Tüftler in eigener Sache - Sebastian Tobler sprengt Leistungsgrenzen Ausbau der Beatmungsmedizin: Spenden machen es möglich - Schweizer ...
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März 2016 | Nr. 157 paraplegie Das Magazin der Gönner-Vereinigung der Schweizer Paraplegiker-Stiftung Tüftler in eigener Sache Sebastian Tobler sprengt Leistungsgrenzen Ausbau der Beatmungsmedizin: Spenden machen es möglich
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EDITORIAL Liebe Gönnerinnen und Gönner G ibt es etwas in Ihrem Leben, von dem Sie sagen: «Es ist für mich so wertvoll wie die Luft zum Atmen»? Und was wäre das? Ihre Sicherheit? Ihre Gesundheit? Ihre Beziehung? Ihre Unabhängigkeit? Was «Luft zum Atmen» für querschnittgelähmte Patienten zuallererst bedeutet, ist: leben, überleben. Die Schädigung des Nervensystems bei Para- und Tetraplegikern kann die Atmung derart beeinträchtigen, dass sie auf künstliche Beatmung angewiesen sind. Im Schweizer Paraplegiker-Zentrum trifft dies auf 50 Prozent der Patienten zu. Das Team der Beatmungsmedizin in Nottwil hat sich zum Ziel gesetzt, über 95 Prozent der Patienten ohne Beatmungsgerät wieder aus der Spezialklinik entlassen zu können. Dazu trainiert das Fachpersonal mit den Patienten in einem intensiven, teilweise langwierigen Prozess das eigenständige Atmen respektive das Entwöhnen – das «Weaning» – vom Beatmungsgerät. Die Beatmungsmedizin mit dem «Weaning» ist eine über die Jahrzehnte entwickelte, schweizweit herausragende Kernkompetenz in Nottwil. Um der wachsenden Nachfrage zu begegnen, müssen wir mit dem entstehenden Neubau die Bettenkapazität für beatmete Patienten erhöhen. Nur mit der geplanten Klinikerweiterung wird es gelingen, auch der nächsten Generation querschnittgelähmter Menschen die bestmögliche Behandlung anbieten zu können. Der 70-jährige Luigi-Gino Mangilli hat Beatmung und «Weaning» im Schweizer Paraple- giker-Zentrum erlebt. Wie es ihm ergangen ist, beschreibt der Beitrag «So muss sich ein Trapezkünstler fühlen». Auf die Frage, was für ihn heute am wertvollsten sei, würde er nach achtmonatiger Rehabilitation vielleicht antworten: Unabhängigkeit vom Beatmungs- gerät, Sicherheit durch eigenständiges Atmen und zuhause bei der Familie zu sein. Ihr Gönnerbeitrag, Ihre Spende erlauben es, Menschen wie Luigi-Gino Mangilli zu helfen. Ihre Solidarität ist wertvoll, so wie die «Luft zum Atmen». Erst damit gelingt es, unser Angebot für die Querschnittgelähmten in der Schweiz aufrechtzuerhalten und neuen Bedürfnissen anzupassen. Dafür danken wir Ihnen von Herzen. Dr. iur. Joseph Hofstetter Direktor Schweizer Paraplegiker-Stiftung IMPRESSUM: Paraplegie. Das Magazin der Gönner-Vereinigung der Schweizer Paraplegiker-Stiftung, www.paraplegie.ch 40. Jahrgang | Ausgabe: März 2016 / Nr. 157 | Erscheinungsweise: vierteljährlich in Deutsch, Fran zösisch und Italienisch | Gesamtauflage: 979 735 Exemplare | Auflage Deutsch: 878 136 Exemplare | Copyright: Abdruck nur mit Genehmigung der Herausgeberin und der Redaktion. Herausgeberin: Gönner-Vereinigung der Schweizer Paraplegiker-Stiftung, 6207 Nottwil, sps@paraplegie.ch | Verant- wortlich: Schweizer Paraplegiker-Stiftung, Corporate Communications, 6207 Nottwil | Redaktion: Manuela Vonwil (Leitung), Robert Bossart, redaktion@paraplegie.ch | Bild: Walter Eggenberger, Beatrice Felder, Astrid Zimmer- mann-Boog Layout / Vorstufe: Regina Lips, Karin Distel, Michael Kling | Anzeigen: Fachmedien Axel Springer Schweiz AG, 8021 Zürich, info@fachmedien.ch | Vorstufe / Druck: Swissprinters AG, 4800 Zofingen Paraplegie, März 2016 |3
Foto: Rasso Bruckert « Will man Schweres bewältigen, muss man es sich leicht machen. » Die Welt öffnet ihre Barrieren nur langsam für uns. Dennoch finden wir unseren Weg jeden Tag von Neuem. Folgen Sie mir auf meiner Reise durch den Dschungel des Alltags auf www.rigert.ch/barrierefrei. Heinz Frei, Weltmeister und Rollstuhlfahrer Lösungen, denen man vertraut Jeden Tag genießen unzählige Menschen die Freiheit und Unabhängigkeit, die Selbstständigkeit und Mobilität, die ihnen die Produkte von Invacare bieten. Mit hoher Motivation und Leidenschaft entwickeln wir innovative Lösungen, die den neuesten Stand der Medizintechnik verkörpern. Wie z.B. mit dem robusten Elektro-Rollstuhl TDX ® SP2 Ultra Low Maxx • Herausragende Wendigkeit • Sicher auf jedem Terrain • Leistungsstarke Motoren Invacare AG · switzerland@invacare.com · www.invacare.ch
INHALT 6 NEWS Medaillen, Awards, Ehrungen: Mehrere Rollstuhlsportler, der Finanzchef der Schweizer Paraplegiker-Stiftung und zwei querschnittgelähmte Menschen sind für ihren ganz besonderen Einsatz in den vergangenen Monaten und Jahren ausgezeichnet worden. 10 PORTRÄT Ein Sturz mit dem Mountainbike machte Sebastian Tobler im Juli 2013 zum Tetraplegiker. Jetzt forscht der 45-jährige Freiburger intensiv an Therapiegeräten, die ihn an seine Leistungsgrenzen bringen: Er will herausfinden, welche weitere Entwicklung für seinen gelähmten Körper möglich ist. 14 REPORTAGE – Durchstarten zum grossen Erfolg Wie macht man aus einem Rollstuhlfahrer einen Spitzenathleten? Antworten auf diese Frage liefert die Sportmedizin Nottwil, welche begabte Nachwuchshoffnungen frühzeitig erkennt und gezielt fördert. Von dieser Talentschmiede profitiert die 15-jährige Licia Mussinelli, die genau weiss, was sie will: Gas geben und die Beste werden. 22 SPENDENAUFRUF Das Fachwissen in der Beatmungsmedizin im Schweizer Paraplegiker-Zentrum ist einzig- artig – und sehr gefragt. Für die Entwöhnung beatmeter Patienten vom Beatmungsgerät sind im geplanten Neubau deshalb zusätzliche «Weaning»-Betten vorgesehen. 28 PRAXIS Die Tage während der Rehabilitation in Nottwil sind durchgeplant und streng. Eine willkommene Abwechslung zum anspruchsvollen Therapie- plan finden die Patienten im Atelier für Gestaltung. Insbesondere, wenn Therapiehund Akiro auf Besuch ist. 34 FINALE Tetraplegiker und Buchautor Philippe Pozzo di Borgo träumt davon, gehen zu können. Und erschrickt dabei über die Brutalität und den überbordenden Individualismus der Welt, wie er sie ausserhalb des Roll- stuhls wahrnimmt. Paraplegie, März 2016 |5
NEWS Finanzchef der SPS ist «CFO of the Year 2016» Pius Bernet, Finanzchef der Schweizer Paraplegiker-Stiftung (SPS), hat für seine erfolgreiche Tätigkeit vom CFO-Forum Schweiz, der grössten natio nalen CFO-Vereinigung, den vielbeachteten Award «CFO of the Year 2016» in der Kategorie Mitglieder erhalten. Als Pius Bernet vor sechs Jahren seine Arbeit bei der SPS begonnen hatte, galt es zuerst, für die neu festgelegte Organisationsstruktur die notwendigen Governance-Regelwerke aufzubauen. Parallel dazu wurde die Rechnungs legung auf Swiss GAAP FER umgestellt, eine schweizweite Norm, welche interne und externe Transparenz Ausgezeichnet. «Unsere Finanzabteilung kann heute mit schafft. Transparenz ist eine wichtige Voraussetzung dafür, Vertrauen börsenkotierten Gesellschaften mithalten», sagt Pius Bernet, Finanzchef der Schweizer Paraplegiker-Stiftung sowie frisch zu gewinnen; bei Gönnern, Spendern, Banken, bei der Politik sowie gewählter «CFO of the Year 2016», über seine Auszeichnung. generell in der Öffentlichkeit. ISO-Erstzertifizierung für ParaHelp Es war ein grandioser Auftakt ins neue Jahr: Am 4. Januar konnte ParaHelp-Geschäftsführerin Nadja Münzel das ISO-Zertifikat 9001:2008 entgegennehmen. Das Unternehmen mit 15 Mit- arbeitenden bietet spitalexterne pflegerische Beratungsdienstleistungen für Menschen mit Querschnittlähmung in der gesamten Schweiz. «Auch kleinere Organisationen brauchen Struk- turen und Prozesse, an die sich alle Mitarbeitenden in ihrer täglichen Arbeit halten. Mit der ISO- Zertifizierung haben wir zudem den Anschluss an die anderen Tochterunternehmen innerhalb der Schweizer Paraplegiker-Gruppe sichergestellt», so Nadja Münzel anlässlich der Zertifikatsübergabe. Zertifiziert. ParaHelp-Geschäftsführerin Nadja Münzel (Mitte) und Susanna Richli, stv. Geschäftsführerin (rechts), erhielten das ISO-Zertifikat von Lead-Auditorin Claudia Abu Khadrah der Weitere Informationen unter Firma Kassowitz. www.parahelp.ch 6 | Paraplegie, März 2016
Award für Marcel Hug Splitter Marcel Hug konnte zum vierten Mal Mitarbeitende der Schweizer Paraplegiker- PHOTOPRESS Dominik Baur die Trophäe als «Behindertensportler des Vereinigung pflegen aktuell 65 Einsitznahmen Jahres» entgegennehmen. In seiner unter anderem in Organisationen der politischen Dankesrede am 13. Dezember in Zürich Interessenvertretung, Sportkommissionen, erwähnte der Leichtathlet seine Spon Stiftungen, Universitätsräten und Fachverbän- soren, welche ihm eine Karriere als den. Die Vernetzung mit Wirtschaft und Politik, Profisportler ermöglichen: «Sie unter- mit Experten und Meinungsmachern ist äusserst stützen mich nicht aus Goodwill, weil wichtig und dient der Vision, die Lebensqualität ich im Rollstuhl bin, sondern weil der Para- und Tetraplegiker in allen Bereichen ich Leistungen als Sportler erbringe. zu steigern. Und das schätze ich sehr.» Der Bundesrat hat am 10. Dezember die Eva luation des Behindertengleichstellungsgesetzes (BeHiG) veröffentlicht. Sie zeigt auf, dass die heutigen Gesetzesgrundlagen nicht ausreichen, um Diskriminierung von Menschen mit Behin- derung zu verhindern. Laut Pascale Bruderer, Triumphe in Japan Foto: Oita International Wheelchair Marathon Präsidentin von Inclusion Handicap, «fehlt eine Gesamtstrategie, um die vollumfängliche Manuela Schär gewann den Internationalen Roll- Teilnahme der Menschen mit Behinderung an stuhlmarathon im japanischen Oita herausragend der Gesellschaft sicherzustellen». Dies entspricht mit einem Vorsprung von über acht Minuten vor dem Postulat von CVP-Nationalrat Christian Natalia Kocherova aus Russland. Die starke Lei- Lohr, in welchem er eine nationale Behinderten- stung der 30-jährigen Rollstuhl-Leichtathletin an politik forderte. www.inclusion-handicap.ch den Städtemarathons in London, Chicago, New Seit Februar 2015 bietet das Schweizer Paraple- York und zuletzt im November in Oita weckt giker-Zentrum jeden Dienstagnachmittag eine Medaillenhoffnungen für die Paralympics 2016 hindernisfreie gynäkologische Sprechstunde in Rio de Janeiro. an. Ende November wurde die 100. Patientin Gar zum sechsten Mal in Folge durfte sich der willkommen geheissen. In der Schweiz gibt es 29-jährige Marcel Hug in Oita als Sieger feiern ungefähr 1100 querschnittgelähmte Frauen, lassen. Sein Ziel für Rio steht fest: Er will seine er- welche aufgrund ihrer Behinderung bis anhin ste Goldmedaille an den Paralympics gewinnen. kaum Zugang zu barrierefreien frauenärztlichen Untersuchungsmöglichkeiten hatten. Swiss Paralympic und die Schweizer Paraple giker-Stiftung (SPS) haben ihre 15-jährige Rund um die Welt Partnerschaft um vier weitere Jahre verlängert. Foto: Thomas Stoeckli Mit der Vertragsverlängerung unterstreicht die Hauptsponsorin SPS ihr Engagement im Der dritte Wings for Life World Run soll rekord- paralympischen Spitzensport. verdächtig werden: 5000 Läuferinnen und Läufer werden am 8. Mai in Olten erwartet. Wenn die Teil- Swiss Paralympic hat an der traditionellen nehmer im Durchschnitt auch nur 12 Kilometer Sportlerehrung in Bern die zwölf erfolgreichs- weit kommen, reichen die gelaufenen 60 000 Kilo- ten Athletinnen und Athleten des Jahres 2015 meter, um die Erde eineinhalbmal zu umrunden. ausgezeichnet. Sie alle sind Medaillengewinner Der Event ist der weltweit erste Lauf, der in 33 Län- an Welt- oder Europameisterschaften. Darunter dern zeitgleich gestartet wird. Ziel des Anlasses ist es, waren der zweifache Vizeweltmeister im Para- Spenden für die Stiftung Wings for Life zu sammeln, cycling Heinz Frei (Etziken SO) sowie die drei welche die Rückenmarkforschung vorantreiben will. Leichtathleten, die ebenfalls eine Silbermedaille Anmelden unter www.wingsforlifeworldrun.com an den Weltmeisterschaften gewannen: Cathe- rine Debrunner (Mettendorf TG), Marcel Hug (Neuenkirch LU) und Manuela Schär (Kriens LU).
Legate und Spenden sind wichtige Stützen für unsere Zukunft. Tel. 041 939 62 62, www.paraplegie.ch/legate
NEWS Vorbilder. Die Querschnittgelähmten des Jahres 2015 Alois Arnold (vorne links) und Jean-Louis Page (vorne rechts) mit ihren Ehepartnerinnen Bernadett und Marie-Rose sowie den Laudatoren Daniel Joggi, Stiftungsratspräsident (vorne Mitte), und Guido A. Zäch, Ehrenpräsident der Schweizer Paraplegiker-Stiftung. Hochachtung vor Lebensleistung Alois Arnold aus Unterschächen (UR) und Arnold seine Ehrenurkunde entgegen: «Ich ten in fast unvergleichlicher Weise gefördert», Jean-Louis Page aus Saillon (VS) sind die widme diese Auszeichnung allen Helferinnen schwärmt Laudator Daniel Joggi. «Es berührt «Querschnittgelähmten des Jahres 2015». und Helfern, die mich während der schwieri- mich sehr, diese Auszeichnung zu erhalten», Zum 23. Mal hat die Schweizer Paraplegiker- gen Lebensphase unterstützt haben.» sagt Jean-Louis Page strahlend. «Vor allem in Stiftung zwei Querschnittgelähmte geehrt, dieser wichtigen Periode meines Lebens; ich die in ihrem Leben Grossartiges geleistet Jean-Louis Page: Tausendsassa im bin seit 45 Jahren verheiratet, seit 50 Jahren haben. Namen der Integration im Rollstuhl und werde nun 65 Jahre alt.» Der Unfall als Mitfahrer im Auto eines Freun- Alois Arnold: Kämpferisch auf langem des auf der Heimfahrt von der Arbeit am 21. Leidensweg Dezember 1966 veränderte das Leben des 23-jährig, als frisch diplomierter Kaufmann, Automechaniker-Lehrlings für immer. Die Agenda fand Alois Arnold 1972 in der Stelle als Gemein- erschütternde Diagnose: komplette Quer- 6. April, 19.30 Uhr deschreiber in Unterschächen seinen Traum- schnittlähmung ab dem siebten Brustwir- Autorenlesung mit Esther Kinsky job. Dank angeeignetem Fachwissen wurde bel. Nach seiner Rehabilitation schulte sich SPZ Nottwil, Bibliothek im Gebäude GZI ihm zusätzlich das Finanzwesen übertragen. der junge Mann zum Kaufmann und Pro- 1977 heiratete er seine grosse Liebe Bernadett, grammierer um. Während seiner Ausbil- 9. April, 10.00 – 17.00 Uhr zwei Töchter und ein Sohn machten das Fami- dung in Yverdon verliebte er sich in Marie- 18. Rollivision – Messe für lienglück vollkommen. Im Alter von 33 Jah- Rose; 1971 heirateten die beiden. Bereits 1970 Rollstuhlfahrer ren musste der heute 66-jährige Schächen gründete Jean-Louis Page die «Groupe des SPZ Nottwil taler erfahren, dass Gesundheit keine Selbst- paraplégiques Fribourg» und war zehn Jahre 20. April, 18.00 Uhr verständlichkeit ist: Ein enger Wirbelkanal ihr Präsident; 1980 schloss er die Gruppe als Mitglieder-Versammlung der und ein Bandscheibenvorfall im Halsbereich «Rollstuhlclub Freiburg» der Schweizer Para- Gönner-Vereinigung der SPS, Nottwil haben sein Rückenmark geschädigt und die plegiker-Vereinigung an und amtete weitere Anmeldung mit Talon auf Seite 21 Funktionstüchtigkeit von Armen und Beinen 15 Jahre als Rollstuhlclub-Präsident. Jean- eingeschränkt. Alois Arnold wurde zum Tet- Louis Page war Mitbegründer und zwölf Jahre 8. Mai raplegiker. «Es ist bewundernswert und vor- Präsident der «Commission fribourgeoise des 3. Wings for Life World Run bildlich, wie er seine Aufgabe als Gemeinde- barrières architecturales». Ein weiteres Prä- Olten schreiber über 42 Jahre lang erfüllt hat, trotz sidialamt hatte er von 1981 bis 2006 bei der 26. – 29. Mai Behinderung und Verunsicherung durch die «Sport-Handicap Freiburg» inne. 1983 grün- «ParAthletics 2016» vom Rückenmark ausgehenden gesundheitli- dete er die «Vereinigung für Sport und Frei- IPC Athletics Grand Prix, Nottwil mit chen Störungen», unterstreicht Guido A. Zäch zeit für Behinderte in Freiburg». «Jean-Louis Daniela Jutzeler Memorial und Schweizer die Vorbildfunktion von Alois Arnold in sei- Page hat mit seinem unermüdlichen Engage- Meisterschaften ner Laudatio. Sichtlich gerührt nahm Alois ment die Integration von Querschnittgelähm- 5. Juni Int. Rollstuhlmarathon und Para-cycling Strassenrennen Schenkon
PORTRÄT «Ich unternehme alles, um meinen Alltag zu verbessern» Am 31. Juli 2013 stürzt Sebastian Tobler mit dem Mountainbike schwer. Er wird mit dem Helikopter ins Schweizer Paraplegiker-Zentrum geflogen, wo die Ärzte eine Tetraplegie diagnostizieren. Sebastian Tobler wird operiert und muss ein neunmonatiges Rehabilitationsprogramm absolvieren. Heute unterrichtet der 45-jährige Automobilingenieur wieder an der Berner Fachhochschule und beschäftigt sich mit zahlreichen Projekten zur Verbesserung des Alltags von Querschnittgelähmten. Text: Guillaume Roud | Fotos: Julien Dewarrat I m Kurs «Fahrzeugbau» der Berner Fach- hochschule (BFH) in Biel arbeiten zehn Studenten an ihrem Semesterprojekt. Die linker Ellbogen und zwei Halswirbel sind gebrochen. Die Ärzte des Schweizer Paraple- giker-Zentrums (SPZ) sollten seinen Verdacht Stimmung ist konzentriert und trotzdem bestätigen: Sebastian wird mit einer inkom- locker. Etwas abseits von den angeregten pletten Tetraplegie leben müssen. Diskussionen zwischen den ehrgeizigen Stu- denten erzählt Sebastian Tobler, der Dozent Schmerzhaftes Erwachen im Rollstuhl, direkt, aber nicht schonungs- Die erste Zeit auf der Intensivstation des SPZ los von seinem langen Weg zurück nach dem ist extrem hart. Der Schmerz äussert sich Unfall. körperlich, aber vor allem auch psychisch. Laufen, Velofahren, Skifahren, Schwim- Bei den ersten Besuchen seiner Familie flies- men, Krafttraining – sportliche Herausfor- sen viele Tränen. «In gewisser Weise hört derungen hatten in Sebastian Toblers Leben alles, was man erlebt hat, und alles, was man einen hohen Stellenwert. Im Juli 2013 reist geplant hat, plötzlich auf. Meine Umgebung der 43-jährige Fachhochschullehrer in den nahm mich als verletzten Menschen wahr, Semesterferien ins Trainingslager seines und auch ich sah, wie verletzt die Menschen Clubs «La Pédale Bulloise» im Bike Park von waren, die ich lieb hatte», erzählt Sebastian. Plaffeien (FR). Dort fährt er mit dem Moun- Unter all den Gedanken, die sich überschla- tainbike in hoher Geschwindigkeit über die gen, beschäftigen ihn drei ganz konkrete Fra- Piste, bis eine ungewohnt kurze Bodenerhö- gen: Muss seine Frau Violette aufhören zu hung ihn aus dem Gleichgewicht wirft. Er arbeiten, um sich um die vier Kinder zu küm- wird in die Luft geschleudert und landet kopf- mern? Kann Lucas, um den sie sich seit elf voran auf dem Boden. Wegen der Heftigkeit Jahren als Pflegefamilie kümmern, weiter- des Aufpralls zerbricht der Helm. Am Boden hin bei ihnen wohnen? Muss Léa, mit ihren befühlt Sebastian mit der rechten Hand sei- damals 16 Jahren das älteste Kind, ange- nen Körper und spürt unterhalb des Schul- sichts der Situation auf ihren Sprachaufent- terbereichs nichts mehr. Sofort denkt er an halt in der Deutschschweiz verzichten? Die Querschnittlähmung. Sebastian Tobler wird Antwort ist rasch gefunden: Es steht nicht notfallmässig mit dem Helikopter in die Spe- zur Debatte, alles hinzuschmeissen und in zialklinik in Nottwil geflogen und gleichen- Selbstmitleid zu versinken. Das Leben muss tags während neun Stunden operiert. Sein weitergehen. 10 | Paraplegie, März 2016
Mit dieser Einstellung beginnt Sebastian Eine Herausforderung, die ihm in seinem Für Selbstständigkeit trainieren seine Rehabilitation in Nottwil. «Ich werde Zustand zunächst unüberwindbar erschien. Durch den Halt im Glauben und die Unter- auch den Moment nie vergessen, als meine «Am Anfang bereitete mir sogar das Trin- stützung seiner Familie, seiner Freunde und Frau auf der Notfallstation eintraf: Sie hatte ken Schmerzen. Wegen meines gebroche- des Pflegefachpersonals weicht die Verbitte- sich extra schön gemacht für mich. Ange- nen Ellbogens konnte ich mich während der rung der ersten Zeit dem Willen, nach vorne sichts der Situation hätte sie ja am Boden ersten zehn Wochen nicht selber anziehen, zu schauen. Zu dieser inneren Veränderung zerstört sein können.» Sebastian Tobler, der nicht duschen, nicht auf die Toilette gehen trägt ein spezielles Erlebnis bei. «Ich nahm immer gerne seine Grenzen auslotete, musste und ohne Hilfe weder ins Bett noch aus dem gerade mein Essen im Aufenthaltsraum jetzt die einfachsten Dinge neu erlernen. Bett steigen.» des SPZ ein. Ein Mann mit einer ähnlichen Familienmensch. Die Nähe zu seinen Kindern Noa (12), Tom (16), Léa (18) und Lucas (13) ist Sebastian wichtig. Ihre ungetrübte Lebens- freude hat ihm während ihrer Besuche im SPZ in Nottwil besonders gutgetan.
PORTRÄT 2 Diagnose sah, dass ich selbstständig essen konnte, und sagte zu mir: ‹Du kannst dir nicht vorstellen, wie ich mir wünsche, dass ich das auch tun könnte.› Das hat mich tief berührt.» Sebastian konzentriert sich von nun an nicht mehr darauf, was er nicht mehr 3 kann, sondern darauf, was er noch kann, und auf die Fortschritte, die möglich sind. Da sein Rückenmark beim Unfall nicht vollständig 1 Erfinder. Eine Leiter, eine Kiste, einen durchtrennt wurde, hat er die Hoffnung, Gurt und Gummibänder: Viel mehr gewisse motorische Fähigkeiten wieder- brauchte Sebastian nicht, um eines seiner bevorzugten, schlichten und wirkungs- zuerlangen, insbesondere diejenigen seiner vollen Trainingsgeräte herzustellen. linken Hand. 2 Dozent. In seinem Kurs «Fahrzeugbau» Fest entschlossen, seine Selbstständigkeit an der Berner Fachhochschule nimmt zurückzugewinnen, beginnt Sebastian mit sich der Dozent für jeden seiner zehn Studenten Zeit. dem Training. Physiotherapie, Ergotherapie, 3 Ingenieur. Sebastians Prototyp hat sich Hippotherapie, Wassertherapie: Alles, was bewährt. Die Endversion des zurzeit Fortschritte verspricht, wird gemacht. Auch in Entwicklung befindlichen Trikes dürfte andere Aktivitäten kommen im SPZ nicht diesen Sommer funktionstüchtig und zu kurz. «Pingpong, Handbiken, Schwim- für andere Querschnittgelähmte verfüg- bar sein. men, Sauna und sogar Töpfern im Atelier für 4 Sportler. Seit seinem Klinikaustritt in Gestaltung, ich habe alles gemacht», erinnert Nottwil bemüht sich Sebastian konse- er sich lachend. Sebastian entdeckt, dass er quent um Erhalt und Stärkung seiner mit anderen Patienten viele gemeinsame physischen Funktionen. Hilfreich ist ihm 1 die Sammlung von Therapiegeräten im Freunde hat. Wie es der Zufall will, unter- Untergeschoss seines Hauses. richtet sein Zimmergenosse ebenfalls an der 12 | Paraplegie, März 2016
«Das Wichtigste ist, die Harmonie zu finden» probierte. «Es ging darum, ein Velo zu ent- wickeln, das auch abseits der asphaltierten Strassen funktioniert und die Beine passiv bewegt. Auf einem Handbike bewegen sich die Beine nämlich nicht. Die üblichen The- rapiegeräte, mit denen die Beine mobilisiert werden, sind fest installiert und erlauben keine Fortbewegung. Mit dem Trike besitzt man die Vorteile von beiden und kann dank der elektrischen Unterstützung sogar seine Familie begleiten, wenn sie im Wald joggt oder bikt», erklärt Sebastian. Sein Projekt entwickelte er mit der Unterstützung von 4 Freunden, seinem ehemaligen Chef und im beruflichen Umfeld der BFH, wo er seit Ende Sommer 2014 wieder mit einem Pensum von 30 Prozent unterrichtet. BFH. Um ihn kennenzulernen, brauchte es nach Hause.» Dank seiner Mitgliedschaft Er wurde von Spezialisten aus Nottwil bera- tatsächlich einen Aufenthalt in Nottwil … bei der Gönner-Vereinigung der Schweizer ten, die vor Ort die Bedingungen für einen Zu einem ihrer Besuche sind seine Freunde Paraplegiker-Stiftung können zudem mit erfolgreichen beruflichen Wiedereinstieg vom Veloclub überraschend mit dem quer- dem nach dem Unfall erhaltenen Unterstüt- prüften. Auch sein Arbeitgeber tat sein Mög- schnittgelähmten Spitzensportler Jean-Marc zungsbeitrag Anpassungen im Haus vorge- lichstes, um einen reibungslosen Übergang Berset angereist, der ihm Mut zuspricht. nommen und Therapiegeräte angeschafft zu gewährleisten. Während der berufliche Sebastian freundet sich auch mit dem Pflege- werden. Diese Geräte werden zu einem fes- Wiedereinstieg sowohl psychisch als auch fachpersonal an. «Noch heute treffe ich einige ten Bestandteil bei Sebastians Versuchen, physisch sehr anstrengend war, hat Sebas- davon privat. Und wenn ich nach Nottwil zur seine Leistung zu steigern. Seit seinem Aus- tian heute seinen Rhythmus gefunden und Kontrolle muss, bin ich jeweils überrascht, tritt aus der Klinik absolviert er wöchentlich stellt mit Freude die enorme Entwicklung wie viele sich an meinen Namen erinnern. 25 Stunden Training. «Mein Ziel ist es, meine fest: «Hier sieht man den besonderen Nutzen Ich habe grosse Achtung vor diesen Leuten.» körperliche Leistungsfähigkeit zu verbes- der Übungen: Ich bin viel weniger müde und sern und alles zu geben, um zu schauen, wel- habe weniger oft zu tiefen Blutdruck.» Die «sanfte» Rückkehr che Fortschritte möglich sind. Schliesslich Sebastian Tobler wird sich aber nicht so Im April 2014 kehrt Sebastian nach neun sollen irgendwann auch andere Betroffene schnell mit den erzielten Fortschritten zufrie- Monaten im SPZ in den Kanton Freiburg von meinen Erfahrungen profitieren. Ist es den geben; dies umso mehr, als seine Bemü- nach Hause zurück. Dort wird er mit den gut für mich, ist es auch gut für die anderen. hungen zur Erlangung eines gewissen Gleich- Gewohnheiten der Vergangenheit und den Das ist mein Antrieb.» gewichts im Leben beitragen können: «Das Einschränkungen der Gegenwart konfron- Wichtigste ist, die Harmonie zu finden. Ich tiert. Die Anfangsphase ist schwierig. Doch Der erfinderische Ingenieur werde alles unternehmen, um meinen Alltag der Rückkehrschock kann etwas abgefedert Bei seinen Forschungen hat der gewiefte und denjenigen von anderen Betroffenen zu werden. «Während meiner Rehabilitation in Ingenieur zahlreiche Therapiegeräte getes- verbessern.» Nottwil probierte ich mehrmals zusammen tet, verändert und selbst konstruiert. Sein mit meiner Frau eine hindernisfreie Übungs- Fokus richtet sich derzeit auf das von ihm wohnung im SPZ aus, und während der letz- weiterentwickelte Trike. Die Idee kam ihm ten vier Monate kam ich jedes Wochenende im SPZ, als er verschiedene Handbikes aus- Paraplegie, März 2016 | 13
REPORTAGE
Durchstarten zum grossen Erfolg Die Leistungsdichte im Behindertensport wird immer grösser. Umso schwieriger wird es für junge Rollstuhlathleten, an die Spitze zu kommen. Um aus Talenten Medaillenanwärter zu formen, bietet die Sportmedizin Nottwil eine schweizweit einmalige Infrastruktur und Fachkompetenz. Eine Talentschmiede, welche Nachwuchshoffnungen wie die 15-jährige Licia Mussinelli auf die Überholspur bringen sollen.
REPORTAGE «Der Sport ist ein Schlüssel zum Glück» « Text: Robert Bossart | Fotos: Beatrice Felder Und – wie anstrengend ist es?» Clau- grosses Talent mit ziemlich viel Potenzial, Rollstuhlfahrer, die zu besonderen Leistun- dio Perret, Sportwissenschaftler und was auch Paul Odermatt, Nationaltrainer gen fähig sind, werden frühzeitig erkannt stellvertretender Leiter der Sportmedizin in Leichtathletik Nachwuchs der Schweizer und gefördert. So funktioniert die Sport- Nottwil, hält Licia einen Zettel hin mit einer Paraplegiker-Vereinigung, bestätigt: «Wenn medizin als eigentliche Talentschmiede für Skala von «überhaupt keine» bis «maximale sie so weitermacht, kann sie es weit bringen. künftige Medaillengewinner. Wichtig dabei Anstrengung». Die 15-Jährige sitzt in ihrem Sehr weit.» ist auch die Zusammenarbeit zwischen der schnittigen Rennrollstuhl und fährt in zügi- Schweizer Paraplegiker-Vereinigung mit gem Tempo auf dem Rollband. Auch nach Alles wird vermessen ihren Nationaltrainern und Rollstuhlclubs, über zehn Minuten scheint sie noch kaum Damit aus diesem «Rohdiamanten» auch tat- der Orthotec, welche das nötige Hightech- einen erhöhten Puls zu haben. «Ich merke fast sächlich mal ein Juwel wird, erhält die junge Sportequipment zur Verfügung stellt, und nichts», meint sie nur. Wer sie zum Schwitzen Sportlerin von der Sportmedizin Nottwil tat- der Sportmedizin. Erst das minutiöse Zusam- bringen will, muss sich etwas gedulden, denn kräftige Unterstützung. Regelmässig lässt menspiel dieser Faktoren führt zu einer opti- die zierliche junge Dame ist – gelinde gesagt die Solothurnerin hier medizinische Checks malen Talentförderung. – ziemlich fit. und leistungsdiagnostische Untersuchun- Licia hat im Moment vor allem ein Ziel: bes- Alles andere wäre auch verwunderlich, gen über sich ergehen. Blutwerte, Lungen- ser werden. Dafür trainiert sie zehn Stun- Licia Mussinelli ist immerhin amtierende funktion, Herzrhythmus – alles wird gemes- den pro Woche, zweimal in Nottwil, ansons- Juniorenweltmeisterin über 100, 200, 400 sen und getestet. «Wir helfen Athleten, ihre ten zu Hause auf der Rolle. Daneben besucht und 1500 Meter. Über 800 Meter wurde Leistungen zu verbessern, um ihr Potenzial sie die dritte Klasse der Sekundarschule sie Zweite – «nur» Zweite, wie man ihrem möglichst optimal ausschöpfen zu können», in einer Talentförderklasse. Sie, die wegen Gesichtsausdruck entnehmen kann. Ein sagt Phil Jungen, Chefarzt der Sportmedizin. einer Spina bifida – eines sogenannten Darum ist Sport für Querschnittgelähmte wichtig Physisches Training ist nicht nur für Sportler, sondern für alle Querschnitt gelähmten von zentraler Bedeutung. Dies aus verschiedenen Gründen: – Um das Ziel einer grösstmöglichen Selbstständigkeit zu erreichen, ist körperliche Kraft und Fitness äusserst wichtig. Je beweglicher, kräftiger und ausdauernder jemand ist, desto selbstständiger kann er seinen Alltag im Rollstuhl bestreiten. – Zudem ist der Kalorienverbrauch im Rollstuhl-Alltag geringer – der Gesamtenergieverbrauch ist rund 40 Prozent niedriger als bei Fuss gängern. Deshalb ist die Gefahr von Übergewicht gross, was wiederum die Selbstständigkeit etwa in der Mobilität beeinträchtigen kann. Sport führt dazu, Übergewicht zu vermeiden sowie weitere Risikofaktoren für Herz-Kreislauf-Erkrankungen zu senken. – Im Weiteren hilft Sport, eine neue Beziehung zum eigenen Körper aufzubauen und sich darin wieder wohlzufühlen. Wer sich selbst mag und akzeptiert, hat ein besseres Selbstvertrauen und kann besser auf andere Menschen zugehen. – Auch der Umgang mit Niederlagen und Siegen im sportlichen Wettkampf ist bedeutend. Beides fördert die Motivation und kann die Freude oder den Willen zur Leistung positiv beeinflussen. An sportlichen Wettkämpfen nehmen Freunde und Bekannte Anteil – ein wichtiger Beitrag zur Inte gration in die Gesellschaft. Vorsorge. Im Ruhe-EKG wird der Herzrhythmus gemessen, um allfällige Veränderungen diagnostizieren und behandeln 16 | Paraplegie, März 2016 zu können.
1 Leistung. Claudio Perret, stv. Leiter der Sportmedizin Nottwil, beobachtet die Pulswerte von Licia, die langsam ihre Leistung steigert. 2 Vollgas. Die junge Athletin trainiert mit ihrem Rennrollstuhl. schnell unterwegs», erin- nert sie sich und schmun- zelt. Auch lernte sie schon früh, den Rollstuhl als Spielgerät zu verwenden. Pirouetten drehen, auf zwei Rädern fahren, Hin- dernisparcours überwin- den: Das kleine Mädchen lotete die Grenzen ihres 2 Fahrgeräts bis ins letzte Detail aus. Mit sechs begann Licia, offenen Rückens – seit Geburt gelähmt ist, hat sich sportlich zu betätigen und machte in bereits als Einjährige ihren ersten Rollstuhl verschiedenen Rollstuhlclubs mit. Sie spielte bekommen. In einer Zeit, in der andere lau- unter anderem Basketball und Unihockey. fen lernen, übte sie den Umgang mit ihrem «Das war mir aber bald mal zu wenig. Ich Gefährt. Oft und gerne spielte sie Fangen wollte mehr Herausforderung», sagt sie. Und 1 mit ihren zwei Geschwistern und den Nach- so stieg sie in Nottwil zum ersten Mal in einen barkindern. «Schon damals war ich ziemlich Rennrollstuhl. «Mir war sofort klar, dass es
REPORTAGE Sportmedizin Nottwil Die Sportmedizin Nottwil ist ein führendes Insti tut für Sportmedizin und Leistungsdiagnostik in der Schweiz. Es ist mit dem höchsten Quali- tätslabel «Swiss Olympic Medical Center» aus- 1 2 gezeichnet. Behinderte wie nichtbehinderte Athleten erhalten sportmedizinische und labor technische Untersuchungen sowie Leistungs diagnostik und Trainingsberatung. Beide Athle tengruppen profitieren gegenseitig von den jeweiligen Erfahrungen. Letztes Jahr wurden «Ich habe 1 Beratung. Phil Jungen, Chefarzt der Sportmedizin Nottwil, nimmt sich Zeit für Freude, wenn 110 Leistungstests bei Rollstuhl-Spitzenathleten die Fragen seines Schützlings. durchgeführt. 2 Lungen. Nase einklemmen, tief einatmen und mit voller Kraft ausatmen: Mit dem ich Gas geben Generell können alle Querschnittgelähmten vom Lungenfunktionstest kann Leistungsasthma Angebot der Sportmedizin Nottwil profitieren. frühzeitig erkannt werden. So werden bei Patienten in der Erstrehabilitation 3 Blut. Entzündungswerte, Eisen, Vitamine kann» bereits nach zwölf Wochen die ersten sport- sowie Leber- und Nierenwerte: Sie liefern medizinischen Abklärungen vorgenommen. wichtige Informationen für die Athleten. «Es geht unter anderem darum, herauszufinden, welche Sportart für den jeweiligen Patienten möglich und geeignet wäre», sagt Chefarzt Phil Jungen. In der Klinik können die Patienten genau das ist, was ich will. Es war Liebe auf Im Kindergartenalter, als ihr bewusst wurde, verschiedene Sportarten ausprobieren, vom den ersten Blick.» Licia fühlte sich magisch dass sie anders ist als ihre herumrennenden Bogenschiessen bis zum Rollstuhl-Rugby. So angezogen von diesem Gerät. Einmal pro Freundinnen, habe es schon Krisen gegeben, werden Rollstuhlfahrer schon früh an sportliche Woche durfte sie auf der Bahn in Nottwil trai- erzählt sie. Aber heute hat sie das überwun- Aktivitäten herangeführt. Auch können poten- nieren – was ihr aber nicht genügte. «Dau- den. Der Sport habe ihr «mega» Selbstver- zielle Sporttalente erkannt und in Zusammen- arbeit mit den Nationaltrainern der Schweizer ernd stürmte sie, dass sie mehr trainieren trauen gegeben. Gutgetan hat ihr auch, als Paraplegiker-Vereinigung entsprechend geför wolle», erzählt Mutter Sara Mussinelli. sie in die Talentförderklasse aufgenommen dert werden. wurde: Ein Beweis dafür, dass ihr Talent aner- 60 Prozent der Kunden in der Sportmedizin sind Sport als Lebenselixier kannt wird. «Der Sport ist ein Schlüssel zum weder Rollstuhlfahrer noch Spitzenathleten, «Ich habe einfach immer Freude, wenn ich Glück», bringt sie es auf den Punkt. sondern Fussgänger, die etwa einen Gesund Gas geben kann», beschreibt die junge Frau heits-Check, eine Laufanalyse, ein Belastungs- ihren Tatendrang. Keine Anstrengung ist ihr Die Nummer eins werden: Warum nicht? EKG oder eine Körperfettmessung machen las zu gross, kein Training zu viel. Licia war schon Dieses Glück möchte Licia noch etwas wei- sen. Über 2200 medizinische Untersuchungen immer eine, die sich auf der Überholspur ter in Anspruch nehmen. Fragt man sie nach und rund 800 Leistungsanalysen werden in der Sportmedizin Nottwil pro Jahr durchgeführt. befindet. «Am glücklichsten bin ich, wenn ihren Träumen und Zielen, beginnen ihre das Training fertig ist, dann geht es mir immer Augen zu glänzen. Einen Moment zögert sie Gönner-Mitglieder der Schweizer Paraplegiker- Stiftung erhalten einen halbtägigen Medical- sehr gut.» Den eigenen Körper an seine Gren- mit der Antwort und rutscht unruhig im Stuhl und einen ganztägigen Gesundheits-Check zu zen bringen, schneller werden: Das macht ihr hin und her. Aber eigentlich weiss sie genau, ermässigten Preisen. Spass, das erfüllt sie mit grosser Befriedigung. was sie sagen will: «Ich will Spitzensportlerin Weitere Infos unter So sehr, dass sie ihr Leben im Rollstuhl als werden.» Und setzt noch einen oben drauf: www.sportmedizin-nottwil.ch rundum befriedigend bezeichnet. «Ich will gar «Mein höchstes Ziel sind die Paralympics. In nichts anderes mehr. Es ist super, wie es ist.» Tokio 2020 dabei zu sein, wäre cool.» Und Rio 18 | Paraplegie, März 2016
Jörg Schild (69) ist seit 2006 Präsident von Swiss Olympic. Die Dachorganisation der Schweizer Sportverbände, zu der auch die Schweizer Paraplegiker-Vereinigung gehört, stellt gleichzeitig das Nationale Olympische Komitee dar. Jörg Schild ist regelmässiger Gast bei den Paralympischen Spielen. «Die Athleten von Swiss Paralympics erbringen fantastische Leistungen» Jörg Schild, welche Bedeutung hat für Swiss Olympic das Institut für Sportmedizin in Nottwil? Das Institut für Sportmedizin in Nottwil trägt nicht umsonst das Label «Swiss Olympic Medical Center». Mit dem Label würdigt Swiss Olympic das Know-how, das in Nottwil bei der Betreuung von Spitzensportlern, bei der medizinischen Trainingsberatung und der Leistungsdiagnostik vorhanden ist. Die Erkenntnisse, die am Institut für Sportmedizin in Nottwil gewonnen werden sowie die vorhandene Infrastruktur dienen den Mitgliedsverbänden von Swiss Olympic und damit dem ganzen Schweizer Sport. Warum ist es wichtig, dass die Paralympics im Dachverband 3 Swiss Olympic integriert sind? Die Athletinnen und Athleten von Swiss Paralympics arbeiten genauso hart wie alle anderen Spitzensportler für den Erfolg und erbringen fan- tastische Leistungen. Die Siege und Medaillengewinne von Heinz Frei, nächsten Sommer? Das sei wohl noch etwas Manuela Schär, Marcel Hug und vielen anderen Paralympics-Athleten zu früh, meint sie erst. «Aber wenn sie mich zeigen, was mit viel Einsatz und eisernem Willen erreicht werden kann. mitnehmen, sage ich nicht Nein.» Die Mutter Sie alle sind damit grossartige Botschafter für Swiss Olympic und die lacht. Da müsste sie schon noch etwas zule- gesamte Schweizer Sportwelt. gen. «Weit ist sie allerdings von den Qualifi- kationszeiten nicht mehr weg.» Haben Sie einen persönlichen Bezug zum Behinderten- Im Moment ist Licia Mitglied im A-Kader Spitzensport? der Rollstuhl-Leichtathletik, was nach dem Wir sind eine einzige grosse Sportfamilie. Besuche an Paralympischen Nationalkader der zweithöchsten Leistungs- Spielen haben mich in diesem Gefühl gestärkt und bleiben für mich stufe entspricht. Die 100 Meter legt sie bereits unvergessliche Erlebnisse. in beachtlichen 17,9 Sekunden zurück. Ihre Vorbilder sind die US-Amerikanerin Tatyana Was möchten Sie den Paralympics-Athleten persönlich mit auf McFadden, dreifache Goldmedaillengewin- den Weg nach Rio geben? nerin 2012 in London – und die Schweizerin 2016 bedeutet für Swiss Olympic und Swiss Paralympic ein ganz beson- Manuela Schär, welche 2014 an der EM gleich deres Jahr: Voller Vorfreude blicken wir nach Rio de Janeiro, wo derzeit viermal Gold gewann. Fragt man Licia, ob sie die letzten Stadien für die Sommerspiele 2016 fertiggestellt werden. Auf sogar mal die Nummer eins der Welt werden dass dann alles bereit ist, wenn zuerst die olympischen und wenig später möchte, antwortet sie keck: «Warum nicht, die paralympischen Athletinnen und Athleten die Stadt mit ihren Wett- wer möchte das nicht?» kämpfen verzaubern. Olympisches Edelmetall ist das Grösste, was eine Sportlerin, ein Sportler gewinnen kann. Ich wünsche allen Paralym- pics-Athleten die Motivation und die Willenskraft, in der Vorbereitung und dann aber vor allem im Wettkampf das Letzte aus sich herauszuho- len und so für sich selber aber auch die ganze Schweiz Erfolge zu feiern. Paraplegie, März 2016 | 19
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GÖV Einladung zur 23. Mitglieder-Versammlung Mittwoch, 20. April 2016, 18.00 Uhr Auditorium Guido A. Zäch Institut (GZI), 6207 Nottwil Traktanden 1. Begrüssung T TREPPENLIF TE Heinz Frei, Präsident Gönner-Vereinigung 2. Jahresbericht des Präsidenten 3. Informationen der Schweizer Paraplegiker- Stiftung (SPS), Daniel Joggi, Präsident SPS Treppensteigen 1) 4. Abnahme der Jahresrechnung 2015 5. Festlegung der Mitgliederbeiträge leicht gemacht 6. Anträge von Vereinsmitgliedern 2) 7. Wahlen in den Vorstand 2) Antrag auf Wiederwahl: Heinz Frei, Hans Georg Koch, BACO AG Hans Jürg Deutsch, Daniel Joggi, Peter Landis Demission: Pius Segmüller Postfach • 3613 Steffisburg Tel. 033 439 41 41 • Fax 033 439 41 42 8. Wahl der Kontrollstelle info@baco-ag.ch 9. Informationen www.baco-treppenlifte.ch 10. Varia 1) ie Jahresrechnung 2015 kann ab 31. März 2016 auf www.paraplegie.ch/Gönner-Vereinigung/ D Publikationen/Downloads eingesehen oder schriftlich angefordert werden bei: Gönner-Vereinigung Bestellung der Schweizer Paraplegiker-Stiftung, Guido A. Zäch Strasse 6, 6207 Nottwil. 2) GRATIS-Unterlagen: nträge an die Mitglieder-Versammlung sowie Wahlvorschläge sind bis 31. März 2016 A einzusenden an: Gönner-Vereinigung der Schweizer Paraplegiker-Stiftung, Guido A. Zäch Strasse 6, 6207 Nottwil oder an sps@paraplegie.ch. Als Datum gilt der Poststempel resp. der E-Mail-Versand ❏ Stuhltreppenlifte mit Lesebestätigung. ❏ Plattformtreppenlifte Das Wahlreglement kann auf www.paraplegie.ch eingesehen werden. ❏ Senkrechtaufzüge ❏ Hebebühnen ❏ Steighilfen / Rampen Anmeldung Mitglieder-Versammlung 2016 ❏ ❏ Schwimmbadlifte GRATIS Beratung zu Hause Name Vorname: Vorname Name: Strasse Strasse: PLZ/Ort PLZ/Ort: Gönnernummer Telefon: Ich nehme an der Mitglieder-Versammlung teil. Bitte senden Sie den Anmeldetalon bis 31. März 2016 an: Gönner-Vereinigung der ✂ Schweizer Paraplegiker-Stiftung, Guido A. Zäch Strasse 6, 6207 Nottwil. Paraplegie, März 2015 | 21 Anmeldung online: www.paraplegie.ch/Gönner-Vereinigung/Mitgliederversammlung
«So muss sich ein Trapezkünstler fühlen» Durch einen Skiunfall wurde Luigi-Gino Mangilli Tetraplegiker und war auf künstliche Beatmung angewiesen. Wieder selbstständig atmen zu lernen, ist für Betroffene oftmals ein langwieriger und anstrengender Prozess. Im Schweizer Paraplegiker-Zentrum können sie dabei auf ein interdisziplinäres Team mit langjähriger Erfahrung zählen. Nun wird die räumliche Kapazität mit der geplanten Klinikerweiterung der steigenden Nachfrage in der Beatmungsmedizin angepasst. Text: Susanne Zürcher | Fotos: Walter Eggenberger Beatmungsmedizin. Das Fach- wissen im SPZ ist sehr gefragt. Die Klinikerweiterung sieht deshalb vier zusätzliche «Weaning»-Betten vor für die Entwöhnung beatmeter Patienten vom Beatmungsgerät.
Entwöhnt. Nach der achtmonatigen ZUR SACHE Rehabilitation und der erfolgreichen Umstellung von künstlicher auf eigenständige Atmung im SPZ freut sich Tetraplegiker Luigi-Gino Mangilli auf die Rückkehr nach Hause. A pril 2015 – die Ski-Saison geht zu Ende. Ein letztes Mal geniessen Luigi-Gino Mangilli und seine Frau Christiane zusam- 2. Mai 2015 Seit Kurzem wird die Beatmungsma- men mit Freunden bei besten Verhältnis- schine zehn Minuten lang abgeschaltet. sen einen Tag auf den Brettern im Skigebiet So gewöhnt sich Luigi-Gino daran, Portes du Soleil (VS). Die Erinnerungen an wieder selbstständig zu atmen. seinen Sturz sind wie weggeblasen – Luigi- Gino weiss nur noch, dass er bremsen wollte, Luigi-Gino kämpft. um auf die anderen zu warten. Niemand Er kämpft für jeden eigenen Atemzug. beobachtet den Unfallhergang, das Gesche- hene bleibt unerklärlich. Der Eingriff in sein Leben, den der Neuenburger nun erfährt, könnte tiefer nicht sein. Schwerverletzt 3. Mai 2015 wird er im Universitätsspital Lausanne auf Heute geht’s schon eine ganze Stunde die Intensivstation gebracht, künstlich beat- ohne maschinelle Unterstützung. fordern, damit er seine Leistungsgrenzen ste- met und schliesslich ins Schweizer Paraple- tig erweitert», beschreibt Markus Béchir den giker-Zentrum (SPZ) nach Nottwil verlegt. Damit der Körper eines beatmeten Menschen Prozess. Der 70-Jährige ist von einer Sekunde auf die möglichst bald lernt, wieder selber zu arbei- andere Tetraplegiker und vom dritten Hals- ten, wird im SPZ für jeden Betroffenen ein wirbel an abwärts gelähmt. individuell angepasstes Entwöhnungskon- Um mit dieser unbegreiflich schwierigen zept (Weaningkonzept) erstellt und mit dem 13. Mai 2015 Situation zurechtzukommen, dokumen- Patienten genau besprochen. «Für ihn ist die- Nur noch dreimal 20 Minuten am Tag tiert Christiane Mangilli tagebuchartig die ser Entwöhnungsprozess ‹ein Chrampf›. Er wird Luigi-Gino mit Maschine beatmet. Behandlungsschritte in der Beatmung von gibt die Sicherheit der maschinellen Beat- Luigi-Gino. mung auf, um seine selbstständige Atmung Der 70-jährige Tetraplegiker sagt von sich, er trainieren zu können. Die Pflegefachperso- sei in der glücklichen Lage, Unangenehmes nen müssen ihn zudem im Training heraus- schnell zu vergessen. «Denn wenn du plötzlich 24. April 2015 Luigi-Gino erhält einen Luftröhren- schnitt, bei dem eine Kanüle zum Beat- Swiss Weaning Centre in Nottwil men und zum Absaugen von Sekreten Das Swiss Weaning Centre im Schweizer Der Begriff «Weaning» bezeichnet den Entwöh- in die Luftröhre eingelegt wird. Paraplegiker-Zentrum (SPZ) ist spezialisiert im nungsprozess, den ein beatmeter Patient durch- Bereich der Beatmungsmedizin. Rund 50 Pro- läuft, bis er keine maschinelle Unterstützung «Bei Menschen, die oberhalb des fünften zent der querschnittgelähmten Patienten in mehr braucht, um atmen zu können. Halswirbels C5 eine Rückenmarkverletzung Nottwil müssen beatmet werden, 20 Prozent Ziel des «Weanings» ist es, dass Menschen nach gar über mehrere Wochen oder Monate lang. ihrem Klinikaufenthalt in Nottwil wieder unab- erleiden, ist immer auch der Hauptsteue- Denn hochgelähmte Menschen sind immer hängig und ohne permanente Unterstützung rungsnerv der Beatmung betroffen», erklärt auch in ihrer Atmung beeinträchtigt. So wur- eines Beatmungsgerätes leben können. Bei 95 Dr. Markus Béchir, Chefarzt der Intensiv-, den 2015 rund 11 900 Pflegetage für beatme- Prozent der Patienten ist dieses Ziel erreichbar. Schmerz- und Operativen Medizin im SPZ. te Patienten geleistet, was rund einem Fünftel In Nottwil verfüge man über fundiertes Wis- aller erbrachten Pflegetage entspricht. Kurzfilm online sehen: sen und langjährige Erfahrung mit beatme- www.paraplegie.ch/weaning oder QR-Code ten Patienten. Paraplegie, März 2016 | 23
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