Gesunde Lebenswelten schaffen - Heft 1 - Aktiv werden für Gesundheit - Arbeitshilfen für kommunale Prävention und Gesundheitsförderung - Quartier 2030

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Gesunde Lebenswelten schaffen - Heft 1 - Aktiv werden für Gesundheit - Arbeitshilfen für kommunale Prävention und Gesundheitsförderung - Quartier 2030
Aktiv werden für Gesundheit –
Arbeitshilfen für kommunale Prävention
und Gesundheitsförderung

Gesunde Lebenswelten schaffen
                                    Heft 1
Gesunde Lebenswelten schaffen - Heft 1 - Aktiv werden für Gesundheit - Arbeitshilfen für kommunale Prävention und Gesundheitsförderung - Quartier 2030
Aktiv werden für Gesundheit –
Arbeitshilfen für kommunale Prävention und Gesundheitsförderung
Heft 1

Herausgeber:
Gesundheit Berlin-Brandenburg
Friedrichstraße 231, 10969 Berlin
Tel. 030 / 44 31 90 60
E-Mail: post@gesundheitbb.de

Autorinnen und Autoren:
Carola Gold, Stefan Bräunling (V.i.S.d.P.), Prof. Dr. Raimund Geene, Holger Kilian,
Ute Sadowski, Andrea Weber

Die Arbeitshilfen wurden ent­wickelt im Rahmen des bundesweiten Kooperationsverbundes
Gesundheitliche Chancengleichheit.
Der Kooperationsverbund Gesundheitliche Chancengleichheit wurde 2003 auf Initiative der
BZgA gegründet und wird maßgeblich durch die BZgA getragen.
Ihm gehören ­aktuell 61 Partnerorganisationen an.

Geschäftsführung des Kooperationsverbundes: Gesundheit Berlin-Brandenburg

Die Erstellung der 4. Auflage der Arbeitshilfen wurde von der Bundeszentrale für
gesundheitliche Aufklärung (BZgA) gefördert.

                                                                                                    Bildnachweis:
Wir danken allen Personen und Organisationen, die für die Arbeitshilfen Mate­rial zur Verfügung     S. 3, www.pixelio.de, Stephanie Hofschläger
gestellt haben.                                                                                     S. 4, www.pixelio.de, Claudia Hautumm
                                                                                                    S. 6, www.pixelio.de, Lea M.
                                                                                                    S. 9, www.pixelio.de, jean jannon
Umschlag- und Heftgestaltung:
                                                                                                    S. 10, Gesundheit Berlin-Brandenburg
Connye Wolff, Berlin · www.connye.com
                                                                                                    S. 11, www.pixelio.de, Silvia Buchner
                                                                                                    S. 12, Nahid Zvornicanin
©Gesundheit
   4., aktualisierte Auflage 2014
             Berlin-Brandenburg                                                                     S. 13, www.sxc.hu, Fleur Suijten
Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Geneh­migun­gen für   S. 16, www.fotolia.de, Ybond
die Wiedergabe auch längerer Inhalts­passagen oder ganzer Kapitel werden gern gewährt. Der          S. 18, www.pixelio.de, Thomas Kujawa
Herausgeber bittet dann um Zu­sen­dung eines Belegexemplares.                                       S. 19, www.pixelio.de, Christian Steiner
ISBN 978-3-939012-19-1                                                                              S. 21, www.fotolia.de, Prod. Numérik
Gesunde Lebenswelten schaffen - Heft 1 - Aktiv werden für Gesundheit - Arbeitshilfen für kommunale Prävention und Gesundheitsförderung - Quartier 2030
Kommunaler Partnerprozess
„Gesund aufwachsen für alle!“

„Gesund aufwachsen für alle!“
Kommunaler Partnerprozess schafft gesunde Lebens­welten
für Kinder und Jugendliche

Die Chancen auf ein gesundes Aufwachsen          Wie können kommunale Gesundheits­
sind ungleich verteilt                           strategien gelingen?
Laut dem Kinderreport 2007 des Deutschen         Vernetzen und Verbinden sind die Schlüssel
Kinderhilfswerks leben mehr als 2,5 Millio­nen   für eine erfolgreiche Gesundheitsstrategie. An
Kinder in Deutschland in Armut. Und laut der     dieser Stelle sei die „Präventionskette“ ge-
Arbeitsgemeinschaft der Kinder- und Jugend­      nannt. Hier werden speziell zugeschnittene
hilfe lebt jeder vierte Jugendliche zwischen     Formen der Zusammenarbeit entwickelt, die
16 und 24 Jahren in materieller Not oder ist     von der Schwangerschaft bis zum Übergang in
davon bedroht.                                   das Berufsleben die Menschen fördern und be-
Armut bedeutet mehr als nur den Verzicht auf     gleiten.
materielle Güter: 15 bis 20 Prozent der Kinder   Diese Gesamtkonzepte sind notwendig, um
und Jugendlichen aus armen Familien haben        Armuts­folgen zu vermeiden. Gesundheits­
schlechtere Gesundheitschancen.                  förderung und Prävention
Was muss getan werden, damit alle Kinder         werden zum Bestand­teil je-
und Jugendlichen die gleichen Gesundheits­       der Lebens­phase, jeden Über­
chancen haben?                                   ganges und tragen maßgeb-
Als Antwort auf diese Frage hat der Koope­       lich zur Verbes­serung der
rationsverbund Gesundheitliche Chancen­          Gesundheits­chan­cen von sozial benachteilig-
gleichheit Handlungsempfehlungen erarbeitet,     ten Kindern und Jugend­lichen bei.
wie die Gesundheitschancen von sozial be-
nachteiligten Kindern und Jugendlichen nach-     Wer nimmt am kommu­nalen Partner­
haltig zu verbessern sind.                       prozess teil?
Kurz gesagt: In den Gemeinden, Städten und       Mit dem Jahrestreffen des Kooperations­
Kreisen werden zur Unterstützung integrierte     verbundes im November 2011 startete der
Strategien und Maßnahmen entwickelt, die         Partnerprozess „Gesund aufwachsen für alle!“
ein gesundes Aufwachsen von Kindern und          offiziell mit ersten teilnehmenden Kommunen.
Jugendlichen und die Unterstützung ihrer         Seitdem schließen sich laufend weitere an.
Familien ermöglichen.                            Von kreisfreien und kreisangehörigen Städten
                                                 und Gemeinden über Stadt­bezirke und
Kommunaler Partnerprozess „Gesund auf­           Landkreise bis hin zum Stadt­staat konnten be-
wachsen für alle!“                               reits die unterschiedlichsten Kommunal­
Auf dem Weg zu einer besseren Gesundheits­       strukturen für die Zusammen­arbeit gewonnen
strategie haben zahlreiche Kommunen er-          werden.
kannt, dass Familien, Kinder und Jugendliche
in schwieriger sozialer Lage besonders unter-
stützt werden müssen.
Die Umsetzung der Empfehlungen in den            Die sieben Handlungsempfehlungen „Gesundheitschancen von sozial
Kommunen und der gemeinsame Erfahrungs­          benachteiligten Kindern und Jugendlichen nachhaltig verbessern!“ finden
austausch darüber stehen im Mittelpunkt des      Sie unter www.gesundheitliche-chancengleichheit.de/partnerprozess/
kommunalen Partnerprozesses.                     handlungsempfehlungen.

Aktiv werden für Gesundheit · Heft 1                                                                                       1
Gesunde Lebenswelten schaffen - Heft 1 - Aktiv werden für Gesundheit - Arbeitshilfen für kommunale Prävention und Gesundheitsförderung - Quartier 2030
Kommunaler Partnerprozess
                                             „Gesund aufwachsen für alle!“

                                                               Idee und Zielsetzung: „Präventionsketten“

                                                                      • Gesundheitsförderung und Prävention sind Teil jeder Entwicklungs- und Lebensphase

                                                                      • Unterstützung und Hilfe so früh wie möglich

                                                                      • Alle Akteure arbeiten professionsübergreifend zusammen

                                                                      • Ressourcen unterschiedlicher Sektoren werden zielgerichtet für ein gesundes Aufwachsen
                                                                        genutzt

                                                                      • Übergänge werden als Chancen für sozial benachteiligte Kinder und Jugendliche gestaltet und
                                                                        bestehende Hürden reduziert

                                             Abbildung 1: Idee und Zielsetzung der „Präventionsketten“ (eigene Darstellung)

                                                                                                                                          Krankenkasse, den Partnern im Kooperations­
                                             Wer unterstützt den Partnerprozess?                                                          verbund Gesundheitliche Chancengleichheit
                                             Der Partnerprozess wird von der Bundeszen­                                                   und den Koordinierungsstellen Gesund­
                                             trale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA),                                                 heitliche Chancengleichheit in den Bundes­
                                             den kommunalen Spitzenverbänden Deut­                                                        ländern unterstützt.
                                             scher Städtetag, Deutscher Städte- und Ge­
                                             meindebund sowie Deutscher Landkreistag,                                                     Was bietet der bundesweite
                                             dem Gesunde-Städte-Netzwerk, der Techniker                                                   Kooperationsverbund?
                                                                                                                                          Als Zusammenschluss aller relevanten Insti­
                                                                                                                                          tutionen und Organisationen in der so­zial­
                                                       Partnerschaftlich
                                                                                                                                          lagenbezogenen Gesundheitsförderung bietet
                                                      zusammenarbeiten
                                                  Die unterschiedlichen Ressorts
                                                                                                                                          der bundesweite Kooperationsverbund den
    Wertschätzend und befähigend                                                             Blick auf die Lebenswelten öffnen
      handeln („Empowerment“)
                                                           stimmen ihre
                                                     Unterstützungsangebote                     Die Bedingungen für ein gesundes          fachlichen Rahmen. Darüber hinaus bildet der
      Den Familien wird wertschätzend                                                             Aufwachsen werden durch die
      begegnet; Empowerment-Ansätze
                                                         aufeinander ab.
                                                                                                 Kombination von verhaltens- und          Verbund die Schnittstelle zwischen Praxis,
     stärken u.a. die Elternkompetenzen.                                                     verhältnisorientierten Ansätzen verbessert

                                                    Handlungsempfehlungen
                                                                                                          (Setting-Ansatz).               Wissenschaft und politischer Ent­schei­dungs­
                                                 „Gesundheitschancen                                                                      ebene. Mit seinem modernen Wissensmanage­
                                                 sozial benachteiligter
     Niedrigschwellige Angebote
                                                      Kinder und
                                                                                                  Beteiligung sicher stellen              ment und Möglichkeiten zum fachlichen
              schaffen                                                                         In allen Phasen der Prävention und
           Zugangsbarrieren zu
     Unterstützungsangeboten werden
                                                Jugendlicher nachhaltig                       Gesundheitsförderung werden Eltern,
                                                                                                 Kinder und Jugendliche aktiv in
                                                                                                                                          Austausch – von der kommunalen bis hin zur
                                                     verbessern!“
                 abgebaut.                                                                    Entscheidungsprozesse eingebunden.
                                                                                                                                          Bundesebene – gestaltet er den Partnerprozess
                                    Multiplikator/innen                 Ehrenamtsstrukturen
                                                                                                                                          transparent und attraktiv.
                                         einbinden                            fördern
                                 Personen aus der Zielgruppe              Ehrenamtliche werden
                                     informieren über die
                                 Unterstützungsangebote und
                                                                       kontinuierlich qualifiziert, ihre
                                                                        Arbeit wird koordiniert und
                                                                                                                                          Weitere Informationen zum Partnerprozess
                                   motivieren zur Teilnahme                     anerkannt.
                                                                                                                                          „Gesund aufwachsen für alle!“ finden Sie
                                                                                                                                          ­unter www.gesundheitliche-chancengleichheit.de/
Abbildung 2: Handlungsempfehlungen des Kooperationsverbundes (eigene                                                                      partnerprozesspartnerprozess.
Darstellung)

2                                                                                                                                            Aktiv werden für Gesundheit · Heft 1
Gesunde Lebenswelten schaffen - Heft 1 - Aktiv werden für Gesundheit - Arbeitshilfen für kommunale Prävention und Gesundheitsförderung - Quartier 2030
Kapitel 1 – Was ist Gesundheit?

         In den Quartieren der Sozialen Stadt entsteht vieles, was sich positiv auf die                    Definition Prävention
         Gesundheit der Bewohner auswirkt. In Bremen-Osterholz-Tenever ermög­                             „(Primär1)Prävention
         licht z.B. eine Kinder- und Jugendfarm ein gemeinschaftliches Naturerlebnis                 be­zeichnet die Verminde-
                                                                                                      rung von (Teil-)Ursachen
         als Kontrast zur gebauten Umwelt. In Köln-Kalk entstand in einem alten                         bestimmter Erkrankun-
Industriegebiet eine Abenteuerhalle für Jugendliche und junge Erwachsene. In Velten-                   gen oder von Krankheit
Süd wurde in einer alten Grundschule ein Bürgerhaus errichtet, das soziale Angebote                     über­haupt. Das Ziel ist
                                                                                                    die Senkung von Eintritts­
bündelt.                                                                                            wahrscheinlichkeiten oder
                                                                                                               Inzidenzraten2“
Und dennoch hieß es im Statusbericht 2008 zum Programm soziale Stadt „Wenn­gleich
                                                                                                       (Rosenbrock, 2004, S. 27).
hinlänglich bekannt ist, dass Armut und soziale Benachteiligung ein erhebliches
Gesund­heitsrisiko darstellen, werden Soziale Stadt und Gesundheitsförderung immer
noch zu selten in Verbindung gebracht. Gesundheitsförderung und die Bewälti­gung
armutsbedingter Gesund­heits­probleme spielen in den Quartieren nach wie vor ­eine
untergeordnete Rolle. Eine Stärkung dieses Handlungsfelds erscheint daher wei­ter­hin
nötig.“ Und in der Rang­liste der Handlungsfelder belegte das Thema Gesundheit nur
einen schwachen 19. Platz (Bundestransferstelle Soziale Stadt, 2008, S. 32).                        Definition Gesundheitsför-
                                                                                                                      derung
                                                                                                   „Seit der Ottawa-Charta der
Wird von Gesundheit gesprochen, so denken                                                            WHO bezeichnet Gesund­
die meisten erst einmal an Krankheit und                                                          heitsförderung Prozesse, die
medizinische Versorgung. Und „Gesundheit“                                                            Individuen oder Zielgrup-
                                                                                                    pen zu mehr Selbst­bestim­
wird oft erst dann zu einem Thema, wenn                                                            mung über ihre Gesundheit
ein Mensch erkrankt oder etwas nicht mehr                                                                           verhelfen“
wie gewohnt funktioniert.                                                                              (Rosenbrock, 2004, S. 28).

Die Weltgesundheitsorganisation WHO geht
dagegen von einem positiven Verständnis
von Gesundheit aus. Gesundheit ist danach
ein „Zustand des völligen körperlichen, geis-
tigen und sozialen Wohlbefindens und nicht
nur die Abwesenheit von Krankheit und
Gebre­chen“ (Gesundheitsdefinition der WHO       Auch kulturell bedingt kann es Unterschiede
                                                                                                  1 Unter Sekundärprävention wird
von 1948).                                       im Verständnis von Gesundheit geben.                die Entdeckung von symptom-
                                                 Gerade ältere Migrantinnen und Migranten            losen, aber biome­dizinisch
                                                                                                     eindeutigen Früh­stadien einer
Unter Gesundheit, die sich über Wohlbe­fin­      verbinden ihr Wohlbefinden sehr stark mit           Erkrankung und die dadurch
                                                                                                     ermöglichte erfolgreiche Früh-
den definiert, können Menschen, je nach          der Si­tua­tion anderer Familienmitglieder und      therapie ver­standen. Tertiär-
Sichtweise, auch sehr unterschiedliche Dinge     Bekannter.                                          prävention bezieht sich auf die
                                                                                                     bereits manifeste Erkrankung.
verstehen. Ältere Menschen definieren Ge­        Um Menschen für das Thema Gesundheit zu             Es soll z.B. die Verschlimme-
                                                                                                     rung der Erkrankung verhindert
sundheit mehr als Ganzheit, Integrität, innere   gewinnen und mit ihnen die Voraus­setzun­           werden. (nach Rosenbrock,
Stärke und Fähigkeit den Alltag zu bewäl-        gen für ihre Gesundheit zu verbessern ist           2004, S. 27)

tigen, Jüngere mehr in Richtung Fitness,         es deshalb wichtig, diese unterschiedlichen      2 Inzidenzraten geben Hinweise
                                                                                                     auf die Anzahl von Neuerkran­
Energie und Stärke (Naidoo und Wills, 2010).     Sichtweisen zu berücksichtigen.                    kungen.

Aktiv werden für Gesundheit · Heft 1                                                                                             3
Gesunde Lebenswelten schaffen - Heft 1 - Aktiv werden für Gesundheit - Arbeitshilfen für kommunale Prävention und Gesundheitsförderung - Quartier 2030
„Gesundheit wird von          In der Ottawa-Charta der WHO (1986)              belastungen zu verbessern. Insbesondere
Menschen in ihrer alltäg­     wurden fünf Aktionsstrategien formuliert:        der Prozess der Ressourcenstärkung ist eng
lichen Umwelt geschaffen
und gelebt: dort, wo sie      n „Schaffung gesundheitsförderlicher Lebens-    mit der Gesundheitsförderung verbunden.
spielen, l­ernen, arbeiten        und Arbeitswelten“, d.h. die sozialen und    Gesund­heit ist dann Ergebnis der gelungenen
und l­ieben. Gesundheit
entsteht dadurch, dass            ökologischen Umweltbedingungen müssen        Balance zwischen Gesundheitsbelastungen
man sich um sich selbst           im Interesse der Gesundheit der Menschen     und Gesundheitsressourcen, Krankheit steht
und für andere sorgt, dass
                                  gestaltet sein                               für eine missglückte Balance.
man in die Lage versetzt
ist, selber Entscheidun­gen   n „Befähigung zu gesundheitsförderlichem
zu fällen und eine Kon­          Handeln“ und
trolle über die eigenen
Lebensumstände auszu­         n „Stärkung entsprechender                      Gesundheitsressourcen werden im Hinblick
üben sowie dadurch, dass         Gemeinschaftsinitiativen“, also den           auf Krankheitsvermeidung benötigt,
die Gesell­schaft, in der
                                 Menschen die Möglichkeit zur aktiven          ‹ um die physischen bzw. psychi-
man lebt, Bedingungen
herstellt, die all ihren         Gestaltung ihrer Gesundheitsbedingungen          schen Bewältigungsmöglichkeiten von
Bürgern Gesundheit er­           eröffnen und soziale Netzwerke zur               Gesundheitsbelastungen zu erhöhen
möglichen.“
                                 ­gegenseitigen Unterstützung aufbauen         ‹ um die individuellen Handlungsspielräume
             Ottawa-Charta
                                  und stärken                                     zur Überwindung gesundheitlich belasten-
             der WHO, 1986
                              n „Entwicklung einer gesundheitsförderlichen       den Verhaltens zu vergrößern
                                  Gesamtpolitik“, d.h. Gesundheitsförderung    ‹ um Handlungskompetenz für die
                                  als Leitbegriff der Gesundheitspolitik und      Gestaltung der Strukturen zu entwickeln
                                  Querschnitts­aufgabe aller Politikfelder        bzw. freizusetzen, die
                              n „Neuorganisation der Gesundheitsdienste“         – entweder direkt die Gesundheit oder
                                (nach Geene, 2003, S. 39)                         – die Gesundheit belastendes Verhalten be-
                              In der Prävention geht es darum, die Chan­             günstigen.
                              cen auf Gesundheit durch Stärkung von            (Rosenbrock, 2008, S. 13)
                              Ressourcen und Senkung von Gesundheits­

                                Gesundheitsbelastungen sind z.B.                 Gesundheitliche Ressourcen sind z.B.

                                • chemische, physikalische und biologische      • Selbstbewusstsein
                                   Belastungen                                   • Kompetenzen
                                • belastender Stress                            • Information
                                • körperliche und seelische Überlastungen       • Bildung
                                • geringe Verhaltensspielräume                  • Handlungswissen
                                • schlechte Ernährung                           • Einkommen
                                • Rauchen                                       • angemessene Partizipation
                                • Bewegungsmangel                               • Verhaltensspielräume
                                • soziale Isolation                             • Unterstützung durch soziale Netze
                                                                                 • Erholung

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Gesunde Lebenswelten schaffen - Heft 1 - Aktiv werden für Gesundheit - Arbeitshilfen für kommunale Prävention und Gesundheitsförderung - Quartier 2030
Kapitel 2 – Gesundheitschancen sind
             ungleich verteilt

         Gesundheitschancen sind in unserer Gesellschaft ungleich verteilt.
         Angehörige des unteren Fünftels der Gesellschaft tragen in jedem Lebensalter
         statistisch betrachtet ein mindestens doppelt so hohes Risiko, ernsthaft zu
         erkranken oder vorzeitig zu sterben wie Angehörige des oberen Fünftels. So
werden Männer der höchsten Einkom­mens­gruppe durchschnittlich zehn Jahre älter
als die der niedrigsten (Mielck, 2005; Lampert, Kroll & Dunkelberg, 2007).

Soziale Benachteiligung erzeugt Ungleichheit                       summieren sich die größeren Gesundheits­
in Gesundheitschancen. Dabei kommen so-                            belastungen durch schlechtere Lebens­bedin­
wohl materielle Ursachen als auch psychoso-                        gungen und riskanteres Gesundheits­ver­
ziale Faktoren zum Tragen. Von Geburt an                           halten.

                                               Soziale Ungleichheit
                                 Unterschiede in Wissen, Macht, Geld und Prestige

            Unterschiede
                                           Unterschiede                                      Unterschiede
     in den gesundheitlichen
                                 in den Bewältigungsressourcen                    in der gesundheitlichen Versorgung
            Belastungen
                                  z. B. Erholungsmöglich­keiten,                  Kuration, Prävention, Rehabilitation
        z. B. physische und
                                      soziale Unterstützung                                    und Pflege
      psychische Belastung

                                          Unterschiede im Gesundheitsverhalten
                               z. B. Ernährung, Bewegung, Stressbewältigung, Compliance

                                        Gesundheitliche Ungleichheit
                                      Unterschiede in Morbidität und Mortalität

Abbildung 3: Der Zusammenhang zwischen sozialer und gesundheitlicher Ungleichheit.
(nach Mielck, 2000, S. 173)

                                „Armut, Arbeitslosigkeit und ein niedriger sozio­ökonomischer Status sind Risikofaktoren, die die Entstehung bzw.
                                Intensivierung von Sucht­­problemen begünstigen. Aufwachsen in Armut ist ein Risiko­fak­tor, der beispielsweise den
                                Einstieg in das Rauchen bereits im Alter von 11 bis 15 Jahren deutlich begünstigt und damit wahrscheinlich auch
                                das Abhängig­keitsrisiko erhöht. Als ursächlich für die stärkere Verbreitung des Tabakrauchens werden die insbeson­
                                dere bei a­ rmen Kindern gehäuft auftretenden Probleme, wie z. B. geringes Selbst­­wertgefühl, Stress­­belas­tungen in
                                Familie und Schule sowie Beein­träch­tigungen in der Bewältigung jugendtypischer Entwicklungs­aufgaben angesehen.
                                Starke Unterschiede in den Tabakprävalenzen bestehen auch in allen Altersklassen der Er­wach­senen, wenn nach
                                Einkommen und Erwerbs­­status differenziert wird. In der Arbeits­welt ist vor allem bei monotonen Arbeitsabläufen,
                                hohem Zeitdruck, restriktiven Vorgesetztenverhalten oder geringen Hand­lungs- und Entschei­dungsspielräumen mit
                                ­einer erhöhten Anfällig­keit für das Rauchen zu rechnen.“
                                                                                              3. Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung, 2008, S. 223

Aktiv werden für Gesundheit · Heft 1                                                                                                                         5
Gesunde Lebenswelten schaffen - Heft 1 - Aktiv werden für Gesundheit - Arbeitshilfen für kommunale Prävention und Gesundheitsförderung - Quartier 2030
Im Rahmen der Berliner Gesundheits- und           messer für die Vorstufe verfestigter sozialer
    Sozialberichterstattung 2008 wurden für die       Probleme gesehen.
    Berliner Bezirke verschiedenste Sozialindexe      Der Statusindex berücksichtigt Faktoren
    berechnet. Die zur Berechnung des Sozial­         wie Bildung, Wanderungsbewegung, ge-
    indexes 2003 verwendeten 25 Indikatoren,          ringe Haushaltsgröße und Erwerbsstruktur
    wurden 2008 auf 64 Indikatoren erweitert. Im      (Senatsverwaltung für Gesundheit, Umwelt
    Zuge dessen wurde der 2003 noch allgemein         und Verbraucherschutz, 2008).
    gefasste Sozialindex in die Sozialindexe I,       Der mit Hilfe der oben genannten Indikatoren
    II und den Statusindex aufgespaltet. In den       errechnete Sozialindex I korreliert stark mit
    Sozialindex I, vergleichbar mit dem Sozial­       der allgemeinen vorzeitigen Sterblichkeit vor
    index von 2003, fließen Faktoren wie Arbeits­     dem 65. Lebensjahr (Senatsverwaltung für
    losigkeit, Leistungsempfang nach SGB II und       Gesundheit, Umwelt und Verbraucherschutz,
    XII, Berufsbildung, Armuts- und Einkom­           2008, S. 211). Diesen Zusammenhang veran-
    mens­lage, Anteile von Kindern unter 6 Jah­       schaulicht die untere Grafik. Ist der Sozial­
    ren, Wohnlage, Wanderungsvolumen und              index I hoch, wie in Steglitz-Zehlendorf, so
    Indikatoren des Gesundheitszustandes ein.         liegt die vorzeitige Sterblichkeit weit unter
    Der Sozialindex II ist geprägt von Indikatoren    dem Berliner Durchschnitt. Mit abnehmen-
    wie der Art des Beschäftigungsverhältnisses       dem Sozialindex I nimmt die vorzeitige
    und der Arbeitslosigkeit. Er wird als Grad­       Sterblichkeit stärker zu.

    Abbildung 4: Diese Grafik wurde an Hand von Daten des Sozialstrukturatlasses 2008 der
    Senatsverwaltung für Gesundheit, Umwelt und Verbraucherschutz zu vorzeitiger allgemeiner
    Sterblichkeit (S. 209) und zum Sozialindex I (S. 257) erstellt.

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Gesunde Lebenswelten schaffen - Heft 1 - Aktiv werden für Gesundheit - Arbeitshilfen für kommunale Prävention und Gesundheitsförderung - Quartier 2030
Kapitel 3 – Welche Faktoren
            beeinflussen Gesundheit?

         Viele soziale Faktoren, die Gesundheit belasten (z.B. Umweltverschmutzung,
         Arbeitslosigkeit), können im Stadtteil kaum geändert werden. Dennoch kann
         Gesund­heitsförderung im Stadtteil die Gesundheitschancen der Menschen po­
         sitiv ­beeinflussen.
Wird ein gesundheitsförderliches Angebot geplant, so ist es wichtig zu bestimmen,
welche Faktoren in Bezug auf Gesundheit verändert werden sollen. Geht es bei dem
Projekt z.B. um ein anderes Verhalten, sollen gesundheitliche Belastungen im Stadtteil
gesenkt werden oder sollen Rahmenbedingungen so gestaltet werden, dass die
Bedingungen für ein gesundheitsförderliches Verhalten im Alltag verbessert werden?

Gesundheit und Wohlbefinden hängen von             Die Weltgesundheitsorganisation hat unter
einer Vielzahl von Faktoren ab. Abgesehen          dem Begriff „soziale Determinanten“ von
von Alter, Geschlecht und Erbanlagen sind          Gesundheit die zentralen Aspekte in den
die meisten dieser Faktoren beeinflussbar.         Lebens- und Arbeitsbedingungen und der
Margret Whitehead und Göran Dahlgren               Lebensweise herausgearbeitet, durch die die
(1991) haben die verschiedenen Ebenen dar-         Gesundheit der Menschen bestimmt wird.
gestellt, auf denen diese Faktoren wirken:         Die folgende Tabelle erläutert, welche so-
n die persönlichen Verhaltens- und                zialen Bedingungen (Determinanten) die
   Lebensweisen (erste Ebene)                      Gesundheit beeinflussen und nennt einige
n die Unterstützung und Beeinflussung             Beispiele wie sie sich im Quartier auswirken
   durch das soziale Umfeld (zweite Ebene)         können. Die Tabelle kann auch als Checkliste
n die Lebens- und Arbeitsbedingungen (drit-       genutzt werden, um positive oder negative
   te Ebene)                                       Faktoren im Stadtteil zu identifizieren.
n die wirtschaftlichen, kulturellen und physi-
   schen Umweltbedingungen (vierte Ebene)

In der Gesundheitsförderung und Prävention
werden zwei Zielrichtungen unterschieden:
n Maßnahmen, die individuelle Faktoren
   verändern sollen, z.B. Kurse für gesundes
   Ernährungsverhalten oder Raucherent­
  wöhnung, werden als verhaltensbezogen
  bezeichnet.
n Maßnahmen, die Faktoren verändern
   ­sollen, die von außen auf das Individum
    einwirken, werden als verhältnisbezogen
  bezeichnet.
Die verschiedenen Schichten werden jedoch
nicht isoliert betrachtet, sie beeinflussen sich
wechselseitig. So haben beispielsweise die
Arbeits- und Lebensbedingungen oder die            Abbildung 5: Einflussfaktoren auf die Gesundheit: das Regenbogen-Modell
sozialen Netzwerke auch Einfluss auf indivi-       nach Whitehead und Dahlgren
duelle Lebensweisen.                                                   (Darstellung: Fonds gesundes Österreich, www.fgoe.org)

Aktiv werden für Gesundheit · Heft 1                                                                                        7
Gesunde Lebenswelten schaffen - Heft 1 - Aktiv werden für Gesundheit - Arbeitshilfen für kommunale Prävention und Gesundheitsförderung - Quartier 2030
Kapitel 3 – Welche Faktoren
                                    beeinflussen Gesundheit?

Soziale Determinanten für Gesundheit im Stadtteil

Soziale Determinanten   Kurzerklärung                                        Wie macht sich dies im sozial benachteiligten
                                                                             Stadtteil bemerkbar?
Soziales Gefälle        Unterschiedliche Formen von Benachteiligung          z.B. besonders stigmatisierte Wohnquartiere im Stadtteil,
                        (sozial, wirtschaftlich) treffen tendenziell im-     Wohnungsstandard, Anteil Bezieherinnen und Bezieher
                        mer die gleichen Personengruppen und sum-            von Transferleistungen
                        mieren sich im Laufe des Lebens
Verkehr                 Straßen und Kreuzungen, Verkehrs­aufkommen,          z.B. Lärm, Luftverschmutzung, Unfälle, Durchfahrts­
                        ggf. Probleme für kleine Kinder und älte-            straßen, fehlende Fußgängerüberwege und Radwege
                        re Menschen, sich eigenständig in ihrem
                        Wohnumfeld zu bewegen
Umwelt                  Luft, Geräusche, Stadtbild, Wohnstruktur             z.B. Brachflächen, Versiegelungsgrad, fehlende
                                                                             Grünflächen, fehlende Flächen für Spiel und Bewegung,
                                                                             Lärm, Luftverschmutzung
Stress                  Psychosoziale Risiken (Sorgen, Unsicher­heit,        z.B. Menschen, die apathisch, ungepflegt, gereizt, alko-
                        mangelnde Mitbestimmung usw.) führen                 holisiert oder vereinsamt in der Öffentlichkeit wirken,
                        langfristig zu physiologischen Reaktionen            Angst
                        (Bluthochdruck, Herzinfarkt usw.)
Soziale Ausgrenzung     Not, Verbitterung durch Armut, soziale               z.B. Einsamkeit, Altersdepression, häusliche Gewalt,
                        Ausgrenzung und Diskriminierung wirken sich          Vandalismus, Kriminalität, Erschei­nungsformen von
                        lebensverkürzend aus.                                Rassismus und Rechtsradikalismus

Soziale Unterstützung   Integration, Netzwerke                               z.B. Stadtteilvereine, Nachbarschaftszentren, Gesund­
                                                                             heitsangebote, soziale Netzwerke, kulturelle Angebote,
                                                                             „Szenen“ und „Communities“, Treffpunkte, Feste

Arbeit                  Arbeit und sinnvolle Betätigungen als beson-         z.B. Krankenstand, „Nischenarbeitsplätze“ für Menschen,
                        ders bedeutende Gesundheitsres­source. Stress        die den zunehmenden Anforderungen des Arbeitsplatzes
                        am Arbeitsplatz erhöht das Krankheitsrisiko.         und -marktes nicht gewachsen sind

Arbeitslosigkeit        Unsicherheit, Statusverlust als Krank­heits­risiko   z.B. Arbeitslosenquote

Sucht                   Suchtprobleme als zusätzlicher Stressor für den      z.B. öffentlicher Konsum von Alkohol und illegalen
                        Einzelnen und für den Stadtteil                      Drogen, Flaschen und Spritzen in Grünanlagen und
                                                                             Spielplätzen, Verletzungen und Infektionen, Belästi­
                                                                             gungen durch Dealer

Bedingungen für Babys   Grundlagen der Gesundheit werden in frü-             z.B. Armut in Familien, beengter, unsanierter Wohn­
und Kinder              her Kindheit gelegt. Unter mangelhaften              raum, Verkehrsaufkommen, Anzahl und Zustand der
                        Bedingungen erhöht sich das Risiko einer le-         Kinderspielplätze, hungrige, verhaltensauffällige Kinder
                        benslangen schlechten Gesundheit.                    in Kindertagesstätte und Schule, Unfallhäufigkeit, Anteil
                                                                             Alleinerzie­hender, sozial isolierte Familien

(nach Wilkinson und Marmot, 2004)

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„Nicht einfach materielle
                                                                                                  Armut ist gesundheits­
                                                                                                 schädigend. Der soziale
                                                                                                Sinn, der Armut, Arbeits­
                                                                                                  losigkeit, Ausgrenzung
                                                                                                   und anderen Stigmati­
                                                                                                 sierungen beigemessen
                                                                                                wird, ist einfach wichtig.
                                                                                                Als soziales Wesen benö­
                                                                                                  tigen wir nicht nur gute
                                                                                                 materielle Bedingungen,
                                                                                               sondern auch von Kind­heit
                                                                                                 an das Gefühl, geschätzt
                                                                                                 und gemocht zu werden.
                                                                                                   Wir brauchen Freunde,
                                                                                                  wir brauchen menschli­
                                                                                                   che Gesell­schaf­ten, wir
                                                                                                      müssen uns nützlich
                                                                                                   fühlen und wir müssen
                                                                                                 ein wesentliches Maß an
                                                                                               Entscheidungs­befugnissen
                                                                                                über eine sinnvolle Arbeit
                                                                                                     haben. Sonst sind wir
                                                                                                anfälliger für Depression,
                                                                                                   Drogen­konsum, Angst,
Menschen in schwieriger sozialer Lage sind      Aus dem Regenbogen-Modell und der Dar­                  Feind­seligkeit und
                                                                                                    Hoffnungs­losigkeit mit
aufgrund ihrer Lebenssituation vielfach         stel­lung der Determinanten für Gesundheit         entsprechenden Folgen
­großen Belastungen ausgesetzt, z.B. Arbeits­   wird neben vielen Schwierigkeiten auch                  für die körperliche
                                                                                                             Gesundheit.“
 losigkeit, geringes Einkommen, schwierige      deutlich, dass Gruppen und Einzelpersonen
 Wohnsituation, und verfügen gleichzeitig       immer auch über die verschiedensten Res­                 Richard Wilkinson
                                                                                                        & Michael Marmot,
 oftmals nicht über ausreichende Ressourcen     sour­cen und Potenziale verfügen. Diese wer-                     2004, S. 9
 und Kompetenzen zu deren Bewältigung,          den durch die Gesundheitsförderung gezielt
 z.B. Unterstützung durch soziale Netzwerke,    angesprochen. Dabei müssen die Zielgruppen
 Angebote professioneller Unterstützung oder    grundsätzlich in die Planung und Ent­wick­
 die Kompetenz, diese zu nutzen.                lung von Angeboten einbezogen werden. Nur
                                                dann können Interventionen nachhaltig zu
Dies trifft insbesondere zu für                 ­einer Veränderung des Alltags führen.
n Personen mit niedrigem Einkommen (z.B.
   Empfängerinnen und Empfänger von Hartz       Am erfolgversprechendsten sind Inter­ven­
   IV-Leistungen),                              tionen, die nicht nur einzelne Personen
n Personen mit niedrigem beruflichem           ansprechen und ihre Verhaltensweisen zu
   Status (z.B. ungelernte Arbeiterinnen und    verändern versuchen, sondern auch ihre
   Arbeiter),                                   Lebens­zusammenhänge berücksichtigen. Ein
n Personen mit niedriger Schulbildung (z.B.    Bei­spiel hierfür ist der Kurs „Gesund essen
   ohne qualifizierten Schulabschluss) und      mit Freude“, der insbesondere den kulturel-
n spezifische Zielgruppen wie Obdachlose,      len Hintergrund von Migrantinnen berück-
   Suchtmittelabhängige, Menschen mit           sichtigt.
   Behinderungen.

Aktiv werden für Gesundheit · Heft 1                                                                                     9
„Gesund essen mit Freude“, Berlin
     Im Koch- und Ernährungskurs „Gesund essen mit Freude“ werden
     die Themen und Praxisteile nach den Interessen und Erfahrungen der
     teilnehmenden Frauen gestaltet. So kochen die Frauen Gerichte, die sie
     besonders mögen oder von Hause aus kennen. Gemeinsam mit einer
     Ernährungsberaterin überlegen sie dabei, wie
     die Ernährungsgewohnheiten der Familie ge-
     sünder gestaltet werden können. Die Gruppe
     setzt sich so mit ihrem Alltag aus­einander, die
     Erfahrungen der Frauen sind Thema und ge-
     meinsam werden Strategien entwickelt, wie
     gesundes Ernährungs­ver­halten im Alltag um-
     gesetzt werden kann. Die Berücksichtigung
     kulturbedingter Ernäh­rungs­gewohnheiten,
     aber auch die Ausein­andersetzung z.B. mit
     Klischees in der Erziehung oder im Rollenver-
     ständnis von Jungen und Mädchen, gehören
     dazu, damit die neuen Kenntnisse in den
     Alltag der Familien integriert werden.
     Diese Auseinan­dersetzung gelingt jedoch erst
     dann, wenn die Frauen Vertrauen in die Grup-
     pe und die Ernährungsberaterin aufgebaut
     haben. Die partizipative Gestaltung des Angebots ist dafür Vorausset-
     zung.
     Der Kurs wurde in Gemeinwesenzentren, Grund­schulen, Kindertagesstät-
     ten und Volkshochschulen durchgeführt.
     Leitfaden, Kursmanual und das in den Kursen
     entstandene Kochbuch sind im Internet verfügbar.
     Weitere Informationen zum Projekt
     „Gesund essen mit Freude“ in der Datenbank
     www.gesundheitliche-chancengleichheit.de/
     good-practice/gesund-essen-mit-freude.

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Kapitel 4 – ­Prävention und Gesund­
                    heitsförderung im Quartier

        „Vorbeugen ist besser als Heilen – aus vielen guten Gründen: Prävention
        kann vermeidbares Leid verhindern. Prävention kann das Leben verlän­
        gern. Prävention kann die Lebensqualität steigern. Prävention kann ein
        produktives und aktives Leben ermöglichen. Prävention kann Spaß machen.
Prävention kann den Zusammenhalt in der Gesellschaft fördern. Prävention kann
Kosten der Krankenversorgung sparen.“ (Rosenbrock, 2008, S. 7)

Präventionsstrategien können auf verschie-         Maßnahme auf Information, Aufklärung und
denen Ebenen ansetzen: sie können sich auf         Beratung beschränken oder sie schließt die
das Individuum, auf die Lebenswelt (das            Veränderung gesundheitsbelastender bzw.
Setting) oder die Bevölkerung richten. Und         ressourcenhemmender Faktoren der jeweili-
es können unterschiedliche Interventions­          gen Umwelt bzw. des jeweiligen Kontextes
stra­tegien gewählt werden. So kann sich eine      ein. (nach Rosenbrock, 2004)

                    Information, Aufklärung, Beratung       Beeinflussung des Kontexts

 Individuum         z.B. ärztliche Gesundheitsberatung,    z.B. präventive Hausbesuche
                          Gesundheitskurse

 Setting            z.B. Anti-Tabak Aufklärung in          z.B. betriebliche Gesundheits­­
                          Schulen                                 förderung als
                                                                  Organisationsentwicklung

 Bevölkerung        z.B. „Esst mehr Obst“, „Sport tut      z.B. HIV/AIDS-Kampagne,
                          gut“, „Rauchen gefährdet die           Tempo 130, „rauchfrei“-
                          Gesundheit“, „Seid nett zuein-         Kampagne (mit Gesetzgebung
                          ander“                                 zum Passivrauchen)

Abbildung 6: Typen und Arten der Primärprävention (nach Rosenbrock, 2008, S.16)

   Hausgemeinschaften beschließen zusammen
   in der Straße ein Kinderfest zu organisieren.
   Das Fest wird ein Erfolg, trotz Unterschieden
   in Kultur und Lebensstil bringen sich viele
   Nachbarn ein. Aus dem gemeinsamen Feiern
   entstehen weitere Ideen. Es gibt einen Kreis
   der Aktiven, die für Kontinuität sorgen, und
   Unter-stützenden, die sich immer wieder
   einbringen und auch punktuell Verantwortung
   übernehmen.

Aktiv werden für Gesundheit · Heft 1                                                            11
Kapitel 4 – ­Prävention und Gesund­
                                          heitsförderung im Quartier

„Gesundheitsförderung         Für jede dieser Strategien gibt es zweckmä-       teiligten müssen erfolgreiche Präventionsstra­
zielt auf einen Prozess,      ßige Einsatzfelder. In einer erfolgreichen        tegien auch beinhalten, dass die Menschen
­allen Menschen ein höhe­
 res Maß an Selbstbestim­     Strate­gie in Stadtteil werden individuelle und   die Erfahrung machen, dass sie diese Fakto­
 mung über ihre Gesund­       Set­ting-Ansätze, d.h. Interventionen bezogen     ren positiv beeinflussen können.
 heit zu ermöglichen und
 sie damit zur Stärkung ih­   auf die Lebenswelt, aufeinander abgstimmt         Da der Blick auf die Stärkung und
 rer Gesundheit zu befähi­    und es kommen die verschiedenen Maßnah­           Verbesserung der Voraussetzungen für
 gen. Um ein umfassendes      men (Kontextbeeinflussung und Information,        Gesundheit gerichtet ist,
 körperliches, seelisches
 und soziales Wohlbefinden    Aufklärung, Beratung) zum Einsatz. Eine           n sind gesundheitsfördernde Ansätze meist
 zu erlangen, ist es not­     besondere Herausforderung stellt im Stadtteil        krankheitsunspezifisch (also nicht auf die
 wendig, dass sowohl
 Einzelne als auch Gruppen    die Beeinflussung der konkreten Lebensbe­            Vermeidung einer konkreten Erkrankung
 ihre Bedürfnisse befrie­     dingungen dar.                                       ausgerichtet)
 digen, ihre Wünsche und      „Es ist möglich, als Ausgangspunkt für eine       n berücksichtigen und verändern gesund-
 Hoffnungen wahrnehmen
 und verwirklichen sowie      Intervention, die den Kontext Stadtteil verän-       heitsfördernde Ansätze nicht nur das
 ihre Umwelt meistern         dern soll zunächst eine Nachbarschaft zum            Verhalten der Einzelnen, sondern auch
 bzw. verändern können.
 (...) Gesundheit steht für   Ausgangspunkt zu nehmen und eine gesund-             deren Lebens und Arbeitsbedingungen (die
 ein positives Konzept,       heitsförderliche Entwicklung nach dem Set­           „Verhaltenskontexte“)
 das in gleicher Weise die    ting-Ansatz zu unterstützen. In Abgrenzung        n sind gesundheitsfördernde Ansätze in
 Bedeu­tung sozialer und
 individueller Ressourcen     zu den Systemen Familie und Gemeinde                 ­hohem Maße auf Beteiligung (partizipativ)
 für die Gesundheit betont    bieten Nachbarschaften zwei wesentliche               angelegt.
 wie die körperlichen
 Fähigkeiten.“                Vor­teile: erstens sind sie weniger komplex als
                              das sehr große und wenig institutionalisierte     Ein gesundheitsförderlicher Stadtteil zeichnet
   Ottawa–Charta der WHO,
                      1986    Setting des Stadtteils, und zweitens ist die      sich dadurch aus, dass gemeinsam mit den
                              Zugangsbarriere der Privatsphäre, wie sie im      Bewohnern Ideen für ein gesundes Leben im
                              Setting Familie sehr ausgeprägt auftritt, weni-   Stadtteil entwickelt werden. Wege um die
                              ger stark vorhanden“ (Richter und Wächter,        Lebensbedingungen so gestalten zu können,
                              2009).                                            dass Gesundheitsbelastungen gesenkt werden
                              Gesundheitsförderung hat das Ziel, Prozesse       (z.B. Stress, Lärm oder Unfallgefahren) und
                              zu initiieren und zu unterstützen, die den        gesundheitsdienliche Ressourcen vermehrt
                              Menschen zu mehr Selbstbestimmung über            werden (z.B. soziale Netzwerke, Bildung
                              ihre Gesundheit verhelfen. Bei sozial Benach­     oder Bewegung im Alltag) sollten gemeinsam
                                                                                entwickelt und umgesetzt werden.

                                                                                Solche Veränderungen der Lebens- und
                                                                                Arbeitsbedingungen haben Einfluss auf das
                                                                                Gesundheitsverhalten und begünstigen ge-
                                                                                sundheitsförderliche Lebensweisen.

                                                                                „Die gesunde Entscheidung zur ein­
                                                                                facheren Entscheidung machen“ – das ist
                                                                                die ­große Herausforderung für Prävention
                                                                                und Gesund­heitsförderung.

12                                                                                 Aktiv werden für Gesundheit · Heft 1
In der Kindertagesstätte wird gemeinsam mit
                                                  den Kindern das Frühstück vorbereitet; die Eltern
                                                  organisieren einen Schulkiosk mit einem lecke-
                                                  ren und gesunden Angebot: in der Schule gibt
                                                  es mittags eine ausge­wogene Schulverpflegung;
                                                  bei der Stadtverwaltung wird eine Initiative zur
                                                  Verbesserung des Rad­wegesystems angeregt
                                                  und Fahrrad fahren dadurch erleichtert; attrakti-
                                                  ve Spielplätze werden mit Kindern geplant und
                                                  mit Unterstützung der Bewohner gestaltet.

Für den Erfolg der Arbeit in einem Setting,
d.h. in der Lebenswelt einer Zielgruppe, ist       Checkliste: Kernstrategien der
es wichtig, dass die Zielgruppe selbst in die      Stärkung von Prävention und Gesund­heits­
Problemanalyse und die Lösungsfindung              förderung in der Settingarbeit
einbezogen wird (Partizipation). Hierbei
sollte die Heterogenität der Zielgruppe, also             inbezug und Beteiligung aller relevanten Gruppen
                                                         E
Unter­schiede im Geschlecht oder der Kultur
berücksichtigt werden (Diversity). Es sollten
                                                   3     in dem jeweiligen Settingkontext

sowohl individuelle Verhaltensweisen, als               Prozessorientierung statt vorgegebener fest gefügter
auch die Verhältnisse der Lebenswelt in die
Analyse einfließen (Ganzheitlichkeit), wobei
                                                   3    Programme. Die Ausgangsbe­dingungen werden mit allen
                                                   Beteiligten genau analysiert und darauf aufbauend Maßnahmen
die Gesundheitsförderung das Ziel aller Be­        entwickelt. Nach Durchführung der Maßnahmen wird der Erfolg
teiligten sein sollte (Integration). Die Arbeit    bewertet und eine neue Ausgangsanalyse vorgenommen.
sollte prozessorientiert durchgeführt werden,
wobei nach der Situationsanalyse, der Ziel­              Entwicklung integrierter Konzepte statt punktueller
definition, der Planung und der Durch­füh­
rung der Maßnahmen die Ergebnisse kontrol-
                                                   3     Einzelaktionen

liert werden und so wieder zu neuen Zielen              Systeminterventionen, die teilweise individuelle
und Maßnahmen führen (Projektmanage­
ment).
                                                   3    Verhaltensweisen, aber auch die Verhältnisse innerhalb des
                                                   Settings selbst beeinflussen
Einen Überblick dazu gibt die folgende
Checkliste.                                              Verankerung von Gesundheit als Querschnittsanforderung an
                                                   3     die Kernroutinen des jeweiligen Settings

                                                   (Altgeld, Kolip, 2004; zitiert nach Bundesministerium für Gesundheit,
                                                   2010, S.27)

Aktiv werden für Gesundheit · Heft 1                                                                                       13
Kapitel 5 – G
                                            esundheitsförderung die an­
                                           kommt: Der Lebenswelt-Ansatz

Definition Lebenswelt                  Menschen in schwieriger sozialer Lage (z.B. Empfängerinnen und Empfänger
Der Lebenswelt-Ansatz                  von Transferleistungen, Personen mit Migrationshintergrund oder Allein­
(Setting-Ansatz) ist                   erziehende) werden über andere Kommunikationskanäle und mit ande­
eine Kernstrategie der
Gesund­heitsförderung.
                                       ren Ansprachestrategien erreicht als sozial besser Gestellte. Durch rein
Als Lebens­welt (Setting)      verhaltensbezogene Interventionen, wie z.B. Kursangebote, sind kaum nachhalti­
werden Lebensbereiche          ge Wirkungen zu erwarten. Information, Aufklärung und Beratung sind Teil von
verstanden, in denen die
Menschen regelmäßig
                               Prävention, aber der Erfolg hängt maßgeblich davon ab, ob der Verhaltenskontext
einen großen Teil ihrer        bzw. die konkreten Lebensbedingungen beeinflusst werden (nach Rosenbrock, 2008).
Lebenszeit verbrin­gen, z.B.
der Arbeitsplatz, die Schule   Das „Regenbogen-Modell“ (vergleiche                  diese Rahmenbedingungen zum Gegenstand
oder das Wohn­umfeld
(Nachbarschaft). Wichtig       Kapitel 1) veranschaulicht, dass der indi-           der Intervention werden. Die Weltgesund­
bei diesem Ansatz ist, dass    viduelle Lebensstil stark von den Lebens-            heits­­organisation WHO hat hierfür den
er die Menschen immer in       und Arbeitsbedingungen und dem sozialen              Begriff des „Setting-Ansatzes“ geprägt. In
enger Verbindung mit ihren
Lebenswelten sieht, denn       Umfeld bestimmt wird. Der Erfolg gesund-             Deutschland wird auch vom „Lebenswelt-
diese haben einen ganz         heitsfördernder Ansätze ist umso wahr-               Ansatz“ gesprochen.
zentralen Ein­fluss auf die    scheinlicher, je mehr von Anfang an auch
Chance, ein gesundes Leben
zu führen. Interventionen
nach dem lebensweltlichen
Ansatz sind also nicht nur
auf gesundheitsrelevantes
Wissen, Einstellungen
und Handeln Einzelner
                                   Schulprogramm
ausge­richtet (z.B. durch          Fridtjof-Nansen-Schule, Hannover
Infor­mation und Schulung),
sondern gleichzeitig auch         In der Fridtjof-Nansen-Schule, im sozialen        Die Öffnung der Schule zum Stadtteil ist durch
auf die Faktoren, die dieses
beeinflussen (z.B. Arbeits­
                                  Brenn­punkt Hannover-Vahrenheide, wird            eine gemeinwesenorientierte Zusammenar-
bedingungen in Betrieben,         Ge­sundheits­förderung umfassend in den schu­     beit mit Insti­tutionen aus dem sozialen Umfeld
gesundheitsbezogene               li­schen Alltag der Schülerinnen und Schüler      gesichert worden. Die Schule bietet mit dem
Steuerungskreise in Schulen
und Kindertagesstätten
                                  so­wie der Lehrkräfte integriert. Das zugrunde    Freilichtforum einen zen­tralen Kommunikati-
oder Bewegungsräume im            liegen­de Programm ist durch stark partizi­pa­    onsort nicht nur für Lehrkräfte, Schülerinnen
Stadt­teil).                      tive Elemente (z.B. Kinder­parlament) sowie       und Schüler, sondern auch für den umgebenden
                                  eine Öffnung des Schulsystems zum Stadtteil       Stadtteil. Das Forum steht Stadt­teil­initiativen
                                  ge­kennzeichnet. Die ganzheitliche Förderung      kostenneutral offen und wird intensiv genutzt.
                                  von Mädchen und Jungen, die als durchgän­         Darüber hinaus sichert die Zusammenarbeit mit
                                  giges Prinzip gilt, beinhaltet die kindgerechte   anderen Institutionen – zum Beispiel Gemeinde­
                                  Rhyth­misierung des Schulalltags, einige          unfallversicherungsverband, Beratungsstellen,
                                  immer leicht verfügbare Bewegungs­räu­me,         Krankenkassen, Stadtteilforen etc. – die fachliche
                                  Freiräume für die Begegnung und Aus­eina­         Einbindung und Weiterentwick­lung im Setting.
                                  ndersetzung mit der Natur und vieles mehr. Ein
                                                                                    Weitere Informationen zu diesem Projekt in der
                                  Steuerungs­aus­schuss sichert die Beteiligung
                                                                                    Datenbank
                                  von Lehren­den, Schülerinnen und Schülern
                                                                                    www.gesundheitliche-chancengleichheit.de/
                                  sowie Eltern an einem gemeinsamen kontinu-
                                                                                    good-practice/schulprogramm-fridtjof-nansen-
                                  ierlichen Ent­wick­lungsprozess der gesamten
                                                                                    schule
                                  Schule hin zu mehr Gesundheit (Organisati-
                                  onsentwicklung).

14                                                                                    Aktiv werden für Gesundheit · Heft 1
In einem vereinfachten Schema umfassen                        Durch die gleichzeitige Berücksichtigung
Interventionen innerhalb der Lebenswelt                       sowohl der individuellen wie auch der struk-
drei zentrale Aspekte:                                        turellen Ebene ist die Umsetzung des Lebens­
                                                              welt-Ansatzes sehr anspruchsvoll. Insbeson­
n Sie stärken die Kompetenzen und                            dere in der Lebenswelt Stadtteil wird die
   Ressourcen der im Setting lebenden                         erfolgreiche Umsetzung nur gelingen, wenn
   Personen (individuelle Ebene),                             viele Akteure an einem Strang ziehen.Dafür
                                                              können auch bereits etablierte Netzwerke
n sie entwickeln gesundheitsfördern-                         und Foren der Zusammenarbeit genutzt wer-
   de Rahmenbedingungen (Ebene der                            den.
   Strukturbildung) und                                       Das Bund-Länder-Programm Soziale Stadt
                                                              ist ein zentraler Anknüpfungspunkt.
n sie binden in diesen Prozess systematisch                  Ursprünglich als ein Ansatz der sozialen
   möglichst viele Personen(gruppen) in de-                   Städtebauförderung initiiert, gewinnt die
   ren Lebenswelt ein (Partizipation).                        Entwicklung einer sozialen Infrastruktur in
                                                              den benachteiligten Stadtteilen zunehmend
                                                              an Bedeutung.

               Verhaltensorientierung                                        Verhältnisorientierung

      Stärkung individueller
   Kompetenzen und Ressourcen                                                       Strukturentwicklung
                                                Zielgruppe wird befähigt
   Befähigung der Zielgruppe, aktiv mit Pro-                                 Entwicklung der Lebens- und Arbeitsbedin-
                                                und aktiviert, sich in die
  blemen und Belastungen umzugehen, Lö-                                                  gungen zu einem
                                               Prozesse zur gesundheits-
  sungsansätze und Bewältigungs­strategien                                        gesundheitsfördernden Setting.
                                               gerechten Gestaltung der
       zu formulieren und umzusetzen.
                                               Lebenswelt einzubringen.

    Erwerb von Erfahrungen                         Partizipation                              Beteiligung insbesondere
    und Selbstbewusstsein.                aktive Einbindung der Zielgruppe in                 der Zielgruppe(n) wird
                                          Entscheidungs- und Entwicklungs­                    zum Strukturelement im
                                                       prozesse.                              Setting.

Abbildung 7: Kompetenzstärkung, Strukturentwicklung und Partizipation als zentrale Elemente des
Setting-Ansatzes (nach Kilian, Geene & Philippi, 2004)

Aktiv werden für Gesundheit · Heft 1                                                                                     15
Die Themen „Gesundheit“ und „Gesundheits­         n Ein wichtiges Element der Arbeit im
     förderung“ finden sich zwar noch immer am            Programm „Soziale Stadt“ ist die Ein­bin­
     Ende der bearbeiteten Themenlisten, aber die         dung der Bewohnerinnen und Bewohner
     Infrastruktur, die seit 1999 bis zum Jahr 2011       der Programmgebiete in strategische Ent­
     inzwischen 603 geförderten Programmge­               scheidungen und Einzelprojekte. Auch die-
     bieten in 374 Gemeinden aufgebaut wurde,             ses entspricht dem Basiskonzept von Ge­
     bietet beste Voraussetzungen, diese Themen           sundheitsförderung, das auf die Stärkung
     in die zahlreichen Aktivitäten zu integrieren,       von Kompetenzen und Beteiligungs­mög­
     da sich hier die drei wesentlichen Elemente          lichkeiten der Betroffenen setzt (Ebene der
     des Lebenswelt-Ansatzes wiederfinden:                Partizipation).

     n Das Programm Soziale Stadt wendet              Insbesondere der letzte Punkt, die Betei­
        sich an sozial benachteiligte Zielgruppen,     ligung der Zielgruppen, kann nur gelingen,
        die den Auswirkungen der sozial be­            wenn diese auch in die Lage versetzt wer-
        dingten ungleichen Gesundheitschancen          den, sich aktiv einzubringen. Oft wird es
        in hohem Maße ausgesetzt sind (indivi­         notwendig sein, diese Voraussetzungen erst
        duelle Ebene).                                 zu schaffen. Dies ist Aufgabe und Ziel des
     n Im Programm Soziale Stadt geht es              Empowerments, das im nächsten Kapitel vor-
        ­primär um den Aufbau und die Weiter­          gestellt wird.
         entwicklung der baulichen und sozialen
         Infrastruktur. Beides hat entscheidende
         Auswirkungen auf die Gesundheit der
         Bewohnerinnen und Bewohner und bietet
         gute Ansatz­punkte, diesen Aspekt bei den
         künftigen Aktivitäten der Arbeit vor Ort zu
         stärken (Ebene der Strukturbildung).

16                                                        Aktiv werden für Gesundheit · Heft 1
Kapitel 6 – Empowerment in der
             Gesundheitsförderung

         Was ist Empowerment?

Die WHO sieht als Ziel der Gesundheitsförderung einen selbstbestimmten Umgang
mit der eigenen Gesundheit. Die Befähigung dazu, die eigenen Bedürfnisse und
Forde­rungen eigenständig zu äußern und alleine oder gemeinsam mit anderen
umzu­set­zen, ist ein zentraler Ansatz der Gesundheitsförderung. Da die Ressourcen
hierfür oftmals (noch) nicht vorhanden sind, kommt dem Empowerment – der
Ermächtigung/ Befähigung – der Zielgruppen im Rahmen gesundheitsfördernder
Interventionen eine zentrale Rolle zu.
                                                                                                 „Die Schwierigkeit, einen
                                                                                                   Empowerment-Blickwin­
                                                                                                     kel in die professionelle
Mit Empowerment werden Prozesse be-             Schwimmen erleichtern. Empowerment heißt                Arbeit zu integrieren,
zeichnet, in deren Verlauf Menschen – in        in diesem Bild: (Gemeinsam) Schwimmen               besteht vor allem darin,
                                                                                                        dass Empower­ment-
der Regel sozial benachteiligte Gruppen –       lernen.                                              Prozesse zwar angesto­
Möglich­keiten und Fähigkeiten gewinnen,                                                                ßen werden können,
                                                                                                      der eigentliche Prozess
ihr Leben eigenverantwortlich zu gestalten.     Empowerment im oben beschriebenen Sinn            ­jedoch weitgehend ohne
Sie werden dabei unterstützt, ihre Probleme     ist die „Ermächtigung“, Verantwortung für              Zutun der beruflichen
eigenständig zu lösen.                          eigene Angelegenheiten zu übernehmen.                 Helferinnen und Helfer
                                                                                                  abläuft. Eine Haltung des
                                                Partizipation ist zu verstehen als die akti-        Empowerment lässt sich
Diese Herangehensweise unterscheidet sich       ve Einbindung Betroffener in die Bedarfs­           daher nicht mit direkten
                                                                                                      Interventionen verglei­
auch deutlich von früheren Maßnahmen der        erhebung, Planung, Umsetzung und auch          chen, wie sie im psychoso­
Gesundheitserziehung. Tatsächlich wurde sie     in die Ergebnismessung von Interventionen.       zialen Bereich eher ­üblich
besonders in der US-amerikanischen Bürger­      Das angestrebte Ergebnis ist die Vertretung    sind (Beratung, Betreuung,
                                                                                                    Therapie, Anleitung von
rechtsbewegung entwickelt – der Ansatz soll     der eigenen Interessen.                           Gruppen). Empowerment
helfen, soziale Ungleichheiten zu verringern,                                                    als pro­fessionelle Haltung
                                                                                                   bedeutet, Möglichkeiten
es sollen benachteiligte Individuen und Grup­   Insofern besteht eine wechselseitige Bezie­         für die Entwicklung von
pen gefördert werden.                           hung zwischen Empowerment und Partizi­                  Kompetenzen bereit­
                                                pation. Kompetenzen (Empowerment) sind                 zustellen, Situationen
                                                                                                ­gestaltbar zu machen und
Nach der pathogenetischen [an der Krankheit     eine Vorraussetzung dafür, Eigenverant­wor­       damit „offene Prozesse”
orientierten] Herangehensweise werden           tung übernehmen und sich aktiv beteiligen                       anzustoßen.”
Menschen mit hohem Aufwand aus einem            zu können (Partizipation). Ebenso folgt aus                 Wolfgang Stark,
reißenden Fluss gerettet, egal, wie sie da      erworbenem Wissen und neuen Kompeten­                            2002, S. 70
hineingeraten sind und warum sie nicht bes-     zen auch der Wunsch, diese in Beteiligungs­
ser schwimmen können. Für Antonovsky,           prozesse einzubringen.
einen Pionier der Gesundheitsförderung, ist
der Fluss der Strom des Lebens selbst. Wir      Beteiligung ist (ebenso wie Befähigung) eine
gehen alle nicht einfach am Ufer entlang,       Querschnittsaufgabe in allen gesundheits-
sondern schwimmen in diesem – teilweise         fördernden Maßnahmen. Sie ist in diesen
verschmutzten, teilweise reißenden – Fluss      Arbeitshilfen insbesondere in Heft 2 darge-
(Antonovsky 1997). Die theoretische Frage       stellt.
lautet danach immer, welche Faktoren das

Aktiv werden für Gesundheit · Heft 1                                                                                  17
Kapitel 6 – Empowerment in der
                  Gesundheitsförderung

        ELTERN-AG
        Das Präventionsprogramm ELTERN-AG ist ein Konzept, dem zwei zentrale Bausteine zu Grunde lie-
        gen: Empowerment und Anleitung zur Selbsthilfe. Es richtet sich an Eltern von Kindern im Vorschul-
        alter, die in der Regel mit mehreren Schwierigkeiten gleichzeitig kämpfen: Arbeitslosigkeit, niedriger
        Bildungs­abschluss, Alleinerziehendenstatus, Überschuldung, Migrationshintergrund, chronische
        Krankheiten – kurz, Problemfamilien, die normalerweise weder den Weg in die Elternschulen noch
        in die Erziehungsberatungsstellen finden und auch um die Präventions- und Gesundheitskurse der
        Krankenkassen einen großen Bogen machen.
        Das Programm zeichnet sich durch die Merkmale Niedrigschwelligkeit, Befähigung auf gleicher Au-
        genhöhe sowie Förderung von Selbstwert und Kontrollüberzeugungen aus. Auf der Basis spezifischer
        Interventionstechniken erfahren sich Eltern im Verlauf des Kurses als zunehmend kompetent, als die
        Expertinnen/Experten ihres eigenen Alltags und ihrer Kinder. Das Programm zielt über die Arbeit mit
        den Eltern auf die Förderung der emotionalen, sozialen und kognitiven Kompetenzen der Vorschul-
        kinder und die Verbesserung der familiären Beziehungen.
        Weitere Informationen zu diesem Projekt in der Datenbank
        www.gesundheitliche-chancengleichheit.de und unter www.eltern-ag.de

     Wie gelingt Empowerment?
     Empowerment ist ein Prozess, der von einem Gefühl der Ohnmacht hin zu Kompetenz und
     aktiver Beteiligung führt. Idealtypisch werden verschiedene Entwicklungsphasen unter­
     schieden:

      1. Mobilisierung                           Eine herkömmliche Haltung von Desinteresse,
                                                 Bequemlichkeit, Autoritätsgläubigkeit oder einem
                                                 Selbstbild als „Loser“ wird aufgebrochen. Eigene
                                                 Stärken und Ressourcen werden entdeckt.
      2. Engagement und Förderung                Nach dem Abflauen der Anfangsbegeisterung
                                                 ­entwickelt sich ein stabileres Engagement.
      3. Integration und Routine                 Die Aktivitäten werden teilweise zur Routine und
                                                 in den Alltag integriert.
      4. Überzeugung und Kontinuität             Eine Sicherheit in der Anwendung partizi-
                                                 patorischer Kompetenzen, eine entwickelte
                                                 Organisations- und Konfliktfähigkeit wurden
                                                 erreicht. Die Überzeugung, dass es möglich ist,
                                                 Veränderungen herbeizuführen, bleibt bestehen.

     (nach Stark, 1996)

18                                                            Aktiv werden für Gesundheit · Heft 1
Empowerment reicht also vom ersten akti-              In Mädchen- und Frauenprojekten hat
vierenden Impuls bis zu einer verlässlichen           der Empowerment-Ansatz oft eine hohe
Begleitung und Unterstützung über einen ge-           Bedeutung. Die spezifischen Lebenslagen
wissen Zeitraum. Der Prozess dauert mitun-            von Mädchen und Frauen sind ein wichtiges
ter lange. Dies ist von vornherein zu beden-          Thema und die Auseinandersetzung mit
ken, um der Gefahr der Demotivierung nach             Rollenklischees kann die Entwicklung eines
überzogenen Erwartungen zu begegnen.                  starken Selbstwertgefühls und eines selbst-
Der erste Impuls kann von einer                       bewussten Auftretens befördern.
Aktivierenden Befragung (siehe Heft 2),
der Organisation eines Stadtteilfestes, der           Kinder und Jugendliche sind besonders stark
Unterstützung eines kulturellen Angebotes             auf die Chancen angewiesen, die ihnen ihre
und vielem mehr ausgehen.                             Umgebung eröffnet. Nachhaltige Erfolge der
                                                      Gesundheitsförderung sind bei ihnen, eben-
                                                      so wie bei sozial benachteiligten Gruppen,
                                                      nur als Empowerment-Prozesse zu erzielen.

    Mehrgenerationenhaus München

    Das interkulturell ausgerichtete Mehrgenera­tionen­haus (MGH) befindet sich in einer Wohnan-
    lage der gemeinnützigen Wohnstätten- und Siedlungs­gesellschaft mit ca. 2000 Wohneinheiten
    in Einfachausstattung. Das MGH lebt als Selbsthilfeeinrichtung von der aktiven und engagierten
    Mitarbeit der Menschen. Unterstützt werden sie von einigen fest angestellten Mit­arbeiterinnen und
    Mitarbeitern. Jeder ist willkommen und kann im Rahmen der Möglichkeiten mitarbeiten und sein
    persönliches Wissen, seine Fähigkeiten, Neigungen und Erfahrungen einbringen. Die Projektnutze-
    rinnen und -nutzer können selbstständig und eigenverantwortlich Teilprojekte und Veranstaltungen
    organisieren und die Infrastruktur des MGH zu einem geringen Mietpreis nutzen. Ein Beispiel für ein
    selbst initiiertes Projekt ist eine Kleidertauschbörse, ebenso wurde ein Flohmarkt gegründet. Zu den
    weiteren Angeboten zählt der „gesunde“ Mittagstisch, den Seniorinnen für Kinder und Jugendliche
    zubereiten.
    Weitere Informationen zum Projekt „Mehrgenerationenhaus München“ in der Datenbank unter
    www.gesundheitliche-chancengleichheit.de/good-practice/mehrgenerationenhaus-muenchen

Aktiv werden für Gesundheit · Heft 1                                                                       19
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