Im Interview: Staatssekretär Dr. Rolf Bösinger - Bundesfinanzministerium

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Im Interview: Staatssekretär Dr. Rolf Bösinger - Bundesfinanzministerium
Internationale Unternehmensbesteuerung                                     BMF-Monatsbericht
                                                                                              März 2021

  Staatssekretär Dr. Rolf Bösinger (Archivbild)
  © Bundesministerium der Finanzen/photothek

Im Interview: Staatssekretär Dr. Rolf Bösinger
   Die Digitalisierung hat viele                        In meinem Arbeitsalltag wird der digitale Wandel
   Lebensbereiche rasant ver-                           besonders deutlich. Videokonferenzen sind bei in-
   ändert. In welchen Bereichen                         ternen Gesprächen, Veranstaltungen, Gesprächen
                                                        mit Regierungen anderer Staaten oder Verhand-
   spüren Sie dies auch privat                          lungen auf OECD- und EU-Ebene mittlerweile
   ganz besonders deutlich? Wo                          Standard. Natürlich bietet das nicht immer einen
   fällt es Ihnen im Arbeitsleben                       gleichwertigen Ersatz zu den persönlichen Kontak-
   besonders auf?                                       ten während einer kurzen Sitzungspause oder dem
                                                        Smalltalk bei einem Kaffee. Aber: Zahlreiche Flug­
Die COVID-19-Krise hat die Digitalisierung im-          reisen entfallen. Das spart Zeit und Reisekosten.
mens beschleunigt. Sie ist zu einem Katalysator der     Und es ist ein Beitrag zur Schonung der Umwelt.
digitalen Gesellschaft geworden. Dadurch hat sie
den Wandel in der Wirtschaft, in der Bildung und        Allerdings freue auch ich mich schon darauf, wenn
natürlich auch im Privatleben beschleunigt: On-         ich meine Eltern und meinen Freundeskreis wie-
lineshopping, Click and Collect, digitales Bezahlen,    der unbeschwert persönlich treffen kann. Das fehlt.
das Smartphone als alltäglicher Begleiter bis hin       Videokonferenzen können nur ein besserer Ersatz
zum digitalen Planen von Arztbesuchen.                  sein.

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Im Interview: Staatssekretär Dr. Rolf Bösinger - Bundesfinanzministerium
Internationale Unternehmensbesteuerung                                             BMF-Monatsbericht
           Im Interview: Staatssekretär Dr. Rolf Bösinger                                            März 2021

   Es gibt nicht die „digitale                                Dabei lässt man bei einer Vielzahl digitalisierter
   Wirtschaft“, sondern die                                   Geschäftsmodelle außer Acht, dass die Wertschöp-
   Digitalisierung durchdringt alle                           fung in erster Linie unter Mitwirkung der Nutze-
                                                              rinnen und Nutzer und deren Interaktion unter-
   Branchen, alle Wirtschafts­                                einander entsteht. Wir stehen bei der Besteuerung

                                                                                                                     Schlaglicht
   bereiche. Ganz neue Geschäfts­                             der digitalisierten Wirtschaft vor der Herausforde-
   modelle sind entstanden, etwa                              rung, die Verteilung der Besteuerungsrechte so an-
   soziale Netzwerke, die sich                                zupassen, dass Unternehmen mit digitalisierten
                                                              Geschäftsmodellen nicht nur in ihrem Ansässig-
   aus Werbeeinnahmen und                                     keits-, sondern auch in ihren Marktstaaten ihren
   Datenverkäufen finanzieren.                                fairen Beitrag leisten und damit an der Finanzie-
   Welche steuerlichen                                        rung staatlicher Leistungen mitwirken.
   Herausforderungen sind aus
                                                              Es gibt noch einen weiteren Aspekt: Ein Merkmal
   Ihrer Sicht daraus erwachsen?                              digitalisierter Geschäftsmodelle ist, dass immate-
                                                              rielle Werte häufig zu den wichtigsten Werttrei-
Die Pandemie hat eines deutlich gezeigt: Unter-               bern zählen. Der Erfolg einer Onlinesuchmaschine
nehmen, die Prozesse aktiv und systematisch di-               hängt zum Beispiel stark davon ab, wie leistungsfä-
gitalisieren oder sogar auf ein rein digitales Ge-            hig der zugrundeliegende Algorithmus ist. Bei sol-
schäftsfeld setzen, kommen deutlich besser durch              chen IP-basierten Geschäftsmodellen ist es leichter,
diese schwierige Zeit. Wir müssen uns nur an-                 gezielte Steuerplanung zu betreiben. Immaterielle
schauen, welche Gewinne digitale Unternehmen                  Werte sind weltweit mobil. Sie lassen sich einfa-
wie Amazon, Microsoft oder Apple im vergangenen               cher in andere niedrig besteuernde Staaten trans-
Jahr erwirtschaftet haben. Das sind Rekordergeb-              ferieren. Bei einem Maschinenpark geht das nicht.
nisse. Und hier sind wir gleich bei der Herausforde-          Wir wollen aber, dass digitale Unternehmen einen
rung für die Steuerpolitik: Wie besteuere ich wo die          angemessenen, fairen Beitrag in Form von Steuern
Gewinne dieser Unternehmen? Bisher war das ein-               leisten.
fach. Besteuert wird dort, wo produziert wird. Der
Ort der Wertschöpfung und der Ort der Produktion              Deswegen hat der Minister den Vorschlag einer
fallen hier zusammen.                                         globalen Mindestbesteuerung eingebracht. Die
                                                              globale Mindestbesteuerung soll einer aggressi-
Durch die zunehmende Digitalisierung haben sich               ven Verlagerung von Gewinnen multinationaler
aber nicht nur bestehende Geschäftsmodelle ver-               Unternehmen die Grundlage entziehen. Die glo-
ändert. Es sind auch zahlreiche Geschäftsfelder völ-          bale Mindestbesteuerung soll grundsätzlich für die
lig neu entstanden. Wesensmerkmal von digitali-               gesamte digitale Wirtschaft gelten, nicht nur für
sierten Geschäftsmodellen ist, dass Unternehmen               große IT-Konzerne.
in dem Land, in dem sich die wirtschaftliche Tä-
tigkeit entfaltet, häufig nicht oder nur geringfügig
präsent sind. Sie zahlen daher wenig bis keine Steu-
ern, nutzen aber Infrastrukturen oder andere Leis-
tungen, die der Staat kostenlos zur Verfügung stellt.
Eine bloße „Onlinepräsenz“ löst aber kein Besteue-
rungsrecht in dem betreffenden Staat (Marktstaat)
aus.

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Internationale Unternehmensbesteuerung                                                    BMF-Monatsbericht
          Im Interview: Staatssekretär Dr. Rolf Bösinger                                                   März 2021

   Daher arbeiten Sie derzeit                                    Können Sie uns einen kleinen
   zusammen mit Ihren Kollegen                                   Einblick geben, wie wir uns
   und Kolleginnen aus den                                       die Verhandlungen auf OECD-
   OECD-Mitgliedstaaten                                          Ebene vorstellen dürfen? Ist
   intensiv an einem Projekt zur                                 Ihnen eine besonders knifflige
   Besteuerung der digitalisierten                               Situation im Gedächtnis
   Wirtschaft. Warum ist es                                      geblieben, die Sie gerne mit
   aus Ihrer Sicht so wichtig,                                   uns teilen möchten?
   dass hier ein Konsens auf
   internationaler Ebene                                     Bei dem Zwei-Säulen-Projekt ist Transparenz eine
   gefunden wird?                                            der wesentlichen Voraussetzungen für eine globale
                                                             Lösung. Da es sich um eine grundlegende weltweite
Wie gesagt: Die zunehmende Digitalisierung stellt            Reform handelt, müssen wir Wirtschaft, Wissen-
die bestehende Steuerrechtsordnung in einer glo-             schaft und Zivilgesellschaft einbinden. Daher hat
balisierten Wirtschaft vor große Herausforderun-             die OECD im Oktober 2020 den Stand ihrer Arbei-
gen. Daher brauchen wir globale Lösungen. Natio-             ten bekanntgemacht und die sogenannten Blau-
nale Lösungen führen nicht weiter.                           pausen (Blueprints) zu beiden Säulen vorgelegt,
                                                             welche die wesentlichen Elemente der neuen Re-
Deshalb arbeitet die Organisation für wirtschaftli-          gelungskonzepte enthalten.
che Zusammenarbeit und Entwicklung (Organisa-
tion for Economic Co-operation and Development,              Am 14. und 15. Januar 2021 fand dazu eine öffent-
OECD) im Auftrag der G20 an einer umfassenden                liche Anhörung statt. Das Interesse an der öffentli-
Lösung, bei der 139 Staaten gleichberechtigt mit-            chen Konsultation war groß: 200 schriftliche Bei-
wirken. Wir sind uns einig: Wir müssen uns auf ein-          träge auf mehr als 3.500 Seiten. Außerdem tagte das
heitliche steuerliche Regelungen verständigen, die           Inclusive Framework on BEPS am 27. und 28. Ja-
für alle Staaten eine faire Lösung darstellen.               nuar 2021 erstmalig weitgehend öffentlich (virtu-
                                                             ell), um den Prozess sichtbarer und transparenter
Das Projekt selber umfasst zwei Bereiche, die wir            zu machen.
als sogenanntes Zwei-Säulen-Projekt bezeich-
nen. Säule 1 betrifft die Neuverteilung der zwi-             Die Verhandlungen auf technischer Ebene werden
schenstaatlichen Besteuerungsrechte. Hier geht es            im Inclusive Framework on BEPS1 durchgeführt.
um die Entwicklung einer gemeinsamen Bemes-                  Vorschläge werden dann in großer Runde disku-
sungsgrundlage der globalen Mindestbesteuerung.              tiert. Die politische Haltung der Staaten zu techni-
Säule 2 umfasst den deutsch-französischen Vor-               schen Ausgestaltungselementen wird zunächst in-
schlag für eine globale effektive Mindestbesteue-            tern evaluiert, bevor die Position gegenüber den
rung. Sie baut auf Säule 1 auf: ohne Bemessungs-             anderen Staaten vorgebracht wird. Kompromisse
grundlage keine Besteuerung. Aus unserer Sicht ist           werden dann ausgelotet. Deutschland hat hier den
daher ein Konsens zur Säule 1 zwingend notwen-               Vorsitz. Der Prozess wird von Martin Kreienbaum
dig. Anderenfalls wäre mit einer Zunahme nicht               moderiert und vorangetrieben. Er und sein Team
abgestimmter nationaler Maßnahmen zu rechnen.                haben hier bisher einen exzellenten Job gemacht.
Diese würden zu mehr Rechtsunsicherheit führen
und neue steuerliche Gestaltungsspielräume eröff-
nen. Handelskonflikte zwischen Staaten wären die
Folge. Aber genau das wollen wir mit einer globalen          1   Base Erosion and Profit Shifting (Gewinnkürzung und
Mindestbesteuerung verhindern.                                   Gewinnverlagerung).

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Internationale Unternehmensbesteuerung                                            BMF-Monatsbericht
             Im Interview: Staatssekretär Dr. Rolf Bösinger                                           März 2021

Knifflige Situationen können in internationalen                    Die Welt wird sich auch
Verhandlungen dieser Dimension immer vorkom-                       weiterhin rasant verändern.
men. Hinzu kommt, dass die Einschränkungen und
                                                                   Und der Wandel selbst
Reiseverbote infolge der Corona-Pandemie dazu
geführt haben, dass die internationalen Verhand-
                                                                   beschleunigt sich sogar.

                                                                                                                      Schlaglicht
lungen neu konzipiert werden mussten. Auch das                     Bleibt die Digitalisierung als
musste sich auch erst einmal einspielen. Es ist ein                großer Treiber? Was denken
Marathon und kein Sprint. Aufgrund der positiven
                                                                   Sie, werden die kommenden
Signale auch von der US-Seite in jüngster Zeit sind
wir noch zuversichtlicher, dass eine Einigung bis
                                                                   großen Herausforderungen im
Mitte 2021 gelingen kann.                                          internationalen Steuerrecht
                                                                   sein? Kann sich das
                                                                   Steuerrecht genauso schnell
                                                                   wandeln wie die Welt?

                                                                Ich glaube, dass wir durch das Zwei-Säulen-Pro-
                                                                jekt eine solide Grundlage für die zukünftigen in-
                                                                ternationalen Herausforderungen des Steuerrechts
                                                                schaffen werden. Mit der globalen Mindestbesteue-
                                                                rung entsteht ein völlig neuartiges Konzept der in-
                                                                ternationalen Besteuerung. Wir sind damit bestens
                                                                gewappnet, um auch künftigen Risiken durch ag-
                                                                gressive Steuergestaltungen entgegenzutreten.

                                                                Das Steuerrecht muss sich den globalen Herausfor-
                                                                derungen stellen. Es muss sich dem Wandel stel-
                                                                len. Nationale Antworten helfen hier nicht, son-
                                                                dern globale, gemeinsame Entscheidungen. Auch
                                                                im Bereich der grenzüberschreitenden Verwal-
                                                                tungszusammenarbeit oder fortschreitenden Digi-
                                                                talisierung: Wir bleiben engagiert und mit großem
                                                                Einsatz dabei.

  Staatssekretär Dr. Rolf Bösinger
  © Bundesministerium der Finanzen/photothek

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