Grundschule aktuell - Unterwegs zur kindergerechten Grundschule - Erwin-Schwartz-Grundschulpreis 2019
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www.grundschulverband.de · Februar 2020 · D9607F Grundschule aktuell S P E Z I A L Erwin-Schwartz- Grundschulpreis 2019 Preisträger: Horst Bartnitzky Unterwegs zur kindergerechten Grundschule
Editorial Der Erwin-Schwartz-Grundschulpreis zu verhelfen. Und das bleibt die fortwährende Aufgabe des Am 22. November 2019 hat der Grundschulpädagoge von ihm begründeten Grundschulverbands. Dr. h. c. Horst Bartnitzky in Göttingen den Erwin-Schwartz- Grundschulpreis erhalten. Die Grundschule ist reformbedürftig: heute! Der Grundschulverband vergibt diesen Preis in unre- Heute heißt der Arbeitskreis Grundschule: Grundschul- gelmäßigen Abständen an Personen, die „besondere Ver- verband. Vieles hat sich in den gut 35 Jahren grundlegend dienste um die Grundschule und die Bildung ihrer Kinder“ verändert. Und doch: Zentrale Forderungen von Erwin erworben haben. Mit dem Grundschulpreis verbindet der Schwartz sind nach wie vor nicht eingelöst – weil die Verband auch die Absicht, das pädagogische und bildungs- Grundschule nach wie vor die vernachlässigte Schulform politische Vermächtnis seines Gründers wachzuhalten. im Bildungssystem ist. Erwin Schwartz: „Zur elementaren und allgemeinen Erwin Schwartz – Initiator und Motor der Grund- Schulbildung bis zum zehnten Lebensjahr wird in der Bun- schulreform in Deutschland desrepublik für das einzelne Kind (in der Grundschule) je- Prof. Dr. h. c. Erwin Schwartz (1916–2003) war der erste weils nur etwa ein Drittel jener Mittel aufgewendet, welche Lehrstuhlinhaber für Grundschulpädagogik an einer deut- dieser Staat jedem Fünfzehn- bis Zwanzigjährigen für sei- schen Universität. Er gründete 1969 den Grundschulver- ne weiterführende und selektive Schullaufbahn zur Verfü- band (damals: „Arbeitskreis Grundschule“). Sein Kernan- gung stellt.“ liegen war, die Grundschule zu einer wirklichen „Kinder- Dieses Missverhältnis ist über die Jahrzehnte hinweg na- schule“ zu entwickeln, die allen Kindern bildungsgerecht hezu unverändert geblieben. Kinder, die der Zuwendung wird. und Unterstützung im Besonderen bedürfen, erhalten da- mit viel weniger Unterricht und eine ärmere Ausstattung 1960er-Jahre: Die Grundschule war reformbedürftig als Jugendliche, die selbstständig lernen können. Ende der 1960er-Jahre begann Erwin Schwartz den akuten 2003 hat der Grundschulverband seinen Vorschlag zur Reformbedarf der Grundschule öffentlichkeitswirksam zu „Standarddiskussion“ veröffentlicht: „Bildungsansprüche benennen: Die Grundschule als Stiefkind des Schulwesens von Grundschulkindern – Standards zeitgemäßer Grund- brauche radikale Veränderungen in den materiellen Vor- schularbeit“. Mit dem Bundesgrundschulkongress im ver- aussetzungen und pädagogischen Konzeptionen. Erwin gangenen Jahr wurde dieses Konzept aktualisiert und zeit- Schwartz hatte erkannt, dass die 1919 in der Reichsver- gemäß ergänzt: Mit „Anforderungen für eine zukunftsfähi- fassung proklamierte Aufgabe, „für alle Kinder des Volkes gen Grundschule“, „Forderungen an Politik, Pädagogik und eine gemeinsame Schule“ zu schaffen, faktisch noch immer Gesellschaft“ (2019) sowie mit „Tragfähigen Grundlagen“ nicht eingelöst war (und ist). Es wurde ihm zur Lebensauf- für das Lernen der Kinder mit der Formulierung von Zie- gabe, allen Kindern zu ihrem individuellen Bildungsrecht len, Bedingungen und Bandbreiten der Entwicklung (2020). Erwin-Schwartz-Grundschulpreis 2019 verliehen vom Grundschulverband an Dr. h. c. Horst Bartnitzky für besondere Verdienste um die Grundschule und die Bildung ihrer Kinder Frankfurt am Main, 22. November 2019 Maresi Lassek, Vorsitzende II GS aktuell SPEZIAL • Februar 2019
Laudatio von Maresi Lassek und Ulrich Hecker Auf dem Weg zur kinder- gerechten Grundschule Laudatio zur Verleihung des Erwin-Schwartz- Grundschulpreises an Dr. h. c. Horst Bartnitzky „Auf dem Weg zur kindergerechten Grundschule“ – diesen Titel hat Horst Bartnitzky seinem fulminanten Band über „50 Jahre Grundschulreform – 50 Jahre Grundschulverband“ gegeben. Auf diesem Weg ist er selbst über ein halbes Jahrhundert mitgegangen, als kritischer Beobachter, kreativer Ideen- geber und konstruktiver Mitgestalter. W ährend seiner umfang- bewegung vieles Althergebrachte und reichen Arbeit an diesem Überkommene grundsätzlich in Frage Jahrzehnte übergreifenden stellte und politisch-gesellschaftliche Buch, in die wir immer wieder Ein- Mehrheiten und Gewissheiten wank- blicke erhielten und einbezogen wur- ten und sich wandelten. den, kristallisierte sich eine Leitidee ●● In dieser Zeit (1968–70) erschienen Maresi Lassek heraus, die die vielen Jahre seines Wir- bereits erste Aufsätze von Horst Bart- Vorsitzende des kens wie ein roter Faden durchzieht: nitzky in der viel beachteten Fachzeit- Grundschulverbandes „Für die Grundschule und ihre Kin- schrift „Westermanns Pädagogische der“. Diese Leitidee beschreibt präg- Beiträge“. Erwin Schwartz, der Grün- nant Horst Bartnitzkys Haltung gegen- der des Arbeitskreises Grundschule, über den Bedürfnissen und Rech- war damals Mitherausgeber der re- ten der Kinder und ist für Vorstand nommierten Zeitschrift und nahm und Delegiertenversammlung des nach Lektüre dieser Beiträge Kontakt Grundschulverbands überzeugendes zu Horst Bartnitzky auf. Argument, ihm den Erwin-Schwarz- ●● In der „neuen deutschen schule“, Grundschulpreis „für besondere Ver- der Zeitschrift der GEW in Nord- dienste um die Grundschule und ihre rhein-Westfalen, erschien 1975 ein Kinder“ zu verleihen. Aufsatz über Konfliktspiele, Grund- tenor schon damals: Kinder stark ma- Einblicke in den Werdegang: chen, sie an der Sache und an ihrem Persönlichkeit, Pädagogik, Lernen beteiligen. Ulrich Hecker ●● 1971-78 war Horst Bartnitzky stell- Publikationen Stellvertretender Vorsitzender, vertretender Leiter des Bezirks- Redakteur „Grundschule aktuell“ Horst Bartnitzky war von 1965–68 seminars für das Lehramt an Grund- Junglehrer und von 1968–71 Volks- und Hauptschulen in Duisburg. Das schullehrer an der Hauptschule. Par- Seminar war Mitglied im Arbeitskreis le Pädagoginnen und Pädagogen, für allel zu seiner Tätigkeit als Lehrer Grundschule, so lernte der Haupt- die Schulaufsicht und auch für päd- arbeitete er als Fachleiter Deutsch für schullehrer Bartnitzky diese Organi- agogisch bewusste Verlagsmenschen das Lehramt an Grund- und Haupt- sation und ihre Veröffentlichungen stellten sich die Fragen: Wie kommt schulen. kennen. die Idee der „neuen Grundschu- Diese Zeit, Ende der sechziger, ●● 1974 erwarb Horst Bartnitzky das le“ an die Lehrerinnen und Lehrer? Anfang der siebziger Jahre, war po- Diplom in Pädagogik mit einer Arbeit Wie können Eltern für eine innova- litisch, aber auch pädagogisch eine über „Konfliktspiele“. Er übernahm tive Grundschule gewonnen werden? Umbruchzeit. 1968 war die eigenstän- zu diesem Themenbereich auch einen „Die neue Grundschule“ war der Titel dige Grundschule in Nordrhein-West- Lehrauftrag an der Universität. einer Buchreihe im Düsseldorfer Ba- falen begründet worden, auch dies Die Grundschule war zu der Zeit gel-Verlag. Die Herausgeber planten, Ausdruck einer Zeit des gesellschaft- pädagogisch und didaktisch im Um- aus innovativen Arbeiten zum zwei- lichen Wandels, in der die Studenten- bruch und im Aufbruch und für vie- ten Staatsexamen praxisorientierte GS aktuell SPEZIAL • Februar 2020 1
Laudatio von Maresi Lassek und Ulrich Hecker Bücher für Lehrerinnen und Lehrer persönlich Mitglied im damaligen den Kindern durch sein pädagogi- zu machen. Arbeitskreis Grundschule. In dieser sches und publizistisches Wirken. Zeit entstand, gemeinsam mit Baldur Seine „Kinderorientierung“ – woher Mit Reinhold Christiani, damals Bertling (damals Baldur Rumpel) die kommt sie? Schulrat im Landesinstitut für Schu- Idee zur „Duisburger Grundschulwo- le, erarbeitete Horst Bartnitzky eine che“. Baldur Rumpel bereitete die Ver- Horst Bartnitzky hatte drei Berufs- Reihe von Bänden für Eltern unter anstaltung verantwortlich für die wünsche: Schauspieler, Lehrer und dem Reihentitel „Elternabend“, cha- Fachgruppe Grundschule der GEW Journalist. rakteristisch Band 13 der Reihe: vor, Horst Bartnitzky für den Arbeits- Als Schauspieler wirkte er aktiv in „Richtlinien – kurzgefaßt. Eltern kreis Grundschule. Den beiden gelang Schüler- und Amateurtheatern und lesen, was Kinder lernen“. Der Titel mit ihrer über Stadt- und Landesgren- bei Kabarettveranstaltungen mit, wozu war Programm. zen hinaus stark beachteten „Grund- er regelmäßig auch eigene Texte bei- Band 14 der Reihe, ebenfalls heraus- schulwoche“ die eigentliche Start- steuerte. gegeben von Horst Bartnitzky und offensive für die vielen großen Journalistisch arbeitete er schon früh Reinhold Christiani, trug den Titel Grundschultage in den achtziger Jah- mit eigenen Beiträgen für den Duis- „Zeugnis ohne Zensuren“. Anliegen ren und danach, die der Grundschul- burger „General-Anzeiger“, wo Ge- war, Lehrerinnen und Lehrern „Hilfen verband allein oder mit Partnern or- dichte und Beiträge für das Feuilleton für die Praxis des Zeugnisschreibens“ ganisierte und durchführte. erschienen. Hier empfahl ein wohlge- an die Hand zu geben. Dringend not- ●● 1981–94 war Horst Bartnitzky sonnener Redakteur dem Schüler, der wendig in einer Zeit, in der es vie- Schulrat, später Schulamtsdirektor in mit dem Abgang nach Klasse zehn lie- len Kolleginnen und Kollegen durch- Düsseldorf, 1994–2005 arbeitete er bäugelte: „Mach Abitur!“ Und so hielt aus schwerfiel, den Übergang vom für die Bezirksregierung Düsseldorf er es dann auch. Zensurenschreiben zum „Berichts- als Regierungsschuldirektor, später als Als angehender Lehrer entschied zeugnis“ zu bewältigen: 1976/77 wur- Leitender Regierungsschuldirektor. sich Horst Bartnitzky bewusst für die den die ersten beiden Klassen der Arbeit in der Volksschule, der späteren Grundschule in Nordrhein-Westfalen Pädagogische Impulse Hauptschule, dort fand er die Kinder notenfrei. Das erste notenfreie Schul- und Überzeugungen und Jugendlichen, mit denen er arbei- jahr in NRW war übrigens gleichzeitig ten wollte. Und auch hier standen das das erste Schuljahr von Horst Bartnitz- „kinder-gerecht“ Schreiben und Lesen, das „Sich-Aus- kys Sohn Holger. Wie ein roter Faden ziehen sich Horst drücken“ und Theaterspielen und das ●● 1978-81 war Horst Bartnitzky Bartnitzkys pädagogische Haltung, geregelte und freundliche Miteinander Grundschulrektor und nunmehr auch sein Menschenbild und sein Bild von im Mittelpunkt seiner Tätigkeit. Veröffentlichungen von Horst Bartnitzky: Öffnung des Unterrichts Ab 1968 Zeitschriftenbeiträge aus 1979: Beiträge aus Schulen 1983: Beiträge aus Schulen zur eigenem Unterricht, bis 2019 über zur Unterrichtsentwicklung, Unterrichtsentwicklung, 200 Aufsätze zu aktuellen Themen hervorgegangen aus der hervorgegangen aus dem in verschiedenen Fachzeitschriften Duisburger Grundschulwoche Mülheimer Grundschultag 1982 2 GS aktuell SPEZIAL • Februar 2020
Laudatio von Maresi Lassek und Ulrich Hecker Im Studium an der Pädagogischen Hochschule in Kettwig waren der Schulpädagoge Jakob Muth und das deutsche Forscherpaar Anne-Marie und Reinhard Tausch die pädagogischen Lehrer, die ihn besonders anregten und sein pädagogisches Menschenbild und Denken prägten. Jakob Muth hatte schon früh eine streng nach Lehrplan ausgerichte- te Erziehung kritisiert und dieser den von ihm so genannten „Pädagogischen Takt“ gegenübergestellt, eine auf die Individualität des Kindes eingehen- de Pädagogik. Muth war darüber hi- naus Vordenker der Gesamtschule als der „einen Schule für alle Kinder“ und Maresi Lassek überreicht die Preisgabe zum Erwin-Schwartz-Grundschulpreis: Wegbereiter wie Pionier einer integra- Eine Buchkassette mit einer Auswahl unveröffentlichter Texte von Erwin tiven und inklusiven Schule. Schwartz und der Laudatio auf den Preisträger. Die Kassette ist handwerklich Anne-Marie und Reinhard Tausch aufwendig hergestellt und von Dipl. Designer Dr. Helmuth Krieg typografisch konnten zeigen, dass der Schulunter- gestaltet worden richt in den 1960er- und 1970er-Jah- ren stark von autokratischem Lehrer- sondern eine eher spärlich beachtete Ziel, diesen Lehrplan erfahrungs- verhalten geprägt war. Auf der Grund- und oft nur zu Legitimationszwecken bezogen und thematisch zu gestalten. lage empirischer Studien setzten sie herangezogene Literaturgattung. Ihr ●● Anfang der 2000er-Jahre bis 2003 sich dafür ein, die Entwicklung von Anspruch allerdings ist ein anderer, übernahm Horst Bartnitzky erneut Kindern und Jugendlichen partner- nämlich Unterrichtspraxis zu orien- den Vorsitz der Lehrplankommission schaftlich mit Wertschätzung und Em- tieren, anzuleiten, zu steuern. Deutsch für die Grundschule in pathie zu fördern. Die „Reversibilität“ In den siebziger und achtziger Jah- NRW. des Lehrerverhaltens, das Prinzip „auf ren des vergangenen Jahrhunderts Augenhöhe mit den Schülerinnen und standen die Richtlinien und Lehrpläne Von den Daten zum Inhalt Schülern“, die authentische Haltung im Bücherschrank eines jeden Lehrer- Besonders der neue „Lehrplan Spra- der Pädagogen waren für Horst Bart- zimmers, meist wenig genutzt. In den che“ von 1985 (im Lehrermund lange nitzky inspirierende und nachhaltige siebziger Jahren fanden sich daneben Jahre „Neue Deutsch-Richtlinien“ Leitideen. ein oder mehrere oft verstaubte Ord- genannt, mit der Betonung auf „neu“) ner, die das enthielten, was den Schu- wirkte wie ein Paukenschlag. schreiben, lesen, lernen – len aufgetragen war: die Lehrpläne zur „Sprachliches Handeln muss für die Lehrplanarbeit Grundlage von schuleigenen „Stand- Kinder einen Sinn haben“, hieß es da, Von Anfang an und immer wieder ortplänen“ zu machen. Die wurden und: „Die Unterrichtspraxis allerdings geht es Horst Bartnitzky um das Ver- meist in einer Reihe von Konferen- muss den Sprachunterricht integra- hältnis von Kind und Sache und um zen (oder auch nur von zwei oder drei tiv anlegen. Insbesondere muss beim die Rolle, die die Lehrerin dabei spielt. schreibbereiten Kolleginnen) verfasst, Lesenlernen der funktionale Bezug „Wie kann man Kinder“, dies seine abgeheftet, abgestellt – und häufig nur zum Umgang mit Texten gewahrt Frage, „so ‚aufschließen‘, so wecken, von Lehramtsanwärter/innen im Rah- bleiben, ebenso wie Schreibenlernen dass sie sich für die Sache und ihr Ler- men ihrer Vorführstunden oder Exa- und Rechtschreiben unter den über- nen wirklich ‚interessieren‘?“ mensarbeiten genutzt. All das wusste greifenden Zielsetzungen des schrift- Diese Frage war zunächst eine Horst Bartnitzky. Und doch wollte er lichen Sprachgebrauchs verstanden ganz unmittelbar praktische für seine die Chance nutzen und stieg für etliche werden müssen. Sprache untersuchen Unterrichtstätigkeit und für die Schul- Jahre in die Lehrplanarbeit ein: schließlich ist grundsätzlich in die an- entwicklungsprozesse, die er anzu- ●● 1982–84 war er Vorsitzender der deren Bereiche eingebettet.“ 1 stoßen versuchte. Diese Frage gehörte Lehrplankommission Deutsch für die aber auch zum Basisgepäck bei sei- Grundschule in Nordrhein-Westfalen, Kurze, kompakte Lehrplansätze und ner umfangreichen konzeptionellen anschließend 1986 Vorsitzender der ein ganzes praktisch-pädagogisches Arbeit an Lehrplänen. Wohl wissend, Lehrplankommission Deutsch für die Programm. Wirkung, wie gesagt, wie dass Lehrpläne nicht die Textsorte Hauptschule und Vorsitzender der ein Paukenschlag, und zwar in bei- sind, die sich Lehrerinnen und Lehrer Lehrplankommission „Muttersprach- de Richtungen: Die „traditionellen“ zuvörderst auf den Nachttisch legen, licher Unterricht Klasse 1–6“ mit dem Deutschlehrer/innen waren aufge- GS aktuell SPEZIAL • Februar 2020 3
Laudatio von Maresi Lassek und Ulrich Hecker schreckt („Jetzt sollen wir …“, „Das stufe erarbeitete. Professor Mihm hatte Grundschuldidaktik“ heraus, ein für geht doch nicht … “, „Wie sollen wir er während seines Diplomstudiums viele Lehrerinnen und Lehrer wich- denn …“), die reformerisch und päd- kennengelernt. „drucksachen“ war ein tiges und orientierendes Handbuch. agogisch Bewegten und Aktiven fühl- damals heftig umstrittenes Lehrwerk, Dieser Band enthielt einen Beitrag von ten sich bestätigt und ermutigt, konn- das einem weiten Literaturbegriff ver- Horst Bartnitzky zum Literaturunter- ten ihr Handeln begründen und legi- pflichtet war und auch für ein Lese- richt, der auf seinen Erfahrungen aus timieren – oft ganz wichtig in einer buch damals unübliche, störrische und einer dritten Klasse beruhte. Hier ent- unfreundlichen, trägen, beharrenden antiautoritäre Texte enthielt. wickelte er die Idee, Taschenbücher Kollegiums- oder Schulleitungsumwelt! Diese neue Generation von Lese- anstelle von Schulbüchern zu ver- Deutliche Spuren dieser Lehrplan- büchern erregte die Gemüter. „Die wenden und Kinder als „Lesetester“ texte finden sich wieder in den „Bil- Polemik gegen sie ist oft unfair und tätig werden zu lassen mit der Frage: dungsstandards Deutsch für die Pri- ahnungslos“, schrieb DIE ZEIT im Ja- „Welche Bücher für unsere Bücherei?“ marstufe“ der Kultusministerkonfe- nuar 1975: „Landauf, landab schlug die Über diesen Beitrag kam es zum renz von 2004 und natürlich auch in Presse, pro und contra, Alarm mit kan- Kontakt mit dem Klett-Verlag und zu den „Tragfähigen Grundlagen“ des tigen Schlagzeilen: ‚Roter Schmutz auf einem Projekt, „Lesehefte“ für Kinder Grundschulverbands von 2003 wie Schulkinder‘ (Bayernkurier) – ‚Lernt auf den verschiedenen Lesestufen her- auch wieder in denen von 2019. lesen mit Ulrike Meinhof ‘ (Deutsche auszugeben. Für dieses Projekt arbeite- Lehrplantexte, Fachtexte, Diskus- Zeitung) – ‚Schweinereien im Lese- te Horst Bartnitzky mehrere Jahre mit sionsbeiträge, Buchbeiträge und Zeit- buch‘ (Rheinischer Merkur) – ‚Ver- einer ganzen Reihe von Grundschul- schriftenartikel – bei Horst Bartnitzky lag spricht von unhaltbaren Unter- lehrerinnen und -lehrern zusammen, war das immer stimmig und authen- stellungen‘ (Düsseldorfer Nachrichten) so wie es auch später immer einer der tisch. Es findet sich kein Widerspruch – ‚Das geht alle Eltern an: Lesebuch prägenden Aspekte seiner Arbeitswei- zwischen beruflicher Laufbahn und verdummt ihre Kinder‘ (Stadtanzeiger se gewesen ist: mit anderen gemein- pädagogisch-politischer Haltung und Neuss) – ‚Eltern stimmen für die sam an einem Projekt und für gemein- Praxis. drucksachen‘ (Solinger Morgenpost).“ same Ziele arbeiten. Noch heftiger als heutige Debatten Die Kinder und die (Lern-) Sachen – um Rechtschreibung, Handschrift und Der Grundschulmarkt war seinerzeit richtungsweisende Publikationen „Schreiben nach Gehör“. von den gängigen Fibeln beherrscht, 1975 gehörte Horst Bartnitzky zu einer Horst Bartnitzkys „Fibelöffner-Ide- Autorengruppe um Professor Arend 1981 gab Horst Bartnitzky gemeinsam en“ fanden ihren Ausdruck im Lern- Mihm, einer Gruppe, die das Lese- mit Reinhold Christiani das „Hand- buch „Unsere Fibel“, das 1987 bei buch „drucksachen“ für die Sekundar- buch der Grundschulpraxis und Klett erschien. Als Fachmann für den Sachunterricht wurde Hans-Dieter Bunk gewonnen, die beiden gemein- Veröffentlichungen von Horst Bartnitzky: same Idee war die Verschränkung von Sprache und Sache. Leistungskultur 1989 gab es dazu einen Neustart, es erschien der Lehrwerksverbund „Kun- terbunt“, den Titel erfanden Bunk und Bartnitzky bei einem Brainstorming im Zug der Deutschen Bundesbahn. „Kunterbunt“ war über 20 Jahre ein nützliches Medium für einen integra- tiven Deutschunterricht. Ziel war, die Teilbereiche des Faches sowie Sprache und Sache zu verbinden. Auch die Arbeit am Lehrwerk ent- sprach Horst Bartnitzkys pädagogi- schen Ansichten, Ansprüchen und Absichten: ●● Statt der Vereinzelung der Kinder in einem überwiegend individualisierten 1976: „Zeugnis ohne Zensuren“. 2005 bis 2007: 3 Schuber mit Unterricht will er die Individualisie- 1987 bis 1994: unter dem Titel Materialien zur Pädagogischen rung im gemeinsamen Lernen. „Zeugnisschreiben in der Grund- Leistungskultur ●● Statt vordergründigem Aktionis- schule“ mus, bei dem Kinder nur emsig bei irgendeiner Beschäftigung sind, setzt 4 GS aktuell SPEZIAL • Februar 2020
Laudatio von Maresi Lassek und Ulrich Hecker er auf anspruchsvolle Handlungsorientierung: Die Kinder erarbeiten eine Ausstellung, einen Veröffentlichungen von Horst Bartnitzky: Vortrag, eine Lesung, eine Experimentier-Rei- he, ein Werk – und sie sprechen und schreiben Deutschdidaktik dazu und darüber. ●● Statt einer vorgeblich „gezielten“ Förderung mit „Häppchenkost“ (also Rechtschreiben mit Rechtschreibkarteien, Lesen mit Lesematerial, Lernmethoden mit Methodentraining) setzte er auf themengebundenes, integriertes, die Teilbe- reiche des Faches verbindendes Lernen. ●● Statt thematischer Beliebigkeit geht es ihm um Kindern bedeutsame, lebensweltnahe und anspruchsvolle Themen. Drei Kernaufgaben 1986 – 2003: Vorsitzender stellen sich jedem Unterricht und jeder Arbeit mehrerer Lehrplan- am Thema: Lebenswelt erhellen – Lebenswelt kommissionen in Nord- erweitern – Lebenswelt mitgestalten. ●● Schließlich: Statt Testeritis und Pseudo- rhein-Westfalen und Autor von Lehrplankommentaren diagnostik die konkrete Entfaltung pädagogi- scher Leistungskultur: diagnostisches Material für die Lehrkräfte und für die Kinder, der Ein- bezug der Kinder in die Leistungsbewertung durch „Könnensbögen“ und Anregungen für das eigene Portfolio. Hier wird der Zusammenhang zu einem der großen Projekte Horst Bartnitzkys deutlich, zum Konzept „Pädagogische Leistungskultur“, mit dem der Grundschulverband die Wirklich- keit in vielen Lerngruppen und an vielen Schu- len verändert und vorangebracht hat. Unterricht: produktiv und integrativ – die gängigen Trends hinterfragend Horst Bartnitzky hatte immer das Ziel, die konkrete Arbeit an der Grundschule zu beein- 1987: erste Auflage des 2008: Band zum Kompetenz- flussen und zu verbessern, immer im Hinblick Longsellers „Sprachunterricht bezug in der Deutschdidaktik auf „Kinder und Sachen“ und auf das Prinzip heute“ „Themen statt Fächer“. Sein Buch „Sprachunter- richt heute“ ist in diesem Oktober in 19. Auflage erschienen, pro Auflage wurden – für ein Fach- buch außergewöhnlich – 3000 Exemplare ver- kauft, das entspricht einer Gesamtauflage von bis heute etwa 55.000 Büchern für einen kinder- gerechten Deutschunterricht. Bei den Diskussionen um offenen Unter- richt blieb Horst Bartnitzky ein ebenso realis- tischer wie kritischer Beobachter und Mitge- stalter. „Wege und Irrwege offenen Unterrichts“ war die Überschrift eines Vortrags beim „Mo- © Cornelsen erser Lehrertag“ 2007. Mit seinen Thesen dort, insbesondere seiner Kritik an einem unbedach- ten Arbeitsblatt-Unterricht und sogenannten „Werkstätten“, bei denen wenig wirklich getan 2011: erster Band zur 2019: 19. aktualisierte Auflage und kaum etwas tatsächlich bewirkt wird, ern- Reform der Schriftdidaktik, von „Sprachunterricht heute“ tete Horst Bartnitzky Unruhe im Publikum, eine 2016 Folgeband knisternde Atmosphäre an der Grenze zu ein- zelnen Pfiffen. Aber er blieb dabei: kritisch und GS aktuell SPEZIAL • Februar 2020 5
Laudatio von Maresi Lassek und Ulrich Hecker selbstkritisch, genau hinschauend, an- Solchermaßen gelingende Ent- zu transportieren, aber auch die Bedeu- spruchsvoll – unbequem eben. wicklungswege haben nichts mit tung und den Einfluss der Organisation 2008 mündeten diese Ausführungen Schmuseschule, nichts mit Schule der zu unterstreichen. Unverzichtbar auch, und die Diskussionen darüber in ei- Beliebigkeit, nichts mit Arbeitsblatt- um die pädagogischen und bildungs- nen Beitrag unserer Zeitschrift. 2 „Die fetischismus oder Wühltisch-Didaktik politischen Positionen und Praxisvor- Grundschule ist vermutlich am wei- zu tun. schläge, die Forderungen und Ziele zu testen in der Entwicklung neuer Lern- Sie sind vielmehr für Schulen, Kin- verbreiten und „publik“ zu machen. formen, die selbstständiges Lernen be- der wie Lehrerinnen ein anspruchs- günstigen und fördern“, heißt es darin, volles pädagogisches Programm, bei Für die Grundschule und und weiter: „Allerdings ist auch unver- dem Kinder Schlüsselqualifikationen ihre Kinder: Engagement kennbar, dass die Wege nicht immer für Selbstständigkeit wie Lern- im Grundschulverband Entwicklungswege sind.“ Der Beitrag kompetenz und Teamfähigkeit er- ist, wie so viele von Horst Bartnitzky, werben. Insbesondere erfahren sie Für Horst Bartnitzky ist zentral, fach- auch heute noch aktuell und wichtig. dabei, dass ihr Lernen in der Institu- lich fundierte Lerninhalte zu ent- Wir zitieren: tion Schule für sie selbst belangvoll wickeln und diese in Lernkonzepte „Es gibt Irrwege: ist. Dies wiederum ist die vermutlich einzubinden, die das Tun der Kinder ●● wenn die Schule schon zufrieden wichtigste Erfahrung.“ in den Mittelpunkt stellen. Dabei ist ist, dass die Kinder beschäftigt sind, seine Arbeit von der Überzeugung und dazu Arbeitsblätter und Materia- Bei diesem großen und vielgestaltigen getragen, dass das Lernen für die Kin- lien herabregnen lässt, die von den Werk kann eine Würdigung wie diese der sinnhaft und eigenaktiv gestaltet Kindern abgearbeitet werden müssen. nur Beispiele benennen für die vielen sein muss. Weit über die eigene schul- Aktivismus ist aber keine qualifizie- Anregungen und Ideen für die Grund- praktische Tätigkeit als Lehrer und rende Lernarbeit. schule, ihre Kinder und ihre Pädago- Schulleiter hinaus stellte er in seinen ●● wenn im anderen Extrem die Lehre- ginnen und Pädagogen, die Horst Publikationen den Lehrerinnen, Leh- rinnen und Lehrer sich aus der Ver- Bartnitzky erarbeitet, kommuniziert rern und Schulen seine Erkenntnisse antwortung ziehen. Lehrerseminare und publiziert hat. Seine inhaltlichen zur Verfügung. Er sprang nicht auf sprechen dann gerne von Lerngelegen- Impulse zur Grundschulpraxis wur- bestehende Konzepte auf, sondern heiten statt von Lehrzielen; Fortbildner den angedeutet. Ich nenne nur Stich- entwickelte selbst, hinterfragte und von ‚professionellem Nichtstun‘; Ext- wörter zu den großen pädagogischen prüfte aus der Perspektive der Kinder, rem-Reformer davon, dass Kinder die und didaktischen Themenkomplexen, ob deren Bildungsansprüche erfüllt Verantwortung für ihre Bildung selbst zu denen Horst Bartnitzky wirksam werden können. Er beließ es nicht bei übernehmen sollen. Viele Kinder wer- und wirkungsvoll beigetragen und dem anspruchsvollen und kritischen den dabei alleingelassen und ihnen angeregt hat: Blick auf die pädagogische Arbeit wird letztlich die Schuld für ‚versäumte der Schule, sondern sah zugleich Lektionen‘ aufgebürdet. Lehrerinnen Fachdidaktisch: die Herausforderung – wenn nicht und Lehrer können ihre Ver- – demokratisches Sprechen sogar Verpflichtung –, Erkenntnisse antwortung aber nicht ablegen. – Lerntexte und Lerngespräche in die Administration zu tragen und Und es gibt Etikettenschwindel: – Schreibenlernen und Schul- an den politisch gesetzten Rahmen- ●● wenn das Auslegen und Abarbeiten schriften bedingungen zu arbeiten. Kein ein- von vorgefertigten Materialien als – „Grundschrift“ und Schrift- facher Spagat, denn berufliche Ver- Werkstatt bezeichnet wird oder wenn gespräche pflichtungen ließen nicht selbstver- die Wahl der Reihenfolge in der Be- ständlich Raum für Initiativen oder arbeitung vorgegebener Aufgaben als Pädagogisch: Forderungen an die Bildungspolitik. freie Arbeit firmiert. Werkstatt und – Lernkultur und Schulentwicklung Dennoch, mit der Vision, dass für Freie Arbeit sind anspruchsvolle di- – Kritik an der „Testeritis“ und dem die Grundschule und ihre Kinder daktische Konzepte mit Ent- vermessenen Versuch, Kinder zu grundsätzliche Sichtweisen auf Schule, wicklungsstufen und der steten Pers- vermessen Lernen und Lehren zu prüfen und ge- pektive von selbstständigem Lernen – „Grundschule ohne Noten“ und gebenenfalls zu überdenken sind, bil- der Kinder. Gelungene innovative Pädagogische Leistungskultur dete für ihn immer die Verknüpfung Entwicklungswege zeichnen sich da- – grundlegende Bildung, „Standards“ von Praxis, Wissenschaft und politi- durch aus, dass auf die beiden Leit- und „Tragfähige Grundlagen“ schem Handeln den Weg, über den fragen eine positive Antwort gegeben Entwicklungen konzertiert weiterge- werden kann: Für Horst Bartnitzky waren Publi- bracht werden können. Wenn man so – Werden die Kinder selbstständiger? kationen, insbesondere auch die des will, ein ganzheitlicher Ansatz, den er – Wird individuelles Arbeiten in die Grundschulverbandes – die Zeitschrift nicht nur für die Kinder forderte, son- Gemeinsamkeit des Lebens und und die Buchreihe – stets wichtige dern auch als Maß an das eigene Wir- Lernens eingebunden? Medien und Werkzeuge, um Inhalte ken anlegte. 6 GS aktuell SPEZIAL • Februar 2020
Laudatio von Maresi Lassek und Ulrich Hecker Veröffentlichungen von Horst Bartnitzky: Schulbücher 1987: Fibel, nachfolgend drei weitere Fibeln mit Begleit- material bis 2009 1983 – 1998: 1990 – 2011: Schulbuch- Herausgeber von 50 Leseheften, Verbund „Kunterbunt“ mit Autor mehrerer Hefte Deutsch und Sachunterricht für die Klassen 1 bis 4 Mit seinem Beitritt zum Grund- ky ab 1980 als kooptiertes und ab 1983 schule als Ort sozialen Lernens für schulverband, einem richtungswei- als gewähltes Vorstandsmitglied in den Schüler und Lehrer“, eine inhalts- senden Schritt, wie sich später heraus- Grundschulverband einbrachte, ver- reiche Dokumentation, die eine Fül- stellen sollte, konnte Horst Bartnitzky stärkt haben, auf alle Fälle hat er kon- le von Ideen und Anregungen zum sein Wirkungsspektrum konsequent sequent wesentliche Elemente, die ihm Nachmachen und „Selbst-aktiv-wer- und ertragreich erweitern. Untrenn- für die Kinder und die Weiterentwick- den“ enthielt. bar ist seit 1980 die Geschichte und lung von Unterricht unabdingbar er- Damit war der Grundstein für eine Entwicklung des Grundschulverbands schienen, insbesondere über seine eh- unvergleichlich erfolgreiche Veröffent- mit Horst Bartnitzky verbunden. Es renamtliche Tätigkeit immer wieder lichungszeit in der Verantwortung von genügte zu keiner Zeit seinen Ansprü- eingebracht. Horst Bartnitzky gelegt. chen, als Experte in Aus- und Fort- bildung und auf administrativer Ebe- Für die Grundschule und ihre Die Entwicklung der Zeitschrift ne unterwegs zu sein. Über die Ver- Kinder: Publikationen schaffen Aus dem damaligen Mitteilungsblatt bandsarbeit begab er sich in diverse Öffentlichkeit für kindergerechte wurde eine hoch anerkannte Grund- Spannungsfelder, u. a. in das zwischen Pädagogik und Politik schulzeitschrift, die Horst Bartnitzky bildungspolitischen und administrati- über 25 Jahre und 125 Hefte bis zum ven Entscheidungen und seinen eige- In der Phase der Konzeption und Jahr 2013 verantwortlich konzipier- nen Überzeugungen. Auch musste er Durchführung der „Duisburger te. Ohne professionelle und zusätz- sich mit der Abhängigkeit von politi- Grundschulwochen“ wurde teilneh- liche Redaktionsarbeit entwickelte er schen Entscheidern und deren Grenz- merorientiertes Material entwickelt, die Zeitschrift vom ehemals gelben setzungen arrangieren. Trotz des Ein- das viel Anerkennung fand und den dünnen Mitteilungsblatt mit 8 Seiten gebundenseins in diese Strukturen und Impuls für eine gemeinsame Veröf- zu einer qualitätsvollen Zeitschrift der nicht immer durchsetzbaren An- fentlichung des Arbeitskreises Grund- mit 40 Seiten. Neben der Lösung sprüche der Kinder, an denen er sich schule und des GEW-Landesverbands gestalterischer Fragen wie Seiten- konsequent in seiner Arbeit orientier- Nordrhein-Westfalen gab. Damit war zahl, Farbgebung und Papierqualität te, war ihm Loyalität eine Verpflich- der Kontakt zu Dieter Haarmann, der gab er dem inhaltlichen Konzept eine tung, sowohl als Verantwortungsträ- damals die Publikationen des Arbeits- signifikante Prägung. Jedes Heft ent- ger in der Administration als auch als kreises betreute, hergestellt. Es ent- hielt ein Schwerpunktthema, bei dem Vorstandsmitglied im Grundschulver- stand Band S 37 der Reihe Beiträge zur jeweils eine politische Einordnung band. Reform der Grundschule: „Duisburger gegebenenfalls mit Forderungen for- Dieses Bemühen und Ringen mag Grundschulwoche 1979 – Schulpro- muliert, der Forschungsstand dar- das Engagement, das Horst Bartnitz- bleme gemeinsam lösen. Die Grund- gestellt und die schulpraktische Rea- GS aktuell SPEZIAL • Februar 2020 7
Laudatio von Maresi Lassek und Ulrich Hecker lisierung vorgestellt wurde. Wie an – 119 „Pädagogische Leistungskul- Netzwerker, für den inhaltliche Viel- der Verbandsstruktur und am Ver- tur: Materialien für Klasse 1 und 2“ falt, aber genauso die präzise Diskus- bandsnamen arbeitete Horst Bartnitz- – 121 „Pädagogische Leistungskultur: sion und die Schärfung der Ergebnisse ky konsequent auch am Titel der Zeit- Materialien für Klasse 3 und 4“ und Aussagen von Bedeutung waren. schrift: von Arbeitskreis aktuell – dann – 124 „Pädagogische Leistungs- Er scheute zu keiner Zeit kontrover- Grundschulverband aktuell – schließ- kultur: Ästhetik, Sport, Englisch, se Diskussionen mit Mitakteuren und lich Grundschule aktuell. Horst Bart- Arbeits- und Sozialverhalten“ ging auch mühsame Wege über Kom- nitzky war stets mehr als nur Redak- promisse mit. teur und Herausgeber, er war Impuls- ●● Schrift und Schreiben mit der Ent- und Ideengeber, der sich in vielen wicklung des Konzepts Grundschrift Für die Grundschule und ihre Beiträgen als profunder und produk- und entsprechenden Materialien in Kinder: ein Grundgedanke tiver Autor bewies, geleitet von dem den Bänden prägt das Verbandsgeschehen Gedanken, den Bildungsansprüchen – 132 „Grundschrift, damit Kinder der Kinder gerecht zu werden. besser schreiben lernen“ Horst Bartnitzkys inhaltliche Schwer- – 142 „Grundschrift – Kinder punkte waren ausgerichtet an der Die Buchreihe „Beiträge zur entwickeln ihre Handschrift“ Überzeugung, dass Grundschule Reform der Grundschule“ inklusive der Karteikartensätze für Lebens- und Lernort zugleich ist und Ab Band S 37 war Horst Bartnitzky an den Unterricht für die Entwicklung einer kinder- vielen der nachfolgenden Veröffent- gerechten Schule Handlungsbedarf lichungen bis zum Jubiläumsband ●●Fördern / Integration / Inklusion besteht. Er engagierte sich besonders 148/149 im Jahr 2019 als Autor, Heraus- mit den Bänden und kontinuierlich in den Themen- geber und Verantwortlicher für den – 129 „Allen Kindern gerecht werden“ feldern Schriftspracherwerb, multi- Vorstand beteiligt. Exemplarisch sollen – 134 „Individuell fördern – kulturelle Erziehung, Schulanfang und hier drei wesentliche inhaltliche Projek- Kompetenzen stärken. Teil 1“ Anfangsunterricht sowie sechsjährige te als große Publikationen des Grund- – 135 „Individuell fördern – Grundschule. Diese und andere päd- schulverbands – angeregt, unterstützt Kompetenzen stärken. Teil 2“ agogische und strukturelle Fragen und publizistisch begleitet von Horst vertrat er von 1983 bis 2000 im Vor- Bartnitzky – hervorgehoben werden: Bei der Arbeit an diesen drei großen stand und von 2000 bis 2010 als Vor- Themen, die die pädagogische Ent- sitzender des Grundschulverbands. ●● Pädagogische Leistungskultur mit wicklung der Grundschule und des Horst Bartnitzky war der erste den Bänden Unterrichts wesentlich beeinflussten „Nichtprofessor“ in der Vorstands- – 118 „Leistungen der Kinder wahr- und weiterentwickeln halfen, bewies arbeit. Ein Umstand, der zur Folge nehmen – würdigen – fördern“ sich Horst Bartnitzky als Team- und hatte, dass er konsequent und nach- Veröffentlichungen von Horst Bartnitzky: Kompendien 1981: Handbuch für die 2009: Kursbuch Grundschule 2019: Band über die Entwicklungen Grundschule der Grundschule – die bisherigen und die weiterhin notwendigen 8 GS aktuell SPEZIAL • Februar 2020
Laudatio von Maresi Lassek und Ulrich Hecker haltig die Bedeutung der Schulpraxis Strukturreform bedeutete auch Um- veränderte Gremienstrukturen und einbrachte und vertrat. Seine Über- orientierung bei der Steuerung, die eine verstärkte Regionalisierung. Bis zeugung, dass Wissenschaft und Einführung der Landesgruppen und heute besteht der Zweck des Verbands Schulpraxis gemeinsam wirksam wer- deren Vertretung in der Delegierten- darin, die pädagogisch begründeten den müssen und Schul- und Unter- versammlung. Die Delegiertenver- Ansprüche der Kinder der Grund- richtsentwicklung den wechselseitigen sammlung sollte als Entscheidungs- schule zu vertreten, die Grundschul- Prozess zwischen Theorie und Praxis gremium den wissenschaftlichen Bei- pädagogik weiterzuentwickeln und die brauchen, bildete einen wesentlichen rat, der davor zusammen mit dem Vor- Stellung der Grundschule im öffentli- Baustein in der Verbandsentwicklung. stand die Geschicke des Arbeitskreises chen Bildungswesen zu verbessern, So gesehen setzte Horst Bartnitzky in lenkte, ablösen. Ab 1989 richtete sich indem die Reform der Grundschule in der Verbandsarbeit seine Erkenntnis das Bemühen zusätzlich darauf, die Theorie und Praxis gefördert wird (vgl. um, dass in jeden erfolgreichen Lern- neuen Bundesländer einzubeziehen Satzung 1991 und Satzung 2016). prozess Lehrende und Lernende aktiv und dort Landesgruppen zu etablieren. einbezogen sein müssen. Was aus sei- Das Gesicht des Arbeitskreises Die Entwicklung des Grundschul- ner Überzeugung für den Unterricht Grundschule veränderte sich durch verbands verstärkte dessen öffentli- galt, war auch in der Verbandsarbeit die Impulse von Horst Bartnitzky che Wahrnehmung als Fachverband zutreffend. Die in den Anfangsjahren an weiteren Stellen. Für ihn war der für die Grundschule, erhielt aber aus des Arbeitskreises Grundschule hohe Integrationsgedanke ein Motor, der dem Wissenschaftsbereich nicht nur Konzentration auf die Hochschullehre nicht nur für die Schule Geltung hatte, zustimmende Resonanz. Dies begann erfuhr durch den Netzwerker Bartnitz- sondern auch in der Verbandsarbeit insbesondere in der Phase nach PISA ky eine prägende Veränderung hin zu gelten musste. Über den kooperativen 2000, in der von der Kultusminister- einem Wirkungsgefüge: Schulpraxis, Ansatz zwischen Wissenschaft und konferenz Vergleichsuntersuchungen Wissenschaft und Politik. Praxis hinaus bemühte er sich ent- wie VERA installiert wurden und auf schieden um die Mitarbeit und Mit- Widerstand aus dem Grundschulver- Gleich mit Beginn seiner Vorstands- verantwortung von Frauen. Eine „Fe- band stießen. Dabei verstand es Horst mitarbeit setzte sich Horst Bartnitzky minisierung“ des Grundschulver- Bartnitzky, mit großem Sach- und für eine neue Satzung des Arbeitskrei- bands wird Horst Bartnitzky von Zeit- Fachverstand dem Trend zur Test- ses ein. Er begab sich in einen meh- genossen zugeschrieben. Das setzte orientierung über die Köpfe der Päda- rere Jahre dauernden Prozess, um sich letztendlich fort, als er den Vorsitz gogik hinweg gewichtige Erkenntnisse den damaligen Arbeitskreis zu einem 2010 abgab und eine Frau als Nach- entgegenzusetzen. Das traf nicht die Fachverband für die Grundschule, der folgerin favorisierte und unterstützte. uneingeschränkte Zustimmung aller die gesamte Bundesrepublik und alle Wissenschaftsvertreterinnen, Wissen- ihre Länder umfassen sollte, zu gestal- Vom Arbeitskreis Grundschule schaftsvertreter und aller politischen ten und verknüpfte dies zugleich mit zum Grundschulverband Kräfte. Wohlgemerkt, Horst Bartnitz- der Herausforderung, die demokra- 1991 beschloss die Mitgliederver- ky sah in der Grundschule immer eine tischen Strukturen im Arbeitskreis sammlung die neu erarbeitete Sat- Leistungsschule, aber in einem ande- Grundschule weiter zu entwickeln. zung, mit der sich auch der Name des ren Verständnis als Leistungstests in Demokratie und Partizipation sollten Verbands änderte. Dazu argumentier- eingegrenzten Kompetenzbereichen auch im Verbandsgeschehen leitend te Horst Bartnitzky: zu beweisen vorgaben. sein, das bedeutete Regionalisierung, „Der Arbeitskreis Grundschule war Lösung von der Konzentration auf zum Grundschulverband geworden. Im Band 148/149 „Auf dem Weg zur den Frankfurter Raum und Schaffung Im Laufe der Jahre wurde deutlich, kindergerechten Grundschule“ ana- eines neuen Verhältnisses zwischen dass der Arbeitskreis mehr war als lysiert Horst Bartnitzky die Entwick- Zentrale und Regionen. Ab 1988 nur eine Interessengemeinschaft. Es lung des Verhältnisses von Erzie- arbeitete er als Leiter einer Struktur- war ein Verband mit erheblicher Aus- hungswissenschaft, Praxis und Politik. kommission an der neuen Satzung. strahlung in die sich verändernde Zugleich würdigt er die Mitarbeit von Die Jahre von 1986 bis 1989 kön- Schulpraxis, in die Schulpolitik und in anerkannten Wissenschaftlerinnen nen im Rückblick als Übergangszeit die Wissenschaft hinein. Arbeitskreise und Wissenschaftlern im Verband. Er nach der Gründungsphase betrachtet Grundschule gibt es auch in Lehrer- resümiert: werden, eine Zeit, in der die Regiona- verbänden; der Grundschulverband „Bezogen auf die Studierenden, lag lisierung vorangebracht wurde, Auf- dagegen ist ein geschützter Titel und der wohl wesentliche Grund in der gabenbezogenheit an die Stelle von signalisiert gesellschaftspolitische Wir- verbreiteten Unkenntnis des einzigen Personengebundenheit trat und der kung.“ Fachverbandes für die Grundschule. Arbeitskreis durch die Ablösung vom Die neue Satzung sollte folgen- Verursacht war dies durch die in- Verlag Westermann und von der Zeit- de Vorgaben einlösen: die politische zwischen verbreitete Geringschätzung schrift „Grundschule“ finanziell un- Profilierung nach außen, die inner- des Grundschulverbandes durch viele abhängig wurde. verbandliche Demokratisierung über Erziehungswissenschaftlerinnen und GS aktuell SPEZIAL • Februar 2020 9
Laudatio von Maresi Lassek und Ulrich Hecker -wissenschaftler, ein Nebeneffekt der band“ und schließlich die Festlegung „Übersetzer“ stärkeren bildungspolitischen Wahr- auf „Grundschulverband“. nennt in seiner Laudatio Hans Brügel- nehmung des Verbandes. mann Horst Bartnitzky und würdigt So urteilte z. B. der renommierte Der Steuermann ihn als einen Experten, der mit hoher Wolfgang Einsiedler (Prof. für Grund- Horst Bartnitzky hatte „realisti- fachlicher Kompetenz komplexe schulpädagogik, Universität Erlangen- sche“ Utopien, sah Perspektiven und Zusammenhänge für Nichtspezialisten Nürnberg) in seiner ‚Geschichte der ließ, wenn der Weg eingeschlagen inhaltlich zugänglich macht. Seine Grundschulpädagogik‘: war, weder locker noch verlor er sprachliche Fähigkeit, komplizierte ‚Der Arbeitskreis Grundschule, der den Kurs aus den Augen. Nach der Sachverhalte verständlich dazustellen ursprünglich Forschung fördern woll- Gründungsphase war er der behut- und dabei fachlich redlich zu bleiben, te, wandelte sich zu einem Verband same Entwickler des Arbeitskreises sei außerordentlich. mit Vorrang bei bildungspolitischer und führte ihn mit pädagogischem Programmatik und beständigen For- und politischem Sachverstand zu Der Mensch derungen nach Grundschulreformen‘ einem anerkannten Fachverband für Horst Bartnitzky stellte immer hohe (Einsiedler 2015, 97). Für die forschen- Grundschule. Bei Tagungen, in Dis- Anforderungen an sich selbst und de Erziehungswissenschaft, so Einsied- kussionen und verbandsinternen trägt durchaus einen Drang zur Per- ler mit Verweis auf andere Wissen- Veranstaltungen erwies er sich als fektion in sich. Er schließt sich beste- schaftler, sei es ‚verhängnisvoll, wenn geschickter Verhandlungsführer, der henden Trends nicht einfach an, son- wissenschaftliche Aktivitäten mit po- es verstand, das Gespräch und damit dern zeichnet sich dadurch aus, dass er litischen Aktivitäten vermengt wer- Ergebnisse auf das Wesentliche zu Anliegen grundsätzlich selbst durch- den. Die Verflechtung einer Disziplin konzentrieren. denkt und dazu Position bezieht. Er ist mit Politik kann ein autonomes, for- Weitsicht prägte Horst Bartnitz- ein politischer Mensch, offen für die schend-wissenschaftliches Selbstver- kys erfolgreiche Vorstandsarbeit (er Meinungen und Positionen anderer. ständnis eines Faches beeinträchtigen war von 1980 bis 2010 durchgängig Prof. Dr. Rudolf Schmitt beschreibt und es in Misskredit bringen‘ (99)“ im Vorstand) und beruhte u. a. auf der ihn als hervorragenden Teamarbeiter, (Bartnitzky 2019, 499). wohldurchdachten und sensibel aus- der loyal agiert, aber seine eigene Mei- „Solche Elfenbeinturm-Wissen- gerichteten Balance zwischen Mach- nung vertritt, mit einer großen Vorlie- schaft übersieht“, so Horst Bartnitz- barem, Zwischenschritten und Zielen, be für das Schreiben. ky, „dass schulbezogene Erziehungs- die er nicht aus den Augen verlor. Er Konflikterfahren, klar und sachlich wissenschaft die Praxis als Forschungs- stand nach innen und nach außen für orientiert hat Horst Bartnitzky seine feld und die Bildungspolitik als ein die Wirkkraft des Verbands. Leitlinien für die pädagogische Arbeit Bedingungsfeld auch für die Praxis in seinen pädagogischen Schriften hat und dass gerade dieser Wirkzu- „Brückenbauer“ und selbstverständlich auch in sei- sammenhang von Praxis, Politik und hat Prof. Dr. Hans Brügelmann Horst ner ehrenamtlichen Arbeit im Grund- Wissenschaft relevante Schulforschung Bartnitzky in seiner Laudatio anläss- schulverband umgesetzt. ausmacht“ (ebd.). lich der Ehrenpromotion am 19. Sep- tember 2007 in der Universität Siegen Horst Bartnitzky zeichnet sich durch Für die Grundschule genannt. Brückenbauer deshalb, weil eine beeindruckende Lebensleistung und ihre Kinder: er zwischen den drei Welten Wissen- und ein beeindruckendes Lebenswerk Zur Person Horst Bartnitzky schaftliche Beiträge, bildungspoliti- für die Grundschule und ihre Kinder sche Aktivitäten und Einfluss auf die aus. Der Konstrukteur Schulpraxis ertragreich und vermit- Angesichts dessen würdigt ihn der Horst Bartnitzkys Arbeit war geleitet telnd unterwegs war und – jeweils Grundschulverband „für besondere von Perspektiven, die er konsequent für sich genommen – in jedem der Verdienste um die Grundschule und im Blick behielt, trotz notwendiger drei Bereiche eine bewundernswerte ihre Kinder“ und verleiht den Erwin- Umwege gerade in der Verbandstä- Lebensleistung vollbrachte. Schwartz-Grundschulpreis 2019 an tigkeit. Er behielt die Orientierung Horst Bartnitzky habe zudem hohe Dr. Horst Bartnitzky. auf das große Ganze und ließ sich Anerkennung verdient für die fach- nicht durch Hindernisse und Verzö- lichen Beiträge in Wissenschaft und Anmerkungen gerungen entmutigen. Trotz einiger Politik als Vertreter der Praxis und für 1) Der Kultusminister des Landes NRW: Richtlinien und Lehrpläne für die Grund- Hemmnisse arbeitete er von 1986 bis die entscheidende Mitgestaltung und schule in Nordrhein-Westfalen: Lehrplan 1994 kontinuierlich an der Struktur- Prägung der didaktischen Diskussion Sprache. Köln 1985, 21 f. reform. Regionalisierung und Demo- über die Grundschule in Deutschland 2) Horst Bartnitzky: Selbstständigkeit kratisierung gelangen genau wie die und das über Jahrzehnte. fördern – Irrwege und Innovationen ge- Namenserweiterung auf „Arbeitskreis genwärtiger Schulpraxis. In: Grundschule Grundschule – Der Grundschulver- aktuell, Heft 102 (2008), 9 ff. 10 GS aktuell SPEZIAL • Februar 2020
Vortrag von Horst Bartnitzky Inklusive Didaktik – haben wir längst! Aber damit haben wir noch keine inklusive Schule Inklusion braucht inklusive Didaktik. Sie ist für die schulische Inklusion „konstitutiv“. So das Diktum von Annedore Prengel bei der Benennung der 12 elementaren Bausteine für die Arbeit an der Inklusiven Grundschule (Prengel 2013, 47 f.). Muss nun eine Inklusive Didaktik neu entwickelt wer- den? Nein, sie ist zumindest für die Grundschule längst vorhanden – allge- mein wie fachbezogen. Seit den 1970er-Jahren haben kindersensible Grund- schulleute in Praxis und Wissenschaft daran gearbeitet, sie zu entwickeln. Übrigens in integrativen Schulen zusammen mit Lehrkräften der Sonder- schulen. D as wiederum ist kein Zufall. Differenzierung, Offener Unterricht, Denn wenn die Grundschule Inklusion (Bartnitzky 2019a). sich als eine für alle Kinder An dieser Stelle will ich am Beispiel gemeinsame Schule versteht, dann der Deutschdidaktik zeigen, dass in- bedeutet dies die Teilhabe aller Kin- klusive Didaktik auch fachbezogen der an Unterricht und Schulleben, längst vorliegt. Ich beziehe mich auf mithin: mein Buch „Sprachunterricht heute“. ●● erfolgreiches Lernen jedes Kindes Mit fünf konstitutiven Prinzipien mar- nach Maßgabe seiner individuellen kiere ich darin eine inklusive Deutsch- Dr. h. c. Horst Bartnitzky bei seinem Möglichkeiten, didaktik: Vortrag zur Preisverleihung ●● die Mitwirkung jedes Kindes am 1. Kompetenzentwicklung Anregungsgehalt des gemeinsamen 2. Situationsbezug Individuelle, eigenaktive Kompe- Lebens und Lernens. 3. Sozialbezug tenzentwicklung – diesem Grundsatz Liegen diese Prämissen sowohl der 4. Bedeutsamkeit der Inhalte gilt das erste Prinzip. allgemeinen Didaktik als auch den 5. Sprachbewusstheit fachbezogenen Didaktiken zugrunde, Lerntheoretische Grundierung ist das dann können sie gar nicht anders als Zum 1. Prinzip: konstruktivistische Lernverständ- inklusiv sein. Kompetenzentwicklung nis. Angelika Speck-Hamdan fasste es Wer die Entwicklung zur allge- vor zehn Jahren im Kursbuch Grund- meinen Inklusions-Didaktik seit den Jedes Kind ist auf seiner Stufe kom- schule so zusammen: „Die Vorstel- 1970er-Jahren verfolgen möchte, kann petent. Als aktiver Lerner nutzt und lungen über das Lernen haben sich das z. B. mit dem Band „Auf dem Weg erweitert es bei entsprechenden Anre- … in den vergangenen Jahren erheb- zur kinderorientierten Grundschule“ gungen und Herausforderungen seine lich verändert. Wir verstehen heute tun unter Stichwörtern wie Lernen, Kompetenzen. Lernen nicht mehr als passiven Pro- Inklusive Didaktik -‐ Beispiel Deutschunterricht Kompetenzentwicklung Situationsbezug „Wir verstehen heute Sozialbezug Lernen nicht mehr als Bedeutsamkeit der Inhalte passiven Prozess des Aufnehmens von Sprachbewusstheit Informationen …“ Horst Bartnitzky 22.11.2019 3 5 Horst Bartnitzky 22.11.2019 GS aktuell SPEZIAL • Februar 2020 11
Vortrag von Horst Bartnitzky zess des Aufnehmens von Informa- Unterrichtsent- tion, sondern als aktiven Prozess der wicklungen und „ … sondern als aktiven Prozess der Konstruktion von Erkenntnissen und zahlreiche wis- Konstruktion von Erkenntnissen Vorstellungen. Kinder verarbeiten die senschaftliche und Vorstellungen. Erfahrungen, die sie mit ihrer Umwelt Studien belegen Kinder verarbeiten die machen, auf der Basis ihrer psycho- seit den 1980er- Erfahrungen, die sie mit ihrer biologischen Möglichkeiten, auf der Jahren, dass und Umwelt machen, auf der Basis Basis ihres vorhandenen Wissens wie Kinder für ihrer psycho-‐biologischen Möglichkeiten, auf der Basis ihres und auf ihre individuell eigene Art ihren Weg in vorhandenen Wissens und auf ihre und Weise“ (Speck-Hamdan 2009, die Schrift Stra- individuelle eigene Art und Weise.“ 175). „Lernen als Selbstaneignung tegien erwerben Horst Bartnitzky 22.11.2019 6 der Welt“ nennt der Grundschulver- – von logografi- band dieses Lernverständnis in sei- schen über alphabetische zu orthogra- Neugier, Interessen mit. Daran muss nen Anforderungen an eine zukunfts- fischen Strategien. In einem schreib- angeknüpft werden, um sie für ihren fähige Grundschule (2019, 2). Der anregenden Unterricht kann Gemal- Weg in die Schrift aufzuschließen. Der reformpädagogische Volksmund fasst tes beschriftet, können Erlebnisse und eigene Name ist oft das Eingangstor. es in der Formel: „Kinder sind nicht persönlich Wichtiges aufgeschrieben Ein Ich-Blatt gestalten mit Foto, Na- Objekte der Belehrung, sondern Sub- werden. Dabei nutzen die Kinder die men, mit Gemaltem oder auch schon jekte ihres Lernens.“ Buchstabenschrift auf der Basis ihrer Geschriebenem, z. B. zum Lieblingses- bereits vorhandenen Kompetenzen. sen. Zu einem Bild einem schriftkun- Ein klassisches Beispiel für die indi- Mit didaktisch klugen Unterstützun- digen Kind oder der Lehrkraft Wörter, viduelle eigenaktive Kompetenzent- gen, durch Beispiele anderer Kinder einen Text diktieren. Ins Klassentage- wicklung ist der Schriftspracherwerb. entdecken sie weiterreichende Strate- buch über ein individuell bedeutsames Breit streuen zu Schulanfang die Ent- gien, verarbeiten sie intern und nut- Ereignis malen, dazu ein Wort oder wicklungsstände der Kinder. Sie rei- zen sie: Rein lautbezogene Verschrif- auch schon mehr schreiben. Schrift chen von Kindern ohne Vorerfahrun- tungen werden sukzessive mit ortho- und Schreiben erhalten eine Funktion gen mit Schrift bis zu Kindern, die grafischen Geregeltheiten überformt. im eigenen Leben. bereits schreiben und lesen, dazwi- Kinder mit wenig oder gar keinem schen alle denkbaren Entwicklungs- Bezug zur Buchstabenschrift brau- Der hier vertretene entwicklungsbe- stadien. Die didaktische Aufgabe ist chen zunächst und vor allem gute zogene Kompetenzbegriff steht aller- es nun, die Kinder mit den Möglich- Gründe, um sich überhaupt dauerhaft dings in Widerspruch zur offiziellen keiten der Schule anzuregen, ihre auf die Schwierigkeiten bei der Ent- Bildungspolitik: Hier gilt seit dem individuell vorhandenen Kompeten- deckung von Laut-Buchstaben-Bezie- PISA-Schock 2001 die Output-Steue- zen wirksam einzusetzen, durch neue hungen und der zunächst so müh- rung, fixiert auf die Erträge des schu- Erfahrungen zu erweitern und gege- samen Verschriftung einzulassen. lischen Unterrichts. Dabei spielen die benenfalls zu modifizieren. Sie bringen sprachliche Fähigkeiten, Kompetenzmodelle der internationa- len und nationalen Tests wie IGLU und VERA eine auch öffentlich sehr wahrgenommene Rolle, was wieder- um auf die Schulbücher, Arbeitshefte, Übungssoftware und damit auf den Unterricht einwirkt. Die Kompetenzmodelle zielen auf die Überprüfung von kognitiven und vor allem testfähigen Teilfähigkeiten. Sie werden in eine vermeintlich allge- meingültige Hierarchie von fünf Kom- petenzstufen gebracht, Bei der Lese- kompetenz stufen sie vom Einzelver- ständnis von Wörtern bis zum Prüfen und Bewerten von Inhalt und Spra- che. Zur Ermittlung der Lesekompe- tenz wird dazu ein Text verwendet, der von den Testmachern als altersstufen- gerecht eingeschätzt wurde (Bartnitzky 2019a, 503 ff.). 12 GS aktuell SPEZIAL • Februar 2020
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