Gewinnverlagerung deutscher Großunternehmen in Niedrig-steuerländer - wie hoch sind die Steueraufkommensverluste? - ifo Institut
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FORSCHUNGSERGEBNISSE Clemens Fuest, Felix Hugger und Florian Neumeier Gewinnverlagerung deutscher Großunternehmen in Niedrig- steuerländer – wie hoch sind die Steueraufkommensverluste? IN KÜRZE ren. In den Blickpunkt von Politik und Öffentlichkeit sind dabei vor allem die Aktivitäten von MNU in so- genannten Steueroasen geraten – das sind Länder, Im vorliegenden Beitrag untersuchen wir, wie hoch die die aufgrund sehr niedriger Gewinnsteuersätze oder Gewinne sind, die multinationale Unternehmen aus steuerlicher Ausnahmeregelungen für besonders Deutschland in Niedrigsteuerländer (»Steueroasen«) verlagern mobile Einkünfte wie Lizenzeinnahmen als Ziel für Gewinnverlagerungen besonders attraktiv sind. Da und wie hoch der Verlust an Steueraufkommen ist, der diese Länder jedoch in der Regel keine Informati- dem deutschen Fiskus dadurch entsteht. Zu diesem Zweck onen über die Aktivitäten der dort ansässigen Un- nutzen wir erstmalig Informationen aus den sogenannten ternehmen preisgeben, ist über das Ausmaß an Ge- länderbezogenen Berichten, die große multinationale Unter- winnverlagerung hin zu Steueroasen bislang wenig nehmen seit 2016 bei den Steuerbehörden einreichen müssen. bekannt. Diese Berichte zeigen, dass 9% der gesamten globalen Gewinne In einem aktuellen Forschungsprojekt haben wir untersucht, wie hoch die Gewinne sind, die die größ- der größten deutschen multinationalen Unternehmen auf ten deutschen MNU in Steueroasen verlagern, und Tochtergesellschaften entfallen, die in Steueroasen ansässig wie viele Steuereinnahmen dem deutschen Fiskus sind. Unseren Schätzungen zufolge lassen sich 62% dieser dadurch entgehen (Fuest et al. 2021). Für das Projekt Gewinne auf realwirtschaftliche Aktivitäten zurückführen, nutzen wir erstmalig Informationen aus den soge- 38% sind das Resultat von Gewinnverlagerung zur Vermeidung nannten länderbezogenen Berichten der 333 größ- von Steuern. Dem deutschen Fiskus entgehen dadurch jährlich ten deutschen multinationalen Kapitalgesellschaf- ten. In den länderbezogenen Berichten legen MNU, Steuereinnahmen in Höhe von etwa 1,6 Mrd. Euro. Bezieht man die weltweit einen Umsatz von mindestens 750 Mio. zusätzlich die Aktivitäten von kleineren deutschen multi- Euro erzielen, unter anderem dar, in welchen Län- nationalen Unternehmen sowie von deutschen Tochtergesell- dern sie operieren, wie hoch die Gewinne sind, die schaften ausländischer multinationaler Unternehmen ein, die dort ansässigen Tochtergesellschaften erzielen, ergibt sich ein Steueraufkommensverlust von 5,7 Mrd. Euro wie viele Steuern diese zahlen, wie viele Mitarbei- pro Jahr. ter*innen sie beschäftigen und wie hoch der Wert ihres Sachanlagevermögens ist. Diese Berichte gehen auf eine Initiative der OECD und G-20-Staaten zurück. In Deutschland wurde eine entsprechende Berichts- Multinationale Unternehmen (MNU) spielen in der pflicht im Jahr 2015 eingeführt und galt erstmalig globalisierten Wirtschaft eine immer bedeutendere für das Jahr 2016 (siehe §138a AO). Auf Grundlage Rolle. Laut OECD (2018) tragen MNU mittlerweile der in den länderbezogenen Berichten enthaltenen fast ein Drittel zum globalen Bruttoinlandsprodukt Informationen ermitteln wir, (i) wie profitabel die in und mehr als die Hälfte zu den globalen Exporten Steueroasen ansässigen Tochtergesellschaften gro- bei. Die zunehmende Bedeutung von MNU stellt ßer deutscher MNU im Vergleich zu den in anderen dabei die noch weitgehend national organisierte Ländern ansässigen Töchtern sind, (ii) wie hoch die Unternehmensbesteuerung vor große Herausforde- Gewinne sind, die die größten deutschen MNU in rungen. In den vergangenen Jahren wurden immer Steueroasen ausweisen und (iii) wie hoch der Anteil wieder Fälle öffentlich, in denen MNU Gestaltungs- an diesen Gewinnen ist, der aus steuerlichen Gründen spielräume in internationalen Besteuerungsregeln, dorthin verlagert wird. Durch Rückgriff auf andere Inkonsistenzen zwischen nationalen Steuergesetzen Datenquellen schätzen wir außerdem, wie viel Steu- und Lücken in Doppelbesteuerungsabkommen ge- eraufkommen der deutsche Staat durch Gewinnverla- nutzt haben, um Gewinne in Niedrigsteuerländer zu gerung von multinationalen Unternehmen insgesamt verlagern und so ihre Steuerbelastung zu reduzie- verliert. 38 ifo Schnelldienst 1 / 2021 74. Jahrgang 20. Januar 2021
FORSCHUNGSERGEBNISSE WIE KANN MAN STEUERVERMEIDUNG UND Abb. 1 GEWINNVERLAGERUNG MESSEN? Profitabilität deutscher MNU und durchschnittlicher effektiver Steuersatzᵃ Nicht-Oasen Europäische Steueroasen Außereuropäische Steueroasen Um zu messen, ob und in welchem Umfang Gewinne A. Gewinn/Wert B. Gewinne/Beschäftigte C. Durchschnittlicher verlagert und Steuern vermieden werden, muss man Sachanlagevermögen effektiver Steuersatz die beobachtete Verteilung der steuerpflichtigen Ge- % Tsd. Euro % 60 150 30 winne mit einer hypothetischen Verteilung verglei- chen, die sich ohne Gewinnverlagerung ergeben hätte. 40 100 20 Zur Ermittlung dieser hypothetischen Gewinnvertei- lung gibt es verschiedene Methoden. Wir verwenden 20 50 10 einen Ansatz, bei dem angenommen wird, dass die Gewinne ohne Steuervermeidung der Verteilung der »realwirtschaftlichen« Aktivität folgen, dass Gewinne 0 0 0 ᵃ Die Angaben beziehen sich auf die Jahre 2016 und 2017. Informationsquelle sind die länderbezogenen also dort ausgewiesen würden, wo die Unternehmen Berichte der 333 größten deutschen multinationalen Kapitalgesellschaften. ihre physischen Produktionsanlagen, ihre Labore für Quelle: Berechnungen des ifo Instituts. © ifo Institut Forschung und Entwicklung und ihre Beschäftigten haben.1 Die genaue Berechnungsweise wird im Fol- etwa doppelt so hoch wie in Ländern, die nicht zu genden noch näher erläutert. den Steueroasen zählen. In den außereuropäischen Steueroasen ist die Kapitalrentabilität gar um den WIE HOCH SIND PROFITABILITÄT UND GEWINNE Faktor 2,5 höher. Ein ähnliches Muster zeigt sich bei DEUTSCHER MNU IN STEUEROASEN? den Gewinnen pro Beschäftigtem. Während die Toch- tergesellschaften großer deutscher MNU in Nicht-Oa- Ein häufig herangezogenes Indiz dafür, dass Gewinne sen einen Gewinn von etwa 41 000 Euro pro Beschäf- zum Zweck der Steuervermeidung in Niedrigsteuer- tigtem erzielen, sind es in den europäischen Steueroa- länder verlagert werden, ist ein Ungleichgewicht zwi- sen rund 130 000 Euro und in den außereuropäischen schen dem Niveau an realwirtschaftlicher Aktivität Steueroasen 73 000 Euro. Diese Zahlen zeigen, dass es und der Höhe der in diesen Ländern ausgewiesenen ein deutliches Ungleichgewicht zwischen der globalen Gewinne. Abbildung 1 zeigt, dass ein solches Ungleich- Verteilung der Gewinne großer deutscher MNU auf der gewicht in der Tat auch bei den hier betrachteten einen Seite und der Verteilung der Produktionsfakto- deutschen MNU existiert. Die Abbildung vergleicht ren Arbeit und Kapital auf der anderen Seite gibt. In die Ausprägungen von zwei häufig verwendeten Pro- der Tendenz sind dort, wo relativ wenige Mitarbei- fitabilitätsindikatoren – Kapitalrentabilität (Verhält- ter*innen sitzen und die Kapitalausstattung gering nis aus Gewinnen und dem Wert des Sachanlage- ist, die Gewinne überproportional hoch. Ein Blick auf vermögens)2 und Gewinne pro Beschäftigtem – für die durchschnittliche Gewinnsteuerbelastung lässt drei Ländergruppen: Steueroasen innerhalb Europas vermuten, dass dieses Ungleichgewicht eine Folge von (u.a. Irland, Liechtenstein, Luxemburg, Malta, Zypern), Steuergestaltungen ist. So ist die durchschnittliche Steueroasen außerhalb Europas (u.a. Bermudas, Briti- Gewinnsteuerbelastung in Steueroasen mit 10% bis sche Jungferninseln, Kaiman-Inseln) sowie Länder, die 11% gerade einmal halb so hoch wie in Ländern, die nicht als Steueroasen gelten (inklusive Deutschland).3 nicht zu den Steueroasen zählen. Zusätzlich zeigt die Abbildung die durchschnittliche Aber wie hoch sind die Gewinne, die die größten effektive Gewinnsteuerbelastung in den drei Länder- deutschen MNU insgesamt in Steueroasen ausweisen? gruppen, definiert als Summe der in den jeweiligen In Anbetracht der beträchtlichen Profitabilitätsunter- Ländergruppen geleisteten Steuerzahlungen geteilt schiede sind es überraschend wenig, wie Abbildung 2 durch die Summe der dort berichteten Gewinne. zeigt. In den Jahren 2016 und 2017 zusammengenom- Die Abbildung verdeutlicht, dass die in Steueroa- men erzielten die in Steueroasen ansässigen Tochter- sen ansässigen Tochtergesellschaften großer deut- gesellschaften der 333 größten deutschen MNU etwa scher MNU wesentlich profitabler sind als Tochter- 47 Mrd. Euro an Gewinnen; das sind gerade einmal gesellschaften, die nicht in Steueroasen sitzen. Die rund 9% der globalen Gewinne dieser Unternehmen Kapitalrentabilität ist in europäischen Steueroasen insgesamt. Von diesen 47 Mrd. Euro entfallen etwa 1 Für eine Diskussion unterschiedlicher Methoden zur empirischen 41 Mrd. Euro auf Steueroasen innerhalb Europas und Analyse der steuerlichen Gewinnverlagerung siehe Dharmapala nur 6 Mrd. Euro auf Steueroasen außerhalb Europas. (2014). 2 Üblicherweise wird bei der Berechnung der Kapitalrentabilität auch der Wert immaterieller Vermögenswerte miteinbezogen. Die WELCHER ANTEIL DER GEWINNE IST AUS länderbezogenen Berichte enthalten jedoch lediglich Informationen zum Sachanlagevermögen. STEUERLICHEN GRÜNDEN VERLAGERT? 3 Für die Berechnung der Indikatoren wurden die in den Länder- gruppen ausgewiesenen Gewinne aller MNU aufaddiert und an- schließend durch die Summe der Beschäftigten bzw. den Wert des Nicht alle Gewinne, die in Steueroasen ansässige Toch- Sachanlagevermögens geteilt. Bei der Definition von Steueroasen tergesellschaften deutscher MNU erzielen, werden orientieren wir uns eng an aktuellen akademischen Veröffentlichun- gen sowie einer Publikation des Internationalen Währungsfonds. Für dorthin zum Zweck der Reduzierung der Gewinnsteu- Details siehe Fuest et al. (2021). erbelastung verlagert. Steueroasen können ebenso ifo Schnelldienst 1 / 2021 74. Jahrgang 20. Januar 2021 39
FORSCHUNGSERGEBNISSE Abb. 2 (vgl. Tab. 1). Bei den außereuropäischen Steueroa- Globale Verteilung der Gewinneᵃ großer deutscher MNU sen beträgt das Verhältnis aus verlagerten Gewinnen 1% Nicht-Oasen zu den berichteten Gewinnen etwa 29%. Umgekehrt Europäische Steueroasen lassen sich rund 60% der Gewinne, die die größten 8% Außereuropäische Steueroasen deutschen MNU in europäischen Steueroasen berich- ten, auf realwirtschaftliche Aktivitäten zurückführen. Bei den außereuropäischen Steueroasen beträgt die- ser Anteil 71%. Insgesamt betrachtet sind unseren Schätzungen zufolge damit etwa 18 Mrd. Euro von den insgesamt 47 Mrd. Euro, die die in Steueroasen ansässigen Tochtergesellschaften der größten deut- 91% schen MNU 2016 und 2017 berichtet haben, das Re- sultat von Gewinnverlagerung. Das entspricht einem ᵃ Die Angaben beziehen sich auf die Jahre 2016 und 2017. Informationsquelle sind die länderbezogenen Anteil von etwa 38%. Berichte der 333 größten deutschen multinationalen Kapitalgesellschaften. Quelle: Berechnungen des ifo Instituts. © ifo Institut Nicht alle Gewinne, die in Steueroasen verlagert werden, würden ohne Steuervermeidung in Deutsch- gut Produktions- und Absatzort für große deutsche land ausgewiesen werden. Um zu bestimmen, wie viel MNU sein, so dass sich ein Teil der dort erzielten Ge- von den 18 Mrd. Euro an verlagerten Gewinnen aus winne auf realwirtschaftliche Aktivitäten zurückführen Deutschland abfließt und wie viel davon aus ande- lässt. Das gilt insbesondere für größere Länder wie ren Ländern, nehmen wir an, dass in einer Welt ohne Irland und die Schweiz, die hier auch als Steueroa- Steuervermeidung die verschobenen Gewinne auf sen klassifiziert sind. In der Literatur zur internatio- Deutschland und andere Länder entsprechend der nalen Gewinnverlagerung ist es üblich, den gesamten Verteilung des Sachanlagevermögens aufgeteilt wer- in einem Sitzland ausgewiesenen Gewinn eines MNU den würden. Unter dieser Annahme kommen wir zu in zwei Komponenten zu zerlegen: Den sogenannten dem Ergebnis, dass 11 Mrd. Euro von den insgesamt »realen« Gewinn, der sich auf realwirtschaftliche Ak- 18 Mrd. Euro, die zu Steueroasen hin verlagert wer- tivitäten zurückführen lässt, und den »verlagerten« den, aus Deutschland abfließen. Das bedeutet, dass Gewinn, der als Resultat von Steuergestaltungsprakti- die von den größten deutschen MNU in Deutschland ken interpretiert wird (Dharmapala 2014, S. 424 f.). Der berichteten Gewinne etwa 4% höher wären, würden reale Gewinn wird dabei in der Regel auf Grundlage diese Unternehmen keine Gewinne in Steueroasen eines Regressionsmodells ermittelt. Die wichtigsten verschieben. erklärenden Variablen in diesen Regressionsmodel- len sind der Wert des in den Sitzländern eingesetzten WIE VIELE STEUEREINNAHMEN VERLIERT DER Kapitals, die Anzahl der dort beschäftigten Mitarbei- DEUTSCHE STAAT? ter*innen sowie Indikatoren, die die Bedeutung des Sitzlandes als Absatzmarkt widerspiegeln. Der verla- Multipliziert man die rund 11 Mrd. Euro an Gewinnen, gerte Gewinn entspricht dann einfach der Differenz die von großen deutschen MNU aus Deutschland her- aus dem tatsächlichen in einem Land ausgewiesenen aus in Steueroasen verlagert werden, mit dem tarifli- Gewinn und dem auf Basis des Regressionsmodells chen Gewinnsteuersatz von 30%4, so erhält man einen geschätzten realen Gewinn. geschätzten Steueraufkommensverlust in Höhe von Folgen wir diesem Ansatz, so kommen wir zu dem 3,2 Mrd. Euro für 2016 und 2017 zusammengenom- Ergebnis, dass etwa 40% der von großen deutschen 4 Der hier verwendete Steuersatz setzt sich aus dem Körperschaft- MNU in den europäischen Steueroasen ausgewiesenen steuersatz plus Solidaritätszuschlag plus dem durchschnittlichen Gewinne das Resultat von Gewinnverlagerungen sind Gewerbesteuerhebesatz zusammen. Tab. 1 Die globale Verteilung der ausgewiesenen und verlagerten Gewinne großer deutscher MNU (Summe der Jahre 2016 und 2017) Ausgewiesene Gewinne Verlagerte Gewinne Verlagerte Gewinne/ (Mrd. Euro) (Mrd. Euro) Ausgewiesene Gewinne Deutschland 247,6 − 10,7 − 4,3% Andere Nicht-Steueroasen 250,4 − 7,6 − 3,0% Europäische Steueroasen 41,4 + 16,6 + 40,1% Außereuropäische Steueroasen 5,9 + 1,7 + 28,8% Summe 545,3 0 − Anmerkungen: Die erste Spalte zeigt die in den länderbezogenen Berichten ausgewiesenen Vorsteuergewinne. Die zweite Spalte zeigt die geschätzte Höhe der verlager- ten Gewinne (positiv: Ländergruppe gewinnt an Bemessungsgrundlage durch Gewinnverlagerung; negativ: Ländergruppe verliert an Bemessungsgrundlage durch Gewinnverlagerung). Quelle: Berechnungen des ifo Instituts. 40 ifo Schnelldienst 1 / 2021 74. Jahrgang 20. Januar 2021
FORSCHUNGSERGEBNISSE Tab. 2 Steueraufkommensverlust durch Gewinnverschiebung 2016 und 2017 In Deutschland ausgewiesene Verschobene Gewinne Steueraufkommensverlust Gewinne (Mrd. Euro) (Mrd. Euro) Große deutsche MNU 247,6 − 10,7 − 3,2 Kleinere deutsche MNU 406,9 − 17,4 − 5,2 Ausländische MNU 233,9 − 10,1 − 3,0 Summe 1044,4 − 38,2 − 11,4 Anmerkungen: Die erste Spalte zeigt die Vorsteuergewinne der drei Unternehmenstypen. Informationsquelle für die Gewinne der großen deutschen MNU sind die länderbezogenen Berichte, Informationsquelle für die anderen beiden Unternehmenstypen sind die Sektorkonten des Statistischen Bundesamts. Die zweite Spalte zeigt die verschobenen Gewinne aus Tabelle 1. Quelle: Berechnungen des ifo Instituts. men bzw. 1,6 Mrd. Euro pro Jahr. In dieser Schätzung et al. (2018) die eigentlich relevante Größe, nämlich unberücksichtigt ist jedoch der Aufkommensverlust, die Vorsteuergewinne multinationaler Unternehmen in der dadurch entsteht, dass auch jene deutschen MNU, den Sitzländern, weshalb diese unter einer Reihe von die keine länderbezogenen Berichte ausfüllen müssen, Annahmen von den Autoren geschätzt werden müs- weil sie unterhalb der Umsatzschwelle von 750 Mio. sen. Die abweichenden Ergebnisse könnten durch die Euro liegen, sowie die in Deutschland ansässigen unterschiedlichen Datengrundlagen zustande kommen Tochtergesellschaften ausländischer MNU Gewinne oder auch Unterschiede im Hinblick auf die Annah- aus Deutschland heraus in Steueroasen verlagern. men reflektieren, die bei den Schätzungen getroffen Um den Aufkommensverlust insgesamt abzuschät- wurden. zen, nehmen wir an, dass kleinere deutsche sowie ausländische MNU einen ebenso großen Anteil ihrer FAZIT Gewinne aus Deutschland heraus verlagern, wie es die größten deutschen MNU tun.5 Unter dieser Annahme Wie hoch sind die Gewinne, die multinationale Un- kommen wir zu dem Ergebnis, dass der gesamte Ver- ternehmen aus Deutschland heraus in Steueroasen lust an Bemessungsgrundlage durch Gewinnverlage- verschieben? Wie hoch ist der Verlust an Steuerauf- rung hin zu Steueroasen 2016 und 2017 zusammenge- kommen, den der deutsche Staat dadurch erleidet? nommen bei 38,2 Mrd. Euro lag (also etwa 19,1 Mrd. Obwohl diese Fragen seit geraumer Zeit auf ein gro- Euro pro Jahr). Für den deutschen Staat bedeutet dies ßes öffentliches Interesse stoßen, konnten sie bislang über die beiden Jahre hinweg einen Verlust an Steu- nicht überzeugend beantwortet werden, weil die Da- eraufkommen in Höhe von 11,4 Mrd. Euro bzw. einen tengrundlagen fehlten. Neu verfügbare Daten aus den durchschnittlichen jährlichen Aufkommensverlust in länderbezogenen Berichten, die deutsche multinati- Höhe von 5,7 Mrd. Euro. onale Unternehmen mit einem globalen Umsatz von Vor zwei Jahren haben Tørsløv et al. (2018) einen mindestens 750 Mio. Euro seit 2016 ausfüllen müssen, Aufsatz veröffentlicht, der sowohl in der Fachwelt als haben es jetzt ermöglicht, zur Klärung dieser Frage auch in den Medien große Aufmerksamkeit erhalten beizutragen. hat. In diesem Aufsatz schätzen die Autoren das Aus- Unsere Auswertungen zeigen, dass die in Steu- maß an Gewinnverlagerung hin zu Steueroasen sowie eroasen ansässigen Tochtergesellschaften der die dadurch entstehenden Steueraufkommensverluste 333 größten deutschen multinationalen Kapital- sowohl im globalen Maßstab als auch für einzelne gesellschaften deutlich profitabler sind als die Töch- Länder separat. Für Deutschland kommen die Autoren ter, die ihren Sitz nicht in einer Steueroase haben. zu dem Ergebnis, dass multinationale Unternehmen Gleichzeitig ist die Gewinnsteuerbelastung in Steu- jährlich Gewinne im Umfang von etwa 50 Mrd. Euro eroasen nur etwa halb so hoch wie in Ländern, die (55 Mrd. US-Dollar) aus Deutschland heraus hin zu nicht als Steueroasen gelten. Dies spricht dafür, dass Steueroasen verlagern. Nach unseren Schätzungen deutsche multinationale Unternehmen Steueroasen ist das Ausmaß an Gewinnverlagerung mit 19 Mrd. dazu nutzen, um ihre Steuerlast zu reduzieren. Euro pro Jahr jedoch nicht einmal halb so groß. Ein Insgesamt jedoch entfallen auf die in Steueroasen wesentlicher Unterschied zwischen dem Ansatz von ansässigen Tochtergesellschaften nur etwa 9% der Tørsløv et al. (2018) und unserem besteht darin, dass globalen Gewinne der größten deutschen multinati- Tørsløv et al. (2018) für ihre Schätzungen Makroda- onalen Unternehmen. Darüber hinaus lässt sich ein ten nutzen, die nur bedingt Aufschluss über die re- Teil dieser Gewinne durchaus auf realwirtschaftliche alwirtschaftlichen Aktivitäten multinationaler Unter- Aktivitäten zurückführen. Unseren Schätzungen zu- nehmen in den Sitzländern geben. Auch fehlt Tørsløv folge sind etwa 38% der in Steueroasen ausgewiese- nen Gewinne großer deutscher multinationaler Unter- 5 Steuervermeidung durch internationale Gewinnverlagerung ist nehmen das Resultat von steuermotivierter Gewinn- bei kleineren Unternehmen in der Regel geringer ausgeprägt, inso- fern überzeichnen wir in diesem Punkt tendenziell die Gewinnverla- verlagerung. Im Umkehrschluss lassen sich 62% der gerung vermutlich. Gewinne, den die größten deutschen multinationalen ifo Schnelldienst 1 / 2021 74. Jahrgang 20. Januar 2021 41
FORSCHUNGSERGEBNISSE Unternehmen in Steueroasen ausweisen, auf realwirt- LITERATUR schaftliche Aktivitäten zurückführen. Dharmapala, D. (2014), »What Do We Know about Base Erosion and Auf der Grundlage dieser Zahlen kommen wir zu Profit Shifting? A Review of the Empirical Literature«, Fiscal Studies 35(4), 421–448. dem Schluss, dass dem deutschen Staat pro Jahr etwa Fuest, C., F. Hugger und F. Neumeier (2021), »Corporate Profit Shifting 1,6 Mrd. Euro an Steuereinnahmen dadurch verloren- and the Role of Tax Havens: Evidence from German Country-by-Country gehen, dass große deutsche multinationale Unter- Reporting Data«, CESifo Working Paper, im Erscheinen. nehmen einen Teil ihrer Gewinne aus Deutschland OECD (2018), »Multinational Enterprises in the Global Economy«, OECD Note, verfügbar unter: https://www.oecd.org/industry/ind/MNEs-in-the- heraus in Steueroasen verschieben. Berücksichtigt global-economy-policy-note.pdfhttps://www.oecd.org/industry/ind/ man in diesen Schätzungen auch kleinere deutsche MNEs-in-the-global-economy-policy-note.pdf, aufgerufen am 11. Dezem- ber 2020. multinationale Unternehmen sowie die in Deutschland Tørsløv, T. R., L. S. Wier und G. Zucman (2018), »The Missing Profits ansässigen Tochtergesellschaften ausländischer multi- of Nations«, National Bureau of Economic Research Working Paper nationaler Unternehmen, so ergibt sich ein Steuerauf- No. 24701. kommensverlust von insgesamt 5,7 Mrd. Euro jährlich. 42 ifo Schnelldienst 1 / 2021 74. Jahrgang 20. Januar 2021
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