vor index von 2003, fließen Faktoren wie Arbeits dem 65. Lebensjahr (Senatsverwaltung für losigkeit, Leistungsempfang nach SGB II und Gesundheit, Umwelt und Verbraucherschutz, XII, Berufsbildung, Armuts- und Einkom 2008, S. 211). Diesen Zusammenhang veran- menslage, Anteile von Kindern unter 6 Jah schaulicht die untere Grafik. Ist der Sozial ren, Wohnlage, Wanderungsvolumen und index I hoch, wie in Steglitz-Zehlendorf, so Indikatoren des Gesundheitszustandes ein. liegt die vorzeitige Sterblichkeit weit unter Der Sozialindex II ist geprägt von Indikatoren dem Berliner Durchschnitt. Mit abnehmen- wie der Art des Beschäftigungsverhältnisses dem Sozialindex I nimmt die vorzeitige und der Arbeitslosigkeit. Er wird als Grad Sterblichkeit stärker zu. Abbildung 4: Diese Grafik wurde an Hand von Daten des Sozialstrukturatlasses 2008 der Senatsverwaltung für Gesundheit, Umwelt und Verbraucherschutz zu vorzeitiger allgemeiner Sterblichkeit (S. 209) und zum Sozialindex I (S. 257) erstellt. 6 Aktiv werden für Gesundheit · Heft 1
Kapitel 3 – Welche Faktoren beeinflussen Gesundheit? Viele soziale Faktoren, die Gesundheit belasten (z.B. Umweltverschmutzung, Arbeitslosigkeit), können im Stadtteil kaum geändert werden. Dennoch kann Gesundheitsförderung im Stadtteil die Gesundheitschancen der Menschen po sitiv beeinflussen. Wird ein gesundheitsförderliches Angebot geplant, so ist es wichtig zu bestimmen, welche Faktoren in Bezug auf Gesundheit verändert werden sollen. Geht es bei dem Projekt z.B. um ein anderes Verhalten, sollen gesundheitliche Belastungen im Stadtteil gesenkt werden oder sollen Rahmenbedingungen so gestaltet werden, dass die Bedingungen für ein gesundheitsförderliches Verhalten im Alltag verbessert werden? Gesundheit und Wohlbefinden hängen von Die Weltgesundheitsorganisation hat unter einer Vielzahl von Faktoren ab. Abgesehen dem Begriff „soziale Determinanten“ von von Alter, Geschlecht und Erbanlagen sind Gesundheit die zentralen Aspekte in den die meisten dieser Faktoren beeinflussbar. Lebens- und Arbeitsbedingungen und der Margret Whitehead und Göran Dahlgren Lebensweise herausgearbeitet, durch die die (1991) haben die verschiedenen Ebenen dar- Gesundheit der Menschen bestimmt wird. gestellt, auf denen diese Faktoren wirken: Die folgende Tabelle erläutert, welche so- n die persönlichen Verhaltens- und zialen Bedingungen (Determinanten) die Lebensweisen (erste Ebene) Gesundheit beeinflussen und nennt einige n die Unterstützung und Beeinflussung Beispiele wie sie sich im Quartier auswirken durch das soziale Umfeld (zweite Ebene) können. Die Tabelle kann auch als Checkliste n die Lebens- und Arbeitsbedingungen (drit- genutzt werden, um positive oder negative te Ebene) Faktoren im Stadtteil zu identifizieren. n die wirtschaftlichen, kulturellen und physi- schen Umweltbedingungen (vierte Ebene) In der Gesundheitsförderung und Prävention werden zwei Zielrichtungen unterschieden: n Maßnahmen, die individuelle Faktoren verändern sollen, z.B. Kurse für gesundes Ernährungsverhalten oder Raucherent wöhnung, werden als verhaltensbezogen bezeichnet. n Maßnahmen, die Faktoren verändern sollen, die von außen auf das Individum einwirken, werden als verhältnisbezogen bezeichnet. Die verschiedenen Schichten werden jedoch nicht isoliert betrachtet, sie beeinflussen sich wechselseitig. So haben beispielsweise die Arbeits- und Lebensbedingungen oder die Abbildung 5: Einflussfaktoren auf die Gesundheit: das Regenbogen-Modell sozialen Netzwerke auch Einfluss auf indivi- nach Whitehead und Dahlgren duelle Lebensweisen. (Darstellung: Fonds gesundes Österreich, www.fgoe.org) Aktiv werden für Gesundheit · Heft 1 7
Kapitel 3 – Welche Faktoren beeinflussen Gesundheit? Soziale Determinanten für Gesundheit im Stadtteil Soziale Determinanten Kurzerklärung Wie macht sich dies im sozial benachteiligten Stadtteil bemerkbar? Soziales Gefälle Unterschiedliche Formen von Benachteiligung z.B. besonders stigmatisierte Wohnquartiere im Stadtteil, (sozial, wirtschaftlich) treffen tendenziell im- Wohnungsstandard, Anteil Bezieherinnen und Bezieher mer die gleichen Personengruppen und sum- von Transferleistungen mieren sich im Laufe des Lebens Verkehr Straßen und Kreuzungen, Verkehrsaufkommen, z.B. Lärm, Luftverschmutzung, Unfälle, Durchfahrts ggf. Probleme für kleine Kinder und älte- straßen, fehlende Fußgängerüberwege und Radwege re Menschen, sich eigenständig in ihrem Wohnumfeld zu bewegen Umwelt Luft, Geräusche, Stadtbild, Wohnstruktur z.B. Brachflächen, Versiegelungsgrad, fehlende Grünflächen, fehlende Flächen für Spiel und Bewegung, Lärm, Luftverschmutzung Stress Psychosoziale Risiken (Sorgen, Unsicherheit, z.B. Menschen, die apathisch, ungepflegt, gereizt, alko- mangelnde Mitbestimmung usw.) führen holisiert oder vereinsamt in der Öffentlichkeit wirken, langfristig zu physiologischen Reaktionen Angst (Bluthochdruck, Herzinfarkt usw.) Soziale Ausgrenzung Not, Verbitterung durch Armut, soziale z.B. Einsamkeit, Altersdepression, häusliche Gewalt, Ausgrenzung und Diskriminierung wirken sich Vandalismus, Kriminalität, Erscheinungsformen von lebensverkürzend aus. Rassismus und Rechtsradikalismus Soziale Unterstützung Integration, Netzwerke z.B. Stadtteilvereine, Nachbarschaftszentren, Gesund heitsangebote, soziale Netzwerke, kulturelle Angebote, „Szenen“ und „Communities“, Treffpunkte, Feste Arbeit Arbeit und sinnvolle Betätigungen als beson- z.B. Krankenstand, „Nischenarbeitsplätze“ für Menschen, ders bedeutende Gesundheitsressource. Stress die den zunehmenden Anforderungen des Arbeitsplatzes am Arbeitsplatz erhöht das Krankheitsrisiko. und -marktes nicht gewachsen sind Arbeitslosigkeit Unsicherheit, Statusverlust als Krankheitsrisiko z.B. Arbeitslosenquote Sucht Suchtprobleme als zusätzlicher Stressor für den z.B. öffentlicher Konsum von Alkohol und illegalen Einzelnen und für den Stadtteil Drogen, Flaschen und Spritzen in Grünanlagen und Spielplätzen, Verletzungen und Infektionen, Belästi gungen durch Dealer Bedingungen für Babys Grundlagen der Gesundheit werden in frü- z.B. Armut in Familien, beengter, unsanierter Wohn und Kinder her Kindheit gelegt. Unter mangelhaften raum, Verkehrsaufkommen, Anzahl und Zustand der Bedingungen erhöht sich das Risiko einer le- Kinderspielplätze, hungrige, verhaltensauffällige Kinder benslangen schlechten Gesundheit. in Kindertagesstätte und Schule, Unfallhäufigkeit, Anteil Alleinerziehender, sozial isolierte Familien (nach Wilkinson und Marmot, 2004) 8 Aktiv werden für Gesundheit · Heft 1
„Nicht einfach materielle Armut ist gesundheits schädigend. Der soziale Sinn, der Armut, Arbeits losigkeit, Ausgrenzung und anderen Stigmati sierungen beigemessen wird, ist einfach wichtig. Als soziales Wesen benö tigen wir nicht nur gute materielle Bedingungen, sondern auch von Kindheit an das Gefühl, geschätzt und gemocht zu werden. Wir brauchen Freunde, wir brauchen menschli che Gesellschaften, wir müssen uns nützlich fühlen und wir müssen ein wesentliches Maß an Entscheidungsbefugnissen über eine sinnvolle Arbeit haben. Sonst sind wir anfälliger für Depression, Drogenkonsum, Angst, Menschen in schwieriger sozialer Lage sind Aus dem Regenbogen-Modell und der Dar Feindseligkeit und Hoffnungslosigkeit mit aufgrund ihrer Lebenssituation vielfach stellung der Determinanten für Gesundheit entsprechenden Folgen großen Belastungen ausgesetzt, z.B. Arbeits wird neben vielen Schwierigkeiten auch für die körperliche Gesundheit.“ losigkeit, geringes Einkommen, schwierige deutlich, dass Gruppen und Einzelpersonen Wohnsituation, und verfügen gleichzeitig immer auch über die verschiedensten Res Richard Wilkinson & Michael Marmot, oftmals nicht über ausreichende Ressourcen sourcen und Potenziale verfügen. Diese wer- 2004, S. 9 und Kompetenzen zu deren Bewältigung, den durch die Gesundheitsförderung gezielt z.B. Unterstützung durch soziale Netzwerke, angesprochen. Dabei müssen die Zielgruppen Angebote professioneller Unterstützung oder grundsätzlich in die Planung und Entwick die Kompetenz, diese zu nutzen. lung von Angeboten einbezogen werden. Nur dann können Interventionen nachhaltig zu Dies trifft insbesondere zu für einer Veränderung des Alltags führen. n Personen mit niedrigem Einkommen (z.B. Empfängerinnen und Empfänger von Hartz Am erfolgversprechendsten sind Interven IV-Leistungen), tionen, die nicht nur einzelne Personen n Personen mit niedrigem beruflichem ansprechen und ihre Verhaltensweisen zu Status (z.B. ungelernte Arbeiterinnen und verändern versuchen, sondern auch ihre Arbeiter), Lebenszusammenhänge berücksichtigen. Ein n Personen mit niedriger Schulbildung (z.B. Beispiel hierfür ist der Kurs „Gesund essen ohne qualifizierten Schulabschluss) und mit Freude“, der insbesondere den kulturel- n spezifische Zielgruppen wie Obdachlose, len Hintergrund von Migrantinnen berück- Suchtmittelabhängige, Menschen mit sichtigt. Behinderungen. Aktiv werden für Gesundheit · Heft 1 9
„Gesund essen mit Freude“, Berlin Im Koch- und Ernährungskurs „Gesund essen mit Freude“ werden die Themen und Praxisteile nach den Interessen und Erfahrungen der teilnehmenden Frauen gestaltet. So kochen die Frauen Gerichte, die sie besonders mögen oder von Hause aus kennen. Gemeinsam mit einer Ernährungsberaterin überlegen sie dabei, wie die Ernährungsgewohnheiten der Familie ge- sünder gestaltet werden können. Die Gruppe setzt sich so mit ihrem Alltag auseinander, die Erfahrungen der Frauen sind Thema und ge- meinsam werden Strategien entwickelt, wie gesundes Ernährungsverhalten im Alltag um- gesetzt werden kann. Die Berücksichtigung kulturbedingter Ernährungsgewohnheiten, aber auch die Auseinandersetzung z.B. mit Klischees in der Erziehung oder im Rollenver- ständnis von Jungen und Mädchen, gehören dazu, damit die neuen Kenntnisse in den Alltag der Familien integriert werden. Diese Auseinandersetzung gelingt jedoch erst dann, wenn die Frauen Vertrauen in die Grup- pe und die Ernährungsberaterin aufgebaut haben. Die partizipative Gestaltung des Angebots ist dafür Vorausset- zung. Der Kurs wurde in Gemeinwesenzentren, Grundschulen, Kindertagesstät- ten und Volkshochschulen durchgeführt. Leitfaden, Kursmanual und das in den Kursen entstandene Kochbuch sind im Internet verfügbar. Weitere Informationen zum Projekt „Gesund essen mit Freude“ in der Datenbank www.gesundheitliche-chancengleichheit.de/ good-practice/gesund-essen-mit-freude. 10 Aktiv werden für Gesundheit · Heft 1
Kapitel 4 – Prävention und Gesund heitsförderung im Quartier „Vorbeugen ist besser als Heilen – aus vielen guten Gründen: Prävention kann vermeidbares Leid verhindern. Prävention kann das Leben verlän gern. Prävention kann die Lebensqualität steigern. Prävention kann ein produktives und aktives Leben ermöglichen. Prävention kann Spaß machen. Prävention kann den Zusammenhalt in der Gesellschaft fördern. Prävention kann Kosten der Krankenversorgung sparen.“ (Rosenbrock, 2008, S. 7) Präventionsstrategien können auf verschie- Maßnahme auf Information, Aufklärung und denen Ebenen ansetzen: sie können sich auf Beratung beschränken oder sie schließt die das Individuum, auf die Lebenswelt (das Veränderung gesundheitsbelastender bzw. Setting) oder die Bevölkerung richten. Und ressourcenhemmender Faktoren der jeweili- es können unterschiedliche Interventions gen Umwelt bzw. des jeweiligen Kontextes strategien gewählt werden. So kann sich eine ein. (nach Rosenbrock, 2004) Information, Aufklärung, Beratung Beeinflussung des Kontexts Individuum z.B. ärztliche Gesundheitsberatung, z.B. präventive Hausbesuche Gesundheitskurse Setting z.B. Anti-Tabak Aufklärung in z.B. betriebliche Gesundheits Schulen förderung als Organisationsentwicklung Bevölkerung z.B. „Esst mehr Obst“, „Sport tut z.B. HIV/AIDS-Kampagne, gut“, „Rauchen gefährdet die Tempo 130, „rauchfrei“- Gesundheit“, „Seid nett zuein- Kampagne (mit Gesetzgebung ander“ zum Passivrauchen) Abbildung 6: Typen und Arten der Primärprävention (nach Rosenbrock, 2008, S.16) Hausgemeinschaften beschließen zusammen in der Straße ein Kinderfest zu organisieren. Das Fest wird ein Erfolg, trotz Unterschieden in Kultur und Lebensstil bringen sich viele Nachbarn ein. Aus dem gemeinsamen Feiern entstehen weitere Ideen. Es gibt einen Kreis der Aktiven, die für Kontinuität sorgen, und Unter-stützenden, die sich immer wieder einbringen und auch punktuell Verantwortung übernehmen. Aktiv werden für Gesundheit · Heft 1 11
Kapitel 4 – Prävention und Gesund heitsförderung im Quartier „Gesundheitsförderung Für jede dieser Strategien gibt es zweckmä- teiligten müssen erfolgreiche Präventionsstra zielt auf einen Prozess, ßige Einsatzfelder. In einer erfolgreichen tegien auch beinhalten, dass die Menschen allen Menschen ein höhe res Maß an Selbstbestim Strategie in Stadtteil werden individuelle und die Erfahrung machen, dass sie diese Fakto mung über ihre Gesund Setting-Ansätze, d.h. Interventionen bezogen ren positiv beeinflussen können. heit zu ermöglichen und sie damit zur Stärkung ih auf die Lebenswelt, aufeinander abgstimmt Da der Blick auf die Stärkung und rer Gesundheit zu befähi und es kommen die verschiedenen Maßnah Verbesserung der Voraussetzungen für gen. Um ein umfassendes men (Kontextbeeinflussung und Information, Gesundheit gerichtet ist, körperliches, seelisches und soziales Wohlbefinden Aufklärung, Beratung) zum Einsatz. Eine n sind gesundheitsfördernde Ansätze meist zu erlangen, ist es not besondere Herausforderung stellt im Stadtteil krankheitsunspezifisch (also nicht auf die wendig, dass sowohl Einzelne als auch Gruppen die Beeinflussung der konkreten Lebensbe Vermeidung einer konkreten Erkrankung ihre Bedürfnisse befrie dingungen dar. ausgerichtet) digen, ihre Wünsche und „Es ist möglich, als Ausgangspunkt für eine n berücksichtigen und verändern gesund- Hoffnungen wahrnehmen und verwirklichen sowie Intervention, die den Kontext Stadtteil verän- heitsfördernde Ansätze nicht nur das ihre Umwelt meistern dern soll zunächst eine Nachbarschaft zum Verhalten der Einzelnen, sondern auch bzw. verändern können. (...) Gesundheit steht für Ausgangspunkt zu nehmen und eine gesund- deren Lebens und Arbeitsbedingungen (die ein positives Konzept, heitsförderliche Entwicklung nach dem Set „Verhaltenskontexte“) das in gleicher Weise die ting-Ansatz zu unterstützen. In Abgrenzung n sind gesundheitsfördernde Ansätze in Bedeutung sozialer und individueller Ressourcen zu den Systemen Familie und Gemeinde hohem Maße auf Beteiligung (partizipativ) für die Gesundheit betont bieten Nachbarschaften zwei wesentliche angelegt. wie die körperlichen Fähigkeiten.“ Vorteile: erstens sind sie weniger komplex als das sehr große und wenig institutionalisierte Ein gesundheitsförderlicher Stadtteil zeichnet Ottawa–Charta der WHO, 1986 Setting des Stadtteils, und zweitens ist die sich dadurch aus, dass gemeinsam mit den Zugangsbarriere der Privatsphäre, wie sie im Bewohnern Ideen für ein gesundes Leben im Setting Familie sehr ausgeprägt auftritt, weni- Stadtteil entwickelt werden. Wege um die ger stark vorhanden“ (Richter und Wächter, Lebensbedingungen so gestalten zu können, 2009). dass Gesundheitsbelastungen gesenkt werden Gesundheitsförderung hat das Ziel, Prozesse (z.B. Stress, Lärm oder Unfallgefahren) und zu initiieren und zu unterstützen, die den gesundheitsdienliche Ressourcen vermehrt Menschen zu mehr Selbstbestimmung über werden (z.B. soziale Netzwerke, Bildung ihre Gesundheit verhelfen. Bei sozial Benach oder Bewegung im Alltag) sollten gemeinsam entwickelt und umgesetzt werden. Solche Veränderungen der Lebens- und Arbeitsbedingungen haben Einfluss auf das Gesundheitsverhalten und begünstigen ge- sundheitsförderliche Lebensweisen. „Die gesunde Entscheidung zur ein facheren Entscheidung machen“ – das ist die große Herausforderung für Prävention und Gesundheitsförderung. 12 Aktiv werden für Gesundheit · Heft 1
In der Kindertagesstätte wird gemeinsam mit den Kindern das Frühstück vorbereitet; die Eltern organisieren einen Schulkiosk mit einem lecke- ren und gesunden Angebot: in der Schule gibt es mittags eine ausgewogene Schulverpflegung; bei der Stadtverwaltung wird eine Initiative zur Verbesserung des Radwegesystems angeregt und Fahrrad fahren dadurch erleichtert; attrakti- ve Spielplätze werden mit Kindern geplant und mit Unterstützung der Bewohner gestaltet. Für den Erfolg der Arbeit in einem Setting, d.h. in der Lebenswelt einer Zielgruppe, ist Checkliste: Kernstrategien der es wichtig, dass die Zielgruppe selbst in die Stärkung von Prävention und Gesundheits Problemanalyse und die Lösungsfindung förderung in der Settingarbeit einbezogen wird (Partizipation). Hierbei sollte die Heterogenität der Zielgruppe, also inbezug und Beteiligung aller relevanten Gruppen E Unterschiede im Geschlecht oder der Kultur berücksichtigt werden (Diversity). Es sollten 3 in dem jeweiligen Settingkontext sowohl individuelle Verhaltensweisen, als Prozessorientierung statt vorgegebener fest gefügter auch die Verhältnisse der Lebenswelt in die Analyse einfließen (Ganzheitlichkeit), wobei 3 Programme. Die Ausgangsbedingungen werden mit allen Beteiligten genau analysiert und darauf aufbauend Maßnahmen die Gesundheitsförderung das Ziel aller Be entwickelt. Nach Durchführung der Maßnahmen wird der Erfolg teiligten sein sollte (Integration). Die Arbeit bewertet und eine neue Ausgangsanalyse vorgenommen. sollte prozessorientiert durchgeführt werden, wobei nach der Situationsanalyse, der Ziel Entwicklung integrierter Konzepte statt punktueller definition, der Planung und der Durchfüh rung der Maßnahmen die Ergebnisse kontrol- 3 Einzelaktionen liert werden und so wieder zu neuen Zielen Systeminterventionen, die teilweise individuelle und Maßnahmen führen (Projektmanage ment). 3 Verhaltensweisen, aber auch die Verhältnisse innerhalb des Settings selbst beeinflussen Einen Überblick dazu gibt die folgende Checkliste. Verankerung von Gesundheit als Querschnittsanforderung an 3 die Kernroutinen des jeweiligen Settings (Altgeld, Kolip, 2004; zitiert nach Bundesministerium für Gesundheit, 2010, S.27) Aktiv werden für Gesundheit · Heft 1 13
Kapitel 5 – G esundheitsförderung die an kommt: Der Lebenswelt-Ansatz Definition Lebenswelt Menschen in schwieriger sozialer Lage (z.B. Empfängerinnen und Empfänger Der Lebenswelt-Ansatz von Transferleistungen, Personen mit Migrationshintergrund oder Allein (Setting-Ansatz) ist erziehende) werden über andere Kommunikationskanäle und mit ande eine Kernstrategie der Gesundheitsförderung. ren Ansprachestrategien erreicht als sozial besser Gestellte. Durch rein Als Lebenswelt (Setting) verhaltensbezogene Interventionen, wie z.B. Kursangebote, sind kaum nachhalti werden Lebensbereiche ge Wirkungen zu erwarten. Information, Aufklärung und Beratung sind Teil von verstanden, in denen die Menschen regelmäßig Prävention, aber der Erfolg hängt maßgeblich davon ab, ob der Verhaltenskontext einen großen Teil ihrer bzw. die konkreten Lebensbedingungen beeinflusst werden (nach Rosenbrock, 2008). Lebenszeit verbringen, z.B. der Arbeitsplatz, die Schule Das „Regenbogen-Modell“ (vergleiche diese Rahmenbedingungen zum Gegenstand oder das Wohnumfeld (Nachbarschaft). Wichtig Kapitel 1) veranschaulicht, dass der indi- der Intervention werden. Die Weltgesund bei diesem Ansatz ist, dass viduelle Lebensstil stark von den Lebens- heitsorganisation WHO hat hierfür den er die Menschen immer in und Arbeitsbedingungen und dem sozialen Begriff des „Setting-Ansatzes“ geprägt. In enger Verbindung mit ihren Lebenswelten sieht, denn Umfeld bestimmt wird. Der Erfolg gesund- Deutschland wird auch vom „Lebenswelt- diese haben einen ganz heitsfördernder Ansätze ist umso wahr- Ansatz“ gesprochen. zentralen Einfluss auf die scheinlicher, je mehr von Anfang an auch Chance, ein gesundes Leben zu führen. Interventionen nach dem lebensweltlichen Ansatz sind also nicht nur auf gesundheitsrelevantes Wissen, Einstellungen und Handeln Einzelner Schulprogramm ausgerichtet (z.B. durch Fridtjof-Nansen-Schule, Hannover Information und Schulung), sondern gleichzeitig auch In der Fridtjof-Nansen-Schule, im sozialen Die Öffnung der Schule zum Stadtteil ist durch auf die Faktoren, die dieses beeinflussen (z.B. Arbeits Brennpunkt Hannover-Vahrenheide, wird eine gemeinwesenorientierte Zusammenar- bedingungen in Betrieben, Gesundheitsförderung umfassend in den schu beit mit Institutionen aus dem sozialen Umfeld gesundheitsbezogene lischen Alltag der Schülerinnen und Schüler gesichert worden. Die Schule bietet mit dem Steuerungskreise in Schulen und Kindertagesstätten sowie der Lehrkräfte integriert. Das zugrunde Freilichtforum einen zentralen Kommunikati- oder Bewegungsräume im liegende Programm ist durch stark partizipa onsort nicht nur für Lehrkräfte, Schülerinnen Stadtteil). tive Elemente (z.B. Kinderparlament) sowie und Schüler, sondern auch für den umgebenden eine Öffnung des Schulsystems zum Stadtteil Stadtteil. Das Forum steht Stadtteilinitiativen gekennzeichnet. Die ganzheitliche Förderung kostenneutral offen und wird intensiv genutzt. von Mädchen und Jungen, die als durchgän Darüber hinaus sichert die Zusammenarbeit mit giges Prinzip gilt, beinhaltet die kindgerechte anderen Institutionen – zum Beispiel Gemeinde Rhythmisierung des Schulalltags, einige unfallversicherungsverband, Beratungsstellen, immer leicht verfügbare Bewegungsräume, Krankenkassen, Stadtteilforen etc. – die fachliche Freiräume für die Begegnung und Auseina Einbindung und Weiterentwicklung im Setting. ndersetzung mit der Natur und vieles mehr. Ein Weitere Informationen zu diesem Projekt in der Steuerungsausschuss sichert die Beteiligung Datenbank von Lehrenden, Schülerinnen und Schülern www.gesundheitliche-chancengleichheit.de/ sowie Eltern an einem gemeinsamen kontinu- good-practice/schulprogramm-fridtjof-nansen- ierlichen Entwicklungsprozess der gesamten schule Schule hin zu mehr Gesundheit (Organisati- onsentwicklung). 14 Aktiv werden für Gesundheit · Heft 1
In einem vereinfachten Schema umfassen Durch die gleichzeitige Berücksichtigung Interventionen innerhalb der Lebenswelt sowohl der individuellen wie auch der struk- drei zentrale Aspekte: turellen Ebene ist die Umsetzung des Lebens welt-Ansatzes sehr anspruchsvoll. Insbeson n Sie stärken die Kompetenzen und dere in der Lebenswelt Stadtteil wird die Ressourcen der im Setting lebenden erfolgreiche Umsetzung nur gelingen, wenn Personen (individuelle Ebene), viele Akteure an einem Strang ziehen.Dafür können auch bereits etablierte Netzwerke n sie entwickeln gesundheitsfördern- und Foren der Zusammenarbeit genutzt wer- de Rahmenbedingungen (Ebene der den. Strukturbildung) und Das Bund-Länder-Programm Soziale Stadt ist ein zentraler Anknüpfungspunkt. n sie binden in diesen Prozess systematisch Ursprünglich als ein Ansatz der sozialen möglichst viele Personen(gruppen) in de- Städtebauförderung initiiert, gewinnt die ren Lebenswelt ein (Partizipation). Entwicklung einer sozialen Infrastruktur in den benachteiligten Stadtteilen zunehmend an Bedeutung. Verhaltensorientierung Verhältnisorientierung Stärkung individueller Kompetenzen und Ressourcen Strukturentwicklung Zielgruppe wird befähigt Befähigung der Zielgruppe, aktiv mit Pro- Entwicklung der Lebens- und Arbeitsbedin- und aktiviert, sich in die blemen und Belastungen umzugehen, Lö- gungen zu einem Prozesse zur gesundheits- sungsansätze und Bewältigungsstrategien gesundheitsfördernden Setting. gerechten Gestaltung der zu formulieren und umzusetzen. Lebenswelt einzubringen. Erwerb von Erfahrungen Partizipation Beteiligung insbesondere und Selbstbewusstsein. aktive Einbindung der Zielgruppe in der Zielgruppe(n) wird Entscheidungs- und Entwicklungs zum Strukturelement im prozesse. Setting. Abbildung 7: Kompetenzstärkung, Strukturentwicklung und Partizipation als zentrale Elemente des Setting-Ansatzes (nach Kilian, Geene & Philippi, 2004) Aktiv werden für Gesundheit · Heft 1 15
Die Themen „Gesundheit“ und „Gesundheits n Ein wichtiges Element der Arbeit im förderung“ finden sich zwar noch immer am Programm „Soziale Stadt“ ist die Einbin Ende der bearbeiteten Themenlisten, aber die dung der Bewohnerinnen und Bewohner Infrastruktur, die seit 1999 bis zum Jahr 2011 der Programmgebiete in strategische Ent inzwischen 603 geförderten Programmge scheidungen und Einzelprojekte. Auch die- bieten in 374 Gemeinden aufgebaut wurde, ses entspricht dem Basiskonzept von Ge bietet beste Voraussetzungen, diese Themen sundheitsförderung, das auf die Stärkung in die zahlreichen Aktivitäten zu integrieren, von Kompetenzen und Beteiligungsmög da sich hier die drei wesentlichen Elemente lichkeiten der Betroffenen setzt (Ebene der des Lebenswelt-Ansatzes wiederfinden: Partizipation). n Das Programm Soziale Stadt wendet Insbesondere der letzte Punkt, die Betei sich an sozial benachteiligte Zielgruppen, ligung der Zielgruppen, kann nur gelingen, die den Auswirkungen der sozial be wenn diese auch in die Lage versetzt wer- dingten ungleichen Gesundheitschancen den, sich aktiv einzubringen. Oft wird es in hohem Maße ausgesetzt sind (indivi notwendig sein, diese Voraussetzungen erst duelle Ebene). zu schaffen. Dies ist Aufgabe und Ziel des n Im Programm Soziale Stadt geht es Empowerments, das im nächsten Kapitel vor- primär um den Aufbau und die Weiter gestellt wird. entwicklung der baulichen und sozialen Infrastruktur. Beides hat entscheidende Auswirkungen auf die Gesundheit der Bewohnerinnen und Bewohner und bietet gute Ansatzpunkte, diesen Aspekt bei den künftigen Aktivitäten der Arbeit vor Ort zu stärken (Ebene der Strukturbildung). 16 Aktiv werden für Gesundheit · Heft 1
Kapitel 6 – Empowerment in der Gesundheitsförderung Was ist Empowerment? Die WHO sieht als Ziel der Gesundheitsförderung einen selbstbestimmten Umgang mit der eigenen Gesundheit. Die Befähigung dazu, die eigenen Bedürfnisse und Forderungen eigenständig zu äußern und alleine oder gemeinsam mit anderen umzusetzen, ist ein zentraler Ansatz der Gesundheitsförderung. Da die Ressourcen hierfür oftmals (noch) nicht vorhanden sind, kommt dem Empowerment – der Ermächtigung/ Befähigung – der Zielgruppen im Rahmen gesundheitsfördernder Interventionen eine zentrale Rolle zu. „Die Schwierigkeit, einen Empowerment-Blickwin kel in die professionelle Mit Empowerment werden Prozesse be- Schwimmen erleichtern. Empowerment heißt Arbeit zu integrieren, zeichnet, in deren Verlauf Menschen – in in diesem Bild: (Gemeinsam) Schwimmen besteht vor allem darin, dass Empowerment- der Regel sozial benachteiligte Gruppen – lernen. Prozesse zwar angesto Möglichkeiten und Fähigkeiten gewinnen, ßen werden können, der eigentliche Prozess ihr Leben eigenverantwortlich zu gestalten. Empowerment im oben beschriebenen Sinn jedoch weitgehend ohne Sie werden dabei unterstützt, ihre Probleme ist die „Ermächtigung“, Verantwortung für Zutun der beruflichen eigenständig zu lösen. eigene Angelegenheiten zu übernehmen. Helferinnen und Helfer abläuft. Eine Haltung des Partizipation ist zu verstehen als die akti- Empowerment lässt sich Diese Herangehensweise unterscheidet sich ve Einbindung Betroffener in die Bedarfs daher nicht mit direkten Interventionen verglei auch deutlich von früheren Maßnahmen der erhebung, Planung, Umsetzung und auch chen, wie sie im psychoso Gesundheitserziehung. Tatsächlich wurde sie in die Ergebnismessung von Interventionen. zialen Bereich eher üblich besonders in der US-amerikanischen Bürger Das angestrebte Ergebnis ist die Vertretung sind (Beratung, Betreuung, Therapie, Anleitung von rechtsbewegung entwickelt – der Ansatz soll der eigenen Interessen. Gruppen). Empowerment helfen, soziale Ungleichheiten zu verringern, als professionelle Haltung bedeutet, Möglichkeiten es sollen benachteiligte Individuen und Grup Insofern besteht eine wechselseitige Bezie für die Entwicklung von pen gefördert werden. hung zwischen Empowerment und Partizi Kompetenzen bereit pation. Kompetenzen (Empowerment) sind zustellen, Situationen gestaltbar zu machen und Nach der pathogenetischen [an der Krankheit eine Vorraussetzung dafür, Eigenverantwor damit „offene Prozesse” orientierten] Herangehensweise werden tung übernehmen und sich aktiv beteiligen anzustoßen.” Menschen mit hohem Aufwand aus einem zu können (Partizipation). Ebenso folgt aus Wolfgang Stark, reißenden Fluss gerettet, egal, wie sie da erworbenem Wissen und neuen Kompeten 2002, S. 70 hineingeraten sind und warum sie nicht bes- zen auch der Wunsch, diese in Beteiligungs ser schwimmen können. Für Antonovsky, prozesse einzubringen. einen Pionier der Gesundheitsförderung, ist der Fluss der Strom des Lebens selbst. Wir Beteiligung ist (ebenso wie Befähigung) eine gehen alle nicht einfach am Ufer entlang, Querschnittsaufgabe in allen gesundheits- sondern schwimmen in diesem – teilweise fördernden Maßnahmen. Sie ist in diesen verschmutzten, teilweise reißenden – Fluss Arbeitshilfen insbesondere in Heft 2 darge- (Antonovsky 1997). Die theoretische Frage stellt. lautet danach immer, welche Faktoren das Aktiv werden für Gesundheit · Heft 1 17
Kapitel 6 – Empowerment in der Gesundheitsförderung ELTERN-AG Das Präventionsprogramm ELTERN-AG ist ein Konzept, dem zwei zentrale Bausteine zu Grunde lie- gen: Empowerment und Anleitung zur Selbsthilfe. Es richtet sich an Eltern von Kindern im Vorschul- alter, die in der Regel mit mehreren Schwierigkeiten gleichzeitig kämpfen: Arbeitslosigkeit, niedriger Bildungsabschluss, Alleinerziehendenstatus, Überschuldung, Migrationshintergrund, chronische Krankheiten – kurz, Problemfamilien, die normalerweise weder den Weg in die Elternschulen noch in die Erziehungsberatungsstellen finden und auch um die Präventions- und Gesundheitskurse der Krankenkassen einen großen Bogen machen. Das Programm zeichnet sich durch die Merkmale Niedrigschwelligkeit, Befähigung auf gleicher Au- genhöhe sowie Förderung von Selbstwert und Kontrollüberzeugungen aus. Auf der Basis spezifischer Interventionstechniken erfahren sich Eltern im Verlauf des Kurses als zunehmend kompetent, als die Expertinnen/Experten ihres eigenen Alltags und ihrer Kinder. Das Programm zielt über die Arbeit mit den Eltern auf die Förderung der emotionalen, sozialen und kognitiven Kompetenzen der Vorschul- kinder und die Verbesserung der familiären Beziehungen. Weitere Informationen zu diesem Projekt in der Datenbank www.gesundheitliche-chancengleichheit.de und unter www.eltern-ag.de Wie gelingt Empowerment? Empowerment ist ein Prozess, der von einem Gefühl der Ohnmacht hin zu Kompetenz und aktiver Beteiligung führt. Idealtypisch werden verschiedene Entwicklungsphasen unter schieden: 1. Mobilisierung Eine herkömmliche Haltung von Desinteresse, Bequemlichkeit, Autoritätsgläubigkeit oder einem Selbstbild als „Loser“ wird aufgebrochen. Eigene Stärken und Ressourcen werden entdeckt. 2. Engagement und Förderung Nach dem Abflauen der Anfangsbegeisterung entwickelt sich ein stabileres Engagement. 3. Integration und Routine Die Aktivitäten werden teilweise zur Routine und in den Alltag integriert. 4. Überzeugung und Kontinuität Eine Sicherheit in der Anwendung partizi- patorischer Kompetenzen, eine entwickelte Organisations- und Konfliktfähigkeit wurden erreicht. Die Überzeugung, dass es möglich ist, Veränderungen herbeizuführen, bleibt bestehen. (nach Stark, 1996) 18 Aktiv werden für Gesundheit · Heft 1
Empowerment reicht also vom ersten akti- In Mädchen- und Frauenprojekten hat vierenden Impuls bis zu einer verlässlichen der Empowerment-Ansatz oft eine hohe Begleitung und Unterstützung über einen ge- Bedeutung. Die spezifischen Lebenslagen wissen Zeitraum. Der Prozess dauert mitun- von Mädchen und Frauen sind ein wichtiges ter lange. Dies ist von vornherein zu beden- Thema und die Auseinandersetzung mit ken, um der Gefahr der Demotivierung nach Rollenklischees kann die Entwicklung eines überzogenen Erwartungen zu begegnen. starken Selbstwertgefühls und eines selbst- Der erste Impuls kann von einer bewussten Auftretens befördern. Aktivierenden Befragung (siehe Heft 2), der Organisation eines Stadtteilfestes, der Kinder und Jugendliche sind besonders stark Unterstützung eines kulturellen Angebotes auf die Chancen angewiesen, die ihnen ihre und vielem mehr ausgehen. Umgebung eröffnet. Nachhaltige Erfolge der Gesundheitsförderung sind bei ihnen, eben- so wie bei sozial benachteiligten Gruppen, nur als Empowerment-Prozesse zu erzielen. Mehrgenerationenhaus München Das interkulturell ausgerichtete Mehrgenerationenhaus (MGH) befindet sich in einer Wohnan- lage der gemeinnützigen Wohnstätten- und Siedlungsgesellschaft mit ca. 2000 Wohneinheiten in Einfachausstattung. Das MGH lebt als Selbsthilfeeinrichtung von der aktiven und engagierten Mitarbeit der Menschen. Unterstützt werden sie von einigen fest angestellten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Jeder ist willkommen und kann im Rahmen der Möglichkeiten mitarbeiten und sein persönliches Wissen, seine Fähigkeiten, Neigungen und Erfahrungen einbringen. Die Projektnutze- rinnen und -nutzer können selbstständig und eigenverantwortlich Teilprojekte und Veranstaltungen organisieren und die Infrastruktur des MGH zu einem geringen Mietpreis nutzen. Ein Beispiel für ein selbst initiiertes Projekt ist eine Kleidertauschbörse, ebenso wurde ein Flohmarkt gegründet. Zu den weiteren Angeboten zählt der „gesunde“ Mittagstisch, den Seniorinnen für Kinder und Jugendliche zubereiten. Weitere Informationen zum Projekt „Mehrgenerationenhaus München“ in der Datenbank unter www.gesundheitliche-chancengleichheit.de/good-practice/mehrgenerationenhaus-muenchen Aktiv werden für Gesundheit · Heft 1 19
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