Große und kleine Übel - Parteistrategien vor der Bundestagswahl 2017 Ralf Tils/Joachim Raschke (Agentur für politische Strategie) - Agentur ...
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218 | Sonderschwerpunkt: Politische Strategie Große und kleine Übel Parteistrategien vor der Bundestagswahl 2017 Ralf Tils/Joachim Raschke (Agentur für politische Strategie) Der Zustrom von Flüchtlingen nach Deutsch- bislang gar nicht sichtbar geworden sind, las- land und die Auseinandersetzung um die sen sich dennoch schon einige Absichten und Frage, wie die Politik damit umgehen soll, hat Tendenzen der Themenpriorisierung bei den das deutsche Parteiensystem durchgeschüttelt Parteien erkennen. und „irritiert“. Die Flüchtlingsfrage war der Um diese analytisch einzufangen, bedarf Katalysator für den Aufstieg der AfD und es eines gröberen Sortierungsrasters, mit dem ihren (zumindest) vorübergehenden Höhen- größere Themenfelder und -zusammenhänge flug bei Wahlen, sie ist der Zündstoff für abgebildet werden können. Ein dafür geeig- die ungewöhnlich heftigen, ins persönliche netes und eingeführtes Sortierungsinstrument gehenden Auseinandersetzungen zwischen den ist das politische Koordinatensystem, das eine Schwesterparteien CDU und CSU (mit Horst werteorientierte ideologische Landkarte des Seehofer als treibender Kraft) und sie rückt deutschen Parteiensystems darstellt. Es zeigt, in eine Machtperspektive der Sozialdemokraten welchen Bereichen des politisch-ideologischen auf Bundesebene noch weiter in illusionäre Großterrains sich die Parteien in ihren Konkur- Ferne. Ob die Flüchtlingspolitik das gewach- renzbeziehungen bewegen. Das aktuelle poli- sene Parteiensystem dauerhaft verändert oder tische Koordinatensystem ist zweidimensional lediglich eine vorübergehende Erschütterung und definiert sich über zwei unterschiedliche auslöste, bleibt die offene Frage. Die Antwort Achsen. Es besteht aus einer materiellen Ach- darauf hängt vor allem von den Parteien selbst se, die vom linken Pol sozialer Gerechtigkeit/ ab – und davon, inwieweit die Wählerinnen Solidarität bis zum rechten Pol Markt/Leistung und Wähler deren unterschiedlichen Strategien reicht (dementsprechend denken wir diese folgen. Achse auch in Links-Rechts-Kategorien). So- Mit Blick auf die Bundestagswahl 2017 zialpolitisch steht etwa die Linkspartei weit besteht die Herausforderung für die Parteien links, etwas rechts davon Grüne und SPD, in darin, die richtigen strategischen Ansatzpunkte der Mitte die Union und am marktliberalen zu finden, um in dieser Ausgangskonstellation Pol die FDP. die eigenen Wahlchancen zu erhöhen und Daneben existiert aber auch eine vertikale, sich von der Konkurrenz abzugrenzen. Es kulturelle Achse, an deren jeweiligen Enden sind vor allem drei Felder, in denen sich die sich libertäre und autoritäre Werte gegenüber Strategien der Parteien bewähren müssen: stehen. Dabei machen sich die Vertreter des Themenpriorisierung, Umgang mit der AfD, libertären Pols für Werte wie Mitbestimmung, Machtperspektive. Selbstverwirklichung, Emanzipation oder Schutz von Minderheiten stark, während die Repräsentanten des autoritären Pols auf Tra- 1 | Themenpriorisierung dition, Nationalismus, Abgrenzung gegenüber Auch wenn wir uns noch im Vorwahlkampf- Fremden, Anpassung und Unterordnung po- zeitraum befinden und die dominierenden chen. Ausgelöst durch Wertewandel- und kul- Einzelthemen der Wahlauseinandersetzung turelle Modernisierungsprozesse seit Ende der FORSCHUNGSJOURNAL SOZIALE BEWEGUNGEN 29. Jg. 3 | 2016
Große und kleine Übel | 219 1960er Jahre haben sich die neuen libertären der Konflikteskalation mit der Kanzlerin zu- Werte über soziale Bewegungen und die Partei nehmend in der Sackgasse steckt. Die SPD und der Grünen in den 1980er Jahren immer weiter die Linkspartei, weil ein Teil ihrer potentiellen gesellschaftlich verbreitert, ohne dass sich das Wählerinnen und Wähler eine Abwehrhaltung autoritäre Erbe aufgelöst hätte. gegen Flüchtlinge hegt, der andere Teil aber Parteipolitisch ist die kulturelle Konfliktli- einer Willkommenskultur anhängt. Die FDP, nie jetzt über die AfD neu polarisiert und weil sie nur noch über einen marktradikalen ins Zentrum politischer Auseinandersetzung Kompetenzkern verfügt und das libertäre Erbe gerückt worden. Das Flüchtlingsthema hat früherer Jahre lange begraben hat. zur Wiederbelebung autoritärer Werteorien- Mit der Rentendebatte hat es bereits ange- tierungen beigetragen, die vor allem durch fangen und es wird sich in anderen materiellen das Sprachrohr AfD in die politische Debatte Themenfeldern (Arm-Reich-Schere, Steuerge- eingeführt wurden und (nicht zuletzt bei rechtigkeit, Schuldenbremse, Zukunft des So- Wahlen) großen Anklang fanden. Das brachte zialstaats etc.) fortsetzen: Die meisten Parteien einige andere Parteien in Schwierigkeiten, suchen ihr Heil in der Themenpriorisierung weil sie selbst bzw. ihre Anhängerinnen und zwischen sozialer Gerechtigkeit und Markt – Anhänger in der kulturellen Frage zwischen entweder eher links (SPD, Linkspartei), mittig libertären und autoritären Orientierungen (Union) oder rechts (FDP). So hoffen sie, ihre gespalten sind. Das gilt etwa für die Union, eigene Spaltung in der kulturellen Frage für bei der die CSU sich in der Flüchtlingsfrage die Bundestagswahl überdecken zu können. als Vertreter autoritärer Bezüge positioniert Nur die AfD und die Grünen als natürliche (Begrenzung, Ausgrenzung, Abgrenzung ge- Gegenspieler libertärer und autoritärer Werte genüber den „Fremden“), während die CDU haben Interesse an politischen Konflikten in weiter an Angela Merkels Doppelstrategie des der kulturellen Dimension. Ob ihre Agen- „edlen“ Offenhaltens deutscher Grenzen und da-Building-Macht dafür im Wahljahr 2017 hin- der „schmutzigen“ Toleranz und Unterstützung reichend groß ist, wird sich zeigen. Andernfalls der Schließung von Fluchtwegen nach Europa ist eher eine Entwicklung zu erwarten, bei der festhält. Das betrifft auch die Linkspartei und statt des Flüchtlingsthemas eine „thematische die SPD, die beide darunter leiden, dass ihre Flucht“ in die materielle Politikauseinander- Wählerpotentiale in Teilen autoritären, in Tei- setzung erfolgt. len libertären Werteorientierungen folgen. Nur Grüne und AfD sind an den unterschiedlichen 2 | Umgang mit der AfD Polen der kulturellen Achse (Grüne libertär, AfD autoritär) relativ geschlossen. Die zweite spannende Frage für das Wahljahr Für die Themenpriorisierung des aufzie- 2017 ist, welche unterschiedlichen Strategien henden Bundestagswahlkampfs hat diese die etablierten Parteien gegen die neue Kon- Ausgangskonstellation zur Folge, dass viele der kurrenz der AfD finden, um ihr – anders als bei konkurrierenden Parteien ein großes Interesse den zurückliegenden Landtagswahlen – keine daran haben, die Aufmerksamkeit für die kultu weiteren Wahlerfolge zu ermöglichen. Bislang relle Konfliktlinie wieder zu reduzieren und zur hatte es die AfD leicht. Sie konnte – selbst kaum materiellen Dimension der Politikauseinan- politikfähig – im Kontext der Flüchtlingspolitik dersetzung zurückzukehren, die die Parteien nichts als Wählermobilisierung betreiben, ohne konkurrenz in den zurückliegenden Jahren etwa die soziale Richtungsfrage für sich zu dominiert hat. Die CDU, weil die dauernden klären oder gar Koalitions- bzw. Regierungsfä- Attacken durch die Schwesterpartei CSU ihre higkeit aufbauen zu müssen. Bürgerlicher und eigenen Wahlchancen schmälern und sie nicht sozialer Protest sowie ein antipluralistischer, genau weiß, wie weit sie bis zum autoritären Pol antielitärer und von moralischer Selbstüber- gehen will. Die CSU, weil ihre Endlosschleife höhung getragener Rechtspopulismus stützen FORSCHUNGSJOURNAL SOZIALE BEWEGUNGEN 29. Jg. 3 | 2016
220 | Ralf Tils/Joachim Raschke sie. Das Politikrezept der AfD ist simpel: gemeinsamen Alternative – oder die Fortset- provozieren, relativieren, dementieren, so dass zung des Dauerstreits und ein weitgehend alle, die die ausländerfeindlichen, rassistischen, isoliertes Vorgehen beider Schwesterparteien antietatistischen Signale hören wollen, diese im Wahlkampf. Die unendliche Fortführung erkennen können, aber die Zurechnung offener der CSU-Attacken würde der CDU weiter Rechtsradikalität umstritten bleibt. Im Falle Wählerstimmen, der CSU weiter Glaubwürdig- des Boateng-Nachbar-Zitats von Alexander keit kosten, weil kaum noch begründbar wäre, Gauland funktionierte das billige Politikrezept warum man angesichts solch fundamentaler allerdings nicht, denn beim praktisch heiligen inhaltlicher Differenzen an der gemeinsamen Gesellschaftsobjekt Fußballnationalmannschaft Koalition festhalten will. wirkt es eher gegen als für die AfD. Die an- Auch die SPD wirkt im Moment nicht deren Parteien können es sich dennoch nicht entscheidungsfähig im Umgang mit der AfD. erlauben, lediglich auf eine Selbstentzauberung Bei ihr liegt es nicht an einer agitierenden der AfD im deutschen Parlamentarismus zu Schwesterpartei, sondern an der eigenen setzen. Dieser Prozess kann länger dauern und Wählerschaft. Die ist in ihren Teilsegmen- es hilft aktuell nicht, die eigenen Wahlverluste ten so heterogen, dass die verschiedenen zu minimieren bzw. Koalitionsmöglichkeiten Strategievarianten immer (mindestens) eine zu maximieren. Die Suche nach einem geeig- Zielgruppe verprellen. Will man das klassische neten strategischen Umgang mit der AfD hat sozialdemokratische Milieu und enttäuschte begonnen. Der strategische Möglichkeitsraum SPD-Wählerinnen und Wähler im „sozialdemo- öffnet sich zwischen den Alternativen angrei- kratischen Wartesaal“ ansprechen, müsste man fen, ausweichen oder anpassen. sich der restriktiven und ressentimentgeladenen CDU und CSU streiten über den richtigen AfD-Flüchtlingspolitik in Teilen anpassen (mit Strategieansatz gegenüber der AfD. Das, was ungewissem Wahlerfolg). Will man die progres- unter der Überschrift der Strauß-Doktrin siven Teile der eigenen Anhängerschaft und die „Rechts von der Union darf es keine demokra- Aktiven der Partei zufriedenstellen, bedarf es tisch legitimierte Partei geben“ kontrovers und einer klaren Abgrenzung gegenüber der AfD unversöhnlich zwischen den Schwesterparteien und Angriffen auf ihre inhaltlichen Positionen. debattiert wird, ist nichts anderes als die Frage, Der Solidarpakt von Parteichef Sigmar Gabriel ob man sich an die Positionen der AfD in der mit der Gleichstellung sozialer Bedürfnisse von Flüchtlingsfrage anpassen soll (so die CSU) Deutschen und Flüchtlingen oder die Auffor- oder nicht (so die CDU). Analytisch gesehen ist derung von Olaf Scholz, keine Dämonisierung das keine Frage von links und rechts, sondern der AfD zu betreiben, waren unterschiedlich ein Konflikt zwischen libertären und autoritä- gerichtete, aber in der Konsequenz jeweils ren Werten. Der von den Protagonisten Angela untaugliche Versuche, eine Lösung der Stra- Merkel und Horst Seehofer ausgetragene tegiefrage herbeizuführen. Bislang bleiben die Disput wirkt unauflösbar. Deswegen suchen Sozialdemokraten eine Antwort schuldig, wie die Parteien – soweit sie die gemeinsame Per- ihr Kurs gegenüber der AfD aussehen soll. spektive einer gemeinsamen Wahlplattform Die Linkspartei nimmt den Kampf gegen überhaupt aufrechterhalten wollen – den Weg die AfD auf der Ebene des Sozialprotests an, der Verlagerung auf konsensuale Themen im in dem sie sich sozialpolitisch weiter nach Feld des materiellen Politikdiskurses. links verschiebt. Eine zugespitzte soziale Ob die Union als Ganze gegenüber der Radikalisierung soll die Strategie sein, die AfD eine gemeinsam getragene Strategie die Wählerabwanderung von Linksparteian- findet, ist noch unklar. Zurzeit beharrt Horst hängerinnen und -anhängern zur AfD aufhält Seehofer auf der Anpassungsvariante, bei der und begrenzt. Damit hofft die Linkspartei Angela Merkel ihm nicht folgen will. Bleibt es zugleich, ihre eigene innere Zerrissenheit in dabei, wird Ausweichen zur einzig denkbaren der Frage des Rechtspopulismus (also auf der FORSCHUNGSJOURNAL SOZIALE BEWEGUNGEN 29. Jg. 3 | 2016
Große und kleine Übel | 221 libertär-autoritären Achse des Koordinatensys- Deshalb wird die Strategie des Ausweichens tems) überdecken zu können, die durch die zum beliebtesten Mittel der Wahl. Anpassung von Sahra Wagenknecht an den Begrenzungsdiskurs und das Beharren auf 3 | Machtperspektive der Willkommenskultur bei Dietmar Bartsch bzw. der übrigen Parteiführung offen zutage Der Bundestagswahlkampf 2017 wird kein getreten ist. Ausweichen in der Flüchtlings- Koalitionswahlkampf sein. Die Parteien müs- frage und Zuspitzung in der sozialen Frage sen ihre Kampagnen ohne eindeutige Koaliti- wird so zum vermeintlichen Königsweg der onsaussagen führen. Unklare Mehrheits- und Linkspartei. Machtperspektiven erzwingen diese neue Kons- Die Grünen haben es am leichtesten. Sie tellation. Alle prinzipiell regierungsfähigen und können die AfD voll angreifen, ohne ihre -willigen Parteien bringt das in Schwierigkeiten Anhängerschaft zu spalten. Auch wenn man- – nur die Union nicht. Trotz demoskopischer che grüne Wählerinnen und Wähler in der Verluste behält Angela Merkel ihre strategische Flüchtlingsfrage Sorgen haben: In ihrer Geg- Mehrheitsfähigkeit. Eine realistische Machtper- nerschaft zur AfD sind sie sich sicher. Nicht spektive jenseits der Union ist nicht in Sicht zuletzt aufgrund ihrer Entstehungsgeschichte – mit einer erfolgreichen AfD weniger denn bleiben die Grünen der geborene libertäre je. Insofern können die Christdemokraten Gegenspieler zur AfD am autoritären Pol der trotz eigener Schwäche vom Erstarken der politischen Landkarte. AfD profitieren. Vielleicht sichert die AfD der Die FDP spielt hingegen über Bande. Indem Kanzlerin sogar die Macht. sie Angela Merkels Flüchtlingspolitik scharf Die anstehende Neubesetzung des Staats- attackiert, eröffnet sie autoritär orientierten oberhaupts zeigt exemplarisch einige Probleme bürgerlichen Wählerinnen und Wählern die dieser neuen Konstellation im deutschen Partei- Möglichkeit, ihr statt der AfD die Stimme zu ensystem. Einfach wäre die Wahl der Nachfolge geben, um auf diese Weise ihre Ablehnung von Joachim Gauck nur in drei Fällen: eine Kan- der aktuellen CDU-Flüchtlingspolitik zum didatin/ein Kandidat der Großen Koalition, Ausdruck zu bringen (die CSU lässt sich ja von Schwarz-Grün oder Rot-Rot-Grün. Immer nur in Bayern wählen). Parteichef Christian gibt es jedoch (mindestens) eine Partei, die die Lindner will eine direkte Konfrontation mit der damit verbundenen Koalitionssignale vor der AfD vermeiden, da er ihrer Empörungstaktik, Wahl nicht aussenden möchte. Lediglich die die viel Aufmerksamkeit generiert und den Linkspartei hat bei nur einer Machtoption kein medialen Diskurs prägt, nicht auf den Leim Problem, SPD und Grüne mit dem Angebot gehen möchte. AfD ignorieren, aber dem bür- einer gemeinsamen Kandidatur unter Druck gerlichen Protest gegenüber der Merkel-Politik zu setzen – sie wird damit ins Leere laufen. eine politische Heimat geben, lautet die Devise Die Grünen wollen sich auf die Option eines der Freien Demokraten. Bündnisses mit der Union vor der Wahl nicht Wir sehen: Eine direkte Konfrontation mit festlegen, weil das ihnen bei einem Teil ihrer der AfD ist lediglich für die Grünen attraktiv. Anhängerinnen und Anhänger schadet. Für Fast alle anderen Parteien haben mit Abwan- die Sozialdemokraten und die Union sind derungsbewegungen ihrer Anhängerinnen und Signale für die Fortsetzung des Notbündnisses Anhänger zur AfD zu kämpfen. Der klassische Große Koalition ebenfalls wenig attraktiv. Die Weg, verlorenen Wählerinnen und Wählern Perspektive eines Linksbündnisses schmälert inhaltlich dorthin zu folgen, wohin sie gegan- wiederum die Wahlchancen der SPD. Insofern gen sind, ist aufgrund gespaltener Anhänger- bleibt die Suche nach einer geeigneten Kandi- schaften (SPD, Linkspartei) oder drohenden datin oder einem geeigneten Kandidaten und Glaubwürdigkeitsverlusten (Merkel-CDU) entsprechenden Mehrheiten für den nächsten nur für CSU und FDP eine denkbare Option. Bundespräsidenten ein kniffliges Strategie- FORSCHUNGSJOURNAL SOZIALE BEWEGUNGEN 29. Jg. 3 | 2016
222 | Sonderschwerpunkt: Politische Strategie problem. Zusätzlich erschwert wird sie durch führen auch zum Sieg bei der Bundestagswahl – den Autoritätsverlust der Kanzlerin. In der sofern nicht der objektive Problemdruck, und Bundesversammlung kann Angela Merkel von damit gewissermaßen die Flüchtlinge selbst, ihrer strategischen Mehrheitsfähigkeit nicht über den Gewinner der Wahl entscheiden. profitieren. Auch koalitionspolitisch wird es 2017 um kleine und große Übel gehen. Die lagerzentrier- ten Koalitionen Rot-Grün und Schwarz-Gelb, 4 | Schluss wie wir sie lange gewohnt waren, werden aller Probleme, sagt man, suchen sich ihre Mehr- Voraussicht nach erneut nicht mehrheitsfähig heiten. Das gilt aber nicht, wenn die Probleme sein. Die Große Koalition aber ist aus Sicht der kontrovers definiert und die Parteien in sich regierenden Sozialdemokraten nach zwei Legis- heterogen sind. Beides ist heute sehr ausge- laturperioden inzwischen das größte aller Übel. prägt. Im Feld der Flüchtlingspolitik würden Ob daraus etwas folgt oder die staatstragende am ehesten die Problemdefinitionen von CDU, Partei SPD – trotz ihrer Aversionen – die Gro- SPD und Grünen übereinstimmen (ohne die ße Koalition als wahrscheinlichstes aller Übel CSU) – in einer Koalition können sie aber so doch wieder ermöglichen muss, wird sich wohl nicht zusammen kommen. Deswegen wird die erst in den Wochen nach der Bundestagwahl Bundestagswahl wohl in jeder Hinsicht eine entscheiden. Wahl zwischen kleinen und großen Übeln. PD Dr. Ralf Tils lehrt als Privatdozent Po- Zunächst müssen Parteien sowie Wähle- litikwissenschaft an den Universitäten Bremen rinnen und Wähler 2017 inhaltlich darüber und Lüneburg. Seine Themenschwerpunkte entscheiden, welche der Probleme für sie liegen in den Bereichen Regierungs- und aktuell die kleineren und größeren Übel in Verwaltungsforschung sowie Strategieanalyse. Deutschland sind. Die Erfolgsaussichten der Kontakt: tils@politischestrategie.de Parteien werden – durch zunehmend volatile Wählerschaften begünstigt – sehr stark von der Prof. Dr. Joachim Raschke lehrte als Profes- politischen Agenda und den die öffentlichen sor für Politikwissenschaft an der Universität Diskurse prägenden Frames (Deutungs- und Hamburg. Gemeinsam mit PD Dr. Ralf Tils Interpretationsrahmen) zu den wichtigsten und Prof. Dr. Elmar Wiesendahl betreibt er Themen abhängen. Der Sieg über die Agenda die Agentur für Politische Strategie. und die favorisierten Problemlösungsangebote Kontakt: raschke@politischestrategie.de Super-Wahljahr 2017 Strategische Perspektiven der CDU in Nordrhein-Westfalen und im Bund Armin Laschet 99,1 Prozent – das war der Stimmenanteil, den Rolle. Man ist versucht zu sagen: Es waren Union, SPD und FDP bei der Bundestagswahl einfachere, weil übersichtlichere Zeiten. von 1976 auf sich vereinten. Die Konzentration Erst wenn man sich diese, aus heutiger Sicht des „Bonner“ Drei-Parteiensystems hatte damit unwirklich erscheinende Zahl noch einmal vor seinen Höhepunkt erreicht, andere Parteien Augen führt, wird der immense Wandel der spielten in den 1970er Jahren faktisch keine deutschen Parteienlandschaft ersichtlich. Schon FORSCHUNGSJOURNAL SOZIALE BEWEGUNGEN 29. Jg. 3 | 2016
Inhalt |1 Editorial 98 Philipp Degens ..................................................................................................................................... Anderes Geld – anders Wirtschaften? 4 Das Heft im Überblick Unternehmen und Regiogeld Aktuelle Analyse Teil II: Kritik und Antagonismus: ..................................................................................................................................... Zivilgesellschaft versus Kapitalismus 6 Hubert Wimber 112 Martin Gerth/Gabriele Lingelbach Plädoyer für eine evidenzbasierte Drogen- Konsumboykotte im Spannungsfeld von politik in Deutschland Markt, Zivilgesellschaft und Staat. „Alte“ und Neue Soziale Bewegungen im Ver- Themenschwerpunkt gleich ..................................................................................................................................... Einleitung 121 Dieter Rucht 14 Frank Adloff/Ansgar Klein/Jürgen Kocka Neuere kapitalismuskritische und antikapi- Kapitalismus und Zivilgesellschaft talistische Bewegungen 135 Sebastian Nagel/Stefanie Hiß/ Teil I: Verschränkungen beider Sphären: Bernd Teufel Zivilgesellschaft und Kapitalismus Den Finanzmarkt im Visier. Zivilgesell- schaftliche Impulse für sozialen Wandel 24 Arnd Bauerkämper 143 Colin Crouch Zwischen Sozialstaat und kultureller He- terogenität. Philanthropie und Patronage Neue Formen der Partizipation. Zivilgesell- in deutschen und amerikanischen Städten schaft, Rechtspopulismus und Postdemo- im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert kratie 153 Kai-Uwe Hellmann 37 Susanne-Sophia Spiliotis Business Statesmanship: Zeit- und Ver- Prosumismus und Protest. Eine Polemik antwortungskonzepte der internationalen Privatwirtschaft im 20. Jahrhundert Teil III: Möglichkeitsräume: Ideengeschichte und politische Theorie 48 Michael Prinz 164 Werner Plumpe Genossenschaften, Konsum und Demokra- tie 1850 -2000. Versuch eines Überblicks Debatten über die Gestaltbarkeit des Ka- pitalismus 1900-1933. 60 Susanne Elsen/Heike Walk 181 Christiane Mossin Genossenschaften und Zivilgesellschaft. Historische Dynamiken und zukunftsfähige Vergessene Potenziale assoziativen Lebens. Potenziale einer öko-sozialen Transformation Pluralismus, Funktionalismus und Freiheit in der Vorstellung von G.D.H. Cole und 73 Wolfgang Schroeder H.J. Laski Die Politik der Zähmung des Kapitalismus 190 John Keane im Wandel Mitbestimmung und Beteiligung Gleichheit Revisited. Überlegungen zum Verhältnis von Zivilgesellschaft und Märk- 86 Markus Promberger/Theodosia Marinou- ten di/María Paz Martín Martín 203 Jean-Louis Laville Unter der erschütterten Oberfläche: Sozi- oökonomische Praktiken, Zivilgesellschaft Kritische Theorie und solidarische Ökono- und Resilienz in der europäischen Krise mie. Von den Frankfurter Schulen zu den Epistemologien des Südens FORSCHUNGSJOURNAL SOZIALE BEWEGUNGEN 29. Jg. 3 | 2016
2| Inhalt Sonderschwerpunkt: Literatur ..................................................................................................................................... Politische Strategie ..................................................................................................................................... 252 Dennis Eversberg 218 Ralf Tils/Joachim Raschke Postwachstum und Degrowth – noch Dis- Große und kleine Übel. Parteistrategien kursraum oder schon Bewegung? vor der Bundestagswahl 2017 (D‘Alisa, Giacomo/Demaria, Federico/ Kallis, Giorgos (Hg.) 2016: Degrowth – 222 Armin Laschet Handbuch für eine neue Ära. München: Super-Wahljahr 2017 oekom; Blätter für deutsche und internati- Strategische Perspektiven der CDU in onale Politik (Hg.) 2015: Mehr geht nicht! Nordrhein-Westfalen und im Bund Der Postwachstums-Reader. Berlin: Edition 226 Dietmar Bartsch Blätter. Neue Führung – neue Chance für ein 255 Melanie Müller Linksbündnis? Alternativen zum derzeitigen Wirtschafts- 230 Matthias Jung system Merkels Formel der Macht. Zwischen Adloff, Frank/Heins, Volker 2015: Konvivi- Mitte und Modernisierung alismus. Eine Debatte. Bielefeld: transkript. Fatheuer, Thomas/Fuhr, Lili/Unmüßig, Barbara 2015: Kritik der grünen Ökono- Pulsschlag mie. München: oekom Verlag. ..................................................................................................................................... Latouche, Serge 2015: Es reicht! Abrech- 235 Carolin Philipp nung mit dem Wachstumswahn. Mit einem Von Protest zur Schaffung von Alternativ- Vorwort von Niko Paech. München: oe- strukturen: Solidarische Hausbesetzungen kom Verlag. in Athen 259 Oliver Nachtwey 237 Daniel Häfner/Daniela Schmidtke/Fran- Post-Kapitalismus als neues Ordnungsmo- ziska Scholl dell? Pro Lausitzer Braunkohle vs. Ende Gelän- Mason, Paul 2016: Post-Kapitalismus. de. Eine erneute Annäherung an gesteuerte Grundrisse einer kommenden Ökonomie, Bürgerinitiativen Berlin: Suhrkamp. 241 João Pedro Stédile 261 Kai-Uwe Hellmann Die Putschisten in Brasielen haben gezeigt, Verbraucherorganisationen – wirtschaftsso- was sie im Schilde führen ziologisch beobachtet? 243 Benjamin Bunk Nessel, Sebastian 2016: Verbraucherorga- Kommentar zu „Die Putschisten in Bra- nisationen und Märkte. Eine wirtschafts- sielen haben gezeigt, was sie im Schilde soziologische Untersuchung. Wiesbaden: führen“ Springer VS Verlag. 244 AK Stadt/Raum 263 Anaël Labigne Städte in Bewegung – städtische Bewegun- Unternehmen im öffentlichen Raum – gen? Neuer Arbeitskreis Stadt/Raum am In- Grundlegender Sammelband oder Sam- stitut für Protest- und Bewegungsforschung melsurium? Hüther, Michael/Bergmann, Knut/Enste, 248 Melanie Müller Dominik (Hg.) 2015: Unternehmen im Theater: Ein Ort für Gesellschaftskritik? öffentlichen Raum. Zwischen Markt und Mitverantwortung. Wiesbaden: Springer VS. FORSCHUNGSJOURNAL SOZIALE BEWEGUNGEN 29. Jg. 3 | 2016
Inhalt |3 268 Johannes Emmerich 279 Abstracts ..................................................................................................................................... Licht auf ein Engagement im Schatten Voigtländer, Leiv 2015: Armut und Engage- 290 Impressum ..................................................................................................................................... ment. Zur zivilgesellschaftlichen Partizipati- on von Menschen in prekären Lebenslagen. Bielefeld: transcript. FJSBplus ..................................................................................................................................... 270 Ansgar Klein Unternehmen vor Gericht Alle Artikel der Rubrik FJSBplus sind frei Kaleck, Wolfgang/Saage-Maaß, Miriam zugänglich unter www.forschungsjournal.de 2016: Unternehmen vor Gericht. Globale Kämpfe für Menschenrechte, Berlin: Verlag Positionspapier des Vereins deutscher Archiva- Klaus Wagenbach. rinnen und Archivare e.V. (VdA) 272 Ansgar Klein Zur Zukunft der Archive von Protest-, Freiheits- Ein Beitrag zur modernen Ideengeschichte und Emanzipationsbewegungen des Republikanismus Schulz, Daniel 2015: Die Krise des Repu- Wer von der Demokratie sprechen will, blikanismus, Baden-Baden: Nomos. der darf vom Kapitalismus nicht (mehr) schweigen. 276 Friederike Rohde Bericht über die Tagung „Ziemlich beste Öffentlichkeitsbeteiligung zwischen neo- Feinde. Das spannungsreiche Verhältnis von liberalem „Bargaining“ und deliberativer Demokratie und Kapitalismus“, 23.06.-25.06., Ermächtigung Schader-Forum, Darmstadt. Sophia Alcántara/Nicolas Bach/Rainer Kuhn/Peter Ullrich 2016: Demokratie- theorie und Partizipationspraxis. Analyse und Anwendungspotentiale deliberativer Verfahren. Wiesbaden: Springer. Reihe „Bürgergesellschaft und Demokratie“ FORSCHUNGSJOURNAL SOZIALE BEWEGUNGEN 29. Jg. 3 | 2016
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