Herzklappenersatz: Wann noch chirurgisch?
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H E R Z K L A P P E N E R SAT Z I I Herzklappenersatz: Wann noch chirurgisch? 16 H E R Z heu te 3/ 2 02 1
H E R Z K L A P P E N E R SAT Z I I Die Katheterbehandlung von Herzklappenerkrankungen hat sich in den letzten Jahren immer mehr durchgesetzt. So erfolgreich dieses Verfahren ist, es hat Grenzen. Es gibt Fälle, in denen der chirurgische Eingriff – zumal wenn er minimalinvasiv ist – zu besseren Ergebnissen führt. Steht der Patient vor der Entscheidung, wie er behandelt werden soll, drängen sich Fragen auf. Túlio Caldonazo, Maximilian Bley und Torsten Doenst Foto: Jörg Müller H E R Z h e u t e 3/ 2 02 1 17
H E R Z K L A P P E N E R SAT Z I I F rüher gab es nur eine Möglichkeit, che Behandlung für ihn die beste ist? Zu den kranke Herzklappen zu behandeln: wichtigen Fragen zählen: „Welche Therapie Der Chirurg eröffnet den Brustkorb, formen gibt es überhaupt?“ und „Warum wird und eine Herz-Lungen-Maschine mir eine bestimmte Therapie empfohlen, die übernimmt die Arbeit des Herzens, damit es andere aber nicht?“ Weitere zentrale Fragen stillstehen und der Arzt die defekte Klappe sind: „Wie gut wirkt die Therapie auf Dauer, durch eine neue ersetzen kann. In den letzten wie belastend und gefährlich ist sie?“ Und nicht »Wann Jahrzehnten sind immer mehr neue Methoden zuletzt: „Wer führt die Behandlung durch, und entwickelt worden, um Menschen mit defekten wie lange muss ich im Krankenhaus bleiben?“ kann eine Herzklappen wieder zu einem weitgehend be- Die Antworten auf diese Fragen können Operation schwerdefreien Leben zu verhelfen. Die Neue- helfen zu verstehen, wann eine Operation am am offenen rungen reichen von chirurgischen Verfahren, offenen Herzen trotz der zunächst größeren Herzen trotz die ohne Eröffnen des Brustkorbs auskommen, Belastung eine lohnende Investition in die Zu- bis hin zur Implantation einer neuen Klappe kunft sein kann – und wann darauf verzichtet der zunächst auf dem Blutgefäßweg mit besonderen Kathe- werden kann. größeren tern. Diese Entwicklung hat dazu geführt, dass Belastung die Behandlung ein und derselben Erkran- DER HÄUFIGSTE HERZKLAPPENFEHLER eine lohnende kung heute von unterschiedlichen Disziplinen durchgeführt wird. Bei älteren Menschen ist der häufigste Herz- Investition in Vom Gemeinsamen Bundesausschuss der klappenfehler die „Aortenklappenstenose“. die Zukunft Kardiologen und Herzchirurgen wurde zwi- Bei der Aortenklappe handelt es sich um eine sein?« schenzeitlich eine Richtlinie erstellt, die Klap- der vier Klappen, die im Herzen dafür sorgen, peneingriffe regelt. Die Therapieempfehlungen dass das Blut die richtige Richtung nimmt. Bei fordern darüber hinaus, Herzteams einzube- jedem Schlag pumpt der Herzmuskel sauer- ziehen, denen Spezialisten unterschiedlicher stoffreiches Blut durch die Aortenklappe in Fächer angehören, die jeden Krankheitsfall in- den Körperkreislauf. Zwischen den Schlägen dividuell beraten. Doch was muss der Patient schließt sich die Klappe wieder und verhin- Biologische wissen, dem die Diagnose Herzklappenerkran- dert so, dass Blut in das Innere des Herzens Herzklappe kung gestellt worden ist und der sich fragt, wel- zurückfließt. Zu einer Verengung (Stenose) kann es im Laufe der Jahre kommen, wenn die Taschenklappen verkalken. Sie lassen dann zu wenig Blut passieren, infolgedessen muss das Herz stärker pumpen und mehr Kraft auf- wenden, um das Blut durch den Körper zu transportieren. Das Organ wird dabei über- strapaziert und auf Dauer geschädigt. Gleiches geschieht, wenn die Herzklappe nicht richtig schließt (Klappeninsuffizienz). Verengte oder undichte Herzklappen führen zu Symptomen wie Luftnot und Leistungseinschränkung, in einzelnen Fällen kann auch das Gefühl der Brustenge entstehen. Langfristig verkürzt sich durch die Funktionseinbuße der Klappen die Lebenserwartung. Bei einer sehr stark ausge- prägten Aortenklappenerkrankung lassen sich die Beschwerden nicht mehr mit Medikamen- Foto: dhzb ten lindern. Dann hilft oft nur noch der Aus- tausch der defekten Klappe. 18 H E R Z heu te 3/ 2 02 1
H E R Z K L A P P E N E R SAT Z I I Mechanische Das herkömmliche therapeutische Vorge- Herzklappe hen sieht so aus: Der Chirurg ersetzt die ver- kalkte Klappe durch eine biologische oder mechanische Klappenprothese. Um Zugang zum Herzen zu erhalten, durchtrennt er das Brustbein (Sternum). Die Durchtrennung kann komplett (Sternotomie) oder „partiell“ erfolgen, dann wird das Brustbein nur für etwa fünf Zentimeter am oberen Rand eröffnet (partielle Sternotomie). Möglich ist es mittler- weile auch, minimalinvasiv – etwa mit einem Schnitt zwischen den Rippen – zum Herzen zu gelangen. In jedem Fall sind bei dieser „klassi- schen“ Vorgehensweise die Anwendung einer Herz-Lungen-Maschine und eine Vollnarkose erforderlich. Seit rund zehn Jahren gibt es eine Alterna- tive, die ohne Herz-Lungen-Maschine und Vollnarkose auskommt: das Einsetzen einer biologischen Klappenprothese mit einem Vorgehen dauert länger als die Tavi-Prozedur, Katheter, fachsprachlich „Transkatheter-Aor- auch der Krankenhausaufenthalt ist bei der tenklappenimplantation“ genannt, kurz Tavi Herzoperation länger. (siehe Beitrag ab Seite 10). Dafür benutzt der Unumstritten ist: Sowohl das klassische Arzt einen Katheter, einen Schlauch, den er herzchirurgische Vorgehen als auch die Ka- zumeist über eine Leistenarterie in den Körper thetermethode sind wirksame Behandlungen. des Patienten einbringt und im Blutgefäß bis Damit stellt sich weniger die Frage, ob eine zum Herzen vorschiebt. An der Position der hochgradige Aortenklappenstenose behandelt defekten Aortenklappe angekommen, wird die werden soll, sondern welche der beiden The- mit dem Katheter transportierte Ersatzklappe rapieformen für den jeweiligen Patienten die eingepasst. besten Ergebnisse verspricht. Da die Tavi re- lativ neu ist, mangelt es noch an aussagekräf- WER MACHT WAS? tigen Langzeitergebnissen. Dennoch deuten sich bereits Trends an, die bei der Entschei- Für den klassischen Klappenersatz sind Herz- dung für eine der beiden Therapieformen zu chirurgen zuständig. Sie können sich auf mi- berücksichtigen sind. nimalinvasive chirurgische Verfahren spezi- alisiert haben und werden von einem Team RISIKEN UND NUTZEN unterstützt, dem Narkoseärzte, Schwestern, Pfleger und Kardiotechniker angehören. Grundsätzlich beinhaltet jede invasive, in den Die Tavi erfolgt in einem speziellen Opera- Körper eingreifende Therapie ein gewisses Ri- tionssaal, einem sogenannten Hybrid-OP. Das siko, und es gilt immer, die Gefahren abzuwä- für die Tavi verantwortliche Team besteht aus gen gegenüber dem erwartbaren Nutzen. In einem interventionellen Kardiologen, einem der Medizin werden Risiken eingegangen, um Herzchirurgen und einem Anästhesisten. Der dem Patienten die Beschwerden zu nehmen Gemeinsame Bundesausschuss hat entschie- und/oder sein Leben zu verlängern. Im Fall der den, dass eine Tavi nur in Krankenhäusern er- Behandlung einer Aortenklappenstenose er- Foto: ddp folgen darf, die zugleich über eine Herzchirur- scheint es intuitiv weniger gefährlich, das Pro- gie verfügen. Das herkömmliche chirurgische blem mit einem Katheter („interventionell“) H E R Z h e u t e 3/ 2 02 1 19
H E R Z K L A P P E N E R SAT Z I I Doch wie erklärt sich das? Die Suche nach möglichen Gründen begann, und drei Beob- achtungen fielen am Ende besonders auf: Nach einer Tavi müssen mehr Herzschrittmacher als nach einer klassischen Herzoperation implan- tiert werden, bei implantierten Tavi-Klappen kommt es häufiger zu Lecks um die Prothese herum, und es treten auf Tavi-Prothesen mehr Blutklümpchen auf (Thrombosierung). Noch nicht endgültig geklärt ist, ob Tavi-Klappen – die im Unterschied zu chirurgisch implan- tierten Klappen der mechanischen Komprimie- rung im Katheter und der Entfaltung vor Ort ausgesetzt sind – ebenso lange halten wie die „klassischen“ Klappenprothesen. Auch das ist ein Grund dafür, der Lebenserwartung des Pa- tienten eine besondere Rolle bei der Entschei- dung für ein klassisch chirurgisches oder in- Mittels Gewebe- und nicht klassisch chirurgisch zu lösen. Aus terventionelles Vorgehen zukommen zu lassen. züchtung herge- dieser Überlegung heraus wurde die neuarti- Das ist besonders für jüngere Patienten wichtig, stellte künstliche ge Tavi zunächst nur bei Patienten angewandt, deren Lebenserwartung zumeist hoch und de- Herzklappe die ein besonders hohes Operationsrisiko ha- ren Operationsrisiko gering ist. Das gleiche Ar- ben. Als sich bei dieser Patientengruppe erwies, gument kann jedoch ebenso bei hohem Alter dass sich die Beschwerden der Patienten mit gelten – die durchschnittliche verbleibende Le- der Tavi ebenso gut lindern ließen wie mit der benszeit eines 80-jährigen Mannes beträgt laut herkömmlichen Operation und auch drohen- Statistischem Bundesamt derzeit 8,1 Jahre, für de Komplikationen (Schlaganfall, Herzinfarkt, Frauen 9,6 Jahre. Für jeden Patienten ist es also Tod) nicht häufiger auftraten, wurde die An- sinnvoll, eine Balance herzustellen zwischen wendung der Tavi sukzessive auf Patienten mit den erhofften therapeutischen Langzeiteffekten weniger großem Risiko ausgeweitet. Mittler- und den dabei in Kauf zu nehmenden Risiken. weile haben Studien Daten für das gesamte Ri- sikospektrum erbracht. DIE BALANCE FINDEN Überraschenderweise konnte jedoch keine der Einzelstudien nachweisen, dass die Tavi ge- Schauen wir uns diese Balance noch einmal genüber der klassischen Chirurgie einen deut- genauer an: Die Tavi erfolgt mit einem Kathe- lichen Überlebensvorteil erbringt. Das wider- ter unter Lokalanästhesie über die Leiste. Das sprach der allgemeinen an die Tavi gestellten bedeutet ganz augenscheinlich eine geringere Erwartung. Erst die Zusammenfassungen aller Belastung des Patienten, vergleicht man den Studien – eine sogenannte Metaanalyse – offen- Eingriff mit einer klassischen Herzoperation in barte: Die Tavi hat einen Vorteil in den ersten Vollnarkose, einer Durchtrennung des Brust- Monaten nach der Behandlung, nach spätes- beins und der Verwendung einer Herz-Lungen- tens fünf Jahren aber erwies sich die Überle- Maschine. Selbst wenn man in die Überlegung benswahrscheinlichkeit nach klassischer Chir- einbezieht, dass die neueren, minimalinvasiven urgie als höher. Das Ergebnis der Metaanalyse, chirurgischen Verfahren das Trauma der Ope- wonach das klassische chirurgische Vorgehen ration am offenen Herzen verkleinern können auf lange Sicht Vorteile erweist, wurde mitt- – das Einbringen eines Katheters über die Leis- Foto: HIA lerweile von mehreren Studien bestätigt (siehe te erscheint noch immer als die vergleichsweise auch Editorial, Seite 3). am wenigsten belastende Methode. Ein Kriteri- 20 H E R Z heu te 3/ 2 02 1
H E R Z K L A P P E N E R SAT Z I I um darf bei der Betrachtung des Für und Wi- Die wohl bekanntesten Verfahren nutzen dazu »Die Entschei- der jedoch nicht unberücksichtigt bleiben: Es einen Clip, mit dem sich die Segel der Mitral- dung für eine wurde erwartet, dass das Risiko, bei einem Ta- oder Trikuspidalklappe wie mit einer Büro- Therapie- vi-Eingriff zu versterben, deutlich geringer ist klammer punktuell zusammenheften lassen. als bei der herkömmlichen Herzoperation. Das Das Clipverfahren wird inzwischen sehr häufig form ist nur ist nicht der Fall: Die erwartete Verringerung angewendet, das klassisch chirurgische Vorge- individuell und des Risikos, bei oder nach einer Tavi-Prozedur hen ist aber weiterhin der Goldstandard. Die unter Einbe- zu versterben, ist bislang deutlich geringer aus- Leitlinien empfehlen das Clipverfahren derzeit gefallen als erhofft. praktisch nur dann, wenn das Risiko einer her- ziehung aller Wie lässt sich dieser Befund erklären? Eine kömmlichen Operation für den Patienten als dafür verant- Herzoperation ist zweifelsohne von hoher In- zu hoch eingeschätzt wird. Vor einer Kathe- wortlichen vasivität – dem steht folgendes Risiko einer tertherapie der Mitral- oder Trikuspidalklappe medizinischen Tavi-Prozedur gegenüber: Während des Ka- sollte der Patient daher über mögliche chirurgi- thetereingriffs wird die defekte Aortenklappe sche Verfahren informiert werden – zumal die Disziplinen zu mitsamt ihren Verkalkungen nicht wie beim chirurgische Behandlung mittlerweile in den treffen.« chirurgischen Vorgehen komplett entfernt, meisten Fällen „durchs Schlüsselloch“, ohne sondern in die Wand des großen Blutgefäßes Eröffnen des Brustbeins, möglich ist. Grund- gepresst. Dabei können sich Kalk- und sonsti- sätzlich gilt auch für die Therapie der Mitral- ge Partikel lösen, vom weiterhin bestehenden und Trikuspidalklappe: Der Therapieerfolg Blutstrom davongetragen werden und andern- des klassisch chirurgischen Vorgehens scheint orts Blutgefäße verstopfen, etwa im Gehirn. nachhaltiger als die Kathetervariante zu sein, Das könnte erklären, warum die Schlaganfall- die Kathetertechnik wiederum weist ein nied- rate wider Erwarten bei der Tavi nicht besser rigeres Eingriffsrisiko auf. ausfällt, sondern bei beiden Therapieformen Heute steht ein breites Methodenspektrum praktisch gleich ist. für die Therapie von Herzklappenerkrankun- Zusammenfassend besagen diese Ergebnis- gen zur Verfügung. Ob ein klassisches chirur- se: Die Tavi ist für den Patienten zwar weniger gisches Verfahren oder die Kathetertechnik für invasiv und belastend – sie muss deshalb aber einen Patienten infrage kommt, hängt davon nicht in jedem Falle auch weniger gefährlich ab, wie die therapiespezifischen Risiken sind sein. Das ist besonders relevant für Patienten, und welche Therapieform für den Patienten die wenig Nebenerkrankungen aufweisen: Bei das langfristig beste Ergebnis verspricht. Diese ihnen lassen sich mit minimalinvasiven chirur- Entscheidung ist nur individuell und unter Ein- gischen Verfahren auch ohne Durchtrennung beziehung aller dafür verantwortlichen medizi- des Brustbeins ebenso geringe Sterblichkeitsra- nischen Disziplinen zu treffen. ten wie mit der Tavi erzielen. Diese Erkenntnis ist wichtig, denn eine Überschätzung der mit einer Operation einhergehenden Gefahren kann dazu führen, einen möglicherweise le- Literatur: bensverlängernden Therapieeffekt für den Pa- Barili, F. et al. tienten zu verlieren. (2020): Mortality in trials on transca- theter aortic valve MITRAL- UND T RIKUSPIDALKLAPPE implantation versus Professor Dr. Torsten Doenst ist Herzchirurg und Foto: UKJ / Michael Szabo surgical aortic Mittlerweile ist die Tavi nicht mehr die einzige leitet die Klinik für Herz- und Thoraxchirurgie des valve replacement: Universitätsklinikums Jena. a pooled meta- Option, mit einem Katheter eine Herzklappe analysis of Kaplan- Kontakt: doenst@med.uni-jena.de zu behandeln: Es gibt heute auch andere Ver- Meier-derived individual patient fahren, mit denen defekte Mitral- und Tri- Túlio Caldonazo und Maximilian Bley arbeiten als data. doi: 10.1093/ kuspidalklappen behandelt werden können. Assistenzärzte im Universitätsklinikum Jena. ejcts/ezaa087 H E R Z h e u t e 3/ 2 02 1 21
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