Der Minergie-Boom unter der Lupe - Der Nachhaltigkeit von Immobilien einen finanziellen Wert geben
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Der Nachhaltigkeit von Immobilien einen finanziellen Wert geben Der Minergie-Boom unter der Lupe Eine Marktanalyse der ZKB März 2010
Impressum Herausgeber CCRS, Center for Corporate Responsibility and Sustainability an der Universität Zürich, Dr. Erika Meins Autoren Dr. Marco Salvi, Financial Engineering Immobilien & Kreditrisiken, Zürcher Kantonalbank Andrea Horehájová, Financial Engineering Immobilien, Zürcher Kantonalbank Julie Neeser, Financial Engineering Nachhaltigkeit, Zürcher Kantonalbank Kontaktpersonen ZKB: Marco Salvi, +41 44 292 45 17, marco.salvi@zkb.ch CCRS: Erika Meins, +41 44 634 40 63, erika.meins@ccrs.uzh.ch Gestaltung und Layout Christian Pfister, spective productions Die Autoren danken dem Verein Minergie für die zur Verfügung gestellten Daten. CCRS-Reihe «Der Nachhaltigkeit von Immobilien einen finanziellen Wert geben» Die vorliegende Publikation «Der Minergie-Boom unter der Lupe» ist die dritte in der CCRS-Reihe «Der Nachhaltigkeit von Immobilien einen finanziellen Wert geben». Die zwei vorherigen Publikationen mit den Titeln «ESI® Immobilienbewertung – Nachhaltigkeit inklusive» und «Minergie macht sich bezahlt» sind im Juni 2009 bzw. im November 2008 erschienen. Bildlegende Titelblatt, Seite 4 und Seite 6: Sonnenhof in Ganterschwil (SG-023-P); Foto: ©2plus.ch – Simon Walther, Wattwil 2
Der Minergie-Boom unter der Lupe Vorwort Minergie boomt: In den letzten fünf Jahren hat der jetzt vorliegenden Studie wird die Zahlungs sich die Zahl der Minergie-Gebäude verdreifacht. bereitschaft der Mieter untersucht. Da diese Arbeit Insgesamt ist im Immobilienmarkt Schweiz ein wiederum auf einer einzigartigen Datengrundlage Trend zu einer stärkeren Beachtung von Nachhal- beruht, können die Autoren weitere Fragen vertieft tigkeitsaspekten zu beobachten. So spielen Nach- analysieren: Gibt es regionale Unterschiede bei der haltigkeitsmerkmale bei Kauf- und Mietentschei- Umsetzung von Minergie? Welche Städte liegen dungen gemäss einer Unternehmensbefragung im Minergie-Ranking vorne? Was sind die Treiber nach dem Preis die zweitwichtigste Rolle.1 Nach- hinter der Entwicklung? Und wie steht Minergie im haltigkeitsüberlegungen fliessen zudem vermehrt internationalen Vergleich da? in die Bewirtschaftung und Bewertung von Immo- bilienportfolios ein. Schliesslich spiegelt sich der Die Ergebnisse der Studie sind hochinteressant: Trend auch im wachsenden Angebot von nachhal- Mieter sind bereit, für Minergie-Wohnungen einen tigkeitsspezifischen Anlagemöglichkeiten. Aufpreis von 6 Prozent auf die Nettomiete zu be- zahlen. Selbst wenn für Mieter die höhere Netto- Aus Investorensicht lautet die zentrale Frage: miete mit tieferen Nebenkosten einhergeht, blei- Lohnt sich Nachhaltigkeit auch finanziell? Die erste ben die Bruttomieten unter dem Strich allerdings Minergie-Marktanalyse der Zürcher Kantonalbank teurer als für konventionelle Wohnungen. Über aus dem Jahr 2008 hat empirisch nachgewiesen, die letzten Jahre betrachtet, hat der Aufpreis aber dass für Minergie bei Transaktionen ein Aufpreis abgenommen, was wohl damit zu tun hat, dass von 7 Prozent bei Einfamilienhäusern und 3,5 Pro- Minergie bei Neubauten zunehmend zum Standard zent für Stockwerkeigentum bezahlt wird.2 Mit wird. Die Botschaft für Investoren ist klar: Minergie macht sich auch im Mietmarkt bezahlt. 1 Meins, Erika und Burkhard, Hans-Peter (2009): Corporate Real Estate and Sustainability Survey (CRESS) – Betriebsim- mobilien und Nachhaltigkeit in der Schweiz. CBRE und CCRS Dr. Erika Meins (Hrsg.). 2 Salvi, Marco, Andrea Horehájová und Ruth Müri (2008): CCRS, Center for Corporate Responsibility Minergie macht sich bezahlt. CCRS und ZKB (Hrsg.). and Sustainability an der Universität Zürich 3
Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 2. Die Entwicklung von Minergie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8 3. Die Nachfrage nach Minergie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12 4. Zahlungsbereitschaft für Minergie-Mietwohnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14 5. Schlussfolgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 Executive Summary Der Minergie-Standard ist seit der Lancierung 1998 reiche, urbane, deutschsprachige Gemeinden ten- auf erfolgreichem Kurs. Insgesamt wurden bisher denziell eine höhere Minergie-Dichte als weniger rund 15 000 Gebäude nach Minergie, Minergie-P wohlhabende, ländliche, französisch- oder italie- oder Minergie-Eco gebaut oder modernisiert. nischsprachige Gemeinden. Damit hat Minergie im internationalen Vergleich In einer Marktbetrachtung lautet die zentrale Frage die Nase vorn: Mit 15 Prozent Anteil am Neubau aber: Lohnt sich Minergie auch finanziell? Die erste ist Minergie weltweit das wohl am besten umge Minergie-Marktanalyse aus dem Jahr 2008 hat setzte Energie- oder Nachhaltigkeitslabel. Vor die- empirisch nachgewiesen, dass bei Transaktionen sem Hintergrund hat die vorliegende Marktanalyse ein Aufpreis von 7 Prozent bei Einfamilienhäusern der ZKB zum Ziel, die Entwicklung differenziert zu und 3,5 Prozent für Stockwerkeigentum für betrachten. So zeigt sich beispielsweise, dass sich Minergie bezahlt wird. Die Zahlungsbereitschaft der Boom auf Wohngebäude und den Neubau der Mieter wird mit der jetzt vorliegenden Studie – bereich bezieht. wiederum mit einer einzigartigen Datengrundlage Die Studie zeigt auch, dass die regionalen Unter- – untersucht. Die gute Nachricht für Investoren: schiede innerhalb der Schweiz beträchtlich sind. Mieter sind bereit, eine Prämie von rund 6 Prozent Während sich Minergie in Städten wie Zürich und für Minergie-Wohnungen zu bezahlen. Für Mieter Winterthur bei Neubauten beinahe zum Stan- geht die höhere Nettomiete mit tieferen Neben- dard entwickelt hat (mit einem Anteil am Neubau kosten einher. Allerdings bleiben die Bruttomieten von 54 bzw. 44 Prozent im letzten Jahr), gibt es unter dem Strich teurer als für konventionelle Woh- immer noch Gemeinden, in denen kein einziges nungen. Wird die Prämienentwicklung über die Minergie-Gebäude steht. Die Treiber hinter dieser letzten Jahre betrachtet, zeichnet sich ganz klar ein heterogenen regionalen Verteilung werden auch Trend zur Angleichung der Mieten für Minergie- statistisch untersucht. Gemäss der Analyse haben und konventionelle Wohnungen ab. 5
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1. Einleitung Entwicklung von Minergie Im ersten Teil beschreibt sie die rasante Entwick- Ein Jahrzehnt ist soeben zu Ende gegangen. Woran lung des Minergie-Labels in der Schweiz. Was vor werden wir uns erinnern, wenn wir später an die nur fünf Jahren eine Seltenheit war, ist mancherorts Nullerjahre zurückdenken? An die ersten Tage des die Regel geworden. Dennoch bestehen nach wie iPhones, an die Triumphe von Roger Federer – und vor überraschend grosse regionale Unterschiede, an die Etablierung von Nachhaltigkeit als Mega die eingehend analysiert werden. Weiter blickt die trend. Der Begriff «Nachhaltigkeit» ist nicht nur Studie über die Landesgrenzen hinaus und ver- ein fester Bestandteil beinahe jeder öffentlichen gleicht die Funktionsweise und die Verbreitung der Rede geworden. Das neu gewachsene Bewusstsein bekanntesten «green building»-Labels auf interna- für Nachhaltigkeit wird unsere Städte, unser Kon- tionaler Ebene. sumverhalten, sprich unser Alltagsleben, verän- dern. Nirgends ist dies besser sichtbar als auf dem Nachfrage nach Minergie Schweizer Immobilienmarkt. Für zahlreiche institu- Der zweite Teil der Studie ist den Treibern der Nach- tionelle Investoren wie Pensionskassen und Immo- frage nach energieeffizienten Wohnungen gewid- bilienfonds sind Kriterien wie Nachhaltigkeit und met. Wer kauft oder mietet Minergie-Wohnungen? Energieeffizienz in den letzten Monaten ins Zent- Ist die Verbreitung des Labels eher mit gesellschaft- rum ihrer Investitionsentscheidungen vorgerückt. lichen Faktoren wie die politische Einstellung oder Was die Immobilienprofis heute vollziehen, haben die Zugehörigkeit zu einer Sprachregion oder mit sich die Einfamilienhaus-Besitzer und die öffentli- unterschiedlichen ökonomischen Gegebenheiten zu che Hand seit Längerem zu eigen gemacht. Es sind erklären? Welche Rolle spielt beispielsweise die Ein- mehrheitlich private Eigentümer, die seit 1998 in ein kommenssituation für die Investitionsentscheidung energieeffizientes Gebäude investiert haben. Die der Haushalte? private Nachfrage hat also wesentlich zum Min ergie-Boom beigetragen. Heute sind schweizweit Zahlungsbereitschaft für Minergie- rund 15 000 Gebäude nach Minergie zertifiziert Mietwohnungen – die Grauziffer der nicht zertifizierten Gebäude Im dritten Teil gehen wir schliesslich auf die immo- dürfte um einiges höher liegen. bilienökonomischen Aspekte von Minergiewohnun- gen näher ein. Wir erweitern die Analyse unserer Schwerpunkte der Studie ersten Studie zur Rentabilität von Minergie-Eigen- Minergie ist das hierzulande bekannteste «green heimen und -Stockwerkeigentum auf Mietobjekte. building»-Label für Gebäude, die u. a. spezifische Sind die Mieter bereit, einen Aufpreis für Minergie Grenzwerte für den Energieverbrauch einhalten zu zahlen? Gehen die Mehrinvestitionen zulasten (siehe separater Kasten, Seite 8). In dieser Studie der Rendite? Wie sieht es bei den Nebenkosten illustrieren wir den Nachhaltigkeitsboom am Bei- aus, von denen die Energiekosten über 40 Prozent spiel der Minergie-Mietwohnungen. Grundlage ausmachen? Unterscheiden sie sich bei Minergie- dafür ist ein einzigartiger Datensatz, der alle in der Gebäuden substanziell von jenen der konventionel- Schweiz erstellten Minergie-Objekte umfasst. Als len Gebäude? repräsentativer Benchmark werden die Mietpreise von über 200 000 Objekten verwendet. Die Studie beleuchtet folgende drei Schwerpunkte: 7
Was ist MINERGIE®? Minergie ist ein Qualitätslabel für Neubauten und gleichnamigen Verein getragen wird. Mitglieder modernisierte Altbauten aller Gebäudekategorien. des Vereins sind die Kantone, der Bund, Schulen, Im Vordergrund steht der Komfort für die Nutzer. Verbände, Firmen und Einzelpersonen. Typisch für Gebäude im Minergie-Standard ist die besonders gute Wärmedämmung sowie eine syste- Ambitiöse Erweiterungsmodule matische Lufterneuerung. Da der Energieverbrauch Das Minergie-Label beinhaltet drei Standards: eines Gebäudes Rückschlüsse über dessen Qualität Minergie steht für die breite Anwendung im Neu- zulässt, nutzt man die sogenannte Energiekennzahl bau- und Modernisierungsmarkt. Davon hebt sich (kWh/m 2), um zu beurteilen, ob ein Neubau oder der deutlich ambitiösere Standard Minergie-P ab. eine Sanierung dem Minergie-Standard entspricht. Minergie-Eco zeichnet zertifizierte Minergie- und Als Mass für die Bewertung dient der Wärmeener- Minergie-P-Bauten zusätzlich bez. der Verwen- giebedarf für Heizung und Wassererwärmung je dung von ökologischen Baumaterialien aus. Quadratmeter beheizte Wohnfläche. Die Träger- schaft Minergie ist eine geschützte Marke, die vom Quelle: Verein Minergie 2. Die Entwicklung von Minergie Minergie: Boom oder Marathon? Seit 2004 hat sich die Zahl der jährlich zertifi- Der Minergie-Standard ist seit der Lancierung 1998 zierten Gebäude verdreifacht. Wurden vor fünf auf erfolgreichem Kurs. Insgesamt wurden bis heute Jahren nur 5 Prozent aller Wohnneubauten nach (Januar 2010) rund 15 000 Gebäude nach Minergie, Minergie-Standard erstellt, sind es heute schon Minergie-P oder Minergie-Eco gebaut oder moder- über 15 Prozent (siehe Abb. 1). Doch der Weg nisiert. Aus der Tabellle 1 (Stand August 2009) wird zum energieeffizienten Gebäudebestand ist noch ersichtlich, dass der Grossteil dieser Bauten Wohn- lang. Immobilien sind sehr langlebige Investitionen. bauten sind (Mehrfamilienhäuser 29 Prozent und Neubauten stellen jährlich nur einen kleinen Teil, Einfamilienhäuser 62 Prozent). Nur jedes zehnte etwa 1,5 Prozent, des Bestandes dar. So weist erst Minergie-Objekt ist ein Nichtwohngebäude. Diese rund 1 Prozent aller Schweizer Wohngebäude ein sind zu über 70 Prozent im Besitz der öffentlichen Minergie-Zertifikat aus. Es wird seine Zeit dauern, Hand (z.B. Schulen, Sportbauten und Verwaltung). bis energieeffiziente Gebäude einen signifikanten Anteil des Bestandes umfassen. Wie lange noch? Eine Abschreibungsrate in der Höhe der aktuellen Neubauinvestitionen von 1,5 Prozent pro Jahr entspricht der mittleren Lebens- Tabelle 1 dauer einer Liegenschaft von fast 45 Jahren. Schät- Minergie-Häuser in der Schweiz nach zungsweise wurde über die Hälfte der Gebäude vor Gebäudekategorie dem ersten Ölpreisschock von 1973 gebaut und weist eine im Vergleich zu den heutigen Standards Anzahl In Prozent deutlich tiefere Energieeffizienz aus. Seit dem Öl- Wohnen EFH 7 810 62% preisschock hat sich der Energieverbrauch von Neu- Wohnen MFH 3 745 29% bauten als Folge der gestiegenen Energiepreise, der Andere Gebäude 1 101 9% Verbesserung der Wärmedämmtechnik und nicht Davon Verwaltung 432 zuletzt der Einführung und Aktualisierung von Nor- Schulen 308 Sportbauten 73 men, Wärmedämm- und Haustechnikvorschriften Total 12 656 100% in etwa halbiert.3 Demzufolge besteht bei den Renovationen von Quelle: Verein Minergie, Stand August 2009 Gebäuden, die vor 1975 gebaut wurden, nach wie Anzahl Zertifikate; Mehrfachnutzungen/Bauvorhaben (Neu- bau, Sanierung) wurden in der Tabelle zusammengefasst, vor ein grosses Energiesparpotenzial. Im Vergleich wobei Nutzungsart/Bauvorhaben mit der grössten Energie bezugsfläche verwendet wurde. 652 Zertifkate haben ≥ 2 3 Energieplanungsbericht 2006 – Bericht des Regierungsrates Nutzungsarten/Bauvorhaben. über die Energieplanung des Kantons Zürich. 8
Abbildung 1 Grosse regionale Unterschiede Anzahl Minergie-Wohnneubauten und Anteil Die geografische Verteilung der Minergie-Häuser Minergie an den Gesamtwohnneubauten in der in der Schweiz zeigt ein sehr heterogenes Bild. Schweiz pro Jahr Die meisten Minergie-Häuser stehen in der Nord- und Nordostschweiz und in den Städten Bern und 3000 18% Anzahl Minergie- Genf. Dieser Befund ist allerdings zumindest zum 16% 2500 Wohnneubauten absolut Teil ein Spiegel der allgemeinen Bautätigkeit. Um 14% Anteil Minergie-Wohnneubauten die Umsetzung von Minergie besser beurteilen zu 2000 am Gesamtwohnneubau 12% können, bietet es sich an, den Anteil an Minergie- 10% 1500 Wohnneubauten bei den Neubauten zu betrachten. 8% Dieser ist – über den Zeitraum 1998 bis 2008 – im 1000 6% 4% Raum Zürich mit ca. 20 Prozent am höchsten (siehe 500 2% Abb. 3). Hohe Anteile verzeichnen weitere Zür- 0 0% cher Regionen wie z.B. das Knonaueramt und die Region Winterthur. Auch in Tourismusgebieten im 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 Wallis und in Graubünden war jeder zehnte Neu- Quelle: Verein Minergie, Bundesamt für Statistik, bau der letzten Dekade ein Minergie-Bau (Leuk, Berechnungen ZKB Davos und Zermatt). Regionen mit sehr tiefem Min ergie-Bauanteil (unter 2 Prozent) sind das Tessin, der Bereich rund um den Genfersee und der J ura. zu den Neubauten ist der Anteil an Minergie Generell fällt auf, dass der Minergie-Anteil in der zertifizierten Sanierungen allerdings bedeutend Deutschschweiz höher ist als in der Westschweiz kleiner. 2008 machte dieser bloss 9 Prozent der Zer- und im Tessin. In der Deutschschweiz wurde 2008 tifizierungen aus. Geht man davon aus, dass es in jedes fünfte Wohngebäude nach Minergie-Standard der Schweiz jährlich ungefähr so viele umfassende errichtet, in der Französisch bzw. Italienisch spre- Sanierungen wie Neubauten gibt, liegt der «Markt- chenden Schweiz hingegen nur jeder 12. bzw. 14. anteil» von Minergie bei Sanierungen ungefähr bei Neubau. Es scheint ein Minergie-Röstigraben zu 1 Promille. Allerdings gibt es bezüglich Sanierungen existieren. Dies deckt sich mit den Resultaten der im zwischen Wohn- und anderen Gebäuden grosse Vorwort erwähnten Unternehmensbefragung, wel- Unterschiede. Der Anteil an Modernisierungen ist che aufzeigte, dass Deutschschweizer Unternehmen bei Nicht-Wohngebäuden dreimal höher als bei dem Thema «Nachhaltigkeit» im Zusammenhang Wohngebäuden (siehe Abb. 2). In diesem Segment mit ihren Betriebsimmobilien ein höheres Gewicht ist der Einfluss der öffentlichen Hand besonders beimessen als Westschweizer Unternehmen. spürbar. Der Bund und die meisten Kantone haben sich in den letzten Jahren zum Ziel gesetzt, öffentli- che Bauten ausschliesslich nach Minergie-Standard Abbildung 2 zu bauen und zu renovieren.4 Anzahl Minergie-Gebäude in der Schweiz (Total, Stand 2008) Reichlich Fördergelder für Sanierungen 12 000 Für private Bauherren gibt es Fördergelder aus zahl- Modernisierung reichen Förderprogrammen für energieeffizientes Neubau 10 000 7% Bauen. Die Kantone (mittels kantonaler Förder gelder), der Bund (mit dem nationalen Gebäude 8000 programm), aber auch Banken (mit zinsvergüns- tigten Hypotheken) unterstützen und fördern das Bauen und Modernisieren nach Minergie-Standard. 6000 93% Sanierungen werden dabei am stärksten gefördert. 4000 2000 22% 78% 4 Grossverbraucher Bund, Jahresbericht 2007 für Energie 0 Wohnen Nicht-Wohnen Schweiz; Energieplanungsbericht 2006 – Bericht des Regie- rungsrates über die Energieplanung des Kantons Zürich. Quelle: Verein Minergie 9
Abbildung 3 Anteil Minergie an Gesamtwohnneubauten nach Regionen (1998–2008) 1998–2008 0% – 2% 2% – 4% 4% – 6% 6% – 9% 9% –12% 12% – 15% 15% – 20% Quelle: Verein Minergie, Bundesamt für Statistik, ZKB Winterthur und Zürich: Tabelle 2 Minergie ist zur Regel geworden Top-Minergie-Städte in der Schweiz (2004–2008) In den Städten Genf und Zürich wurde im Schnitt Anteil an Anzahl Minergie- der letzten fünf Jahre ein beeindruckendes Drit- Rang Stadt Wohnneubauten Wohnneubauten tel aller Neubauten im Minergie-Standard erstellt. 1 Genf 34,5% 39 Auf Platz drei folgt die Stadt Bern mit rund 20 Pro- 2 Zürich 33,2% 249 zent Anteil Minergie am Neubau, gefolgt von den 3 Bern 19,8% 26 Städten Winterthur und Luzern mit je rund 15 Pro- 4 Winterthur 15,1% 97 zent. Das Schlusslicht der Schweizer Grossstädte 5 Luzern 14,7% 22 bilden Lugano und Lausanne. Im Jahr 2008 waren 6 Basel 8,5% 9 7 St. Gallen 8,4% 18 Minergie-Neubauten in Zürich und Winterthur 8 Lugano 3,1% 10 sogar beinahe die Regel. Ihr Anteil lag bei 54 bzw. 9 Lausanne 1,2% 4 44 Prozent. Die Stadt Genf ist in der französischen Quelle: Verein Minergie, Bundesamt für Statistik, Schweiz eine Ausnahme und erzielte durch eine Berechnungen ZKB hohe Minergie-Bautätigkeit fast ausschliesslich in den Jahren 2007 und 2008 im Mehrfamilienhaus- Segment eine Bestnote. 10
Minergie weltweit Spitze bei der Umsetzung effizienz, Energie und Atmosphäre, Materialien und Das Interesse an Minergie im Ausland ist gross. Der Ressourcen, Luftqualität innen, Innovation). Je nach Verein Minergie startet zurzeit die Einführung des Gesamtresultat wird es anschliessend den Katego- Labels auf dem internationalen Markt. Mit Masdar rien Certified, Silver, Gold oder Platinum zugeteilt. City entsteht in der Nähe von Abu Dhabi (Verei- BREEAM, Green Star und CASBEE funktionieren nigte Arabische Emirate) mit der ersten Ökostadt ebenfalls nach einem Punktesystem. der Welt ein Pilot-Projekt (swiss-village.ch). Für die Von diesen Labels haben nur BREEAM und LEED internationale Markteinführung verlässt sich der einen nennenswerten Marktanteil errreicht. In den Verein auf Partner und strebt die Zusammenarbeit USA haben 2008 6 Prozent der Kommerzflächen mit lokalen Behörden und Fachleuten an. Mit einem das LEED-Label angestrebt.5 Allerdings sind die französischen Partner besteht seit 2006 ein Lizenz- Anteile an tatsächlich erstellten nachhaltigen Ge- vertrag, 78 Neubauten sind in Frankreich Minergie- bäuden (2 700 seit 1998) immer noch lediglich ein zertifiziert. Zusätzlich sind Verhandlungen mit den Bruchteil der jährlich erstellten Neubauten (170 000 USA, Schweden und Polen im Gange. kommerziell genutzte Bauten pro Jahr). Auch in Auf internationaler Ebene gibt es jedoch Konkur- Grossbritannien sind die nachhaltigen Gebäude in renz. Weltweit wurden zahlreiche «green-building»- der Minderheit. Schätzungsweise 0,4 Prozent des Labels oder Nachhaltigkeitslabels entwickelt. Der Gebäudebestandes ist BREEAM-zertifiziert.6 Damit Minergie-Standard ist im Vergleich zu anderen hat Minergie mit einem Anteil von rund 1 Prozent Labels nicht in verschiedene Qualitätsstufen ein- am Bestand der Wohngebäude weltweit wohl teilbar (siehe Tab. 3). Um den Minergie-Standard die höchste Umsetzungsrate aller Energie- und zu erfüllen, müssen die Grenzwerte aller Kriterien Nachhaltigkeitslabels. erreicht werden. Das aus den USA stammende 5 Hoffman, A. J. & Henn, R. (2008): Overcoming the Social LEED-System hingegen funktioniert nach einem and Psychological Barriers to Green Building. Organization & Punktesystem. Ein Gebäude erhält für alle Kriterien Environment, 21, 390 – 419. eine einzelne Bewertung (nachhaltige Lage, Wasser 6 Gemäss Berechnungen ZKB. Tabelle 3 Internationale Labels für nachhaltiges Bauen Minergie BREEAM LEED DGNB Green Star CASBEE Gründungsjahr 1998 1990 1998 2008 2003 2003 Herkunftsland Schweiz UK USA Deutschland Australien Japan Zertifizierte 15 000 110 000 2 700 78 211 80 Gebäude* Wohngebäude 92% 98% 30% 0% 0% N/A Zertifizierungs- CHF CHF CHF kosten 750 – 20 000 ca. CHF 7 000 2 300 – 24 000 15 000 – 41 000 ab CHF 5 700 ab CHF 3 700 Bewertungs- Minergie Bestanden Certified Bronze 1– 6 Sterne C, B-, B+, A, S skala Minergie-Eco Gut Silver Silber Minergie-P-Eco Sehr Gut Gold Gold Exzellent Platinum Bewertete – Gebäudehülle – Management – Nachhaltige – Ökologische, – Management Energie-, Kriterien – Frischluft/ – Gesundheit/ Lage ökonomische, – Luftqualität Ressourcen Lüftung Wohlbefinden – Wasser technische, innen effizienz, – MINERGIE®- – Energie effizienz soziokulturelle – Energie lokale Umwelt, Grenzwert – Transport – Energie & und funktio – Transport Innenraum (Energie) – Wasser Atmosphäre nale Qualität – Wasser – Thermischer – Materialien & – Materialien & – Prozess- – Materialien Komfort Abfall Ressourcen und Standort – Emissionen – Gebäude – Bodennut- – Luftqualität qualität – Bodennut- technologie zung/Ökologie innen zung/Ökologie – Mehrkosten** – Luftverschmut- – Innovation – Innovation zung Zahlen von 12/09 12/09 04/09 12/09 12/09 08/09 der jeweiligen Internetseite * BREEAM (> 500 000) und LEED (20 200) weisen zusätzlich die registrierten Gebäude aus. ** Minergie-P-Eco zusätzliche Kriterien: Licht, Innenraum, Luftqualität innen, Ressourcen, Emissionen, Recycling; erneuerbare Energien, Luftdichtigkeit, Haushaltsgeräte. 11
3. Die Nachfrage nach Minergie Diese Hypothesen werden hier statistisch über- prüft. Zu diesem Zweck wurden entsprechende Da- Auch wenn in mehr als der Hälfte der Schweizer ten zu jeder Schweizer Gemeinde gesammelt. Die- Gemeinden bereits ein Minergie-Gebäude steht, se Daten umfassen die Anzahl der zwischen 1998 ist ihr Anteil am Neubau, wie Kapitel 2 zeigt, und 2008 neu erstellten Wohnungen, Angaben von Gemeinde zu Gemeinde sehr unterschied- zum steuerpflichtigen Reineinkommen der Haus- lich. So wurde in der Lausanner Vorortsgemeinde halte und verschiedene Angaben zur Demografie, Epalinges, die über 8 000 Einwohner zählt, bis Ende Sprache und Lage der Gemeinde. Zudem wurde 2008 noch kein einziges Minergie-Wohnhaus ge- ein «Grün-Index» als Indikator für die Einstellung baut. Zum gleichen Zeitpunkt hatte in der Stadt der Wähler in der Gemeinde zu umwelt- und ener- Genf über ein Drittel der neuen Wohngebäude das giebezogenen Themen gebildet. Dieser Index ba- Minergie-Zertifikat erhalten. Ist zu erwarten, dass siert auf den Ergebnissen von vier eidgenössischen Minergie nur ein Thema für Grossstädte bleiben Volksabstimmungen7 und den letzten Nationalrats- wird? Welches sind die Treiber der Nachfrage nach wahlen im Jahr 2007. Er ist ein Versuch, die Sensibi- energieeffizienten Gebäuden, und worauf lassen lität der Gemeinden für «grüne» Themen zu quan- sich die grossen Unterschiede zurückführen? tifizieren. Die Tabelle 4 listet jene Gemeinden auf, in denen gemäss Index die «grünen» Themen ein Die stärksten Treiber der Minergie-Bautätigkeit besonderes Anliegen der Wähler sind. Es erstaunt Verschiedene Hypothesen sind denkbar, angefan- nicht, dass sich die grössten Schweizer Städte, allen gen bei der Annahme, dass Minergie-Gebäude voran Bern, Zürich, Basel und Lausanne unter den eher von Personen gebaut/gekauft werden, die Top-Ten der «grünsten» Gemeinden befinden. Um ökologisch eingestellt sind. Entsprechend müss- die Hypothesen zu überprüfen, wurde mittels eines ten «grüne» Gemeinden eine höhere Dichte an ökonometrischen Modells (Zero-Inflated Poisson Minergie-Gebäuden aufweisen. Als zweite Hypo- Regression) auf Gemeindeebene der Zusammen- these ist auch denkbar, dass die private Nachfrage hang zwischen Minergie-Dichte auf der einen Seite nach energieeffizienten Gebäuden mit steigendem und der Bautätigkeit, des «Grün-Indexes», des Einkommen zunimmt. Im Jargon der Ökonomen Einkommens, des Urbanisierungsgrades und der ausgedrückt: Nachhaltigkeit ist ein einkommens Sprachregion auf der anderen Seite geschätzt.8 elastisches Gut. Darüber hinaus zeigt die deskrip- tive Analyse in Kapitel 2, dass die Minergie-Dichte Einkommen wichtiger als Einstellung in Städten höher ist als in ländlichen Gebieten und Die Resultate der Schätzungen, die in der Tabelle in der Deutschschweiz höher als in der Romandie. 5 zusammengefasst sind, zeigen deutlich auf, dass Damit lassen sich Urbanität und kulturelle Unter- die Einkommenssituation einen entscheidenden schiede als Determinanten der Minergie-Nachfrage Einfluss auf die Anzahl der Minergie-Gebäude in postulieren. einer Gemeinde aufweist.9 Unter sonst gleichen Bedingungen (d. h. bei gleicher demografischer Verteilung, gleicher gesellschaftspolitischer Einstel- lung usw.) weist eine Gemeinde mit einem hohen Einwohneranteil in der obersten Einkommensklasse Tabelle 4 eine markant höhere Rate an Minergie-Bauten auf. Die zehn Gemeinden mit den höchsten Grün-Index-Werten 7 Volksabstimmungen: 24. September 2000: Verfassungs artikel über eine Energielenkungsabgabe für die Umwelt; Rang Stadt Kanton 18. Mai 2003: Volksinitiative «Strom ohne Atom – Für eine 1 Bern BE Energiewende und die schrittweise Stilllegung der Atom- 2 Zürich ZH kraftwerke»; 18. Mai 2003: Volksinitiative «Für einen auto- freien Sonntag pro Jahreszeit – ein Versuch für vier Jahre»; 3 Basel BS 30. November 2008: Volksinitiative «Verbandsbeschwerde- 4 Arlesheim BL recht: Schluss mit der Verhinderungspolitik – Mehr Wachs- 5 Dornach BL tum für die Schweiz!» 6 Carouge GE 8 In Anlehnung an Kahn, Matthew E. and Vaughn, Ryan K. 7 Sissach BL (2009): Green Market Geography: The Spatial Clustering 8 Lausanne VD of Hybrid Vehicles and LEED Registered Buildings, The B.E. 9 Genf GE Journal of Economic Analysis & Policy: Vol. 9 : Iss. 2 (Contri- 10 Luzern LU butions), Article 2. 9 Die detaillierten statistischen Ergebnisse können direkt bei Bemerkung: mit mehr als 5 000 Einwohnern den Autoren bezogen werden. 12
Um dies zu verdeutlichen, können wir die Anzahl Bei gegebenem Einkommen und Wert des «Grün der Minergie-Gebäude in der 25-Prozent reichs- Indexes» haben Kernstädte eine um 70 Prozent ten Gemeinde (also in der Gemeinde, die reicher höhere Minergie-Dichte als die übrigen Gemeinden. als drei Viertel aller Schweizer Gemeinden ist) mit Offensichtlich sind die städtischen Bauherren – un- derjenigen der Mediangemeinde vergleichen. Die abhängig von ihrer umweltpolitischen Einstellung – Mediangemeinde ist jene Gemeinde, die sich genau deutlich sensibilisierter auf die Frage der Energie in der Mitte der nach dem Einkommen geordneten effizienz als die ländlichen. Die demografische Gemeinderangliste befindet. Nach unserer Analyse Struktur der Bevölkerung hingegen wirkt sich nur ist in der 25-Prozent reichsten Gemeinde die Anzahl leicht auf die Minergie-Dichte aus. Steigt der Anteil der Minergie-Gebäude gut 51 Prozent höher als in der 20- bis 39-Jährigen an der Gesamtbevölkerung der Mediangemeinde. um 2 Prozent zulasten der höheren Altersklassen – was in der demografisch homogenen Schweiz eine starke Zunahme bedeutet – ist mit einer Zunahme Tabelle 5 der Anzahl an Minergie-Gebäuden um 10 Prozent Determinanten der Minergie-Nachfrage zu rechnen. in den Schweizer Gemeinden Minergie-Röstigraben statistisch belegt Variable Wirkung einer Stärke des Zunahme Einflusses Es ist die Zugehörigkeit zur Sprachregion, welche, Einkommen (Anteil der Positiv Stark zusammen mit dem Einkommen und der Urbani- natürlichen Personen mit sierung, den grössten Beitrag zur Bestimmung der steuerbarem Reineinkommen > CHF 75 000) Dichte an Minergie-Bauten ausübt. Der im Kapi- Kernagglomeration Positiv Stark tel 2 diagnostizierte Minergie-Röstigraben lässt Deutschschweiz Positiv Stark sich nur marginal auf Unterschiede in der demo- Bautätigkeit Positiv Stark grafischen Struktur oder im Einkommensniveau Alter Bevölkerung Positiv Mittel zwischen der Deutschschweiz und den anderen (Anteil Bevölkerung zwischen 20 und 39 Jahren) Sprachregionen zurückführen. Obschon 29 Pro- «Grün-Index» Positiv Schwach zent der Romands und nur 25 Prozent der Deutsch- Bemerkung: Sämtliche Koeffizienten sind statistisch hoch schweizer ein steuerpflichtiges Reineinkommen signifikant. unter 40 000 Franken versteuern, vermögen die- ser und die weiteren beobachtbaren Unterschiede zwischen den Sprachregionen nur etwa ein Zehn- Überraschenderweise zeigt sich, dass ökolo- tel der Schwankungen in der Minergie-Dichte zu gisch eingestellte Gemeinden – gemäss unseren erklären. Schätzungen – nur eine leicht höhere Dichte an Minergie-Gebäude aufweisen. Zusammengefasst beeinflussen das Einkommen, der In der 25-Prozent «grünsten» Gemeinde (gemes- Urbanitätsgrad und die Sprachregion die Dichte an sen an unserem Index) wurden nur etwas weniger Minergie-Bauten am stärksten, die Umwelteinstel- als 8 Prozent mehr Minergie-Objekte gebaut als lung und das Alter haben nur einen geringfügigen in der Mediangemeinde. Gemeinden wie Zumikon Einfluss. Reiche, urbane, deutschsprachige Gemein- an der Zürcher Goldküste, Weinfelden im Kanton den haben tendenziell eine höhere Minergie-Dichte Thurgau oder Saint-Blaise am Neuenburger See als weniger wohlhabende, ländliche, französisch- sind Beispiele von Gemeinden, die der Hypothese oder italienischsprachige Gemeinden. Die hier kurz widersprechen: In diesen Gemeinden ist der Anteil gefassten Ergebnisse zeigen, dass die Nachfrage von neuen Minergie-Bauten deutlich überdurch- nach nachhaltigen Immobilien vielschichtig ist. Wie schnittlich – trotz tiefer Werte des «Grün-Indexes». bei anderen nachhaltigen Produkten erfolgt die Es ist zu bemerken, dass der Einfluss der gesell Entscheidungsfindung der Konsumenten offen schaftspolitischen Einstellung komplex ist und sich sichtlich nicht nur entlang einer einfachen ideo- mit unserem eindimensionalen «Grün-Index» nur logischen Dimension. Neben diesen «weichen» teilweise abbilden lässt. Faktoren, spielt die Einkommenssituation eine ent scheidende Rolle. Nachhaltigkeit als Produkt stellt Urbanisierung als zentraler Treiber somit ein gutes Beispiel eines «einkommenselasti- Die Tatsache, ob die Gemeinde die Kernstadt einer schen Gutes» dar: ein Gut, dessen Nachfrage im städtischen Agglomeration bildet, wirkt sich hin Vergleich zu den übrigen Gütern mit steigendem gegen sehr deutlich auf die Minergie-Dichte aus. Wohlstand an Bedeutung zunimmt. 13
4. Zahlungsbereitschaft für scheinlich, dass der Nachmieter die investierten Minergie-Mietwohnungen Kosten vollständig zurückerstattet. Dieses Kapitel wendet sich dem dritten Schwer- Grosse Stichprobe punkt dieser Arbeit zu, nämlich der Frage nach dem Zur Beurteilung der Marktakzeptanz steht eine Zusammenhang von energiesparenden Investitio- Stichprobe von fast 13 000 Mietangaben von neu nen mit dem Minergie-Label und Mietpreisen. Sind erstellten Wohnungen aus der ganzen Schweiz zur die Mieter bereit, für den Minergie-Standard einen Verfügung, die zwischen 2002 und 2009 auf dem Aufpreis zu bezahlen? Dazu eine einleitende Bemer Internetportal homegate.ch zur Erstvermietung kung: In diesem Kapitel wird ein gewisses Mass an angeboten wurden. Darunter fallen 1 173 Minergie- «Konsumentensouveränität» der Mieter vorausge- Objekte. Es werden nur Erstvermietungen unter- setzt. Wir gehen davon aus, dass Haushalte über sucht, weil der Vergleich von Bestandeswohnungen einen Entscheidungsspielraum bei der Wahl von zu Verzerrungen führt: Da es das Minergie-Label erst Wohnung und Wohnort verfügen. Der Wohnungs- seit 1998 gibt, ist die Dauer seit der Erstellung bzw. markt muss einigermassen liquid sein, damit die der letzten Sanierung im Durchschnitt des Bestands Unterschiede in den Neumieten auf die Zahlungs- viel höher als bei den Minergie-Gebäuden. Die bereitschaft der Neumieter zurückgehen.10 folgende Tabelle fasst die wichtigsten Kennzahlen der untersuchten Mietwohnungen zusammen. Wir Hedonisches Modell zur Ermittlung vergleichen diese zudem mit der Grundgesamtheit der Zahlungsbereitschaft aller zur Vermietung angebotenen Objekte. Wie bereits die Studie «Minergie macht sich be- zahlt», stützt sich dieses Kapitel auf die hedonische Methode. Diese geht davon aus, dass jedes Haus als Tabelle 6 ein Bündel von einzelnen Eigenschaften verstanden Minergie-Erstvermietungen (2002–2009) werden kann wie beispielsweise Grösse, Qualität im Vergleich der Architektur oder der Haustechnik, Zustand und Minergie Konventionell Grundgesamt- Qualität der Lage. Diese Eigenschaften schaffen für (Neubau) (Neubau) heit (Bestand) die Einwohner einen Nutzen, der sich entsprechend Bruttomiete in CHF CHF 2 740 CHF 2 564 CHF 1 587 in einer höheren Zahlungsbereitschaft für eine be- Nettomiete in CHF CHF 2 505 CHF 2 331 CHF 1 400 stimmte Immobilie ausdrückt. Der Wert, den die Nebenkosten in CHF CHF 235 CHF 233 CHF 187 Käufer jeder einzelnen Eigenschaft beimessen, lässt Nebenkosten in % 8,6% 9,1% 12,4% der Bruttomiete sich durch eine geeignete statistische Analyse der Wohnfläche in m2 118 113 80 Mietpreise ermitteln – also auch der Wert einer Anzahl Zimmer 3,8 3,7 3,1 energieeffizienten Haustechnik oder einer hoch- Anzahl Beobach- 1 173 11 757 223 327 wertigen Gebäudehülle, wie sie zur Erreichung des tungen Minergie-Labels notwendig ist. Dabei ist zu beachten, dass dieser Wert nicht not- wendigerweise mit den Kosten, welche für die Höhere Nettomieten, tiefere Nebenkosten besagte Haustechnik aufgewendet wurden, über- für Minergie einstimmen muss. Es ist durchaus denkbar, dass Die typische neue Minergie-Wohnung ist eine gewisse Investitionen aus Sicht der Käufer «über- Etagenwohnung mit vier Zimmern und einer mitt- flüssig» sind. Man denke beispielsweise an eine leren Wohnfläche von 118 Quadratmetern. Die teure Verkabelung, welche ein passionierter HiFi- Miete beträgt durchschnittlich CHF 2 740, Neben Fan in seiner Wohnung verlegt hat, die aber für den kosten inklusive. Die durchschnittliche konven durchschnittlichen Konsumenten wohl nur mässi- tionelle Wohnung ist etwas günstiger (CHF 2 564 gen Nutzen bringt. Es ist entsprechend unwahr- pro Monat), ein bisschen kleiner und hat leicht höhere Nebenkosten. Der Nebenkostenanteil neuer 10 Die Tatsache, dass der Leerstand in gewissen Gemeinden – Gebäude ist allgemein deutlich tiefer als bei bereits allen voran in den grösseren Städten – äusserst tief ist, steht nicht zwingend im Widerspruch mit unserer Annahme. Die bestehenden Gebäuden, deren Kennzahlen wir urbanen Wohnungsmärkte sind wesentlich liquider, als es zum Vergleich in der dritten Spalte wiedergeben. die Leerwohnungsziffer suggeriert. So standen in Zürich am Lässt sich also behaupten, dass die Erreichung des 1. Juni 2009 offiziell nur 108 Mietwohnungen leer. Am glei- Minergie-Labels zu einer um 10 Prozent höhe chen Tag wurden jedoch über 1 200 Wohnungen (0,7 Pro- zent des Bestandes) im Internet zur sofortigen Vermietung ren Nettomiete führt? Nur wenn man sich an die angeboten. einfachen Durchschnittswerte halten würde. Die 14
ngebotsmieten, Adressen und Merkmale der A Abbildung 4 Wohnungen lassen es nämlich zu, den separaten Prämie für Minergie im Vergleich zu Einfluss eines Merkmals bei konstanter Qualität konventionellen Wohnungen aller übrigen Merkmale zu messen. 20% Minergie-Mieterträge rund sechs Prozent höher Die Ergebnisse der entsprechenden Regressions- In Prozent der Bruttomiete 15% analyse sind in der Tabelle 7 zusammengefasst. Die Nettomiete (d. h. ohne Nebenkosten) von neuen Minergie-Wohnungen ist um 6,0 Prozent höher als 10% jene von konventionellen Wohnungen – bei gege- bener Lage, Grösse, Alter und Wohnungstyp. Dies ist etwas weniger, als die unbereinigten Median 5% werte suggerieren. Demgegenüber stehen um 6,1 Prozent tiefere Nebenkosten, welche vorwiegend auf den reduzierten Energiekonsum zurückzuführen 0% sind. Damit ergibt sich für den Minergie-Mieter eine 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 rund 4,9 Prozent höhere Bruttomiete. In den Kanto- nen Waadt und Genf sind die meisten Kosten nicht separat ausgewiesen, sondern Teil der Grundmiete. Um solche Verzerrungen auszuschliessen, wurde die 5. Schlussfolgerungen Analyse nur mit Daten aus dem Kanton Zürich repli ziert. Mit einem Aufpreis von 5,3 Prozent auf die Die Entwicklung von Minergie ist eine Erfolgs Gesamtmiete und einem Abschlag von 2,5 Prozent geschichte. Zudem ist Minergie international Spitze: auf die Nebenkosten liefert die separate Analyse Kein anderes Energie- oder Nachhaltigkeitslabel der Zürcher Mietwohnungen ähnliche Ergebnisse. erzielt weltweit wohl eine bessere Umsetzung. Notabene lässt sich das nicht darauf zurückführen, dass das Label «schwach» und deshalb einfach zu Tabelle 7 erreichen ist. Im Gegenteil: Minergie setzt im inter Zahlungsbereitschaft für neue Minergie- nationalen Vergleich einen hohen Benchmark. Die Mietwohnungen gute Umsetzung hat vielmehr damit zu tun, dass das Label relativ einfach (inhaltlich, administrativ Schweiz Kanton Zürich und finanziell) und damit im internationalen Ver- In Prozent In Franken In Prozent In Franken der Miete pro Monat der Miete pro Monat gleich praxistauglich ist – und in der Schweiz auf Bruttomiete 4,9% CHF 117 5,3% CHF 136 eine entsprechende Nachfrage bei privaten, institu Nettomiete 6,0% CHF 132 6,2% CHF 143 tionellen und öffentlichen Investoren und Mietern Nebenkosten – 6,1% CHF –14 – 2,5% CHF – 6 stösst. Die immer geringeren Unterschiede zwi- Bemerkungen: Mietpreisunterschied von Minergie-Mietwoh schen Minergie-Neubauten und den neuen nicht nungen im Vergleich zu konventionellen Wohnungen zertifizierten Gebäuden muss auch als ein Erfolg des Labels betrachtet werden. Minergie ist allerdings kein eigentlicher Nachhaltig- Trend zur Angleichung der Mieterträge keits-, sondern primär ein Energie-Standard, auch Eine Analyse der Entwicklung der «Minergie- wenn mit Minergie-Eco eine Ergänzung bezüglich Prämie» in der ganzen Schweiz über die Zeit zeigt gesunder und ökologischer Bauweise verfügbar einen klaren Trend zur Angleichung der Mieterträge ist. Die international verfügbaren Nachhaltigkeits- zwischen Minergie und konventionellen Wohnun- Standards (LEED, BREEAM usw.) sind aus verschie- gen (vgl. Abb. 4): In den Jahren 2002 bis 2005, am denen Gründen auch nicht ohne Weiteres eine Anfang der untersuchten Periode, war sie mit durch- Alternative. Immer häufiger wird deshalb der Ruf schnittlich 12,2 Prozent wesentlich höher als in den nach einem umfassenden Nachhaltigkeitslabel in letzten drei Jahren, wo sie im Schnitt 5,7 Prozent der Schweiz laut. Die vorliegende Studie hat ganz erreichte. Dies deckt sich mit unserem generellen klar den Erfolg von Minergie bei der Umsetzung Eindruck, dass die Unterschiede zwischen konven aufgezeigt. Dies muss bei einer allfälligen Entwick- tionellen Neubauten und Minergie-Wohnbauten lung eines Schweizer Nachhaltigkeitslabels berück- im Laufe der Zeit abgenommen haben. sichtigt werden. 15
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