Practice Guideline zur transperinealen permanenten Seed-Implantation des Prostatakarzinoms von ASTRO/ACR/ABS

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     Practice Guideline zur transperinealen permanenten Seed-Implantation des
     Prostatakarzinoms von ASTRO/ACR/ABS
Ziel der Arbeit: Erstellung von praxisorientierten Leitlinien zur       erhöhtes Operationsrisiko, ungünstige anatomische Verhältnisse
Unterstützung der Verantwortlichen bei ihren Therapieentscheidun-       mit unbefriedigender Dosisverteilung, eine signifikante Harnob-
gen, um eine wirksame und sichere Versorgung zu gewährleisten [5].      struktion sowie Lymphknoten- und Fernmetastasen. Hinsichtlich
Diese gemeinsame Empfehlung zweier Fachgesellschaften erlangt in        der Verfahrensweise wird der transperitoneale Zugang empfohlen.
ihrem Geltungsbereich quasi den Stellenwert von Therapiestandards.      Bei der Dosiskalkulation verweist man auf die Vorgaben der AAPM
Abweichungen hiervon sollten individuell begründet sein.                Task Group Nr. 43 [4]. Für die alleinige Seed-Implantation werden
                                                                        140–160 Gy für Jod-125 bzw. 110–125 Gy für Palladium-103 angege-
Ergebnis: Die Verantwortlichkeiten und erforderlichen Qualifika-        ben. Eine Dosimetrie mit CT oder MRT ist für jeden Patienten zwin-
tionen der bei der Seed-Implantation beteiligten Personen werden        gend. Das Zeitintervall wird nicht definiert und schwankt zwischen
genannt. Für Radioonkologen wird eine anerkannte Schulung für           2 und 6 Wochen.
die ultraschall-, CT- oder MRT-basierte Seed-Applikation bei min-            Folgende Parameter sollen bei der Applikation dokumentiert
destens fünf Patienten gefordert. Die alleinige Seed-Implantation       werden: verordnete Dosis, D90 oder V100 (Minimumdosis in 90%
als Monotherapie sei nur bei Patienten mit niedrigem Risiko ausrei-     des Zielvolumens bzw. Volumen mit 100% der verordneten Dosis).
chend, möglicherweise auch mit intermediärem Risiko, eine adäqua-       Angaben zum Qualitätsmanagement beziehen sich auf die Ultra-
te Dosisverteilung vorausgesetzt; dies sei allerdings noch Gegenstand   schalleinheit, das verwendete Planungssystem, die Kalibrierung der
laufender Forschung. Besteht ein signifikantes Risiko von Krank-        radioaktiven Quellen und die Freimessungen von Patient und Ope-
heitsaktivität über die Prostata hinaus, muss eine Kombinations-        rationssaal nach der Implantation. Die Patienten sollen schriftliche
therapie aus perkutaner Bestrahlung, evtl. Seed-Implantation und        Sicherheitshinweise für ihr Verhalten bekommen.
antihormoneller Therapie erfolgen. Dieses Vorgehen wird jedoch
kontrovers beurteilt, so dass keine einheitliche Empfehlung möglich     Schlussfolgerung der Autoren: Die transperineale Seed-Im-
ist. Das Zielvolumen bei der perkutanen Bestrahlung wird ebenfalls      plantation stellt eine effektive Behandlungsmethode für das Pro­
noch diskutiert.                                                        statakarzinom dar, sofern die Indikation stimmt, der komplexe
     Explizit werden potentielle Ausschlussfaktoren für die Seed-       interdisziplinäre Behandlungsablauf beherrscht wird und die Quali-
Implantation genannt: eine Lebenserwartung unter 5 Jahren, ein          tätssicherungsmaßnahmen ernst genommen werden.

           Kommentar
     Die aktualisierte praktische Handlungsanleitung der drei ame-      1. Der Erwerb fakultativer Zusatzqualifikationen für die Durch-
     rikanischen Fachgesellschaften American Society for Radiation         führung der interstitiellen Brachytherapie, wie sie auch
     Oncology (ASTRO), American College of Radiology (ACR)                 von der DEGRO formuliert worden sind (www.degro.org/
     und American Brachytherapy Society (ABS) [5] formuliert in            Leitlinien), erscheint vor dem Hintergrund der Komplexität
     ihrem Geltungsbereich eine Art Minimalstandard für die inter-         der Methode und der erforderlichen Erfahrung des Thera-
     stitielle Brachytherapie bei Vorliegen eines Prostatakarzinoms.       peuten notwendig.
     Entsprechend vorsichtig fallen die getroffenen Festlegungen        2. Die deutsche interdisziplinäre S3-Leitlinie zum Prostatakar-
     aus. Immerhin nennt man sechs potentielle Ausschlussfakto-            zinom (Version 1.0 von 09/2009) empfiehlt die interstitielle
     ren. Nahezu zeitgleich wurde eine vergleichbare Leitlinie der         Seed-Applikation als Monotherapie nur für das lokal be-
     ASTRO und ACR für die HDR-Brachytherapie bei verschie-                grenzte Prostatakarzinom mit niedrigem Risiko. Bei mitt-
     denen Indikationen publiziert [2]. Die Bedeutung dieser Leit-         lerem Risiko konnte kein Konsens zur Mono- oder Kombi-
     linie ist auch für Deutschland als hoch anzusehen, da bereits         nationstherapie erzielt werden. Patienten mit hohem Risiko
     frühere Empfehlungen dieser Fachgesellschaften in den Ab-             sollen nicht allein Seeds erhalten.
     schlussbericht des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit   3. Kürzlich wurde die aktualisierte Stellungnahme des IQWiG
     im Gesundheitswesen (IQWiG) [1] und den Health Technology             zur Nutzenbewertung der interstitiellen Brachytherapie (Seed-
     Assessment (HTA) der Bundesärztekammer und der Kassen-                Implantation) beim Prostatakarzinom publiziert [1]. Die neu-
     ärztlichen Bundesvereinigung [3] zur interstitiellen Brachy-          erliche Auswertung von Studiendaten und Erfahrungswerten
     therapie des lokal begrenzten Prostatakarzinoms eingeflossen          mit der Seed-Implantation erlaubte keine Änderung in der
     sind. Folgende für Deutschland relevante Aspekte seien hier           Beurteilung gegenüber dem Jahr 2007. Das heißt, die Quali-
     erwähnt:                                                              tät vorhandener Studien und deren Interpretierbarkeit reichen

Strahlenther Onkol 2011 · No. 6 © Urban & Vogel                                                                                       385
Literatur kommentiert

        nach wie vor nicht für eine belastbare Nutzen-Risiko-Bewer-                2. Erickson BA, Demanes DJ, Ibbott GS, et al. American Society for Radiation
                                                                                      Oncology (ASTRO) and American College of Radiology (ACR) Practice
        tung der Therapie mit Seeds aus, wenn man sie mit den an-
                                                                                      Guideline for the Performance of High-Dose-Rate Brachytherapy. Int J
        deren etablierten Behandlungsoptionen vergleicht. Eine präfe-                 Radiat Oncol Biol Phys 2011;79:641–9.
        renzbasierte, randomisierte, klinische Studie unter Beteiligung            3. Health Technology Assessment (HTA) der Bundesärztekammer und der
                                                                                      Kassenärztlichen Bundesvereinigung: Permanente interstitielle Brachy-
        der GKV-Spitzenverbände und des IQWiG soll die Effekte der                    therapie (Seed-Implantation) beim lokal begrenzten Prostatakarzinom.
        vier verschiedenen Therapieoptionen – interstitielle Brachy-                  Dt Ärztebl 2005;102:A-3314 (www.kbv.de/hta).
        therapie, perkutane Bestrahlung, Prostatektomie und engma-                 4. Nath R, Anderson LL, Luxton G, et al. Dosimetry of interstitial brachyther-
                                                                                      apy sources: recommendations of the AAPM Radiation Therapy Commit-
        schige Beobachtung (active surveillance) – miteinander ver-                   tee Task Group No. 43. American Association of Physicists in Medicine.
        gleichen und wird hoffentlich nun endlich Klarheit bringen.                   Med Phys 1995;22:209–34.
                                                                                   5. Rosenthal SA, Bittner NH, Beyer DC, et al. American Society for Radiation
                                                                                      Oncology; American College of Radiology. American Society for Radia-
        Literatur                                                                     tion Oncology (ASTRO) and American College of Radiology (ACR) practi-
    1. Abschlussbericht des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Ge-      ce guideline for the transperineal permanent brachytherapy of prostate
       sundheitswesen (IQWiG), Auftrag N10-01: Update-Recherche 2010 zu               cancer. Int J Radiat Oncol Biol Phys 2011;79:335–41.
       Auftrag N04-02 (2007): Interstitielle Brachytherapie beim lokal begrenz-
       ten Prostatakarzinom (www.iqwig.de/projekte-ergebnisse).                                                                  Michael Bremer, Hannover

    Stellenwert der Ganzhirnbestrahlung bei zerebralen Non-Hodgkin-Lymphomen
Hintergrund: Die hochdosierte Methotrexat-Gabe hat bei neu di-                     Studie ist bei Clinical Trials.gov unter der Nummer NCT00153530
agnostizierten, zentralnervösen Non-Hodgkin-Lymphomen (ZNS-                        registriert.
NHL) die Prognose wesentlich verbessert und gilt mittlerweile in
der Primärbehandlung als Standard, bisher gefolgt von einer Ganz-                  Ergebnisse: 551 Patienten mit einem Durchschnittsalter von 63 Jah-
hirnbestrahlung (GHRT). Die Rolle der GHRT ist aber wegen ihrer                    ren wurden randomisiert und 318 davon laut Protokoll behandelt. Die
Neurotoxizität, insbesondere in der Kombination, umstritten. In                    mediane Nachbeobachtungszeit betrug 51 Monate. In der nach Pro-
der zu kommentierenden deutschen Studie sollte deshalb geprüft                     tokoll behandelten Gruppe betrug das mediane Gesamtüberleben mit
werden, ob die alleinige Therapie mit hochdosiertem Methotrexat                    GHRT (n = 154) 32,4 Monate, in der ohne GHRT (n = 154) 37,1 Mona-
(HD-MTX) ohne Ganzhirnbestrahlung ausreicht [7]. Diese Studie ist                  te. Dabei verliefen die Überlebenskurven praktisch deckungsgleich mit
eine von drei randomisierten Studien zu den ZNS-NHL; sie hat also                  einer Hazard-Ratio von 1,06 (95%-CI 0,80–1,40; p = 0,71). Das media-
auch international hohe Bedeutung für die Definition zukünftiger                   ne progressionsfreie Überleben der Patienten mit GHRT betrug 18,3
Standards.                                                                         Monate vs. 11,9 Monate ohne GHRT, wobei sich die Kaplan-Meier-
                                                                                   Kurven deutlich verschoben (p = 0,14). In der Intent-to-treat-Analyse
Material und Methode: Zwischen Mai 2000 und August 2006                            bestand bezüglich des medianen progressionsfreien Überlebens ein
wurden immunkompetente Patienten mit neu diagnostiziertem                          signifikanter Vorteil zugunsten der GHRT (HR 0,79, p = 0,041). Die
primärem ZNS-Lymphom aus 75 Zentren aufgenommen. Die Pati-                         Prognose der Patienten ohne komplette Remission nach HD-MTX
enten erhielten randomisiert eine HD-MTX mit oder ohne nachfol-                    war sehr schlecht: Überlebenszeit nur 3 Monate. Die therapiebedingte
gende GHRT. Die Stratifizierung erfolgte nach Alter (< 60 vs. ≥ 60                 Neurotoxizität war bei Patienten in anhaltender kompletter Remission,
Jahre) und Therapiezentrum (Berlin vs. Tübingen vs. alle anderen).                 die eine GHRT erhalten hatten, häufiger als bei denjenigen ohne Be-
Die HD-MTX bestand zwischen Mai 2000 und August 2006 aus                           strahlung (22/45 vs. 9/34, neuroradiologisch erkennbare Spätfolgen
4 g/m² am Tag 1 während sechs 14-tägigen Zyklen), danach plus                      bei 35/49 vs. 16/35). Die Unterschiede erreichten allerdings keine sta-
Ifosfamid (1,5 g/m²) an den Tagen 3 bis 5 der weiteren sechs 14-tägi-              tistische Signifikanz. In multivariater Analyse waren Alter (über 60
gen Zyklen. Die GHRT erfolgte ggf. bis zu einer Gesamtdosis von 45                 Jahre), reduzierter Allgemeinzustand sowie männliches Geschlecht
Gy in 30 Fraktionen à 1,5 Gy fünfmal wöchentlich. Patienten ohne                   weitere Risikofaktoren für Überleben und Progressionsfreiheit.
GHRT wurden bei kompletter Remission (CR) nur nachbeobachtet
und erhielten lediglich bei partieller Remission eine hochdosierte                 Schlussfolgerung der Autoren: Die Unterlassung der Ganzhirn-
Cytarabin-Gabe. Primärer Endpunkt war das Gesamtüberleben. Die                     bestrahlung nach der Erstlinien-Chemotherapie verschlechtert das
Hypothese war, dass die Unterlassung der GHRT das Gesamtüber-                      Gesamtüberleben nicht signifikant. Der Vorteil im progressions-
leben nicht beeinträchtigen wird. Diese Äquivalenz sollte mit einer                freien Überleben durch GHRT bei den Langzeitüberlebenden sollte
statistischen Wahrscheinlichkeit von 90% bewiesen werden. Die                      gegen das erhöhte Neurotoxizität-Risiko abgewogen werden.

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Literatur kommentiert

           Kommentar
     Auch bei zerebralen NHL hat die Chemotherapie in den letzten           Tumorerkrankung; die Strahlentherapie aber verbessert die
     Jahren große Erfolge erzielt und die alleinige Strahlentherapie        neurologische Leistungsfähigkeit durch die Optimierung der
     als Standard verdrängt. In Phase-II-Studien wurden exzellente          ZNS-Kontrolle [1].
     Ergebnisse mit HD-MTX erzielt; so dass sich diese Therapie als      4. Die in der Studie durchgeführte Strahlenbehandlung (GHRT
     Standard durchgesetzt hat. Die grundsätzliche Wirksamkeit der          mit täglich 1,5 Gy bis 45 Gy gesamt) entspricht dem Standard.
     Radiotherapie ist aber weiterhin unstrittig. Diskutiert werden         Eine weitere, deutlichere Absenkung der Gesamtdosis in
     muss jedoch über die optimale Einbindung in ein multimodales           einen hinsichtlich Neurotoxizität unkritischen Bereich ist sehr
     Gesamtkonzept.                                                         wahrscheinlich nicht statthaft. Alternative Fraktionierungen
          Die jetzt publizierte deutsche Studie wurde mit dem Ziel          zeigen aber durchaus neue Möglichkeiten auf und könnten
     konzipiert, den Verzicht auf die Ganzhirnbestrahlung als Teil          bei gleicher Wirkung die Behandlungszeit verkürzen [2]. Au-
     der Primärbehandlung wissenschaftlich eindeutig zu begrün-             ßerdem sind Effektivität und Nebenwirkungen immer eine
     den. Dies wurde nicht erreicht. Die Enttäuschung der Autoren           Frage von Dosis und bestrahltem Volumen. Zur Reduktion
     ist verständlich, aber berechtigt nicht dazu, einfach so zu tun,       des Zielvolumens gibt es aber praktisch keine wissenschaft-
     als ob man das erwünschte Ergebnis doch erreicht hätte. Die            lichen Daten, d.h. zum Effekt einer nur lokalen Bestrahlung
     Schlussfolgerung sähe vielleicht anders aus, wenn man statt der        der erweiterten Tumorregion verglichen mit einer GHRT [6].
     Radiotherapie ein neues Medikament getestet hätte. Dann hät-           Eigene kasuistische Erfahrungen sprechen aber durchaus für
     te man auf der Basis einer eindeutigen Wirksamkeit in einem            eine lediglich lokale Bestrahlung. Auch kasuistische Berichte
     Subkollektiv von Risikopatienten wahrscheinlich weitere Stu-           über die Radiochirurgie bei intensiv vorbehandelten Patien-
     dien zur Optimierung dieses Ansatzes empfohlen. Man sollte als         ten sagen, dass eine „Involved-field-Bestrahlung“ zur lokalen
     Hämatologe der Strahlentherapie als Methode nicht das verwei-          Tumorkontrolle hervorragend geeignet ist [3, 4].
     gern, was man den eigenen Verfahren zugestehen würde.
          Für die Interpretation der Daten und die zukünftige For-       Fazit: Die vorliegende Studie bestätigt letztendlich, dass man
     schung erscheinen aus radioonkologischer Sicht folgende Argu-       mit dem bisher üblichen Vorgehen (HD-MTX und Ganzhirnbe-
     mente wichtig:                                                      strahlung) die beste Tumorkontrolle erreicht. Die Daten berech-
                                                                         tigen nicht zum generellen Verzicht auf die Strahlentherapie. Es
     1. Die Strahlentherapie verlängert die Zeit bis zur Progression,    bleibt aber weiterhin Optimierungsbedarf. Aus radioonkologi-
        und zwar für alle Patientengruppen und ganz besonders für        scher Sicht sind das wohl bei den ZNS-NHL Fragen zur Ziel-
        diejenigen Patienten, die nach HD-MTX keine komplette            volumendefinition und Fraktionierung.
        Remission erreichen. Das waren in dieser Studie immer-
        hin zwei Drittel aller Patienten. Es gibt bisher keine andere       Literatur
        Therapieoption, die nach diesem Kriterium ähnlich effektiv       1. Aoyama H, Tago M, Kato N, et al. Neurocognitive function of patients
        wäre. Die eingesetzte Salvage-Chemotherapie mit Cytarabin           with brain metastasis who received either whole brain radiotherapy
                                                                            plus stereotactic radiosurgery or radiosurgery alone. Int J Radiat Oncol
        war übrigens wirkungslos.                                           Biol Phys 2007;68:1388–95.
     2. Auch die Daten einer aktuellen Phase-II-Studie aus Frank-        2. Fisher B, Seiferheld B, Schultz C, et al. Secondary analysis of Radiation
        reich bestätigen die Effektivität der GHRT im Hinblick auf          Therapy Oncology Group Study (RTOG) 93-11: an integroup physe II
                                                                            combined modality treatment of primary central nervous system lym-
        die Progressionsfreiheit bei zentralen NHL [5]. In dieser Stu-      phoma. J Neurooncol 2005;74:201–5.
        die hatte man versucht, bei jungen Patienten (d.h. < 60 Jahre)   3. Kenai H, Yamashita M, Nakamura T, et al. Gamma knife surgery for cen-
                                                                            tral nervous system lymphoma: usefulness as palliative local tumor
        mit CR nach Chemotherapie auf die GHRT zu verzichten.
                                                                            control. J Neurosurg 2006;105 (Suppl):133–8.
        Dennoch erhielt die Mehrzahl der Patienten im weiteren Ver-      4. Matsumoto Y, Horiike S, Fujimoto Y, et al. Effectiveness and limitation
        lauf wegen Tumorprogression doch eine Bestrahlung.                  of gamma knife radiosurgery for relapsed central nervous system
                                                                            lymphoma: a retrospective analysis in one institution. Int J Hematol
     3. Die Daten zur Neurotoxizität in der deutschen Studie sind           2007;85:333–7.
        kritisch zu bewerten, u.a. deshalb, weil nur Patienten mit CR    5. Omuro A, Taillandier L, Chinot O, et al. Primary CNS lymphoma in pa-
        nachuntersucht wurden. Bei den bestrahlten Patienten war            tients younger than 60: can whole-brain radiotherapy be deferred?
                                                                            J Neurooncol 2010 Dec 19 [Epub ahead of print].
        nämlich die mediane Nachbeobachtungszeit länger. Dadurch         6. Schultz JC, Bovi J. Current management of primary central nervous sys-
        könnte der übrigens nicht signifikante, also möglicherweise         tem lymphoma. Int J Radiat Oncol Biol Phys 2010;76:666–78.
        nur scheinbare Nachteil durch Bestrahlung verursacht sein        7. Thiel E, Korfel A, Martus P, et al. High-dose methotrexate with or wit-
                                                                            hout whole-brain radiotherapy for primary CNS lymphoma (G-PCNSL-
        und auch durch Patientenselektion. Bei Patienten mit primä-         SG-1): a phase 3, randomised, non-inferiority study. Lancet Oncol
        ren Hirntumoren und Hirnmetastasen resultiert das größte            2010;11:1036–47.
        Risiko für kognitive Defizite aus dem Voranschreiten der                         Konstantin Wischnjakow, Kiel; Jürgen Dunst, Lübeck

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Literatur kommentiert

    Strahlentherapie plus Carbogen und Nicotinamid beim Blasenkarzinom

Hintergrund: Tumorhypoxie spielt für das Versagen einer Strahlen-         5 Minuten vor der täglichen RT und während der RT und nahmen
therapie eine bedeutende Rolle, sodass Maßnahmen zu ihrer Über-           60 mg/kg Nicotinamid als Tablette direkt vor jeder Bestrahlungsfrak-
windung klinisch sinnvoll sind. Viele Möglichkeiten, z.B. die hyper-      tion ein. Der primäre Endpunkt war die endoskopische bzw. zysto-
bare Oxygenierung oder Transfusionen zum Anämieausgleich, sind            skopische Remission nach sechs Monaten (CC6m). Die sekundären
klinisch erprobt; die meisten konnten sich aber wegen des erhebli-        Endpunkte waren Gesamtüberleben (OS), lokalrezidivfreies Über-
chen Aufwandes einerseits und andererseits, weil der therapeutische       leben (RFS) sowie Toxizität, d.h. Nebenwirkungen bzw. Morbidität
Gewinn unbefriedigend war, nicht durchsetzen. Eine technisch einfa-       seitens der Harnorgane und des Rektums.
che und klinisch gut zu handhabende Möglichkeit ist die gleichzeitige
Gabe von Carbogen (Atemgas mit 98% Sauerstoff) und Nicotinamid,           Ergebnisse: Die zystoskopische Remission nach 6 Monaten (CC6m)
einem oral verabreichbaren Medikament gegen chronische Hypoxie            betrug 81% in der Gruppe RT + CON und 76% in der Gruppe mit
[7]. Die Kombination von Carbogen und Nicotinamid (CON) ist               alleiniger RT (p = 0,3). Allerdings unterzogen sich nur etwas mehr
strahlenbiologisch gut begründet, war in Tierexperimenten erfolg-         als die Hälfte der Patienten einer Kontrollzystoskopie. Nach 3-jäh-
reich und brachte in einer klinischen Studie bei Larynxkarzinomen         riger Beobachtungszeit betrug das Gesamtüberleben 59% vs. 46%
hohe Tumorkontrollraten [5]. Weitere Phase-II-Daten deuten auch           (p = 0,04) in den Gruppen RT+CON bzw. alleinige RT und das pro-
auf einen Effekt beim Blasenkarzinom hin [3]. Diese Autoren aus           gressionfreie Überleben 54% vs. 43% (p = 0,06). Das Todesrisiko war
Großbritannien stellen dazu jetzt die Daten einer randomisierten          bei den mit Carbogen/Nicotinamid behandelten Patienten um 14%
Studie vor [2].                                                           niedriger (p = 0,04). In der multivariaten Analyse zeigten sich in der
                                                                          Gruppe RT+CON sowohl ein signifikant geringeres Rezidivrisiko
Patienten und Methode: 333 Patienten mit lokal fortgeschritte-            (p = 0,05) als auch ein niedrigeres Todesrisiko (p = 0,03). Es gab keine
nem Blasenkarzinom (Urothel-Ca, cT2-4 oder T1G3, keine makro-             signifikanten Unterschiede bei der therapiebedingten Spättoxizität an
skopisch vergrößerten Lymphknoten) wurden zwischen alleiniger             den Harn- und Verdauungsorganen, bezogen auf Therapiemodalität
Strahlentherapie (RT) und Strahlentherapie mit Carbogen/Nico-             oder Bestrahlungsprotokoll. Die Rate an Grad-3/4-Spätfolgen am
tinamid (RT-CON) randomisiert. Das Zielvolumen (CTV) umfass-              GU-Trakt betrug nach 3 Jahren 39% bzw. 32% (Zahlen nach 5 Jahren
te nur die Blase und extravesikale Tumoranteile mit 1,5 bis 2 cm Si-      nicht angegeben, in den Kaplan-Meier-Kurven ca. 40–45%). Gastro-
cherheitsabstand. Die Bestrahlungsprotokolle schrieben entweder 55        intestinale Spätfolgen traten bei 7% bzw. 5% der Patienten auf.
Gy in 20 Fraktionen über 4 Wochen (2,75 Gy täglich) oder 64 Gy in
32 Fraktionen über 6,5 Wochen (2 Gy täglich) vor. Die beteiligten         Schlussfolgerung der Autoren: Die Modifikation der Strahlen-
Einrichtungen mussten sich vor Studienbeginn auf eines der beiden         wirkung mit Carbogen/Nicotinamid verbessert das Gesamtüberle-
Protokolle festlegen. Die mit CON behandelten Patienten atmeten mit       ben und die lokale Tumorkontrolle signifikant. Die Spättoxizität wird
einer Maske 15 l/min Carbogen (98% O2 plus 2% CO2), beginnend             dadurch nicht erhöht.

         Kommentar
    Die Studie zeigt, dass die Modifizierung der Strahlenwirkung mit         fortgeschrittenen Plattenepithelkarzinomen der Kopf-Hals-
    Carbogen und Nicontinamid auch beim Urothelkarzinom hilf-                Region und der Zervix uteri. Die Daten bestätigen, dass die
    reich ist. Sie bestätigt nicht nur die Bedeutung von Tumorhypoxie        Optimierung der lokalen Tumorkontrolle bei der Verbesse-
    als Resistenzmechanismus, sondern beleuchtet auch viele Einzel-          rung der Heilungsraten eine wichtige Rolle spielt.
    aspekte, die bei der interdisziplinären Diskussion über die optima-   3. Die Anhebung der Überlebensraten um absolut 13%-Punkte
    le Therapie von muskelinvasiven Blasenkarzinomen wichtig sind.           (von 46% auf 59%) ist erheblich. Allerdings kann man einen
                                                                             vermutlich gleich guten Effekt auch mit einer simultanen, cis-
    1. Die nachgewiesene Wirkungsverstärkung belegt, dass ers-               platinhaltigen Chemotherapie erreichen. Leider ist die Evi-
       tens Tumorhypoxie relevant ist und dass zweitens eine                 denz für die Radiochemotherapie wegen der fast ausschließ-
       gezielte Intervention gegen Hypoxie wirken kann. Die Studie           lich aus Phase-II-Studien stammenden Daten schwächer,
       bestätigt damit, dass das Erkennen und Behandeln von Tu-              obwohl sehr viel mehr Patienten so behandelt worden sind.
       morhypoxie Behandlungsergebnisse verbessern kann.                     Auf dem ASTRO 2010 wurden kürzlich die Ergebnisse einer
    2. Die bessere lokale Tumorkontrolle setzte sich in vollem Um-           randomisierten britischen Studie zur Radiochemotherapie des
       fang auch in gesteigerte Überlebensraten um. Mit anderen              Blasenkarzinoms vorgestellt, die allerdings noch nicht in ex-
       Worten: Jedes verhinderte Lokalrezidiv bedeutet einen ver-            tenso publiziert sind, auch ist die Nachbeobachtungszeit noch
       hinderten Todesfall. Eine ähnliche Situation besteht bei lokal        kurz [4]. Hier zeigte sich nach 2 Jahren eine noch größere Ver-

388                                                                                                                   Strahlenther Onkol 2011 · No. 6
Literatur kommentiert

        besserung der lokalen Tumorkontrolle (Hazard ratio 0,61, p =        sind biologisch etwa äquivalent unter der Annahme eines
        0,01). Wenn sich diese Daten bestätigen sollten, wird dadurch       α-β-Wertes von etwa 3 Gy. Damit bestätigen die Daten in-
        die Bedeutung der Radiochemotherapie als Therapieoption             direkt die Zuverlässigkeit des LQ-Modells.
        der ersten Wahl für Urothelkarzinome oder Blase unterstri-       7. Als wichtigen Aspekt sollte man für die interdisziplinäre Dis-
        chen werden. Eine interessante Frage für zukünftige Studien         kussion hervorheben, dass es in der Strahlentherapie des
        wird sich dann mit dem Stellenwert der Kombinationen der            Blasenkarzinoms laufend Fortschritte gibt. Für die radikale
        einzelnen Verfahren, also z.B. Radiochemotherapie mit Car-          Zystektomie sieht das anders aus. Alle Modifikationen und Ver-
        bogen/Nicotinamid, zu beschäftigen haben.                           besserungen der letzten Jahrzehnte haben die Radikaloperation
     4. Auffällig hoch ist in der hier kommentierten Studie das Risiko      zwar schonender gestaltet, aber die onkologischen Ergebnisse
        für Spätfolgen an der Blase, nämlich mit über 30% Grad-3–4-         hinsichtlich lokaler Kontrolle und Überleben stagnieren.
        Nebenwirkungen nach 3 Jahren und vermutlich 40–45% nach
        fünf Jahren. Die sehr gut dokumentierten Daten aus Erlangen      Fazit: Die Ergebnisse der alleinigen Radiotherapie des Harnbla-
        und aus den US-Studien zeigen demgegenüber Spätfolgen bei        senkarzinoms können durch gleichzeitige Gabe von Carbogen und
        weniger als 10% der Patienten nach 5 Jahren [1, 6]. Als wahr-    Nicotionamid signifikant verbessert werden. Trotzdem halten wir
        scheinlichste Erklärung kommt die in Großbritannien ver-         die cisplatinbasierte, simultane Radiochemotherapie mit einer Ge-
        wendete höhere Strahlendosis (64 Gy mit 2 Gy Einzeldosis) in     samtdosis von maximal 60 Gy weiterhin für das bessere Verfahren.
        Betracht. In Deutschland und den US-Protokollen beschrän-
        ken wir die Gesamtdosis auf maximal 60 Gy bei 1,8 Gy Einzel-         Literatur
        dosis. Die Gesamtdosis in Großbritannien liegt also etwa 10%     1. Efstathiou JA, Bae K, Shipley WU, et al. Late pelvic toxicity after bladder-
                                                                            sparing therapy in patients with invasive bladder cancer: RTOG 89-03,
        über der in Deutschland und den USA. Dies bestätigt unsere          95-06, 97-06, 99-06. J Clin Oncol 2009;27:4055–61.
        Erfahrungswerte, dass die Dosis-Wirkungs-Beziehung für           2. Hoskin PJ, Rojas AM, Bentzen SM, Saunders MI. Radiotherapy with con-
        Spätkomplikationen an der Blase oberhalb von 60 Gy steil an-        current carbogen and nicotinamide in bladder carcinoma. J Clin Oncol
                                                                            2010;28:4912–8.
        steigt. Man sollte diese hohen Dosen grundsätzlich vermeiden.    3. Hoskin PJ, Rojas AM, Phillips H, Saunders MI. Acute and late morbi-
     5. Das Zielvolumen der britischen Studie umfasste nur die Bla-         dity in the treatment of advanced bladder carcinoma with accele-
                                                                            rated radiotherapy, carbogen, and nicotinamide. Cancer 2005;103:
        se und extravesikale Anteile des Primärtumors. Die Lymph-
                                                                            2287–97.
        knoten wurden nicht prophylaktisch bestrahlt. Dies bestätigt
                                                                         4. James N, Hussain S, Hall E. Results of a 2×2 phase III randomized tri-
        die Empfehlung, im Zweifelsfall bei Patienten mit cN0 auf           al of synchronous chemo-radiotherapy (CRT) compared to radio-
        die adjuvante RT der regionären LK zu verzichten, wenn              therapy (RT) alone and standard versus reduced high-volume RT in
                                                                            muscle-invasive bladder cancer (MIBC). Int J Radiat Oncol Biol Phys
        man dadurch die Compliance für die RT des Primärtumors              2010;78(Suppl):S2.
        verbessern kann. Wir meinen allerdings, dass die bisherigen      5. Kaanders JH, Pop LA, Marres HA, et al. ARCON: experience in 215 pati-
        Daten noch nicht ausreichen, um einen generellen Verzicht           ents with advanced head-and-neck cancer. Int J Radiat Oncol Biol Phys
                                                                            2002;52:769–78.
        auf die Lymphknoten-RT zu rechtfertigen.                         6. Rödel C, Weiss C, Sauer R. Trimodality treatment and selective organ
     6. Die Effektivität und das Nebenwirkungsprofil waren unab-            preservation for bladder cancer. J Clin Oncol 2006;24:5536–44.
        hängig von der Fraktionierung. Dies bestätigt, dass auch beim    7. Saunders M, Dische S. Clinical results of hypoxic cell radiosensitisation
                                                                            from hyperbaric oxygen to accelerated radiotherapy, carbogen and ni-
        Blasenkarzinom eine moderate Hypofraktionierung in Frage            cotinamide. Br J Cancer 1996;27(Suppl):S271–8.
        kommt. Die eingesetzten Dosen (20 × 2,75 Gy bzw. 32 × 2 Gy)
                                                                                         Konstantin Wischnjakow, Kiel; Jürgen Dunst, Lübeck

     NSCLC Stadium III: AE-941 zusätzlich zur Chemoradiotherapie ist wirkungslos
Fragestellung und Hintergrund: Schon lange wird im Lager                 (Radiochemotherapie) beim NSCLC-Patienten im Stadium III
der Alternativmediziner der wässrige Extrakt aus Haifischknor-           das Gesamtüberleben beinflusst. Die Prognose von Patienten mit
pel bei Tumorpatienten verwendet. Seit einigen Jahren wird ein           NSCLC im Stadium III, Patienten die nicht operiert werden kön-
standardisierter Extrakt in klinischen Studien geprüft. In der vor-      nen, ist nicht sehr gut. Geprüft wurde, ob der standardisierte Hai-
liegenden Studie wurde die Substanz in die Primärbehandlung ein-         fischknorpelextrakt AE-941 (Neovastat) das Gesamtüberleben ver-
gebaut und evaluiert, ob die zusätzliche Gabe zur Standardtherapie       bessert [3].

Strahlenther Onkol 2011 · No. 6                                                                                                                       389
Literatur kommentiert

Patienten und Methode: Die Studie wurde so konzipiert, dass ein         Überleben (PFS), Tumoransprechen und Nebenwirkungen. Kap-
Vergleich des Gesamtüberlebens zwischen Patienten, die eine Stan-       lan-Meier Kurven und die verwendeten statistischen Tests wurden
dard-Chemo-/Radiotherapie (CHT/RT) erhielten und denen, die zu-         zweiseitig berechnet. Das mediane Überleben betrug in der Grup-
sätzlich zur Standard-CHT/RT AE-941 bekamen, möglich war.               pe CHT/RT + AE-941 14,4 Monate (95%-KI 12,6–17,9) und in
                                                                        der CHT/RT+Placebo-Gruppe 15,6 Monate (95%-KI 13,8–18,1).
Ergebnisse: 379 Patienten wurden in einer 1:1-Radomisierung             TTP, PFS und Tumoransprechen unterschieden sich nicht
entweder der CHT/RT+AE-941-Gruppe (n = 188) oder CHT/                   signifikant.
RT+Placebo-Gruppe (n = 191) zugewiesen. Die Studie wurde an
akademischen Zentren in den USA und Kanada zwischen 2000 und            Schlussfolgerung der Autoren: Zusätzlich zur Standard-Chemo-
2006 durchgeführt. Wegen mangelnder Rekrutierung wurde die              radiotherapie eingenommenes Neovastat (AE-941) verbessert nicht
geplante Zahl an Patienten nicht erreicht. Ausgewertet wurden Ge-       das Überleben der NSCLC-Patienten im Stadium III. Die Therapie
samtüberleben, Zeit bis zur Progression (TTP), progressionsfreies       mit Haifischknorpelextrakt kann nicht empfohlen werden.

         Kommentar
    Die Hoffnungen auf Haifischknorpelextrakt als wirksames Me-         für Gläubige (Ärzte und Patienten). Die akademische Welt kann
    dikament in der Onkologie können nun ad acta gelegt werden.         aus naheliegenden Gründen mit der irrationalen Welt der CAM-
    Seit 1976 sind zahlreiche Arbeiten, auch in sehr angesehenen        Befürworter keinen (faulen) Kompromiss eingehen. Wenn das
    Zeitschriften, erschienen. Ursprünglich kommt diese Substanz-       Ergebnis negativ ausfällt, wird sich ein solches Therapieverfah-
    klasse aus dem alternativ-komplementären Bereich (CAM). Sie         ren in schulmedizinischen Zentren nicht etablieren lassen. Neo-
    bekam um die Jahrtausendwende einen besonderen Schub, als           vastat wurde geprüft und ist versenkt.
    für diese Extrakte eine antiangiogene Wirkung postuliert wurde           Ein weiterer positiver Aspekt ist, dass bei einer CAM-Be-
    [1]. In-vitro-Studien zeigten, dass derartige Extrakte durchaus     ratung (die wohl jeder Onkologe gelegentlich machen muss)
    messbare Wirkungen induzierten (Inhibi­tion von Endothel-           bezüglich des Haifischknorpels zumindest auf solide Literatur
    zellen), auch wenn es nicht gelang, die dafür verantwortlichen      mit validen Daten verwiesen werden kann. Dies zeigt, dass Hai-
    Substanzen zu isolieren. Dieser Extrakt wurde jedoch nicht als      fischknorpelextrakt nicht mehr zu empfehlen ist.
    CAM entwickelt, sondern als Antikrebsmedikament, nachdem                 CAM sind überprüfbar, selbst ein Haifischknorpelextrakt,
    die Produktion des wässrigen Extraktes so weit wie möglich          für den keine Pharmakokinetik-Daten erhoben werden konn-
    standardisiert worden war. Bei der klinischen Entwicklung           ten, wurde in einer randomisierten Studie geprüft. Es ist erfreu-
    wurden die GCP (Good Clinical Practice) und die GMP (Good           lich, dass zumindest in den USA solche Studien mit öffentlichen
    Manufacturing Practice)-Regeln berücksichtigt, da dieses            Geldern gefördert werden. Die Krankenkassen hierzulande,
    CAM-Produkt als Medikament entwickelt wurde. Diese ran-             aber auch die sonstigen öffentlichen Fördereinrichtungen in
    domisierte Studie wurde vom NCI gefördert. Aber auch diese          Deutschland und Europa, tun sich extrem schwer derartige
    Studie hatte ihre Tücken. Die eigentlich geplante Zielzahl (n =     Studien zu unterstützen. Dabei wären sie gerade bei einem Mil-
    756) an re­krutierten Patienten (n = 379) wurde nicht erreicht,     liardenmarkt mit CAM-Erzeugnissen, die ja meistens gar keine
    die Rekrutierung musste eingestellt werden. Inwieweit negative      Zulassung aufweisen, nötiger denn je.
    Daten einer Phase-III-Studie beim mRCC eine Rolle spielten,              Hier war zumindest eine Zulassung als Medikament an-
    sei dahingestellt [2]. Oft sind solche Einbrüche in der Rekru-      visiert und damit auch die dafür notwendige Qualität der kli-
    tierung bei Bekanntwerden negativer Daten zu beobachten, die        nischen Studien einzuhalten. Viele CAM-Produkte sind ja zu-
    Motivation der rekrutierenden Zentren lässt schlagartig nach.       lassungsfrei und werden als Nahrungsergänzungmittel oder
    Erschwerend bezüglich der Rekrutierung war eine dramatische         überhaupt nicht deklariert.
    Verschlechterung der Unkostenerstattung der beteiligten Zen-             Dem Verfasser geht es nicht darum, CAM als integralen Teil
    tren ab 1. April 2004. Eine ungeplante Zwischenauswertung           der medizinischen Versorgung in die Verfassung zu bekommen,
    durch das Data Monitoring Committee (DMC) ergab, dass die           so wie es die Schweizer per Volksentscheid gemacht haben. Die
    Hazard Ratio für eine geringere Mortalität in der Neovastat-        Nutzung von CAM im Sinne eines Selbsthilfekonzeptes ist ein
    Gruppe bei Fortführung der Studie bis zur geplanten Zielzahl        Anliegen in Europa, den USA und Asien. Viele Patienten nutzen
    verschwindend klein gewesen wäre (0,026). Die Anhänger von          CAM ergänzend oder alternativ zur schulmedizinischen The-
    CAM werden sich allerdings auch nicht von negativen Ergebnis-       rapie. Dies kann wie jedes Verfahren verifiziert oder falsifiziert
    sen abhalten lassen, denn letztendlich ist es der Glaube, der die   werden. Wir sollten auf diese Überprüfung im Sinne von Versor-
    Anwendung triggert und Glaubensfragen sind keinesfalls ein-         gungsstudien nicht verzichten, wenngleich die Finanzierungs-
    fach zu ändern. Die Gesetze der Logik oder Statistik gelten nicht   probleme zur Zeit keinesfalls befriedigend gelöst sind.

390                                                                                                                 Strahlenther Onkol 2011 · No. 6
Literatur kommentiert

          Zumindest eine positive Seite hat die Sache: Die Jagd nach Hai-       2. Escudier B, Venner P, Buckowski R et al. Phase III trial of neovastat in
                                                                                   meta-static renal cell carcinoma patients refractory to immunotherapy.
     fischknorpel und damit das Leerfischen der Hai-Bestände müssen                Proc Am Soc Clin Oncol 2003:22 (abstr 844).
     wir nicht befürchten. Als Gefahr für die Tiere bleiben nur Chinesen        3. Lu C, Lee JJ, Komaki R et al. Chemoradiotherapy with or without AE-941
                                                                                   in stage III non-small cell lung cancer: a randomized phase III trial. J Natl
     und Japaner, die nicht auf Haifischflossensuppe verzichten wollen.
                                                                                   Cancer Inst 2010;102:859–65.

         Literatur                                                                                                               Klaus Mross, Freiburg/Br.
     1. Béliveau R, Gingras D, Kruger EA et al. The antiangiogenic agent neo-
        vastat (AE-941) inhibits vascular endothelial growth factor-mediated    Erstmals publiziert in: InFoOnkologie 2010;13(7):14–6
        biological effects. Clin Cancer Res 2002;8:1242–50.

                                  Die in der Rubrik „Literatur kommentiert“ seit 2009 erschienenen Beiträge
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Strahlenther Onkol 2011 · No. 6                                                                                                                               391
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