Grundschule aktuell - Unterwegs zur kindergerechten Grundschule - Erwin-Schwartz-Grundschulpreis 2019

Die Seite wird erstellt Hortensia Schenk
 
WEITER LESEN
Grundschule aktuell - Unterwegs zur kindergerechten Grundschule - Erwin-Schwartz-Grundschulpreis 2019
www.grundschulverband.de · Februar 2020 · D9607F

     Grundschule aktuell
     S          P           E           Z               I           A          L

                                                            Erwin-Schwartz-
                                                            Grundschulpreis 2019
                                                            Preisträger:
                                                            Horst Bartnitzky

Unterwegs zur kindergerechten Grundschule
Grundschule aktuell - Unterwegs zur kindergerechten Grundschule - Erwin-Schwartz-Grundschulpreis 2019
Editorial

Der Erwin-Schwartz-Grundschulpreis                            zu verhelfen. Und das bleibt die fortwährende Aufgabe des
Am 22. November 2019 hat der Grundschulpädagoge               von ihm begründeten Grundschulverbands.
Dr. h. c. Horst Bartnitzky in Göttingen den Erwin-Schwartz-
Grundschulpreis erhalten.                                     Die Grundschule ist reformbedürftig: heute!
  Der Grundschulverband vergibt diesen Preis in unre-         Heute heißt der Arbeitskreis Grundschule: Grundschul-
gelmäßigen Abständen an Personen, die „besondere Ver-         verband. Vieles hat sich in den gut 35 Jahren grundlegend
dienste um die Grundschule und die Bildung ihrer Kinder“      verändert. Und doch: Zentrale Forderungen von Erwin
erworben haben. Mit dem Grundschulpreis verbindet der         Schwartz sind nach wie vor nicht eingelöst – weil die
Verband auch die Absicht, das pädagogische und bildungs-      Grundschule nach wie vor die vernachlässigte Schulform
politische Vermächtnis seines Gründers wachzuhalten.          im Bildungssystem ist.
                                                                 Erwin Schwartz: „Zur elementaren und allgemeinen
Erwin Schwartz – Initiator und Motor der Grund-               Schulbildung bis zum zehnten Lebensjahr wird in der Bun-
schulreform in Deutschland                                    desrepublik für das einzelne Kind (in der Grundschule) je-
Prof. Dr. h. c. Erwin Schwartz (1916–2003) war der erste      weils nur etwa ein Drittel jener Mittel aufgewendet, welche
Lehrstuhlinhaber für Grundschulpädagogik an einer deut-       dieser Staat jedem Fünfzehn- bis Zwanzigjährigen für sei-
schen Universität. Er gründete 1969 den Grundschulver-        ne weiterführende und selektive Schullaufbahn zur Verfü-
band (damals: „Arbeitskreis Grundschule“). Sein Kernan-       gung stellt.“
liegen war, die Grundschule zu einer wirklichen „Kinder-         Dieses Missverhältnis ist über die Jahrzehnte hinweg na-
schule“ zu entwickeln, die allen Kindern bildungsgerecht      hezu unverändert geblieben. Kinder, die der Zuwendung
wird.                                                         und Unterstützung im Besonderen bedürfen, erhalten da-
                                                              mit viel weniger Unterricht und eine ärmere Ausstattung
1960er-Jahre: Die Grundschule war reformbedürftig             als Jugendliche, die selbstständig lernen können.
Ende der 1960er-Jahre begann Erwin Schwartz den akuten           2003 hat der Grundschulverband seinen Vorschlag zur
Reformbedarf der Grundschule öffentlichkeitswirksam zu        „Standarddiskussion“ veröffentlicht: „Bildungsansprüche
benennen: Die Grundschule als Stiefkind des Schulwesens       von Grundschulkindern – Standards zeitgemäßer Grund-
brauche radikale Veränderungen in den materiellen Vor-        schularbeit“. Mit dem Bundesgrundschulkongress im ver-
aussetzungen und pädagogischen Konzeptionen. Erwin            gangenen Jahr wurde dieses Konzept aktualisiert und zeit-
Schwartz hatte erkannt, dass die 1919 in der Reichsver-       gemäß ergänzt: Mit „Anforderungen für eine zukunftsfähi-
fassung proklamierte Aufgabe, „für alle Kinder des Volkes     gen Grundschule“, „Forderungen an Politik, Pädagogik und
eine gemeinsame Schule“ zu schaffen, faktisch noch immer      Gesellschaft“ (2019) sowie mit „Tragfähigen Grundlagen“
nicht eingelöst war (und ist). Es wurde ihm zur Lebensauf-    für das Lernen der Kinder mit der Formulierung von Zie-
gabe, allen Kindern zu ihrem individuellen Bildungsrecht      len, Bedingungen und Bandbreiten der Entwicklung (2020).

                                                                   Erwin-Schwartz-Grundschulpreis 2019

                                                                   verliehen vom Grundschulverband an

                                                                   Dr. h. c. Horst Bartnitzky

                                                                   für besondere Verdienste um die

                                                                   Grundschule und die Bildung ihrer Kinder

                                                                   Frankfurt am Main, 22. November 2019

                                                                   Maresi Lassek, Vorsitzende

II           GS aktuell SPEZIAL • Februar 2019
Grundschule aktuell - Unterwegs zur kindergerechten Grundschule - Erwin-Schwartz-Grundschulpreis 2019
Laudatio von Maresi Lassek und Ulrich Hecker

Auf dem Weg zur kinder-
gerechten Grundschule
Laudatio zur Verleihung des Erwin-Schwartz-
Grundschulpreises an Dr. h. c. Horst Bartnitzky
„Auf dem Weg zur kindergerechten Grundschule“ – diesen Titel hat Horst
Bartnitzky seinem fulminanten Band über „50 Jahre Grundschulreform – 50
Jahre Grundschulverband“ gegeben. Auf diesem Weg ist er selbst über ein
halbes Jahrhundert mitgegangen, als kritischer Beobachter, kreativer Ideen-
geber und konstruktiver Mitgestalter.

W
            ährend seiner umfang-          bewegung vieles Althergebrachte und
            reichen Arbeit an diesem       Überkommene grundsätzlich in Frage
            Jahrzehnte übergreifenden      stellte und politisch-gesellschaftliche
Buch, in die wir immer wieder Ein-         Mehrheiten und Gewissheiten wank-
blicke erhielten und einbezogen wur-       ten und sich wandelten.
den, kristallisierte sich eine Leitidee    ●● In dieser Zeit (1968–70) erschienen
                                                                                       Maresi Lassek
heraus, die die vielen Jahre seines Wir-   bereits erste Aufsätze von Horst Bart-
                                                                                       Vorsitzende des
kens wie ein roter Faden durchzieht:       nitzky in der viel beachteten Fachzeit-
                                                                                       Grundschulverbandes
„Für die Grundschule und ihre Kin-         schrift „Westermanns Pädagogische
der“. Diese Leitidee beschreibt präg-      Beiträge“. Erwin Schwartz, der Grün-
nant Horst Bartnitzkys Haltung gegen-      der des Arbeitskreises Grundschule,
über den Bedürfnissen und Rech-            war damals Mitherausgeber der re-
ten der Kinder und ist für Vorstand        nommierten Zeitschrift und nahm
und Delegiertenversammlung des             nach Lektüre dieser Beiträge Kontakt
Grundschulverbands überzeugendes           zu Horst Bartnitzky auf.
Argument, ihm den Erwin-Schwarz-           ●● In der „neuen deutschen schule“,
Grundschulpreis „für besondere Ver-        der Zeitschrift der GEW in Nord-
dienste um die Grundschule und ihre        rhein-Westfalen, erschien 1975 ein
Kinder“ zu verleihen.                      Aufsatz über Konfliktspiele, Grund-
                                           tenor schon damals: Kinder stark ma-
Einblicke in den Werdegang:                chen, sie an der Sache und an ihrem
Persönlichkeit, Pädagogik,                 Lernen beteiligen.
                                                                                       Ulrich Hecker
                                           ●● 1971-78 war Horst Bartnitzky stell-
Publikationen                                                                          Stellvertretender Vorsitzender,
                                           vertretender Leiter des Bezirks-
                                                                                       Redakteur „Grundschule aktuell“
Horst Bartnitzky war von 1965–68           seminars für das Lehramt an Grund-
Junglehrer und von 1968–71 Volks-          und Hauptschulen in Duisburg. Das
schullehrer an der Hauptschule. Par-       Seminar war Mitglied im Arbeitskreis       le Pädagoginnen und Pädagogen, für
allel zu seiner Tätigkeit als Lehrer       Grundschule, so lernte der Haupt-          die Schulaufsicht und auch für päd-
arbeitete er als Fachleiter Deutsch für    schullehrer Bartnitzky diese Organi-       agogisch bewusste Verlagsmenschen
das Lehramt an Grund- und Haupt-           sation und ihre Veröffentlichungen         stellten sich die Fragen: Wie kommt
schulen.                                   kennen.                                    die Idee der „neuen Grundschu-
   Diese Zeit, Ende der sechziger,         ●● 1974 erwarb Horst Bartnitzky das        le“ an die Lehrerinnen und Lehrer?
Anfang der siebziger Jahre, war po-        Diplom in Pädagogik mit einer Arbeit       Wie können Eltern für eine innova-
litisch, aber auch pädagogisch eine        über „Konfliktspiele“. Er übernahm         tive Grundschule gewonnen werden?
Umbruchzeit. 1968 war die eigenstän-       zu diesem Themenbereich auch einen         „Die neue Grundschule“ war der Titel
dige Grundschule in Nordrhein-West-        Lehrauftrag an der Universität.            einer Buchreihe im Düsseldorfer Ba-
falen begründet worden, auch dies             Die Grundschule war zu der Zeit         gel-Verlag. Die Herausgeber planten,
Ausdruck einer Zeit des gesellschaft-      pädagogisch und didaktisch im Um-          aus innovativen Arbeiten zum zwei-
lichen Wandels, in der die Studenten-      bruch und im Aufbruch und für vie-         ten Staatsexamen praxisorientierte

                                                                                     GS aktuell SPEZIAL • Februar 2020   1
Grundschule aktuell - Unterwegs zur kindergerechten Grundschule - Erwin-Schwartz-Grundschulpreis 2019
Laudatio von Maresi Lassek und Ulrich Hecker

Bücher für Lehrerinnen und Lehrer         persönlich Mitglied im damaligen          den Kindern durch sein pädagogi-
zu machen.                                Arbeitskreis Grundschule. In dieser       sches und publizistisches Wirken.
                                          Zeit entstand, gemeinsam mit Baldur       Seine „Kinderorientierung“ – woher
Mit Reinhold Christiani, damals           Bertling (damals Baldur Rumpel) die       kommt sie?
Schulrat im Landesinstitut für Schu-      Idee zur „Duisburger Grundschulwo-
le, erarbeitete Horst Bartnitzky eine     che“. Baldur Rumpel bereitete die Ver-    Horst Bartnitzky hatte drei Berufs-
Reihe von Bänden für Eltern unter         anstaltung verantwortlich für die         wünsche: Schauspieler, Lehrer und
dem Reihentitel „Elternabend“, cha-       Fachgruppe Grundschule der GEW            Journalist.
rakteristisch Band 13 der Reihe:          vor, Horst Bartnitzky für den Arbeits-       Als Schauspieler wirkte er aktiv in
„Richtlinien – kurzgefaßt. Eltern         kreis Grundschule. Den beiden gelang      Schüler- und Amateurtheatern und
lesen, was Kinder lernen“. Der Titel      mit ihrer über Stadt- und Landesgren-     bei Kabarettveranstaltungen mit, wozu
war Programm.                             zen hinaus stark beachteten „Grund-       er regelmäßig auch eigene Texte bei-
   Band 14 der Reihe, ebenfalls heraus-   schulwoche“ die eigentliche Start-        steuerte.
gegeben von Horst Bartnitzky und          offensive für die vielen großen              Journalistisch arbeitete er schon früh
Reinhold Christiani, trug den Titel       Grundschultage in den achtziger Jah-      mit eigenen Beiträgen für den Duis-
„Zeugnis ohne Zensuren“. Anliegen         ren und danach, die der Grundschul-       burger „General-Anzeiger“, wo Ge-
war, Lehrerinnen und Lehrern „Hilfen      verband allein oder mit Partnern or-      dichte und Beiträge für das Feuilleton
für die Praxis des Zeugnisschreibens“     ganisierte und durchführte.               erschienen. Hier empfahl ein wohlge-
an die Hand zu geben. Dringend not-       ●● 1981–94 war Horst Bartnitzky           sonnener Redakteur dem Schüler, der
wendig in einer Zeit, in der es vie-      Schulrat, später Schulamtsdirektor in     mit dem Abgang nach Klasse zehn lie-
len Kolleginnen und Kollegen durch-       Düsseldorf, 1994–2005 arbeitete er        bäugelte: „Mach Abitur!“ Und so hielt
aus schwerfiel, den Übergang vom          für die Bezirksregierung Düsseldorf       er es dann auch.
Zensurenschreiben zum „Berichts-          als Regierungsschuldirektor, später als      Als angehender Lehrer entschied
zeugnis“ zu bewältigen: 1976/77 wur-      Leitender Regierungsschuldirektor.        sich Horst Bartnitzky bewusst für die
den die ersten beiden Klassen der                                                   Arbeit in der Volksschule, der späteren
Grundschule in Nordrhein-Westfalen        Pädagogische Impulse                      Hauptschule, dort fand er die Kinder
notenfrei. Das erste notenfreie Schul-    und Überzeugungen                         und Jugendlichen, mit denen er arbei-
jahr in NRW war übrigens gleichzeitig                                               ten wollte. Und auch hier standen das
das erste Schuljahr von Horst Bartnitz-   „kinder-gerecht“                          Schreiben und Lesen, das „Sich-Aus-
kys Sohn Holger.                          Wie ein roter Faden ziehen sich Horst     drücken“ und Theaterspielen und das
●● 1978-81 war Horst Bartnitzky           Bartnitzkys pädagogische Haltung,         geregelte und freundliche Miteinander
Grundschulrektor und nunmehr auch         sein Menschenbild und sein Bild von       im Mittelpunkt seiner Tätigkeit.

    Veröffentlichungen von Horst Bartnitzky:

    Öffnung des Unterrichts

    Ab 1968 Zeitschriftenbeiträge aus     1979: Beiträge aus Schulen                1983: Beiträge aus Schulen zur
    eigenem Unterricht, bis 2019 über     zur Unterrichtsentwicklung,               Unterrichtsentwicklung,
    200 Aufsätze zu aktuellen Themen      hervorgegangen aus der                    hervorgegangen aus dem
    in verschiedenen Fachzeitschriften    Duisburger Grundschulwoche                Mülheimer Grundschultag 1982

2          GS aktuell SPEZIAL • Februar 2020
Grundschule aktuell - Unterwegs zur kindergerechten Grundschule - Erwin-Schwartz-Grundschulpreis 2019
Laudatio von Maresi Lassek und Ulrich Hecker

Im Studium an der Pädagogischen
Hochschule in Kettwig waren der
Schulpädagoge Jakob Muth und das
deutsche Forscherpaar Anne-Marie und
Reinhard Tausch die pädagogischen
Lehrer, die ihn besonders anregten und
sein pädagogisches Menschenbild und
Denken prägten.
   Jakob Muth hatte schon früh eine
streng nach Lehrplan ausgerichte-
te Erziehung kritisiert und dieser den
von ihm so genannten „Pädagogischen
Takt“ gegenübergestellt, eine auf die
Individualität des Kindes eingehen-
de Pädagogik. Muth war darüber hi-
naus Vordenker der Gesamtschule als
der „einen Schule für alle Kinder“ und      Maresi Lassek überreicht die Preisgabe zum Erwin-Schwartz-Grundschulpreis:
Wegbereiter wie Pionier einer integra-      Eine Buchkassette mit einer Auswahl unveröffentlichter Texte von Erwin
tiven und inklusiven Schule.                Schwartz und der Laudatio auf den Preisträger. Die Kassette ist handwerklich
   Anne-Marie und Reinhard Tausch           aufwendig hergestellt und von Dipl. Designer Dr. Helmuth Krieg typografisch
konnten zeigen, dass der Schulunter-        gestaltet worden
richt in den 1960er- und 1970er-Jah-
ren stark von autokratischem Lehrer-        sondern eine eher spärlich beachtete       Ziel, diesen Lehrplan erfahrungs-
verhalten geprägt war. Auf der Grund-       und oft nur zu Legitimationszwecken        bezogen und thematisch zu gestalten.
lage empirischer Studien setzten sie        herangezogene Literaturgattung. Ihr        ●● Anfang der 2000er-Jahre bis 2003
sich dafür ein, die Entwicklung von         Anspruch allerdings ist ein anderer,       übernahm Horst Bartnitzky erneut
Kindern und Jugendlichen partner-           nämlich Unterrichtspraxis zu orien-        den Vorsitz der Lehrplankommission
schaftlich mit Wertschätzung und Em-        tieren, anzuleiten, zu steuern.            Deutsch für die Grundschule in
pathie zu fördern. Die „Reversibilität“        In den siebziger und achtziger Jah-     NRW.
des Lehrerverhaltens, das Prinzip „auf      ren des vergangenen Jahrhunderts
Augenhöhe mit den Schülerinnen und          standen die Richtlinien und Lehrpläne      Von den Daten zum Inhalt
Schülern“, die authentische Haltung         im Bücherschrank eines jeden Lehrer-       Besonders der neue „Lehrplan Spra-
der Pädagogen waren für Horst Bart-         zimmers, meist wenig genutzt. In den       che“ von 1985 (im Lehrermund lange
nitzky inspirierende und nachhaltige        siebziger Jahren fanden sich daneben       Jahre „Neue Deutsch-Richtlinien“
Leitideen.                                  ein oder mehrere oft verstaubte Ord-       genannt, mit der Betonung auf „neu“)
                                            ner, die das enthielten, was den Schu-     wirkte wie ein Paukenschlag.
schreiben, lesen, lernen –                  len aufgetragen war: die Lehrpläne zur        „Sprachliches Handeln muss für die
Lehrplanarbeit                              Grundlage von schuleigenen „Stand-         Kinder einen Sinn haben“, hieß es da,
Von Anfang an und immer wieder              ortplänen“ zu machen. Die wurden           und: „Die Unterrichtspraxis allerdings
geht es Horst Bartnitzky um das Ver-        meist in einer Reihe von Konferen-         muss den Sprachunterricht integra-
hältnis von Kind und Sache und um           zen (oder auch nur von zwei oder drei      tiv anlegen. Insbesondere muss beim
die Rolle, die die Lehrerin dabei spielt.   schreibbereiten Kolleginnen) verfasst,     Lesenlernen der funktionale Bezug
„Wie kann man Kinder“, dies seine           abgeheftet, abgestellt – und häufig nur    zum Umgang mit Texten gewahrt
Frage, „so ‚aufschließen‘, so wecken,       von Lehramtsanwärter/innen im Rah-         bleiben, ebenso wie Schreibenlernen
dass sie sich für die Sache und ihr Ler-    men ihrer Vorführstunden oder Exa-         und Rechtschreiben unter den über-
nen wirklich ‚interessieren‘?“              mensarbeiten genutzt. All das wusste       greifenden Zielsetzungen des schrift-
   Diese Frage war zunächst eine            Horst Bartnitzky. Und doch wollte er       lichen Sprachgebrauchs verstanden
ganz unmittelbar praktische für seine       die Chance nutzen und stieg für etliche    werden müssen. Sprache untersuchen
Unterrichtstätigkeit und für die Schul-     Jahre in die Lehrplanarbeit ein:           schließlich ist grundsätzlich in die an-
entwicklungsprozesse, die er anzu-          ●● 1982–84 war er Vorsitzender der         deren Bereiche eingebettet.“ 1
stoßen versuchte. Diese Frage gehörte       Lehrplankommission Deutsch für die
aber auch zum Basisgepäck bei sei-          Grundschule in Nordrhein-Westfalen,        Kurze, kompakte Lehrplansätze und
ner umfangreichen konzeptionellen           anschließend 1986 Vorsitzender der         ein ganzes praktisch-pädagogisches
Arbeit an Lehrplänen. Wohl wissend,         Lehrplankommission Deutsch für die         Programm. Wirkung, wie gesagt, wie
dass Lehrpläne nicht die Textsorte          Hauptschule und Vorsitzender der           ein Paukenschlag, und zwar in bei-
sind, die sich Lehrerinnen und Lehrer       Lehrplankommission „Muttersprach-          de Richtungen: Die „traditionellen“
zuvörderst auf den Nachttisch legen,        licher Unterricht Klasse 1–6“ mit dem      Deutschlehrer/innen waren aufge-

                                                                                      GS aktuell SPEZIAL • Februar 2020      3
Grundschule aktuell - Unterwegs zur kindergerechten Grundschule - Erwin-Schwartz-Grundschulpreis 2019
Laudatio von Maresi Lassek und Ulrich Hecker

schreckt („Jetzt sollen wir …“, „Das      stufe erarbeitete. Professor Mihm hatte   Grundschuldidaktik“ heraus, ein für
geht doch nicht … “, „Wie sollen wir      er während seines Diplomstudiums          viele Lehrerinnen und Lehrer wich-
denn …“), die reformerisch und päd-       kennengelernt. „drucksachen“ war ein      tiges und orientierendes Handbuch.
agogisch Bewegten und Aktiven fühl-       damals heftig umstrittenes Lehrwerk,      Dieser Band enthielt einen Beitrag von
ten sich bestätigt und ermutigt, konn-    das einem weiten Literaturbegriff ver-    Horst Bartnitzky zum Literaturunter-
ten ihr Handeln begründen und legi-       pflichtet war und auch für ein Lese-      richt, der auf seinen Erfahrungen aus
timieren – oft ganz wichtig in einer      buch damals unübliche, störrische und     einer dritten Klasse beruhte. Hier ent-
unfreundlichen, trägen, beharrenden       antiautoritäre Texte enthielt.            wickelte er die Idee, Taschenbücher
Kollegiums- oder Schulleitungsumwelt!        Diese neue Generation von Lese-        anstelle von Schulbüchern zu ver-
   Deutliche Spuren dieser Lehrplan-      büchern erregte die Gemüter. „Die         wenden und Kinder als „Lesetester“
texte finden sich wieder in den „Bil-     Polemik gegen sie ist oft unfair und      tätig werden zu lassen mit der Frage:
dungsstandards Deutsch für die Pri-       ahnungslos“, schrieb DIE ZEIT im Ja-      „Welche Bücher für unsere Bücherei?“
marstufe“ der Kultusministerkonfe-        nuar 1975: „Landauf, landab schlug die       Über diesen Beitrag kam es zum
renz von 2004 und natürlich auch in       Presse, pro und contra, Alarm mit kan-    Kontakt mit dem Klett-Verlag und zu
den „Tragfähigen Grundlagen“ des          tigen Schlagzeilen: ‚Roter Schmutz auf    einem Projekt, „Lesehefte“ für Kinder
Grundschulverbands von 2003 wie           Schulkinder‘ (Bayernkurier) – ‚Lernt      auf den verschiedenen Lesestufen her-
auch wieder in denen von 2019.            lesen mit Ulrike Meinhof ‘ (Deutsche      auszugeben. Für dieses Projekt arbeite-
   Lehrplantexte, Fachtexte, Diskus-      Zeitung) – ‚Schweinereien im Lese-        te Horst Bartnitzky mehrere Jahre mit
sionsbeiträge, Buchbeiträge und Zeit-     buch‘ (Rheinischer Merkur) – ‚Ver-        einer ganzen Reihe von Grundschul-
schriftenartikel – bei Horst Bartnitzky   lag spricht von unhaltbaren Unter-        lehrerinnen und -lehrern zusammen,
war das immer stimmig und authen-         stellungen‘ (Düsseldorfer Nachrichten)    so wie es auch später immer einer der
tisch. Es findet sich kein Widerspruch    – ‚Das geht alle Eltern an: Lesebuch      prägenden Aspekte seiner Arbeitswei-
zwischen beruflicher Laufbahn und         verdummt ihre Kinder‘ (Stadtanzeiger      se gewesen ist: mit anderen gemein-
pädagogisch-politischer Haltung und       Neuss) – ‚Eltern stimmen für die          sam an einem Projekt und für gemein-
Praxis.                                   drucksachen‘ (Solinger Morgenpost).“      same Ziele arbeiten.
                                             Noch heftiger als heutige Debatten
Die Kinder und die (Lern-) Sachen –       um Rechtschreibung, Handschrift und       Der Grundschulmarkt war seinerzeit
richtungsweisende Publikationen           „Schreiben nach Gehör“.                   von den gängigen Fibeln beherrscht,
1975 gehörte Horst Bartnitzky zu einer                                              Horst Bartnitzkys „Fibelöffner-Ide-
Autorengruppe um Professor Arend          1981 gab Horst Bartnitzky gemeinsam       en“ fanden ihren Ausdruck im Lern-
Mihm, einer Gruppe, die das Lese-         mit Reinhold Christiani das „Hand-        buch „Unsere Fibel“, das 1987 bei
buch „drucksachen“ für die Sekundar-      buch der Grundschulpraxis und             Klett erschien. Als Fachmann für den
                                                                                    Sachunterricht wurde Hans-Dieter
                                                                                    Bunk gewonnen, die beiden gemein-
    Veröffentlichungen von Horst Bartnitzky:                                        same Idee war die Verschränkung von
                                                                                    Sprache und Sache.
    Leistungskultur                                                                    1989 gab es dazu einen Neustart, es
                                                                                    erschien der Lehrwerksverbund „Kun-
                                                                                    terbunt“, den Titel erfanden Bunk und
                                                                                    Bartnitzky bei einem Brainstorming
                                                                                    im Zug der Deutschen Bundesbahn.
                                                                                       „Kunterbunt“ war über 20 Jahre ein
                                                                                    nützliches Medium für einen integra-
                                                                                    tiven Deutschunterricht. Ziel war, die
                                                                                    Teilbereiche des Faches sowie Sprache
                                                                                    und Sache zu verbinden.
                                                                                       Auch die Arbeit am Lehrwerk ent-
                                                                                    sprach Horst Bartnitzkys pädagogi-
                                                                                    schen Ansichten, Ansprüchen und
                                                                                    Absichten:
                                                                                    ●● Statt der Vereinzelung der Kinder in
                                                                                    einem überwiegend individualisierten
    1976: „Zeugnis ohne Zensuren“.          2005 bis 2007: 3 Schuber mit            Unterricht will er die Individualisie-
    1987 bis 1994: unter dem Titel          Materialien zur Pädagogischen           rung im gemeinsamen Lernen.
    „Zeugnisschreiben in der Grund-         Leistungskultur                         ●● Statt vordergründigem Aktionis-

    schule“                                                                         mus, bei dem Kinder nur emsig bei
                                                                                    irgendeiner Beschäftigung sind, setzt

4          GS aktuell SPEZIAL • Februar 2020
Grundschule aktuell - Unterwegs zur kindergerechten Grundschule - Erwin-Schwartz-Grundschulpreis 2019
Laudatio von Maresi Lassek und Ulrich Hecker

er auf anspruchsvolle Handlungsorientierung:
Die Kinder erarbeiten eine Ausstellung, einen       Veröffentlichungen von Horst Bartnitzky:
Vortrag, eine Lesung, eine Experimentier-Rei-
he, ein Werk – und sie sprechen und schreiben       Deutschdidaktik
dazu und darüber.
●● Statt einer vorgeblich „gezielten“ Förderung
mit „Häppchenkost“ (also Rechtschreiben mit
Rechtschreibkarteien, Lesen mit Lesematerial,
Lernmethoden mit Methodentraining) setzte er
auf themengebundenes, integriertes, die Teilbe-
reiche des Faches verbindendes Lernen.
●● Statt thematischer Beliebigkeit geht es ihm
um Kindern bedeutsame, lebensweltnahe und
anspruchsvolle Themen. Drei Kernaufgaben
                                                                                    1986 – 2003: Vorsitzender
stellen sich jedem Unterricht und jeder Arbeit
                                                                                    mehrerer Lehrplan-
am Thema: Lebenswelt erhellen – Lebenswelt
                                                                                    kommissionen in Nord-
erweitern – Lebenswelt mitgestalten.
●● Schließlich: Statt Testeritis und Pseudo-
                                                                                    rhein-Westfalen und Autor
                                                                                    von Lehrplankommentaren
diagnostik die konkrete Entfaltung pädagogi-
scher Leistungskultur: diagnostisches Material
für die Lehrkräfte und für die Kinder, der Ein-
bezug der Kinder in die Leistungsbewertung
durch „Könnensbögen“ und Anregungen für das
eigene Portfolio.
   Hier wird der Zusammenhang zu einem der
großen Projekte Horst Bartnitzkys deutlich,
zum Konzept „Pädagogische Leistungskultur“,
mit dem der Grundschulverband die Wirklich-
keit in vielen Lerngruppen und an vielen Schu-
len verändert und vorangebracht hat.

Unterricht: produktiv und integrativ –
die gängigen Trends hinterfragend
Horst Bartnitzky hatte immer das Ziel, die
konkrete Arbeit an der Grundschule zu beein-        1987: erste Auflage des           2008: Band zum Kompetenz-
flussen und zu verbessern, immer im Hinblick        Longsellers „Sprachunterricht     bezug in der Deutschdidaktik
auf „Kinder und Sachen“ und auf das Prinzip         heute“
„Themen statt Fächer“. Sein Buch „Sprachunter-
richt heute“ ist in diesem Oktober in 19. Auflage
erschienen, pro Auflage wurden – für ein Fach-
buch außergewöhnlich – 3000 Exemplare ver-
kauft, das entspricht einer Gesamtauflage von
bis heute etwa 55.000 Büchern für einen kinder-
gerechten Deutschunterricht.
   Bei den Diskussionen um offenen Unter-
richt blieb Horst Bartnitzky ein ebenso realis-
tischer wie kritischer Beobachter und Mitge-
stalter. „Wege und Irrwege offenen Unterrichts“
war die Überschrift eines Vortrags beim „Mo-
                                                                                                                        © Cornelsen

erser Lehrertag“ 2007. Mit seinen Thesen dort,
insbesondere seiner Kritik an einem unbedach-
ten Arbeitsblatt-Unterricht und sogenannten
„Werkstätten“, bei denen wenig wirklich getan       2011: erster Band zur             2019: 19. aktualisierte Auflage
und kaum etwas tatsächlich bewirkt wird, ern-       Reform der Schriftdidaktik,       von „Sprachunterricht heute“
tete Horst Bartnitzky Unruhe im Publikum, eine      2016 Folgeband
knisternde Atmosphäre an der Grenze zu ein-
zelnen Pfiffen. Aber er blieb dabei: kritisch und

                                                                              GS aktuell SPEZIAL • Februar 2020             5
Grundschule aktuell - Unterwegs zur kindergerechten Grundschule - Erwin-Schwartz-Grundschulpreis 2019
Laudatio von Maresi Lassek und Ulrich Hecker

selbstkritisch, genau hinschauend, an-     Solchermaßen gelingende Ent-             zu transportieren, aber auch die Bedeu-
spruchsvoll – unbequem eben.               wicklungswege haben nichts mit           tung und den Einfluss der Organisation
   2008 mündeten diese Ausführungen        Schmuseschule, nichts mit Schule der     zu unterstreichen. Unverzichtbar auch,
und die Diskussionen darüber in ei-        Beliebigkeit, nichts mit Arbeitsblatt-   um die pädagogischen und bildungs-
nen Beitrag unserer Zeitschrift. 2 „Die    fetischismus oder Wühltisch-Didaktik     politischen Positionen und Praxisvor-
Grundschule ist vermutlich am wei-         zu tun.                                  schläge, die Forderungen und Ziele zu
testen in der Entwicklung neuer Lern-         Sie sind vielmehr für Schulen, Kin-   verbreiten und „publik“ zu machen.
formen, die selbstständiges Lernen be-     der wie Lehrerinnen ein anspruchs-
günstigen und fördern“, heißt es darin,    volles pädagogisches Programm, bei       Für die Grundschule und
und weiter: „Allerdings ist auch unver-    dem Kinder Schlüsselqualifikationen      ihre Kinder: Engagement
kennbar, dass die Wege nicht immer         für Selbstständigkeit wie Lern-          im Grundschulverband
Entwicklungswege sind.“ Der Beitrag        kompetenz und Teamfähigkeit er-
ist, wie so viele von Horst Bartnitzky,    werben. Insbesondere erfahren sie        Für Horst Bartnitzky ist zentral, fach-
auch heute noch aktuell und wichtig.       dabei, dass ihr Lernen in der Institu-   lich fundierte Lerninhalte zu ent-
Wir zitieren:                              tion Schule für sie selbst belangvoll    wickeln und diese in Lernkonzepte
   „Es gibt Irrwege:                       ist. Dies wiederum ist die vermutlich    einzubinden, die das Tun der Kinder
●● wenn die Schule schon zufrieden         wichtigste Erfahrung.“                   in den Mittelpunkt stellen. Dabei ist
ist, dass die Kinder beschäftigt sind,                                              seine Arbeit von der Überzeugung
und dazu Arbeitsblätter und Materia-       Bei diesem großen und vielgestaltigen    getragen, dass das Lernen für die Kin-
lien herabregnen lässt, die von den        Werk kann eine Würdigung wie diese       der sinnhaft und eigenaktiv gestaltet
Kindern abgearbeitet werden müssen.        nur Beispiele benennen für die vielen    sein muss. Weit über die eigene schul-
Aktivismus ist aber keine qualifizie-      Anregungen und Ideen für die Grund-      praktische Tätigkeit als Lehrer und
rende Lernarbeit.                          schule, ihre Kinder und ihre Pädago-     Schulleiter hinaus stellte er in seinen
●● wenn im anderen Extrem die Lehre-       ginnen und Pädagogen, die Horst          Publikationen den Lehrerinnen, Leh-
rinnen und Lehrer sich aus der Ver-        Bartnitzky erarbeitet, kommuniziert      rern und Schulen seine Erkenntnisse
antwortung ziehen. Lehrerseminare          und publiziert hat. Seine inhaltlichen   zur Verfügung. Er sprang nicht auf
sprechen dann gerne von Lerngelegen-       Impulse zur Grundschulpraxis wur-        bestehende Konzepte auf, sondern
heiten statt von Lehrzielen; Fortbildner   den angedeutet. Ich nenne nur Stich-     entwickelte selbst, hinterfragte und
von ‚professionellem Nichtstun‘; Ext-      wörter zu den großen pädagogischen       prüfte aus der Perspektive der Kinder,
rem-Reformer davon, dass Kinder die        und didaktischen Themenkomplexen,        ob deren Bildungsansprüche erfüllt
Verantwortung für ihre Bildung selbst      zu denen Horst Bartnitzky wirksam        werden können. Er beließ es nicht bei
übernehmen sollen. Viele Kinder wer-       und wirkungsvoll beigetragen und         dem anspruchsvollen und kritischen
den dabei alleingelassen und ihnen         angeregt hat:                            Blick auf die pädagogische Arbeit
wird letztlich die Schuld für ‚versäumte                                            der Schule, sondern sah zugleich
Lektionen‘ aufgebürdet. Lehrerinnen        Fachdidaktisch:                          die Herausforderung – wenn nicht
und Lehrer können ihre Ver-                – demokratisches Sprechen                sogar Verpflichtung –, Erkenntnisse
antwortung aber nicht ablegen.             – Lerntexte und Lerngespräche            in die Administration zu tragen und
   Und es gibt Etikettenschwindel:         – Schreibenlernen und Schul-             an den politisch gesetzten Rahmen-
●● wenn das Auslegen und Abarbeiten          schriften                              bedingungen zu arbeiten. Kein ein-
von vorgefertigten Materialien als         – „Grundschrift“ und Schrift-            facher Spagat, denn berufliche Ver-
Werkstatt bezeichnet wird oder wenn          gespräche                              pflichtungen ließen nicht selbstver-
die Wahl der Reihenfolge in der Be-                                                 ständlich Raum für Initiativen oder
arbeitung vorgegebener Aufgaben als        Pädagogisch:                             Forderungen an die Bildungspolitik.
freie Arbeit firmiert. Werkstatt und       – Lernkultur und Schulentwicklung           Dennoch, mit der Vision, dass für
Freie Arbeit sind anspruchsvolle di-       – Kritik an der „Testeritis“ und dem     die Grundschule und ihre Kinder
daktische Konzepte mit Ent-                  vermessenen Versuch, Kinder zu         grundsätzliche Sichtweisen auf Schule,
wicklungsstufen und der steten Pers-         vermessen                              Lernen und Lehren zu prüfen und ge-
pektive von selbstständigem Lernen         – „Grundschule ohne Noten“ und           gebenenfalls zu überdenken sind, bil-
der Kinder. Gelungene innovative             Pädagogische Leistungskultur           dete für ihn immer die Verknüpfung
Entwicklungswege zeichnen sich da-         – grundlegende Bildung, „Standards“      von Praxis, Wissenschaft und politi-
durch aus, dass auf die beiden Leit-         und „Tragfähige Grundlagen“            schem Handeln den Weg, über den
fragen eine positive Antwort gegeben                                                Entwicklungen konzertiert weiterge-
werden kann:                               Für Horst Bartnitzky waren Publi-        bracht werden können. Wenn man so
– Werden die Kinder selbstständiger?       kationen, insbesondere auch die des      will, ein ganzheitlicher Ansatz, den er
– Wird individuelles Arbeiten in die       Grundschulverbandes – die Zeitschrift    nicht nur für die Kinder forderte, son-
    Gemeinsamkeit des Lebens und           und die Buchreihe – stets wichtige       dern auch als Maß an das eigene Wir-
    Lernens eingebunden?                   Medien und Werkzeuge, um Inhalte         ken anlegte.

6          GS aktuell SPEZIAL • Februar 2020
Grundschule aktuell - Unterwegs zur kindergerechten Grundschule - Erwin-Schwartz-Grundschulpreis 2019
Laudatio von Maresi Lassek und Ulrich Hecker

  Veröffentlichungen von Horst Bartnitzky:

  Schulbücher

                                                      1987: Fibel, nachfolgend drei
                                                      weitere Fibeln mit Begleit-
                                                      material bis 2009
  1983 – 1998:                                                                            1990 – 2011: Schulbuch-
  Herausgeber von 50 Leseheften,                                                          Verbund „Kunterbunt“ mit
  Autor mehrerer Hefte                                                                    Deutsch und Sachunterricht
                                                                                          für die Klassen 1 bis 4

   Mit seinem Beitritt zum Grund-         ky ab 1980 als kooptiertes und ab 1983      schule als Ort sozialen Lernens für
schulverband, einem richtungswei-         als gewähltes Vorstandsmitglied in den      Schüler und Lehrer“, eine inhalts-
senden Schritt, wie sich später heraus-   Grundschulverband einbrachte, ver-          reiche Dokumentation, die eine Fül-
stellen sollte, konnte Horst Bartnitzky   stärkt haben, auf alle Fälle hat er kon-    le von Ideen und Anregungen zum
sein Wirkungsspektrum konsequent          sequent wesentliche Elemente, die ihm       Nachmachen und „Selbst-aktiv-wer-
und ertragreich erweitern. Untrenn-       für die Kinder und die Weiterentwick-       den“ enthielt.
bar ist seit 1980 die Geschichte und      lung von Unterricht unabdingbar er-            Damit war der Grundstein für eine
Entwicklung des Grundschulverbands        schienen, insbesondere über seine eh-       unvergleichlich erfolgreiche Veröffent-
mit Horst Bartnitzky verbunden. Es        renamtliche Tätigkeit immer wieder          lichungszeit in der Verantwortung von
genügte zu keiner Zeit seinen Ansprü-     eingebracht.                                Horst Bartnitzky gelegt.
chen, als Experte in Aus- und Fort-
bildung und auf administrativer Ebe-      Für die Grundschule und ihre                Die Entwicklung der Zeitschrift
ne unterwegs zu sein. Über die Ver-       Kinder: Publikationen schaffen              Aus dem damaligen Mitteilungsblatt
bandsarbeit begab er sich in diverse      Öffentlichkeit für kindergerechte           wurde eine hoch anerkannte Grund-
Spannungsfelder, u. a. in das zwischen    Pädagogik und Politik                       schulzeitschrift, die Horst Bartnitzky
bildungspolitischen und administrati-                                                 über 25 Jahre und 125 Hefte bis zum
ven Entscheidungen und seinen eige-       In der Phase der Konzeption und             Jahr 2013 verantwortlich konzipier-
nen Überzeugungen. Auch musste er         Durchführung der „Duisburger                te. Ohne professionelle und zusätz-
sich mit der Abhängigkeit von politi-     Grundschulwochen“ wurde teilneh-            liche Redaktionsarbeit entwickelte er
schen Entscheidern und deren Grenz-       merorientiertes Material entwickelt,        die Zeitschrift vom ehemals gelben
setzungen arrangieren. Trotz des Ein-     das viel Anerkennung fand und den           dünnen Mitteilungsblatt mit 8 Seiten
gebundenseins in diese Strukturen und     Impuls für eine gemeinsame Veröf-           zu einer qualitätsvollen Zeitschrift
der nicht immer durchsetzbaren An-        fentlichung des Arbeitskreises Grund-       mit 40 Seiten. Neben der Lösung
sprüche der Kinder, an denen er sich      schule und des GEW-Landesverbands           gestalterischer Fragen wie Seiten-
konsequent in seiner Arbeit orientier-    Nordrhein-Westfalen gab. Damit war          zahl, Farbgebung und Papierqualität
te, war ihm Loyalität eine Verpflich-     der Kontakt zu Dieter Haarmann, der         gab er dem inhaltlichen Konzept eine
tung, sowohl als Verantwortungsträ-       damals die Publikationen des Arbeits-       signifikante Prägung. Jedes Heft ent-
ger in der Administration als auch als    kreises betreute, hergestellt. Es ent-      hielt ein Schwerpunktthema, bei dem
Vorstandsmitglied im Grundschulver-       stand Band S 37 der Reihe Beiträge zur      jeweils eine politische Einordnung
band.                                     Reform der Grundschule: „Duisburger         gegebenenfalls mit Forderungen for-
   Dieses Bemühen und Ringen mag          Grundschulwoche 1979 – Schulpro-            muliert, der Forschungsstand dar-
das Engagement, das Horst Bartnitz-       bleme gemeinsam lösen. Die Grund-           gestellt und die schulpraktische Rea-

                                                                                     GS aktuell SPEZIAL • Februar 2020     7
Grundschule aktuell - Unterwegs zur kindergerechten Grundschule - Erwin-Schwartz-Grundschulpreis 2019
Laudatio von Maresi Lassek und Ulrich Hecker

lisierung vorgestellt wurde. Wie an         – 119 „Pädagogische Leistungskul-        Netzwerker, für den inhaltliche Viel-
der Verbandsstruktur und am Ver-              tur: Materialien für Klasse 1 und 2“   falt, aber genauso die präzise Diskus-
bandsnamen arbeitete Horst Bartnitz-        – 121 „Pädagogische Leistungskultur:     sion und die Schärfung der Ergebnisse
ky konsequent auch am Titel der Zeit-         Materialien für Klasse 3 und 4“        und Aussagen von Bedeutung waren.
schrift: von Arbeitskreis aktuell – dann    – 124 „Pädagogische Leistungs-           Er scheute zu keiner Zeit kontrover-
Grundschulverband aktuell – schließ-          kultur: Ästhetik, Sport, Englisch,     se Diskussionen mit Mitakteuren und
lich Grundschule aktuell. Horst Bart-         Arbeits- und Sozialverhalten“          ging auch mühsame Wege über Kom-
nitzky war stets mehr als nur Redak-                                                 promisse mit.
teur und Herausgeber, er war Impuls-        ●● Schrift und Schreiben mit der Ent-
und Ideengeber, der sich in vielen          wicklung des Konzepts Grundschrift       Für die Grundschule und ihre
Beiträgen als profunder und produk-         und entsprechenden Materialien in        Kinder: ein Grundgedanke
tiver Autor bewies, geleitet von dem        den Bänden                               prägt das Verbandsgeschehen
Gedanken, den Bildungsansprüchen            – 132 „Grundschrift, damit Kinder
der Kinder gerecht zu werden.                  besser schreiben lernen“              Horst Bartnitzkys inhaltliche Schwer-
                                            – 142 „Grundschrift – Kinder             punkte waren ausgerichtet an der
Die Buchreihe „Beiträge zur                    entwickeln ihre Handschrift“          Überzeugung, dass Grundschule
Reform der Grundschule“                        inklusive der Karteikartensätze für   Lebens- und Lernort zugleich ist und
Ab Band S 37 war Horst Bartnitzky an           den Unterricht                        für die Entwicklung einer kinder-
vielen der nachfolgenden Veröffent-                                                  gerechten Schule Handlungsbedarf
lichungen bis zum Jubiläumsband             ●●Fördern / Integration / Inklusion      besteht. Er engagierte sich besonders
148/149 im Jahr 2019 als Autor, Heraus-     mit den Bänden                           und kontinuierlich in den Themen-
geber und Verantwortlicher für den          – 129 „Allen Kindern gerecht werden“     feldern Schriftspracherwerb, multi-
Vorstand beteiligt. Exemplarisch sollen     – 134 „Individuell fördern –             kulturelle Erziehung, Schulanfang und
hier drei wesentliche inhaltliche Projek-     Kompetenzen stärken. Teil 1“           Anfangsunterricht sowie sechsjährige
te als große Publikationen des Grund-       – 135 „Individuell fördern –             Grundschule. Diese und andere päd-
schulverbands – angeregt, unterstützt         Kompetenzen stärken. Teil 2“           agogische und strukturelle Fragen
und publizistisch begleitet von Horst                                                vertrat er von 1983 bis 2000 im Vor-
Bartnitzky – hervorgehoben werden:          Bei der Arbeit an diesen drei großen     stand und von 2000 bis 2010 als Vor-
                                            Themen, die die pädagogische Ent-        sitzender des Grundschulverbands.
●● Pädagogische Leistungskultur mit         wicklung der Grundschule und des            Horst Bartnitzky war der erste
den Bänden                                  Unterrichts wesentlich beeinflussten     „Nichtprofessor“ in der Vorstands-
– 118 „Leistungen der Kinder wahr-          und weiterentwickeln halfen, bewies      arbeit. Ein Umstand, der zur Folge
   nehmen – würdigen – fördern“             sich Horst Bartnitzky als Team- und      hatte, dass er konsequent und nach-

    Veröffentlichungen von Horst Bartnitzky:

    Kompendien

    1981: Handbuch für die                   2009: Kursbuch Grundschule              2019: Band über die Entwicklungen
    Grundschule                                                                      der Grundschule – die bisherigen
                                                                                     und die weiterhin notwendigen

8          GS aktuell SPEZIAL • Februar 2020
Laudatio von Maresi Lassek und Ulrich Hecker

haltig die Bedeutung der Schulpraxis         Strukturreform bedeutete auch Um-          veränderte Gremienstrukturen und
einbrachte und vertrat. Seine Über-       orientierung bei der Steuerung, die           eine verstärkte Regionalisierung. Bis
zeugung, dass Wissenschaft und            Einführung der Landesgruppen und              heute besteht der Zweck des Verbands
Schulpraxis gemeinsam wirksam wer-        deren Vertretung in der Delegierten-          darin, die pädagogisch begründeten
den müssen und Schul- und Unter-          versammlung. Die Delegiertenver-              Ansprüche der Kinder der Grund-
richtsentwicklung den wechselseitigen     sammlung sollte als Entscheidungs-            schule zu vertreten, die Grundschul-
Prozess zwischen Theorie und Praxis       gremium den wissenschaftlichen Bei-           pädagogik weiterzuentwickeln und die
brauchen, bildete einen wesentlichen      rat, der davor zusammen mit dem Vor-          Stellung der Grundschule im öffentli-
Baustein in der Verbandsentwicklung.      stand die Geschicke des Arbeitskreises        chen Bildungswesen zu verbessern,
So gesehen setzte Horst Bartnitzky in     lenkte, ablösen. Ab 1989 richtete sich        indem die Reform der Grundschule in
der Verbandsarbeit seine Erkenntnis       das Bemühen zusätzlich darauf, die            Theorie und Praxis gefördert wird (vgl.
um, dass in jeden erfolgreichen Lern-     neuen Bundesländer einzubeziehen              Satzung 1991 und Satzung 2016).
prozess Lehrende und Lernende aktiv       und dort Landesgruppen zu etablieren.
einbezogen sein müssen. Was aus sei-         Das Gesicht des Arbeitskreises             Die Entwicklung des Grundschul-
ner Überzeugung für den Unterricht        Grundschule veränderte sich durch             verbands verstärkte dessen öffentli-
galt, war auch in der Verbandsarbeit      die Impulse von Horst Bartnitzky              che Wahrnehmung als Fachverband
zutreffend. Die in den Anfangsjahren      an weiteren Stellen. Für ihn war der          für die Grundschule, erhielt aber aus
des Arbeitskreises Grundschule hohe       Integrationsgedanke ein Motor, der            dem Wissenschaftsbereich nicht nur
Konzentration auf die Hochschullehre      nicht nur für die Schule Geltung hatte,       zustimmende Resonanz. Dies begann
erfuhr durch den Netzwerker Bartnitz-     sondern auch in der Verbandsarbeit            insbesondere in der Phase nach PISA
ky eine prägende Veränderung hin zu       gelten musste. Über den kooperativen          2000, in der von der Kultusminister-
einem Wirkungsgefüge: Schulpraxis,        Ansatz zwischen Wissenschaft und              konferenz Vergleichsuntersuchungen
Wissenschaft und Politik.                 Praxis hinaus bemühte er sich ent-            wie VERA installiert wurden und auf
                                          schieden um die Mitarbeit und Mit-            Widerstand aus dem Grundschulver-
Gleich mit Beginn seiner Vorstands-       verantwortung von Frauen. Eine „Fe-           band stießen. Dabei verstand es Horst
mitarbeit setzte sich Horst Bartnitzky    minisierung“ des Grundschulver-               Bartnitzky, mit großem Sach- und
für eine neue Satzung des Arbeitskrei-    bands wird Horst Bartnitzky von Zeit-         Fachverstand dem Trend zur Test-
ses ein. Er begab sich in einen meh-      genossen zugeschrieben. Das setzte            orientierung über die Köpfe der Päda-
rere Jahre dauernden Prozess, um          sich letztendlich fort, als er den Vorsitz    gogik hinweg gewichtige Erkenntnisse
den damaligen Arbeitskreis zu einem       2010 abgab und eine Frau als Nach-            entgegenzusetzen. Das traf nicht die
Fachverband für die Grundschule, der      folgerin favorisierte und unterstützte.       uneingeschränkte Zustimmung aller
die gesamte Bundesrepublik und alle                                                     Wissenschaftsvertreterinnen, Wissen-
ihre Länder umfassen sollte, zu gestal-   Vom Arbeitskreis Grundschule                  schaftsvertreter und aller politischen
ten und verknüpfte dies zugleich mit      zum Grundschulverband                         Kräfte. Wohlgemerkt, Horst Bartnitz-
der Herausforderung, die demokra-         1991 beschloss die Mitgliederver-             ky sah in der Grundschule immer eine
tischen Strukturen im Arbeitskreis        sammlung die neu erarbeitete Sat-             Leistungsschule, aber in einem ande-
Grundschule weiter zu entwickeln.         zung, mit der sich auch der Name des          ren Verständnis als Leistungstests in
Demokratie und Partizipation sollten      Verbands änderte. Dazu argumentier-           eingegrenzten Kompetenzbereichen
auch im Verbandsgeschehen leitend         te Horst Bartnitzky:                          zu beweisen vorgaben.
sein, das bedeutete Regionalisierung,        „Der Arbeitskreis Grundschule war
Lösung von der Konzentration auf          zum Grundschulverband geworden.               Im Band 148/149 „Auf dem Weg zur
den Frankfurter Raum und Schaffung        Im Laufe der Jahre wurde deutlich,            kindergerechten Grundschule“ ana-
eines neuen Verhältnisses zwischen        dass der Arbeitskreis mehr war als            lysiert Horst Bartnitzky die Entwick-
Zentrale und Regionen. Ab 1988            nur eine Interessengemeinschaft. Es           lung des Verhältnisses von Erzie-
arbeitete er als Leiter einer Struktur-   war ein Verband mit erheblicher Aus-          hungswissenschaft, Praxis und Politik.
kommission an der neuen Satzung.          strahlung in die sich verändernde             Zugleich würdigt er die Mitarbeit von
   Die Jahre von 1986 bis 1989 kön-       Schulpraxis, in die Schulpolitik und in       anerkannten Wissenschaftlerinnen
nen im Rückblick als Übergangszeit        die Wissenschaft hinein. Arbeitskreise        und Wissenschaftlern im Verband. Er
nach der Gründungsphase betrachtet        Grundschule gibt es auch in Lehrer-           resümiert:
werden, eine Zeit, in der die Regiona-    verbänden; der Grundschulverband                 „Bezogen auf die Studierenden, lag
lisierung vorangebracht wurde, Auf-       dagegen ist ein geschützter Titel und         der wohl wesentliche Grund in der
gabenbezogenheit an die Stelle von        signalisiert gesellschaftspolitische Wir-     verbreiteten Unkenntnis des einzigen
Personengebundenheit trat und der         kung.“                                        Fachverbandes für die Grundschule.
Arbeitskreis durch die Ablösung vom          Die neue Satzung sollte folgen-            Verursacht war dies durch die in-
Verlag Westermann und von der Zeit-       de Vorgaben einlösen: die politische          zwischen verbreitete Geringschätzung
schrift „Grundschule“ finanziell un-      Profilierung nach außen, die inner-           des Grundschulverbandes durch viele
abhängig wurde.                           verbandliche Demokratisierung über            Erziehungswissenschaftlerinnen und

                                                                                       GS aktuell SPEZIAL • Februar 2020     9
Laudatio von Maresi Lassek und Ulrich Hecker

-wissenschaftler, ein Nebeneffekt der      band“ und schließlich die Festlegung       „Übersetzer“
stärkeren bildungspolitischen Wahr-        auf „Grundschulverband“.                   nennt in seiner Laudatio Hans Brügel-
nehmung des Verbandes.                                                                mann Horst Bartnitzky und würdigt
   So urteilte z. B. der renommierte       Der Steuermann                             ihn als einen Experten, der mit hoher
Wolfgang Einsiedler (Prof. für Grund-      Horst Bartnitzky hatte „realisti-          fachlicher Kompetenz komplexe
schulpädagogik, Universität Erlangen-      sche“ Utopien, sah Perspektiven und        Zusammenhänge für Nichtspezialisten
Nürnberg) in seiner ‚Geschichte der        ließ, wenn der Weg eingeschlagen           inhaltlich zugänglich macht. Seine
Grundschulpädagogik‘:                      war, weder locker noch verlor er           sprachliche Fähigkeit, komplizierte
   ‚Der Arbeitskreis Grundschule, der      den Kurs aus den Augen. Nach der           Sachverhalte verständlich dazustellen
ursprünglich Forschung fördern woll-       Gründungsphase war er der behut-           und dabei fachlich redlich zu bleiben,
te, wandelte sich zu einem Verband         same Entwickler des Arbeitskreises         sei außerordentlich.
mit Vorrang bei bildungspolitischer        und führte ihn mit pädagogischem
Programmatik und beständigen For-          und politischem Sachverstand zu            Der Mensch
derungen nach Grundschulreformen‘          einem anerkannten Fachverband für          Horst Bartnitzky stellte immer hohe
(Einsiedler 2015, 97). Für die forschen-   Grundschule. Bei Tagungen, in Dis-         Anforderungen an sich selbst und
de Erziehungswissenschaft, so Einsied-     kussionen und verbandsinternen             trägt durchaus einen Drang zur Per-
ler mit Verweis auf andere Wissen-         Veranstaltungen erwies er sich als         fektion in sich. Er schließt sich beste-
schaftler, sei es ‚verhängnisvoll, wenn    geschickter Verhandlungsführer, der        henden Trends nicht einfach an, son-
wissenschaftliche Aktivitäten mit po-      es verstand, das Gespräch und damit        dern zeichnet sich dadurch aus, dass er
litischen Aktivitäten vermengt wer-        Ergebnisse auf das Wesentliche zu          Anliegen grundsätzlich selbst durch-
den. Die Verflechtung einer Disziplin      konzentrieren.                             denkt und dazu Position bezieht. Er ist
mit Politik kann ein autonomes, for-          Weitsicht prägte Horst Bartnitz-        ein politischer Mensch, offen für die
schend-wissenschaftliches Selbstver-       kys erfolgreiche Vorstandsarbeit (er       Meinungen und Positionen anderer.
ständnis eines Faches beeinträchtigen      war von 1980 bis 2010 durchgängig          Prof. Dr. Rudolf Schmitt beschreibt
und es in Misskredit bringen‘ (99)“        im Vorstand) und beruhte u. a. auf der     ihn als hervorragenden Teamarbeiter,
(Bartnitzky 2019, 499).                    wohldurchdachten und sensibel aus-         der loyal agiert, aber seine eigene Mei-
   „Solche Elfenbeinturm-Wissen-           gerichteten Balance zwischen Mach-         nung vertritt, mit einer großen Vorlie-
schaft übersieht“, so Horst Bartnitz-      barem, Zwischenschritten und Zielen,       be für das Schreiben.
ky, „dass schulbezogene Erziehungs-        die er nicht aus den Augen verlor. Er         Konflikterfahren, klar und sachlich
wissenschaft die Praxis als Forschungs-    stand nach innen und nach außen für        orientiert hat Horst Bartnitzky seine
feld und die Bildungspolitik als ein       die Wirkkraft des Verbands.                Leitlinien für die pädagogische Arbeit
Bedingungsfeld auch für die Praxis                                                    in seinen pädagogischen Schriften
hat und dass gerade dieser Wirkzu-         „Brückenbauer“                             und selbstverständlich auch in sei-
sammenhang von Praxis, Politik und         hat Prof. Dr. Hans Brügelmann Horst        ner ehrenamtlichen Arbeit im Grund-
Wissenschaft relevante Schulforschung      Bartnitzky in seiner Laudatio anläss-      schulverband umgesetzt.
ausmacht“ (ebd.).                          lich der Ehrenpromotion am 19. Sep-
                                           tember 2007 in der Universität Siegen      Horst Bartnitzky zeichnet sich durch
Für die Grundschule                        genannt. Brückenbauer deshalb, weil        eine beeindruckende Lebensleistung
und ihre Kinder:                           er zwischen den drei Welten Wissen-        und ein beeindruckendes Lebenswerk
Zur Person Horst Bartnitzky                schaftliche Beiträge, bildungspoliti-      für die Grundschule und ihre Kinder
                                           sche Aktivitäten und Einfluss auf die      aus.
Der Konstrukteur                           Schulpraxis ertragreich und vermit-          Angesichts dessen würdigt ihn der
Horst Bartnitzkys Arbeit war geleitet      telnd unterwegs war und – jeweils          Grundschulverband „für besondere
von Perspektiven, die er konsequent        für sich genommen – in jedem der           Verdienste um die Grundschule und
im Blick behielt, trotz notwendiger        drei Bereiche eine bewundernswerte         ihre Kinder“ und verleiht den Erwin-
Umwege gerade in der Verbandstä-           Lebensleistung vollbrachte.                Schwartz-Grundschulpreis 2019 an
tigkeit. Er behielt die Orientierung          Horst Bartnitzky habe zudem hohe        Dr. Horst Bartnitzky.
auf das große Ganze und ließ sich          Anerkennung verdient für die fach-
nicht durch Hindernisse und Verzö-         lichen Beiträge in Wissenschaft und        Anmerkungen
gerungen entmutigen. Trotz einiger         Politik als Vertreter der Praxis und für   1) Der Kultusminister des Landes NRW:
                                                                                      Richtlinien und Lehrpläne für die Grund-
Hemmnisse arbeitete er von 1986 bis        die entscheidende Mitgestaltung und
                                                                                      schule in Nordrhein-Westfalen: Lehrplan
1994 kontinuierlich an der Struktur-       Prägung der didaktischen Diskussion        Sprache. Köln 1985, 21 f.
reform. Regionalisierung und Demo-         über die Grundschule in Deutschland        2) Horst Bartnitzky: Selbstständigkeit
kratisierung gelangen genau wie die        und das über Jahrzehnte.                   fördern – Irrwege und Innovationen ge-
Namenserweiterung auf „Arbeitskreis                                                   genwärtiger Schulpraxis. In: Grundschule
Grundschule – Der Grundschulver-                                                      aktuell, Heft 102 (2008), 9 ff.

10         GS aktuell SPEZIAL • Februar 2020
Vortrag von Horst Bartnitzky

Inklusive Didaktik –
haben wir längst!
Aber damit haben wir noch keine inklusive Schule

Inklusion braucht inklusive Didaktik. Sie ist für die schulische Inklusion
„konstitutiv“. So das Diktum von Annedore Prengel bei der Benennung
der 12 elementaren Bausteine für die Arbeit an der Inklusiven Grundschule
(Prengel 2013, 47 f.). Muss nun eine Inklusive Didaktik neu entwickelt wer-
den? Nein, sie ist zumindest für die Grundschule längst vorhanden – allge-
mein wie fachbezogen. Seit den 1970er-Jahren haben kindersensible Grund-
schulleute in Praxis und Wissenschaft daran gearbeitet, sie zu entwickeln.
Übrigens in integrativen Schulen zusammen mit Lehrkräften der Sonder-
schulen.

D
          as wiederum ist kein Zufall.                        Differenzierung, Offener Unterricht,
          Denn wenn die Grundschule                           Inklusion (Bartnitzky 2019a).
          sich als eine für alle Kinder                          An dieser Stelle will ich am Beispiel
gemeinsame Schule versteht, dann                              der Deutschdidaktik zeigen, dass in-
bedeutet dies die Teilhabe aller Kin-                         klusive Didaktik auch fachbezogen
der an Unterricht und Schulleben,                             längst vorliegt. Ich beziehe mich auf
mithin:                                                       mein Buch „Sprachunterricht heute“.
●● erfolgreiches Lernen jedes Kindes                          Mit fünf konstitutiven Prinzipien mar-
nach Maßgabe seiner individuellen                             kiere ich darin eine inklusive Deutsch-     Dr. h. c. Horst Bartnitzky bei seinem
Möglichkeiten,                                                didaktik:                                   Vortrag zur Preisverleihung
●● die Mitwirkung jedes Kindes am                             1. Kompetenzentwicklung
Anregungsgehalt des gemeinsamen                               2. Situationsbezug                             Individuelle, eigenaktive Kompe-
Lebens und Lernens.                                           3. Sozialbezug                              tenzentwicklung – diesem Grundsatz
   Liegen diese Prämissen sowohl der                          4. Bedeutsamkeit der Inhalte                gilt das erste Prinzip.
allgemeinen Didaktik als auch den                             5. Sprachbewusstheit
fachbezogenen Didaktiken zugrunde,                                                                        Lerntheoretische Grundierung ist das
dann können sie gar nicht anders als                          Zum 1. Prinzip:                             konstruktivistische Lernverständ-
inklusiv sein.                                                Kompetenzentwicklung                        nis. Angelika Speck-Hamdan fasste es
   Wer die Entwicklung zur allge-                                                                         vor zehn Jahren im Kursbuch Grund-
meinen Inklusions-Didaktik seit den                           Jedes Kind ist auf seiner Stufe kom-        schule so zusammen: „Die Vorstel-
1970er-Jahren verfolgen möchte, kann                          petent. Als aktiver Lerner nutzt und        lungen über das Lernen haben sich
das z. B. mit dem Band „Auf dem Weg                           erweitert es bei entsprechenden Anre-       … in den vergangenen Jahren erheb-
zur kinderorientierten Grundschule“                           gungen und Herausforderungen seine          lich verändert. Wir verstehen heute
tun unter Stichwörtern wie Lernen,                            Kompetenzen.                                Lernen nicht mehr als passiven Pro-

   Inklusive	
  Didaktik -­‐ Beispiel	
  Deutschunterricht

                                             Kompetenzentwicklung

                                             Situationsbezug
                                                                                                                                               „Wir	
  verstehen	
  heute	
  
                                             Sozialbezug
                                                                                                                                               Lernen	
  nicht	
  mehr	
  als	
  
                                             Bedeutsamkeit	
  der	
  Inhalte                                                                   passiven	
  Prozess	
  des	
  
                                                                                                                                               Aufnehmens	
  von	
  
                                             Sprachbewusstheit                                                                                 Informationen	
  …“	
  
                          Horst	
  Bartnitzky	
  22.11.2019                    3                                                                                                    5
                                                                                                           Horst	
  Bartnitzky	
  22.11.2019

                                                                                                         GS aktuell SPEZIAL • Februar 2020                                              11
Vortrag von Horst Bartnitzky

zess des Aufnehmens von Informa-         Unterrichtsent-
tion, sondern als aktiven Prozess der    wicklungen und
                                                                                               „	
  …	
  sondern	
  als	
  aktiven	
  Prozess	
  der	
  
Konstruktion von Erkenntnissen und       zahlreiche wis-                                       Konstruktion	
  von	
  Erkenntnissen	
  
Vorstellungen. Kinder verarbeiten die    senschaftliche                                        und	
  Vorstellungen.
Erfahrungen, die sie mit ihrer Umwelt    Studien belegen                                       Kinder	
  verarbeiten	
  die	
  
machen, auf der Basis ihrer psycho-      seit den 1980er-                                      Erfahrungen,	
  die	
  sie	
  mit	
  ihrer	
  
biologischen Möglichkeiten, auf der      Jahren, dass und                                      Umwelt	
  machen,	
  auf	
  der	
  Basis	
  
Basis ihres vorhandenen Wissens          wie Kinder für                                        ihrer	
  psycho-­‐biologischen	
  
                                                                                               Möglichkeiten,	
  auf	
  der	
  Basis	
  ihres	
  
und auf ihre individuell eigene Art      ihren Weg in                                          vorhandenen	
  Wissens	
  und	
  auf	
  ihre	
  
und Weise“ (Speck-Hamdan 2009,           die Schrift Stra-                                     individuelle	
  eigene	
  Art	
  und	
  Weise.“
175). „Lernen als Selbstaneignung        tegien erwerben                             Horst	
  Bartnitzky	
  22.11.2019
                                                                                                                                                       6

der Welt“ nennt der Grundschulver-       – von logografi-
band dieses Lernverständnis in sei-      schen über alphabetische zu orthogra-    Neugier, Interessen mit. Daran muss
nen Anforderungen an eine zukunfts-      fischen Strategien. In einem schreib-    angeknüpft werden, um sie für ihren
fähige Grundschule (2019, 2). Der        anregenden Unterricht kann Gemal-        Weg in die Schrift aufzuschließen. Der
reformpädagogische Volksmund fasst       tes beschriftet, können Erlebnisse und   eigene Name ist oft das Eingangstor.
es in der Formel: „Kinder sind nicht     persönlich Wichtiges aufgeschrieben      Ein Ich-Blatt gestalten mit Foto, Na-
Objekte der Belehrung, sondern Sub-      werden. Dabei nutzen die Kinder die      men, mit Gemaltem oder auch schon
jekte ihres Lernens.“                    Buchstabenschrift auf der Basis ihrer    Geschriebenem, z. B. zum Lieblingses-
                                         bereits vorhandenen Kompetenzen.         sen. Zu einem Bild einem schriftkun-
Ein klassisches Beispiel für die indi-   Mit didaktisch klugen Unterstützun-      digen Kind oder der Lehrkraft Wörter,
viduelle eigenaktive Kompetenzent-       gen, durch Beispiele anderer Kinder      einen Text diktieren. Ins Klassentage-
wicklung ist der Schriftspracherwerb.    entdecken sie weiterreichende Strate-    buch über ein individuell bedeutsames
Breit streuen zu Schulanfang die Ent-    gien, verarbeiten sie intern und nut-    Ereignis malen, dazu ein Wort oder
wicklungsstände der Kinder. Sie rei-     zen sie: Rein lautbezogene Verschrif-    auch schon mehr schreiben. Schrift
chen von Kindern ohne Vorerfahrun-       tungen werden sukzessive mit ortho-      und Schreiben erhalten eine Funktion
gen mit Schrift bis zu Kindern, die      grafischen Geregeltheiten überformt.     im eigenen Leben.
bereits schreiben und lesen, dazwi-         Kinder mit wenig oder gar keinem
schen alle denkbaren Entwicklungs-       Bezug zur Buchstabenschrift brau-        Der hier vertretene entwicklungsbe-
stadien. Die didaktische Aufgabe ist     chen zunächst und vor allem gute         zogene Kompetenzbegriff steht aller-
es nun, die Kinder mit den Möglich-      Gründe, um sich überhaupt dauerhaft      dings in Widerspruch zur offiziellen
keiten der Schule anzuregen, ihre        auf die Schwierigkeiten bei der Ent-     Bildungspolitik: Hier gilt seit dem
individuell vorhandenen Kompeten-        deckung von Laut-Buchstaben-Bezie-       PISA-Schock 2001 die Output-Steue-
zen wirksam einzusetzen, durch neue      hungen und der zunächst so müh-          rung, fixiert auf die Erträge des schu-
Erfahrungen zu erweitern und gege-       samen Verschriftung einzulassen.         lischen Unterrichts. Dabei spielen die
benenfalls zu modifizieren.              Sie bringen sprachliche Fähigkeiten,     Kompetenzmodelle der internationa-
                                                                                  len und nationalen Tests wie IGLU
                                                                                  und VERA eine auch öffentlich sehr
                                                                                  wahrgenommene Rolle, was wieder-
                                                                                  um auf die Schulbücher, Arbeitshefte,
                                                                                  Übungssoftware und damit auf den
                                                                                  Unterricht einwirkt.
                                                                                     Die Kompetenzmodelle zielen auf
                                                                                  die Überprüfung von kognitiven und
                                                                                  vor allem testfähigen Teilfähigkeiten.
                                                                                  Sie werden in eine vermeintlich allge-
                                                                                  meingültige Hierarchie von fünf Kom-
                                                                                  petenzstufen gebracht, Bei der Lese-
                                                                                  kompetenz stufen sie vom Einzelver-
                                                                                  ständnis von Wörtern bis zum Prüfen
                                                                                  und Bewerten von Inhalt und Spra-
                                                                                  che. Zur Ermittlung der Lesekompe-
                                                                                  tenz wird dazu ein Text verwendet, der
                                                                                  von den Testmachern als altersstufen-
                                                                                  gerecht eingeschätzt wurde (Bartnitzky
                                                                                  2019a, 503 ff.).

12        GS aktuell SPEZIAL • Februar 2020
Sie können auch lesen