Hernsteiner - REDEN WIR DARÜBER - Hernstein Institut für Management ...
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DIE GENERATION Z IE D D E R T E“ MA S IT C E H T I UND DIE MAMMUT- S T Ä E IT UT AUTORITÄT AU TO R „G Welche Assoziationen haben Sie zu Haben Sie Autorität oder sind Sie eine Autorität? Bei den Jägern und Sammlern lag die Macht – so Erich Fromm Autorität? in „Haben oder Sein“ – bei derjenigen Person, deren Kompetenz für die jeweilige Aufgabe allgemein anerkannt wurde. Wer gut im Mammut-Erlegen war, hatte die 9% Mammut-Autorität. Dann wurden die Dinge kompliziert. In späteren Gesellschaften ging die Autorität nämlich auf 84 % äußere Zeichen über, auf Uniformen und Titel. Bist du neutrale König, hast du recht – und auch die schönsten Kleider, 7% sogar wenn du nackt bist. positive Damit sind wir auch schon bei der Generation Z. Die geht negative quasi retour zu den Jägern und Sammlern. Diese jungen Menschen – Prototyp ist Greta Thunberg – hinterfragen so Welche ziemlich alles und daher auch Hierarchie, Macht und Autori- tät. Doch Hinterfragen bedeutet nicht unbedingt Ablehnen. Assoziationen Inkompetentes Pseudo-Führen wird die Kündigungsrate haben Sie zu steigen lassen. Doch wer sinnvolle Vorgaben macht und sei- nen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern dadurch hilft, ihren Macht? Job gut zu erledigen, erntet sogar Dankbarkeit. Wer gut im Mammut-Erlegen ist, hat die Mammut-Autorität. 50 % Sind die heutigen Führungskräfte bereit für diese Challenge? Die Umfrage des Hernstein Management Reports bietet 20 % Grund für Optimismus. Das Bewusstsein für die neuen neutrale Anforderungen scheint vorhanden zu sein, eine konstruktive Fehlerkultur ist weit verbreitet. Es gilt wieder: Wer Autorität positive hat, muss auch eine Autorität sein. 30 % 33 % negative der weiblichen Führungskräfte assoziieren Quelle: Hernstein Management Report Seit 23 Jahren erhebt der Hernstein Management Report jährlich ein Stimmungs- und Meinungsbild unter Führungskräften im negative Eigenschaften (zum Beispiel deutschsprachigen Raum. Online-Befragung durch Triple M Matzka Markt- und Meinungsforschung. Befragungszeitraum: Mai 2020, „Ungerechtigkeit“, „Arroganz“ usw.) mit Sample: 1.548 Personen. Aufgrund kaufmännischer Rundungen können Prozentwerte zwischen 99 % und 101 % auftreten. Bitte beachten Sie, dass die Befragung in der ersten Mai-Hälfte 2020 stattfand, also dem Begriff Macht. Bei Männern sind es während des Covid-19-Shutdowns. Mehr Infos unter: www.hernstein.at/hmr mit 27 % deutlich weniger. 2 hernsteiner 2/2021
Wenn jemand einen Fehler macht, sollte er/sie die Chance bekommen, 56 % den Fehler wiedergut E R F E H L E RN Stimme voll und ganz zu zumachen und nicht V IT M sanktioniert zu werden. I G T K N RU GA KO N ST U M Ich fördere Dieser Aussage stimmen 38 % 59 % bei meinen 6% Stimme eher zu Mitarbeitenden den offenen voll und ganz zu Stimme 35 % weniger zu Umgang mit Fehlern, denn nur aus Fehlern eher zu 16 % Fehlleistungen 6% kann man Stimme überhaupt erfordern rasche nicht zu lernen. Sanktionen. 46 % weniger zu 1% überhaupt nicht zu 10 % Stimme voll und ganz zu Stimme weniger zu O L LE ÜH RU N G DA Z 28 % Stimme R F U U eher zu T N Z KO EN C H T U N D G E H Ö R Ohne regelmäßige Kontrolle der Mitarbeitenden kann Führung nicht funktionieren. 24 % 53 % 20 % 3% Eine Führungskraft sollte eine gewisse Distanz zu den Mitarbeitenden haben. MA 16 % 48 % 31 % 6% Ich bin der Ansicht, dass Macht zu Führung einfach dazugehört. 15 % 44 % 33 % 9% Stimme voll Stimme Stimme Stimme überhaupt und ganz zu eher zu weniger zu nicht zu 3
Inhalt { 6 KU R Z M E L D U N G E N Gold für Hernsteiner / 1,5 Tage Humor / „Cringe“ – das Jugendwort 2021 / Podcast: Was zeichnet eine gute Führungskraft aus? / Innovationspreis für smartes Recycling 7 L E A D E R S H I P - H AC K S Wer sind Sie? 2 2 WA S C E O s VO N K A P I TÄ N E N L E R N E N KÖ N N E N 8 S C H W E R P U N K T : Kreative Spitzenleistungen trotz hoher Fluktuation U N T E R N E H M E N S KU LT U R Was ist der Sinn des Sinns? Und warum steht er bei 24 E I N E W E LT O H N E H I E R A RC H I E Inspiration in der Kalahari manchen Pyramiden ganz oben? Was lässt Hochzeiten im Himmel scheitern? 2 6 „ M A N L ÄU F T , KOM M T A B E R Und wie geht Unkultur? N I C H T VO N D E R S T E L L E “ Christian Jarnig von Fercam Austria Überraschende Antworten und frische Impulse. 2 8 W E R P U T Z T D E N KÜ H L S C H R A N K ? Selbsterfahrung: Marina Barz über den Weg in die Selbstverantwortung 2 9 I H R E N ÄC H S T E N T R A I N I N G S Virtuell führen und humorvoll zusammenarbeiten 3 0 D I E R E A L I TÄT I S T D E N M E N S C H E N Z U M U T BA R Das Training „Living Leadership“ hilft, mit Führungsangst umzugehen 4 hernsteiner 2/2021
E D I TO R I A L DIE GUTE GIER Als Kind haben Sie diesen Spruch vielleicht auch gehört: „Neu gierige Leute sterben bald.“ Auf Englisch heißt es: „Curiosity killed the cat.“ Neugier ist der Katze Tod und jener guten Benehmens ebenfalls. Zumindest galt das früher. Denn das Image dieses kleinen Wörtchens hat sich dramatisch gewandelt. Neugier gilt heute als Treibstoff für positive Veränderung. Natürlich geht es nicht um das Herumschnüffeln in Privatsphären. Sondern um das intensive Interesse an Neuem. Für Pulitzer-Preisträger Thomas L. Friedman ist dies sogar die wichtigste Überlebensfähigkeit überhaupt, leidenschaftliche Neugier sei heute wichtiger als ein hoher Intelligenzquotient. Das gilt nicht nur für die individuelle Karriere: „Über die Neugier der Mitarbeiter wird letztlich die Innovationsfähigkeit eines Unternehmens definiert“, urteilt das Zukunftsinstitut. Die gute Nachricht: Neugier kann man lernen. Das Onlineportal karrierebibel.de gibt dafür einige ganz konkrete Tipps: Probieren Die Redaktion des Hernsteiners: Michaela Kreitmayer, Leiterin Sie zum Beispiel jeden Tag etwas Neues aus – essen Sie mittags Hernstein Institut (oben), in einem neuen Lokal, gehen Sie einen neuen Weg als Alternative und Sibylle Wachter-Benedikt, zu Ihren bekannten Pfaden. Lesen Sie mehr – viele erfolgreiche Gesamtredaktion Menschen lesen jede Woche ein neues Buch. Hinterfragen Sie Bekanntes: Das haben wir schon immer so gemacht? Ein Grund mehr, es mal anders zu versuchen! Die Unternehmenskultur kann Innovation fördern, indem sie Neugier ermöglicht und sogar belohnt. Dabei ist aber darauf zu achten, dass bei all den Experimenten und neuen Wegen das I M P R E S S U M Hernsteiner – Fachzeitschrift für Management- und Leadership- Gemeinsame nicht verloren geht. Daher betont der Autor unserer Entwicklung Herausgeber, Medieninhaber und Redaktion: Hernstein Coverstory, dass eine neue Qualität des Dialogs notwendig ist. Institut für Management und Leadership der Wirtschaftskammer Wien, Währinger Gürtel 97, 1180 Wien, T: +43/1/514 50-5600, Gehen wir neue Wege – und erzählen wir einander, was wir dabei hernstein@hernstein.at, www.hernstein.at Copyright: alle Rechte bei entdecken! Hernstein Institut für Management und Leadership der Wirtschafts kammer Wien. Redaktion: Mag. (FH) Michaela Kreitmayer (Leitung Hernstein Institut), Sibylle Wachter-Benedikt, BSc (Gesamtredaktion), Mag. Gerhard Mészáros, MA. Corporate Publishing: Egger & Lerch, Quellen 1030 Wien (Artdirektion und Layout: Anika Reissner, Sabine Peter). Fotos/Illustrationen: Philipp Tomsich (S. 5, 9), Peter Bauer (S. 7), A. Steinle und C. Naughton: Neugier-Management. Zukunftsinstitut, 2014 Daniel Waschnig (S. 12), Isabella Kubitza Fotografie (S. 15), Reinhard John Hagel III (31. 7. 2017): “Radically open: Tom Friedman on jobs, learning, and the future Lang (S. 16, 21), Val Sedounik (S. 19), AIDA Cruises (S. 22), Fotostudio of work”. Deloitte Review Wilke (S. 23), Digitalwerk (S. 25), Fercam Austria (S. 27), Inga Haar https://www2.deloitte.com/us/en/insights/deloitte-review/issue-21/tom-friedman- (S. 28), Kirstin Tödtling (S. 30); stock.adobe.com: FotoRequest (S. 1, 8), interview-jobs-learning-future-of-work.html Alex (S. 1, 12, 18, 19), Tatiana Atamaniuk (S. 1, 8, 16), ryanking999 (S. 10), onkachura (S. 10, 12, 13), Mircea Costina (S. 14), emuck (S. 16), oldesign Jochen Mai (19. 11. 2020): „Neugier: Die unterschätzte Erfolgseigenschaft“ (S. 17), De_silVA (S. 20), gqxue (S. 21). Hersteller: Druckerei Berger, https://karrierebibel.de/neugier/ 3580 Horn. Offenlegung der Eigentumsverhältnisse nach dem Mediengesetz: Hernstein Institut für Management und Leadership der Wirtschaftskammer Wien, Währinger Gürtel 97, 1180 Wien. Der Hernsteiner erscheint 2-mal pro Jahr. Der Inhalt der Beiträge spiegelt die Meinung der Autorinnen und Autoren wider, deckt sich aber nicht unbedingt mit der Meinung des Herausgebers. 5
Kurzmeldungen GOLD FÜR HERNSTEINER ELDUNGE Der Hernsteiner wurde 2021 das dritte Mal in Folge bei den Fox Awards des renommier- ten Branchenmagazins „Lout.plus“ in der Kategorie Weiterbildung mit Gold prämiert. Eine Auszeichnung, die mittlerweile seit 11 Jahren an die wirksamsten und effizientes- ten Kunden- und Mitarbeitermagazine des PODCAST: WAS ZEICHNET D-A-CH-Raums vergeben wird. Die Fachjury EINE GUTE FÜHRUNGS- beurteilte den Hernsteiner als „didaktisch KRAFT AUS? vorbildlich“, inhaltlich „inspirierend“ und „konstruktiv-provokant“. Wir freuen uns sehr! Sie möchten wissen, was eine gute https://lout.plus/news/FOX-AWARDS-2021- Führungskraft ausmacht, welche Fehler Die-Jury-hat-entschieden.html Sie in dieser Rolle unbedingt vermeiden sollten und wie Sie am besten mit K ritik um- KURZ gehen? Dann lassen Sie sich das Interview mit Michaela Kreitmayer nicht entgehen, 1,5 TAGE HUMOR das Johannes Pracher im Rahmen der #glaubandich-Podcasts mit der Leiterin Der Humor und seine Bedeutung für das des Hernstein Instituts geführt hat. Pracher Wirtschaften stehen im Zentrum der leitet die Startrampe, den großen Working- HumorEXPO. 1,5 Tage lang bieten Keynote- & Creative-Space der Sparkasse OÖ in Vorträge, Diskussionen und Workshops der Linzer Tabakfabrik. Dort können sich Inspiration und Unterhaltung. Denn Humor Gründerinnen und Gründer sowie Start- macht nicht nur Spaß, sondern auch leis ups unternehmerisch und organisatorisch tungsfähiger. Am 20. und 21. April in Wien. weiterentwickeln und langfristige Geschäfts www.lsz-consulting.at/events/humorexpo-2021 verbindungen aufbauen. www.hernstein.at/newsroom/blog/ was-zeichnet-eine-gute-fuehrungskraft-aus „CRINGE“ – DAS JUGENDWORT 2021 INNOVATIONSPREIS FÜR Vielleicht haben Sie es schon gehört: „cringe“. SMARTES RECYCLING Das ist das österreichische und deutsche Jugendwort des Jahres 2021, das ein Gefühl Dieses Jahr hat das Projekt „Hawkeye“ von des Fremdschämens ausdrückt. Achtung: Brantner Green Solutions den ersten Platz Teenager bezeichnen mit diesem Wort beim Iceberg Innovation Leadership Award auch gern Erwachsene, die Jugendsprache erreicht. Das Unternehmen nutzt künstliche verwenden, weil sie cool wirken wollen. Aber Intelligenz unter anderem, um Abfallströme hey – wir finden, es ist wichtig, die nächste optimal zu trennen und somit nachhaltig Generation, die den Arbeitsmarkt stürmen wiederzuverwerten. Hawkeye wird bei- wird, zu verstehen! spielsweise eingesetzt, um bei der Produk- www.langenscheidt.com/jugendwort-des-jahres tion von Bio-Kompost keine schädlichen Störstoffe in den Kreislauf der Nahrungskette zurückzuführen. Wir gratulieren! www.austrian-innovation-forum.at/ iceberg-award 6 hernsteiner 2/2021
Leadership-Hacks WER SIND SIE? Eine gute Basis für den Aufbruch nach der Krise: Unterziehen Sie Ihre Ich-Marke einem gründlichen Check! MO N I K A H E R B S T R I T H - L A P P E Botschaften ein stimmiges Ganzes ergeben. In Anbetracht der Reichweite und des Gedächtnisses des Internets und der sozialen Medien ist dies wichtiger denn je. Gegen eine Pandemie kann ein Einzelner nur wenig ausrichten. Das macht Angst – und viele verharren Seien Sie merk-würdig weiter in einer Art Schockstarre. Doch es gibt viel, Früher bevorzugte man im Theater Heldinnen und das wir selbst in der Hand haben, und genau darauf Helden. Jetzt stehen Protagonistinnen und Prota sollten wir uns nun besinnen. Dazu zählen vor gonisten im Mittelpunkt. Ambivalenzen machen sie allem: wir selbst und unser Selbstverständnis. Daher für uns so faszinierend. Erlauben Sie sich, in einer ist jetzt die richtige Zeit, sich um ein paar Basics zu für Sie passenden Dosis merk-würdig zu sein. Die kümmern. Und unsere Personal-Branding-Strategie deutsche Sprache bringt es auf den Punkt: Wenn Sie einem gründlichen Check zu unterziehen. Oder sie sich mit Ecken und Kanten zeigen, können Menschen gleich ganz neu aufzusetzen. So gelingt der Auf- Vertrauen fassen. Bei aalglatten Menschen oder M AG . MO N I K A H E R B S T R I T H - bruch nach der Krise! formlosen Wesen können wir das nicht. L A P P E Stellen Sie sich die richtigen Fragen Zeigen Sie, wer Sie sind ist seit 1984 selbst Wer unverwechselbar ist und aus der Masse heraus- Worte zeigen, wie jemand sein möchte. Taten ständige Trainerin, Autorin mehrerer sticht, hat größere Chancen auf Erfolg. Die Grund- zeigen, wie jemand tatsächlich ist. Wenn wir zum Bücher und ehemalige idee von Personal Branding ist, dass die Persönlich- Beispiel in sozialen Medien etwas über das Handeln Lektorin an mehreren keit zu einer attraktiven Marke wird. Die Basis dafür von Persönlichkeiten miterleben, so erfüllt dies Fachhochschulen. Sie sind einige grundlegende Fragen: einen Namen mit Leben. Reden Sie nicht nur über hat Mathematik und Physik studiert sowie Welcher Mensch möchte ich sein? Ihre guten Eigenschaften, sondern machen Sie diese zahlreiche Aus- und Was charakterisiert mich? sichtbar. Weiterbildungen in den Wofür engagiere ich mich? Bereichen Management, Was ist mein Beitrag für die Gemeinschaft? Achten Sie auf die Spannung Psychologie und Neurowissenschaft Wie möchte ich gesehen werden? Spannende Geschichten leben von der Balance absolviert. zwischen Erfüllung von Erwartungen und überra- Je besser es Ihnen gelingt, diese Fragen individuell schenden Wendungen. Wenn Sie in unterschiedli- zu beantworten, desto unverwechselbarer werden chen Ausprägungen Einblicke in Ihre Persönlichkeit Sie. Besonders wichtig ist, dabei stets die überge gewähren, wird Ihre Ich-Marke facettenreich und ordnete Frage mitzudenken: mit positiven Emotionen aufgeladen. Was kann ich über mich sagen, was andere nicht so über sich sagen können? Bleiben Sie konsistent Marken wecken Erwartungen. Vertrauensbruch und Enttäuschungen sind nur schwer wieder auszu bügeln. Für unsere Vorfahren war es lebenswichtig zu erkennen, wem sie trauen können. Daher ist unser Hirn hochsensibel dafür, ob unterschiedliche 7
10 D E R W E G E N T S T E H T B E I M R E D E N Leadership mit Sinn und eine neue Kultur des Dialogs 14 WA S R E MOT E L E A D E R VO N S C R U M L E R N E N KÖ N N E N Experten-Interview mit Max Winkler: Welche Teams im Homeoffice gut funktionieren { 16 D E R W E G Z U M A N D E R E N B E G I N N T B E I E I N E M S E L B S T Über den Tellerrand: Wie man das Unsichtbare respektiert 17 S O G E H T U N KU LT U R Erfahrungsschatz: Wie Führungskräfte garantiert schlechte Stimmung schaffen Was dieser Blauhäher da macht? Das erklären wir auf der letzten Seite. 18 D I E G R E N Z E N D E R F L E X I B I L I TÄT Im Brennpunkt: Wenn Selbstverantwortung zur Überforderung wird 20 Z I TAT E R ÄT S E L 21 D I AG N O S E : Z E I C H E N Z Ä H L E R Florian Streb über Unternehmenskultur und -medien 8 hernsteiner 2/2021
Unternehmenskultur L E I TA R T I K E L 77 % ENGAGEMENT LÄSST SICH NICHT KAUFEN der Führungskräfte fühlen sich dem Unternehmenszweck Sie wollen, dass sich etwas im Unternehmen ändert? Dann leben verbunden, aber nur 54 % der Sie die Veränderung. Denn Engagement lässt sich nicht kaufen, restlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.* nur vorleben. Egal ob in Ihrem Unternehmen das Unternehmens- kulturmodell von Hofstede eine Rolle spielt, wo es um einen gemeinschaftlichen Prozess aus Werten, Ritualen, Helden und 67 % Symbolen geht, oder das Modell nach Schein, wo mit selbstver- ständlichen Annahmen gearbeitet wird, die nicht hinterfragt werden, oder das Eisbergmodell oder, oder, oder – seien Sie sich in jedem Fall bewusst, dass Ihr Verhalten als Führungskraft der springende Punkt ist. Mag. (FH) Michaela von über 3.200 Befragten Denn Ihre Mitarbeitenden ziehen tagtäglich ihre Schlüsse aus Kreitmayer aus 42 Ländern glauben, Ihrem Tun und hinterfragen dann ihr eigenes Verhalten. Soll im ist Leiterin des dass die Unternehmenskultur Klartext heißen: Wer Wein trinkt und Wasser predigt, wird nicht Hernstein Instituts. ein wichtiges Thema auf der das gewünschte Ergebnis erzielen. Sie bestimmen durch Ihr Auf- Agenda des Topmanagements ist. 2018 stimmten nur 61 % der treten und Ihr Verhalten maßgeblich mit, wie die Unternehmens- Aussage zu, 2013 53 %.** kultur in der Praxis aussieht. 72 % Nur engagierte Mitarbeitende liefern überdurchschnittliche Leistungen und tragen damit entscheidend zum Unternehmens- erfolg bei. Wenn Führungskräfte vorleben, was sie sich vom Team wünschen, ist das bereits die halbe Miete. Engagement entsteht nicht durch einzelne Maßnahmen, sondern durch eine insgesamt positive Unternehmenskultur, mit einer Führungskraft an der Spitze, die mehr fragt als antwortet und die mehr zuhört als redet. der Topmanager berichten, dass Und die vor allem ihre Mitarbeitenden sieht und anerkennt sowie die Kultur in ihrem Unternehmen deren Leistung nicht als selbstverständlich abtut, sondern wirklich dabei hilft, Change-Projekte erfolgreich umzusetzen.* wertschätzt. Ohne Mitarbeitende wäre kein Unternehmen erfolgreich, daher sollte die Wertschätzung des wichtigsten Schatzes im Unternehmen unser Handeln als Führungskräfte leiten. Wenn Führungskräfte Quelle: den wertschätzenden Aspekt verinnerlicht haben und dann noch *„PwC Global Culture Survey 2021“. authentisch führen, kann fast nichts mehr schiefgehen. Befragt wurden 3.243 Personen aus Unternehmen in 42 Ländern im März 2021. www.pwc.com/gx/en/issues/upskilling/ global-culture-survey-2021.html ** „PwC Global Culture Survey 2021“, „PwC Global Culture Survey 2018” mit 1.204 Befragten, „PwC Global Culture Survey 2013” mit 2.219 Befragten. 9
Unternehmenskultur Sind wir auf dem richtigen Weg? Um das herauszufinden, braucht es eine engmaschige Abstimmung. Wir müssen miteinander reden – mehr denn je, intensiver denn je. & DER WEG ENTSTEHT BEIM REDEN Unternehmen müssen neue Wege gehen, dabei aber die Menschen mitnehmen. Daher braucht es eine neue Kultur des Dialogs – und ein Leadership, das den Sinn des Ganzen verständlich macht. RO B E R T U KOW I T Z Wer in feuchten Herbstwäldern gemeinsam mit treffen – hinein in einen Hoffnungsraum, ohne einigen Freundinnen und Freunden Pilze sammelt, zu wissen, was richtig ist. Die gute Nachricht: Der braucht mehr als Fachwissen. Hilfreich ist auch Mensch ist gut darin, intuitive Entscheidungen zu gutes Teamwork: Alle kennen den Sinn des Unter treffen. Dafür braucht er aber Futter, im Sinne von fangens, verständigen sich auf ein grobes Ziel, zum laufenden Informationen darüber, welche Erfahrun- Beispiel bestimmte Pilzarten zu finden, und auf einen gen im Unternehmen auf welchen Ebenen gerade möglichen Weg dorthin. Die Person mit den meisten gemacht werden. Und dafür braucht es wiederum Informationen geht voran. Die anderen schwärmen Dialog – mehr denn je, intensiver denn je, das links und rechts von ihr aus. Dann stimmt man sich gesamte Unternehmen umfassend. Die Kommuni- idealerweise laufend durch Zurufe im Wald über kation darf nicht nur bei den offiziellen Terminen die aktuellen Erfolge und Misserfolge beim Suchen stattfinden, sondern auch spielerisch während des ab. Die Summe dieser einzelnen Erzählungen ergibt Tuns. Es ist wie beim Pilzesammeln: Man ruft sich ein Gesamtbild der Gruppe, das beim laufenden ständig zu, was man gerade sieht und welcher Weg Anpassen der Suchstrategie hilft. Und am Ende steht Erfolg versprechend aussieht. Dabei geht es nicht hoffentlich ein Korb voller frischer Waldpilze. um Selbstdarstellung, sondern um eine möglichst engmaschige Abstimmung, um den Wunsch, das Tut Gutes und redet möglichst viel darüber große Ganze zu verstehen – zu verstehen, ob die ge- Der Wald, in dem sich Unternehmen bewegen, samte Gruppe auf dem richtigen Weg ist. Beginnen wurde seit der Coronapandemie immer dichter und Sie bewusst damit, sich häufiger auszutauschen. Tut unwegsamer. Es wird immer schwieriger, Aussagen Gutes und redet möglichst viel darüber! Und zwar in über die Zukunft zu machen. Warten ist aber die unterschiedlichsten Konstellationen. Der Zufall im falsche Strategie. Wir müssen Entscheidungen Austausch sollte bewusst genährt werden. 11
RO B E R T U KOW I T Z ist selbstständiger Unternehmensberater. Der studierte Jurist und ausgebildete Rechtsanwalt hat ein Masterstudium in Mediation sowie Ausbildungen in systemischer Arbeit, Gruppendynamik und NLP absolviert. Narrativ + Strategie = Kultur Diese Transmissionsfunktion des mittleren Mana Dieses mannigfaltige Stimmengewirr ist die eine gements ist essenziell, um den großen aktuellen Hälfte der Unternehmenskultur – das tatsächliche Widerspruch aufzulösen: Die Unternehmen müssen Narrativ des Unternehmens, die vielen Menschen, neue Wege gehen, aber zugleich wird es immer die ihrer Arbeit nachgehen und darüber reden, sei es schwieriger, die Menschen auf diese Reise mitzu- am Schreibtisch, in der Teeküche oder daheim. Der nehmen. Menschen fühlen sich in Unsicherheits- andere Teil der Unternehmenskultur ist die Strate- welten nicht wohl. Sie empfinden Angst, fürchten gie von oben, die offizielle Mission und der Sinn, die um ihren Job, ziehen sich daher zurück und gehen vom Topmanagement vorgegeben werden. Diese auf Nummer sicher. Sie verrichten lieber Dienst beiden Ebenen sollten sich in einem p ermanenten nach Vorschrift und vermeiden mögliche Fehler, als Dialog miteinander befinden. Eine besondere Experimente zu wagen – dabei wäre gerade das jetzt Verantwortung kommt dabei den Führungskräften notwendig. Gleichzeitig verfällt das Topmanage- auf den mittleren Hierarchieebenen zu. Sie müssen ment oft in einen Panikmodus und Kontrollwahn, das „Big Picture“, das sie von oben bekommen, in versucht, noch mehr und noch genauer zu steuern, die unterschiedlichen Sprachen übersetzen, die im anstatt zuzuhören – dabei wäre genau das jetzt Unternehmen gesprochen werden, und auf diese Art notwendig. Ein intensiver Dialog neuer Qualität weitergeben. Umgekehrt müssen sie das tatsächlich kann 2 Funktionen erfüllen: Informationen und erzählte, vielstimmige Narrativ aus Erfahrungen nach oben weiterleiten und ein Ver- dem Unternehmen auf- ständnis für den Sinn des Ganzen im Unternehmen greifen und nach oben verankern. Auf Basis dieses Dialogs kann sich Kultur transportieren. entwickeln. Und dieser Dialog braucht völlig neue Informations- und Kommunikationswege in alle Richtungen. Aber bitte mit Sinn Wenn alle Menschen wissen und spüren, was genau ihr Beitrag zu Sinn und Zweck des Gesamt- unternehmens ist („Common Purpose“), stellen sich kaum mehr Verantwortungs- oder Zuständigkeits- fragen, sie sind motivierter und verhalten sich von selbst richtig. Dazu muss dieser Sinn transparent und einfach dargestellt werden. Neue Strategien brauchen zur Umsetzung sinnvolles Leadership, das den Sinn spürbar macht und zu geeigneter Ver- änderung einlädt. Darauf hat bereits Robert Dilts mit seinem „Modell der logischen Ebenen“ (siehe Abbildung) hingewiesen. Führen ist ein wenig 12 hernsteiner 2/2021
Unternehmenskultur „WENN ALLE WISSEN, WAS IHR BEITRAG ZU SINN UND ZWECK DES GESAMTUNTERNEHMENS IST, STELLEN SICH KAUM MEHR VERANTWORTUNGS- ODER ZUSTÄNDIGKEITSFRAGEN.“ D I E D I LT S - PY R A M I D E Wie funktionieren Veränderungen in Organisationen? Der amerikanische Trainer und Berater Robert Dilts hat ein Modell dafür entwickelt. Dieses „Modell der logischen Ebenen“ sagt zunächst aus, dass es bei Veränderungen nicht nur um das Verhalten von Menschen geht. Die unterschiedlichen Bereiche, die es zu berücksichtigen gilt, kann man in Form einer Pyramide darstellen (siehe Abbildung). Die Ebenen wirken dabei von oben nach unten. Das heißt zum Beispiel: Die Fähigkeiten einer Person beeinflussen ihr mögliches Verhalten. Aber ihre Werte beeinflussen sowohl, welche Fähigkeiten sie erwirbt, als auch, wie sie sich verhält. An der Spitze der Pyramide steht der Sinn. Warum ist eine Veränderung wichtig und welche Ziele werden damit verfolgt? Wenn das Team die Zielsetzung einer Maßnahme versteht und akzeptiert, wird sich auch das Verhalten ändern. Wenn nur bestimmte Verhaltensweisen geschult werden, aber der Sinn dahinter nicht wie Ver-Führen im Sinne von laufenden Impulsen klar wird, wird sich auch das Verhalten nicht dauerhaft ändern. Der Sinn ist entscheidend für zu einer Verhaltensänderung der Menschen. Die sämtliche anderen Ebenen – und damit letztlich Einleitung einer Veränderung in der Unternehmens- für das Gelingen von Veränderungsprozessen. kultur selbst braucht neben der klaren Kommu- nikation neue Signale und Symbole für den Sinn. Dazu kann eine neue Funktion, wie etwa ein „Head of Transformation“, als ein „institutionalisierter First-Mover“ dienen, der den angestrebten Sinn des Ziel & großen Ganzen verkörpert. Er ist eine Art Kulturbot- Sinn schafter, der das Wofür der Veränderung auf allen Unternehmensebenen erklärt und das Wie vorlebt. Identität Quasi Veränderung zum Angreifen. Wenn es dann Werte & gelingt, möglichst rasch eine kritische Menge von Glaubenssätze weiteren Führungskräften dazu zu bewegen, im Fähigkeiten Sinne des neuen großen Ganzen ebenfalls mit gutem Beispiel voranzugehen, dann werden destruktive Verhalten Bewahrerinnen und Bewahrer tendenziell schnell zu Außenseitern. Ein solcher Kipp-Punkt („Tipping- Umwelt Point“) bewirkt sehr rasch, dass der alte Weg gar nicht mehr vermisst wird. Und sich eine neue Kultur etabliert – und das Unternehmen erfolgreich neue Wege beschreitet. 13
WAS REMOTE LEADER VON SCRUM LERNEN KÖNNEN Experten-Interview mit Max Winkler: Scrum-Teams wurden mit dem Umstieg aufs Homeoffice besser fertig. Beeinflusst die Unternehmenskultur die Das lag vor allem an den zugrunde liegenden Werten. Erfolgsaussichten von Remote Leadership? I N T E RV I E W : G E R H A R D M É S Z Á RO S Ja, wobei Führungskräfte die Unternehmenskultur auch maßgeblich selbst beeinflussen, indem sie als Vorbild dienen. Ich habe gemerkt, dass gut eingespielte Scrum-Teams besser mit der Situation Sie erklären im Hernstein Training „New normal umgehen und auch auf Distanz reibungsfrei wei- Leadership“ gemeinsam mit Stefan Doblhofer, terarbeiten konnten. Denn Scrum ist nicht nur eine wie Führung auf Distanz funktionieren kann. Methode für agiles Projektmanagement, sondern Was benötigen Teams, um einen Umstieg ins beruht auf einer bestimmten Kultur: Führungskräfte Homeoffice gut zu bewältigen? sind es gewohnt, dem Team einen großen Entschei- Max Winkler: Im ersten Seminar hatten wir mit dungsspielraum zu lassen und sich selbst ein wenig großen technischen Problemen zu kämpfen. zurückzuziehen. Agile Teams arbeiten selbstver- Manche Teilnehmenden konnten aufgrund ihrer antwortlich und managen sich selbst. Und genau Sicherheitseinstellungen nicht einmal ihre Kame- das ist auch notwendig, wenn alle im Homeoffice ra öffnen. Ich war Unternehmen wie Runtastic arbeiten. Denn auf Distanz hat man noch weniger gewohnt, die schon davor regelmäßig Video Kontrolle als im Büro. Außerdem ist das Führen mit konferenzen abgehalten hatten. Doch auch solche mehr Aufwand verbunden: Jedes Gespräch muss technisch fitten Unternehmen mussten neue Dinge extra geplant werden. Ich muss mich mehr um den lernen. Denn die Technik ist wichtig, aber nicht einzelnen Mitarbeitenden kümmern, ob er einen alles: Emotionen können online nur schwer geteilt vernünftigen Arbeitsplatz hat, ob er mit der neuen werden, das ist aber notwendig, damit ein Team aus Situation zurechtkommt. Das lässt weniger Zeit für Menschen gut zusammenarbeitet. Online-Meetings die Mitarbeit im operativen Geschäft. benötigen daher eine professionelle Moderation, die das ermöglicht, was im Büro von selbst passiert: Macht der Wechsel ins Homeoffice Unternehmen neben dem zweckorientierten Zusammenarbeiten automatisch agiler? auch menschliche Nähe und echten Austausch. Nein, aber sie sollten eine agile Kultur vorantreiben, Agile Teams bei Runtastic haben während der um weiterhin erfolgreich zu sein. Dabei können Pandemie sogar einen eigenen Online-Termin sie sich an den 5 grundlegenden Scrum-Werten eingeführt, der dem bloßen Plaudern dient. Jeden orientieren, die das eigenverantwortliche Arbeiten Tag eine halbe Stunde, die Teilnahme ist freiwillig – erst ermöglichen: aber die Möglichkeit wird gern genutzt. 1. Commitment oder Engagement: Als Führungs- kraft muss ich alle Teammitglieder dazu einladen, bereitwillig ein gemeinsames Ziel zu verfolgen. Wir werden in Zukunft immer weniger Mitarbeitende 14 hernsteiner 2/2021
Unternehmenskultur M AG . M A X W I N K L E R arbeitete zunächst als Tierarzt, bevor er als zertifizierter Scrum-Master in die IT-Branche wechselte. Heute ist er Agile Coach und arbeitet unter anderem für das Servicecenter der Erste Bank und Sparkassen. 4. Offenheit und Transparenz: Ich bin offen für Vor- schläge und Experimente, für Veränderungen und neue Tools – und alle haben die Möglichkeit, neue Vorschläge einzubringen. Homeoffice reduziert die Möglichkeiten für „stille Post“, die Kommunikation ist tendenziell formaler und direkter. 5. Mut: Ich bin bereit, neue Ideen einfach mal uszuprobieren, zu experimentieren, auch ohne a Garantie auf Erfolg. Was können sich Remote Leader noch von Scrum abschauen? Sowohl in Scrum- als auch in verteilten Teams ist es wichtig, klare Ziele vorzugeben. Aber mit 2 Beson- „RUNTASTIC HAT haben, die sich einfach etwas anschaffen lassen. derheiten: Zum einen sollte man in kürzeren Zyklen EINEN EIGENEN Gerade auf Distanz sollte ich das beachten: Denn im denken, also etwa Ziele für die nächsten 2 Wochen ONLINE-TERMIN Homeoffice ist es im Fall eines Streits schwieriger, definieren, nicht für das nächste halbe Jahr. So kann wieder einen Konsens herzustellen. ich als Führungskraft besser im Auge behalten, was EINGEFÜHRT, DER mein Team im Homeoffice wirklich macht. Zum DEM BLOSSEN 2. Respekt: Ich nehme den anderen ernst und höre anderen sollte ich das Was sehr gut definieren, aber PLAUDERN DIENT.“ ihm wirklich zu, anstatt Vermutungen anzustellen, den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zutrauen, was in ihm vorgeht. Gerade im Homeoffice weiß das Wie selbst zu bestimmen. Auch regelmäßige ich schlicht nicht genau, was die Teammitglieder Retrospektiven sind hilfreich: also gemeinsam zu wirklich machen. reflektieren, was in den vergangenen 2 Wochen gut gelungen ist und was man besser machen könnte. 3. Fokus: Ich muss mich auf das Wesentliche konzen- trieren. In Meetings zu sitzen, die mit meiner Arbeit nichts zu tun haben, ist Zeitverschwendung – und im Homeoffice besonders ermüdend. 15
DER WEG ZUM ANDEREN BEGINNT ebenso wie Unternehmenskulturen (zum Beispiel Chrysler, Daimler), aber auch Kultur auf einer per- BEI EINEM SELBST sönlichen Ebene (zum Beispiel Showmaster, Spaß- bremse). „Schließlich hat j eder Mensch eine andere Biografie, die sein Verhalten prägt“, so Schreiner. Die Kunst besteht darin, auch jene Dinge zu sehen, Über den Tellerrand: Interkulturelle Sensibilität die nicht offensichtlich sind – etwa wie wichtig einer hilft dabei, Unterschiede zwischen Menschen zu Person Pünktlichkeit oder das offene Aussprechen erkennen und zu respektieren. von Problemen sind. Dadurch kann man sich in G E R H A R D M É S Z Á RO S unterschiedlichen Kontexten angemessen verhalten. Diese Skills helfen nicht nur im Ausland oder bei Fusionen, sondern auch, wenn man diverse Teams inklusiv führen will. „Inclusive Leadership bedeu- Es war eine „Hochzeit im Himmel“, die als wirt- tet, dass man möglichst alle Unterschiede berück- schaftliche Katastrophe endete. Als sich Daimler sichtigt, respektvoll mit ihnen umgeht und sie als und Chrysler 2007 – 9 Jahre nach ihrer Fusion – Ressource nutzt“, sagt Schreiner. Die Voraussetzung wieder trennten, waren Dutzende Milliarden an ist stets, sich möglicher Unterschiede überhaupt Kapital vernichtet worden. Kulturelle Differenzen erst bewusst zu sein. Und dafür muss man zunächst hatten eine wichtige Rolle gespielt. Amerikaner ver- seine eigenen Werte und Annahmen erforschen. sus Deutsche, Daimler versus Chrysler, „ unseriöse Denn dabei erkennt man, dass diese auch anders Showmaster“ versus „steife Spaßbremsen“. Waren aussehen könnten. Der Weg zum anderen beginnt DIE VORAUS diese Differenzen nicht vorherzusehen? Das ist eben bei einem selbst. SETZUNG IST das Schwierige an „Kultur“. Wir denken bei dem STETS, SICH Begriff oft an Dinge, die man beobachten kann. MÖGLICHER Etwa an ein Gemälde oder an eine bestimmte Art, UNTERSCHIEDE sich zu begrüßen. Doch er beinhaltet auch einen ÜBERHAUPT unsichtbaren Teil: Annahmen, die uns meist selbst ERST BEWUSST gar nicht bewusst sind, die aber doch beeinflussen, ZU SEIN. wie wir auf die Umwelt reagieren. Antworten auf Fragen wie: Wer bin ich? Was ist wichtig? Jede Person hat ihre eigene Kultur Karin Schreiner ist Trainerin für i nterkulturelle Kompetenz. Sie bereitet Führungskräfte auf M AG . G E R H A R D Auslandseinsätze vor. Wer nach China geht, sollte M É S Z Á RO S , M A wissen, wie die Chinesinnen und Chinesen ticken. entwickelt Content-Strategien für Man kann sich aber nicht nur Wissen über eine Unternehmen. Der studierte Volkswirt bestimmte Kultur aneignen. Man kann auch „kul- und gelernte Journalist schrieb turelle Agilität“ oder „interkulturelle Sensibilität“ u. a. für „Die Presse“, „Der Standard“ und „Business Punk“. erlernen, also die Fähigkeit, mit anderen Kulturen grundsätzlich besser umzugehen. Das betrifft Nationalkulturen (zum Beispiel USA, Deutschland) 16 hernsteiner 2/2021
Unternehmenskultur Unbedingt den Imperativ „Könnten Sie bitte verwenden: „Machen in w eniger Zeit Sie genau das, was ich mehr arbeiten?“ sage! Lassen Sie das! Hören Sie auf!“ „Hier wird gelacht? Dann wird wohl nicht genug gearbeitet …“ Wasser predigen und Wein trinken oder: zuerst Spielregeln aufstellen und sich dann selbst nicht Kritik üben, wann daran halten und wo es geht – am besten coram publico Den internen Konkurrenz- kampf anstacheln SO GEHT UNKULTUR Mehr Infos über den Flurfunk als in den Meetings verbreiten Erfahrungsschatz: Mit diesen Verhaltensweisen und Sprüchen schaffen Führungskräfte garantiert schlechte Stimmung im Team. „Nicht geschimpft ist Don’t try this at home (oder im Office)! genug gelobt!“ „Wie meinen Sie das, Sie l esen Ihre E-Mails am Dem Team nicht Wochenende nicht?“ ertrauen und alles v mehrmals kontrollieren „Playing favourites“, also die Lieblingsmitarbeiterinnen und -mitarbeiter fördern und die anderen links liegen lassen Problemfokus aufrecht erhalten und die Energie nicht mit der Suche nach Lösungen verschwenden „Schauen Sie, Hinter ihrem Herr/Frau XY macht Rücken schlecht das so toll – könnten Ganz wichtig: über andere Sie nicht auch so eine solide Basis des reden sein?“ Misstrauens schaffen 17
DIE GRENZEN DER FLEXIBILITÄT Im Brennpunkt: Val Sedounik über Selbstverantwortung und falsche Babyboomer-Klischees. I N T E RV I E W : G E R H A R D M É S Z Á RO S „SATYA NADELLA die dunkle Seite der Agilität. Wichtig ist zudem: HAT ES BEI Wenn ich zu Selbstverantwortung anleite, muss MICROSOFT ich auch die Leistungsbeurteilung anpassen. Satya VORGEMACHT: Sie führen gerade in einem britischen Unternehmen Nadella hat es bei Microsoft vorgemacht: Belohnt BELOHNT ein agiles Mindset ein. Kann es auch zu viel Agilität, wird nicht der Outcome, sondern das Bemühen. WIRD NICHT zu viel Flexibilität und Selbstbestimmung geben? Es geht also darum, wie ich Agilität einführe – und DER OUTCOME, Val Sedounik: Die Menschen können sich tatsächlich auch in welchen Bereichen. SONDERN DAS überfordert fühlen. Das passiert vor allem dann, wenn die Führungskräfte nicht vorab klären, warum In welchen Unternehmensbereichen ist es denn BEMÜHEN.“ Agilität überhaupt relevant für das Unternehmen nicht sinnvoll? ist und was man damit erreichen will. Wenn ich Wenn ich als Mitarbeiterin dazu aufgerufen bin, einfach einen Berater hole und Veränderungen Selbstverantwortung zu übernehmen und mit durchdrücke, die niemand versteht, werden diese neuen Ansätzen zu experimentieren, das aber in Veränderungen zu einer Belastung. Dann zeigt sich meiner Arbeit de facto nicht umsetzen kann, dann fühle ich mich ebenfalls überfordert. Ich brauche sowohl das Mindset und die Methoden als auch den Business Case, wo ich die Methoden sinnvoll anwenden kann. Es gibt Unternehmensbereiche, in denen Stabilität sehr wichtig ist, in denen ich bestimmten Prozessen genau folgen muss. Etwa im Bereich Governance, wo ein Regulator von außen genaue Vorgaben macht. Diese Parameter kann man nicht verrücken, daher gibt es auch keinen Raum, um iterativ neue Lösungen zu erarbeiten. Manche Teams müssen wiederum sehr reaktiv sein, etwa weil sie viele Kundenanfragen bekommen. Da gibt es wenig Raum für aktives, selbstbestimm- tes Beschreiten neuer Wege. 18 hernsteiner 2/2021
Unternehmenskultur Gibt es bestimmte Menschen, zum Beispiel ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die mit agilen Methoden weniger anfangen können? Diese Frage höre ich oft. Viele stellen die alten Babyboomer den jungen, aufgeschlossenen Digital D R . VA L S E D O U N I K Natives gegenüber. Das ist jedoch ein Mythos. Die hat nach Stationen bei KPMG und Grant Thornton Lernfähigkeit nimmt mit dem Alter nicht ab. Wer die Unternehmensberatung Kairos gegründet. Sie älteren Menschen die Fähigkeit abspricht, Neues zu begleitet Unternehmen in Veränderungsprozessen. lernen und ihre Haltungen zu ändern, hat selbst ein Zudem ist sie unter anderem Fakultätsmitglied der London Business School, Gastdozentin für das bestimmtes Mindset – nämlich ein Fixed Mindset, Singaporean Institute of Management und Trainerin das Probleme statt Chancen sieht. Ich kenne ein am Hernstein Institut. Unternehmen, das zu 2 Dritteln aus Babyboomern besteht und agil werden wollte. Es war sehr er- folgreich, weil es die Belegschaft mit auf die Reise genommen hat. Die Botschaft der Unternehmens- leitung war: Wir laden euch ein, gemeinsam mit uns etwas Neues zu lernen. Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer haben mit ihren Führungskräf- ten diskutiert, welche Unterstützung sie auf ihrer Fähigkeit moderner Führungskräfte besteht darin, Lernreise benötigen, und diese Unterstützung dann ihr Team zu kennen und herauszufinden, was ein auch bekommen. Lernen bedeutet heute schließlich Teammitglied möglicherweise daran hindert, sich etwas anderes als früher. Es geht nicht darum, dass weiterzuentwickeln. Manchmal sind viele Einzel jemand irgendeine Predigt hält, sondern um selbst- gespräche nötig, bis man weiß, wo die Mitarbeite- bestimmtes, gemeinsames, stimulierendes Lernen. rinnen und Mitarbeiter stehen und welche Interven- tionen – zum Beispiel Weiterbildungen – notwendig Gibt es bestimmte Persönlichkeiten, die bei agilen sind. Als Grundregel gilt: Wenn ein Mensch das Methoden nicht mitkommen? Gefühl hat, dass er gesehen, gehört und unterstützt Klar gibt es Leute, die einfach keine Lust auf Verän- wird, dann ist die Chance auf Veränderung und derung haben. In der Gestalttherapie sagt man, dass Wachstum sehr groß. es 2 Prinzipien im Menschen gibt. Zum einen den Wunsch nach Stabilität, das Festhalten an dem, was da ist. Und zum anderen den Impuls zur Explora tion, den Wunsch nach Neuem. Beide können mehr oder weniger stark ausgeprägt sein. Eine wichtige 19
„ WER HAT’S GESAGT? Jemanden anrufen, raten, googeln An Lob verträgt man bekanntlich ungemessene Mengen. 2a_ André Heller, Künstler, Dichter und Musiker 2b_ Sigmund Freud, Begründer der Psychoanalyse 2c_ Taylor Swift, Popstar oder es gar selbst wissen – alles ist erlaubt. Wenn über das Grundsätzliche Geben Sie Ihre Tipps bis 5. Jänner 2022 hier ab: keine Einigung besteht, www.hernstein.at/gewinnspiel ist es sinnlos, miteinander Unter allen richtigen Antworten verlosen wir 3 OPTO- Potenzialanalysen. Der Persönlichkeitsfragebogen misst auf Pläne zu schmieden. Basis des Big-Five-Modells die wichtigsten Dimensionen der 3a_ Konfuzius, chinesischer Philosoph Persönlichkeit für Leistung und beruflichen Erfolg. 3b_ John F. Kennedy, US-Präsident (1961–1963) Viel Glück! 3c_ Elon Musk, Gründer u. a. von Paypal und Tesla Die Gewinner der letzten Ausgabe sind Jasmin Mensik (Energie-Control Austria), Martina Wirth (AUVA Allgemeine Unfallversicherungsanstalt) und Maximilian Albrecht (Voith Paper). Wir gratulieren herzlich! Die richtigen Antworten waren 1b, 2a, 3c, 4b. Wer Menschen führen Die Neugier will, muss hinter steht immer ihnen gehen. an erster Stelle eines Problems, 1a_ Jack Ma, Gründer der Alibaba Group 1b_ Jesus von Nazareth, Sohn Gottes 1c_ Laotse, Begründer des Taoismus An diesem Gewinnspiel teilnahmeberechtigt sind alle, die bis zum 5. 1. 2022 am das gelöst werden will. Gewinnspiel teilnehmen. Unter allen Teilnehmenden werden insgesamt 3 Gewinne- rinnen oder Gewinner mittels Ziehung unter Ausschluss des Rechtswegs ermittelt. Sie werden unter der von ihnen angegebenen Adresse persönlich über den Gewinn verständigt. Die Daten der Gewinnerinnen bzw. der Gewinner werden zu diesem Zweck, nach Maßgabe unserer Datenschutzrichtlinien, gespeichert und verarbeitet. Die Bekanntgabe der Gewinnerinnen oder Gewinner erfolgt ohne Gewähr. Der Gewinn ist vom Umtausch ausgeschlossen. Der Gewinn ist nicht auf Dritte übertragbar. 4a_ Clayton Christensen, Autor von „The Innovator’s Dilemma” Die Barauszahlung des Gewinns ist ausgeschlossen. Auf den Gewinn gibt es keinen Gewährleistungs- oder Garantieanspruch. Der Rechtsweg ist ausgeschlossen. 4b_ Eric Kandel, in Wien geborener Medizin-Nobelpreisträger Über dieses Gewinnspiel kann kein Schriftverkehr geführt werden. 4c_ Galileo Galilei, italienischer Universalgelehrter 20 hernsteiner 2/2021
U N T E R N E H M E N S KOM M U N I K AT I O N DIAGNOSE: ZEICHENZÄHLEREI „Mit dem Magazin wollen wir zeigen, dass Ihr Unternehmen innovativ ist und nicht dem Stereotyp eines staatsnahen Betriebs entspricht“, sagte ich bei der Präsentation des Konzepts für ein neues Corporate-Publishing-Produkt. „Da kennen Sie uns aber noch nicht gut, Herr Streb“, war die trockene Antwort meines Gegenübers. Tatsächlich ist das einer der Gründe, warum wir langfristige Kundenbeziehungen so schätzen: Als externer Redakteur in der Unternehmenskommunikation kann ich viel effektiver arbeiten, wenn ich die Kultur eines Hauses gut kenne. Wie massiv die kulturellen Unterschiede der Unternehmen und Organisationen sind, für die ich arbeite, wird bei der Arbeit an verschiedenen Kunden- und Mitarbeitermedien immer wieder deutlich. Das beginnt bei der Begrüßung und dem Umgang miteinander, zeigt sich aber noch viel mehr an den Inhalten des Mediums und den Abstimmungsmodalitäten dafür. Sind kritische Worte erlaubt oder gar erwünscht? Fühlt sich eine Abteilung auf den Schlips getreten, weil sie in einer Publikation unterrepräsentiert ist? Wie viele Freigabeschleifen sind bis zur finalen Fassung nötig? M AG . ( F H ) F LO R I A N Wenn ich ein Vorstandsinterview umgestalten muss, weil Person S T R E B A in der ursprünglichen Fassung sieben Antworten hat, aber Person B nur sechs, weiß ich: In diesem Unternehmen steht der ist stellvertretender „Common Purpose“ noch nicht im Mittelpunkt. Wenn man sich Leiter der Corporate- Publishing-Agentur auf die ausgewogene Zeichenanzahl von Statements aller Betei- Egger & Lerch ligten statt auf die eigentliche Botschaft konzentriert, ist das für in Wien. sich schon eine Diagnose der Unternehmenskultur. Umso schöner ist es, zu hören und zu sehen, dass wir mit der eige- nen Arbeit auch einen Beitrag zur Weiterentwicklung der Kultur leisten – speziell bei internen Medien. Das vielleicht schönste Lob in dieser Hinsicht spendete uns einmal eine Geschäftsführerin: „Das gedruckte Magazin selbst ist ja nicht der einzige Output. Wie die verschiedenen Teile unseres Unternehmens durch die gemeinsame Arbeit daran zusammengewachsen sind, ist mindes- tens genauso viel wert!“ 21
WAS CEOs VON KAPITÄNEN LERNEN KÖNNEN Führungslabor: Leadership auf einem Kreuzfahrtschiff muss mit hoher Fluktuation im Team umgehen und trotzdem kreative Hier kommt die nächste Besonderheit der Schiff- Höchstleistungen ermöglichen. fahrt ins Spiel: eine extrem hohe Fluktuation im V I N C E N T CO FA L K A U N D M A R I A S P I N D L E R Team. Während die Gäste alle auf einmal wechseln, wechselt die Crew rollierend und bleibt 3 bis 5 Mo- nate an Bord. Bis zu 10 Prozent werden an einem Tag abgelöst. Ein Team von 5 Personen könnte theo- retisch in 10 Tagen vollständig ausgetauscht werden. Ein großes Kreuzfahrtschiff ist eine schwimmende Wie kann man unter diesen erschwerten Bedingun- Stadt mit mehreren Tausend Bewohnerinnen und gen ein Höchstleistungsteam schaffen, das in der Bewohnern auf Zeit. Der Kapitän als „CEO“ des Lage ist, schnell und kreativ auf unvorhergesehene Schiffs steht vor einigen besonderen Herausforde- Ereignisse zu reagieren? rungen. Zum einen ist Artificial Intelligence (AI) in der Schifffahrt Alltag geworden. Das Schiff ist keine Daten verpflichten Stand-alone-Organisation, sondern hoch vernetzt: Diese Herausforderung ist fundamental. Denn Es liefert Abertausende Daten – über das Wetter und durch AI steigt die Vernetzungsanforderung die Strömung ebenso wie technische Anlagen – an innerhalb und zwischen den unterschiedlichen die Landorganisation. Diese Daten werden aus Bereichen wie Nautik, Gäste-Service, Technik oder gewertet und die Ergebnisse an das Schiff zurück- HR. Daten verpflichten und ihre Nicht-Nutzung gespielt. Selbstlernende AI hilft dabei, den Kurs zu zeigt Wirkung. Denn in der Hochseeschifffahrt halten, die Maschinen optimal zu warten und die gibt es Instant-Feedback. Ein Beispiel aus dem maximale Energieeffizienz zu erreichen. AI kann ein Schiffsalltag: 257 Gäste sind in ihrer Abendrobe Schiff tatsächlich besser von A nach B bringen als patschnass g eworden. Gedeck, Handtaschen und wir Menschen – außer das Unvorhergesehene und andere Schätze sind über das West-Deck gewandert, damit Nicht-Berechenbare tritt ein. weil der leitende Wachoffizier von der Brücke dem Restaurantleiter nicht vorausschauend mitgeteilt hat, dass er durch die Wetterfront fährt und sie doch nicht umrundet. Solche kleinen Versäumnisse haben fatale Auswirkungen, denn der Gast hat innerlich D I D I ( F H ) die Traumreise auf dem Traumschiff gebucht. Das V I N C E N T verursacht nicht nur schlechte Stimmung, sondern CO FA L K A auch finanzielle Einbußen: Die Open-Deck-Poolparty ist Kapitän in der inter fällt buchstäblich ins Wasser, die Gäste trocknen nationalen Passagier- und sich erst mal in der Kabine, die Bars und Restaurants Frachtschifffahrt und müssen sich indoor neu organisieren. Ob die Gäste Ko-Gründer des Wiener Clean-Tech-Unternehmens an diesem Abend wiederkommen, ist unklar. Kurz: Reintrieb. Jede verpasste Teamkooperation bringt Nachteile für das Image und Einbrüche im Umsatz. 22 hernsteiner 2/2021
Führungslabor M AG . D R . M A R I A S P I N D L E R ist Hernstein Trainerin für Gruppendynamik, internationale Organisations beraterin, Leadership Developer, Universitätslektorin, Coach, Buchautorin und Vortragende. Ihre Themen: Hochleistungsteams und -organisationen, zukunftsweisende Erneuerung, Unmögliches möglich machen, über Verbesserungspotenziale werden möglich, Macht neu gestalten. wenn die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wahr- nehmen, dass der Kapitän „approachable“ ist. Das oberste Credo der Teamkultur ist: Es dürfen Fehler gemacht werden. Mehr noch: Fehler sind ein Team Hierarchie und Kreativität entwicklungs-Potenzial. Der Kapitän muss leicht Das Erfolgsgeheimnis besteht darin, einen dop- verständliche Prinzipien der Fehlerkulturen vermit- pelten Blick auf das Schiff zu haben – es einerseits teln, etwa „Fehler fördern Lernen“. Oder „Es gibt als hoch standardisierte, andererseits als flexible immer viele Faktoren, die man nachher besprechen Organisation zu sehen. Der Kapitän und das Füh- kann. Es ist nie ein Versagen.“ Schuldzuweisungen rungsteam benötigen ein Bewusstsein für unter- und Rechtfertigungen sind ein No-Go. schiedliche Strukturen, Führungskulturen und Machtordnungen. Zum einen schaffen Standard- Lernen bei ruhiger See prozesse, Checklisten und Protokolle die nötige Reflexion und Neu-Ordnen in ruhigen Zeiten – bei Stabilität und einen sicheren Rahmen. Gerade buchstäblich ruhiger See – sind unerlässlich für ein Übergabeprotokolle sind bei der hohen Fluktuation Höchstleistungsteam. Dadurch wird die Selbst essenziell, um das implizite Wissen von Mensch erneuerungsfähigkeit laufend gestärkt, die kreative zu Mensch weiterzugeben. Ein professionelles Zusammenarbeit in der nächsten Krise – etwa einem Eskalationsprozedere stellt sicher, dass der Kapitän Orkan – besser. Auch hier hat der Kapitän funda- blitzschnell alle Informationen über etwaige Pro- mentale Aufgaben: Während er in der Krise – im bleme erhält – und die „CEO-Krankheit“, also ein „Auge des Orkans“ – Ruhe bewahren und Zuversicht uninformiertes Entscheiden der Führungskraft, gar ausstrahlen muss, hat er danach für maßgeschnei- nicht erst Fuß fassen kann. Diese Rahmenstruktur derte Bearbeitungsräume zu sorgen, für eine passende ist extrem hierarchisch. Zu ihr gehört eine profes- Meeting-Architektur und angemessene Vorgaben für sionelle Grenzziehung: An Bord ist man per Sie – den Reflexionsprozess. So wird gemeinsames Lernen man ist nicht eine Person, sondern eine Position möglich – und auch Teams mit hoher Fluktuation bzw. Funktion. können das Unvorhergesehene gut managen. Zum anderen muss der Kapitän die Erneuerungs- fähigkeit des Teams im Auge behalten. Er trägt die WER HÖCHSTLEISTUNGSTEAMS Verantwortung dafür, eine Kultur der Klarheit und Direktheit vorzuleben und einzufordern, damit SCHAFFEN WILL, MUSS GRUPPEN Probleme direkt an- und ausgesprochen werden. DYNAMISCHE PROZESSE VERSTEHEN. Dafür braucht der Kapitän ein professionelles und IN DER 5-TÄGIGEN „HERNSTEIN emotionales inneres Bild des gelungenen Teams. Er GRUPPENDYNAMIK“ LERNEN ist ein Role Model für Zugänglichkeit: Verbindung FÜHRUNGSKRÄFTE, GRUPPEN ZUM zwischen Menschen und damit Kommunikation ERFOLG ZU FÜHREN. 23
EINE WELT OHNE HIERARCHIE Im Gespräch: Die Anthropologin Bettina Ludwig erklärt, was Führungskräfte von den Jägern und Sammlern der Kalahari lernen können. I N T E RV I E W : G E R H A R D M É S Z Á RO S Was zeichnet ihre Form des Zusammenlebens aus? Die Gesellschaft ist egalitär, es gibt keine Hierarchie und keinen Anführer. Alle Entscheidungen werden Sie leben in den Wäldern Thailands und des Ama- gemeinsam getroffen. Es gibt keinen Besitz – wenn zonas oder in der Savanne des südlichen Afrika: ich ein Messer brauche, dann verwende ich es. Weltweit gibt es vielleicht noch eine Handvoll Wenn ich es nicht mehr brauche, lege ich es weg und Jäger- und Sammlergesellschaften. Also Menschen, der Nächste nutzt es. Auch die Sprache ist beson- die nomadisch leben und ihren Lebensunterhalt ders: Sie hat keine Formen für die Vergangenheit bestreiten, indem sie Tiere jagen und Pflanzen oder die Zukunft. Man lebt also sehr stark im Hier sammeln. Schätzungen zufolge werden in 15 Jahren und Jetzt. Zahlen gibt es nur bis 5 – dann redet man auch diese wenigen Gruppen verschwunden sein. von „viele“. Die Anthropologin Bettina Ludwig hat im Rahmen eines Forschungsprojekts mehrmals die Gruppe der Wie trifft die Gruppe Entscheidungen, wenn es San in der Kalahari besucht – und eine für sie neue keinen Anführer gibt? Form des Zusammenlebens kennengelernt. Gemeinschaftlich. Wenn eine Entscheidung ansteht, setzen sich die Personen der Gruppe zusammen Können wir von heutigen Jäger- und Sammler und reden darüber. Jeder sagt seine Meinung, wirft gesellschaften etwas über die Lebensweise unserer Gedanken ein – und irgendwann bemerkt man, dass Vorfahren lernen? sich die Aussagen angleichen. Plötzlich sagt jeder Bettina Ludwig: Die Menschen haben die längste dasselbe, dann wiederholt es jeder noch einmal und Zeit ihrer Geschichte als Jäger und Sammler gelebt, damit hat die Gruppe entschieden. Es ist jedenfalls bis sie vor circa 20.000 Jahren sesshaft wurden. Die ein No-Go, dass sich einer hinstellt und einfach ein heutigen Jäger- und Sammlergesellschaften sind Machtwort spricht. Die Voraussetzung ist, dass viel zum Teil eine Touristenattraktion geworden, inso- miteinander geredet wird. Aber man lebt ja ständig fern ist es kein unverfälschter Blick in die Vergan- miteinander. Es gibt nicht einmal Wörter für „Hallo“ genheit. Diese Menschen sind keine Relikte aus der oder „Tschüss“, weil man sich fast nie trennt. Vergangenheit, sondern Individuen des 21. Jahrhun- derts. Aber gewisse Formen der sozialen, politischen und ökonomischen Organisation haben sich bis in die Gegenwart bewahrt. In der Kalahari-Savanne in Namibia leben insgesamt noch rund 2.400 Personen als Jäger und Sammler. Ich selbst habe mit einer Gruppe von 65 Menschen geforscht. Diese leben 24/7 outdoor, haben also kein Dach über dem Kopf. 24 hernsteiner 2/2021
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