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I N H A LT 01 VO RWO R T 02 D E R A N S C H LAG 03 DIE POLITISCHE E I N O R D N U N G 04 D E R B E H Ö R D L I C H E U M GA N G M I T D E N B ET R O F F E N E N 05 D E R STÄDT I S C H E U N T E R STÜT Z U N G S FO N D 06 G E S P R ÄC H M I T R O B E R T H Ö CK M AY R , A L EX A N D E R F R EY U N D M A R I A N O F F M A N N 07 G E S P R ÄC H M I T C LAU D I A Z . U N D G U D R U N L . 0 8 G E S P R ÄC H M I T W E R N E R D I ET R I C H
29. September 1980 01 VO RWO R T ap/dpa/picture alliance/ Süddeutsche Zeitung Photo Trauerbeflaggung am Münchner Rathaus im Gedenken an die Betroffenen des Anschlags auf das Oktoberfest. Wer die Täter*innen nicht sehen will, will auch die Perspektive der Opfer nicht sehen 3 40 Jahre lang wurde das Attentat auf das Okto- Wer die menschenverachtende Motivation für die berfest nicht als rechtsextrem motivierte Tat einge- Tat nicht sehen will, der will die Perspektive der stuft, sondern als Handlung eines verwirrten Ein- Opfer nicht sehen, der verhindert die Aufarbei- zeltäters. Nur dem langjährigen Engagement Be- tung und Auseinandersetzung mit dem Terror und troffener und zivilgesellschaftlicher Akteur*innen dessen Nährboden. Nach den Morden des NSU, ist es zu verdanken, dass dieses größte rechtsex- der langen Leidensgeschichte von deren Betroffe- treme Attentat mit 13 Toten und mindestens 221 nen und Angehörigen, nach dem OEZ-Attentat Verletzten und Traumatisierten nach mühsam er- und nach den Anschlägen von Halle und Hanau reichter Wiederaufnahme der Ermittlungen inzwi- hat sich der Blick verändert. schen offiziell als rechtsextremes Verbrechen an- gesehen wird. Das Ausblenden des politischen Die Stadt München hat sich 2018 ihrer Verant- Hintergrunds des Täters hatte immense Auswirkun- wortung gestellt und für die Opfer einen Fonds gen auf die Opfer. Die drängende Frage nach in Höhe von 100.000 Euro bereitgestellt, den dem ‚Warum“, nach dem Motiv des Täters und dem BEFORE an die Überlebenden und ihre Angehöri- Grund des eigenen Leidens blieb unbeantwortet. gen verteilt hat. Wir sind Zeug*innen der massi- Die frühen Zweifel an der Einzeltätertheorie wurden ven körperlichen und seelischen Folgen geworden, bagatellisiert und abgetan und in der Folge später unter denen die Betroffenen und ihre Familien der Zugang zu entsprechenden Hilfsfonds versperrt. bis heute leiden, aber auch der enormen Bedeu- Statt Solidarität und Unterstützung von den Be- tung dieser symbolischen und konsequenten hörden zu erfahren, wurden die oftmals schwer Hinwendung der Landeshauptstadt München zu verletzten und massiv traumatisierten Überleben- den Opfern. den und Angehörigen des Anschlags über Jahr- zehnte in die Rolle der störenden Bittsteller*innen Viele Betroffene des Oktoberfestattentats werden gedrängt. Rentenanträge wurden genauso abge- von BEFORE begleitet. Wir freuen uns, dass die lehnt wie dringend nötige Hilfsmittel. Ärzt*innen Landeshauptstadt München der Beratungsstelle stempelten Betroffene als Simulant*innen ab, wenn außerdem diesen Fonds anvertraut hat und die diese auch noch nach Jahren über Beschwerden Betroffenen in einer ganzen Reihe von Fällen un- berichteten. Die Betroffenen kämpften meist auf terstützt. sich allein gestellt gegen unwillige und desinter- essierte Behörden. Eine psychosoziale Hilfestellung Wir müssen daraus, dass die Betroffenen nach gab es nicht. Zusätzlich verhinderte das Negieren dem 26. September 1980 40 Jahre alleingelassen eines politischen, eines rechtsextremen Tatmotivs, wurden, eines lernen: Die Opfer rechtsextremer dass die Gesellschaft die Dimension der Tat ein- Anschläge brauchen die Solidarität und Unterstüt- ordnen und entsprechende Solidarität mit den Be- zung dieser Gesellschaft – und dafür müssen troffenen zeigen konnte. Und es verstellte den solche Taten möglichst schnell und deutlich als das Blick auf die rechtsextremen Netzwerke, die be- gekennzeichnet werden, was sie sind: Morde von reits in den 1980er-Jahren hätten erkannt und rechtsextremen und rassistischen Täter*innen, die bekämpft werden können. eine moderne und vielfältige Gesellschaft treffen wollen. Deswegen brauchen diejenigen, die getrof- fen wurden, auch den bedingungslosen Rückhalt dieser Gesellschaft. Siegfried Benker Diplom-Sozialpädagoge und Geschäftsführender Vorstand des BEFORE e. V.
Die drängende Frage nach dem Warum, nach dem Motiv des Täters und dem Grund des eigenen Leidens blieb unbeantwortet.
dpa/Süddeutsche Zeitung Photo 30. September 1980 Nur während der Trauerfeier für die Opfer des Attentats auf das Oktoberfest bleibt die Fest- wiese geschlossen.
02 D E R A N S C H LAG Am Abend des 26. September 1980 explodiert am Haupteingang zum Oktoberfestgelände eine Bombe. Wie an einem Freitagabend in der Viele Betroffene schildern, dass 8 9 Unmittelbar nach der Explosion Der Münchner Oberbürgermeister Wiesnzeit üblich, drängen sich am sie zunächst einen ohrenbetäuben- liegen mehrere hundert von der Erich Kiesl entscheidet nach Rück- Nordeingang der Theresienwiese den Knall hörten und ein grelles Bombe getroffene Menschen auf sprache mit der Polizei und den sehr viele Besucher*innen. Um Licht sahen. So berichtet etwa die dem Boden vor dem Wiesn-Ein- Festwirten, dass das Oktoberfest 22.19 Uhr detoniert der Spreng- Betroffene A. der Süddeutschen gang. Nur langsam gelingt es der zunächst weitergeht wie gewohnt. satz in einem Mülleimer, der an Zeitung: ‚Auf dem Weg zum Aus- Polizei, den Tatort abzusperren. Ausschlaggebend sei hier die Ent- einem Verkehrsschild angebracht gang muss ich so 20 oder 30 Die vielen Verletzten werden vor scheidung der Polizei gewesen: ist. Die Polizei schätzt, dass sich Meter vom Explosionszentrum ent- Ort von freiwilligen Helfer*innen Deren Führungsspitze habe auf zu diesem Zeitpunkt ca. 1.000 Men- fernt gewesen sein, als die Bombe und Sanitäter*innen versorgt und eine Weiterführung bestanden, schen in der unmittelbaren Um- hochging. Es gab einen fürchter- mit Krankenwagen und zwei Bus- weil sie die Besucher*innen nicht gebung befinden. Die Erschütte- lichen Knall und ich sah überall sen in Krankenhäuser gebracht. rechtzeitig über Medien warnen rung der heftigen Explosion ist Funken sprühen. In meinem rechten Bis in die frühen Morgenstunden könne und nicht über genug Per- weit über die Theresienwiese hin- Fuß verspürte ich einen dumpfen werden dort Betroffene operiert sonal verfüge, um das Gelände zu aus in München zu hören und zu Schlag und stürzte hin.“ und behandelt. sperren. Der Sprecher der Wiesn- spüren. 13 Menschen werden ge- wirte, Richard Süßmaier, drängt tötet, die Zahl der Verletzten wird Die Druckwelle der Detonation Auf der Wiesn selbst feiern zum ebenfalls auf die Fortsetzung der zunächst auf 211 beziffert. Späte- schleudert die Betroffenen im Um- Zeitpunkt des Attentats rund Wiesn, um eine Massenpanik zu re Ermittlungen zeigen, dass min- kreis zu Boden. ‚Es sind alle Leute 200.000 Besucher*innen. Als sie vermeiden, auch wenn die Feier- destens noch zehn Menschen am Boden gelegen“, erinnert sich nach 23 Uhr vom Festgelände laune leide. Mit Blick auf den Fest- mehr von dem Sprengsatz getrof- der Betroffene H. ‚Eine Sekunde strömen, hält die Polizei Schaulus- betrieb – nicht etwa die Betroffe- fen wurden. Splitterverletzungen, lang dachte ich an ein großes Feu- tige mit Sperrgittern zurück und nen – sagt er: ‚Unter welchen Vor- Knochenbrüche, Traumata, Ver- erwerk in der Silvesternacht. Als leitet sie am Tatort vorbei. Die Be- zeichen auch immer es weitergeht, brennungen, durchtrennte Mus- ich dann aber zu Boden gerissen hörden von Stadt und Land müs- die Belastung ist ungeheuerlich.“ keln – die Liste der medizinischen wurde, war mir sofort klar, dass sen so schnell wie möglich auf die Der Oberbürgermeister behauptet Folgen des Anschlags für die Be- etwas Entsetzliches geschehen neue Situation reagieren: Die Ver- außerdem, dass jede längere Un- troffenen ist lang. war“, sagt der Betroffene R. im sorgung der Betroffenen, die Auf- terbrechung oder gar die Schlie- Gespräch mit der SZ. klärung des Attentats und der ßung des Oktoberfestes den ver- Umgang mit dem weiteren Verlauf werflichen Absichten der Attentäter des Oktoberfestes müssen gere- entgegenkomme. gelt werden.
A N T R AG AU F 02 D E R A N S C H LAG Antrag auf Wiesn-Schließung abgelehnt: Süddeutsche Zeitung, 07.03.1985 Wies‘n-Attentat: Demonstranten bestraft, Abendzeitung 29.05.1981 Gedenkfeier für Wiesn-Opfer: Stadtrat hat keine Zeit, Abendzeitung, 27.09.1990 Wies‘n-Opfer: Keine Namen am Mahnmal, Abendzeitung, 27./28.09.1986 WIESN- SCHLIESSUNG ABGELEHNT 11 Den selbstgebauten Sprengsatz, der so viele Menschen traf, hatte Ganz ungebrochen läuft das Okto- berfest jedoch nicht weiter: Vor W I E S ’ N - AT T E N TAT: der Student Gundolf Köhler im Abfalleimer an der Theresienwiese Ort intervenieren Betroffene und andere Menschen, die nicht hin- deponiert. Köhler bewegte sich nehmen wollen, dass einfach wei- D E M O N ST R A N T E N zuvor in verschiedenen extrem rechten Zusammenhängen, unter tergefeiert werden soll, als wäre nichts geschehen. Einige Betroffe- anderem war er in der militanten ne erzählen im Strom der Besu- B E ST R A F T ‚Wehrsportgruppe Hoffmann“ aktiv. Die Ermittlungen konzentrierten cher*innen von dem Geschehenen. Ein Mann verteilt Handzettel mit G E D E NK F E I E R sich jedoch früh auf eine alleinige Täterschaft Köhlers, die Frage der Aufschrift: ‚Hier starben gestern Menschen! Wenn Sie noch Lust nach möglichen Mittäter*innen haben auf das Oktoberfest zu ge- FÜ R W I E S N - und Unterstützer*innen ist bis heu- te nicht endgültig beantwortet. hen, denken Sie daran, dass an der Stelle, an der Sie jetzt stehen, O P F E R : STADT R AT Kinder, Frauen und Männer zer- Am Morgen nach dem Anschlag fetzt wurden.“ Einige Menschen verkündet Oberbürgermeister schließen sich der Aktion an und H AT K E I N E Z E I T Kiesl seine Entscheidung: Die Festzelte öffnen am Samstag wie versuchen, im Strom der Feier- wütigen auf das Attentat aufmerk- gewohnt für die Besucher*innen. sam zu machen. Viele Betroffene WIES’N-OPFER: Wagen der Stadtreinigung spülen die Spuren des Anschlags weg, ringen in den Krankenhäusern mit ihren Verletzungen – für sie ist KEINE NAMEN AM über Nacht wird neues Pflaster an dies der Auftakt einer jahrzehnte- der Stelle verlegt, wo die Bombe langen Auseinandersetzung mit einen Krater hinterlassen hat. Die den Folgen des Anschlags. MAHNMAL Girlande über dem Eingangstor verkündet weiterhin: ‚Willkommen zum Oktoberfest“. Erst vier Tage nach dem bis heute größten Terror- anschlag in der Geschichte der Bundesrepublik wird der Festbe- trieb während der offiziellen Trauer- feier für 24 Stunden ausgesetzt.
26. September 1987 Fackelzug zum Gedenken an die Betroffenen des Bomben- anschlags auf das Oktoberfest. An der Spitze (von links nach rechts) Bürgermeister Klaus Hahnzog, der Vorsitzende der Stiftung Weiße Rose, Franz Müller, und der DGB-Landesju- gendsekretär Klaus Dittrich. Süddeutsche Zeitung Photo Karl-Heinz Egginger/
Schon wenige Stunden nach dem Oktoberfestattentat beginnt der Kampf um seine politische Einordnung.
03 DIE POLITISCHE EINORDNUNG „„In eine ganz andere Richtung“ – Die politische und gesellschaftliche Einordnung des Oktoberfestattentats Schon wenige Stunden nach dem Oktoberfest- Instrumentalisiert wird das Oktoberfestattentat in 16 17 Die Einordnung des Oktoberfestattentats ist da- Nach dem Oktoberfestattentat sehen sich die Be- attentat beginnt der Kampf um seine politische der Folge dennoch nach Kräften: Die Staatsregie- her untrennbar mit der Einordnung der extremen hörden zum Handeln gegen die Wehrsportgruppe Einordnung. Zwei Fragen sind dabei zentral: rung versucht etwa, es gegen den Bundesinnen- Rechten in der damaligen Bundesrepublik verbun- gezwungen. Am 27. September 1980 werden Wer war für den Anschlag verantwortlich – ein minister Gerhart Baum in Anschlag zu bringen. den. Ihr werden gewalttätige Aktionen schlicht sechs WSG-Mitglieder in einem Konvoi, der alte Einzeltäter oder größere Netzwerke? Was war Direkt nach dem Attentat, als Gundolf Köhler noch nicht zugetraut und damit nicht zugeschrieben. Wehrmachtsfahrzeuge in die Schweiz bringen soll, der politische Hintergrund der Tat? unbekannt war und die Tat linken Täter*innen zu- Noch 1979 verharmlost die zuständige Polizei ein verhaftet. Zwei Tage später werden sie freigelas- geschrieben wurde, verkündet der Ministerpräsi- winterliches Kampftraining der Wehrsportgruppe sen. Auf beide Fragen gibt es seitens des bayerischen dent, man müsse jetzt ein Flugblatt verfassen, das als ‚Kasperletheater“. Ministerpräsident Strauß Ministerpräsidenten Franz-Josef Strauß eindeutige, Baum im Gespräch mit dem damaligen linken An- bezeichnet die Gruppierung im März 1980 als Die politischen Überzeugungen Köhlers werden aber falsche Antworten. Strauß erklärt zunächst: walt Horst Mahler zeige, um den Minister als nach- ‚zwanzig Verrückte“, und höhnt, Hoffmann sehe aber in der Diskussion über den Hintergrund der Es spreche ‚alles dafür, dass es sich um die Tat ei- lässig im Umgang mit links darzustellen. Strauß ‚wirklich aus wie ein Kasper“. Mit der folgenden Tat weniger thematisiert als seine psychische Ver- nes Einzelnen handele“, ‚Spuren des Attentats“ nutzt das Attentat für Attacken auf Baum, dieser fatalen Fehleinschätzung zu den militärischen fassung. Die Ermittlungsbehörden stellen ihn als führten ‚in eine ganz andere Richtung“. Das Atten- verunsichere als ‚Skandalfigur“ die Sicherheits- Übungen, die als Training für den bewaffneten verzweifelten Einzelgänger mit Beziehungsschwie- tat als Werk eines Einzelnen, der nicht aus der behörden mit seinen Bedenken und verharmlose Kampf dienen, ist Strauß in den 1970er-Jahren rigkeiten und anderen psychischen Problemen dar. extremen Rechten stamme – so die Lesart der den (linken) Terrorismus. In einem Kommentar nicht allein: ‚Mein Gott, wenn ein Mann sich ver- Diese Deutung wird in der Folge beherrschend: Staatsregierung. in der Welt am Sonntag schreibt Strauß: ‚Zunächst gnügen will, indem er am Sonntag auf dem Land Münchens Fremdenverkehrsdirektor Heinz Strobl, hat der Terror aus der Linken begonnen, und da- mit einem Rucksack und mit einem mit Koppel Leiter des Oktoberfestes, bezeichnet Köhler schon Es sind vor allem die politische Instrumentali- mit ist der Terror der Rechten da und dort großge- geschlossenen ‚Battle Dress“ spazieren geht, dann am 29. September als ‚verrückt“: ‚Das Oktober- sierung des Anschlags, die Loslösung von Tat und zogen worden“. Dieses fatale Deutungsmuster in soll man ihn in Ruhe lassen.“ ‚Für besondere Maß- fest geht weiter, weil wir uns von Verrückten nicht Täter von ihrem politischen Hintergrund und die dem der Anschlag als Ergebnis von ‚Extremisten“ nahmen zum Schutz Andersdenkender vor Über- ins Bockshorn jagen lassen. Mit Verrückten haben Verkennung der extremen Rechten, welche die Ein- erscheint, die ‚sich gegenseitig hochschaukeln, griffen der Wehrsportgruppe Hoffmann sieht das wir schon lange gerechnet.“ Als labil und verrückt ordnung des Oktoberfestattentats in den folgen- wie Wasser in kommunizierenden Röhren“, verbrei- Staatsministerium des Innern keinen Anlaß“, be- wird der Attentäter dargestellt und auf persönliche den Jahrzehnten kennzeichnen. ten auch andere Kommentator*innen. So heißt es findet auch der ehemalige bayerische Innenminis- Fehlschläge im Beruf oder Beziehungsprobleme in einem Leserbrief an den Münchner Merkur am ter Alfred Seidl. Im Bund wird die Bedrohung verwiesen. Einige Stellen gehen dabei so weit, Köh- Viele Stimmen verwehren sich im September 1980 30.09.1980 exemplarisch: ‚Und daß die Baader- durch die extreme Rechte ebenfalls nicht gesehen: ler eine Selbstmordabsicht aus Verzweiflung über gegen eine angebliche ‚Politisierung“ der Tat. Sie Meinhof-Bande und ihre Nachfolger die Kollegen ‚Eine wirkliche Gefahr von rechts besteht gegen- seine Lebenssituation nachzusagen. Wie bei ande- solle im nahenden Bundestagswahlkampf nicht in- auf der anderen Seite zu verbrecherischen Akti- wärtig nicht“, gibt etwa der CDU-Bundestagsabge- ren extrem rechten Anschlägen wie dem Attentat strumentalisiert werden. Damit wurde der Ver- vitäten animiert haben, steht außer Zweifel“. ordnete Gerhard Reddemann 1978 an. Die Frank- am Olympia-Einkaufszentrum 2016, stellen Behör- such unternommen, den Anschlag von seinen po- furter Allgemeine Zeitung fürchtet nach dem den und Teile der Medienlandschaft eine politi- litischen Hintergründen zu trennen. In den Tagen nach dem Attentat wird bekannt, dass Anschlag, dass sich die Linke jetzt freue, weil sie sche Motivation und die psychische Verfassung Gundolf Köhler sich in extrem rechten Zusammen- ‚Scheinbeweise“ für ihre ‚unbewiesene These“ des Täters als sich ausschließende mögliche Tathin- hängen bewegte und linker Kontakte unverdächtig von der riesigen ‚Gefahr von rechts“ habe. tergründe dar.. Dabei übersehen sie, dass psychi- war. Köhler hatte unter anderem an bewaffneten sche Erkrankungen mit extrem rechten Einstellun- Übungen der ‚Wehrsportgruppe“ (WSG) um Karl- Zusätzlich verstellt die falsche Erzählung, dass gen zusammenfallen können. Zum anderen gerät Heinz Hoffmann teilgenommen. Er schrieb Hoff- die extreme Rechte überwiegend aus der DDR ge- der politische Hintergrund der Tat aus dem Blick mann in einem ersten Briefwechsel, dass er in sei- steuert werde, den Blick auf die Gefahr gut orga- – sie wird aus ihrem eigentlichen Zusammenhang nem Wohnort eine eigene Ortsgruppe der militan- nisierter eigenständiger extrem rechter Netzwerke herausgerissen und entpolitisiert. ten extrem rechten Gruppierung aufbauen wolle. in der Bundesrepublik. So sah es etwa im Bayern- Im Jahr 1979 war Köhler auf dem Titelbild der von kurier ein Autor damals als erwiesen an, dass ‚gut Hoffmann herausgegebenen Zeitschrift ‚Komman- 70 Prozent“ der Neonazis ‚aus der DDR kommen do“ zu sehen. oder von daher nachrichtendienstlich geführt und gefüttert werden“.
03 DIE POLITISCHE EINORDNUNG ST E I N FÜ R ST E I N Stein für Stein erwächst ein Mosaik des Horrors, Münchner Merkur, 29.09.1980 6 Jahre danach: Zweifel bleiben, Münchner Merkur, 26.09.1986 Wiesn Anschlag: Keine Ermittlungen; Abendzeitung, 09.06.1984 Wiesn-Attentat - wer glaubt die Theorie vom Einzeltäter?, Tageszeitung (TZ), 27.09.2000 Verschlusssache, Süddeutsche Zeitung, 12.05.2016 Späte Aufarbeitung, Süddeutsche Zeitung, 12.02.2010 E RWÄC H ST E I N M O SA I K D E S Der Einordnung des Attentats als unpolitisches Werk eines Verwirrten widersprechen einige der hunderten Münchner*innen, die sich am 30. Sep- Wie wichtig es ist, rechte Gewalt richtig einzuord- nen und rechte Netzwerke zu erkennen, zeigt sich schon kurz nach dem Oktoberfestattentat einmal 18 HORRORS tember 1980 zur offiziellen Trauerfeier vor dem Münchner Rathaus versammeln. Vor dem schwarz- beflaggten Gebäude gedenken sie der Betroffe- mehr: Keine 48 Stunden nachdem an der Theresi- enwiese hunderte Menschen von der Bombe getroffen wurden, verüben rechte Terroristen den 6 JA H R E DA N AC H : ZWEIFEL BLEIBEN nen, in der Menge ist unter anderem ein Transpa- nächsten Anschlag: In Bielefeld setzen drei Männer rent mit der Aufschrift ‚Wir trauern um die Opfer mit Molotowcocktails den Bauernhof engagierter der faschistischen Mörderbande“ zu sehen. ‚Wir Umweltschützer*innen in Brand. In dem kleinen klagen an Gerold Tandler, der die WSG Hoffmann Ort Lämershagen (NRW) verbrennt die junge Fa- als halbverrückte Organisation nicht eine gefähr- liche Organisation im eigentlichen Sinne bezeich- nete“, heißt es auf einem Schild über den dama- milie am 28. September 1980 nur nicht, weil sie noch wach ist, als die Brandsätze auf ihr Haus geworfen werden. So überleben die schwangere W I E S N A N S C H LAG : ligen bayerischen Innenminister. Frau, ihr Mann und deren zweijähriger Sohn den Die Frage, ob Gundolf Köhler allein handelte, be- jahen die Ermittlungsbehörden im November 1982 Anschlag. KEINE E R M I T T LU N G E N im Abschlussbericht der Generalbundesanwalt- schaft. Seiner Einbindung in gewalttätige extrem rechte Netzwerke zum Trotz habe er den Spreng- satz allein gebaut und gelegt. 2014 werden die Er- mittlungen auf Drängen von Betroffenen und Un- terstützer*innen wiederaufgenommen. Im Juli 2020 kommt die Bundesanwaltschaft zu dem Schluss, W I E S N - AT T E N TAT - W E R G LAU B T dass politische Überzeugungen, nicht psychische Probleme, Köhler zu der Tat brachten. Die Frage, ob er den Anschlag allein beging, bleibt weiter offen. D I E T H E O R I E VO M ‚Wir trauern um die Opfer der faschistischen Mörderbande“ – E I N Z E LTÄT E R ? ‚Wir klagen an Gerold Tandler, der die WSG Hoffmann als halbver- rückte Organisation nicht eine ge- V E R S CH LU S S SACH E S PÄT E fährliche Organisation im eigent- lichen Sinne bezeichnete“: Schilder mit diesen Aufschriften sind auf dem Marienplatz bei der offiziellen Trauerfeier für die Betroffenen des Anschlags zu sehen. AU FA R B E I TU N G
26. September 1981 Nach einer Kranzniederlegung an der Gedenkstätte auf der Theresienwiese und einer De- Karl-Heinz Egginger/Süddeutsche Zeitung Photo monstration durch die Münch- ner Innenstadt wird bei der Ab- schlusskundgebung auf dem Marienplatz an die Betroffenen des Anschlags erinnert.
04 D E R B E H Ö R D L I C H E U M GA N G M I T D E N B ET R O F F E N E N Der Umgang der Behörden mit den Betroffenen des Oktoberfestattentats Nach dem Anschlag auf das Okto- Der behördliche Umgang mit den 22 23 Aber auch bei der Bewältigung Solche Auseinandersetzungen berfest sichert der Münchner Ober- Betroffenen des Oktoberfestatten- der körperlichen Folgen wurden sind ermüdend und anstrengend. bürgermeister Erich Kiesl den tats war nicht in jedem Fall gleich- und werden Betroffenen Steine Abgesehen davon hat es natür- Betroffenen schnelle und unbüro- förmig. Die Erfahrungen sind so in den Weg gelegt. Eine Behörde, lich finanzielle Konsequenzen, kratische Hilfe seitens der Stadt- unterschiedlich wie die jeweiligen die in den Erzählungen dabei wenn Teile der medizinischen Kos- verwaltung zu. Das städtische So- Perspektiven der Betroffenen. Und immer wieder auftaucht, ist das ten nicht übernommen werden. zialbüro richtet ein provisorisches doch ziehen sich einige Parallelen Versorgungsamt. Das Versorgungs- Die Betroffenen müssen sie selbst Sonderbüro mit einer Hotline für durch die Erzählungen. Unmittel- amt ist für Leistungen nach dem tragen und reduzieren die Be- Hilfesuchende ein. Die Allgemeine bar nach dem Attentat wurden die Opferentschädigungsgesetz (OEG) handlungen zum Teil auf das not- Ortskrankenkasse informiert über Betroffenen gesundheitlich ver- zuständig. Nach dem OEG kön- wendigste Minimum. Um damit die Leistungen der Krankenkassen. sorgt. Weil die Kapazitäten in der nen Betroffene von Gewalttaten nicht mehr als erforderlich kon- Für Spenden wird ein Sonderkon- Stadt selbst bald erschöpft waren, Leistungen zur Bewältigung kör- frontiert zu werden, haben einige to eingerichtet, auch vor Ort sam- wurden einige auch in Kranken- perlicher Schäden beantragen, Betroffene über Jahre hinweg meln Menschen für die Betroffe- häuser in den umliegenden Orten die – in der Theorie – weit über Ärzt*innen gemieden. Das hat zum nen. ‚Wir sollten es nicht bei Mit- gebracht. Möglichkeiten, das Er- die Leistungen der gesetzlichen Teil gravierende gesundheitliche und Beileid belassen“ heißt es lebte psychisch zu verarbeiten, Krankenkassen hinausgehen. Folgen, wenn dadurch notwendige auf einem Schild an einem spon- beispielsweise in Form einer The- Behandlungen nicht stattgefun- tan errichteten Spendenstand. rapie, waren aber nicht im glei- In der Praxis müssen und mussten den haben. Hier wird deutlich, dass chen Maße etabliert wie heute. Ei- Betroffene aber um die Übernah- das behördliche Handeln unmit- Die Realität vieler Betroffener ist nige Betroffene berichten, dass me kleinster Beträge kämpfen. Ei- telbare und mittelbare Auswirkun- in der Folge aber leider nicht von sie erst in der jüngeren Vergangen- nige berichten von jahrelangen gen auf die Gesundheit haben großzügiger Unterstützung und heit, unter anderem ausgelöst Widerspruchsprozessen bis hin zu kann. verständnisvoller Hilfe geprägt. Sie durch die Wiederaufnahme der Aussagen von Mitarbeiter*innen haben vielfältige gesundheitliche Ermittlungen durch die General- des Versorgungsamts, dass sie sich Schäden erlitten, von den Folge- bundesanwaltschaft im Jahr 2014, nicht ihr ganzes Leben ‚darauf schäden, die sich in den letzten Therapien begonnen haben, um ausruhen“ könnten, Opfer des At- Jahrzehnten entwickelt haben, das Erlebte aufzuarbeiten. Andere tentats zu sein. ganz zu schweigen. Die Behörden tun dies bis heute nicht. unterstützen die notwendigen Behandlungen, wenn überhaupt, nur zum Teil.
04 D E R B E H Ö R D L I C H E U M GA N G M I T D E N B ET R O F F E N E N 18. September 1981 Das Denkmal für die Opfer des Oktoberfestattentats wurde von dem bayerischen Bildhauer Friedrich Koller geschaffen und am 18. September der Öffentlichkeit übergeben. Standort ist der Ort der Explo- sion am nördlichen Rand der Theresienwiese beim Hauptein- gang des Oktoberfests. Auch wenn die Kosten (teilweise) Das Vorgehen der zuständigen 24 übernommen wurden, so stellt der Behörden verstärkte über die lan- sich immer wiederholende büro- ge Zeit von 40 Jahren hinweg, kratische Akt per se bereits eine dass sich Betroffene nicht ernst nicht zu unterschätzende Anstren- genommen fühlten, nicht aner- gung dar. Die Betroffenen müssen kannt in ihrem Erleben, ihrem Lei- ihn auf sich nehmen, um über- den und den Folgen der körper- haupt die Chance auf Unterstüt- lichen und seelischen Verletzun- zung zu haben. Die Behörden, gen. Letztere werden punktuell unter ihnen das städtische Versor- sogar noch verstärkt. Mit steigen- gungsamt, lassen sich von den dem Alter nehmen die Beein- Betroffenen um Unterstützung bit- trächtigungen für viele Betroffene ten. Sie mussten und müssen zu, der Bedarf an Unterstützung hierbei ihre Bedürftigkeit immer etwa durch psychologische Be- wieder aufs Neue nachweisen. gleitung und medizinische Behand- Im Kampf um die Eingruppierung lungen steigt. Der durch die Stadt ihrer körperlichen Beeinträchti- München 2018 eingerichtete gung müssen Betroffene Untersu- Fonds für Hilfsleistungen ist ein chungen über sich ergehen lassen erster Beitrag zur Unterstützung und eigene Gutachten beibrin- der Betroffenen – langfristig müs- gen. Die Frage, ob eine Beschwer- sen sich endlich auch der Frei- de auch wirklich Folge des An- staat Bayern und der Bund ihrer schlags ist, müssen Betroffene Verantwortung gegenüber den selbst bei offensichtlichen Fällen Betroffenen stellen. Nach 40 Jah- wieder und wieder beantworten. re ist es höchste Zeit, dass sie Sonst riskieren sie, einen noch umfassend und angemessen un- größeren Teil der Folgen allein be- terstützt werden. wältigen zu müssen. Picture alliance/dpa/Peter Kneffel
Die Folgen rechter Anschläge gehen weit über den eigent- lichen Zeitraum der Tat hinaus und können viele Jahre andauern.
05 D E R STÄDT I S C H E E U N T E R STÜT Z U N G S FO N D Eine Anerkennung auf kommunaler Ebene – der städtische Fonds für Betroffene des Oktoberfestattentats Als die Stadt München 2016 Betroffene des Okto- teten, dass es sie freue, nach so vielen Jahren 28 29 Wie im Antrag vorgesehen, wurde der städtische Manche Betroffene wandten sich erstmals an berfestattentats zu einem gemeinsamen Treffen endlich gehört und ernst genommen zu werden. Unterstützungsfonds bei BEFORE angesiedelt. BEFORE, weil sie von den Unterstützungsmöglich- einlud, lag das Attentat 36 Jahre zurück. Bis dahin Das sei vorher nicht geschehen. Es wurde klar, Der Fonds wurde für die Betroffenen, Hinterbliebe- keiten durch den Fonds erfahren hatten. In den gab es neben den jährlichen Gedenkfeiern am dass sich Verletzungen und Spätfolgen des Atten- nen und traumatisierten Angehörigen so gestal- Gesprächen wurde neben den Antragsstellungen 26. September und dem seit 2015 vom Kulturre- tats mit dem Alter verschlimmert hatten, beson- tet, dass er niedrigschwellig und unbürokratisch zum Teil auch Beratungsbedarfe darüber hinaus ferat der Landeshauptstadt München durchge- ders, wenn mangelhafte oder keine adäquate me- in Anspruch genommen werden kann. Mit einem deutlich, in denen die Berater*innen unterstützen führten Forschungsprojekt nur wenige Gelegen- dizinische oder therapeutische Behandlung statt- unkomplizierten Antrag werden die Unterstüt- und begleiten. So erleben wir den Fonds auch heiten, zusammenzukommen. Es kamen daher gefunden hatte. Außerdem hatte es Auswirkungen, zungswünsche eingereicht. Ein Gremium, beste- ein Stück weit als einen Austausch- und Begeg- viele, das Interesse war groß. Zwei Jahre vorher wa- dass jahrelang nicht anerkannt wurde, dass sie hend aus Vorstandsmitgliedern von BEFORE e.V., nungsraum, der sich Betroffenen eröffnen kann, ren die mittlerweile eingestellten Ermittlungen Opfer einer politisch motivierten Gewalttat wurden. bescheidet die Anträge. Die Berater*innen von als einen Anlass, von ihren Erfahrungen zu berich- durch die Generalbundesanwaltschaft wiederauf- Es verletze sie, dass sie bis dato nicht entschä- BEFORE besprechen mit den Betroffenen deren ten und dabei gehört zu werden, Wünsche und genommen worden. Umso wichtiger war es nun, digt wurden – weder durch den Freistaat Bayern Bedarfe und begleiten und unterstützen sie bei Erwartungen zu formulieren und sich mit dem Er- die Betroffenen zusammenzubringen und zu hören, noch durch den Bund. der Antragsstellung. lebten zum Oktoberfestattentat selbst und in den wie es ihnen ging. Die meisten Betroffenen haben vielen Jahren danach auseinanderzusetzen. einen Umgang mit dem Attentat und den Nach- Bereits seit vielen Jahren forderten Betroffene und Wie im Zuge dessen ersichtlich wurde, haben die wirkungen gefunden – das darf aber nicht darüber engagierte Akteur*innen eine Entschädigung Betroffenen nicht nur in den vielen Jahren seit Die Verwaltung und Ausgestaltung stellte BEFORE hinwegtäuschen, dass so viele Jahre später die der Betroffenen des Attentats. Nachdem auch bei dem Attentat im Jahr 1980 um Unterstützung ge- vor die Herausforderung, dass die vergleichswei- körperlichen und psychischen Folgen noch immer BEFORE dieser Wunsch mehrfach geäußert kämpft. Teilweise stehen sie jetzt vor dem Prob- se geringe Summe den tatsächlichen Bedarfen der präsent sind, teilweise sogar zunehmen. Das hat wurde, wurde die Umsetzung eines Fonds auf lem, dass notwendige Zuzahlungen beispielsweise Betroffenen nicht in allen Teilen gerecht werden verschiedene Gründe: das zunehmende Alter, eine kommunaler Ebene angestoßen. von den Krankenkassen nicht geleistet werden. konnte. Der Fonds kann daher ein Teil der Erinne- lange Zeit der Verdrängung, die fehlende Aner- Die beantragten Bedarfe sind daher genauso un- rung und Auseinandersetzung mit dem Oktober- kennung der gesundheitlichen Folgen durch Behör- Federführend wurde die Idee bei der Fachstelle terschiedlich wie der individuelle Umgang mit den festattentat sein, ein Symbol, dass das Bewusstsein den und deren mangelnde medizinische Unter- für Demokratie entwickelt und anschließend vom Folgen des Oktoberfestattentats. Im Laufe des für rechte Gewalt in der Stadt München auch auf stützung. Das Oktoberfestattentat zeigt, dass die Stadtrat einstimmig beschlossen. Im April 2018 Jahres 2018 konnten mithilfe des Fonds vielfältige politischer Ebene stärker wird. Eine Entschädigung Folgen rechter Anschläge oft weit über den eigent- stellte der Stadtrat 50.000 Euro zur Linderung sozi- wichtige Anliegen unterstützt werden. Zweck der kann der Fonds letztendlich für viele nicht sein, lichen Zeitraum der Tat hinausgehen und viele aler, psychischer, physischer und materieller Fol- Hilfen war und ist es, eine Linderung der nachhal- aber ein Zeichen der Anerkennung, wie Betroffene Jahre andauern können. Sie werden zum Teil der gen der Betroffenen des Oktoberfestattentats zur tigen Folgen und einen Umgang mit den Ein- berichteten: ‚Es fehlen uns ehrlich ein bisschen Biographien der Betroffenen. Verfügung. Die Abgeordneten setzten so ein wich- schränkungen des Attentats herzustellen, u.a. durch die Worte; aber es tut gut zu erleben, dass wir tiges politisches Zeichen und trugen den Stimmen Rehabilitationsangebote, Maßnahmen zur Förde- nach 38 langen Jahren diese Unterstützung von Im Nachgang des Treffens wandten sich einige der Betroffenen Rechnung. Im Antrag heißt es rung gesunden Erholens, orthopädische Hilfsmittel, Ihnen erfahren. Ihre Unterstützung gibt uns Si- Betroffene an unsere Beratungsstelle, konkrete darüber hinaus: ‚Die Landeshauptstadt München Behandlungen und medizinische Anwendungen cherheit. Es ist schön zu erfahren, dass wir als Op- Bedarfe wurden formuliert, Unterstützung angebo- wirkt in Wahrnehmung ihrer historischen Verant- für Förderung und Erhalt der Mobilität und der ei- fer dieser „schrecklichen Nacht‘ nicht in Verges- ten. Etliche Betroffene leben in und um München, wortung darauf hin, dass die gesellschaftspoliti- genständigen Gestaltung des Alltages. senheit geraten sind.“ einige sind aber auch in den Jahren nach dem sche Aufarbeitung des Oktoberfest-Attentats Attentat weiter weggezogen, viele waren 1980 nur weiter vorangeht.“ Die Initiative nahm also auch Schnell zeichnete sich aber ab, dass die Summe Die Reaktionen der Betroffenen, ihre Worte und als Besucher*innen auf die Wiesn gekommen. den gesellschaftlichen Umgang sowie das Ge- von 50.000 Euro nicht ausreichend sein würde. Erzählungen, die Schilderungen, wie sie ihr Leben Mit der Zeit wurde ersichtlich, dass nach solch lan- denken an den Anschlag in den Blick. Ende 2018 signalisierte BEFORE daher, dass eine mit dieser Erinnerung gelebt haben, zeigen uns, gen Jahren ohne Unterstützung und Entschädi- Erhöhung unausweichlich sei, da wie zu erwarten dass Solidarität und Unterstützung konstant sein gungsleistungen noch immer oder sogar gerade mehr Anträge gestellt wurden, als beschieden müssen. Außerdem können sich Bedarfe von Be- jetzt Unterstützung benötigt wird. Einige berich- werden konnten. Im Juli 2019 bewilligte der Stadt- troffenen über die Jahre verändern. Damit müssen rat ohne Zögern eine zweite Runde mit erneuten auch die Unterstützungsangebote Schritt halten 50.000 Euro, sodass weitere Maßnahmen gefördert und wenn nötig angepasst werden. wurden und werden. Insgesamt wurden bis heute (Stand: September 2020) über 40 Anträge an den Fonds gestellt und genehmigt.
BEFORE berät und begleitet seit 2016 Betroffene von rech- ter, gruppenbezogen men- schenfeindlicher Gewalt und Diskriminierungen in München. Sie erhalten hier einen ge- schützten Raum, um ihre Erfah- rungen zu teilen und wenn nötig langfristige Unterstützung.
Ich finde toll, dass die Stadt München vieles in Bewegung gesetzt hat, uns entgegenge- kommen ist und zeigt, dass wir wichtig sind. Zitat Robert Höckmayr
06 G E S P R ÄC H M I T R O B E R T H Ö CK M AY R , Gespräch A L EX A N D E R F R EY U N D M A R I A N O F F M A N N „„Ich kann zwar vieles nicht mehr machen, aber ich habe doch dasselbe Recht!“ Im Februar 2020 fand in den Räumlichkeiten von Frey: Man braucht nach einem solchen Attentat 34 35 BEFORE eine Gesprächsrunde über das Thema sofort Unterstützung für die Geschädigten, eine Unterstützung Betroffener des Oktoberfestes statt. juristische und von Fachleuten, die sehen wie es Teilgenommen daran haben Robert Höckmayr bildungsmäßig weitergeht und wie gesundheitlich, (Überlebender des Oktoberfestattentats), sein welche Reha-Maßnahmen einzuleiten sind. Das Rechtsanwalt Alexander Frey, der mit ihm um Ent- muss sofort passieren und bei einem Minderjähri- schädigung kämpft, Marian Offman (ehemaliger gen erst recht. Stadtrat) und Christine Umpfenbach (ehemalige Beraterin bei BEFORE). Hat sich inzwischen etwas verändert? Frey: Die Gutachter waren immer nur vom Versor- Frau Umpfenbach, Sie begleiten Herrn Höckmayr gungsamt bestellt und haben erklärt, dass beispiels- ja schon eine lange Zeit. Was war Ihnen dabei weise der Schaden am Rücken selbstverständlich wichtig? ein Vorschaden sei. An den Ohren habe Herr Höck- Umpfenbach: Mir war wichtig zuzuhören und mayr laut Versorgungsamt gar nichts, obwohl das Herrn Höckmayr bei dem, was er Jahrzehnte lang Trommelfell bei dem Attentat geplatzt ist. Als ich als allein bewältigen muss, zu unterstützen. Da ging Rechtsanwalt eingestiegen bin, hatten wir immer es darum, geeignete Stellen und Ansprechpart- noch denselben Richter im Sozialgericht. Da habe ner*innen zu finden. Ich habe ihn begleitet, Briefe ich schon gedacht: ‚Na, das kann aber lustig wer- an Ämter und Behörden geschrieben und Kontak- den“. Dann hat der sich aber entschuldigt und ge- te hergestellt. So entstand auch der Kontakt zu sagt, jetzt wisse man mehr und er sehe das heute Herrn Frey oder zu Politikern wie Herrn Offman. anders. Und jetzt wurde vom Gericht eine neue Gutachterin bestellt und die hat wirklich Herrn Wie ging es Ihnen damit, Herr Höckmayr? Höckmayr Recht gegeben. Das war so der erste Höckmayr: Die Begleitung von Christine Umpfen- positive Schritt. bach und Marian Offman war für mich wichtig. Man ist stärker, wenn man einen Rückhalt hat und Die Auseinandersetzung mit dem Versorgungsamt weiß, da ist jemand, wo man sich hinwenden geht jetzt in die nächste Runde. Was ist da der ak- kann, wo Zeit ist, sich auszutauschen und Wege tuelle Stand? zu finden. Herrn Frey habe ich etwas später auch Höckmayr: Wir haben jetzt vier Gutachten über bei BEFORE das erste Mal meine Geschichte das Gericht gemacht, zwei Gutachter haben posi- geschildert. tiv geschrieben, die Gutachter des Versorgungs- Frey: Mir war klar, dass den Fall zu übernehmen amts schreiben wieder mal ‚laut Aktenlage“, die nur Sinn macht, wenn man sich voll reinhängt. Es Ärzte hätten unrecht und hätten sich auf meine stand in den Unterlagen, Herr Höckmayr sei im Seite geschlagen, um ein positives Gutachten für Hasenbergl aufgewachsen und die Schäden, die mich zu schreiben. So wird das dahingestellt. er hat, könnten ‚wenn überhaupt“, nur durch seine Offman: Bekommen Sie eine Rente vom Versor- Vorgeschichte passiert sein. Das hat mich auf- gungsamt? geregt, weil ich auch vom Hasenbergl komme. Höckmayr: Mir war wichtig, dass endlich mein Recht vertreten wird. Ich kann zwar Paragrafen le- sen, aber ich kann sie nicht anwenden. Ich bin kein Jurist. Egal, wo man hinschreibt, man wird abgeschmettert und immer wie ein Bittsteller Bild oben von links: Alexander Frey, behandelt. Robert Höckmayr, Marian Offman Bild unten von links: Robert Höckmayr, Marian Offman, Christine Umpfenbach
Dachzeile 06 G E S P R ÄC H M I T R O B E R T H Ö CK M AY R , A L EX A N D E R F R EY U N D M A R I A N O F F M A N N 36 37 Höckmayr: Durchgebracht habe ich erst 2008 eine Herr Offman, war das eine Idee, bei der Sie auch Grundsicherungsrente, die vier Jahre rückdatiert gleich gesagt haben, das brauchen wir so in der wurde. 270 Euro im Monat. Die berufen sich auf Form? 1981. Da hätte ich auf beiden Ohren gleich ge- Offman: Wir haben uns gefragt, ob das Geld reicht, hört, als kleiner Junge, eingeschüchtert von den da es ein einmalig gebildeter Fonds ist und wel- Ärzten. Für mich geht es um 22 Jahre, die das che Stelle das Geld gerecht verteilen kann. Da bin Versorgungsamt mir unterschlagen hat, weil das ich der Beratungsstelle BEFORE sehr dankbar, Recht auf Versorgung stand mir zu. 1981 hat man dass sie das in die Hand genommen hat. mir diese Rente auf Null gesetzt und bis 2004 habe ich nichts bekommen. Ich habe 2008 eine Umpfenbach: Die ersten Mittel haben Betroffene Petition ans Kanzleramt geschrieben, die ging erhalten, die über die Presse und die Stadt davon bis ans Innenministerium weiter. Das Innenminis- erfahren haben. Aber da nicht alle Verletzten und terium sagte, das sei Ländersache, das müsse Überlebenden erreicht wurden, baten wir die Fach- Bayern klären, und Bayern sagte, das ist fürs Ver- stelle für Demokratie, dass alle Geschädigten des sorgungsamt und da blieb es bis heute hängen. Attentats über das LKA informiert würden. So haben Offman: Das Versorgungsamt ist das ZBFS, Zent- nochmal viele betroffene Personen einen Antrag rum Bayern Familie und Soziales. Wenn das Ver- gestellt. Manche waren erst skeptisch, weil sie Sor- sorgungsamt nicht das Interesse hat, Sie zu versor- ge hatten, dass man denken könnte, die Mittel des gen, sondern Sie möglichst wenig zu versorgen, Fonds seien eine Entschädigung. dann ist der Vorgang skandalös. Was hat sich verändert durch den Fonds? Herr Offman, Sie haben sich als Stadtrat für Herrn Umpfenbach: Viele der Geschädigten des Okto- Höckmayr eingesetzt. Wissen Sie noch, wie der berfestattentats wären ohne den Fonds wahrschein- erste Kontakt zustande kam? lich gar nicht zu BEFORE gekommen. Dadurch Offman: Im Rathaus 2016: Es waren auch andere sind wir aber ins Gespräch gekommen, darüber was Stadträte da, die gesehen haben, dass die Folgen passiert ist und wie es ihnen heute geht und was des Attentats unglaublich sind und dass sich um ihnen helfen würde, um die Folgen des Attentats die Betroffenen und die Verletzten kein Mensch besser bewältigen zu können. Insofern hat der kümmert. Die Einladung war zunächst gedacht als Fonds Türen geöffnet. eine Anerkennung, als ein Zeichen der Stadt, ein Zeichen der Empathie, an einen Fonds hat zu dem Was für Aspekte müssen noch angegangen wer- Zeitpunkt noch niemand gedacht. den, um den Betroffenen in Zukunft zu helfen? Höckmayr: Man sieht immer nur Kosten, nur Geld. Es gab 2018 die erste Runde des städtischen Man sieht nicht den Menschen, der eigentlich Fonds und im vergangenen Jahr die zweite. Ist der Hilfe bräuchte. Ich habe es geschafft, mit der Hilfe Fonds so geworden, wie Sie ihn sich vorgestellt meiner Frau, die mir ein Stützpfeiler war. Ich geh haben? in die Arbeit und ich will genauso Spaß haben wie Höckmayr: Ich finde toll, dass die Stadt München jeder andere. Ich kann zwar vieles nicht mehr ma- vieles in Bewegung gesetzt hat und uns entge- chen, aber ich habe doch dasselbe Recht. gengekommen ist und uns zeigt, dass wir wichtig Offman: Mir ist wichtig, dass man die Auseinander- sind. setzung mit Rechtspopulisten und Nazis offensiv führt. Man muss jungen Leuten, die Gefahr laufen von Nazis vereinnahmt zu werden, die Folgen sol- cher Attentate zeigen, damit sie erfahren, was das eigentlich bedeutet. So ein Attentat beeinträchtigt viele Menschen ein ganzes Leben lang.
Karl-Heinz Egginger/ Süddeutsche Zeitung Photo 26. September 1991 Die Dritte Bürgermeisterin Sabine Csampai legt am Jahres- tag des Oktoberfestattentats einen Kranz am Denkmal für die Opfer nieder.
Es ist gelungen, klar zu machen, dass zur Münchner Geschichte nicht nur das Positive, sondern auch das Negative gehört.
07 G E S P R ÄC H M I T C LAU D I A Z . U N D G U D R U N L . ‚Der Umgang ist auf einmal so positiv. Wir hatten auf einmal Raum, wir durften sprechen, wir durften weinen, wir durften lachen. Das war so angenehm.“ Am 14. September 2020 sprach Karoline Staude, Claudia Z.: Ich war 16 Jahre alt und ich bin mit 42 43 Claudia Z.: Ich glaub, das Allerschlimmste für mich das auch. Als ich meine Ausbildung begonnen Beraterin bei BEFORE mit Claudia Z. und Gudrun meinem damaligen Freund auf die Oktober-Wiesn war eigentlich damals dieses Alleingelassensein. hatte, war‘s, als ob dieses Ereignis nicht stattge- L., Betroffenen des Oktoberfestattentats. gegangen. Wir gingen zeitig nach Hause und sind Ich bin mir sehr alleine vorgekommen mit meinem funden hätte. Es wurde erst wieder danach ge- zu dem Zeitpunkt, wo die Bombe explodiert ist, an Schicksal. fragt, als eine Feststellung der Minderung der Er- BEFORE: Frau L., Frau Z., herzlich willkommen. der Stelle gewesen, wo‘s uns beide erwischt hat. werbstätigkeit im Rahmen der Rente zur Sprache Könnten Sie sich zu Beginn vorstellen? Ich habe auch relativ schwere Beinverletzungen Gudrun L.: Da muss ich Ihnen beipflichten. Am kam. Da wurde ich in das Versorgungsamt zitiert. Gudrun L.: Als der Anschlag passiert ist, war ich gehabt, mein ganzer Unterschenkel war zertrüm- Anfang war das schon ein Thema. Aber nach einer Das war ein Besuch unter der untersten Gürtellinie. 19 Jahre alt. Ich habe damals das Oktoberfest mit mert. Mein Freund hatte eine Oberschenkelfraktur. relativ kurzen Zeit wollte das die Umwelt nicht Als Bittsteller wahrgenommen zu werden, nach Axel Hirsch, einem sehr guten Freund, besucht. Wir hatten beide sehr starke Verbrennungen im mehr hören. Mit meiner Tochter konnte ich sehr dem Motto: ‚Was willst denn du? Du kommst ja auf Er ist leider bei diesem Attentat ums Leben gekom- Gesicht und an den Händen. Mein Klinikaufenthalt viel darüber sprechen, auch mit meinem Mann, zwei Beinen daher. Es ist doch alles verheilt.“ Was men. Ich selber bin sehr schwer verletzt worden. war auch sehr lang, ich war über eineinhalb Jahre innerhalb der Familie, ja. Aber außerhalb war das mit der Psyche damals passiert ist, wurde ja über- Ich war 14 Tage auf der Intensivstation und später immer wieder stationär. Es waren sehr viele Re- kein Thema. haupt nicht bewertet. Die nächste Konfrontation noch relativ lang immer wieder im Krankenhaus, konstruktions-OPs notwendig, dass ich überhaupt war dann über das Bundeskriminalamt. Ich war weil ich ziemlich viele Splitter abbekommen habe. wieder auf den Beinen laufen konnte. Ich habe ein BEFORE: Wie empfinden Sie den Umgang mit heilfroh, dass meine Tochter mich begleitet hat zur Die Narben sind da, mir ist aber Gott sei Dank steifes Sprunggelenk. Ich habe sehr viele Vernar- den Betroffenen denn heute? Was hat sich nach Zeugenaussage, weil ich auf‘s Tiefste aufgewühlt keine Gliedmaße abhandengekommen. Aber die bungen durch Hauttransplantate, Knochentrans- Ihrer Wahrnehmung in den 40 Jahren entwickelt war. Mein Termin dauerte drei Stunden. Danach Narben, die sieht man und die haben mich mein plantate und Gewebe wurde mir transplantiert. Ich und verändert? war ich fix und fertig. Mich haben wieder Albträu- ganzes Leben begleitet. Manchmal war es ein hatte auch sehr viele Splitter am ganzen Körper. Claudia Z.: Ich glaube, durch die Neuaufnahme me gejagt wie am Anfang. Eine gute Woche hat es bisschen schwierig, wenn man auf diese Narben Ich habe immer darüber gesprochen. Ich bin mit des Verfahrens und durch das Engagement von gedauert, bis sich alles wieder ein bisschen be- angesprochen wurde, dass man entscheiden meinem Bein zum Schwimmen gegangen. Ich mag Herrn Dietrich ist sehr viel jetzt bewegt worden, ruhigt hatte. Dann kam für mich die Frage, wie gehe musste, möchte man sich dazu äußern. Als ich vor Skifahren. Ich bin da sehr offen. Es hat lange Zeit auch durch das Kulturreferat. In den letzten Jahren ich jetzt mit dieser Sache um. Öffne ich mich jetzt? fünf Jahren von der Bundesanwaltschaft ange- gedauert, bis ich auch selber wieder auf die Wiesn ist anders damit umgegangen worden. Das Okto- Melde ich mich beim Kulturreferat? Beteilige ich schrieben worden bin, wurde das Ganze wieder- durch den Haupteingang gehen konnte, aber ich berfestattentat gehört zur Münchner Geschichte mich [an dem Forschungsprojekt]? Ich habe die erweckt. Es war ein ziemlich einschneidendes geh auf die Wiesn. Ich will diesem Terrorismus dazu. Es ist mit Sicherheit kein toller Geschichts- Flucht nach vorn ergriffen und habe mich an diesem Erlebnis für mich, mit dem ich auch erstmal klar- überhaupt keinen Platz einräumen. Aber auch mich eintrag, aber sowas darf nie wieder passieren Projekt beteiligt. Das hat mir in den letzten zwei kommen musste, weil es ganz schön wehgetan hat durch diese Zeugenaussage vor fünf Jahren oder soll nie wieder passieren. Ich finde, dass sich Jahre sehr gut getan und aufgrund dessen bin ich und mich aufgewühlt hat. Ich hatte auch im Prinzip das Ganze noch mal eingeholt. Ich muss wirklich in den letzten Jahren diesbezüglich was bewegt auch ziemlich mit mir im Reinen. Was mit mir pas- keine Unterstützung von offizieller Seite, man sagen, es bewegt einen immer noch. Alles, was hat. Auch Sie als BEFORE, dass Sie teilweise die siert ist, kann ich nicht rückgängig machen. Der musste privat mit sich ins Reine kommen. So sind wir erlebt haben, ist in uns so eingebrannt. Es ist Opfer mitbegleiten oder auch über den Fonds Umgang in den letzten Jahren mit mir als Person diese 40 Jahre einfach vergangen und ich per- ja auch ein Teil von meinem Leben. Ich hatte auch Maßnahmen finanzieren werden, die die Ämter war extrem zuvorkommend vom Kulturreferat, sönlich beschäftige mich erst seit fünf Jahren wie- in der Vergangenheit damit zu tun, wem vertraue nicht tragen. Ich glaube, da bin ich nicht die Ein- auch von BEFORE. Da wusste ich überhaupt gar der damit und ganz intensiv in den letzten zwei ich es an, wem erzähle ich das. Nicht jedem habe zige, die sagt, wir haben uns dort alles erkämpfen nicht, wie mir geschah. Jahren, seit ich Kontakt mit BEFORE habe und mit ich tatsächlich erzählt, dass die Verletzungen bei müssen. dem Kulturreferat. Diese letzten zwei Jahre haben dem Attentat passiert sind. Da braucht man auch Claudia Z.: Der Umgang ist auf einmal so positiv. mir sehr gut getan. Menschen, die empfänglich oder sensibel genug Gudrun L.: Ich konnte damals nach der Genesungs- Wir hatten auf einmal Raum, wir durften sprechen, sind. zeit meine Ausbildung nicht anfangen. Das Jahr wir durften weinen, wir durften lachen. Das war danach war für mich ein Jahr der Hölle. Mein Vater so angenehm. Da sind Menschen, die hören zu, die Gudrun L.: Wie sich das anhört, ist es Ihnen ähn- ist zu den ganzen Ämtern marschiert und hat nehmen das ernst, was du sagst, die sehen dich lich ergangen wie mir. Wir leben nicht direkt in Unterstützung beantragt. Mir wurde dann die Aus- nicht als Nummer, wie ich mir im Versorgungsamt München, so war der Besuch auf dem Oktoberfest fallszeit erstattet und ich habe eine geringe Ab- immer vorgekommen bin. Die Einzigen, die uns nie ein Thema bei uns. Der 26. September ist im schlagszahlung erhalten. Außerdem hat mich der damals [nach dem Attentat] unterstützt haben, das Prinzip mein zweiter Geburtstag. Das wurde rekon- Weiße Ring kurzfristig unterstützt. Aber dann war‘s war der Weiße Ring. Die haben mir einen Betreuer struiert, ich war so nah dran, dass das ein Wunder an die Seite gestellt und haben meiner Mama ist, dass ich heute hier im Ganzen sitze. gesagt, welche Anträge sie stellen muss. Ich war ja damals noch nicht einmal volljährig.
07 G E S P R ÄC H M I T C LAU D I A Z . U N D G U D R U N L . BEFORE: Welche Ratschläge würden Sie retro- 44 45 Gudrun L.: Dieser Ort wird – und das ist auch die perspektiv den Verantwortlichen in Behörden Intention gewesen bei den beteiligten Betroffenen, und Politik mitgeben, um einen richtigen Umgang die sich für diesen Entwurf entschieden haben – und angebrachte Hilfen zu gewährleisten? ein Eye Catcher sein, der neugierig macht. Ich finde Gudrun L.: Das Ernstnehmen von Anfang an und das großartig und für mich persönlich wird es auch die Begleitung direkt danach. Inzwischen ist ja ein Anker bleiben. Es ist anfassbar. der Umgang mit Terroropfern ein bisschen anders. Es wird ein psychologischer Dienst zur Verfügung Claudia Z.: Es ist greifbar. gestellt. So etwas gab es früher nicht. Es gab frü- her keine Physiotherapie, die einen wieder auf die Gudrun L.: Mir gibt es auch Halt. Ich denke, weiter- Beine gestellt hat. Ich denke, man muss mit Be- gehen sollte es gerne in dieser Richtung, dass troffenen sehr individuell umgehen und auch mal Anlaufstellen bleiben. Dass wir, wenn Emotionen sehr genau hinhören, welche Bedürfnisse sie ha- hochkommen und wir jemanden zum Reden brau- ben, weil es jeder ein bisschen anders verarbeitet. chen, inzwischen Anlaufstellen haben und dass die bleiben. Das wäre mein Wunsch. Auch BEFORE, Claudia Z.: Dass es vielleicht auch gesetzlich einen Sie sind ein Verein, die ein Ohr haben für Men- Opferhelfer gibt, der dich begleitet über Jahre. schen, die Attentaten zum Opfer gefallen sind. Solche Attentate traumatisieren. Wir sind unver- Dieses Ohr, das ist so wertvoll. schuldet einfach lustig auf der Wiesn gewesen. Wir haben keine Fehler gemacht und sind eigent- Claudia Z.: Das sehe ich genauso. Dieses Ohr lich bestraft worden. Da muss es von staatlicher muss bleiben. Seite eine Lösung geben, dass man betreut wer- den kann ein Leben lang, weil das nicht aufhört. Gudrun L.: Es gibt auch ein gutes Gefühl, wenn man als Betroffener weiß, dass es neuen Betroffe- BEFORE: Was wünschen Sie sich, wie es nun wei- nen nicht so schlimm ergehen wird, wie es einem tergehen sollte nach dem 26. September 2020? selbst ergangen ist. Gudrun L.: Für mich persönlich soll das kein Schluss- punkt sein. Man läuft ja immer Gefahr, dass nach Claudia Z.: Wenn ein Mensch so ein hartes Schick- Gudrun L. Claudia Z. einem großem Datum die Pflicht und Schuldigkeit sal hat, dass er eine Anlaufstelle hat, wo er darü- getan ist. Aber ich nehme an, so wie der Umgang ber sprechen kann, wo es diesen Raum und diese damit momentan ist, dass es auch keinen Schluss- Zeit gibt – ich glaub, das ist das Allerwichtigste. punkt gibt. Wir haben ja auch den Informations- ort so gestaltet, dass jederzeit ein Eingriff stattfin- BEFORE: Vielen Dank für das Gespräch! den kann in die Medienstationen. Claudia Z.: Für mich ist ganz wichtig, dass es Raum hat. Ich finde, dieser Informationsort gibt dem jetzt Raum und Platz, weil du auch als Nicht-Münchner hingehen und dich informieren kann. Da gab‘s vorher keine Informationen. Das Denkmal allein, das hat es nicht ausgesagt. Fot:o: privat Fot:o: privat
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