NevipeNachrichten und Beiträge aus dem Rom e. V - 123rf Ltd - Rom eV
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Editorial Liebe LeserInnen! Der März neigt sich dem Ende zu. Der Frühling hat Einzug gehalten, wenigstens ein bisschen. Es ist viel in Bewegung im Rom e. V., trotz der vielen Arbeit und vieler Probleme. Das Thema dieser Ausgabe ist, ohne dass dies groß geplant impressum war, das Bild der Roma in der Öffentlichkeit. Der diskrimi- nierende Artikel im Kölner Express wurde vom Rom e. V. und Herausgeber: vom Flüchtlingsrat mit einem Offenen Brief beantwortet. Auf eine Reaktion der „schnellen Zeitung vom Rhein“ warten Verein zur Förderung der Roma in Köln e. V., wir bis heute. Auch Oberbürgermeisterin Reker bekam einen Venloer Wall 17, 50672 Köln Offenen Brief zum Thema. E-Mail: dokuzentrum@romev.de Tel.: 0221/242536 Wir halten es für entscheidend, das Bild der Roma in der www.romev.de Öffentlichkeit immer im Blick zu halten und Diskriminierung ISSN 1868-9795 und rassistische Ausfälle sofort aufzugreifen und anzupran- gern. Denn Ressentiments und Vorurteile sitzen tief und sind Die MitarbeiterInnen/ AutorInnen dieser im kollektiven Gedächtnis bis heute verwurzelt. Das zeigt Ausgabe: der Beitrag von Ulrich Opfermann sehr deutlich, in dem er berichtet, wie das Kevelaer Blatt heute mit den „Tagebuch- Ossi Helling, Heike Kleffner, eintragungen eines Landsers“ aus dem zweiten Weltkrieg Elisabeth Klesse, Dr. Ulrich Opfermann, verfährt. Karima Renes, Doris Schmitz, Ruzdija Sejdovic, Treten wir entschieden auf gegen Rassismus, Antiziganismus und Fremdenfeindlichkeit und nehmen wir auch Politike- ViSdP: Dr. Ulrich Opfermann, Doris Schmitz rInnen und Journalisten in die Pflicht, denn der Umgang der Politik mit den Flüchtlingen, ob sie respektiert und als Layout und Technik: Ali Tekin Menschen geachtet oder aber als Problemfälle behandelt Die Artikel geben jeweils die Meinung der werden, die sich eigentlich illegal im Land aufhalten, ist Autorin bzw. des Autoren wieder und nicht ganz entscheidend für das Ansehen der Geflüchteten in unbedingt diejenige der Redaktion. der Öffentlichkeit und auch für ihr Ansehen im kollektiven Gedächtnis. Nevipe ist Romanes und heißt: Neuheit, Neuigkeit. Doris Schmitz 1
Inhalt Editorial 1 Berichte aus dem Rom e. V. 3 Offener Brief an den Express 4 Offener Brief an Oberbürgermeisterin Reker 5 Zwei Leserbriefe zu den Offenen Briefen 6 Ossi Helling zu „Sichere“ Herkunftsländer 6 Aus Köln Presseerklärung der Stadt zur Seenotrettung 7 Heike Kleffner: Brennender Hass 8 Aus dem In- und Ausland Kevelaer Blatt 2019 Landser-Erlebnisse mit „Zigeunern“ usw. 1945 9 Berlin Eröffnung von Romarchive 11 Tschechien Zum Tod von Vera Bila 14 Österreich Preisverleihung in Wien 15 Rezensionen von Ulrich Opfermann Kurt Holl - Autobiographisches Portrait eines 68ers 19 Walter Wuttke, Familie Eckstein. Lebensschicksale einer Musiker-Sinti-Familie 20 Veranstaltungshinweise 21 2 Nevipe - Nachrichten und Beiträge aus dem Rom e. V. - 01/2019
Berichte aus dem Rom e. V. Die Bleiberechtskampagne läuft nun seit län- gerem. Die Arbeit am Einzelfall ist mühsam und wenig spektakulär. Daher haben wir uns entschlossen, in dieser Ausgabe das The- ma nicht ausführlich aufzugreifen. Wir wol- len vielmehr die Familien und ihre BeraterIn- nen in Ruhe arbeiten lassen. Es gibt einiges zu bedenken, die Familien vor allem müssen viele Entscheidungen treffen, und wie bei al- len Antrags- und Beratungsangelegenheiten gilt es natürlich auch Wartezeiten zu über- stehen. Mit RomBuK, unserem Archiv- und Doku- mentationszentrum, können wir endlich op- timistisch in die Zukunft blicken. Wir haben die beiden offenen Stellen ausgeschrieben, überraschend viele BewerberInnen haben sich gemeldet. Auch hier wartet eine Menge Arbeit, und auch wir müssen viele Entschei- dungen treffen. Am Horizont wird endlich der Schulcontainer sichtbar, auf den wir schon so lange warten. Der Platz ist vorbereitet, alle Bäume bleiben stehen. Wenn der Container aufgestellt ist, können wir in Amaro Kher doppelt so viele SchülerInnen aufnehmen wie in den letzten Jahren. Das Foto zeigt den vorbereiteten Platz für den neuen Schulcontainer. Die dort fast zusammengefallene letzte Endlich bekommen wir auch die lange schon Baracke der „Schweizer Spende“ (wir berichteten) aus der Kriegs- und Nachkriegszeit in Köln wurde inzwischen beantragten, dringend nötigen Besuchertoi- abgerissen. letten. Was lange währt, wird endlich gut! Spendenkonto: Verein zur Förderung der Roma in Köln e.V. IBAN DE29 3705 0198 0010 4426 22 3
Wir drucken hier die beiden Offenen Briefe ab, die den diskriminierenden und ungerechten Umgang mit den Roma- Flüchtlingen durch die Kölner Presse und durch die Behörden beklagen. Deutlich wird, wie sehr die „Einrichtung“ der sicheren Herkunftsländer an der Lebensrealität der Roma in „ihren“ Ländern vorbeigeht und wie sehr sie die Presse dazu verführt, den Populismus zu bedienen. Offener Brief an die Chefredaktion des Kölner Express: Flüchtlinge sind keine „Winterurlauber“ In der vergangenen Woche erschien in der Kölner 3. Die Fluchtbewegungen aus diesen Ländern Zeitung „Express“ ein Artikel mit der Überschrift: hängen zudem mit dem Erstarken nationa- 2700 „Winterflüchtlinge“ vom Balkan. „Urlauber“- listischer und rechtsextremer Kräfte in meh- Ansturm auf die Notunterkünfte Kölns“. reren Balkanstaaten zusammen. Das betrifft Albanien und Kosovo, wie aber auch Serbi- Im Artikel selber wird unter der Zwischen-Über- en und Mazedonien, hier auch unter dem Ein- schrift: „Ein Insider packt aus“ mit dem Vorspann: druck der Vorbereitung der EU-Mitglied- „Ein Mitarbeiter in der Flüchtlingshilfe berichtet EX- schaft, die in diesen Ländern höchst umstrit- PRESS:“ wie folgt zitiert: „ Die Leute freuen sich, ten ist. dass sie im Gegensatz zu ihrer Heimat über die Win- termonate ein warmes, sauberes Heim, gute Ver- 4. Uns liegen keinerlei Informationen der Köl- pflegung und medizinische Versorgung haben. Für ner Polizei vor, die von einem Zusammenhang sie ist das quasi wie ein traumhafter Urlaub. Deswe- von Anstieg der Flüchtlingszahlen und einem gen kommen viele jedes Jahr mit ihrer Familie nach entsprechenden Anstieg der Taschendieb- Köln. Sie mögen es hier“. Weiter wird der anonyme stähle zur Weihnachtszeit ausgehen. Mitarbeiter der Flüchtlingshilfe indirekt zitiert, dass „Langfinger“ mitanreisen würden, um an Weihnach- 5. Hier von Winterflüchtlingen, Urlaubern und ten und Karneval reichlich Beute zu machen. Langfingern, bezogen auf alle 2.000 Flücht- linge zu reden, stellt eine unzulässige Grup- Dazu erklären der Vorstand des Rom e.V. und der pendiskriminierung aller neu angekommenen Kölner Flüchtlingsrat e.V.: Flüchtlinge dar, die – gewollt oder ungewollt – in Teilen der Leserschaft Intoleranz und 1. Die einzige halbwegs korrekte Angabe im Ar- Hass fördert. tikel ist die Zahl der 2700 „Winterflüchtlinge“: Im gesamten Jahr 2018 sind 3.200 Menschen 6. Wir sind sicher, dass sich alle ehrenamtlichen unerlaubt eingereist. In den Monaten Okto- „Mitarbeiter in der Flüchtlingshilfe“ mit größ- ber bis Dezember 2018 waren es 2.000. Ein- ter Empörung von den Äußerungen des „An- zigartig hoch ist das nicht, weil in den Jahren onymus“ distanzieren. Wir sind ebenso si- 2015 und 2016 jeweils ca. 4.000 Menschen cher, dass bei allen professionellen „Mitarbei- unerlaubt einreisten. tern in der Flüchtlingshilfe“, die bei der Stadt, den Wohlfahrtsverbänden oder freien Trä- 2. Dass vom Balkan viele „unerlaubt einrei- gern angesiedelt sind, größtes Unverständnis sen“ hängt mit der Tatsache zusammen, dass über diese Äußerungen eines möglichen Kol- durch politischen Mehrheitsbeschluss entge- legen herrscht. gen den Erkenntnissen des UNHCR und an- derer die Staaten Ex-Jugoslawiens als soge- Wir appellieren an die Chefredaktion des Kölner Ex- nannte „sichere Herkunftsstaaten” definiert press, in Zukunft solche gruppendiskriminierenden wurden, in denen angeblich keine systema- Äußerungen gegenüber einzelnen Flüchtlingsgrup- tische Diskriminierung und Entrechtung von pen in Köln zu verhindern nationalen Minderheiten existiert. Entspre- chend wurde das Asylverfahren für Antrag- Köln, den 05.02.2019 steller dieser Länder so „gestrafft“, dass Aner- kennungsquoten von weit unter 10% erzielt wurden. Verfolgten und entrechteten Men- Vorstand des Rom e.V. Kölner Flüchtlingsrat e.V. schen aus den Westbalkanstaaten bleibt so nur noch der Ausweg über die Meldung als i.A. Ossi Helling gez. Claus-Ulrich Prölß „unerlaubt Eingereiste“ und die Angabe von Duldungsgründen außerhalb des Asylverfah- rens. 4 Nevipe - Nachrichten und Beiträge aus dem Rom e. V. - 01/2019
Offener Brief an Frau Oberbürgermeisterin Henriette Reker Unerlaubt eingereiste Personen in Köln: Köln, den 05.02.2019 ten Asylverfahren für Bewerber aus den „sicheren Herkunftsstaaten“ sichert diese niedrige Quote zu- Sehr geehrte Frau Oberbürgermeisterin Reker, sätzlich ab. Die Folge ist die Ablehnung des Asyl- antrages als „offensichtlich unbegründet“. Effektive seit September/Oktober 2018 stiegen in Köln die Rechtschutzmöglichkeiten mit aufschiebender Wir- Zugangszahlen von Personen aus dem ehem. Jugo- kung sind dann in den meisten Fällen nicht mehr ge- slawien, vor allem aus Mazedonien und Serbien, die geben. Im Übrigen müssen Asylantragsteller aus „si- sich hier bei der Ausländerbehörde meldeten und cheren“ Herkunftsländern in der Regel bis zu ihrer um Hilfe, Schutz und Unterkunft ersuchten. Bei die- Ausreise oder Abschiebung in Landesunterkünften sen Personen handelte sich in der Regel um Famili- leben, wo aufgrund der gesetzlichen Vorschriften ei- en mit minderjährigen oder volljährigen Kindern und ne Integration – auch der Kinder -untersagt ist. überwiegend um Angehörige der Roma. Nach un- seren Beobachtungen leiden viele von ihnen, insbe- Die meisten Menschen aus den Westbalkanstaa- sondere auch Kinder, an z.T. schwerwiegenden Er- ten wissen das. Sie wissen auch, dass ihre Ausrei- krankungen körperlicher und/oder psychischer Art. segründe unter den gegebenen gesetzlichen Rah- menbedingungen aufgrund „nur“ erlittener Diskri- Die Personen werden registriert, erkennungsdienst- minierung, Stigmatisierung oder Bedrohung und der lich behandelt und erhalten eine Anhörung nach § mangelnden Zugänge zu Arbeit, Bildung, Wohnun- 28 VwVfG NRW, im Rahmen derer sie zu den Ein- gen und zum Gesundheitssystem nicht asylrelevant reisegründen befragt werden. Die Ausländerbehör- sind. de entscheidet dann, ob sie zur Landeserstaufnah- me (LEA) nach Bochum geschickt werden, um dort Dass viele der in Köln bei der Ausländerbehör- das Asylverfahren einzuleiten, oder bei der Bezirks- de vorsprechenden Personen auf das Asylverfah- regierung Arnsberg zur bundesweiten Verteilung ren verwiesen worden sind, lässt für uns vermuten, nach § 15a AufenthG angemeldet werden. dass im Rahmen der Gesprächsführung während oder nach der ausländerbehördlichen Anhörung ge- Die Pflicht zur Asylantragstellung gibt es jedoch zielt darauf verwiesen wurde, um die Personen zur nicht. Ausreise aus Köln zu bewegen. Offenbar gerät dabei Uns erfüllt mit großer Sorge, dass auch die Erfassung von individuellen Gründen, die einer Ausreise entgegenstehen könnten, etwas „un- 1. offenbar ein Teil der Personen auf das Asylver- ter die Räder“. fahren verwiesen worden ist und Zu 2. 2. viele weitere Personen enormen Ausreisedruck durch Erteilung einer Grenzübertrittsbescheini- Auch beim hier entstandenen Ausreisedruck drängt gung (GÜB) und der angedrohten Verweigerung sich der Eindruck auf, dass der Aufenthalt der Per- von Unterbringung und Sozialleistungen ausge- sonen in Köln so kurz wie möglich gehalten werden setzt worden sind. Nach unserer Kenntnis hat soll. Unseres Erachtens wird dies den Menschen die Ausländerbehörde in zahlreichen Fällen auf- und ihren Einzelschicksalen oft nicht gerecht und enthaltsbeendende Maßnahmen durchgeführt verstößt sowohl gegen grundlegende humanitäre und mehrere Personen in ihre Herkunftsländer Standards als auch der bisher geübten Verwaltungs- abgeschoben. praxis in unserer Stadt. Die Quote der Grenzüber- trittsbescheinigungen war bisher noch nie so hoch. Zu 1. Sehr geehrte Frau Oberbürgermeisterin, wir bitten Sie dafür Sorge zu tragen, dass Viele Personen soll auf das Asylverfahren verwiesen worden sein. Durch das politisch gewollte Konstrukt »» der Personenkreis in zeitlicher Nähe zur aus- der Einstufung der Westbalkanländer als angeblich länderbehördlichen Anhörung – aber auch „sichere Herkunftsländer“ ist das Asylverfahren für nach ihr -ausreichend Gelegenheit hat, unab- Angehörige dieser Staaten jedoch vollkommen aus- hängige Flüchtlingsberatungsstellen aufzusu- sichtslos: Durch politisch gesteuerte Verfahrensre- chen, um sich rechtlich beraten und ihre Be- gelungen liegt die Anerkennungsquote deutlich un- dürfnisse, z.B. im Rahmen der Gesundheits- ter 10%. Das politisch beschlossene beschleunig- versorgung, prüfen zu lassen. Gerade auch in 5
geeigneten Fällen sollte die Ausländerbehörde Asylpolitik gezielt auf die Angebote der Beratungsstellen verweisen; Bundesinnenministerium und zweifel- besonders schutzbedürftige Personengruppen, ins- hafte Infos über „sichere Herkunfts- besondere aber Kinder, körperlich oder psychisch staaten“ kranke, behinderte oder ältere Menschen, Allein- erziehende oder Schwangere, die Möglichkeit er- Im Oktober 2018 stellte die Bundestagsabgeordne- halten, entsprechende Nachweise über das Vorlie- te Filiz Polat (Grüne) eine schriftliche Anfrage an das gen möglicher inländischer Vollstreckungshindernis- Bundesinnenministerium. Sie nimmt Bezug auf den se tatsächlich auch erbringen zu können. Dies setzt „Ersten Bericht zu der Überprüfung der Vorausset- nicht nur die Beratung durch eine unabhängige Bera- zungen zur Einstufung der „sicheren Herkunftsstaa- tungsstelle voraus, sondern auch die für die Erbrin- ten“ vom Dezember 2017. gung dieser Nachweise erforderliche Zeit. In diesem Bericht werden schwere Vorwürfe gegen Mit freundlichen Grüßen Roma-Eltern in den Balkan Staaten erhoben: Sie seien schuld an den schlechten Schulerfolgen ih- rer Kinder, da sie nicht auf die Schulpflicht ihrer Kin- gez. Ossi Helling gez. Claus-Ulrich Prölß der achten würden. (Nach den Zahlen des Berich- Rom e.V. Kölner Flüchtlingsrat e.V. tes besuchen nur 61% der Roma-Kinder eine Grund- schule und nur 17 % besuchen eine Sekundarschule). Und sie würden ihre Kinder zum Betteln auf Stra- ßenkreuzungen, vor Restaurants und andernorts zwingen. Und bettelnde Frauen würden Kleinkin- Reaktionen auf die Offenen Briefe der bis zu drei Jahren auf dem Arm durch Bars und Schnellimbisse tragen. Die Grüne Abgeordnete fragt daraufhin das Innen- Danke, dass ihr die Briefe geschrieben habt. ministerium, auf welche Quellen sich der Bericht aus Sie finden meine volle Zustimmung. den Herkunftsländern stützt. Und sie fragt, wie die bettelnden Menschen mit Ihren Kindern auf dem Gruß Arm definitiv als „Roma“ identifiziert werden konn- ten. Peter Bach Wir zitieren hier die vollständige Antwort des Bun- desministeriums des Inneren, für Bau und Heimat“ vom 02.11.2018: „Im ersten Bericht zur Überprüfung der Voraussetzun- Liebe Leute von Rom e.V., gen zur Einstufung der in Anlage II zum Asylgesetz be- zeichneten sicheren Herkunftsstaaten werden insbe- als nicht express -Leser wäre mir der o.a Artikel ent- sondere die Entwicklung der gesellschaftlichen und gangen. Rassismus und Faschismus spielen sich schon politischen Verhältnisse, die rechtliche Lage und die tat- seit Jahren nicht mehr nur an den Rändern, in alten sächliche Rechtsanwendung in den sicheren Herkunfts- Nazistrukturen(z. B. Burschenschaftlern) ab, sondern staaten anhand von entsprechenden Lagebewertungen sind wieder salonfähig in Europa und auch Deutsch- und Lageberichten dargestellt. land. Im übrigen auch in Köln handelt es sich nur um eine Scheinliberalität, die Diskussionen um die Ehren- Die in der Frage zitierten Passagen zum Schulbesuch felder Moschee haben hier viele Beispiele geliefert. von Kindern der Roma-Minderheit in der ehemaligen ju- Machen Sie weiter so engagiert, Kurt Holl, den ich goslawischen Republik Mazedonien basieren auf Anga- selbst seit den 70iger Jahren kenne, würde dies gefal- ben der gemeinnützigen mazedonischen Organisation len. ‚Center for Social Initiatives – NADEZ. ‘ aus Bonn solidarische Grüße Angaben zu bettelnden Kindern beziehen sich auf ei- ne Studie der Deutschen Gesellschaft für Internationa- Detlev Knocke le Zusammenarbeit des Bundesministeriums für Wirt- schaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung aus dem 6 Nevipe - Nachrichten und Beiträge aus dem Rom e. V. - 01/2019
Jahre 2011 ( siehe dort auf S.29 :‘Poverty assessment Aus Köln and mapping of vulnerable groups, with sprecial focus on Human Trafficking‘ Presseerklärung Wie im Bericht dargelegt, werden Erkenntnisse dieser der Stadt zur Seenotrettung Studie im täglichen Straßenbild bestätigt, aus dem nach 14.02.2019 – 125 den Gesamtumständen vor Ort (Sprache jener Perso- nen, traditionelle Kleidung von Frauen) die Schlussfolge- rung gezogen werden kann, dass die betroffenen Perso- Seenotrettung: Stadt erneuert Bereitschaft, Ge- nen Angehörige der Volksgruppe der Roma sind, wobei flüchtete aufzunehmen nicht auszuschließen ist, dass es sich im Einzelfall auch Rat beschließt gemeinsamen Antrag von SPD, CDU, um Angehörige anderer Volksgruppen handelt, da die Grüne, Linke, BUNT und GUT Schlussfolgerung auf allgemeinen Beobachtungen be- ruht.“ Die Stadt Köln erneuert ihre Bereitschaft, aus See- not gerettete Geflüchtete im Mittelmeer aufzuneh- Zu den „Quellenangaben“ des Bundesministeriums men. Der Rat der Stadt Köln hat in seiner heutigen haben wir folgende Anmerkungen: Sitzung einen gemeinsamen Antrag der Fraktionen SPD, CDU, Bündnis90/Die Grünen, LINKE und der 1. die tendenziöse Absicht, den Eltern Verant- Ratsgruppen BUNT und GUT beschlossen. wortung für schlechte Bildungserfolge der Kin- der zuzuschanzen, ist offensichtlich. Zugrun- de gelegt wird als Quelle eine einzige NGO, Im Einzelnen hat der Rat beschlossen, dass: nämlich NADEZ. Dazu folgende Infos: In kei- nem der öffentlichen Aufrufe von NADEZ gibt - er die Unterstützung für die Initiative von es eine Schuldzuweisung auf die Eltern, son- Oberbürgermeisterin Reker zusammen mit dern stattdessen wird die allgemeine gesell- den Oberbürgermeistern der Städte Düssel- dorf und Bonn vom Sommer 2018 bekräftigt, schaftliche Diskriminierung der Roma betont. mit der angeboten wurde, in Not geratene Im Übrigen wurde NADEZ 1997 von der Ca- Flüchtlinge aufzunehmen, ritas im Erzbistum Essen maßgeblich mitge- gründet im Rahmen eines Roma Rückkehrpro- - soweit möglich und nötig, Personengruppen gramms. Für ein aktuelles, neues Rückkehr- aus Seenot Geretteter aufgenommen wer- projekt bekommt NADEZ unmittelbar Gelder den, der Deutschen Botschaft in Mazedonien. - NRW-Minister Dr. Joachim Stamp gebeten wird, sich bei der Bundesregierung für die 2. Die GIZ ist in den letzten Jahren verstärkt Aufnahme von aus Seenot geretteter Flücht- an die Interessen des Entwicklungsministe- linge (zum Beispiel von Sea-Watch 3) einzu- riums angebunden worden. Die „GIZ-Stu- setzen. Dies im Besonderen in den Kommu- die“ bezieht sich zudem auf das Jahr 2011 nen, die sich dazu bereit erklärt haben, - er an die Bundesregierung appelliert, sich 3. Die Passage zum „Wiedererkennungswert“ weiterhin für die Bekämpfung der Fluchtur- von bettelnden Roma-Frauen im Straßen- sachen einzusetzen, insbesondere für eine bild spricht für sich Selbst. Sie ist ein Doku- gerechtere und effektivere Wirtschafts- und ment unseriöser Gruppenzuschreibungen. Entwicklungszusammenarbeit, Die kritische Öffentlichkeit sollte sich in Zukunft ge- - er die Bundesregierung auffordert, zügig eine politische Lösung bezüglich der Ausweitung nauer mit allen Angaben der Bundesregierung zur Si- der Seenotrettung im Mittelmeer und der tuation in den sicheren Herkunftsländern beschäfti- Aufnahme von aus Seenot geretteten Flücht- gen. Diese Berichte müssen öffentlicher verhandelt lingen auf europäischer Ebene, zum Beispiel werden. Zumal inzwischen das Konstrukt der „si- durch eine Neuauflage des „Relocation“-Pro- cheren Herkunftsstaaten “ein Baustein permanenter gramms mit deutlich verringerten Aufnahme- Asylrechtsverschärfungen ist. hürden, herbeizuführen, - er das NRW-Flüchtlingsministerium und das Ossi Helling Bundesinnenministerium bittet, die Möglich- keiten der Aufenthaltsgewährung nach § 23 Absatz 1 bzw. Absatz 2 AufenthG für den Personenkreis der Seenotgeretteten zu nut- zen und auszuschöpfen. In den vergangenen 20 Jahren seien viele Tausend 7
Menschen bei ihrer Flucht über das Mittelmeer ge- Gewalt gegen Roma: storben, heißt es in der Begründung des gemeinsa- men Antrags. Nach IOM-Angaben seien allein 2018 insgesamt 2.241 Opfer dokumentiert. Die Dunkel- Brennender Hass ziffer dürfte noch wesentlich höher sein, heißt es weiter. Zehn Prozent markierten bei Jasminka die Grenze zwischen Leben und Tod. Das Mädchen war elf Jah- Die Regelungen der Europäischen Menschenrechts- re alt, 1,40 Meter klein und wog knapp 50 Kilo, als konvention, unter anderem auch Artikel 3 EMRK zehn Prozent ihrer Haut verbrannten und ihre Lunge (Verbot der Folter oder unmenschlicher oder ernied- rigender Strafe oder Behandlung) sowie das Verbot kollabierte. der Ausweisung oder Zurückweisung politisch Ver- folgter (Art. 33 Genfer Flüchtlingskonvention) wür- Kurz nach zwei Uhr morgens am 26. Januar 1994 den auch im Mittelmeer gelten. hatten bis heute unbekannte Täter mindestens drei Feuer vor der Tür dort untergebrachter Roma- Die EU-Staaten (und auch Schiffe) seien verpflichtet, Kriegsflüchtlinge gelegt: Zunächst brannten dort ge- diese Regelungen einzuhalten und umzusetzen. Es lagerte Sperrholzplatten, eine schwarze Ledercouch sollten seitens der EU und damit auch Deutschlands dementsprechende Anstrengungen unternommen und ein Kleiderschrank. Dann sprangen die Flam- werden, Menschen aus Seenot zu retten. Das Recht men auf andere Möbel über. Jasminka, die gerade auf Leben gehe allem anderen vor, heißt es weiter. bei Verwandten übernachtete, wachte von der Hit- ze und dem Rauch auf. Schlaftrunken lief sie mit ih- Die faktische Verschiebung der europäischen Gren- rer Großtante Raina, 61, ihrer Tante und ihrer zwei- zen nach Nord- beziehungsweise Westafrika und jährigen Cousine Sanela durch den brennenden Flur in die Subsahara und das Paktieren mit instabilen oder korrupten Staaten begünstigten weitere Men- ins Treppenhaus. Die Feuerwehr fand laut Einsatz- schenrechtsverletzungen und auch Machenschaften protokoll drei verletzte Personen vor dem Haus und von Schlepperbanden. „Wer Schleppern wirklich das in den Fenstern „nach vorne und nach hinten schrei- Handwerk legen will, muss in diesen Ländern De- ende Hausbewohner, die aus den Fenstern springen mokratie und soziale Gerechtigkeit stärken und vor wollten“. 1 allem für sichere Fluchtwege sorgen“, betonen die Fraktionen. Die Rettungskräfte brachten sieben Personen mit Brandverletzungen dritten Grades in die umliegen- Die geretteten Menschen müssten auf die EU-Staa- ten gerecht verteilt werden. Eine solche Verteilung den Krankenhäuser, sie alle gehörten der Minder- finde gegenwärtig nicht statt. Nach „BMI“-Angaben heit der Roma an. Auch Jasminka und ihre Großtan- seien im vergangenen Jahr lediglich 115 aus Seenot te Raina waren unter den Verletzten. Wenige Tage gerettete Menschen in Deutschland aufgenommen später, am 31. Januar 1994, wurde Jasminka in ei- worden. nem auf Brandverletzungen spezialisierten Kran- kenhaus in Köln zwölf Jahre alt. Der Sauerstoff ei- ner Beatmungsmaschine hielt sie da noch am Leben, -wot- die Schmerzmittel machten sie apathisch und verhin- derten, dass sie sich die sterile Gaze vom Körper riss, mit der sie umhüllt war. Den Ärzten gelang es von Tag zu Tag schlechter, die Fieberschübe zu senken, die ihren kleinen Körper schüttelten. Familie floh vor Roma-Verfolgung in Jugoslawien An Jasminkas Bett sitzt ihr Vater Dragan J., der in der Brandnacht Verwandte in einer anderen Flücht- lingsunterkunft besucht hatte. Als er zum brennen- den Haus kam, konnte er nur noch mit ansehen, wie sein Bruder und sein Vater sich an Bettlaken aus dem zweiten Stock abseilten. Sechs Wochen lang sitzt er täglich am Bett seiner Tochter. Eigentlich wollte er sie vor dem Bürgerkrieg im zerfallenden Jugoslawien retten, vor den Pogromen gegen die als Verräter und Kollaborateure gebrandmarkten serbischen Roma. Er kann die Hände und die Haare seiner Tochter nicht mehr streicheln, ihre Augen nicht mehr berüh- 1 Der Brandanschlag ereignete sich in einer Kölner Unterkunft. 8 Nevipe - Nachrichten und Beiträge aus dem Rom e. V. - 01/2019
ren. Die Ärzte tragen Zentimeter um Zentimeter der en geblieben, wären wir wenigstens zusammen ge- schwarz verbrannten Haut ab, weben darüber un- storben“, sagt Dragan J. Der große Mann, der längst verletzte Haut vom Oberschenkel. Bei der zweijäh- in der deutschen Sprache zu Hause ist, kämpft mit rigen Sanela gelingt die Rettung. Jasminka hatte in den Tränen. Jahrelang konnte und wollte er außer- ihrer Panik aber so viel Rauch und Ruß eingeatmet, halb des engen Familienkreises nicht über den Tod dass ihre feinen Lungenhärchen verbrannten. Die seiner Tochter reden. Warum er jetzt spricht? „Die Beatmungsmaschine hält sie bis zum 12. März 1994 Leute vergessen, wie groß der Hass war, als wir En- am Leben. Dann stirbt sie, kurz nach ihrer Großtan- de 1993 in Deutschland ankamen. Genau diesen te Raina, die die Ärzte ebenfalls nicht mehr retten Hass erkenne ich jetzt wieder, wenn ich im Fernse- können. hen die Berichte über Brandanschläge auf Flücht- lingsheime und die Angriffe auf Ausländer sehe.“ Wären wir in Serbien geblieben, wären wir wenigstens zusammen gestorben. Heike Kleffner -Dragan J., Vater eines Todesopfers Heike Kleffner ist freie Journalistin und an dem Lang- Über dem Esstisch ihres Vaters hängt seit zwei Jahr- zeitrechercheprojekt Todesopfer rechter Gewalt seit zehnten ein letztes Foto des Mädchens, aufgenom- dessen Erstveröffentlichung im September 2000 be- men vor der Flucht im Sommer 1993. Darauf lehnt teiligt. Seit April 2018 arbeitet sie auch als Geschäfts- Jasminka ihren Kopf an die Schulter des Großvaters, führerin des Bundesverbandes der Beratungsstellen für unter einer hellbraunen Ponyfrisur schauen neugie- Opfer rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt rige blaue Augen in die Kamera. „Wären wir in Serbi- (VBRG). Landser-Erlebnisse mit „Zigeunern“ usw. 1945. Im Kevelaer Blatt 2019 „Zeitzeugen“ gelten im volkstümli- gegnete ihnen verständlicherweise chen Geschichtsverständnis als In- die örtliche Bevölkerung durchweg haber der geschichtlichen Wahrheit. unfreundlich. Das fand der Landser Sie hätten ja alles „selbst erlebt“! nicht gut. Sein Ansatz bei der Be- Nun ja, recht häufig machten und schreibung dieser unangenehmen machen sie sich keinen großen Kopf, Nichtdeutschen ist einfach: Er hat sind schnell bei der Hand mit ihren es mit „dem Amerikaner“, „dem Rus- allgemeinen Überzeugungen. Des- sen“ usw. zu tun. Für diesen Pau- halb nennen die quellenkritischen schalansatz – große Menschengrup- Fachleute für Vergangenheitsfragen pen als geschlossene „Fremdvölker“ sie gern die „Feinde der Historiker“. über einen Kamm zu scheren und Was nicht heißt, dass Auskünfte der ihnen kollektiv allerlei Eigenschaften „Zeitzeugen“ nicht interessant seien. aufzusetzen – gibt es einen Fach- Sie sind es: als Selbstauskünfte. Die begriff: „Rassismus“. Diese ziemlich Zeugen sagen, was sie denken. Da ist primitive, aber nach wie vor nicht auch was wert. unpopuläre Sichtweise durchzieht das Tagebuch von vorne bis hinten. Um auf einen konkreten Fall von Zeitzeugenschaft zu kommen. Eine kleine Zeitung aus einem bekann- Nein, „von den Sachen mit den Juden und so“, wie ten Wallfahrtsort am Niederrhein, das Kevelaer es später heißen würde, ist nicht die Rede. Blatt („Kävels Bläche“, ältestes regionales Lokalblatt), publizierte in den vergangenen Wochen die Tage- Dass ganze Bevölkerungsgruppen als „minderwer- buchnotizen eines Kevelaer Soldaten in der Endpha- tig“ und „schädlich“ zu Vernichtungsobjekten wur- se des Weltkriegs in Osteuropa und aus dessen so- den, war eher selten ein Gegenstand offener Kom- wjetischer Kriegsgefangenenschaft von fünf Mona- munikation, jedoch, wie die Forschung herausfand, ten. in der deutschen Volksgemeinschaft nicht unbe- kannt. Es lief als gesichertes Wissen (insbesondere Dort, wo die uniformierten Volksgenossen sich im einer großen Zahl von Landsern), als feste Überzeu- weiten europäischen Raum damals aufhielten, be- gung und in der Gestalt der Angst vor großer Strafe 9
in der Volksgemeinschaft um. Vielfältig fand es sei- in diesem Fall: die auf verbreiteten Klischees ruhen- nen Weg aus den Vernichtungs-KZs, von den Mord- de ns-staatliche Begründung der Verfolgung von Ju- orten der Einsatzgruppen und aus den der Tötung den, „Russen“ und „Zigeunern“, und zwar in offensi- dienenden Kriegsgefangenenlagern in den besetz- ver Umkehr der Verantwortung durch den Landser ten sowjetischen Gebieten ins Reich. Die drei größ- und ohne das geringste Zeichen einer Distanz der ten Opfergruppen waren mit einer zweistelligen Mil- Zeitung. Nichts gegen einen Abdruck, aber bitte in lionenzahl „Russen“, Juden und „Zigeuner“. einem Schulbuch, als Schulbeispiel für Populärrassis- mus. Da könnte das „Zeitdokument“, wie die Zeitung Dem Autor des Tagebuchs fielen diese drei Bevölke- meint, dann überzeugen. Sie meint auch, die von ih- rungsgruppen während seines Aufenthalts in Osteu- rem Tagebuchschreiber berichteten schändlichen ropa auf: Verhaltensweisen seien „plausibel“, und Einspruch müsse konkret belegt werden. Schon mal was von In der Auflösungsphase der Wehrmacht begegne- antisemitischen, antiziganistischen und antirussi- te er „plötzlich sehr zahlreichen Juden“. Die hätten schen Klischees gehört? Die sind es, die hier kom- „ein gutes Geschäft“ gewittert und bedauernswer- mentarlos weitergereicht wurden. te deutsche Soldaten mit widerlichem „Gefeilsche“ und tatsächlich „in gebrochenem“ statt fliessendem Ja, es gibt katholische Pfarrer, die durch pädophile Deutsch beim Eintausch der verbliebenen Habe das Übergriffe auffallen. Und es gibt das unsinnige Kli- Letzte genommen. „Ostjuden“ offenbar. Typisch „der schee, das die eben alle so sind. Sollte man also von Jude“, deutsche Landser: dessen Opfer. „dem“ katholischen Pfarrer so sprechen und sch- reiben dürfen, wenn da mal wieder einer bekannt In dieser Leidenszeit des „Deutschtums“ seien auf wird? Das Kevelaer Blatt dürfte sich hüten. quasi deutschem Siedlerboden nun „Zigeuner“ an- gesiedelt worden. Die hätten „von Arbeit keine Ah- Und sollte sich zurückgehalten haben, wenn es um nung“ gehabt, weshalb die schöne deutsche Land- die drei hier angesprochenen Gruppen und um die wirtschaft in kurzer Frist „verödet und verwildert“ Verbreitung von Landser-Plausibilitäten geht. Dar- sei. Typisch „der Zigeuner“, „Deutschtum“ dessen um, dass das in der Zukunft besser wird, kümmert Opfer. sich inzwischen, was nun „Zigeuner“ angeht, deren Selbstvertretung. Die Landser seien brutal beraubt worden: von „Rus- sen“, „mit vorgehaltener Pistole“. Ansonsten seien die Ulrich F. Opfermann „Russen“ „Tag und Nacht „besoffen“ gewesen. Ihre Beute hätten sie gegen „Schnaps und Wein“ einge- tauscht. Typisch „der Russe“, deutsche Landser des- sen Opfer. Bei wem eingetauscht? Siehe oben, Juden als die Profiteure. Hier schließt sich der gedankliche Kreis einer volks- gemeinschaftlichen Ideenwelt. Drei Feind- und Schädlingsgruppen aus der Blütezeit des gesunden Volksempfindens in klassischer Kombination. Die „jü- dischen Bolschewisten“ aus dem Stürmer dabei asso- ziativ ganz in der Nähe. Im Kontrastbild dazu Landser und Siedler als hochkulturelle Lichtgestalten. Aber mit Antisemitismus, Antiziganismus und aggressiver Russophobie habe das alles nichts zu tun? Damals nicht und heute nicht, wenn man das so in die Zei- tung setzt? Was das Damals angeht: Der Autor war ein junger Mann, der halt nachplapperte, was andere, oft älte- re, vorplapperten und was die staatliche Propanda in alle Winkel verbreitete. Er war offenkundig ein jun- ger Antisemit wie viele seiner und der älteren Gene- ration. Heute gibt es diese Vorstellungswelt zwar in man- chem Kopf immer noch, aber wer möchte das in der Zeitung lesen? Dort jedoch steht dieser ganze Unrat 10 Nevipe - Nachrichten und Beiträge aus dem Rom e. V. - 01/2019
RomArchive: Selbstrepräsentation, die ein weltweites Netzwerk von Kulturschaffenden, Wissenschaftler_innen und Aktivist_innen bilden. Emanzipation, Dekolonialisierung Die Archiv-Website ist dreisprachig – Deutsch, Eng- Seit Januar 2019 ist RomArchive online, das digita- lisch und Romanes – und ermöglicht über Bilder und le Archiv der Sinti und Roma. Von der Kulturstiftung Geschichten einen lebendigen Einstieg in eine inten- des Bundes von 2015 bis 2019 mit insgesamt 3,75 sive Beschäftigung mit den Themen. Millionen Euro gefördert hat RomArchive das Ziel, die Künste und Kulturen der Sinti und Roma sichtbar Die auf ständigen Zuwachs angelegte Sammlung des zu machen und ihren Beitrag zur europäischen Kul- Archivs spiegelt exemplarisch die enorme Bandbreite turgeschichte zu veranschaulichen. Vom 24. bis 27. und Diversität von kulturellen Identitäten und natio- Januar 2019 fand anlässlich des Launchs der Archiv- nalen Eigenheiten wider, anstatt ein realitätsfremdes Website ein Eröffnungsfestival in der Berliner Aka- Bild einer homogenen „Roma-Kultur“ zu vermitteln. demie der Künste statt, das den kulturellen Reichtum Der Reichtum jahrhundertealter und bis in die Ge- der Sinti und Roma in vollem Glanze erstrahlen ließ, genwart überaus lebendiger und vielseitiger kulturel- ohne die traurigen und ernsten Kapitel – die Verfol- ler Produktion wird hier erstmals in diesem Umfang gung der Sinti und Roma durch die Nationalsozialis- öffentlich sichtbar. ten und die aus dieser traumatischen Erfahrung her- vorgegangene Bürgerrechtsbewegung – außer Acht Das vorläufige Ergebnis – rund 5000 Objekte sind zu lassen. bis dato online– wurde im Rahmen des Opening Fes- tivals in der Akademie der Künste in Berlin feierlich Hintergrund präsentiert. Initiiert wurde das Projekt 2015 von Franziska Sau- Performing RomArchive: Das Eröffnungsfestival erbrey und Isabel Raabe, die mit dem Launch die Trägerschaft von RomArchive an das European Ro- Bereits einige Tage vor Beginn Festivals lud Bundes- ma Institute for Arts and Culture (ERIAC) übergeben präsident Frank Walter Steinmeier prominente Sin- haben, welches das Archiv weiterführen und weiter- ti und Roma zu einem festlichen Empfang mit Musik, entwickeln wird. Kunst und Literatur ins Schloss Bellevue, darunter auch Ruzdija Sejdovic vom Kölner Rom e.V. In allen verantwortlichen Positionen – als Ku- rator_innen, Künstler_innen, Wissenschaft- In seiner Begrüßungsrede würdigte Bun- ler_innen und Mitglieder des Beirats – haben- despräsident Steinmeier die „oft bewusst überwiegend Angehörige der Minderheit das oder unbewusst übersehene, vernachläs- Archivgestaltet und setzen damit dem über sigte, ja verdrängte oder sogar unterdrück- Jahrhunderte durch stereotypisierende Dar- te Kultur“ und lobte RomArchive als „groß- stellungen der Mehrheitsgesellschaften ge- artiges Pionierprojekt“. Er betonte, dass er prägten Bild der Sinti und Roma in der Öffent- mit diesem Abend ein deutliches und über- lichkeit ein Kaleidoskop imposanter Selbstdar- fälliges Zeichen setzen wollte, die Kultur Foto Frank Walter stellungen entgegen. Steinmeier und Ruz- der Sinti und Roma - gerade am Sitz des dija Sejdovic: privat Staatsoberhauptes und nur hundert Me- 14 Kurator_innen haben exemplarisch künstlerische Beiträge für die Archivbereiche Bildende Kunst, Film, Literatur, Musik, Tanz und Theater sowie den interdisziplinären Be- reich Flamenco ausgewählt, darüberhinaus Ma- terial zur Bilderpolitik, Selbstzeugnisse im Zu- sammenhang mit der Verfolgung der Sinti und Roma im Nationalsozialismus („Voices of the Victims“) und wissenschaftliches Material zur Bürgerrechtsbewegung. Unterstützt wurden sie dabei vom internatio- nalen Beirat, der auch die ethischen und samm- lungspolitischen Richtlinien des Projekts be- stimmt hat. Insgesamt haben an dem Projekt bisher et- wa 150 Akteure aus 15 Ländern mitgearbeitet, © Nihad Nino Pušija 11
ter entfernt von der ehemaligen Zentrale des natio- anstaltung ausrichtenden Institutionen – Kulturstif- nalsozialistischen Terrors – zu würdigen. Steinmeier tung des Bundes, Deutsche Kinemathek und Akade- wiederholte die Worte seines Amtsvorgängers Ro- mie der Künste– auch die Initiatorinnen und Romani man Herzog, der anlässlich der Eröffnung des Do- Rose zu Wort. kumentations- und Kulturzentrums Deutscher Sinti und Roma in Heidelberg am 16. März 1997 die ver- Der Sänger und Schauspieler Lindy Larsson (be- folgten und ermordeten Sinti und Roma als Opfer kannt aus Roma Armee am Gorki Theater) trug ge- des nationalsozialistischen Rassenwahns und Völ- meinsam mit der Musikethnologin und Kuratorin des kermords, der „mit dem gleichen Vorsatz und dem Archivbereichs Musik Dr. Petra Gelbart eine unter gleichen Willen zur planmäßigen und endgültigen die Haut gehende Interpretation der internationa- Vernichtung durchgeführt worden ist, wie der an len Roma-Hymne GelemGelem vor, die Sinti und Ro- den Juden“ deklariert hatte. Diese selbstverständ- ma Philharmoniker unter Riccardo Sahiti verzauber- lich erscheinende Feststellung ist insbesondere für ten das Publikum mit Astor Piazzollas Vier Jahres- jene von großer Bedeutung, die nach dem Krieg in zeiten. Im Foyer der Akademie wurden anschließend der Bürgerrechtsbewegung unermüdlich für die An- die Ausstellungen Romarising und Here tostay sowie erkennung als Opfer nationalsozialistischen Völker- die Installation Tales of an endless Road eröffnet. mords gekämpft haben, denn die Bundesregierung hatte die ermordeten und verfolgten Sinti und Roma Als Bestandteil des von André Raatzsch kuratierten – ebenso wie Homosexuelle und sogenannte „Asozi- Archivbereichs Bilderpolitik wurden in Romarising ale“ – nach dem Krieg bis 1982 nicht rehabilitiert. Porträts des Fotografen Chad Wyatt Evans präsen- tiert, die das medial kreierte Image von Sinti und Roma mit eindrucksvol- „Dieses großartige Pionierprojekt, das größte jemals aufgelegte Kulturpro- len Schwarz-Weiß-Aufnahmen von jekt von, mit und über Sinti und Roma, baut erstmals ein digitales Archiv Angehörigen der Minderheit vom auf, in dem die Selbstrepräsentation im Zentrum steht und der Reichtum Kopf auf die Füße stellen. und die Vielfalt der Künste und Kulturen der Sinti und Roma präsentiert werden.“ In Here tostay bildeten Werke der Künstler Daniel Baker, Gérard Jean Frank Walter Steinmeier Gartner, Manolo Gómez, Gabi Jimé- nez, Damian Le Bas, Delaine Le Bas, Als Gastrednerinnen sprachen Tímea Junghaus, die Nihad Nino Pušija, Ceija Stojka, Imrich Tomáš, Alf- Kuratorin des Archivbereichs Kunst und Geschäfts- red Ullrich, Kálmán Várady, George Vasilescu, David führerin von ERIAC und die bildende Künstlerin De- Weiss ein breites Spektrum zeitgenössicher Kunst laine Le Bas, die mit ihrem verstorbenen Ehemann, von Sinti und Roma ab. dem Künstler Damian Le Bas in Zusammenarbeit Sehr berührend war die Videoinstallation Tales of mit der Galerie Kai Dikhas und dem Berliner Maxim the endless road der finnischen Filmemacherin Ka- Gorki Theater 2017 das Bühnenbild des Stücks Ro- tariina Lilqvist, die in ihren Animationsfilmen über- ma Armee gestaltet hat, das im Rahmen der ersten lieferte Volksmärchen der Sinti und Roma mit hand- Roma-Biennale 2018 am Gorki-Theater uraufgeführt gefertigten Puppen lebendig werden lässt. worden ist. Wer genug Durchhaltevermögen besaß, konnte im Musikalisch wurde der Abend umrahmt von Tayo Keller der Akademie zu Livemusik der Band KAL Awosusi-Onutor, Ferenc Snétberger und David Pe- noch bis spät in die Nacht das Tanzbein schwingen. ña Dorantes. All dies war nur ein Vorgeschmack »Ich bin sehr froh, dass RomArchive es uns ermöglicht, die wichtigen auf das intensive, reichhaltige Pro- Beiträge unserer Minderheit zur Kultur und Geschichte ihrer jeweiligen gramm, das die enorme Vielfalt von Heimatländer bewusst zu machen. Wir leben in einem demokratischen Roma-Kulturen an den folgenden drei Europa und das gibt uns die Chance, auf Missstände und zugleich auf un- sere lange Geschichte hinzuweisen und sie aufzuarbeiten. Hierzu gehört Tagen wiederspiegeln sollte. Die Ku- zum Beispiel die Rolle der ungarischen Roma bei den Aufständen 1848 und rator_innen der Sektionen stellten mehr noch 1956 – genauso wie die Beiträge zur Musik, sei es zur Klassik Blitzlichter ihrer Arbeit vor – in Form oder zum modernen Jazz.« von Vorträgen, Lesungen, Podiums- diskussionen, Live-Performances und Romani Rose Filmvorführungen. Im Foyer der Akademie befand sich neben den Aus- Am Eröffnungsabend selbst kamen neben den Ver- stellungen über alle Tage die Audioinstallation des treter_innen der am Projekt beteiligten und die Ver- Projektes Voices of the Victims, für das die Kölner 12 Nevipe - Nachrichten und Beiträge aus dem Rom e. V. - 01/2019
Historikerin Dr. Karola Fings (NS-Dokumentations- Januar. An diesem Sonntag begann das Programm zentrum)mit einem Team internationaler Expert_in- mit einer Gedenkstunde am Mahnmal für die ermor- nen Quellen zusammengetragen hat, die den NS- deten Sinti und Roma, hundert Meter Luftlinie von Völkermord an Sinti und Roma zum ersten Mal aus- der Akademie der Künste entfernt, an der etwa 300 schließlich aus der Sicht der Verfolgten darstellen. Menschen teilnahmen. Es handelt sich um frühe schriftliche Quellen von Verfolgten aus der NS-Zeit und den Jahren unmit- Nach den Ansprachen von Michael Roth, Staatsmi- telbar nach 1945 aus 20 verschiedenen Ländern. Als nister für Europa, Klaus Lederer, Senator für Kul- Übersetzer für Romanes hat Ruzdija Sejdovic an die- tur und Europa und Matthäus Weiß, stellvertreten- sem bahnbrechenden Projekt mitgewirkt, das Karola der Vorsitzender des Zentralrats Deutscher Sin- Fings und er am 8. April 2019 in der Kölner Melan- ti und Roma ermahnte der Holocaust-Überlebende chthonakademie vorstellen werden. (Anmeldung er- Zoni Weisz dazu, gerade angesichts des neu erstar- forderlich, https://www.melanchthon-akademie.de/ kenden Rechtspopulismus in Europa mit aller Kraft programm/kurs/14998-voices-of-the-victims/ ). gegen das Vergessen einzustehen. Er selbst, so Weisz,„empfinde es als Pflicht gegenüber seiner ge- Im Rahmen der Präsentation der von Dr. Beate Eder- samten ermordeten Familie, dazu beizutragen, dass Jordan kuratierten Sektion Literatur las Jovan Nico- das Grauen niemals vergessen wird“. lic aus seinen Erzählbänden Schwarzer Rabe, weißes Lamm (Buch für die Stadt Köln 2011) und Das Or- Der 81-jährige Autor des Buches Der vergessene chester der Frauen, die mich verlassen haben(2016); Holocaust(2018) hat 2011als erster Sinto in der da- Anita Awosusi trug aus ihrem autobiografischen Buch Vater unser (2016) vor. „Das Mahnmal für die ermordeten Sinti und Roma ist kein Schlusspunkt, sondern vielmehr der Ausgangspunkt für eine Am selben Abend botder bereits im Schloss verstärkte Auseinandersetzung mit der Geschichte der Sinti und Bellevue aufgetretene Pianist David Peña Do- Roma.“ rantes gemeinsam mit der Tänzerin Ursula Lo- pez und dem Schlagzeuger Javi Ruibal eine Zoni Weisz atemberaubende Flamenco-Performance dar. Diskurse und Debatten um die Frage nach Roma- maligen Gedenkstunde am 27. Januar eine Rede im Identitäten und -Ästhetiken wurden insbesondere in deutschen Bundestag gehalten. den Panel-Diskussionen Roma(ni) Performing (Sek- tion Theater, Kurator Dragan Ristic), The Internatio- Anlässlich der Eröffnung des Mahnmals für die er- nal Romani Civil Rights Movement (Sektion Bürger- mordeten Sinti und Roma am 24. Oktober 2012 be- rechtsbewegung, Kuratoren Dr. Thomas Acton und zeichnete er dieses als „Zeichen der Hoffnung“. Dr. Anna Mirga-Kruszelnicka) und What is Romani Art (Sektion Kunst, Kuratorin Timéa Junghaus)teils Anschließend lasen die Schauspieler_innen Fatima hitzig geführt. Hartmann, Perjan Wirges, Nedjo Osman und Slaviša Die Sektion Tanz beeindruckte mit einer Mi- »Die Stimmen der Opfer des NS-Völkermordes sind ein schung aus Filmaufnahmen unterschiedlicher beeindruckendes Zeugnis der Selbstbehauptung im Angesicht Tanz-Stile von Sinti und Roma an verschiede- der Vernichtung.« nen Orten Europas und Live-Performances des Dr. Karola Fings rumänischen Tänzers Attila Szanto und der ser- bischen Tänzerin und Aktivistin Ivana Nikolic. Mitreißend moderiert wurde dieses Panel von Kura- Marković einige Briefe aus dem Projekt Voices oft tor Issac Blake und Rosamaria Kostic Cisneros und he Victims vor. Prof. Thomas Acton. Zurück in der Akademie der Künste stellte Karo- Die Panel-Diskussion Is there such thing as Romani la Fings ihr beeindruckendes Forschungsprojekt Music? (Sektion Musik, Kuratorin Dr. Petra Gelbart) und dessen Umsetzung auf der Archiv-Website aus- fand eine wunderbare Balance aus wissenschaftli- führlich vor. Es folgten eine Vorführung des Kurz- chem Diskurs mit den Musikwissenschaftlern Prof. films Pamytaty/Remember (2016) des ukrainischen Carol Silverman und Gonzalo Montaño Peña und Regisseurs Petro Rusanienko und eine Lesung aus packenden musikalischen Darbietungen von Petra dem autobiografischen Buch Totenvogel (2018) des Gelbart und der Band KAL. 83-jährigen polnischen Rom Edward Debicki mit an- schließendem Autorengespräch. Das Datum des Festivals war bewusst gewählt, der letzte Tag fiel auf den Holocaust-Gedenktag am 27. Den Ausklang dieser intensiven vier Tage bildete – 13
begleitet von Musik der Berliner Band Sinti Swing Roma-Sängerin Vĕra Bílá gestorben – die Vorstellung des Archivbereichs Bilderpolitik. Den von Chad Evans Wyatt porträtierten Roma ver- lieh die Schauspielerin Mihaela Drăgan mit ausge- wählten Erzählungen eine Stimme. Schließlich schlug Tony Gittens, Direktor des Film- festivals Washington DC in seinem Vortrag eine Brücke zum Erbe der US-amerikanischen schwarzen Bürgerrechtsbewegung, indem er dazu ermutigte, im Kampf gegen Rassismus Seite an Seite zu stehen und nicht nachzulassen. Die tschechische Roma-Sängerin Vĕra Bílá ist tot. Ausblick Sie starb mit 64 Jahren in Pilsen an den Folgen eines Herzinfarkts. Bílá wurde als „Königin des Rom-Pop“ Wie geht es weiter mit dem ambitionierten Projekt gefeiert. RomArchive, für das nun der Grundstein gelegt wur- de? In Tschechien wurde Bílá als „Königin des Rom-Pop“ gefeiert. Mit ihrer Band Kale war sie auch inter-na- Von Anfang an hatten die Projektinitiatorinnen ge- tional erfolgreich. Sie trat beim Montreux Jazz Fes- plant, die Trägerschaft von RomArchive nach der tival auf, sang vor dem früheren US-Präsidenten Aufbauphase an eine europäische Roma-Organisa- Bill Clinton und war zu Gast im Pariser Olympia. Sie tion zu übergeben. 2018 wählte der Beirat von Ro- wurde mit Ella Fitzgerald verglichen. mArchive das European Roma Institute for Arts and Culture (ERIAC) mit Sitz in Berlin zu seinem Sie singe auch, erklärte sie, um die Sprache der Ro- zukünftigen Träger. Um den Übergang zu erleich- ma zu retten. Bila wurde am 22. Mai 1954 im west- tern, hat die Bundeszentrale für politische Bil- böhmischen Rokycany in eine bekannte Musikerdy- dung zugesagt, ab 2019 die redaktionelle Betreuung nastie, die Familie Gina, geboren. Bereits als Kind des Archivs für weitere fünf Jahre finanziell zu un- trat sie bei Familienfeiern und Hochzeiten auf. Der terstützen. Durchbruch kam 1996 mit ihrer ersten CD „Rom pop“, die vor allem in Frankreich gefeiert wur- ERIAC ist eine gemeinsame Initiative des Europa- de. „Kale kalore“ und „Rovava“ folgten. Bílás Musik rates, der Open Society Foundations und einer Al- heisst es, „war von großer Melancholie wie von tän- lianz von Roma-Persönlichkeiten und -Organisatio- zerischer Leichtigkeit“. Im privaten Leben erlitt sie nen, die die Einrichtung des Instituts vorangetrieben viele Schicksalschläge. Nach dem Tod ihres Adop- haben. Als eingetragener Verein seit 2017 in Berlin tivsohns 2013 starb kurz darauf auch ihr Ehemann. registriert, hat ERIAC das Ziel, ein positives Selbst- Sie starb zuckerkrank und mittellos. Sie wohnte zu- bild von Sinti und Roma zu fördern und Vorurtei- letzt in einem Wohnheim eines tschechischen Ro- le der Mehrheitsgesellschaft gegenüber der Minder- ma-Ghettos. heit mithilfe seiner Arbeit in den Bereichen Kunst, Kultur, Geschichte und Medien abzubauen. Das In- Das Glücksspiel war ihr eine Leidenschaft. Davon stitut fungiert als internationale Plattform, die ei- handelt dieser Clip: Vĕra Bílá, Kale - Ma Dza Nikhaj. nen Austausch kreativer Ideen über Grenzen, Kul- turkreise und Roma-Identitäten hinweg fördert. Es Der wiederum zeigt sie inmitten der „blühenden unterstützt die Aktivitäten von Hunderten von Ro- Landschaften“ im östlichen Mitteleuropa: Vĕra Bílá, ma-Organisationen, Intellektuellen und Kulturschaf- Kale - Pas o pa-nori fenden, um multilaterale Initiativen und regionale Aktuell war ein Comeback geplant. Bila wollte nach Partnerschaften zu gründen. langer Pause mit einer neuen Formation auf die Der Rom e.V. wünscht ERIAC gutes Gelingen bei der Bühne zurückkehren. Bis zuletzt soll sie für den Auf- Fortführung dieser historisch wichtigen Aufgabe. tritt geprobt haben. Von ihrem Leben erzählt der Dokumentarfilm „The Last Hope“. Karima Renes (UFO) 14 Nevipe - Nachrichten und Beiträge aus dem Rom e. V. - 01/2019
Der Österreichische PEN-Club Austrian Centre of PEN International The World Association of Writers A-1010 Wien, Bankgasse 8 0043 1 533 44 59 www.penclub.at | info@penclub.at Der „Roma-Literaturpreis des Österreichischen PEN im Gedenken an Ceija Stojka“ wird am 10. April 2019 um 11 Uhr im Presseclub Concordia, Bankgasse 8, 1010 Wien, in einer Festveranstaltung an Frau Rosa Gitta Martl vergeben. ti und Roma in Linz. Ihr künstlerisches Werk umfasst Der Preis ist als symbolhaftes Zeichen zu verstehen: bildnerische und literarische Arbeiten. Für ihren gro- Die Volksgruppen der Roma und Sinti sind durch ßen Einsatz für die Volksgruppe der Roma und Sinti das NS-Regime beinahe ausgerottet worden und die erhielt sie bereits den Elfriede-Grünberg-Preis, den Überlebenden und ihre Nachkommen wurden viel zu Marianne-von-Willemer-Preis, den Demokratiepreis lange nicht als Opfer des Holocausts anerkannt. In so der Margaretha-Lupac-Stiftung sowie 2013 das gol- manchen Staaten Europas sind die Volksgruppen der dene Verdienstzeichen der Republik Österreich. Roma und der Sinti nach wie vor heftiger Diskriminie- rung unterworfen. Die Schriftsteller Peter Paul Wiplinger und Lud- wig Laher waren maßgeblich an der Auswahl der Der Österreichische PEN vergibt diesen Literatur- Preisträgerin sowie an der Organisation für den preis nun zum dritten Mal, um seine Wertschätzung diesjährigen Roma-Literaturpreis des Österreichi- für einen wesentlichen Teil europäischer Kultur aus- schen PEN beteiligt. Ludwig Laher besorgte auch zudrücken und Vertreterinnen und Vertreter der Ro- das Lektorat und leistete editorische Hilfestellun- ma und der Sinti zu ermutigen, unbeirrbar ihre Kul- gen für das neue Buch „Bleib stark“ von Rosa Git- tur, ihre Lebensart und ihre Sprachen in ihrer Be- ta Martl, das im Rahmen der Preisverleihung am 10. sonderheit weiter zu pflegen. April um 11 Uhr im Presseclub Concordia in Wien präsentiert wird. Der PEN lädt herzlich dazu ein. Der diesjährige Preis geht an Rosa Gitta Martl. Als Kind zweier die Schrecken von Ravensbrück und Sachsenhausen mit knapper Not überlebt habender Sinti kam Rosa Gitta Martl 1946 in Linz auf die Welt. Wann: Mi, 10. April 2019, 11 Uhr Die in der KZ-Haft erlittenen gesundheitlichen und seelischen Leiden der Eltern blieben nicht folgenlos. Wo: Presseclub Concordia, Bankgasse 8, 1010 In dem äußerst erfolgreichen, in mehreren Auflagen Wien publizierten und von Ludwig Laher herausgegebe- Details sind selbstverständlich jederzeit über den nen Buch „Uns hat es nicht geben sollen. Rosa Win- PEN-Club zu beziehen: ter, Gitta und Nicole Martl. Drei Generationen Sinti- Frauen erzählen“ (Edition Geschichte der Heimat im Helmuth A. Niederle, Präsident des Österreichi- Verlag Steinmaßl) breitet Rosa Gitta Martl 2004 auf schen P.E.N.-Clubs mehr als achtzig dicht beschriebenen Seiten ihr Le- ben vor dem Hintergrund der gesellschaftlichen Ent- info@penclub.at | www.penclub.at | Telefon: 01 533 wicklungen in der Zweiten Republik Österreichs mit 44 59 großer Erzählkraft und Offenheit aus. Dieser wich- tige zeitgeschichtliche Beitrag zur Kultur- und So- zialgeschichte durch die Erzählungen der drei Sin- ti-Frauen, vor allem der Holocaust-Überlebenden O „Roma-Literaturpreis kathar o becicko PEN an- Rosa Winter, leistet eine längst fällige historische Auf- do gindo pe i Ceija Stojka“ awela dino ka i Frau Ro- klärungsarbeit, die für die Republik Österreich und sei- sa Gitta Martl, po 10.Apriliushi 2019, 11:00 ando ne Bevölkerung auch in ihrer Mahnung von großer Be- Presseclub Concordia, Bankgasse 8, 1010 Wien, an- deutung und hohem Wert ist. de jekh zigno festo. Anlässlich der Preisvergabe erscheint nun ein weite- Kodo Preiso si symbolicno rekognacija: I flogoreske- res Buch von Rosa Gitta Martl mit dem Titel „Bleib ri grupa le Romani taj Sintengi sas mudarde kathar o stark“ in der edition pen im Löcker Verlag in Wien. NS-Regimo taj kodola so trajinas taj lenge unokura nas rekognacija sar marde taj viktimura kathar o Ho- Rosa Gitta Martl war Mitbegründerin und langjäh- locaust. Vi akana, adjes e Rom taj es Sinti ikke trajin rige Geschäftsführerin des Vereins Ketani für Sin- andi diskriminacija ande bute tema andi Europa. 15
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